Essen ohne Gift? - Rudolf Krska - E-Book

Essen ohne Gift? E-Book

Rudolf Krska

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Beschreibung

Gesundheitsrisiko Essen: Welche Giftstoffe nehmen wir zu uns und wie schädlich und gesundheitsgefährdend sind sie wirklich? Im Gegensatz zu anderen chemischen Substanzen wird das Auftreten von natürlichen Giften in Lebens- und Futtermitteln in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, obwohl etwa die häufig vorkommenden Schimmelpilzgifte weltweit deutlich dramatischere gesundheitliche und wirtschaftliche Auswirkungen haben als zum Beispiel Pestizide. Rudolf Krska diskutiert den Einfluss von Globalisierung und Klimawandel auf die Lebensmittel- und Ernährungssicherheit und erläutert neueste Forschungsergebnisse zur verbesserten Risikobewertung. Er liefert einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Chemikalien in Lebensmitteln, denen europäische Konsumentinnen und Konsumenten regelmäßig ausgesetzt sind und setzt die potenzielle Gefährdung einer regelmäßigen Exposition ins Verhältnis.

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WIENER VORLESUNGEN

Band 207

Vortrag

am 14. April 2022

RUDOLF KRSKA

ESSEN OHNE GIFT?

GESUNDHEITSRISIKEN UND -NUTZENUNSERER LEBENSMITTEL

PICUS VERLAG WIEN

Copyright © 2023 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien

ISBN 978-3-7117-3027-5

eISBN 978-3-7117-5490-5

Informationen zu den Wiener Vorlesungen unter

www.wienervorlesungen.at

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter

www.picus.at

INHALT

DIE WIENER VORLESUNGEN

VORWORT

TEIL 1:

GESUNDHEITSRISIKEN UND -NUTZEN VON LEBENSMITTELN

Giftstoffe in Lebensmitteln – Auf der Suche nach den Schuldigen

Welchen chronischen Gesundheitsrisiken sind wir ausgesetzt?

Die tägliche Nahrung ist eine komplexe Mischung aus nützlichen und schädlichen Chemikalien

Gesundheitliche Vorteile und Risiken von pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln

TEIL 2:

CHEMISCHE LEBENSMITTELKONTAMINANTEN IM SCHEINWERFERLICHT

Risiken durch Schimmelpilzgifte (Mykotoxine)

Risiken durch Pflanzentoxine und andere natürliche Pflanzeninhaltsstoffe

Risiken durch marine Biotoxine

Risiken durch chemische Umweltschadstoffe

Risiken durch Prozesskontaminanten

Risiken durch andere chemische Verunreinigungen

Bewusst eingesetzte Chemikalien in Lebensmitteln und ihre Rückstände

TEIL 3:

RISIKO-RANKING UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Gesundheitlich bedenkliche Schadstoffe in der Nahrung – der Versuch einer Risikoeinstufung

Schlussfolgerungen für europäische Konsument*innen

Referenzen

Der Autor

DIE WIENER VORLESUNGEN

Nur eine aufgeklärte Öffentlichkeit, die freien Zugang zu validen Informationen und aktuellen Wissenschaftskonzepten hat, ist in der Lage, sich differenziert mit den gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit auseinanderzusetzen. Mit dem unverwechselbaren Wissenschaftsformat Wiener Vorlesungen leistet die Stadtregierung nun bereits seit mehr als drei Jahrzehnten einen wertvollen demokratiepolitischen Beitrag. Offen für alle, niederschwellig und zugleich hochkarätig werden hier die neuesten Erkenntnisse, Ideen und Fragestellungen aus Wissenschaft und Forschung präsentiert und diskutiert.

Als Forschungsstandort und Universitätsstadt hat die Stadt Wien eine Spitzenposition im mitteleuropäischen Raum inne und sieht es auch in ihrer Verantwortung, Impulsgeberin für aktuelle und zukunftsrelevante Auseinandersetzungen zu sein. So beziehen die Wiener Vorlesungen die Öffentlichkeit in den wissenschafts- und technologiepolitischen Diskurs mit ein und verhandeln Themen, die für die Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner besonders relevant sind.

Neu in der langen Geschichte ist das Format Wiener Vorlesungen online – geschuldet natürlich den mit der Covid-19-Pandemie einhergehenden Einschränkungen. Doch aus der Not wurde hier eine Tugend: Mittlerweile sind alle Veranstaltungen jederzeit nachträglich abrufbar und es kann somit auch zeitversetzt an der Diskussion aktuellster Fragestellungen partizipiert werden. Denn gerade in der Krise wurde sichtbar, welche Bedeutung vertrauenswürdige Konzepte der Wissensvermittlung während des Überangebots an Meldungen haben, das allzu oft von Halbwissen, Unwissen und Falschwissen geprägt ist. Das zeitgemäße Veranstaltungsformat trägt dazu bei, Dimensionen abzuschätzen, Fragen zu bewerten und schlussendlich Entscheidungen für das eigene Handeln zu treffen. Eine fundierte Informationsbereitstellung und der öffentliche Diskurs über die Voraussetzungen und Folgen von Forschung ist gerade heute von zentraler Bedeutung.

Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist die breite Diskussion des Nicht- beziehungsweise Noch-nicht-Wissens geworden, das gute Wissenschaft auszeichnet und zu ihrem Selbstverständnis zählt. Mit dieser Ungewissheit des Nicht-Wissens bewusst umzugehen und diese mit der Gesellschaft zu teilen, ist ein weiteres wichtiges Anliegen der Wiener Vorlesungen.

An unterschiedlichen Schauplätzen – denn auch bei ausschließlichen Online-Vorlesungen sollen verschiedene Orte der Stadt zu Stätten der Bildung werden – lädt das Dialogforum prominente Denkerinnen und Denker, den Nachwuchs der Wissenschaft und insbesondere Wissenschaftlerinnen ein, ihre Erkenntnisse und Einsichten über Fachgrenzen und Generationen hinweg mit der Bevölkerung zu teilen.

Um von den Wiener Vorlesungen zu profitieren, ist kein Studium nötig! Das ideale Publikum zeichnet sich durch große Wachheit und unbändige Neugier auf das Unbekannte und brennende gesellschaftliche Fragen aus. Bei kontrovers zu diskutierenden Themen ist dies umso entscheidender. Wenn hier individuelle Echokammern aufgebrochen werden, die ansonsten zu einer Engführung der Wahrnehmung führen können, hat das niederschwellige Wissenschaftsformat sein Ziel erreicht und den demokratiepolitischen Auftrag aufs Beste erfüllt.

In diesem Sinne freue ich mich, dass die Wiener Vorlesungen mit dieser Publikation nun auch schriftlich vorliegen und einen noch weiteren Adressat*innenkreis erreichen.

Veronica Kaup-Hasler

Stadträtin für Kultur und Wissenschaft

VORWORT

Essen ohne Gift ist eine Wunschvorstellung, die viele Verbraucher*innen teilen. Laut einer Studie des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) erwarten sich 70 % der Bevölkerung Lebensmittel ohne Pestizidrückstände. Dieselbe Erwartungshaltung besteht zweifelsohne auch für andere potenziell gesundheitsgefährdende Substanzen, wie etwa Schimmelpilzgifte – sogenannte Mykotoxine – oder Pflanzengifte. Giftfreie Lebensmittel und Ernährungssicherheit stehen jedenfalls weiterhin ganz oben auf der Prioritätenskala der Konsument*innen. Wie ein von der Europäischen Kommission veröffentlichtes Eurobarometer aufzeigt, äußern sich 31 % der Befragten sehr beunruhigt und weitere 40 % beunruhigt über chemische Verunreinigungen in Obst, Gemüse und Getreideprodukten. Selbst im hochentwickelten Europa mit seinen umfassenden Maßnahmen zur Sicherung der Lebensmittelqualität from field to fork ist die Verunsicherung in der Bevölkerung nach wie vor groß. Nur allzu oft gibt es Medienberichte, wie jener Rückruf von »Feinstem Roggen-Vollkornmehl«, der gerade zu jenem Zeitpunkt auf der Homepage des ORF auftauchte (help.orf.at, 15.7.2022), als ich mit dem Schreiben dieses Buches begann. Grund: Bei einer chemischen Analyse wurden Spuren des möglicherweise krebserregenden Schimmelpilzgifts Ochratoxin A in einer Vollkornprobe festgestellt. Vonseiten des Unternehmens empfahl man daher dringend, von jeglichem Verzehr des betroffenen Produkts abzusehen. Bei Pflanzenschutzmitteln kommt es bei Obst und Gemüse immer wieder zu Überschreitungen der zulässigen Höchstgehalte, obwohl die überwiegende Mehrheit der untersuchten Lebensmittelproben keine oder geringste Konzentrationen dieser Chemikalien aufweisen. Tatsächlich sind also auch europäische Konsument*innen mit lebensmittelbedingten Gesundheitsrisiken konfrontiert, die sich aus der Exposition, also dem Ausgesetztsein von Menschen gegenüber schädigenden Umwelteinflüssen wie toxischen Substanzen ergeben und die krankmachende Wirkung haben können. Einerseits scheint also Essen ohne Gift eher Illusion als Wirklichkeit zu sein. Andererseits gilt es, die Gesundheitsrisiken, denen durchschnittliche Konsument*innen durch die langfristige Aufnahme von Schadstoffen über Lebensmittel ausgesetzt sind, besser einschätzen und auch einordnen zu können. Vor zwei Jahren haben wir deshalb in einer Studie zunächst ermittelt, wie sicher unsere Lebensmittel wirklich sind, um die identifizierten Risiken schließlich nach deren Relevanz für die öffentliche Gesundheit in Europa zu reihen. Für diese Arbeit, die in dem renommierten wissenschaftlichen Journal Critical Reviews in Food Science and Nutrition im Jahr 2020 publiziert wurde, haben wir insgesamt über 100 Risikobewertungen auf europäischer Ebene unter die Lupe genommen. In der Folge haben wir vor allem jene potenziell schädlichen chemischen Stoffe in der Nahrung im Detail bewertet, denen Konsument*innen über einen längeren Zeitraum ausgesetzt sind, was man in der Fachsprache chronische Exposition nennt.

Nach Diskussion der Gesundheitsrisiken und -nutzen von Lebensmitteln im ersten Teil des Buches werden im zweiten Teil die Erkenntnisse aus der oben erwähnten Studie für die einzelnen Kontaminanten bzw. Schadstoffgruppen dargestellt. Im dritten Teil des vorliegenden Buches wird schließlich der Versuch unternommen, gesundheitlich bedenkliche Schadstoffe in der Nahrung einem Risiko-Ranking zu unterziehen.

Mein Dank gilt den fantastischen Teams der Wiener Vorlesungen und der BOKU! Ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit bekam, die Vorlesung Essen ohne Gift? im wunderbaren Festsaal des Wiener Rathauses anlässlich des Jubiläums 150 Jahre Universität für Bodenkultur Wien zu einem derartig spannenden Thema halten zu dürfen. In der Referenzliste finden Sie einige Artikel, die wichtige Grundlage für meinen Vortrag und auch für das vorliegende Buch waren. Besonders bedanken möchte ich mich bei meinen Kolleg*innen Mari Eskola, David Steiner, Jana Hajšlová und bei Chris Elliott vom Institute for Global Food Security an der Queen’s University Belfast für die hervorragende (inter)nationale Zusammenarbeit im Bereich der Lebensmittelanalytik und -forschung. Meine Dankbarkeit gilt auch allen Mitarbeiter*innen am Institut für Bioanalytik und Agro-Metabolomics am Department für Agrarbiotechnologie IFA-Tulln der BOKU sowie meinen Kolleg*innen am Campus Technopol Tulln, an dem auch das Austrian Competence Centre for Feed and Food Quality, Safety & Innovation FFoQSI angesiedelt ist. Zudem möchte ich meinen Kollegen Franz Berthiller und Rainer Schuhmacher für das Korrekturlesen und die wertvollen Verbesserungsvorschläge sowie meiner lieben Frau Vera für ihre Geduld und die vielen nützlichen Kommentare meinen herzlichen Dank aussprechen.

Ich wünsche Ihnen viel Freude und hoffentlich interessante Stunden beim Lesen dieses Buches!

TEIL 1:

GESUNDHEITSRISIKEN UND -NUTZEN VON LEBENSMITTELN

GIFTSTOFFE IN LEBENSMITTELN – AUF DER SUCHE NACH DEN SCHULDIGEN

DIE HEXEN

Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen: Selbst im hochentwickelten Europa sind wir einer Mischung aus gesundheitsgefährdenden Substanzen ausgesetzt, die ein potenzielles Risiko darstellen. Darüber hinaus sind bzw. scheinen mehrere dieser Schadstoffe krebsfördernde Substanzen (Kanzerogene) zu sein. Berühmtes Beispiel dafür ist das Schimmelpilzgift Aflatoxin B1, das etwa in Erdnüssen, aber auch in Getreide gefunden wird. Wer ist aber nun schuld daran, dass wir uns immer noch mit Giftstoffen in unserer Nahrung bzw. mit Fragen rund um die Lebens- und Futtermittelsicherheit befassen müssen? Im 11. Jahrhundert, also im Hochmittelalter, waren derartige Fragen offenbar noch einfach zu beantworten, denn die Schuldigen für eine damals wütende Lebensmittelseuche wurden schnell auserkoren: Hexen waren es! Sie wurden zur Rechenschaft gezogen, wenn Menschen etwa vom Heiligen Feuer heimgesucht wurden und ihre zerfressenen Glieder verfaulten. 600 Jahre später, im 17. Jahrhundert, wütete man zwar noch vehementer gegen vermeintlich Dämonbesessene. Zu diesem Zeitpunkt hatten französische Ärzte aber bereits die Ursache für diese dramatischen Befunde gefunden: Das verzehrte Getreide (Roggenmehl) war mit Mutterkorn verunreinigt – einer 4–6 cm langen kornähnlichen Dauerform des purpurbraunen Mutterkornpilzes Claviceps purpurea. Dank der modernen Forschung wissen wir heute, dass definitiv nicht Hexen schuld am sogenannten Heiligen Feuer waren. Tatsächlich waren es Schimmelpilzgifte, sogenannte Ergotalkaloide, die von diesem Mutterkornpilz gebildet werden. Die Aufnahme dieser Substanzen führt zu einer massiven Verengung der Blutgefäße, was brennt wie Feuer und sogar zum Abfallen von ganzen Gliedmaßen führen kann. Übrigens kann aus dem Mutterkornpilz die Lysergsäure gewonnen werden, aus der wiederum die Droge Lysergsäurediethylamid, besser bekannt unter der Abkürzung LSD, hergestellt werden kann. Dieses Psychedelikum kann den Bewusstseinszustand verändern und zu einer teilweisen oder kompletten Aufhebung der Grenzen zwischen dem Selbst und der Außenwelt führen. Nicht verwunderlich also, dass zu den toxischen Effekten der Ergotalkaloide auch Halluzinationen zählen. Als analytischer Chemiker muss ich hinzufügen, dass diese Pilzgifte zudem schwierig zu analysieren sind, da sich Teile ihrer Struktur rasch in spiegelbildliche Gegenstücke – sogenannte Epimere – umwandeln können.