Etwas Komisches geschah auf dem Weg in den Himmel - Corey Taylor - E-Book

Etwas Komisches geschah auf dem Weg in den Himmel E-Book

Corey Taylor

4,8

Beschreibung

Solch ein Buch hat es von einem Rock-Superstar bislang noch nicht gegeben: Corey Taylor nimmt den Leser mit auf eine Reise in übersinnliche, paranormale Welten. Gibt es wirklich Geister? Spukt es in alten Häusern? Corey Taylor sagt ja, denn er war selber oft dabei. Viele übernatürliche und unerklärliche Situationen hat Corey Taylor selbst erlebt, zum Beispiel im "Cold House". Gemeinsam mit Wissenschaftlern und Amateurforschern ging er diesen Phänomenen nach. Einfach nur verrückt - oder steckt mehr dahinter? Zum zweiten Mal nach seinem Debüt mit dem Buch "Die sieben Todsünden" erlaubt Corey Taylor einen Blick hinter die Kulissen seines aufregenden Lebens als Musiker, Frontmann, Sänger und Texter der Bands Slipknot und Stone Sour. Kaum eine Band wird so kontrovers diskutiert wie die amerikanische Nu-Metal- und Alternative-Metal-Formation Slipknot. In der Öffentlichkeit tritt die Band in einheitlichen Overalls auf, nur die gruseligen Gesichtsmasken, ihr Markenzeichen, sind individuell gestaltet. Der Name ist Programm: "Slipknot" ist das englische Wort für den Henkersknoten. 2006 gewann Slipknot einen Grammy für die beste Heavy Metal-Performance. Das martialische Auftreten ist keinesfalls nur Fassade, es spiegelt auch den echten Lebenswandel der Band wider: Mit nur 38 Jahren wurde Bassist Paul Gray am Pfingstmontag 2010 tot in einem Hotelzimmer im US-Bundesstaat Iowa aufgefunden. Er starb an einer Überdosis Drogen und Medikamente. Corey Taylor ist gleichzeitig auch Sänger und Gitarrist der Band Stone Sour, die - im Gegensatz zu Slipknot - eher melodischen Hardrock spielen. Sein Spektrum reicht hier von melodisch-klarem Gesang bis zu dem Slipknot-typischen "screaming" und "growling". Taylor ist berühmt für seine mitunter verstörende Bühnenshow. Sein ausschweifendes Leben ist geprägt von Exzessen jeglicher Art. In Taylors erstem, ebenfalls autobiografischem Buch geht es um die von der Kirche festgeschriebenen "sieben Todsünden": Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit. Corey Taylor beschreibt, wie er selbst zu diesen Sünden steht und wie er mit diesen umgeht. In seinem neuen Buch erzählt er wieder eine spannende autobiografische Geschichte, diesmal über Geistwesen und Spukerscheinungen. Hochspannung ist garantiert!

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Oder: Wie ich meinen Frieden mit dem Paranormalen schloss und dabei auch mit stigmatisierten Fanatikern und Zynikern ins Reine kam

übersetzt von Kirsten Borchardt

www.hannibal-verlag.de

Widmung

Dieses Buch widme ich meiner Familie, die mich in einer fast endlosen Schleife immer wieder mit Konzentration und Inspiration versorgt. Ohne sie wäre ich ewig wurzellos. Durch meine Familie bin ich stets bereit, willig und aufmerksam. Ich liebe euch alle mit ganzem Herzen.

Die zweite Widmung gilt Charles Bonnici, der mir mehr über Hingabe und Liebe beigebracht hat als jeder andere auf der Welt, und der mir gezeigt hat, was es bedeutet, ein Mann zu sein.

Du fehlst mir, Dad.

Und ich werde mein Bestes tun.

Impressum

Der Autor: Corey Taylor

Deutsche Erstausgabe 2013

Titel der Originalausgabe:

„A Funny Thing Happened On The Way To Heaven“ © 2013 by Corey Taylor

ISBN 978-0-306-82164-6

This edition published by arrangement with Da Capo Press, A Member of the Perseus Books Group, USA. All rights reserved.

Editorial production by Marrathon Production Services. www.marrathon.net

Buchdesign: © Jane Raese

Coverdesign der deutschen Version: © bürosüd°, München

Coverabbildung und Fotos: © Paul Brown

Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Kirsten Borchardt

Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

© 2013 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-439-7

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-438-0

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Cold House

Aber zunächst einmal werfen wir einen genauen Blick auf unsere Widersacher

Die Mansion

Eine Nacht in Farrar

Paranormale Lähmung und paranoide Faktoren

Das Herrenhaus von Foster Manor

Geistige Getränke mit Freunden

Geisterjagd in New York

Grenzgebiete

Die Kids aus dem Circle

Jetzt müsst ihr noch mal für fünf Minuten nachzahlen

Danksagung

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Zitate

Ein jeder Geist zurück ins Grabe sinkt

sobald der erste Hahnenschrei erklingt.

– Theodosia Garrison

Da war etwas Ehrfurchtgebietendes an der Vorstellung, wie ein einsamer Sterblicher am offenen Fenster stand und aus der draußen herrschenden Düsternis die Geister der Unterwelt heraufbeschwor.

– Sir Arthur Conan Doyle

What is this that stands before me?

Figure in black which points at me.

– John „Ozzy“ Osbourne, „Black Sabbath“, Black Sabbath

Heute sieht man sie überall. In Filmen und Cartoons, in der Werbung und in Reality Shows. Promis reißen sich darum, ihre eigenen Erfahrungsberichte an den Mann oder die Frau zu bringen, weil sie einen in den Designer-Sportjacken so schön zittern und erschauern lassen. Heute sind sie so gewöhnlich, dass man sich fast gar nicht mehr vorstellen kann, wie unheimlich es einst war, sie auch nur zu erwähnen. Aber es gab wirklich einmal eine Zeit, da genügte der Gedanke an Geister, damit dir eiskalte Schauer über den Rücken liefen. Damit meine ich jetzt nicht irgendwelche Typen, die sich ein Bettlaken mit zwei Löchern für die Augen über den Kopf ziehen, oder solche Geschichten, wie sie der Zeichentrick-Geisterdetektiv Scooby-Doo mit seinen Kumpels seit 1969 im Fernsehen aufklärte. Ich rede von den Schritten direkt hinter euch, von diesem leisen Schlurfen auf Parkettboden in jenen Augenblicken, in denen es eigentlich gar kein Geräusch geben dürfte. Ich rede von dem Schatten in eurem Augenwinkel, der euch auffällt, wenn ihr allein zu Hause seid. Ich rede von den Dingen, die sich unerklärlicherweise bewegen, über fliegendes Besteck und über die Kratzer, die man morgens an sich entdeckt, obwohl man sich sicher ist, dass man sie noch nicht hatte, als man am Abend zuvor schlafen gegangen war. Von leuchtenden Kugeln bis zu tiefen Schatten: Das spirituelle Ende des paranormalen Schwimmbeckens ist kein seichtes Gewässer, und nur allzu leicht kann man darin ertrinken.

In der Kindheit erzählt man sich Gruselgeschichten, wenn man mit ein paar Gleichaltrigen zusammenhockt und sich gegenseitig Angst machen will. Man kuschelt sich zusammen unter eine Decke und tauscht diese Storys wie Sammelbildchen, und mit angehaltenem Atem wartet man darauf, endlich an die Reihe zu kommen, denn in neun von zehn Fällen kennt jeder in der Runde eine Gruselgeschichte. Das können ganz softe Sachen sein, zum Beispiel, dass man einmal den eigenen Urgroßvater im Keller gesehen hat, oder aber etwas ganz Schauriges wie die dunkle Gestalt, die einem überallhin folgt, egal, in welche Stadt man zieht, und die schon da war, als man im Kindergarten mittags noch schlafen musste. Aber meiner Erfahrung nach kennt fast jeder in meinem Bekanntenkreis eine Geistergeschichte, und wenn nicht, dann wünscht er sich insgeheim garantiert, er würde eine kennen.

Die Menschen sind vom Übernatürlichen beinahe schon ebenso lange fasziniert wie von der Religion. Wahrscheinlich könnte man es so formulieren: Wenn die Religion eine Lounge-Sängerin ist, dann ist das Paranormale ein Rockstar. Falls man nicht gerade Schlangen anbetet oder in Zungen spricht, dann ist der Glaube meistens eine ziemlich banale Angelegenheit. Aber das Unerklärliche … Scheiße, das ist wie die erste Lederjacke oder der erste Zungenkuss. Tabus sind immer aufregender als die gesellschaftlich akzeptierten Werte. Vielleicht liegt es an der angedeuteten Dunkelheit oder am phantastischen Element, aber ich weiß, dass Gruselgeschichten schon allein deswegen faszinierend sind, weil sich nicht zwei von ihnen wirklich völlig gleichen. Die Bibel hingegen ändert sich nur dann grundlegend, wenn jemand Neues an die Macht gelangt.

Und sehen wir einmal den Dingen ins Auge: Die Menschen lieben es, sich zu fürchten. Aus demselben Grund gucke ich schließlich jeden verdammten Film über Haie, obwohl ich mir schon beim bloßen Anblick dieser Viecher jedes Mal fast in die Hosen mache. Ich liebe dieses Gefühl. Wenn man sich mit einem Mädchen verabredet, geht man beim ersten Date ja auch nicht in irgendeinen Liebesfilm, sondern am besten im Autokino in irgendeinen Streifen, bei dem sie einem vor Schreck direkt in die starken Arme springt. Es darf natürlich auch nicht zu derb und eklig sein, nur gerade intensiv genug, dass man zum Schuss kommt. Gruselgeschichten sind einfach unser frühester Kontakt mit der wilden Seite der Welt, und im Grunde geht es dabei um die Verbrüderung mit anderen Kids, um das Teilen von Erlebnissen, und darum, andere aufs Kreuz zu legen. Es ist Masochismus erster Güte.

Ich werde euch jetzt eine Geschichte erzählen, die ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr niemandem anvertraut habe. Es ist eine außergewöhnliche, erschreckende und natürlich auch gruselige Geschichte. Und sie ist wahr; einige der Tatsachen haben sich inzwischen im Nebel der Zeiten verloren, weil sie nun mal dreißig Jahre zurückliegen, aber die Bruchstücke, an die ich mich erinnere, sind heute noch so lebendig wie in der Nacht, da alles geschah, und je mehr ich davon niederschreibe, um so mehr fällt mir auch wieder ein – stärker, klarer und mit mehr Einzelheiten. Ihr könnt das gern anzweifeln, wenn ihr wollt. Oder euch darüber lustig machen. Das ändert nichts daran, dass es genau so geschehen ist. Und ich war dabei. Das ist einfach ein Fakt: Ich war dabei.

Im Sommer 1983 war ich neun und wuchs im Süden von Des Moines in Iowa auf, soweit man überhaupt von Aufwachsen reden kann. Des Moines ist für mich, über kürzere oder längere Phasen meines Lebens, immer wieder eine Heimat und ein Refugium gewesen. Damals wusste ich noch nicht, dass ich ein Jahr später nach Florida umziehen und anschließend den größten Teil meiner Teenagerzeit an ständig wechselnden Orten verbringen sollte, bis ich irgendwann alles, was entfernt an Wurzeln hätte erinnern können, gegen eine echte Vagabundennatur eingetauscht hatte. Aber 1983 war ich schon seit drei wunderbaren Jahren in Des Moines und hatte mir so etwas Ähnliches wie ein normales Leben aufgebaut; ich fühlte mich wie ein richtiges Kind. Ich war sogar bei den Pfadfindern, bevor ein unglückliches Bremsenversagen dazu führte, dass ich mit meinem BMX-Rad durch die Fliegengittertür vom Haus meines Gruppenleiters krachte. Ich spielte ein bisschen Baseball in der Kinderliga (in einem Team, das eigentlich „The Cannibals“ hätte heißen sollen, bevor uns irgendein blöder Erwachsener in „The Cannon Ballers“ umbenannte), und Bowling in einer großartigen alten Anlage namens Bowlerama, wo auch schon lange vor meiner Geburt meine Großmutter gebowlt hatte. Ich wohnte in einer Kellerwohnung nahe der Kreuzung South East 14th Street und Watrous Avenue, und von der ersten bis Mitte der vierten Klasse besuchte ich die Andrew Jackson Elementary School, die nur ein paar Straßen entfernt lag. Man konnte der Watrous Avenue in östlicher Richtung folgen, bis sie in die Indianola Avenue mündete, und auf der anderen Straßenseite über den großen Schulhof bis zum Haupteingang laufen. Aber es gab einen direkteren, geheimnisvolleren Weg zur Schule, bei dem man auf dem Parkplatz und dem Spielgelände herauskam.

Damals befand sich die Quik-Trip-Tankstelle, die heute östlich der South East 14th Street liegt, noch auf der anderen Straßenseite, und an ihrer Stelle stand ein kleiner Supermarkt, der ein paar Jahre später schloss. An dieses Ladengrundstück grenzte rückwärtig ein Wald, den man von der Watrous Avenue nicht erreichen konnte, weil entlang unseres Schulwegs Häuser dazwischen lagen. Aber es gab einen Weg durch diesen Wald, der eine Abkürzung zur Jackson Elementary darstellte. Meine Freunde und ich schlugen uns also ins Gebüsch und drangen tief ins Innere dessen vor, was wir den South-Side-Wald nannten. Der Pfad wand und schlängelte sich so sehr, dass er fast eine Art Labyrinth darstellte, durch das wir morgens liefen, während die warme Morgensonne den Tau auf den Blättern trocknete. Aber je näher wir der Schule kamen, desto unheimlicher und finsterer wurde der Wald.

Ungefähr auf halber Strecke tauchten bizarre „Fallen“ und verdrehte, verrostete Stolperdrähte auf, die sich über den Weg schoben und dazu angelegt waren, jeden straucheln zu lassen, der hier entlang kam – die Drähte waren auf eine Art und Weise gespannt, die es so aussehen ließ, als ob uns wirklich jemand fangen und wehtun wollte. Wir kannten den Weg zwar sehr gut, aber trotzdem mussten wir stets aufpassen, wohin wir traten. Komischerweise veränderten die Fallen und Drähte hin und wieder ihre Lage – jemand bewegte sie. Wir fanden nie heraus, wieso. Nun mochte schon das allein einer Gruppe von Kindern gefährlich erscheinen, aber das, was auf diesem Weg sonst noch lauerte, war wie aus einem Wes-Craven-Film.

Mitten im Wald und weit entfernt von den umliegenden Siedlungen stand ein verlassenes, zweistöckiges Haus, entkernt und eingefallen, ein Turm böser Vorahnungen, der mit seiner Gothic-Atmosphäre einen herben Kontrast zur Vorstadtidylle bildete wie ein Überbleibsel aus den gruseligeren Geschichten der Brüder Grimm. Es war wie das Destillat der Farbe Grau und trotzte den Elementen; niemand wusste, wie alt es war, wie lang es schon dort stand oder warum dort überhaupt jemand hätte leben wollen. Schließlich lag es an keiner Straße und hatte auch keine Zufahrt, die es mit dem Rest der Welt verbunden hätte. Es war einfach nur ein hoch aufragendes, verfallenes Gemäuer, das uns Kindern eine Scheißangst einjagte – an den Außenwänden standen schreckliche Botschaften, die höchstwahrscheinlich die Teenager, die sich immer an dem Haus trafen, dort hingeschmiert hatten.

Wenn ich heute daran zurückdenke, dann war es wohl einfach nur ein unheimliches Gebäude, das knarrte und knirschte, aber für leicht zu beeindruckende Neunjährige war es das Feriendomizil des Teufels höchstpersönlich. Natürlich waren wir davon fasziniert, obwohl wir gleichzeitig einen großen Bogen drum herum machten. Keiner von uns hatte den Mumm, dort hineinzugehen. Nicht einmal als Teil einer Wette – die für ein Kind einen bindenden Vertrag darstellt, den man gerichtlich hätte einklagen können – trauten wir uns dort heran. Wenn wir am Haus vorbei kamen, fingen wir an zu rennen, und unser erhöhtes Tempo hatte nichts damit zu tun, dass wir rechtzeitig zum Unterricht kommen wollten. Auch wenn wir das Haus nicht sahen – wir wussten, dass es da war, und wir redeten dauernd darüber, bis meine Freunde und ich es irgendwann „Cold House“ tauften.

Der Sommer 1983 war eine wichtige Zeit in meinem Leben. Ich fing allmählich an, so zu denken, wie ich das heute noch tue, und ich merkte, dass andere Kinder gern in meiner Nähe waren, weil ich keine Angst kannte und es mit mir immer lustig war. Als Die Rückkehr der Jedi-Ritter ins Kino kam und meine Freunde und ich den Film nachspielten, wurde ich immer zum Luke Skywalker gewählt, marschierte mit meinem ramponierten Second-Hand-Lichtsäbel auf das Feld, auf dem wir normalerweise Straßen-Baseball mit Gummibällen und Besenstielen spielten, und sorgte dafür, dass die gute Seite siegte. Ich spielte viel mit den Nachbarskindern, von denen einige in meinem Alter und ein paar auch schon ein bisschen älter waren. Nach der Schule waren wir oft bei mir zu Hause – wir guckten Zeichentrickserien wie G.I. Joe oder die Musikvideos auf einem neuen Kanal namens MTV, weil wir zu den wenigen Familien gehörten, die damals schon Kabelfernsehen hatten, wenn auch nur über eine illegal angezapfte Leitung. Deswegen waren immer Freunde bei mir, und in jenem Sommer übernachteten wir oft auch gegenseitig beim einen oder anderen.

Es war Juli, als meine Freunde und ich beschlossen, dass wir uns nachts aus der Wohnung schleichen und Cold House erkunden wollten.

Wir waren zu sechst: Ich war sozusagen der Anführer, dann waren da noch mein erster richtiger bester Freund Henry sowie Matt, Joe, Tina und Brock. Henry und Matt, die ein paar Straßen weiter wohnten, übernachteten tatsächlich bei mir; Joe, Tina und Brock, ebenfalls aus unserer Siedlung, schliefen zu Hause. Den Plan fassten wir tagsüber, als wir gemeinsam durch die Gegend streiften und nicht recht wussten, was wir mit uns anfangen sollten. Wenn Kinder nicht genug Hirnnahrung bekommen, dann denken sich ihre Köpfe schnell irgendwelche Streiche aus, wie das alte Sprichwort schon sagt: Ein fauler Pelz ist des Teufels Kopfkissen. Wahre Worte: Beinahe hätte ich dafür gesorgt, dass meine ganze Familie aus dem Wohnkomplex flog, weil ich in einen Lagerraum eingebrochen war, im wörtlichen Sinne. Ich hatte eine Eisenstange benutzt, um eine Wand einzureißen.

Cold House wollte ich damals schon seit einiger Zeit genauer in Augenschein nehmen. Wir hatten davon gehört, dass es dort spukte, seit wir zum ersten Mal den Waldweg zur Schule genommen hatten. Der Gedanke, dass keine zwei Straßen von dort, wo ich schlief, ein richtiges Geisterhaus stand, war für meine Vorstellungskraft fast zu viel, und ich war fest entschlossen, dort hinzugehen, mich umzusehen und abzuwarten, was passieren würde. Meine Gefolgsleute waren verständlicherweise etwas zögerlicher. Tina wollte damit überhaupt nichts zu tun haben, und die anderen wollten sich allenfalls tagsüber dort hineintrauen. Ich hingegen wollte nachts hingehen, denn ich war felsenfest davon überzeugt, dass wir überhaupt nur nach Mitternacht dort etwas erleben würden. Es wurde niemand gezwungen, mitzugehen – das Motto lautete ganz klar „Dabeisein auf eigene Gefahr“. Aber letztlich fanden wir den gruseligen Kitzel doch alle viel zu aufregend. Und so fassten wir einen Plan.

Um Mitternacht wollten wir uns hinter dem Schuppen unseres Hauses treffen. Henry, Matt und ich kletterten also aus meinem Schlafzimmerfenster, so wie ich das schon viele Male zuvor getan hatte. Die anderen wollten sich ebenfalls von zu Hause wegschleichen, falls sie denn überhaupt wirklich mitkommen würden. Tina, Joe und Brock standen der ganzen Idee immer noch sehr skeptisch gegenüber, aber als meine kleine Gruppe um Mitternacht sicher am Schuppen angekommen war, dauerte es nicht lange, bis auch sie erschienen, und dann machten wir uns auf den Weg. Wir hatten während des Tages vier Taschenlampen in unser Zimmer schmuggeln können. Nun rannten wir die 14th Street entlang, überquerten sie an der Ampel, achteten vorsichtig darauf, keinem Erwachsenen über den Weg zu laufen, der uns natürlich sofort wieder nach Hause geschickt hätte, schlugen uns in den South-Side-Wald und wedelten dabei mit unseren Taschenlampen herum wie die Jedi-Ritter, um unsere Nervosität zu verbergen.

Bevor ich jetzt weiter erzähle, möchte ich schnell anmerken, dass ich wie immer die Namen meiner Freunde geändert habe. Zum einen aus Respekt vor den Geschehnissen. Zum anderen ist es zwar Jahre her, dass ich sie zuletzt gesehen habe – wir verloren uns kurz nach den geschilderten Ereignissen aus den Augen –, aber sie werden trotzdem auf alle Ewigkeit in Freundschaft mit mir verbunden sein und mir als Menschen in Erinnerung bleiben, die diese Erlebnisse unbeschadet überstanden. Wenn man sie heute fragte, würden sie wahrscheinlich nicht zugeben, sich überhaupt an diese Dinge zu erinnern. Aber mein Beruf bringt es mit sich, dass man sich den jugendlichen Überschwang erhält, und von daher ist meine Erinnerung an die folgenden Dinge so lebendig, als hätten sie sich erst gestern ereignet. Und daher ist dies hier mein Buch, meine Leidenschaft, mein Dilemma – sie namentlich zu nennen, würde vermutlich dazu führen, dass sie sich mit irgendwelchem Scheiß aus der Vergangenheit konfrontiert sehen, den sie sich vielleicht aktiv zu vergessen bemüht haben. Aber das ändert nichts an den Tatsachen: Es hat sich alles so abgespielt wie beschrieben, ich war nicht allein, und ich habe heute noch Narben, die meine Worte bezeugen können.

Unsere kleine Gruppe war recht guter Stimmung, obwohl wir uns gerade durch die Dunkelheit zu einem Ort schlichen, vor dem wir uns eigentlich zu Tode fürchteten. Selbst wenn wir über die Drähte stolperten, die über den Weg gespannt waren, lachten wir und halfen uns gegenseitig wieder auf. Wir blieben in Bewegung und waren uns sicher, dass wir etwas „total Krasses“ erleben würden. Und dann, ehe wir uns versahen, und viel früher, als wir damit gerechnet hatten, waren wir da.

Ich kann gar nicht beschreiben, wie viel Furcht erregender Cold House im Dunkeln aussah. Jahre später, als ich das Ende von Blair Witch Project sah, hatte ich ein ganz entsetzliches, heftiges Flashback. Es war, als wäre damals jemand mit einer Filmkamera bei uns gewesen. Aber das war nur ein Film, der absichtlich so angelegt worden war, dass man sich vor Angst in die Hosen machen und von der Kameraführung seekrank werden sollte – Erinnerung und Realität können so viel heftiger und härter sein.

Wir ließen das Licht unserer Taschenlampen über die verfallene Fassade wandern, und sie sah aus wie ein Killer. Es war, als hätte man direkt neben sich im Wasser plötzlich einen Alligator entdeckt. Es waren natürlich keine Scheiben mehr in den Fenstern, weil die Teenager, die immer hier herumlungerten, sie mit Steinen eingeschmissen hatten oder mit diesem komischen, grünen, harten Zeug, das nach Haushaltsreiniger roch und überall von den Bäumen fiel. Tatsächlich sahen die Bäume rund ums Haus wie gruselige Finger aus, die wirkten, als würden sie das Gebäude zusammenhalten oder aber auf uns Eindringlinge zeigen und uns auffordern, uns davon fernzuhalten. Die Haustür hing fürchterlich schief nur noch an einer Angel, und die Treppe, die zur vorderen Veranda hinaufführte, sah schon so wurmstichig aus, dass sich selbst Indiana Jones einen anderen Weg ins Innere gesucht hätte.

Wir standen alle da, wie erstarrt vor Aufregung und Angst. Wollten wir das jetzt echt machen, verdammte Scheiße? Ganz offenbar war ich der einzige, der wirklich bereit war, den ersten Schritt zu tun. Erfüllt von einem Feuer, von dem ich heute noch nicht weiß, woher es eigentlich kam, verließ ich den Pfad und machte vier Schritte aufs Haus zu – und kam dem verfallenden Gebäude damit näher als je zuvor. Meine Knie waren butterweich und mein Herz schlug mir bis zum Hals, aber ich machte noch einen Schritt. Das Geräusch von Füßen im hohen Gras ließ mich erkennen, dass meine Kameraden mir folgten, wenn auch in einigem Abstand.

Vorsichtig betrat ich die Vortreppe. Jede Stufe knarrte laut unter meinem Gewicht, und obwohl das Summen der Stadt nicht allzu weit entfernt zu sein schien, wirkten all diese Geräusche in der Dunkelheit und im Schweigen des Waldes wie Nadeln, die sich in die Ohren bohrten. Wir hätten genauso gut in Rumänien sein können, so weit weg schien uns unser Zuhause. Die Veranda selbst war in etwas besserem Zustand als die Treppe, und wir versammelten uns dort, bevor ich mit starren Fingern nach der Eingangstür griff und mir Zugang zum Cold House verschaffte. Einer nach dem anderen traten wir über die Schwelle.

Dann gingen unsere Taschenlampen aus.

Bei den Studien über paranormale Phänomene, denen ich mich über die Jahre gewidmet habe, habe ich oft davon gelesen, dass Geister Batterien oder andere Energiequellen leersaugen, um sich manifestieren zu können. Dass das stimmt, habe ich festgestellt, als ich 2003 und teilweise auch 2004 eine ähnliche Aktivität in der berüchtigten Mansion von Laurel Canyon in Los Angeles beobachten konnte. Aber davon soll später die Rede sein. Damals, 1983, hatte ich von diesem Phänomen keine Ahnung. Da war ich einfach nur ein Neunjähriger, der ganz plötzlich in schwärzester Dunkelheit in einem verlassenen Haus stand. Wir schüttelten die Taschenlampen und versuchten, sie wieder anzuschalten, und wir fragten uns natürlich auch, was zur Hölle dafür gesorgt haben konnte, dass sie alle zur gleichen Zeit ausgingen – ich glaube, Tina hatte gerade erst frische Batterien eingelegt, bevor sie von zu Hause losgelaufen war. In diesem Augenblick fiel mir ein Schimmer auf, der aus dem ersten Stock zu kommen schien. Meine Augen hatten sich inzwischen etwas an die Lichtverhältnisse angepasst, und ich konnte einige vage Umrisse ausmachen, die Wände, einen kaputten Stuhl und die Treppe, die ins nächste Stockwerk hinaufführte. Und da war es, auf dieser Treppe: ein Lichtschein, der für uns alle deutlich zu erkennen war. Ich machte einen Schritt auf die Treppe zu, aber eine Hand legte sich auf meinen Arm. Es war Henry, und er flüsterte: „Sei nicht blöd, wo willst du denn hin?“ Aber ich entwand mich seinem Griff, holte tief Luft und setzte den Fuß auf die unterste Stufe.

Noch bevor ich einen zweiten Schritt tun konnte, wurde der Schimmer heller. Ich richtete meinen Blick auf das obere Ende der Treppe. Und dann sah ich die Gestalt.

Ich vermutete, es sei ein Mensch – jedenfalls sah sie menschlich aus. Es war das Verrückteste, was wir je gesehen hatten: diese Silhouette eines Riesen wurde von hinten ausgeleuchtet, sodass man ihr Gesicht nicht sehen konnte, aber gleichzeitig schien dieses Ding das Licht, vor dem es sich abhob, selbst auszustrahlen. Es war wie ein blauweißer Albtraum. Ich erinnere mich, dass sich seine Hände zusammenkrampften und wieder lockerten. Ich erinnere mich, dass sich sein Brustkorb wie nach Luft ringend hob und senkte. Ich erinnere mich, dass meine Freunde an meiner Kleidung zerrten und mich mit sich ziehen wollten, als sie flohen. Ich erinnere mich an etwas, das aussah wie Blut an den Wänden. Das letzte, was ich wahrnahm, bevor ich zu schreien anfing, war dieses Ding, das direkt auf uns zukam, scheinbar ohne einen Muskel dabei zu bewegen.

Wir traten uns beinahe gegenseitig tot bei dem hektischen Versuch, so schnell wie möglich aus Cold House herauszukommen. Die Eingangstür, die uns den Weg versperrte, wurde schließlich von uns fliehenden Kindern endgültig aus den Angeln gerissen. Ich war der letzte, der über die Schwelle sprang. Als ich die Vordertreppe hinunterrannte, brach ich mit dem linken Bein durch das morsche Holz und schürfte mir das Schienbein auf. Als ich mich umsah, war da dieses Ding im Türrahmen – bedrohlich, unnatürlich. Ich konnte sein Licht auf meinem Gesicht fühlen, versteht ihr? Völlig entsetzt und geschockt stand ich da und konnte mich nicht bewegen. Irgendwie wusste ich, dass es mich wollte. Und dass es mich bestrafen würde. Ich schloss die Augen.

Dann zerrte mich Henry von den Stufen. Er schleifte mich hinter sich her, und ich versuchte, humpelnd mit ihm Schritt zu halten. Wir blieben erst stehen, als wir den Schein der Straßenlaternen vor uns sahen, der unsere kleinen Körper in Licht und einem kleinen bisschen Sicherheit badete, und wir uns nahe dem Waldrand nebeneinander auf den Boden fallen ließen. Keiner von uns sprach. Irgendjemand weinte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns wie in geheimer Übereinstimmung wieder erhoben und still und leise zu unseren Häusern zurückkehrten. Wir bildeten beinahe eine Beerdigungsprozession. Als wir das Haus erreichten, in dem ich wohnte, trennten sich Tina, Joe und Brock schweigend von uns. Matt, Henry und ich krochen wieder in mein Zimmer und versuchten einzuschlafen, ohne ein Wort zu wechseln. Am nächsten Tag hockten wir uns in der hellen Nachmittagssonne vor eine Mauer unseres Wohnkomplexes und brannten plötzlich darauf, uns über das, was wir gesehen hatten, auszutauschen. Henry fragte, ob das Ding irgendetwas zu mir gesagt hatte, und ich schüttelte den Kopf. Matt war überzeugt, dass es statt einer Hand einen Haken am Arm gehabt hatte, und ließ sich von mir nicht davon abbringen. Nach einer Weile kam Joe vorbei und war noch total aufgeregt. Er wollte noch einmal hingehen. Ich sagte, ich sei mit von der Partie – Matt auch. Henry sagte nichts. Als wir zu Tina gingen, erklärte sie, ihr ginge es nicht gut, und sie wollte auch nicht mit. Brocks Mutter ließ uns wissen, dass Brock nicht mal an die Tür kommen wollte, und sie fragte, ob wir Streit gehabt hätten. Er spielte nie wieder mit uns, und wenn er uns im Viertel irgendwo sah, ging er uns aus dem Weg.

Als wir zur 14th Street unterwegs waren, fiel Henry ein, dass er plötzlich nach Hause musste. Er sagte, er würde mich am nächsten Tag nach dem Baseballtraining anrufen. Unsere enge Freundschaft ging anschließend auseinander; ich begann mich mehr für Musik und Comics zu interessieren, er beschäftigte sich mehr mit Sport. Tina besuchte mich weiterhin, aber sie weigerte sich standhaft, über Cold House zu sprechen. Sie behauptete schließlich sogar, die ganze Geschichte sei nie passiert, und wir hätten uns das alles nur eingebildet.

Wir drei Verbliebenen weigerten uns, so zu tun, als sei es nicht geschehen, und an dem besagten Nachmittag gingen wir wieder den Pfad hinunter und sprangen über die Stolperdrähte, die uns nun wie eine Kleinigkeit erschienen – verglichen mit dem, was wir in der Nacht zuvor gesehen hatten. Wir kamen schnell zum Haus und verlangsamten unsere Schritte nur, um beim Hinaufgehen auf der Treppe Vorsicht walten zu lassen. Während Matt und Joe ins Haus stürmten, blieb ich kurz stehen und betrachtete das Loch, in dem ich eingebrochen war. Die Wunde an meinem Bein hatte ich gesäubert, ohne meiner Mutter etwas zu sagen; sie hätte sonst zu viele Fragen gestellt. Wie ich so neben dem Loch stand, erinnerte ich mich sofort wieder an den Augenblick, an dem ich mich direkt dieser übernatürlichen Erscheinung gegenüber gesehen hatte, und ich betrachtete es eine ganze Weile. Als ich dann das Haus betrat, waren die anderen beiden schon oben. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass die Eingangstür fehlte, bis ich Matt und Joe brüllen hörte, ich solle „SOFORT hier raufkommen!“ Am Fuße der Treppe stellte ich fest, dass da gar nichts an den Wänden war. Kein Blut, aber auch nichts, was mich in dem geisterhaften Licht an Blut hätte erinnern können. Es war einfach weg.

Als ich die Treppe hinaufging – wieder ganz vorsichtig, um nicht noch einmal irgendwo einzubrechen –, sah ich, worüber sie sich so ereiferten, und konnte es nicht fassen. Die Eingangstür, gegen die wir bei unserer hastigen Flucht geprallt waren und die wir dabei aus den Angeln gerissen hatten, lag nun in einem der oberen Zimmer auf dem Boden. Wir erkannten sie ohne weiteres, schließlich waren wir ja jeden Tag auf dem Weg zur Schule an ihr vorbeigekommen. Und außerdem hatten wir sie im Licht unserer Taschenlampen noch genau studiert, bevor unsere Batterien den Geist aufgegeben hatten. Es war die Eingangstür, und sie lag unerklärlicherweise mitten in einem Zimmer, ein paar entscheidende Meter von dort entfernt, wo wir sie zurückgelassen hatten. Dabei interessierte es uns gar nicht so sehr, wie sie die Treppe bis in dieses Zimmer hinaufgekommen sein oder wer sie überhaupt dort hingeschleppt haben mochte. Nein, unsere Aufmerksamkeit wurde ganz und gar von dem Wort in Anspruch genommen, das auf ihre Fläche geschmiert worden war, beinahe eingekratzt in den Dreck und den Schmierfilm, der sich über die Jahre darauf gesammelt hatte:

„VERSCHWINDET.“

Wir rannten, als sei der Teufel hinter uns her.

Als im Herbst die Schule wieder anfing, nahm ich weiterhin die Pfade durch den South-Side-Wald. Gelegentlich taten Matt und Joe das auch. Tina mied diesen Weg völlig. Brock wiederum mied uns, egal wo er uns sah. Henry winkte mir in der Schule zu, aber unsere Freundschaft ging allmählich auseinander, und das ging mir echt ziemlich nahe. Ein paar Monate später zog ich von Iowa nach Florida. Ich sah keinen von ihnen jemals wieder, auch dann nicht, als ich mit sechzehn wieder nach Des Moines zurückkehrte. Sie waren einfach verschwunden. Im Laufe der Zeit vergaß ich schließlich ihre Nachnamen. Wenn man mich bitten würde, mir vorzustellen, wie sie als Erwachsene aussehen könnten – ich glaube, ich wäre nicht in der Lage, sie bei einer polizeilichen Gegenüberstellung wiederzuerkennen.

Aber an diese Nacht erinnere ich mich ganz genau. Irgendwann erzählte ich neuen Freunden von den Ereignissen, und ein paar von ihnen guckten genauso, wie ihr vermutlich gerade guckt, wo ihr diese Zeilen lest. Und trotzdem hatten die meisten von ihnen Erfahrungen gemacht, die genauso abgefahren waren wie meine. Es war großartig, Freunde zu haben, die ganz ähnliche Dinge erlebt hatten, und wir redeten über diese Geschehnisse und darüber, woran wir glaubten. Wir glaubten an Geister: an die richtig echten, verdammte Scheiße noch mal total gruseligen Geister. Wir erforschten gemeinsam andere verlassene Häuser, erlebten dabei aber niemals etwas, das ähnlich extrem gewesen wäre wie unsere früheren Erfahrungen. Aber unser Glaube war stark – meiner ist es heute mehr denn je, denn über die Jahre habe ich Dinge gesehen und gehört, die nicht nur völlig verrückt waren, sondern auch völlig real. Ich habe ein paar Beweise gesammelt, aber bei den meisten Dingen handelt es sich um Augenzeugenberichte, und die will ich hier wiedergeben. Aber bevor wir weitermachen, bevor ich euch diese Geistergeschichten erzähle, lasst mich erst einmal erklären, weshalb ich dieses Buch überhaupt schreibe.

Ihr müsst wissen, ich bin ziemlich dafür berühmt, in manchen Kreisen auch berüchtigt, ein „gläubiger Atheist“ zu sein, was natürlich in gewisser Hinsicht einen Widerspruch in sich darstellt. Um es ganz deutlich zu sagen: Ich glaube nicht an Gott. Ehrlich, das habe ich wirklich nie getan. Schon früher nicht, als ich noch zu klein war, um mich gegen den sonntäglichen Kirchgang zu verwahren, und daran hat sich bis heute nichts geändert, da ich hier auf diesem Stuhl sitze und auf dieser Computertastatur tippe. Ich glaube nicht an Gott. Ich lehne Leute, die das tun, nicht ab, und ich betrachte sie auch nicht mit Geringschätzung, aber meine Reaktion auf Leute, die schreckliche Dinge ständig als „Gottes Werk“ deklarieren, ist recht bitter und bösartig, um es milde auszudrücken. Man könnte sagen, dass es nie lange dauert, bis ich mir ein Urteil über solche Typen bilde, die selbst schnell über andere urteilen.

Also stellt sich natürlich die Frage: Wie kann ich an Geister glauben … aber nicht an Gott? Wie kann ich über die Existenz von Jehova und seiner gruseligen, gefiederten Lakaien spotten und gleichzeitig ganz ernsthaft postulieren, dass wir von Geistern, Erscheinungen, Poltergeistern oder Wiedergängern umgeben sind? Wie kann ich ein ganzes Buch meinen Schilderungen der verschiedenen Ereignisse aus diesem Bereich widmen, wo ich doch genau weiß, dass man mich bestenfalls als Heuchler und schlimmstenfalls als Wirrkopf betrachten wird?

Wie ihr in diesem Buch feststellen werdet, besteht die Arbeitsthese in einer Gegenüberstellung aus Glauben und Wissen.

Ich glaube aus verschiedenen Gründen nicht an Gott. Erstens gibt es keine echten Beweise für seine Existenz, abgesehen von den üblichen Verdächtigen, auf die Priester und ähnliche Gestalten immer wieder gern verweisen, dieses ganze Zeug von wegen der Mensch und das Universum und so. Aber das halte ich für geistigen Dünnschiss. Die Wissenschaft hat uns so viel mehr Beweise geliefert als Gott, und obwohl er so gepriesen wird, hat er in meinen Augen nichts Überzeugendes vorzuweisen. Bloß, weil es das Universum gibt und die Menschen darin existieren – das ist kein Grund und kein Beweis für einen unsichtbaren alten Mann oben im Himmel. Da könnte ich mir schon eher vorstellen, dass wir vom Weihnachtsmann erschaffen wurden, da immerhin meine Geschenkwünsche mit einer gewissen Berechenbarkeit erfüllt werden. Gott hat mich niemals gerettet, und der Weihnachtsmann hat mir nie ein Harpunengewehr gebracht, also scheiß auf den ganzen Quatsch.

Zweitens tragen Gott und seine so genannten Leistungen zu viele menschliche Fingerabdrücke. Die Bücher Gottes wurden alle von Menschen geschrieben, Menschen haben seine Kriege ausgefochten und waren stets die ersten, die seine Wunder beschrieben, seit es zum ersten Mal hieß, Schnee entstünde durch seinen heiligen, eisigen Atem. Weswegen Menschen, die sonst unglaublich selbstverliebt sind, jemand anderen die Lorbeeren einheimsen lassen, dem sie gar nicht zukommen, ist mir zwar ein verdammt psychotisches Rätsel, aber trotzdem halten die Leute an dieser Doktrin fest, eben weil sie indoktriniert wurden. Man hat es ihnen eingehämmert, dass Gott existiert, obwohl die Menschen ihre Hämmer mit so viel Energie geschwungen haben, dass sie nicht einmal gemerkt haben, wie sehr sie sich gegenseitig attackierten.

Drittens ist Gott für mich so real wie jene Götter, die in Asgard oder in Walhalla hausen. Er könnte in Comic-Heften auftauchen, was vielleicht sogar eine gute Idee wäre, wenn man die jüngere Generation dazu bringen will, dass sie sich ernsthaft mit ihm beschäftigt. Letztlich ist Gott unfehlbar, weil die Menschen fehlbar sind, und weil viele Menschen jemanden brauchen, an den sie glauben können und der ihnen überlegen ist. Das ist ja ganz okay soweit … aber dann könnte man doch auch an die Zahnfee glauben. Die gibt einem wenigstens Geld für Körperteile, die man sonst sowieso weggeschmissen hätte. Gott bringt einen dazu, diese Vierteldollar in seinen Klingelbeutel zu stecken, obwohl die Kirche steuerbefreit ist. Aufgrund der Inflation bekommt mein Sohn inzwischen ganze Dollar für seine Beißerchen, und ganz genauso kriegen die Schwarzkittel auch mehr Zahngeld als früher. Ist irgendwie ziemlich krank, das Ganze, aber andererseits ist das ja nicht meine Kohle.

Ich bin entsetzt über den Hass, den Gottes Anhänger in die Welt ablassen wie Fabriken ihre umweltverschmutzenden Abwässer. Ich lache über die selbsternannten Propheten, die so sehr damit beschäftigt sind, ihre eigene Version von Gottes Geschichte zu propagieren, dass sie nicht einmal merken, dass ihre Prophezeiungen nicht zu den Berichten aller anderen passen und sein Wort daher völlig widersprüchlich hinausposaunt wird. Mir graut vor dem Gezänk der weltweit organisierten jüdisch-christlichen oder islamischen Gruppierungen, weil sie alle davon ausgehen, im Recht zu sein. Religion hat uns Menschen mehr zerstritten, als dass sie uns je zusammen gebracht hätte. Menschliche Gesellschaftsformen ächten normalerweise alles, was Streit und Gewalt begünstigt, aber diese ganzen frommen Ärsche haben wohl weltweit ihre Finger an den entscheidenden Schaltstellen.

Also, wie gesagt, ich bin nicht so der gottesfürchtige Typ. Und genau darin liegt das verdammte Problem: Wie kann ich ein Atheist sein, also jemand, der von dem ganzen Gedöns der Bibeltreuen nichts hält und der keine Verbindung zu irgendwelchen Religionen verspürt, aber gleichzeitig zutiefst überzeugt an die Existenz des Paranormalen glauben? Für mich hat das eine nicht unbedingt mit dem anderen zu tun, aber beides war schon miteinander verwoben, als wir noch auf den Bäumen hockten und mit viel Mühe versuchten, all das um uns herum zu begreifen, was wir nicht essen, ficken oder ausscheiden konnten. Zyniker werden wohl behaupten, meine „Augenzeugenberichte“ könnten leicht als „Einbildung“ bezeichnet werden, oder als „Winkelzüge einer hyperaktiven Phantasie“.

„Es ist schlicht unmöglich, dass so etwas geschehen sein kann.“ – „Ich glaube dir nicht – du bist ein Lügner und ein Scharlatan.“ (Na gut, bisher hat mich noch nie jemand einen „Scharlatan“ genannt, aber es wäre obergeil, wenn das mal jemand täte.) Oh, und dann gibt’s natürlich noch den Spruch, den ich noch mehr scheiße finde als alle anderen: „Du hast gesehen, was du sehen wolltest, und das ist alles.“

Eins will ich gleich mal klarstellen: Ich wollte diese Scheiße nicht sehen, und ich will diese Scheiße auch heute noch nicht sehen. Diese Geschichten treiben mich schon seit sehr langer Zeit um, und jeder, der sich mit schrecklichen Erinnerungen herumschlägt, der weiß, dass sie niemals verschwinden. Ich habe sie heute noch genauso klar vor Augen wie damals, als sie sich ereigneten. Von mir aus könnt ihr so skeptisch sein, wie ihr wollt. Ich glaube an Geister, weil ich welche gesehen habe, und ich glaube nicht an Gott, weil er mir schlicht und ergreifend bisher noch nicht begegnet ist. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Unerklärlichen und dem Unbegründeten. Und trotzdem gibt es überall auf unserem blaugrünen Planeten Denkmäler, Kirchen, Statuen, großartige Gemälde, Bücher und Fanfaren für Unseren Herrn im Himmel. Die Leute bejammern und preisen seinen Namen wie den einer scharfen Braut, die sie mal hatten, als sie Mitte zwanzig waren und sich alle Mühe gaben, ihr Leben zu verschwenden. Aber dieselben Organisationen machen sich über Menschen wie mich lustig, die selbst erlebt haben, wie sich vor ihren Augen eine paranormale Aktivität abspielte. Soll das ein Witz sein?

Mit diesem Buch will ich versuchen, damit zurechtzukommen. Ich werde euch wahre Geschichten erzählen, die mir passiert sind, und von denen gibt es einige, und ich werde euch mitnehmen auf meiner Suche nach Beweisen, auf meinen Ausflügen mit mehreren „Geisterjäger“-Gruppen, die ihr Bestes geben, um Informationen und Spuren zu sichern, die auf die Existenz von Geistern hindeuten. Ich werde euch die Geschichten anderer Leute erzählen, aber auch die Gegenseite zu Wort kommen lassen – jene, die nicht ans Unnatürliche glauben, und jene, die auf die Religion vertrauen. Und dann werde ich versuchen, nach Auswertung all dieser Fakten, zu einem sinnvollen Schluss zu kommen.

Außerdem werde ich Dinge testen, mit denen ich es bisher noch nie probiert habe, zum ersten und zum letzten Mal, falls ich dabei übel auf die Nase fallen sollte. Jedenfalls werde ich meine persönliche Variante von „Sesselfurzer-Wissenschaft“ zu Rate ziehen und sehen, ob ich eine wissenschaftliche Begründung für diese mysteriösen Phänomene finde, die wir Geister nennen. Ich habe ein paar ziemlich weit hergeholte Häppchen, die ein Stockwerk höher in der guten alten Oberstübchen-Bank von Quatsch & Blödsinn vor sich hin köcheln, aber je mehr ich versucht habe, bestimmte Bereiche und bestimmte Argumentationsweisen zu berücksichtigen, desto öfter habe ich festgestellt, dass ein paar dieser Mutmaßungen, wie ich sie anstelle, gar nicht so unplausibel sind, wie ich zuvor vermutet hatte. Vielmehr wurden meine ursprünglichen Hypothesen gestärkt, und vor allem löste sich dadurch meine innere Blockade, die nicht zugelassen hatte, die entsprechenden Worte überhaupt laut zu äußern. Von daher bin ich jetzt bereit, den entsprechenden Behörden gegenüber in dieser Sache auszusagen und nach bestem Wissen und Gewissen, wohlformuliert und überzeugend meine Schilderung und meine Beweise vorzutragen. Leider bedeutet das, dass bei mir die beinahe schon diabolische Verwendung der Wörter „Scheiße“, „verdammt“ oder auch „verfickt“ gelegentlich mal ausbleiben wird. Ich weiß, ihr alle erwartet natürlich, dass ich ordentlich damit um mich schmeiße, und dass auch immer mal wieder von Säcken und Schwänzen und Fürzen die Rede sein wird. Aber das muss warten. Ich verspreche, ich werde euch zu gegebener Zeit und bei gegebenem Anlass schon wieder mit einer ordentlich rüden Sprache erfreuen, aber es kann sein, dass es zwischendurch viele Seiten geben wird, die eher mit Theorien und Überlegungen gefüllt sein werden. Ihr habt mein vollstes Mitgefühl, und ich bitte euch inständig, schreibt dem Lektor dieses Buches deswegen unbedingt ein paar böse Briefe – die liebt er.

Verdammte Scheiße, jetzt wurde ich ja schon fast ein bisschen trübsinnig, was? Und das ist es natürlich gar nicht, was ihr von einem Corey-Taylor-Buch erwartet habt. Ich weiß schon, ihr freut euch auf ein paar schöne Storys übers Pissen und über die Narben, die man zum Beispiel von einem Deckenventilator kriegt. Aber ich wollte mit diesem Buch keine Fortsetzung meines Erstlingswerkes schreiben, sondern vielmehr eine Fortführung. Die Leute haben den völlig falschen Eindruck gewonnen, beim ersten Buch hätte es sich um meine Lebensgeschichte gehandelt. Das ist komplett falsch. Dieses Buch und auch das vorangegangene Werk sind keine Autobiografien, und zwar schlicht und ergreifend deswegen nicht, weil ich mit dem Leben noch nicht fertig bin. Hey, verdammt, während ich diese Gesülze hier zusammentippe, bin ich gerade erst 39 geworden – ich habe erst die Hälfte der Strecke hinter mir! Ich weiß noch nicht mal, wie man solche Bücher eigentlich genau bezeichnet, aber bloß, weil ich ein paar ausgesuchte und hässliche Geschichten aus der gar nicht so guten alten Zeit erzähle, sind das keine Lebensbeichten. Wenn überhaupt, dann sind es Essays mit autobiografischen Elementen. Aber das sieht schon wieder aus wie so eine Scheiß-Bezeichnung, die im Buchladen um die Ecke in irgendeinem Stück Holz über einem Regal eingraviert ist. Also würde ich vorschlagen, wir schieben das hier jetzt mal schön in ein „Sachbuch“-Regal, wobei ich ziemlich sicher bin, dass ein ganzer Haufen Buchhändler diese Pappe ruckzuck in der Musikabteilung versenken wird, zu meinem großen Ärger natürlich. Auf diesen Seiten geht es nämlich ziemlich wenig um Musik, und von daher hat man mich wohl wieder einmal missverstanden. Aber wie heißt es so schön, shit happens. Irgendwie kriege ich am Schluss jedes Mal die Rolle einer Marmorstatue, die von fiesen Tauben umringt wird, die sich gerade reichlich Beeren und Käfer reingezogen haben. Legt ruhig los, ihr Vögel: Wenn ihr auf mich scheißt, werde ich mehr Macht erlangen, als ihr euch überhaupt vorstellen könnt … wenn man Lucas und Guinness glauben will, heißt das.

Dieses Buch liegt eher auf der Linie von Das Imperium schlägt zurück als auf der Linie von Der Zorn des Khan. Star Trek 2 war eine ordentliche Fortsetzung, Episode 5 hingegen bietet das nächste Kapitel der Geschichte. Bevor ihr ganz und gar abdreht und arme Unschuldige anmacht, die nicht auf mich einwirken können: zwischen der Fortsetzung und dem nächsten Kapitel besteht ein Unterschied. Klärt das also mal lieber mit euren Anwälten. Oh, noch besser: Ich werde mal sehen, ob ich diese spezielle Debatte in meiner Comic-Con-Runde unterbringe, unter dem Titel: „Scheiß oder heiß: Eine sinnlose Diskussion über ein völlig unerhebliches Thema, das höchstens dreihundert Leute auf dem ganzen Planeten nachts um den Schlaf bringt.“ Die Besetzung wird allererste Sahne: der Typ, der Biggs gespielt hat, der Typ, der mit seinem Arm die Puppe bewegte, die mal Alf genannt wurde, einer von den Jonas Brothers (die würden dieses Werk sehr schätzen) und Jonathan Frakes, wenn der nicht gerade zu beschäftigt damit ist, herrlich grottige Filme für den Syfy Channel zu drehen. Ich bin das Arschloch in der Mitte, denn es gibt immer ein Arschloch in der Mitte. Könnt ihr gerne überprüfen: Guckt mal selber nach. Wie hat Gandhi noch so schön gesagt: „Zwischen der Spalte und dem Sack gibt es einen Freund, mit dem man sich das ganze Leben herumschlagen muss.“ Halt – war das Gandhi oder mein Onkel Bill?

Sieht so aus, als wäre ich gerade mal wieder ein bisschen abgeschweift. Das ist Lebenszeit, die ich nie zurückbekommen werde. Lasst uns mal lieber wieder zum Thema zurückkehren, bevor ich jetzt noch anfange, von Benedict Cumberbatch zu erzählen. Aber es stimmt natürlich: Der Typ ist wunderbar. Scheiße … tut mir leid … zurück zum Buch.

Es ist ein Thema, mit dem ich mich schon so lange herumgeschlagen habe, bis ich selbst schon anzweifelte, was ich gesehen habe. Aber jedes Mal, wenn ich diese Erinnerung abrufe, weiß ich, dass es passiert ist. Ich weiß es. Ich weiß das so sicher, wie ich davon überzeugt bin, dass das Licht angeht, wenn ich auf einen Schalter drücke, oder dass mein Auto beim Drehen des Zündschlüssels anspringt, sofern genug Benzin im Tank ist. Vielleicht ist das nicht dasselbe wie Glauben – Wissen hat immer den Vorteil, dass man schon mal dabei gewesen ist. Glauben ist mehr was für die armen Säcke auf der anderen Seite des Zauns, die mich so gern zu sich rüberholen würden, damit ich bei ihrem frommen Ringelpiez mitspiele. Aber auf gewisse Weise glaube ich auch. Ich glaube Menschen, die mir ihre Geschichten erzählen. Ich glaube einfach, wenn ich unerklärliche Tonbandstimmen höre oder ein Video sehe, auf dem sich so bizarre Dinge abspielen, dass ich es noch einmal gucken muss, und wenn mir dann immer noch nicht klar ist, was da läuft, dann brüte ich ziemlich lange darüber nach. Das mache ich, weil ich glaube. Aber ich habe auch einen Grund zu glauben. Ich war schon oft genug selbst in solchen Situationen. Ich habe keine Erfahrungen mit dem Herrn gemacht; ich habe keine Videos oder Tondokumente, die mir beweisen, dass es ihn gibt. Und fangt mir bloß nicht mit diesen Muffin-Typen an, die das Gesicht von Jesus Christus auf einer ausgerollten Tortilla oder einem gegrillten Käsesandwich sehen. Was ist das bloß, das den Allmächtigen immer mit irgendwelchem Getreidekram in Verbindung bringt? Offenbar kriegt Jehova vor allem bei komplexen Kohlehydraten einen Harten.

Also, wenn ihr so seid wie ich, zumindest ein bisschen so, dann blättert schön weiter, und wir gucken dann mal, was wir zusammen entdecken werden. Manchmal ist es ein Vorteil, wenn man das Drehbuch kennt, bevor man den Film guckt. Wir alle kämpfen mit dem Bekannten ebenso wie mit dem Unbekannten. Es dämpft unseren Enthusiasmus und sorgt dafür, dass wir nicht alle moralischen Grundsätze verlieren. Aber es sorgt auch dafür, dass wir ständig weiter suchen – und dabei darauf hoffen, einen Blick auf die andere Seite der metaphysischen Turnhalle zu erhaschen, wo die ganzen Irren herumspringen und sich mit riesigen roten Völkerbällen bewerfen. Irgendwann weiß man einfach, dass ein Punkt kommen wird, wo sie ihre Aufmerksamkeit auf unsere Seite richten – und dass dann die Hölle losbrechen wird. Allerdings werden wir nicht mal ansatzweise ahnen, aus welcher Richtung es über uns hereinbrechen wird, aber wir werden zumindest spüren: Irgendwas kommt auf uns zu. Zumindest so viel werden wir wissen, und mehr verlangen wir ja gar nicht. Wir wollen es nur wissen. Es gibt andere, unergründliche Mysterien jenseits unseres Verständnishorizonts, in den Niederungen des endlosen Weltraums, viele, viele Millionen und Milliarden Kilometer und Lebenszeiten von uns entfernt, für deren Erkundung die meisten von uns weder das Stehvermögen noch die Geduld aufbringen können. Scheiße, es gibt immer noch Gegenden auf diesem Planeten, die der Mensch noch nicht erforscht hat, und Gattungen, die wir noch nicht entdeckt haben, von den enorm schnellen Fortschritten, die sich regelmäßig im technischen Bereich vollziehen, gar nicht zu reden. Wenn mir also irgendwelche Skeptiker einreden wollen, es sei unmöglich, dass solche Dinge existieren, und das, was ich erzähle, könne demzufolge gar nicht wahr sein, dann ist das eine Bremsbarriere aus Wichssaft, nichts weiter.

Machen wir uns nichts vor: Seid ihr letztlich nicht froh darüber, dass es noch immer ein paar phantastische Dinge gibt, die sich noch nicht vollständig erklären lassen?

Überlasst die Mathematik den Raumfahrern. Überlasst die Theorien den Wünschespezialisten. Überlasst die Vorverurteilung den Heuchlern und Arschlöchern. Atmet noch einmal tief durch, genießt das Gefühl und stürzt euch kopfüber und ohne nachzudenken mitten in die Action. Zögert nicht. Zweifelt nicht einmal einen kurzen Augenblick lang. Folgt euren Instinkten und begebt euch an Orte, von denen ihr nicht geglaubt hättet, dass ihr sie je betreten würdet. Der dünne Stoff der Realität hält so viele verborgene Taschen bereit, dass man überall ein paar Münzen Wechselgeld darin finden kann – ihr müsst bloß ein bisschen tiefer graben, damit ihr nicht nur die Kaugummis und die längst abgehakten Fehler in die Finger bekommt. Aber wenn ihr der Sache Zeit gebt, dann können wir etwas Wunderbares entdecken, etwas, woran man glauben kann. Es ist viel besser, auf Entdeckungsfahrt zu gehen und befriedigt, wenn auch mit noch mehr offenen Fragen, zurückzukehren, als zu Hause zu hocken und nur abzulästern, weil man sich vor den Antworten fürchtet, die im Ungewissen liegen. Manchmal winkt noch reicherer Lohn, wenn man ein solches Projekt von Anfang an zu seinem eigenen gemacht hat. Klar, es ist immer schön, die Geschichten zu hören, die tapfere Entdecker von ihren Reisen mitbringen, aber was uns wirklich weiterbringt, das sind die Storys, die wir aus eigener Erfahrung miteinander teilen. Natürlich ist es immer dieser erste Schritt, der am meisten Angst macht. Keine Sorge – ich bin bei euch. Hier wird niemand über euch lachen, über euch urteilen oder euch verarschen. Das werde ich nicht zulassen. Genau das hier ist nämlich das Großartige an neuem Wissen.

Es mag fremdartig sein, und es mag euch eine verdammte Scheißangst einjagen, aber ihr werdet staunen.

IHR WERDET STAUNEN.

Jede Nacht habe ich denselben bizarren Traum.Ich bin ein einsamer Abenteurer, der unten an der Klippe eines Berges steht und zu einer Höhle hinaufsieht, die sich weit oben an diesem Steilhang auftut. Zunächst überprüfe ich meine Ausrüstung, zu der aus irgendeinem Grund Waffen gehören, wie zum Beispiel ein Harpunengewehr (mit einem daran befestigten Kabel), ein Seil, Greifhaken, ein Base-Jumping-Fallschirm und ein Rucksack, um den ganzen Kram zu transportieren. Dann klettere ich die Felswand empor, und mit einer Geschicklichkeit, wie ich sie vorher noch nie gezeigt habe, finde ich Stellen zum Festhalten, bis ich endlich den Eingang der Höhle erreicht habe. Flink ziehe ich eine Taschenlampe aus meinen Gürteltaschen und leuchte in die tiefe Schwärze, bevor ich mich hineinwage.

Ich streife durch die Höhlen, bis ich an eine Stelle komme, an der sich eine riesige, unterirdische Grotte vor mir auftut, größer als die Bahnhofshalle der Grand Central Station in New York. Offenbar suche ich nach etwas Bestimmtem; ich sehe mich gründlich um und entdecke in dieser großen Halle Bahngleise und Loren, mit denen kostbare Erze oder Kohle transportiert werden können. Während ich mich gerade frage, ob man überhaupt von „unterirdisch“ sprechen kann, wenn man sich hoch oben in einem Berg befindet, zerschmettern die ersten Schreie die Stille wie einen Glaskelch im eisigen Winter.