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Till Eulenspiegel war frech, schlau – und manchmal sogar ein bisschen gemein. Aber immer hatte er eine gute Idee im Kopf und ein schelmisches Grinsen im Gesicht. Ob er einem Papst einen Streich spielt, einem Schmied die Werkstatt durcheinanderbringt oder mit einem Apfel voller Fliegen einen frechen Holländer austrickst – bei Till Eulenspiegel ist kein Tag langweilig. In diesem farbig illustrierten Kinderbuch findest du fast 100 Streiche und Abenteuer des berühmtesten Narren Deutschlands – witzig, frech und liebevoll für Kinder ab 9 Jahren nacherzählt und illustriert. Dazu gibt es die Originaltexte und passende Bilder im Stil alter Holzschnitte – für kleine und große Leser, die mit Till lachen und staunen wollen. Ein Klassiker der deutschen Literatur – frisch erzählt für eine neue Generation!
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Seitenzahl: 436
Veröffentlichungsjahr: 2025
Gisela Pekrul
Eulenspiegels große Reise – 96 Streiche in Wort und Bild
Originaltexte & Nacherzählung, 194 Bilder
ISBN 978-3-68912-525-7 (E–Book)
Alle Bilder wurden mit der KI erstellt.
© 2025 EDITION digital®
Pekrul & Sohn GbR
Godern
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Pinnow
Tel.: 03860 505788
E–Mail: verlag@edition–digital.de
Internet: http://www.edition-digital.de
Seit über 500 Jahren lacht die Welt über die Streiche eines Mannes, der sich dumm stellte – und doch klüger war als alle um ihn herum: Till Eulenspiegel, auch Dil Ulenspiegel genannt. Die Geschichten über diesen schlauen Schelm aus dem 14. Jahrhundert zählen zu den bekanntesten Volksbüchern in deutscher Sprache. Bereits um 1510 erschien das erste Buch über seine Taten – und wurde ein riesiger Erfolg.
Eulenspiegel reiste durch Städte und Dörfer, von Braunschweig bis Rom, begegnete Bauern, Pfaffen, Wirten und Fürsten – und führte sie allesamt mit Witz, List und frechem Mut hinters Licht. Doch dabei hielt er der Welt auch den Spiegel vor: Wer nur auf seinen Vorteil bedacht ist, wer andere für dumm hält oder sich zu wichtig nimmt, dem spielt Eulenspiegel einen Streich.
Diese Ausgabe lädt Kinder von 9 bis 12 Jahren ein, 96 Eulenspiegel-Streiche in einer modernen Nacherzählung zu entdecken – leicht verständlich, spannend und mit einem Augenzwinkern erzählt. Am Ende stehen die Originaltexte aus dem 16. Jahrhundert – für alle, die auch einmal in die oft etwas derbe Sprache von damals eintauchen möchten.
Dazu gibt es 193 farbige Illustrationen, 96 im Stil alter Holzschnitte, die Till Eulenspiegels Welt lebendig machen.
„Eulenspiegels große Reise – 96 Streiche in Wort und Bild“ zeigt, dass guter Humor nie alt wird – und dass man auch mit einem Lachen etwas über das Leben lernen kann. Viel Freude beim Lesen, Staunen und Schmunzeln!
Und damit geht es nun los – mit der allerersten Geschichte: Wie Till Eulenspiegel auf die Welt kam und dreimal an einem Tag getauft wurde.
In einem kleinen Dorf namens Knetlingen, tief im Sachsenland, wurde einst ein ganz besonderes Kind geboren – sein Name war Till. Seine Eltern, Claus Eulenspiegel und Anna Wiveken, waren stolz auf ihren Jungen und wollten, dass er bald getauft würde, so wie es sich gehörte.
Also machten sie sich auf den Weg ins Nachbardorf Ampleben, wo die Kirche stand. Dort wurde Till feierlich mit kaltem Wasser übergossen, bekam den Namen „Till Eulenspiegel“ und der angesehene Herr Till von Utzen wurde sein Taufpate.
Nach der Taufe war es üblich, das Kind mit in die Schenke zu nehmen – denn man feierte diesen besonderen Tag gern mit einem großen Schluck Bier. Die Frauen tranken fröhlich, lachten laut – und bald hatte die Taufpatin, die das Kind trug, ein bisschen zu viel getrunken.
Auf dem Rückweg nach Knetlingen musste sie über einen schmalen Holzsteg, der über einen kleinen Fluss führte. Doch kaum hatte sie die Mitte erreicht, schwankte sie – und plumps! – sie fiel samt dem kleinen Till in die matschige Wasserlache darunter!
Die anderen Frauen schrien erschrocken auf, halfen ihr aus dem Wasser und zogen das triefnasse Kind aus den nassen Tüchern. Till hatte zwar tüchtig Wasser geschluckt, aber lebte – und weinte laut vor Schreck.
„So geht das nicht!“, rief eine der Frauen. „Der arme Junge muss doch ordentlich sauber sein!“
Also brachten sie ihn nach Hause, kochten Wasser in einem großen Kessel und badeten ihn gründlich. Warmes Wasser, Seife und viel Geschrubbe – so wurde Till zum dritten Mal an diesem Tag „getauft“.
Und so geschah es, dass Till Eulenspiegel an nur einem Tag gleich dreimal getauft wurde: Einmal in der Kirche, einmal im Fluss – und einmal im Kessel mit warmem Wasser!
„Das kann ja heiter werden mit dem Jungen!“, sagten die Nachbarn später lachend. Und sie sollten Recht behalten.
Denn Till wurde nicht nur durch Wasser, sondern auch durch Schalk und Schelmerei getauft – und wurde mit der Zeit der berühmteste Spaßmacher, den es je gegeben hat.
Schon als kleiner Junge war Till Eulenspiegel etwas ganz Besonderes. Er sprang herum wie ein junger Affe, kletterte auf Kissen und rollte durchs Gras. Er lachte, neckte die Kinder und spielte ihnen kleine Streiche. Die Leute im Dorf sagten bald: „Der Junge ist ein echter Schalk – immer hat er Unsinn im Kopf!“
Sein Vater Claus bekam das mit. Und eines Tages sprach er Till ernst an: „Till, was höre ich da? Alle Nachbarn behaupten, du seist ein Schalk. Stimmt das etwa?“
Till grinste. „Ach was, lieber Vater. Ich tu doch niemandem etwas! Ich kann dir sogar beweisen, dass die Leute einfach nur reden.“
„Na, dann zeig mir das mal“, sagte der Vater skeptisch.
„Setz dich aufs Pferd, ich setz mich hinter dich – und wir reiten still und brav durch die Gassen. Ich sag kein Wort und rühr mich nicht. Und du wirst sehen, die Leute schimpfen trotzdem!“
Der Vater stieg aufs Pferd, Till kletterte hinter ihn – und sie ritten los.
Doch kaum waren sie durch die erste Gasse, hob Till heimlich seinen Hintern in die Luft, zog die Hosen ein kleines Stück herunter – und zeigte den verdutzten Dorfbewohnern seinen nackten Po!
Natürlich lachten die Leute nicht. Sie riefen empört: „Pfui! Was für ein frecher Bengel! Seht nur, der kleine Schalk!“
Till setzte sich schnell wieder hin und flüsterte seinem Vater ins Ohr: „Siehst du? Ich hab gar nichts gesagt – und trotzdem schimpfen sie.“
Der Vater seufzte, hielt an und setzte Till vor sich auf den Sattel. „Na gut“, sagte er. „Jetzt sitzt du vorne und bleibst ganz still – mal sehen, was dann passiert.“
Und tatsächlich: Till saß ruhig da. Doch dann grinste er breit, sperrte seinen Mund auf und streckte den Leuten die Zunge raus. Die Bauern und Bäuerinnen riefen sofort: „Da ist er wieder, der kleine Schalk! Schaut ihn euch an!“
Der Vater schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Junge, du bist wirklich in einer merkwürdigen Stunde geboren. Selbst wenn du nur dasitzt und ganz still bist – die Leute nennen dich trotzdem einen Schalk!“
Till aber grinste nur frech – wie immer.
Als Till Eulenspiegel noch ein Junge war, zog sein Vater mit ihm fort aus dem Dorf Knetlingen. Sie reisten weit ins Magdeburger Land, in die Nähe der Saale – das war der Fluss, an dem Tills Mutter früher gelebt hatte. Doch schon bald starb Tills Vater. Seine Mutter und er blieben allein zurück – und das Geld wurde knapp.
Till war inzwischen sechzehn Jahre alt, aber er wollte einfach kein Handwerk lernen. Stattdessen sprang er herum, trieb Schabernack und übte sich in allerlei Kunststücken. Besonders gefiel ihm das Seiltanzen – aber heimlich, denn seine Mutter hielt davon gar nichts.
In dem kleinen Haus, in dem sie wohnten, ging der Hinterhof direkt zur Saale hinunter. Dort, auf dem Dachboden, spannte Till ein Seil und balancierte heimlich darauf herum. Doch eines Tages erwischte ihn seine Mutter. Zornig griff sie sich einen dicken Stock und schimpfte: „Komm sofort da runter, oder ich schlage dich vom Seil!“ Till erschrak, sprang schnell zum Fenster hinaus und kletterte aufs Dach, wo sie ihn nicht erreichen konnte.
Als er etwas älter wurde, hörte er mit dem Versteckspielen auf. Jetzt spannte er sein Seil richtig über den Fluss – von ihrem Hinterhof bis zu einem Haus auf der anderen Seite der Saale! Bald hatte sich das herumgesprochen: „Der Eulenspiegel will übers Wasser tanzen!“ Viele Menschen kamen, um das Spektakel zu sehen. Große und kleine Leute standen am Ufer, staunten und riefen: „Schaut nur! Da balanciert er wirklich übers Wasser!“
Gerade, als Till mitten auf dem Seil war und seine besten Kunststücke zeigte, wurde auch seine Mutter auf den Trubel aufmerksam. Heimlich schlich sie auf den Dachboden, dort, wo das Seil festgebunden war – und schnitt es kurzerhand durch!
Till verlor das Gleichgewicht und – platsch! – fiel mitten in die Saale. Die Zuschauer am Ufer brachen in Gelächter aus. Die Kinder riefen: „Na, Till! Hast du dein Bad endlich bekommen?“ Till aber war weniger nass als wütend. Er achtete kaum auf das kalte Wasser – vielmehr auf den Spott der Kinder. Und er schwor sich, dass er sich dafür noch etwas ganz Besonderes ausdenken würde …
Till Eulenspiegel war immer noch wütend. Neulich war er bei seinem Seiltanz in die Saale gefallen – seine Mutter hatte ihm nämlich heimlich das Seil durchgeschnitten! Und dann hatten auch noch alle Kinder am Ufer gelacht. „Diesen Spott muss ich ihnen heimzahlen“, dachte Till.
Also spannte er ein neues Seil über den Fluss – wieder quer über die Saale, aber diesmal von einem anderen Haus aus. Er kündigte an, dass er noch einmal auf dem Seil tanzen wolle. Schnell sprach sich das herum, und wie beim letzten Mal kamen viele Leute, um zuzuschauen – Kinder, Erwachsene, sogar ein paar alte Großväter mit Spazierstock.
Als Till oben stand, rief er den Jungen zu: „Wenn ihr mir alle euren linken Schuh gebt, zeig ich euch einen tollen Trick auf dem Seil – sowas habt ihr noch nie gesehen!“
Die Jungen waren neugierig und aufgeregt. „Einen Trick mit Schuhen? Klingt spannend!“ Einer nach dem anderen zog seinen linken Schuh aus und reichte ihn Till. Bald hatte er fast zwei Schock – das sind 120 – linke Schuhe eingesammelt! Er band alle Schuhe an eine lange Schnur, hängte sie sich über die Schulter und stieg hoch aufs Seil.
Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Was würde er jetzt machen? Jonglieren? Die Schuhe balancieren?
Doch Till setzte sich einfach gemütlich mitten aufs Seil, baumelte mit den Beinen – und rief laut: „So! Jetzt sucht euch eure Schuhe selbst zusammen – so wie ich gestern mein Bad nehmen musste!“
Mit einem schnellen Schnitt durchtrennte er die Schnur, und die Schuhe fielen in einem riesigen Durcheinander auf den Boden. Linke Schuhe flogen kreuz und quer – über die Straße, in Matschpfützen, ins Gras, ja sogar auf einen Gemüsekarren.
Was dann passierte, war ein heilloses Durcheinander: Alle Jungen rannten los, jeder wollte seinen Schuh zuerst finden.
„Das ist meiner!“
„Nein, Quatsch, der gehört mir!“
„Aber der hat doch einen Riss im Leder!“
„Gib sofort her!“
Schon begannen die ersten zu raufen. Einer schubste den anderen, ein dritter fiel in einen Korb mit Kohlrüben, und bald mischten sich auch die Erwachsenen ein. Einige lachten, andere schimpften, manche verteilten Ohrfeigen.
Till aber saß noch immer lachend auf dem Seil und rief: „Jetzt sucht mal schön weiter – so wie ich gestern meine Ehre aus dem Wasser fischen musste!“
Dann verschwand er still und heimlich.
Die nächsten vier Wochen traute sich Till nicht mehr aus dem Haus. Die Jungen suchten ihn, die Alten fluchten, aber Till hockte brav daheim bei seiner Mutter – und tat so, als hätte er endlich sein Leben geändert. Er flickte alte Schuhe aus Helmstedt, ganz still und fleißig.
Seine Mutter war überglücklich. „Siehst du, Till“, sagte sie zufrieden, „du wirst doch noch ein rechter Kerl!“
Aber Till grinste nur still in sich hinein. Denn er wusste: Das nächste Abenteuer würde nicht lange auf sich warten lassen.
Till Eulenspiegels Mutter war froh: Endlich war ihr Sohn einmal still. Kein Unsinn, keine Seiltänzerei, kein Ärger mit den Nachbarn. Sie dachte: Jetzt ist der richtige Moment!
„Till“, sagte sie, „du musst endlich ein Handwerk lernen. Du kannst nicht ewig rumhängen!“
Till schwieg. Aber seine Mutter ließ nicht locker. „Was willst du denn später mal machen? Man muss doch etwas lernen, wovon man leben kann!“
Da antwortete Till: „Liebe Mutter, weißt du – das, was man sich einmal vornimmt, das bleibt einem das ganze Leben lang. Man muss gut überlegen, bevor man sich für etwas entscheidet.“
Seine Mutter seufzte. „Schön und gut, Till. Aber ich hatte seit vier Wochen kein einziges Brot mehr im Haus!“
Till kratzte sich am Kopf. „Darum geht’s gerade nicht, Mama. Ein armer Mensch, der nichts zu essen hat, der fastet eben – so wie der heilige Nikolaus. Und wenn er wieder etwas zu essen hat, dann isst er dafür umso besser – wie mit dem heiligen Martin.“
Er grinste. „Also machen wir es genauso. Jetzt fasten wir halt – und irgendwann schmausen wir wieder. Ein bisschen Geduld, Mama!“
Seine Mutter schüttelte nur den Kopf. Mit dem Jungen würde es niemals langweilig werden.
Till Eulenspiegels Mutter hatte schon seit Wochen nichts Richtiges mehr zu essen. Und obwohl Till oft herumalberte, tat es ihm leid um seine Mutter.
„Lieber Gott, wie soll ich ihr bloß helfen?“, dachte er. „Ich muss irgendwie an Brot kommen.“
Er ging in die Stadt Staßfurt und entdeckte dort eine große Bäckerei. Drinnen roch es herrlich nach frischem Roggen- und Weißbrot.
Da hatte Till eine Idee.
Er betrat den Laden und sagte selbstbewusst zum Bäcker: „Mein Herr will für zehn Schilling Brot kaufen – Roggen- und Weißbrot gemischt. Er ist gerade in einer Herberge hier in der Stadt. Ich soll es abholen, und ihr bekommt dort euer Geld. Schickt einfach einen Jungen mit mir, der es einfordert.“
Der Bäcker glaubte ihm – und Till bekam einen Sack voller Brot. Der Sack hatte allerdings ein kleines, heimlich geschnittenes Loch.
Der Bäcker schickte seinen Lehrling mit Till los, damit der das Geld beim angeblichen Herrn holen sollte.
Nach ein paar Minuten ließ Till „aus Versehen“ ein Weißbrot durch das Loch im Sack fallen – mitten in den Dreck. Er stellte den Sack ab und sagte zum Jungen: „Oh nein! Das darf ich meinem Herrn so nicht bringen. Lauf bitte schnell zurück zum Bäcker und hol ein neues Brot. Ich warte hier auf dich.“
Der Junge rannte los – und Till rannte auch. Aber in eine andere Richtung. Er brachte den Brotsack zu einem Kutscher aus seinem Heimatdorf, der gerade mit seinem Wagen in der Vorstadt stand. Der Kutscher nahm ihn mit, und so kam Till samt dem Brot unbemerkt nach Hause.
Dort rief er stolz: „Schau, Mutter! Hier ist Brot. Iss, solange wir was haben – und wenn wir wieder arm sind, dann fasten wir eben wieder mit dem heiligen Nikolaus!“
Die Mutter wusste nicht, wie Till zu dem Brot kam. Aber sie war froh, dass es endlich etwas zu essen gab.
In Staßfurt hingegen war der Bäcker stinksauer – und der Junge bekam bestimmt einen Rüffel.
In dem Dorf, in dem Till Eulenspiegel mit seiner Mutter lebte, gab es einen alten Brauch: Wenn jemand ein Schwein schlachtete, durften alle Nachbarskinder kommen und sich den Bauch mit einer leckeren Suppe oder einem dicken Grießbrei vollschlagen. Dieses Festessen nannte man Weckbrot, und jedes Kind freute sich darauf.
Auch Till, der für seine frechen Streiche bekannt war, ließ sich das nie entgehen.
Eines Tages aber lud ein besonders geiziger Gutspächter zum Weckbrot ein. Er hatte zwar auch ein Schwein geschlachtet, aber wollte den Kindern am liebsten gar nichts abgeben. Da dachte er sich eine gemeine List aus.
Er nahm eine riesige Schüssel, füllte sie mit harten, zähen Brotrinden – so trocken und fest, dass man daran ewig zu kauen hatte – und goss ein wenig Suppe darüber, gerade genug, dass es nach etwas roch. Als die Kinder zur Tür hereinkamen, lächelte er scheinheilig, ließ sie hinein, verschloss die Tür – und stellte die Schüssel mitten auf den Tisch.
„Esst euch satt!“, sagte er. Doch das war gar nicht so einfach.
Die Brotrinden waren kaum zu beißen, und es war viel zu viel. Als das erste Kind aufgab und zur Tür wollte, stand der Pächter plötzlich mit einer langen Rute da.
„Was ist? Noch nicht satt? Dann iss weiter!“, rief er und versetzte dem Kind einen Hieb auf den Hintern.
Alle Kinder bekamen einen Schlag, wenn sie zu früh aufstehen wollten. Und Till? Der bekam sogar noch zwei, weil der Pächter wusste, dass Till ein rechter Schelm war.
So mussten sie essen und essen und essen – bis ihnen fast schlecht wurde. Am Ende war die Schüssel leer, aber die Kinder fühlten sich, als hätten sie Steine verschluckt.
Seit diesem Tag wollte kein Kind mehr zum Weckbrot in das Haus des geizigen Mannes kommen – nicht einmal Till Eulenspiegel.
Am Tag nach dem großen Weckbrot-Fest traf Till Eulenspiegel auf der Dorfstraße den geizigen Bauern, der das gemeine Spiel mit der Brotschüssel gemacht hatte. Der Bauer grinste breit und fragte scheinheilig: „Na, lieber Eulenspiegel, wann kommst du wieder zu mir zum Weckbrot essen?“
Till verschränkte die Arme und sagte spitz: „Wenn sich deine Hühner um den Köder reißen – je vier um einen Bissen Brot!“
Der Bauer lachte laut. „Also nie!“, rief er. „Dann werd ich dich wohl so bald nicht wiedersehen.“
Aber Till schmunzelte nur. „Wer weiß“, meinte er. „Vielleicht komme ich ja früher zurück, als du denkst.“ Und damit ging er weiter, ohne eine weitere Erklärung.
Ein paar Tage später war der richtige Zeitpunkt gekommen. Der Bauer war nicht zu Hause, und seine Hühner pickten wie jeden Mittag gackernd in der Gasse nach Körnern.
Till hatte inzwischen eine verrückte Idee vorbereitet: Er hatte viele, viele Fäden genommen, immer zwei miteinander verknotet, sodass sie in der Mitte zusammenhingen. An jedes Ende band er ein Stück Brot. Dann legte er diese „Zweier-Brotfallen“ auf den Weg, so dass man nur die Brotbissen sah, nicht aber die Fäden.
Kaum hatten die Hühner die Brotstücke entdeckt, stürzten sie sich gierig darauf. Ein Huhn schnappte sich einen Bissen – und ein anderes Huhn auf der gegenüberliegenden Seite genau denselben, denn beide Enden hingen am gleichen Faden!
Nun zogen beide und wollten das Brot runterschlucken, aber das ging nicht – denn das andere Huhn zog genau in die entgegengesetzte Richtung. Bald hatten sich Dutzende Hühner so ineinander verheddert: Eines zerrte nach links, das nächste nach rechts, wieder eines stolperte rückwärts und plusterte sich auf, weil es nicht begriff, warum das Brot nicht in den Hals rutschen wollte.
Ein Riesendurcheinander! Die Hühner gackerten, flatterten, stolperten und zogen – und Till stand am Zaun, hielt sich den Bauch vor Lachen und sagte: „So, nun reißen sich deine Hühner wirklich um den Köder – und zwar zu viert um einen einzigen Bissen!“
Als der Bauer später nach Hause kam und das Hühnerchaos sah, wusste er sofort, wer dahintersteckte. Aber Till Eulenspiegel war längst verschwunden – mit einem weiteren Streich mehr auf dem Kerbholz.
Eines Tages ging Till Eulenspiegel mit seiner Mutter in ein Dorf zur Kirchweih. Das war ein großes Fest mit Musik, Essen, Trinken und vielen Leuten. Till hatte so viel getrunken, dass ihm der Kopf schwirrte und er ziemlich betrunken war.
„Ich muss mich irgendwo hinlegen, wo mich keiner stört“, murmelte er.
Hinter einem Hof entdeckte er einen Platz mit vielen Bienenstöcken – das sind große, runde Körbe, in denen Bienen wohnen. Manche waren leer. Till kroch in einen dieser leeren Bienenkörbe, rollte sich zusammen und schlief ein – und das so fest, dass er nicht einmal merkte, wie die Zeit verging. Es wurde Mitternacht.
Seine Mutter suchte ihn überall und dachte schließlich, er sei heimgegangen.
Doch dann kamen zwei Diebe. Die wollten in der Nacht einen vollen Bienenkorb stehlen – denn Honig war wertvoll. Der eine sagte: „Der schwerste Korb ist sicher der beste. Den nehmen wir.“
Sie hoben einen Korb nach dem anderen hoch, bis sie an den kamen, in dem Till lag. Der war natürlich am schwersten!
„Ha, den nehmen wir!“, freuten sie sich – und gingen mit dem Korb los. Dabei erwachte Till – und verstand sofort, was los war.
„Na wartet, euch werd ich’s zeigen!“, dachte er und griff durch das Geflecht nach draußen. Er packte den vorderen Dieb an den Haaren und zog kräftig.
„Aua! Was soll das?!“, rief der und drehte sich wütend um.
„Warum ziehst du mich an den Haaren?!“
„Ich? Spinnst du? Ich trag doch den Korb!“, brummte der Hintere.
Till kicherte leise im Inneren des Korbes. Nach einer Weile zog er auch dem Hintermann kräftig an den Haaren.
„He! Jetzt reicht's aber! Ich hab dich doch gar nicht angefasst!“
„Lüg doch nicht!“, brüllte der andere.
Sie schimpften und stritten, während sie den schweren Korb weitertrugen.
Till wartete, bis sie richtig zornig waren – und dann ruckte er nochmal kräftig am Haar des vorderen Diebes. Der stolperte, ließ den Korb fallen, drehte sich um und schlug im Dunkeln blind auf den anderen ein.
Der zweite ließ den Korb ebenfalls fallen und brüllte: „Du spinnst ja!“
Und schon prügelten sich die beiden im Dunkeln, bis sie sich aus den Augen verloren und schließlich in der Nacht verschwanden – ohne den Bienenkorb.
Till grinste. „Na, das hat sich gelohnt!“
Er wartete im Korb, bis es draußen wieder hell wurde. Dann kletterte er heraus, streckte sich, sah sich um – und stellte fest, dass er gar nicht wusste, wo er war.
Also lief er einfach drauflos und kam schließlich in ein neues Dorf, wo er sich für ein paar Tage verdingte. Und wieder hatte Eulenspiegel ein kleines Abenteuer mehr erlebt – auf seine ganz eigene, schlaue Art.
Eines Tages kam Till Eulenspiegel auf eine große Burg und bot dem Burgherrn seine Hilfe an. „Ich kann gut reiten, fegen, servieren – und ich bin klug!“, sagte Till. Der Burgherr, ein Junker, nahm ihn als Hofjungen auf und sagte: „Dann reitest du mit mir über Land!“
Gleich am nächsten Tag ritten sie gemeinsam hinaus. Am Wegrand wuchs eine hohe Pflanze mit langen Blättern. Der Junker zeigte hin und sagte: „Siehst du das Kraut da? Das heißt Henep – bei uns auch Hanf genannt. Wenn du so ein Kraut siehst, sollst du jedes Mal ordentlich hineinsch…, äh, hineinhaufen!“
Till schaute ihn überrascht an. „Hineinhaufen? Warum das denn?“
Der Junker grinste. „Weil man aus dem Kraut Seile macht – und mit denen hängt man Diebe und Gauner auf!“
Till nickte eifrig. „Jawohl, Herr Junker! Das merke ich mir.“
Ein paar Tage später waren sie wieder auf der Burg. Als Mittagszeit war, schickte der Koch Till in den Keller. „Hol mir bitte den Topf mit Senep!“, sagte der Koch – so nannte man den Senf in Sachsen. „Der steht im großen braunen Krug auf dem Boden.“
Till rannte los. Als er den Krug öffnete, roch es seltsam würzig – und er wurde misstrauisch.
„Senep? Das klingt ja fast wie Henep!“, murmelte Till. „Ob das dieses böse Kraut ist, vor dem der Junker gewarnt hat? Vielleicht will der Koch mir eine Falle stellen und mich mit dem Zeug fesseln!“
Da erinnerte sich Till an den Befehl seines Junkers: Wenn du das Kraut siehst, dann mach dein Geschäft hinein!
„Na gut“, sagte Till. „Wenn das Senep ist, dann ist’s wohl wie Henep. Besser ich halte mich an den Befehl.“
Und so hockte sich Till über den Topf – und machte, was er meinte, tun zu müssen.
Dann rührte er alles schön um, stellte den Deckel wieder drauf und brachte den Krug dem Koch.
Der Koch nahm den Senf, ohne ihn zu kosten, und stellte ihn den feinen Gästen zum Mittagessen auf den Tisch. Der Junker, seine Freunde und sogar ein Graf wollten gerade Fleisch hineintunken – da verzogen sich plötzlich alle Gesichter.
„Pfui Teufel! Was ist denn DAS für ein widerlicher Geschmack?!“
Der Koch wurde herbeigerufen und musste probieren. Er spuckte sofort wieder aus. „Das schmeckt ja, als hätte da jemand reingesch…“
Da fing Till an zu lachen. Erst leise. Dann lauter. Dann kugelte er sich vor Lachen.
„Was kicherst du da, du Schelm?“, rief der Junker. „Warst du das etwa?“
Till wischte sich die Tränen aus den Augen. „Aber Herr! Ihr habt doch gesagt: Wenn ich Henep sehe, soll ich hineinhäufeln! Und das klang doch ganz wie Senep! Ich wollte doch nur gehorchen!“
Da wurde der Junker rot vor Wut. „Du Lümmel! Henep ist Hanf – das ist eine Pflanze! Und Senep ist Senf – den isst man!“
Er griff sich einen Stock, doch Till war schneller. Schon sauste er zur Tür hinaus, sprang über den Burggraben – und ward nie wieder auf dieser Burg gesehen.
Und der Senf? Den mochte dort lange niemand mehr essen.
In der Stadt Hildesheim wohnte ein reicher Kaufmann mit seiner Frau. Die beiden stritten sich oft – besonders, wenn es ums Kochen ging. Eines Tages spazierte der Kaufmann durch die Felder vor der Stadt. Dort sah er einen jungen Mann auf der Wiese liegen: Till Eulenspiegel!
„He, was bist du für einer?“, fragte der Kaufmann neugierig.
„Ich bin ein Koch – aber gerade ohne Arbeit“, antwortete Till mit einem schlauen Grinsen.
„Dann komm mit zu mir! Meine Frau schimpft immer, weil sie selbst kochen muss. Wenn du wirklich was kannst, bist du mir willkommen! Du bekommst sogar neue Kleider und einen guten Lohn.“
Till verbeugte sich tief. „Ich werde mein Bestes geben, Herr.“
„Wie heißt du eigentlich?“
„Bartholomäus“, sagte Till.
„Viel zu lang! Ich nenne dich einfach Doll“, entschied der Kaufmann.
Schon am nächsten Tag ging es los: Der Kaufmann wollte Hühner füllen und hatte Gäste eingeladen. Zusammen mit Till holte er frische Kräuter aus dem Garten und kaufte Fleisch und einen feinen Braten.
„Pass auf, Doll“, sagte der Kaufmann. „Der Braten soll langsam und kühl garen, damit er nicht anbrennt.“
Am nächsten Morgen stand Till früh auf, kochte das Fleisch und suchte einen besonders kühlen Ort für den Braten. Und wo war es am kühlsten? Im Keller – zwischen zwei Fässern Einbecker Bier! Also steckte er den Braten auf einen Spieß und legte ihn dort ab – ganz so, wie er es verstanden hatte.
Als die Gäste eintrafen, fragte der Kaufmann stolz: „Doll, ist alles bereit?“
„Ja, Herr – alles bis auf den Braten.“
„Wo ist der denn?!“
„Im Keller. Zwischen den Bierfässern. Da liegt er kühl – wie Ihr gesagt habt.“
Die Gäste brachen in schallendes Gelächter aus. Nur die Frau des Kaufmanns war nicht begeistert. „Dieser Bursche ist ein Narr! Der muss weg!“
„Bald, bald“, beschwichtigte der Kaufmann. „Er soll mich noch auf einer Reise begleiten – dann entlasse ich ihn.“
Am Abend sollte es losgehen. „Doll, schmier den Wagen gut“, sagte der Kaufmann. „Hier ist ein Schilling – hol Wagenschmiere und sag meiner Frau, sie soll altes Fett dazutun.“
Till holte die Schmiere – und schmierte! Aber nicht nur die Räder, sondern auch den ganzen Wagen – besonders dort, wo man sitzt.
Am nächsten Morgen fuhren der Kaufmann und ein Pfarrer los. Schon nach wenigen Metern rief der Pfarrer: „Pfui! Alles ist glitschig! Meine Hände, meine Hose – alles voller Fett!“
Wütend kauften sie Stroh, wischten den Wagen aus und fuhren weiter.
„Du Lump! Fahr zum Galgen mit dir!“, schimpfte der Kaufmann.
Also fuhr Till zum Galgen. Er hielt an, spannte die Pferde aus und sagte: „So. Da wären wir.“
„Was machst du?!“, rief der Kaufmann entsetzt.
„Ihr habt doch gesagt, ich soll zum Galgen fahren.“
Die Gäste schüttelten den Kopf. „Fahr weiter, Till – und dreh dich nicht mehr um!“
Till spannte die Pferde wieder ein – aber zog dabei heimlich einen Nagel aus dem Wagen. Nach ein paar Metern krachte es: Der Wagen zerbrach in zwei Teile! Das Verdeck blieb stehen, und Till fuhr mit den Pferden davon!
Der Kaufmann und der Pfarrer rannten schimpfend hinterher – bis sie ihn endlich einholten. Sie wollten ihn packen und prügeln – doch Till war schon über alle Berge.
Nachdem der Kaufmann, der Pfarrer und Till Eulenspiegel ihre holprige Reise hinter sich hatten, kamen sie endlich wieder in Hildesheim an. Die Frau des Kaufmanns stand schon an der Tür.
„Na, wie war die Fahrt?“
Der Kaufmann seufzte. „Seltsam genug, aber wir sind noch am Leben.“
Dann wandte er sich zu Till: „Hör zu, du Spaßvogel. Heute Abend darfst du noch essen und trinken, aber morgen – morgen räumst du mir das Haus! Ich will dich nicht länger hier haben. Du bist ein unverschämter Schalk!“
Till nickte. „Ich habe doch nur getan, was Ihr mir befohlen habt! Aber gut – wenn Ihr wollt, dass ich morgen das Haus räume, dann mache ich das.“
Am nächsten Morgen stand der Kaufmann früh auf und sagte noch einmal: „Iss dich satt, dann verschwinde – und lass dich nie wieder blicken! Ich gehe jetzt in die Kirche.“
Kaum war der Kaufmann weg, da begann Till mit seiner Arbeit.
Er räumte das Haus – und zwar richtig! Stühle, Tische, Bänke, Töpfe, Schüsseln, Kerzenständer, Kannen, sogar das Wachs aus dem Leuchter: Alles schleppte er vor die Haustür und stapelte es auf der Gasse.
Die Nachbarn kamen neugierig näher. „Was macht der Eulenspiegel denn da? Zieht der Kaufmann um? Wird das Haus verkauft?“
Ein paar Kinder kicherten. „Guck mal, er trägt sogar die Bettpfanne raus!“
Die Nachricht verbreitete sich schnell – und bald erfuhr es auch der Kaufmann. Er rannte nach Hause, entsetzt über das, was er da sah.
„Till! Was in aller Welt machst du da?! Ich habe gesagt, du sollst gehen – nicht das ganze Haus leer räumen!“
Till stellte gerade eine Blumenvase ab und sagte freundlich: „Aber Herr, Ihr habt doch befohlen, ich solle das Haus räumen – und dann gehen. Ich dachte, das meint Ihr wörtlich. Die Tonne da hinten ist mir allerdings zu schwer – helft Ihr mir tragen?“
„Lass das stehen, du Wahnsinniger! Das hat ein Vermögen gekostet!“, brüllte der Kaufmann.
Till zuckte mit den Schultern. „Ach, wie man’s macht, macht man’s falsch. Ich tue immer, was man mir sagt – und trotzdem ist keiner zufrieden. Ich glaube, ich bin wirklich in einer Pechstunde geboren worden.“
Mit einem letzten Grinsen drehte er sich um, schulterte seinen Wanderstab – und war verschwunden.
Und der arme Kaufmann musste alles allein wieder ins Haus schleppen. Die Nachbarn lachten noch tagelang über die Geschichte. Manche sagen, sie erzählen sie sich noch heute.
Till Eulenspiegel war mal wieder auf Wanderschaft. In einem kleinen Dorf namens Budenstetten, irgendwo im Land zwischen Braunschweig und Magdeburg, klopfte er beim Pfarrer an. Der suchte gerade einen neuen Knecht.
„Wenn du bei mir arbeitest“, sagte der Pfarrer freundlich, „bekommst du gutes Essen, ein warmes Bett, und musst nur die halbe Arbeit tun – so wie ich und meine Haushälterin.“
Till grinste. „Das klingt ja traumhaft!“ Und weil er hungrig war, willigte er sofort ein.
Die Haushälterin, eine Frau mit nur einem Auge, machte gleich zwei Hühner zurecht und steckte sie an einen Spieß über dem Feuer. „Till, du passt auf die Hühner auf, dreh sie schön regelmäßig“, sagte sie streng.
Till setzte sich ans Feuer und drehte den Spieß. Doch je stärker der Duft in seine Nase stieg, desto mehr knurrte ihm der Magen.
„Der Pfarrer hat gesagt, ich soll so gut essen wie er und seine Magd. Aber wenn beide die Hühner essen und ich keins bekomme, wäre das ja gelogen!“ Also nahm Till eines der beiden Hühner vom Spieß – und aß es auf.
Kurz danach kam die Haushälterin zurück. Als sie nur noch ein Huhn sah, fauchte sie: „Es waren doch zwei Hühner! Wo ist das andere hin?“
Till blieb ganz ruhig. „Macht doch einfach euer anderes Auge auf, dann seht ihr beide Hühner!“
Die Frau schnaubte vor Wut. „Ich habe nur ein Auge!“, rief sie, rannte zum Pfarrer und beschwerte sich.
Der Pfarrer kam ebenfalls in die Küche. „Till, was hast du mit dem zweiten Huhn gemacht?“
„Ich hab's gegessen“, gab Till zu. „Ihr habt doch gesagt, ich soll so gut essen wie ihr beide. Damit ihr nicht als Lügner dasteht, hab ich meinen Teil genommen.“
Der Pfarrer musste lachen. „Na gut – aber hör in Zukunft auf meine Haushälterin, verstanden?“
„Natürlich, Herr Pfarrer!“, versprach Till.
Doch was er dann tat, war etwas ganz anderes:
Sollte er einen Eimer Wasser holen? Er brachte nur einen halben.
Sollte er zwei Scheite Holz holen? Er brachte eins.
Sollte er dem Ochsen zwei Bündel Heu geben? Er gab ihm nur eines.
Die Haushälterin merkte schnell, dass Till das mit Absicht machte – aber sie sagte nichts, sondern beschwerte sich wieder beim Pfarrer.
Der sprach Till an: „Warum machst du immer nur die Hälfte von dem, was man dir sagt?“
Till antwortete ganz unschuldig: „Ich dachte, ich soll alles halb machen. Ihr habt doch gesagt: halbe Arbeit – und die Frau sieht auch nur mit einem Auge, also macht sie ja auch nur halbe Kontrolle!“
Der Pfarrer lachte laut – doch die Haushälterin war wütend. „Wenn dieser Schalk bleibt, gehe ich!“
Und so musste der Pfarrer Till schweren Herzens wieder entlassen. Aber Till hatte Glück: Die Bauern im Dorf suchten gerade einen neuen Mesner – also jemanden, der bei der Kirche hilft. Und weil Eulenspiegel nicht auf den Mund gefallen war, überzeugte er sie, ihn zu nehmen.
So kam Till mal wieder mit einem Grinsen davon – wie so oft.
Nachdem Eulenspiegel lange durch die Lande gezogen war, fand er Arbeit als Küster in einem kleinen Dorf namens Büddenstedt. Ein Küster hilft dem Pfarrer in der Kirche – er läutet die Glocken, fegt das Gotteshaus und singt kräftig beim Gottesdienst mit. Und singen konnte Eulenspiegel richtig laut!
Eines Tages, kurz vor Beginn der Messe, stand der Pfarrer vorn am Altar. Eulenspiegel half ihm, das Messgewand ordentlich anzulegen. Doch plötzlich – rums! – ließ der Pfarrer einen lauten Furz, der durch das ganze Kirchenschiff schallte.
Eulenspiegel grinste frech und sagte: „Na, Herr Pfarrer! Ist das heute der neue Weihrauch für den lieben Gott?“
Der Pfarrer wurde rot im Gesicht, tat aber ganz stolz und erwiderte: „Was soll's! Es ist meine Kirche. Ich kann hier machen, was ich will – sogar mitten in die Kirche … na ja, du weißt schon.“
Da funkelten Eulenspiegels Augen. „Oh! Das klingt nach einer Wette! Ich behaupte: So etwas traust du dich doch gar nicht. Und wenn doch, dann aber mitten in der Kirche – genau in der Mitte. Wenn du das schaffst, bekommst du von mir eine Tonne Bier. Wenn nicht, bekomme ich sie!“
Der Pfarrer lachte laut: „Abgemacht! Du wirst schon sehen, wie mutig ich bin!“
Am nächsten Morgen, noch bevor jemand zur Kirche kam, schlich sich der Pfarrer hinein, drehte sich um – und tatsächlich! – machte er einen Haufen mitten in den Gang.
„So, lieber Eulenspiegel“, rief er stolz, „ich habe gewonnen! Her mit der Tonne Bier!“
Doch Eulenspiegel war nicht so leicht zu überlisten. Er holte eine Schnur und maß genau aus, wo die Mitte der Kirche war. Und siehe da – der Haufen lag ein gutes Stück daneben!
„Tut mir leid, Herr Pfarrer“, sagte Eulenspiegel und grinste breit. „Das ist nicht die Mitte. Die Tonne Bier gehört mir!“
Da wurde die Haushälterin des Pfarrers ganz wütend. „Ihr gebt Euch mit diesem Schalk ab, und jedes Mal bringt er Euch in Verlegenheit! Wann lernt Ihr es endlich?“
Aber der Pfarrer konnte sich ein Lachen nicht verkneifen – genau wie die Dorfbewohner, als sie von der Geschichte hörten. Und Eulenspiegel? Der genoss sein Bier in vollen Zügen – natürlich nicht mitten in der Kirche.
Es war kurz vor Ostern, und im Dorf wurde etwas Besonderes vorbereitet: das große Osterspiel! In der Nacht vor dem Fest sollte in der Kirche ein Theaterstück aufgeführt werden – so wie jedes Jahr. Es sollte zeigen, wie Jesus Christus von den Toten aufersteht.
Der Pfarrer rief Till Eulenspiegel, der inzwischen als Mesner arbeitete. „Till“, sagte er, „du musst das Spiel organisieren. Das war immer die Aufgabe des Mesners.“
Till grinste. „Na, das kann ja heiter werden.“
„Such dir Bauern aus dem Dorf, die mitspielen“, sagte der Pfarrer. „Die Bauern sollen die drei Marien spielen, und meine Haushälterin kann wieder den Engel machen. Sie kennt den Text auswendig.“
Das passte Till gut. Die Haushälterin hatte nur ein Auge – und war ziemlich eingebildet. Till hatte schon lange Lust, ihr einen kleinen Streich zu spielen.
Also suchte er sich drei einfache Bauern, die keine Ahnung von Theater hatten. „Ihr seid die drei Marien“, sagte er. „Ich bring euch bei, was ihr sagen sollt.“
Einen der Bauern ließ er folgenden Satz auf Latein auswendig lernen – obwohl der Mann kein Wort verstand: „Wir suchen eine alte einäugige Pfaffenhure.“
Das war natürlich kein richtiger Text, sondern ein ziemlich frecher und derber Scherz.
Dann war der große Abend gekommen. Die Kirche war voll mit Bauern, Bäuerinnen und Kindern. Alle warteten gespannt.
Die drei „Marien“ kamen zum „Grab“ – einem hölzernen Kasten auf der Bühne. Darin saß die Haushälterin des Pfarrers, verkleidet als Engel mit weißen Flügeln. Sie sprach feierlich: „Quem quaeritis?“ – das ist Lateinisch und heißt: „Wen sucht ihr?“
Da trat der Bauer nach vorne, wie Till es ihm beigebracht hatte, und rief laut auf Latein: „Wir suchen eine alte einäugige Pfaffenhure!“
Einen Moment war es ganz still in der Kirche. Dann brach das Chaos los.
Die Haushälterin sprang wütend aus dem Grab, stürmte auf den Bauern zu und wollte ihm eine Ohrfeige geben – traf aber aus Versehen den falschen. Der bekam das so feste ins Gesicht, dass ihm ein Auge anschwoll.
Der andere Bauer wurde sauer und schlug zurück – mitten auf den Kopf der „Engelin“. Ihre Flügel fielen herunter!
Jetzt rannte auch der Pfarrer auf die Bühne und schimpfte: „Was fällt euch ein!“ Doch statt zu schlichten, mischte er sich in die Rauferei ein – und zack! lag auch er auf dem Boden, zusammen mit seiner Haushälterin und den Bauern.
Alle prügelten sich, schrien durcheinander – und das mitten in der Kirche!
Die Zuschauer wussten gar nicht, ob sie lachen oder fliehen sollten.
Und Till?
Der war längst weg. Als das Chaos losbrach, schlich er sich still und leise durch den Hinterausgang davon.
Und er kam nie wieder zurück.
„Gott gebe, dass wir bald einen neuen Mesner bekommen“, seufzten die Leute am nächsten Tag.
Till Eulenspiegel war mal wieder in einer großen Stadt unterwegs – diesmal in Magdeburg. Dort kannte man ihn schon gut, denn er hatte in letzter Zeit viele Streiche gespielt. Die Leute flüsterten: „Das ist doch der berühmte Eulenspiegel! Der denkt sich immer was Verrücktes aus!“
Eines Tages sprachen ihn ein paar reiche und angesehene Bürger an. „Till, du musst uns mal wieder etwas Spektakuläres zeigen! Irgendetwas, das keiner von uns je gesehen hat!“
Till überlegte – und dann sagte er geheimnisvoll: „Ich werde fliegen. Von der Laube des Rathauses. Wie ein Vogel.“
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Schon am nächsten Morgen war der ganze Marktplatz voller Leute. Frauen mit Marktkörben, Männer mit dicken Mänteln, sogar Kinder, die sich zwischen den Beinen der Erwachsenen durchdrückten. Alle wollten das gleiche sehen: Eulenspiegel fliegt!
Da trat Till Eulenspiegel auf die hohe Laube vor dem Rathaus. Er breitete die Arme aus, wackelte mit ihnen wie mit Flügeln, beugte sich vor und tat so, als wolle er gleich abheben.
Die Leute hielten den Atem an. Manche machten große Augen, andere riefen: „Gleich fliegt er! Jetzt geht’s los!“
Doch plötzlich blieb Eulenspiegel stehen, stellte sich kerzengerade hin, verschränkte die Arme – und rief:
„Ich dachte immer, ich sei der größte Narr auf der Welt. Aber heute sehe ich: Ich bin nicht allein! Ihr seid ja noch viel närrischer! Ihr glaubt wirklich, ich könnte fliegen? Ich bin doch kein Vogel! Ich hab keine Flügel, keine Federn, nicht mal eine Gänsedaune am Hintern!“
Die Leute schauten sich verdutzt an. Einige wurden rot vor Wut. Andere mussten lachen.
„Wenn ihr mir erzählt hättet, dass ihr fliegen wollt – ich hätte euch kein Wort geglaubt! Aber ihr glaubt einem wie mir?“
Dann drehte sich Till Eulenspiegel um, sprang von der Laube – nicht in die Luft, sondern auf die Treppe – und verschwand lachend in einer Gasse.
Die Leute blieben zurück. Manche ärgerten sich. Andere kicherten. Und ein paar klatschten sogar.
„Das ist wirklich ein Schalksnarr“, sagten sie, „aber gelogen hat er nicht. Recht hat er gehabt.“
Eulenspiegel war mal wieder unterwegs – dieses Mal landete er in der Stadt Magdeburg. Dort lebte ein Bischof namens Bruno von Querfurt, der gern lachte und Eulenspiegels Streiche richtig witzig fand. Er gab ihm sogar neue Kleider und ein paar Goldstücke. Auch die Ritter und Diener mochten den Spaßmacher sehr.
Doch einer konnte Eulenspiegel überhaupt nicht leiden: der Hofarzt des Bischofs. Dieser Doktor hielt sich für sehr klug und meinte, ein Hof sei nur für weise Leute da – Narren wie Eulenspiegel hätten dort nichts verloren. Das ärgerte die Ritter.
„Nur weil er viele Bücher gelesen hat, denkt er, er sei etwas Besseres!“, murrten sie. „Lasst uns Eulenspiegel helfen, diesem eingebildeten Arzt eine Lektion zu erteilen!“
Eulenspiegel grinste verschmitzt. „Gern! Gebt mir vier Wochen Zeit. Dann bekommt euer Doktor seine Medizin – aber anders, als er denkt!“
Vier Wochen später war Eulenspiegel zurück – mit falschem Bart, einem langen schwarzen Mantel und einer großen Arzttasche. Niemand erkannte ihn. Sogar der Doktor nicht, der gerade mal wieder kränkelte.
„Ein berühmter Wanderarzt ist in der Stadt!“, flüsterten die Diener dem Doktor zu. „Er kennt viele Heilmittel!“
Der Doktor war neugierig und holte den fremden Arzt – also Eulenspiegel – in seine Kammer. Eulenspiegel sah ihn prüfend an und sprach mit ernster Stimme: „Ich muss heute Nacht bei Euch im Bett liegen. Nur so kann ich erkennen, wie Eure Krankheit beschaffen ist. Ich gebe Euch vorher ein Mittel, das Euch ordentlich schwitzen lässt.“
Der Doktor nickte und schluckte brav, was Eulenspiegel ihm reichte – ohne zu wissen, dass es ein starkes Abführmittel war.
Dann legte sich Eulenspiegel mit ins Bett, stellte aber vorher – ganz heimlich – einen Nachttopf mit seinem eigenen stinkenden Haufen direkt neben den Doktor an die Wand.
Kaum war das Licht aus, fing der Spaß an. Der Doktor roch etwas Übles von der Wandseite und drehte sich zu Eulenspiegel. Doch kaum hatte er sich umgedreht, ließ Eulenspiegel einen leisen, aber sehr stinkenden Furz los.
Der arme Doktor wusste nicht, wohin mit seiner Nase. Wand – Gestank. Eulenspiegel – noch schlimmerer Gestank. So wälzte er sich die ganze Nacht hin und her.
Und als das Abführmittel endlich wirkte … na ja, da ging es dem Doktor gar nicht mehr gut. Er konnte nicht aufstehen – Eulenspiegel hielt ihn fest und sagte: „Nur weiter schwitzen, Herr Doktor!“
Als es endlich Morgen wurde, war Eulenspiegel längst verschwunden. Der Doktor wankte aus dem Bett – blass, stinkend und völlig verwirrt. Da standen schon die Hofleute und lachten sich schief.
„Na, Herr Doktor? Hat Euch der große Arzt geholfen?“
Da dämmerte es dem Doktor langsam: Er war hereingelegt worden – und zwar von niemand anderem als Eulenspiegel selbst!
„Ich dachte, ich sei so klug“, stöhnte er. „Aber ich bin ganz schön auf den Narren hereingefallen!“
Der Bischof grinste. „Siehst du, wer nur mit Klugen spricht, verpasst den wahren Spaß. Und manchmal wird man sogar durch einen Narren ein bisschen weiser.“
Seitdem war der Doktor stiller geworden. Und Eulenspiegel? Der war längst weitergezogen – auf der Suche nach seinem nächsten Streich.
Nach seinem letzten Streich in Magdeburg wanderte Eulenspiegel weiter und kam im Winter nach Halberstadt. Es war bitterkalt. Der Wind pfiff durch die Gassen, und Schnee lag auf den Dächern.
Eulenspiegel stapfte durch den Markt, zog die Schultern hoch und rieb sich die Hände. „Brrr!“, murmelte er, „so ein Wetter braucht was Warmes im Bauch! Und ich habe doch mal gehört: Wer Brot hat, dem gibt man Brot. Also, los geht's!“
Er kaufte sich für zwei Schillinge ein paar große Laibe Brot. Dann nahm er sich einen kleinen Tisch, stellte sich damit vor den Dom St. Stephan und rief den Menschen zu: „Kommt her, ihr Leute! Gutes Brot gegen gute Treue – und ein bisschen Spaß dazu!“
Er machte Faxen, jonglierte mit Brotlaiben und balancierte einen auf seiner Nase. Einige schauten, aber keiner kaufte.
„Na schön“, dachte Eulenspiegel, „wenigstens ist mein Brot sicher.“
Doch plötzlich kam ein Hund angerannt, sprang an den Tisch, schnappte sich ein Brot und rannte damit über den Domhof davon.
„He! Das ist mein Abendbrot!“, rief Eulenspiegel und rannte hinterher.
Während er dem Hund nachjagte, schlich sich eine dicke Sau mit zehn kleinen Ferkeln an den Tisch. Sie schnüffelten neugierig – und schwupps! – rammte die Sau den Tisch um! Die Ferkel schnappten sich je ein Brot, und alle verschwanden schnaufend und grunzend in verschiedene Richtungen.
Als Eulenspiegel zurückkam, sah er nur noch das umgestoßene Tischchen und ein paar Krümel im Schnee. Da schüttelte er den Kopf, grinste breit und sagte: „Also das Sprichwort stimmt ganz und gar nicht! Wer Brot hat, dem nimmt man Brot!“
Er lachte so laut, dass die Tauben vom Domdach aufflatterten. Dann murmelte er: „Halberstadt, Halberstadt, dein Bier ist gut, dein Essen schmeckt, aber eure Taschen sind aus Sauleder gemacht – kein Wunder, dass selbst die Schweine mir das Brot klauen!“
Und damit zog Eulenspiegel weiter – mit leerem Magen, aber einer Geschichte mehr zum Erzählen.
Eulenspiegel war gern unterwegs. Er liebte es, durch Städte und Dörfer zu ziehen, mit Menschen zu scherzen und ihnen Streiche zu spielen. Aber es gab drei Dinge, die er – so lustig er sonst war – auf keinen Fall mochte.
Erstens:
Eulenspiegel ritt niemals ein graues Pferd. „Ein falbes – also hellgelbes – Pferd muss es sein!“, sagte er immer. „Auch wenn mich alle auslachen – das ist mein Glückspferd.“
Und wenn jemand fragte, warum nicht grau, antwortete er nur: „Ich bin kein Ritter aus alten Geschichten, ich bin ein Narr – und Narren reiten anders!“
Zweitens:
Eulenspiegel blieb nie lange an einem Ort, wo viele Kinder waren. Nicht, weil er Kinder nicht mochte – im Gegenteil! Sie waren ihm nur zu flink, zu neugierig und oft sogar schlauer als die Erwachsenen.
„Kaum mache ich einen Spaß, lachen sie schon vorher – oder machen ihn besser!“, grummelte Eulenspiegel. „Und dann klatschen alle für die Kinder, aber keiner für mich!“
Drittens:
Eulenspiegel übernachtete nie gern bei einem allzu großzügigen Wirt. „Wenn ein Wirt ständig verschenkt, was er hat, bleibt am Ende nichts übrig – nicht einmal für den Narren!“, sagte er. „Und wer sich selbst so wenig achtet, achtet auch nicht auf seine Gäste.“
Jeden Morgen, wenn Eulenspiegel aufstand, bekreuzigte er sich. Aber nicht etwa aus Angst oder Frömmigkeit – nein! Sondern aus Vorsicht vor den Dingen, die andere für besonders gut hielten.
„Gesunde Speisen?“, rief er. „Meist nur grünes Kraut ohne Geschmack. Wer das jeden Tag isst, wird vom Leben kein Lachen haben!“
„Arznei aus der Apotheke?“, sagte er und verzog das Gesicht. „Mag gesund sein, ja – aber wenn man sie braucht, ist man schon krank!“
„Großes Glück?“, fragte er einmal spöttisch. „Wenn ein Dachziegel neben einem auf den Boden kracht, sagt man: ‚Was für ein Glück, dass ich nicht dort stand!‘ Aber ich bin lieber da, wo gar nichts fällt – das ist für mich das wahre Glück!“
Und das Wasser?
„Starkes Zeug!“, sagte Eulenspiegel. „Es treibt Mühlenräder und kann sogar Menschen in den Tod reißen – und das nur, weil sie zu viel davon trinken! Nein danke! Dann lieber ein Becher Apfelsaft.“
So lebte Eulenspiegel, wie er es für richtig hielt – mit seinem falben Pferd, fern von zu viel Kinderlärm und Wirten mit zu großem Herzen. Und dabei lachte er über die Welt – und die Welt über ihn.
Eines schönen Sommertages war in der Stadt Einbeck ein großes Turnier. Ritter kamen von überall her, mit glänzenden Rüstungen und stolzen Pferden. Gaukler, Händler und Schaulustige drängten sich durch die Straßen – der perfekte Moment, um etwas zu verkaufen!
Nicht weit von Einbeck lebte ein freundlicher, aber einfacher Bauer in einem Dorf namens Oldendorf. In seinem Garten standen prächtige Pflaumenbäume, deren Früchte nun reif und saftig waren. „Das ist meine Chance!“, dachte der Bauer. „So viele Leute wie jetzt bekomme ich nie wieder – die Pflaumen werde ich bestimmt gut los.“
Also spannte er sein Pferd vor den Karren, lud die frischen Pflaumen darauf und machte sich auf den Weg.
Kurz vor der Stadt lag ein Mann unter einem Baum – ganz blass, schlapp und jammernd. Es war Till Eulenspiegel, der sich wieder einmal etwas ausgedacht hatte.
„Ach, guter Mann“, rief er mit schwacher Stimme, „ich liege hier seit drei Tagen ohne Essen und Trinken. Ich bin zu krank zum Gehen. Bitte, nimm mich mit in die Stadt. Wenn ich hier bleibe, sterbe ich!“
Der Bauer hatte ein gutes Herz, doch er zögerte. „Ich würde dich gern mitnehmen, aber mein Karren ist voller Pflaumen. Wenn du dich draufsetzt, zerquetschst du mir die Hälfte!“
„Ich setz mich ganz vorne, auf das Stroh, ich schwöre dir: Den Pflaumen passiert nichts!“, versicherte Eulenspiegel.
Also half der Bauer dem „Kranken“ auf den Wagen – gar nicht so einfach, denn Eulenspiegel stellte sich extra schwer an! Dann fuhren sie langsam weiter.
Kaum waren sie ein Stück gefahren, kroch Eulenspiegel heimlich nach hinten. Er hob das Stroh an – und spielte dem armen Bauern einen üblen Streich: Er beschmutzte die Pflaumen auf ganz gemeine Weise. Danach legte er das Stroh wieder ordentlich darüber, als sei nichts geschehen.
Kurz vor dem Stadttor rief Eulenspiegel plötzlich: „Halt, ich steige hier aus! Ich will nicht mit auf den Markt.“
Der Bauer half ihm herunter, erhielt noch Dank für seine Hilfe – und fuhr ahnungslos weiter.
Auf dem Marktplatz angekommen, stellte der Bauer seinen Karren ab, führte sein Pferd zur Herberge und wollte dann mit dem Verkauf beginnen. Da kam ein neugieriger Mann vorbei, zog das Stroh beiseite – und rief entsetzt: „Pfui Teufel! Diese Pflaumen stinken ja fürchterlich! Was hast du denn da gemacht?“
Andere kamen hinzu, hielten sich die Nasen zu, lachten oder schimpften.
In diesem Moment tauchte Eulenspiegel erneut auf – diesmal in anderen Kleidern – und stellte sich ganz unschuldig. „Was hast du denn da für Pflaumen?“, fragte er den Bauern. „Die sind ja komplett verdorben! Das darfst du doch niemandem anbieten!“
Der Bauer erkannte Eulenspiegel an seiner Stimme und schüttelte wütend den Kopf. „Du warst das! Du hast dich als Kranker ausgegeben – und mir die Pflaumen verdorben!“
„Ich?“, fragte Eulenspiegel scheinheilig. „Ich sehe ganz anders aus! Der Kerl gehört verprügelt!“
Doch der Schaden war gemacht: Niemand wollte die Pflaumen noch kaufen. Der arme Bauer musste sie auf den Misthaufen kippen.
Und Eulenspiegel? Der verschwand lachend im Getümmel des Turniers – auf der Suche nach seinem nächsten Streich.
Till Eulenspiegel hatte mal wieder einen neuen Job. Dieses Mal beim Grafen von Anhalt, der einen echten Turmbläser suchte. Also jemand, der hoch oben vom Turm mit einer Trompete Alarm schlägt, wenn Feinde kommen.
„Kein Problem!“, dachte sich Till. „Da oben hat man wenigstens seine Ruhe.“
Doch es kam anders.
Obwohl Till seinen neuen Job ordentlich antrat und auf dem Turm saß, vergaß ihn das Schlosspersonal völlig. Niemand brachte ihm etwas zu essen! Kein Brot, kein Apfel, nicht einmal eine Suppe. Till wurde hungriger und hungriger.
Dann kamen auch noch echte Feinde! Sie rannten auf die Stadt zu, klauten Kühe und machten Krach. Till sah alles vom Turm aus – aber er blies nicht in seine Trompete.
Als der Graf mit seinen Rittern hinter den Dieben herjagte, sah er Till oben im Turmfenster liegen – und lachen!
„Warum hast du keinen Alarm gegeben?“, rief der Graf.
„Weil ich hungrig bin“, rief Till zurück. „Ohne Essen blase ich nicht! Außerdem: Wenn ich die Feinde anblase, kommen noch mehr, und ihr werdet besiegt. So hab ich euch gerettet!“
Der Graf war verwirrt – aber er bekam wenigstens seinen Speck zurück und ließ im Schloss groß auftischen: Braten, Suppe, Gemüse – aber wieder vergaß man Till.
Diesmal hatte Till einen Plan: Als gerade Mittagessen serviert wurde, blies er laut vom Turm: „Feindio! Feindio! Die Feinde kommen!“
Alle sprangen auf! Der Graf zog in Panik seine Rüstung an, die Ritter stürmten hinaus – und Till rannte vom Turm direkt in den Speisesaal.
Dort stopfte er sich Taschen und Bauch voll mit allem, was lecker war – und ging zurück auf den Turm, sehr zufrieden.
Doch bald merkten die Ritter: Es waren gar keine Feinde da. Nur Till hatte sich einen Spaß erlaubt.
„Bist du verrückt geworden?“, rief der Graf.
„Nein“, rief Till zurück. „Aber wenn keine Feinde da sind, muss man eben welche herbeiblasen – sonst krieg ich ja nie was zu essen!“
Der Graf war zwar wütend, aber er konnte sich ein Lachen nicht ganz verkneifen. Trotzdem: Er setzte Till ab.
Doch Till musste bleiben – jetzt nicht mehr als Turmbläser, sondern als einfacher Fußsoldat. Und das gefiel ihm gar nicht. „Ich will nicht kämpfen! Ich will essen!“, dachte Till.
Er trickste also weiter: Wenn das Heer auszog, war Till immer der Letzte am Stadttor. Aber wenn sie zurückkehrten, war er der Erste wieder drin – direkt in Richtung Küche!
Der Graf fragte irgendwann: „Till, warum bist du beim Feind immer der Letzte – und beim Essen der Erste?“
Till grinste: „Als ich auf dem Turm saß, hab ich so viel verpasst! Jetzt muss ich aufholen. Erst essen, dann kämpfen – so werde ich wieder stark.“
Der Graf schüttelte den Kopf. „Du bist wirklich ein Schalk mit spitzen Zähnen. Aber du wirst nicht mehr lange mein Knecht sein.“
Und so bekam Till endlich seinen Urlaub – und war mehr als froh, dass er nicht mehr jeden Tag gegen Feinde marschieren musste.
Eulenspiegel war wieder einmal unterwegs – auf der Suche nach Arbeit, nach Schabernack und nach Leuten, die man ein wenig auf die Schippe nehmen konnte. Diesmal hatte er sich ein neues Handwerk ausgedacht: Er war jetzt Brillenmacher!
„Brillen braucht doch jeder!“, dachte sich Eulenspiegel. „Denn je älter die Leute werden, desto schlechter sehen sie. Und gelehrte Herren lesen viel. Also wird das ein gutes Geschäft!“
Doch es kam ganz anders.
Damals stritten sich die Fürsten im Reich. Kein neuer König wollte gewählt werden, weil jeder sich für den Wichtigsten hielt. Schließlich wurde ein gewisser Graf von Supplinburg zum römischen König gekrönt. Doch er musste viele Monate vor der Stadt Frankfurt lagern – denn einige Neider wollten ihn nicht anerkennen und planten, ihn zu vertreiben.
Weil so viele Ritter, Bischöfe und Fürsten mit ihren Leuten nach Frankfurt kamen, dachte Eulenspiegel: „Dort ist mein Platz! Diese reichen Herrschaften brauchen sicher Brillen – oder wenigstens einen guten Scherz.“
Und so zog er los.
Unterwegs traf er bei Friedberg den Bischof von Trier. Der wunderte sich über den bunt gekleideten Wanderer und fragte: „Sag an, guter Mann, was bist du für ein seltsamer Geselle?“
Eulenspiegel verneigte sich tief und antwortete mit ernster Miene: „Ein armer Brillenmacher, gnädiger Herr. Ich komme aus Brabant, aber niemand will meine Brillen. Deshalb ziehe ich durchs Land und suche Arbeit.“
Der Bischof lachte. „Das wundert mich! Die Leute sehen doch immer schlechter. Es müsste doch viele brauchen wie dich!“
„Ach“, sagte Eulenspiegel geheimnisvoll, „es gibt einen Grund, warum keiner mehr Brillen braucht. Wollt Ihr ihn hören, ohne zornig zu werden?“
Der Bischof nickte neugierig. „Ich fürchte mich vor deinen Worten nicht. Sprich!“
Eulenspiegel schaute sich um, als ob er ein großes Geheimnis verraten wollte, und flüsterte dann mit gespieltem Ernst: „Euer Gnaden, früher haben Könige, Fürsten, Richter und sogar die Pfarrer viel in ihren Büchern gelesen. Sie wollten gerecht sein und nichts übersehen – und dafür brauchten sie Brillen. Heute aber ... heute sehen alle durch die Finger!“
„Durch die Finger?!“ Der Bischof runzelte die Stirn.
