Europa - Werner Weidenfeld - E-Book

Europa E-Book

Werner Weidenfeld

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Beschreibung

"Europa - braucht es das überhaupt?" "Warum wird uns alles aus Brüssel vorgegeben?" "Als wir noch die D-Mark hatten, war doch eh alles besser." So oder ähnlich hört man es, wenn Menschen sich über Europa unterhalten.

Der Kontinent findet keine Ruhe. Er driftet von Krise zu Krise. Zweifel an der Handlungsfähigkeit und Legitimation der Europäischen Union dominieren das allgemeine Bild. Die große Mehrheit der Europäer bekundet, dass man das alles nicht versteht. Die Orientierungslosigkeit ist zum eigentlichen Kern des Problems geworden. Die Baustelle Europa benötigt also nichts dringender als eine geistige Ordnung. Werner Weidenfeld gibt eine klare Antwort auf die Fragen und liefert mit dem Buch die leicht verständliche und strategische Antwort.

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Seitenzahl: 90

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»Es braucht Schritte in eine reale europäische Öffentlichkeit – also die kulturelle Grundierung seiner politischen Ordnung. Wenn wir es sensibel und strategisch präzise angehen, dann können wir feststellen: Europa steht am Beginn einer neuen Epoche.«

WERNER WEIDENFELD

EUROPA

EINE STRATEGIE

Kösel

Copyright © 2014 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlag: WEISS WERKSTATT MÜNCHEN

Umschlagmotiv: WEISS WERKSTATT MÜNCHEN unter Verwendung zweier Bilder

© shutterstock/S_oleg BildNR. 122 706 658 und des antiken Motivs »Europa und Zeus«

ISBN 978-3-641-14328-2

www.koesel.de

Inhalt

Nachdenken

Problemlagen

Identität

Legitimation

Führungskultur

Mitverantwortung

Strategie-Idee

Literaturhinweise

Über den Autor

NACHDENKEN

Der Kontinent kommt nicht zur Ruhe. Eine Krisenmeldung folgt auf die andere. Kritik an Details der Europapolitik wächst. Vertrauensverluste und Distanzierungen sind unübersehbar.

Und dennoch kann die Integration Europas auch als große Erfolgsgeschichte eingeordnet werden. Das Faszinosum Europa hat mich auch als Autor und kritischer Analytiker angelockt. Wie ist dieser komplizierte politische Sachverhalt zu erklären? Wie sind seine Probleme strategisch zu lösen?

Drei biografische Details, drei persönliche Erlebnisse, möchte ich als Erklärungshilfe vorweg anführen:

In meiner Kindheit hörte ich zu Hause viel über Konrad Adenauer. Mein Großonkel hatte ihn mehrfach im Benediktinerkloster Maria Laach vor den Nationalsozialisten versteckt und so dem späteren Bundeskanzler das Überleben gesichert. Das empfand ich als Jugendlicher als eine interessante Geschichte am familiären Frühstückstisch. Und dann hörte ich im Sozialkundeunterricht zusätzlich die unglaubliche Tragödie der Ermordung von vielen Millionen Menschen. Unfassbar! Mit dieser Erkenntnis war aber die berufliche Schlüsselentscheidung für mich gefällt: Man musste dazu beitragen, dass sich so etwas nie mehr wiederholt, dass eine große Zivilisation abkippt in eine Katastrophe der Inhumanität. Es galt also einen stabilen Rahmen der politischen Kultur und des Systems der Freiheit aufzubauen.

Mein Blick fiel wieder auf Konrad Adenauer. Er war doch einer der großen Architekten des Nachkriegseuropas. Er hatte doch auch die Antwort gesucht auf die Katastrophe des Nationalsozialismus und der Weltkriege. Und er hatte sie gefunden. Sie lautete: Einigung Europas. Zusätzlich hatte er eine kulturelle Begründung für die Integration Europas formuliert – jenseits der ökonomischen und machtpolitischen Aspekte: Europa dient auch zum Schutz des deutschen Volkes vor seinen eigenen fragwürdigen Traditionsbeständen: antiwestliche Affekte und antidemokratisches Denken! Meine Schrift zur Habilitation sollte dann ganz diesem Thema gewidmet werden.1 Zur Erarbeitung des Buches hatte ich sogar die Erlaubnis erhalten, einige Jahre im Hause Konrad Adenauers in Rhöndorf zu arbeiten und sein persönliches Archiv auszuwerten. Als Leitwort hatte ich dem Buch ein Zitat Konrad Adenauers vorweggestellt: »Ein Rückblick hat nur dann Sinn, wenn durch ihn die Ansätze künftiger Entwicklungen bloßgelegt werden und er damit der Zukunft dient!« Meine Überlegungen als Jugendlicher hatten ihre Erfüllung gefunden.

Das zweite biografische Erlebnis, das für unser Thema relevant ist, fand in Begegnungen mit Helmut Kohl, François Mitterand und Jacques Delors statt. Der eine war Bundeskanzler, der andere war französischer Staatspräsident und der Dritte war französischer Finanzminister, der später Kommissionspräsident in Brüssel werden sollte. Den zeitgeschichtlichen Rahmen bildete eine der schärfsten Krisen des Integrationsprozesses Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre.2 Mir geht gegenwärtig die Parallele zu aktuellen Krisen durch den Kopf und was wir aus der damaligen Lösung lernen können. Halten wir uns vor Augen: Die krisenhafte Zuspitzung des Niedergangs fand eine scharfe und weithin akzeptierte Bezeichnung: »Eurosklerose«, und wurde zum Schlüsselbegriff der Lagebeschreibung. Europa konnte mit den dynamischen Märkten nicht mehr mithalten. Es erschien erschöpft, gleichsam ein Ausschnitt aus dem Museum. Bundeskanzler Helmut Kohl und Staatspräsident François Mitterand erkannten die dringende Notwendigkeit eines strategischen Aufbruchs. Dazu bedurfte es eines entsprechend begabten politischen Kopfes. Sie fanden ihn in Jacques Delors. Er war ein starker französischer Finanzminister und die meisten sahen in ihm den zukünftigen französischen Staatspräsidenten. Er aber nahm die Herausforderung Europa an. Zunächst teilte er den Staats- und Regierungschefs mit, er müsse nun strategisch nachdenken. Nach einigen Monaten trug er sein Ergebnis vor: Europa braucht zum Aufbruch eine große historische Aufgabe. Dies könnte die Neuorganisation der Sicherheit oder die Vollendung des Binnenmarktes sein. Nur für eine dieser großen Aufgaben besitze Europa Kraft. Der Binnenmarkt wurde als strategisches Thema angenommen. Dies bedeutete die mehrjährige Umsetzung von fast 300 Gesetzeswerken. Die Öffentlichkeit wurde überzeugt durch die Daten und Argumente des umfangreichen Cecchini-Reports. Der eingeschlagene Kurs wurde politisch über etliche Jahre hindurchgehalten.

Aus diesem gelungenen Beispiel ist für die gegenwärtigen Herausforderungen zu lernen: Europa braucht starke politische Führungsfiguren und strategische Köpfe. Die Politik muss die notwendigen Schritte strategisch erklären und vertrauensbildend durchhalten. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Europas Politik muss das Erklärungsdefizit eliminieren. Es ist viel mehr Zeit und Kraft auf die Erläuterung zu richten. Wer die Deutungshoheit gewinnt, der gewinnt auch die Zukunft.

Das dritte Erlebnis hebt ab auf die Notwendigkeit, künftige Konstellationen zu antizipieren.

Am 9. November 1989 begleitete ich Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher auf ihrer Reise nach Polen.3 Wir hatten im Reisegepäck die aktuellen Umfragen mit dem Thema: »Glauben Sie, noch persönlich den Fall der Mauer zu erleben?« Das Ergebnis war: Ganze drei Prozent der Westdeutschen glaubten, den Mauerfall zu erleben – und am Abend des 9. November 1989 fiel die Mauer. Ich rief bei meinen Mitarbeitern an: »Dies bedeutet die EU-Osterweiterung.«

Mit dieser Antizipation wurde unser Forschungsinstitut zu einer der Schlüsselinstanzen der Datenanalyse zur Vorbereitung der Osterweiterung.

Und wir antizipierten weiter: Wenn die Teilnehmerzahl der Europäischen Integration weiter wächst, dann wird es zu weiteren Differenzierungen kommen. Dies müsse vertraglich geregelt werden, sonst werde Europa vom Druck der Ereignisse überrollt. Der Brüsseler Kommission unter Präsident Jacques Santer lieferten wir dazu die konzeptionellen Papiere. Das Konzept wurde anschließend in den Vertrag von Amsterdam (1997) als »verstärkte Zusammenarbeit« aufgenommen. Allerdings wurde diese Reform ausgebremst durch die Regelung, die jeweils erste Entscheidung müsse einstimmig fallen. Diese Regel wurde im Vertrag von Nizza (2000) abgeschafft. Im Vertrag von Lissabon (2009) fiel dann die enge thematische Begrenzung der »verstärkten Zusammenarbeit«. Seitdem gehört die Differenzierung gleichsam zum europapolitischen Alltag.

Diese drei persönlich-sachlichen Erfahrungen zeigen »Europa« als einen politisch-intellektuellen Magneten, als eine historische Herausforderung4 und als ein persönliches Faszinosum – jenseits von Schwierigkeiten und Frustrationen.

PROBLEMLAGEN

Der Kontinent driftet von Problem zu Problem. Schuldenberge werden angehäuft. Es grassiert die Angst um das eigene Geld. Folgerichtig kommen Zweifel an der Handlungsfähigkeit und Legitimation der Europäischen Union auf. Hinweise auf die Entmündigung der Bürger durch das Monster Europa werden zum Bestseller. Krisenmanagement wird zum eigentlichen Inhalt und zum eigentlichen Erscheinungsbild der Politik. Wäre es eingebettet in eine klare Strategie und Perspektive, dann könnte man alledem die Dramatik nehmen. Aber gerade das ist nicht der Fall. Jeder einzelne Schritt, jeder einzelne Kompromiss steht praktisch kontextlos da. Weit über zwei Drittel der Bürger Europas bekennen, dass sie das alles nicht verstehen. Zum eigentlichen Kern des Problems ist diese Orientierungslosigkeit geworden. Die Baustelle Europa braucht also nichts dringender als eine geistige Ordnung.

Wie kann nun die strategische Antwort auf diese schwierige Lage aussehen? Sie kann nicht in dem historischen Hinweis auf die Gründerzeiten und die klassischen Motivationslagen der frühen Nachkriegszeit bestehen – was häufig genug versucht wird. Manche politische Kulisse der Integration stammt noch aus den Gründerzeiten, als Antwort auf Krieg und Frieden zu geben war – oder dann, als die Einigung Europas politisches Überlebensprinzip im weltpolitischen Konflikt zwischen Ost und West war. Alles das ist heute konsumiert, bietet bestenfalls hohles Pathos aus vergangenen Zeiten. Es bedarf jetzt der großen Verständigung auf neue Begründungskonstellationen, die das Machtmonster Europa verstehen lassen. Schließlich hat es ja in den letzten zwanzig Jahren einen immensen Machttransfer nach Europa gegeben. Reichte es einst, auf die Frage nach europäischer Zuständigkeit mit dem Hinweis auf Agrarmarkt, Außenzoll und Außenhandelsverträgen zu antworten, so muss man heute umgekehrt argumentieren: Es gibt nur noch zwei Bereiche, in denen Europa keine Gestaltungskompetenz besitzt: die Finanzierung sozialer Sicherungssysteme und die Kulturpolitik. Die gut fünfhundert Millionen Menschen mit ökonomischem Spitzenpotenzial und solider militärischer Ausstattung haben die Europäische Union in den Rang einer Weltmacht befördert. Umso dringlicher wird es, diese Weltmacht aus taumelnder Orientierungslosigkeit zu befreien.

Dazu bedarf es der neuen Begründungskonstellationen und der präzisen Strategien. Nur so kann Europa eine zukunftsfähige Form finden. Die Alternativen zu diesem Konzept lassen sich in Ansätzen gegenwärtig beobachten: In fast jedem Mitgliedstaat gibt es Fluchtbewegungen aus der Komplexität der Lage in die einfache Formel des populistischen Extremismus.

Das zu lösende Kernproblem ist klar: Es besteht in der Diskrepanz zwischen internationalisierter, ja weitgehend globalisierter Problemstruktur, teilweise nationaler, teilweise europäischer Entscheidungsstruktur und nationaler Legitimationsstruktur. Diese Diskrepanz ist nur zu überwinden, wenn der Machttransfer auf europäischer Ebene eine klare Deutung und eine transparente Erklärung erhält.

Wir erlebten in den letzten Jahren ein Europa-Drama. Praktisch täglich lieferte der Kontinent Hiobsbotschaften: »Europa als Albtraum«, »Die Euro-Rebellion«.

Und es spitzt sich zu: Die Bild-Zeitung macht auf Seite 1 mit großen Buchstaben auf – »Euro Schuldenkrise droht zu eskalieren«, »Neue Horrormeldungen – Die Finanzmärkte reagieren nervös – Börse auf Talfahrt«. Selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte dramatisch: »Die große Angst ums Geld«. Und das intellektuelle Leben stimmte ein: Europa wird geführt von einer »normativ abgerüsteten Generation der Kurzatmigkeit« – so schreibt Jürgen Habermas.5 Diese so überschriebene Großbaustelle Europa müssen wir nun wenigstens gedanklich in Ordnung bringen.

Europa erlebt eine Zeitenwende. Die Zäsur ist vergleichbar mit den großen Einschnitten in der Geschichte. Heute handelt es sich einerseits um den Verlust normativer Fundamente und andererseits um das Fehlen strategischer Perspektiven. Entsprechend taumelt Europa in seiner Ratlosigkeit dahin. Der große Machtapparat wird – mit einer drängenden Intensität wie noch nie zuvor – mit der Frage nach seiner Legitimation konfrontiert.

Die früheren Erfolge der Integration haben die europäische Ebene so machtvoll wie nie ausgestattet. Zugleich erscheint die normative Zielperspektive merkwürdig leer. Bei näherem Hinsehen ist das Europa-Thema zunächst nichts anderes als ein Ausschnitt des generellen, umfassenden Politik-Themas unserer Zeit: Orientierungsverlust. Gleichsam wie an einer Kette lassen sich die zusammenhängenden Problemperlen aufziehen: Europa, Politik, Demokratie, Globalisierung. Das bedeutet: Wenn wir die Problemlagen Europas wirklich verstehen und einordnen wollen, dann müssen wir die aktuellen Schwierigkeiten in einen größeren, generellen Zusammenhang stellen. Die Europa-Krise erweist sich dann als Teilstück einer Politik-Krise. Das Drama Europa ist generalisierend zu übersetzen in »die Erosion des Politischen«.

Historische Zäsuren sind meist mit dramatischen Einschnitten, mit prägender Symbolik verbunden. Man erinnere sich an den Fall der Mauer in Berlin, den Terroranschlag auf das World Trade Center in New York oder die erste Landung eines Menschen auf dem Mond. Gegenwärtig vollzieht sich in Deutschland eine solche historische Zäsur – nur ohne große Symbolbilder, gewissermaßen unbemerkt. Wir sind passive Bestandteile einer Geschichte im Entstehen.