Eva und die Apfelfrauen - Tania Krätschmar - E-Book

Eva und die Apfelfrauen E-Book

Tania Krätschmar

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Beschreibung

Fünf Freundinnen, ein Apfelgarten und ein Sommer auf dem Land, der alles verändert

Die Anzeige im Internet ist ein voller Erfolg: Eva und ihre vier besten Freundinnen erben tatsächlich ein Haus! Allerdings nicht in Berlin, sondern im Wilden Osten, und nur unter einer Bedingung: Sie müssen den riesigen Apfelgarten bewirtschaften, der zum Haus gehört. Aber das ist für die fünf munteren Städterinnen nur eine von vielen Herausforderungen …

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Seitenzahl: 508

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Buch

Wollen wir nicht eine WG gründen? Sind wir dafür nicht zu alt? Wobei: Frauen zwischen 43 und 55 sind nicht alt, sie sind im allerbesten Alter, finden die Freundinnen Eva, Nele, Julika, Dorothee und Marion. Und dass es durchaus an der Zeit wäre, etwas Neues zu wagen. Und so schalten sie eine Anzeige: Haus gesucht! Im Traum rechnen sie nicht damit, dass sie gleich in einem Testament bedacht werden. Doch es ist wahr: Sie erben ein Haus. Es ist ruhig gelegen, hat einen großen Garten mit Apfelbäumen, liegt im Südwesten – allerdings nicht in Berlin, sondern außerhalb der Stadtgrenze in einem Dorf in der Mark. Sie beschließen, das Experiment zu wagen und einen Sommer lang dort zu wohnen, um herauszufinden, ob der Plan einer WG überhaupt funktionieren könnte. Zwischen Apfelrezepten de luxe, zwei attraktiven Nachbarn, einer nachtaktiven Eule, heimlichem Schnapsbrennen und lieben Verwandten – tot oder lebendig– wird es für die fünf Frauen ein Sommer voller Landlust. Oder Landfrust? Da sind die Würfel beziehungsweise die Äpfel noch nicht gefallen …

Autorin

Tania Krätschmar wurde 1960 in Berlin geboren. Nach ihrem Germanistikstudium in Berlin, Florida und New York arbeitete sie als Bookscout in Manhattan. Heute ist sie als Texterin, Übersetzerin, Rezensentin und Autorin tätig. Sie hat einen Sohn und lebt in Berlin.

Tania Krätschmar

Eva und die Apfelfrauen

1. Auflage

Originalausgabe November 2013 bei Blanvalet Verlag,

einem Unternehmen der

Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © by Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagmotiv: Plainpicture/Thordis Rüggeberg

LH ∙ Herstellung: sam

ISBN: 978-3-641-09625-0

www.blanvalet.de

1. Kapitel

Alternde Frauen sollten bedenken,

dass ein Apfel nichts von seinem Wohlgeschmack verliert,

wenn ein paar Fältchen die Schale kräuseln.

Auguste Brizeux

»Kommt, Mädels, lasst uns auf Julika anstoßen!«

Eva Wedekind griff nach dem Sektglas, das der Kellner soeben mit eiskaltem Champagner gefüllt hatte. Sie hob es feierlich in Julikas Richtung, die anderen taten es ihr nach.

»Bergfest, Julika! Auf dein Wohl.«

»Ach herrje! Noch mal fünfzig Jahre? Ich glaube kaum, dass ich das will.« Julika schaute lächelnd in die Runde. Zu fünft saßen sie um den eingedeckten Tisch. Im sanften Kerzenschein glänzten Silberbesteck, Porzellan und Cooler, besonders aber Julikas hellblaue Augen. »Aber wenn schon hundert, dann nur mit euch. Das ist ja wohl klar.«

Schon vor einem Monat hatte sie im Mirror’s, einem trendig-teuren Restaurant hoch über dem Potsdamer Platz, reserviert. Nur das Beste war gut genug, um mit ihren Freundinnen ihren Fünfzigsten zu feiern, fand sie.

»Natürlich mit uns! Wie denn sonst?« Eva lächelte.

»Manchmal denke ich, es hat was mit dem Alter zu tun, dass ich die Freundschaft mit euch so sehr schätze«, sagte Julika und prostete einer nach der anderen zu. »Mit fünfzig ist der große Männerhype vorbei…«

»…auch wenn man die stille Hoffnung auf den richtigen Kerl noch nicht ganz aufgegeben hat…«, meinte Nele, die erst fünfundvierzig war.

»…oder die Kinder sind endlich groß…«, sagte Dorothee.

»…oder man hat keine, wollte nie welche und kann das Thema gelassen aus der Lebensplanung streichen…«, warf Marion ein.

»…oder es hat nie richtig gepasst…«, schloss Eva.

»Genau das meine ich. Es ist die Zeit der großen Freiheit! Selten habe ich mich wohler gefühlt als heute. Mit euch. Danke, dass es euch gibt.« Julika wollte endlich anstoßen, aber Dorothee war noch nicht so weit.

»Ich muss euch mal was sagen: Ich finde es herrlich, dass wir uns regelmäßig treffen«, erklärte sie und drehte den Stiel des Glases in ihrer Hand. Sie klang gerührt, und in ihren schokoladenbraunen Augen schimmerte es plötzlich verdächtig. »Ich wüsste nicht, wo ich ohne euch wäre!«

»Alles okay mit dir?«, fragte Marion leise.

Dorothee nickte, aber schaute sie nicht an.

»Das geht mir nicht anders«, sagte Eva, die Marions Frage nicht gehört hatte. »Mit euch kann ich immer wunderbar die Seele baumeln lassen.«

»Fünf Geburtstage heißt fünf Lichtblicke im Jahr, egal, wie dicke es sonst kommt«, fügte Nele resolut hinzu.

»Das meine ich nicht nur, ich meine… ach, einfach alles«, widersprach Dorothee. »Dass ich euch jederzeit anrufen kann. Dass wir uns haben. In jeder Lebenssituation!«

Ein Wochenendseminar mit dem selbsterklärenden Titel »Selbstverteidigung für Frauen« war vier Jahre zuvor der Beginn ihrer wunderbaren Freundschaft gewesen. Erst hatte ihnen eine Rhetoriktrainerin beigebracht, wie man auf blöde Sprüche verbal reagierte– und zwar spontan, nicht erst mit zwei Stunden Verspätung, sodass man sich maßlos ärgerte, dass einem nicht gleich die richtige Antwort eingefallen war. Dann hatte ihnen ein kräftiger Trainer namens Sven verschiedene Griffe beigebracht, mit denen sie sich erfolgreich zur Wehr setzen konnten. Falls es mit der verbalen Abwehr nicht mehr klappte. Und schließlich hatten sie gemeinsam das große Finale des Seminars gestaltet– mithilfe von Brettern, die jede von ihnen mit einem Befreiungsschrei zertrümmerte. Seitdem feierten sie ihre Geburtstage grundsätzlich zusammen.

»Der Champagner wird warm«, erinnerte Julika eine Spur ungeduldig. »Was ein Jammer wäre! Also, cinque amiche per sempre– salute!« Julika war mit einem Italiener namens Lorenzo Montecurri verheiratet gewesen. Nicht alle ihrer italienischen Ausdrücke verstanden die anderen, aber salute schon.

Ein fünffaches »Pling« erklang. Sie tranken, und einen Moment lang herrschte Stille, abgesehen von der leisen Loungemusik und den gedämpften Unterhaltungen um sie herum.

»Ahhh…« Marion stellte genüsslich seufzend ihr Glas ab. Sie lehnte sich so weit im Stuhl zurück, wie es weißes Leder und Stahl zuließen. »Nichts ist so gut wie der erste Schluck Champagner nach einem stressigen Tag in der Schule! Wenn’s nicht so teuer wär, wäre ich glatt suchtgefährdet.«

»Gut zu wissen«, murmelte Julika, die gern großzügige Geschenke machte. Lorenzo hatte sie bei der Scheidung anständig abfinden müssen.

»Zur Not tut es auch Prosecco«, meinte Nele.

»Läuft es schlecht bei dir in der Schule?«, fragte Eva.

Sie hielt dem Kellner, der gerade die Speisekarten auf den Tisch legte, ihr Glas hin. Er griff nach der Flasche im silbernen Cooler und schenkte ihr den Rest ein. Dann warf er Julika einen fragenden Blick zu, und sie nickte. Bevor die nächste Bankkrise kam– und die kam sicher!–, konnte sie einen Teil ihres Vermögens genauso gut in Champagner rosé mit ihren besten Freundinnen anlegen.

»Wir haben eine arabische Gang in unserer Schule«, antwortete Marion auf Evas Frage. Sie war Lehrerin in einer Brennpunktgrundschule in Neukölln. »Viertklässler! Der Bandenführer heißt Jihad. Was geht eigentlich in Eltern vor, die ihren Sohn ›Heiliger Krieg‹ nennen, könnt ihr mir das mal erklären? Neulich gab es Stress mit einer Lesepatin. ›Ich sag’s meinen Cousins, wenn ich das noch mal lesen muss. Und die stechen dich ab, du Opfer!‹, hat dieser Minimacho gedroht. Unfassbar. Ich kann’s nicht abwarten, bis mein Sabbatjahr beginnt.« Sie griff nach ihrem Glas und leerte es in einem Zug.

»Drei Monate hältst du noch aus, Marion«, sagte Nele ermutigend.

»Was hast du dir für dein freies Jahr eigentlich vorgenommen?«, fragte Dorothee sichtlich gespannt.

»Im Moment fallen mir nur vier Dinge ein: ausschlafen, wieder Tai Chi machen, ein bisschen mehr in die Tarotkarten schauen und endlich zum Friseur gehen! Schaut doch bloß mal.« Marion zeigte auf den Scheitel ihres blonden Pagenkopfes, wo ein dunkler, grau durchzogener Haaransatz zu sehen war. Mit ihren dreiundfünfzig war sie die Älteste der fünf Freundinnen. »Es wird absolut wundervoll sein, Zeit zu haben.« Sie schob die Ärmel ihrer bunten gefilzten Jacke hoch, schloss die Augen und begann, tief und ruhig zu atmen. Marion schwor auf asiatische Entspannungsübungen, auf Esoterik und auf Feminismus.

»Das ist nicht viel für ein Jahr«, entgegnete Dorothee skeptisch.

»Stimmt. Aber im Moment habe ich nicht mal die Power, mir zu überlegen, was ich mit mehr Freizeit anfangen könnte. Selbst dafür bräuchte ich Ruhe. Reisen, endlich Bogenschießen lernen– alles ist möglich. Nichts ist entschieden. We’ll see.« Marion unterrichtete auch Englisch.

Der Kellner, der vom Panoramafenster aus dem Schnee nachgeschaut hatte, der auf den Potsdamer Platz rieselte, kam wieder an den Tisch. »Wollen die Damen bestellen?«, fragte er.

»Einen Moment«, sagte Julika. Sie griff nach der in Leder gebundenen Speisekarte, schlug sie auf und runzelte die Stirn. »Mein Gott. Sie drucken ja immer kleiner! Wer soll denn das lesen können?«

Dorothee kramte in ihrer Tasche, bis sie fand, was sie gesucht hatte. »Hier. Nimm. Ich versteh einfach nicht, wie du noch ohne auskommst.« Sie drückte Julika ihre Lesebrille in die Hand.

Julika setzte sie auf. Der pinkfarbene Rahmen der Brille biss sich gefährlich mit dem Hennarot ihres langen Haares, aber sie sah deutlich erleichtert aus, als sie die Karte zum zweiten Mal aufschlug. »Oh, danke, das ist viiiiel besser!« Konzentriert studierte sie das Angebot. »Vitello tonnato? Carpaccio? Oder wie wär’s mit Antipasti misti als Appetizer? Wollen wir eine große Platte bestellen?«

Nele, Eva, Dorothee und Marion nickten enthusiastisch.

»Gut, dann fangen wir damit an.«

Der Kellner notierte und zog sich zurück.

»Du kannst die Brille behalten«, sagte Dorothee und schloss den Reißverschluss ihrer Tasche. »Ist meine Ersatzbrille. Die schenke ich dir noch zum Geburtstag.«

»Ich brauche keine«, erklärte Nele kategorisch, während sie angestrengt blinzelnd die Hauptgerichte las. Eine steile Falte bildete sich dabei zwischen ihren Augenbrauen. »Ich sehe immer noch wie ein Adler. Zum Glück.«

Die anderen vier sahen sich vielsagend an, schwiegen jedoch.

»Und du, Dorothee? Wie sieht’s bei dir aus? Wie geht’s deiner Familie?«, fragte Marion nun.

Dorothee Dombrowsky, zweiundfünfzig und wie Julika geschieden, hatte als Einzige von ihnen Kinder. Dafür gleich vier. Sie war Krankenschwester gewesen, bis vor drei Jahren ihre Arbeitsunfähigkeitsversicherung wegen einer Medikamentenallergie gegriffen hatte. Nie wieder »Schwester, ich will einen Gute-Nacht-Kuss«! Nie wieder Urinenten austeilen und das wehleidige Wimmern anhören, als ob die Kronjuwelen in Gefahr wären!, hatte sie den Freundinnen nach ihrem Abschied von der Urologie-Station befreit gesagt. Was aber nicht hieß, dass Dorothee es ruhig und gemütlich hatte. Ihre Kinder, obwohl sie so gut wie erwachsen waren, hielten sie auf Trab. Irgendwas war immer.

Deshalb sahen die anderen sie überrascht an, als Dorothee antwortete: »Den Kindern geht es super. Sogar Mimi ist glücklich mit ihrem Lennart. Sieht ein bisschen wild aus, aber ist ja so ein netter Kerl.«

Mimi war die Jüngste, hatte eine Ausbildung zur Kosmetikerin gemacht und war bis jetzt Dorothees erklärter Problemfall gewesen, weil sie immer mit irgendwelchen unzuverlässigen Hallodris zusammen war.

»Hurra! Endlich frei!«, meinte Julika. »Genieß es!«

»Ich versuche es.« Dorothee nickte, sah jedoch nicht sehr glücklich aus. »Aber manchmal fällt es mir schwer. Immer war wer um mich herum, der nach seinen Socken suchte oder nach seinem Lieblingsshirt brüllte. Jetzt ist es ganz ruhig. Manchmal zu ruhig.« Sie trank einen Schluck. »Außerdem habe ich vier Kilo zugenommen. Vier! Für jedes Kind, das ausgezogen ist, eins!«

»Vielleicht sind das die Wechseljahre«, warf Eva ein. »Da verändert sich bei vielen Frauen der Stoffwechsel. Ich höre es von allen Seiten. Keine isst was, alle werden dicker.«

Sie beugte sich vor, um sich aus dem Brotkorb eine knusprige Scheibe zu angeln. Dann griff sie nach dem Fässchen mit Kräuterschmalz und bestrich sie großzügig. Schließlich streute sie Salz darauf und biss mit Appetit hinein. Sie war zweiundvierzig, die Jüngste im Team, und die Wechseljahre waren noch nicht ihr Thema.

»Wechseljahre? Schön wär’s«, meinte Dorothee. »Nein, nicht schön. Aber irgendwie… schöner als so. Bei mir ist es eher der Frust. Ich futtere, obwohl ich überhaupt keinen Hunger habe.« Sie strich sich eine Strähne ihres glatten braunen Haares hinters Ohr und sah die Freundinnen etwas ratlos an.

Die anderen mussten ihr recht geben: Dorothee war nie der schlanke Typ gewesen. Aber in letzter Zeit war sie tatsächlich runder geworden.

»Wenn du Langeweile hast, kannst du gern an unserer Schule Lesepatin werden. Wir sind nun mal soziale Wesen, und du als Muttertier…«, versuchte Marion sie aufzumuntern. »Du brauchst mehr Menschen um dich herum!«

»Damit mich dein ›Heiliger Krieg‹ absticht? Kommt nicht infrage«, antwortete Dorothee düster. »Da bleibe ich lieber allein vor dem Kühlschrank hocken.«

»Schaff dir doch einen Hund an«, schlug Nele vor. »Dann hast du Bewegung und immer jemanden um dich herum. Du könntest ihn auch in deinem Bett schlafen lassen. Am Fußende. Das ist bestimmt gemütlich und schön warm.« Dabei sah sie zu dem hübschen Kellner am Fenster, der wieder auf das Gewimmel des Potsdamer Platzes hinunterschaute.

»Das ist kein Hund«, sagte Marion entschieden.

»Am Fußende schlafen lassen…«, wiederholte Nele grinsend und wandte den Blick ab.

»Jede Wette, dass du spätestens in zwei Jahren Enkelkinder hütest. Dann ist es vorbei mit der Ruhe, Dorothee«, spekulierte Eva. »Was sollen wir denn da sagen? Single ohne Anhang– wir sind es doch, die Angst vor dem Alleinsein haben sollten. Gerade neulich dachte ich, dass man sich rechtzeitig um eine Lösung für später kümmern muss. Ein vernünftiges Seniorenheim oder so, wenn die Luft nach oben hin dünner wird. Wenn die Einschläge näher kommen.«

»An so was denkst du, Eva? Mit zweiundvierzig? Ehrlich, ich finde, für solche Gedanken ist es echt zu früh!« Nele war überrascht. »Wer weiß, vielleicht finden wir alle noch unseren Prince Charming und heiraten!« Schwungvoll hob sie das Glas. »Heute ist mir mehr nach Sex and the City als nach Altersheimdiskussionen!«

»Sex and the City plus zehn Jahre minus Sex«, gab Eva zurück, ein bisschen verletzt, dass Nele ihre Gedanken nicht ernst nahm. »Und ein Prince Charming ist noch lange keine Garantie dafür, dass du im Alter nicht allein bist. Männer haben ein deutlich kürzeres Verfallsdatum als wir Mädels. Oder sie verschwinden irgendwann.« Sie fächelte mit den Händen, als löse sich vor ihr gerade ein Mann in Luft auf.

»Wie wahr«, sagte Julika trocken. »Plötzlich sind sie weg, und man weiß nicht, wo sie hin sind. Was bleibt, sind wir Frauen im mittleren Alter. Und viel Zeit zum Stricken.« Julika strickte leidenschaftlich gern.

»Frauen im besten Alter«, korrigierte Nele.

»Dann sollten wir uns schon mal nach einer geeigneten WG umschauen«, witzelte Dorothee, nun wieder munter.

»Nach einer WG?« Marion setzte sich auf. »Hey, das ist mal eine interessante Idee, Dorothee! Mit euch zusammenzuziehen– das wäre eine echte Perspektive.« Sie nippte an ihrem Glas.

In diesem Moment trat der Kellner erneut an ihren Tisch. Auf einem Tablett hatte er fünf winzige Tellerchen, die er vor sie platzierte. »Ein Gruß aus der Küche«, sagte er und trat einen Schritt zurück. »Streifchen vom Bio-Galloway auf Meerrettich-Mousse.«

»Bio was?«, fragte Eva, aber da war er schon wieder weg. Sie probierte. Es war lauwarmes zartes Rindfleisch. Zwei Bissen später war ihr Teller leer.

»Meine Wohnung ist groß genug. Fünf Zimmer. Da könnten wir zusammenziehen«, schlug Dorothee kauend vor.

»Nein, das ist zu klein«, sagte Marion entschieden und spießte einen Fleischstreifen auf. »Wir brauchen ein ganzes Haus. Mit einem großen Aufenthaltsraum für alle.«

Auch Eva begann sich für die Idee zu erwärmen. »Ich will einen Garten!« Sie liebte Pflanzen und war stolz auf ihren Dschungelbalkon.

»Ja, ein Haus mit Garten und einem tollen Nachbarn, der uns jederzeit zur Seite steht«, wisperte Nele, plötzlich ebenfalls im Bann der Wohnutopie. »Wenn mal die Regenrinne verstopft ist oder Schnee geschippt werden muss.«

»Eine Südterrasse wäre wunderbar«, schwärmte Julika und zog fröstelnd ihren bunten Kaschmirschal über die Schultern.

Mit Lolli war sie, wann immer möglich, in die Toskana gefahren. Dort kamen die Montecurris ursprünglich her, ein Großteil der Familie lebte auch noch in Italien. Julika liebte das Land, aber vor allem liebte sie die Wärme. Kälte war ihr ein Graus.

»Und eine schöne große Küche, in der wir sitzen, kochen und quatschen können«, sagte Dorothee versonnen.

»Ruhig muss es natürlich sein!«, schloss Marion. »Kein Kindergeschrei!«

Dann schwiegen sie alle fünf und schauten hinunter auf das winterliche Berlin, als würde das Haus, von dem sie sprachen, irgendwo da unten zwischen Philharmonie, Sony-Center und Tiergarten auf sie warten.

»Sagt mal…«, begann Eva nachdenklich, »…wie wäre es, wenn wir wirklich so etwas versuchen würden?«

»Ein Haus zu finden? Träum weiter«, meinte Nele. »Das kostet ein Vermögen.« Marion, Dorothee und Julika nickten.

»Wir müssen es ja nicht kaufen. Es gibt sicher irgendwen, der uns ein Haus vermietet. Der Fokus richtet sich doch immer mehr auf ältere Leute…«

»Ich bin nicht älter«, protestierte Nele.

»…die sich organisieren, die selbstbestimmt zusammen wohnen. Natürlich sind wir noch nicht alt, Nele. Aber irgendwann werden wir es sein, da macht es doch Sinn, schon mal vorzufühlen. Wir könnten ein Projekt daraus machen!« Jetzt war Eva Feuer und Flamme. »Komm schon, Nele, wir wissen doch von der Arbeit, wie Kampagnen organisiert werden. Texte und Grafiken gestalten, das können wir! Warum machen wir das nicht mal in eigener Sache statt immer nur für Titus?«

Sie und Nele arbeiteten seit drei Jahren zusammen in der Werbeagentur Frenz & Friends. Der Inhaber hieß Titus Frenz, und den Job als Texterin hatte Eva durch Nele bekommen, die dort Grafikerin war.

Julika tippte sich gedankenverloren an die Nasenspitze. »Ist gar keine schlechte Idee. Ich würde sogar noch weiter denken: Es gibt doch Leute, die keine Erben haben, aber ein Haus besitzen. Vielleicht würde sich der eine oder andere sogar freuen, wenn er es verschenken könnte.«

»Nun hör aber mal auf, Julika. So was passiert nur in Romanen. Ein Haus verschenken… Welche Farbe hat der Himmel eigentlich in deiner Welt?« Marions Wangen waren rosig, ihre Augen blitzten. Der Champagner wirkte endlich.

»Nein, jetzt mal ganz im Ernst. Wir könnten Annoncen schalten und es auch übers Internet laufen lassen. Was haben wir denn schon zu verlieren?«

»O ja, lasst es uns versuchen«, rief Dorothee begeistert.

»Und was wollen wir reinschreiben in so eine Anzeige?« Eva zückte einen Stift, griff nach einer Papierserviette und sah erwartungsvoll in die Runde.

»Fünf Frauen…«

»Nein, fünf Freundinnen fürs Leben…«

»Besser: Wir suchen…«

»Altbau…«

»Im Grünen…«

»Mit Garten…«

»Ruhig…«

»Am liebsten im Südwesten.«

Das kam von Marion. Sie wohnte im gediegenen Bezirk Wannsee, wo die Havel durch Berlin strömte, der Grunewald nicht weit war und man für Zweihunderttausend allenfalls etwas erstehen konnte, das als Hütte für Neles fiktiven Fußwärmhund infrage kam.

»Preiswert…«

»Viel Platz…«

»Ein hübscher Nachbar…«

»Stopp!«, rief Eva und wedelte mit der Serviette. »Mehr passt hier nicht drauf. Aber ich weiß auch so, was ihr meint. Ich denk mir was aus.«

»Ich auch«, sagte Nele und schaute so grüblerisch, als entwerfe sie bereits die Anzeige.

»Na, dann ist ja alles bestens«, bemerkte Julika zufrieden. »Mal sehen, was passiert. Vielleicht setzen wir sogar einen neuen Trend. Frauen-WGs werden Zukunft haben. Wer will schon im Alter allein in seiner Wohnung hocken? Das macht doch keinen Spaß! Man kann Kosten sparen, gegenseitig auf sich aufpassen und hat Gesellschaft. Und jetzt könnte das Essen allmählich kommen. Ich habe Hunger.«

Wie auf Befehl öffnete sich die Flügeltür der Küche. Gekonnt tänzelte der Kellner mit einer großen Platte in den Händen heraus und zwischen den Tischen hindurch, bis er zu den fünf Frauen kam, die ihm erwartungsvoll entgegenblickten.

2. Kapitel

Ein Optimist ist die menschliche Verkörperung des Frühlings.

Volksmund

Die Tastatur ihres Computers klapperte, als Evas Finger am nächsten Tag darüberflogen. Auch wenn Titus Frenz Stress wegen der Texte für die Sojamargarine-Kampagne machen würde, die er in einer Stunde haben wollte und die sie noch nicht fertig hatte: Das hier war wichtiger.

Sie legte den Kopf schräg und las:

Fünf Freundinnen suchen ein großes Haus im Grünen, in dem sie zusammen leben und alt werden können. Schön wären Garten und Terrasse und genug Platz für individuelle Wohnbereiche.

Sie schrieb noch dazu: Wie findest du das?

Dann gab sie als Empfänger [email protected] und klickte auf Senden.

Eine halbe Minute später mailte Nele vom Nachbarbüro:

Du hast den Nachbarn vergessen! Und sonst: irgendwie langweilig. Da geht noch was.

Stirnrunzelnd las Eva die Antwort. Das mit dem Nachbarn war natürlich Quatsch. Aber ein bisschen munterer– da hatte Nele recht. Das hier war viel zu brav. Wenn schon Kampagne, dann richtig!

Hausbesitzer mit Herz, Mut und ohne Erben gesucht! Wir sind: fünf Freundinnen im allerbesten Alter. Wir suchen: ein großes Haus, bevorzugt Altbau und im Südwesten, in dem wir gemeinsam älter werden können. Wir haben: viel Enthusiasmus, wenig Geld. Wir mögen: lachen, kochen, gärtnern, Kultur, fair spielen. Schön wären: Sonnenterrasse, Garten, nette Nachbarn. Wir warten: auf Ihre Nachricht!

Sie drückte auf Senden und vertrieb sich die Wartezeit bis zu Neles Antwort damit, über Sojamargarine nachzudenken. Diesmal dauerte es länger. Als die Antwort endlich eintrudelte, hatte Nele für den Text gleich ein Layout entworfen. Sie hatte sich was Nettes ausgedacht, eine Silhouette von fünf Frauenköpfen, die sogar ein bisschen realistisch war: Wellen (Nele), Locken (Eva), Mähne (Julika), Pagenschnitt (Marion) und Bob (Dorothee). Sie schrieb:

So muss es sein! Bei »Wir mögen« könntest du noch Prosecco anfügen, und streng genommen muss es »netter Nachbar« und nicht »nette Nachbarn« heißen. Aber sonst ist es perfekt! Schick es den anderen.

PS: Hast du schon eine zündende Idee für die doofe Sojamargarine?

Eva antwortete mit einem Nein und mailte den abgesegneten Text an Dorothee, Marion und Julika. Ohne den Hinweis auf Prosecco und die Forderung nach einem netten Nachbarn. Das klang ja, als seien sie männerhungrige Säuferinnen. Eine Kopie ging auch an ihre private Mailadresse. Schließlich sollte bei ihr alles zusammenlaufen. Sie wusste schon, wo sie die Anzeige schalten würde: in verschiedenen Berliner Stadtanzeigern, in der Zweiten Hand, im Internet bei Immoscout und bei Feierabend.de, einer Website für Senioren. Wenn sie zusammenlegten, würde es auch für ein paar Anzeigen in der Morgenpost und im Tagesspiegel reichen.

Eva griff erneut nach den Entwürfen und überflog die Resultate ihres Brainstormings: Cholesterin war gestern. Natur pur aufs Brot. Ab heute ess ich Öko. So schmeckt goldgelbgesund. Soja für alle! Bin ich Brot, will ich Soja. So gut, so gesund, So-Ja!…– Gott, das war alles so blöd.

Wie schon so oft kam Eva zu dem Entschluss, dass es schwer war, für etwas gut zu texten, hinter dem man nicht stand. Sojamargarine gehörte dazu. Sie stand auf Sauerrahmbutter. Wenn sie nur ein bisschen risikobereiter wären, würden sie und Nele sich selbstständig machen. Schon mehrfach hatten sie das besprochen. Genau genommen jedes Mal, wenn Titus nervte. Dann begann eine von ihnen ihr Mittagsgespräch stets mit dem Satz: »Stell dir vor, wir müssten nicht mehr diesen kommerziellen Schrott machen…«, um dann mit einem sehnsüchtigen Seufzen abzubrechen.

Bevor Eva etwas Besseres einfiel, trat Titus Frenz in ihr Büro, von den Budapester Schuhen über den schwarzen Kaschmirrolli bis hin zu den gegelten Haaren jeder Zentimeter so, wie er sich einen erfolgreichen Agenturbesitzer vorstellte. Eins musste Eva ihm lassen: Seine Selbstvermarktung stimmte.

Eva trug auch gern Schwarz. Es stand ihr, fand sie, sah gut zu ihrem dunklen Haar und den grünen Augen aus. Alle Farben passten dazu. Auch wenn sie als Kombifarbe am liebsten ebenfalls Schwarz wählte. Schwarz machte schlank, was hüfttechnisch sehr dafür sprach, und man sah kaum Flecken drauf. Außer Zahnpasta. Man sollte sich morgens die Zähne eben besser vor dem Anziehen putzen.

»Na, Eva, mein Girlie, meine hübsche Meistertexterin«, sagte Titus. »Dann zeig doch mal, was du Schönes für mich hast.«

Man spickte die Rede gern mit Anglizismen, und man duzte sich bei Frenz & Friends. Das gehörte in der Berliner Kreativszene dazu. Egal, wie alt man war. Egal, ob man schon altersweitsichtig war, weil man für Frenz bis nach Mitternacht auf den Monitor starren musste, egal, ob einem die Augen tränten und man Magentarot nicht mehr von Kobaltblau unterscheiden konnte, geschweige denn eine zündende Textidee hatte. Der Name Frenz & Friends war Programm: Man war hier mit allen befreundet, ob man wollte oder nicht.

Eva wollte nicht. Und sie wusste, dass Nele genauso dachte. Die Freundschaften in der Agentur hatten den Stellenwert von Facebook-Freundschaften. Lustige kleine Häppchen wurden einem hingeworfen, aber wehe, man wollte sich bei einem dieser Freunde Geld leihen!

Sie und Nele hatten schließlich drei echte Freundinnen und ein wichtiges Projekt an der Hand. Eva brannte darauf, es auf den Weg zu bringen.

3. Kapitel

Die Blumen des Frühlings sind die Träume des Winters.

Khalil Gibran

24. Januar

Liebe Eva Wedekind,

mit Interesse habe ich Ihre Anzeige in der Morgenpost gelesen. Ich bin dreiundachtzig Jahre alt, seit zwölf Jahren verwitwet und Finanzbuchhalter im Ruhestand. Gern würde ich mit Ihnen und/oder Ihren Freundinnen meine Dreizimmerwohnung in Berlin-Spandau teilen. Könnten Sie sich vorstellen, mit einem reiferen Herrn zusammenzuleben, der weiß, wonach sich Frauen sehnen? Und sind Sie und/oder Ihre Freundinnen vielleicht Krankenschwester oder Ärztin?

Ich freue mich auf Sie und/oder Ihre Freundinnen!

Herzlichst, Ihr Werner Meier

9. Februar

Sehr geehrte Frau Wedekind,

wir haben genau das Richtige für Sie! Unser aufstrebendes Baukonsortium hat kürzlich einen Plattenbau in Berlin-Marzahn gekauft. Wir planen, einzelne Apartments nach Luxus-Standard zu sanieren und diese dann zu veräußern. Mittelfristig ist vorgesehen, die restlichen Altmieter abzufinden und dieses Immobilienkleinod, verkehrsgünstig und zentral an der sechsspurigen Landsberger Allee gelegen, einer solventen Käuferschicht anzubieten. Da die Nachfrage schon jetzt größer als gedacht ist, sind nur noch wenige Apartments verfügbar. Aber fünf– für Sie und Ihre Freundinnen– sollten durchaus noch im Rahmen des Machbaren sein! Also zögern Sie nicht, greifen Sie zu!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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