Winterherz - Tania Krätschmar - E-Book
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Winterherz E-Book

Tania Krätschmar

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Beschreibung

Biologin Ella hat eine große Leidenschaft: Wölfe. Ihr großer Traum ist es, Hinweise auf die Tiere in der Schorfheide nordöstlich von Berlin zu finden. Auf einem ihrer Streifzüge lernt sie dabei den zurückhaltenden, geheimnisvollen Sander Engelbrecht kennen. Es beginnt mit einer kleinen Katastrophe – und entwickelt sich zu einer flammenden Romanze inmitten der Winterlandschaft. Aber Sanders heftige Abneigung gegen die Wölfe bedroht Ellas Glück. Sie ist fest entschlossen, ihn von sich und den Tieren zu überzeugen… Winterherz von Tania Krätschmar: Romantik pur im eBook!

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Seitenzahl: 369

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Tania Krätschmar

Winterherz

Roman

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Und nun trab ich [...]Um den Wolf zu [...]Vorwort1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel

Und nun trab ich und träume von Rehen,

Trabe und träume von Hasen,

Höre den Wind in der Winternacht blasen,

Tränke mit Schnee meine brennende Kehle,

Trage dem Teufel zu meine arme Seele.

 

Hermann Hesse, Der Steppenwolf

Um den Wolf zu zähmen, musst du ihn heiraten.

 

Französisches Sprichwort

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Vorwort

Ein Roman, in dem neben starken Gefühlen, Romantik und Humor ausgerechnet Wölfe eine Rolle spielen – warum denn das? Eine spannende Frage, auf die es ebenso spannende Antworten gibt.

Das Thema Wolf weckt Emotionen und polarisiert. In einer Zeitung habe ich neulich die Schlagzeile entdeckt: »Wölfe fünfzig Kilometer vor den Toren der Hauptstadt«. Was soll man da denken? Vielleicht das: Jetzt wird es aber höchste Zeit, etwas zu unternehmen! Wölfe so nahe den Menschen – das passt doch nicht. Da sind wir unseres Lebens nicht mehr sicher, wenn wir im Wald spazieren gehen. Denn Wölfe, das wissen wir schließlich alle, sind gefährlich!

Vielleicht denken wir aber auch, dass die Nähe von Wolf und Mensch in der Tat ein Problem ist, und zwar für den Wolf. Und wie schön es ist, dass einige dieser Tiere den Weg zurück nach Deutschland gefunden haben, wo sie hoffentlich fern von Straßen und Waffen friedlich leben können. Bis man sie ausrottete, gehörten sie schließlich hierher. Dass man sie verfolgte, geschah oft aus nicht realistischen Gründen: Am Anfang stand der Mythos. Noch immer wirft er seinen langen Schatten auf ein Tier, das sich zwar überwiegend von Wild ernährt, aber scheu ist und über die Jahrtausende gelernt hat, um den Menschen einen Bogen zu machen.

Passen Wölfe noch in unsere Zeit? Müssen wir tatsächlich Angst vor ihnen haben? Wo hört wildbiologisches Interesse über diesen Beutegreifer auf, wo fangen Fantastereien an? Ella und ich haben uns viele Gedanken über diese Fragen gemacht, und ich hoffe, dass wir einige davon beantworten können. Wenn es dazu führen sollte, dem Wolf eine fairere Chance einzuräumen, würde ich mich sehr glücklich schätzen.

Alle Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Für einige von ihnen gibt es allerdings Vorbilder, engagierte Menschen, die sich dem Erhalt der Natur verschrieben haben und sich für die Rückkehr der Wölfe einsetzen.

Ich danke Jana Schellenberg vom Kontaktbüro »Wolfsregion Lausitz«.

Imke Heyter, die Leiterin des Wildparks Schorfheide, hat meine neugierigen Fragen bei einer traumhaften Wintervollmondwanderung beantwortet, während die Wölfe heulten. Einige Monate später gab es im Wildpark Wolfswelpen. Auch die junge Tierärztin Claudia Cloidt, die sich um sie gekümmert hat, durfte ich befragen. Und dabei sogar eine kleine Wölfin auf den Arm nehmen!

Wer noch mehr über Wölfe wissen möchte, dem empfehle ich die großartigen Bücher von Erik Zimen und die mit neueren Erkenntnissen von David Mech.

Meiner Cousine Tini danke ich dafür, dass sie über Monate jede TV-Sendung über Wölfe aufgenommen hat, meinem Sohn dafür, dass er seine gesamten Jagdzeitschriften nach Artikeln über Wölfe durchforstet und mich mit Anekdoten über Jäger bei Laune gehalten hat. Bei Claudia bedanke ich mich dafür, dass sie das Winterherz freigegeben hat. Und danke auch an meine Lektorin Kathrin Wolf, die sich sehr für diesen Roman eingesetzt hat.

Sie heißt wirklich so.

 

Tania Krätschmar

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1. Kapitel

Ein Wolf!«

Eine helle Kinderstimme drang durch das geöffnete Fenster und lenkte schlagartig Sander Engelbrechts Aufmerksamkeit auf sich.

Er war eben in sein Büro gegangen, um Infomaterial über die Ziegelherstellung zu holen, das er der Lehrerin mitgeben wollte. Später, nach der Fahrt mit der kleinen Museumsbahn, die sie mit ihrer Klasse gerade machte. Die Tour durch das Gelände dauerte genau einundzwanzig Minuten, gestern noch hatte Sander die Zeit gestoppt. Für neugierige Fragen der kleinen Passagiere, die heute die Bahn offiziell einweihen durften, war seine Assistentin Karin zuständig, die mitgefahren war. Schade nur, dass der Reporter nicht rechtzeitig aufgetaucht war, den sie extra für heute eingeladen hatte.

Auf Sanders Schreibtisch standen mehrere Pappkartons. Sie waren gefüllt mit Heften über die Geschichte von Lehm und Ton, Bau- und Menschheitsgeschichte zugleich. Vor einigen Tagen hatte DHL sie direkt von der Druckerei zur Roten Burg geliefert, und sie waren genauso geworden, wie Sander es sich vorgestellt hatte: informativ, aber dank zahlreicher Cartoons, in denen ein abenteuerlustiger Ziegelstein die Hauptrolle spielte, witzig und anregend.

In diesem Moment erklangen weitere Rufe von draußen. »Ein Wolf, ein Wolf! Guck mal, da! Da drüben ist er!«, riefen jetzt mehrere Kinder durcheinander.

Stirnrunzelnd legte Sander die Hefte, die er gerade aus einem Karton genommen hatte, zurück und ging zum Fenster. Was machte ein Hund hier? Er hatte auf dem Gelände nichts zu suchen. Vielleicht war er einem Spaziergänger ausgebüxt, der ihn nicht an die Leine genommen hatte. Oder er war aus dem Dorf ausgerissen, das einen Kilometer entfernt war. So oder so – das ging nicht. Karin oder er würden ihn einfangen und einsperren müssen.

Er trat ans Fenster und beugte sich vor, um herauszufinden, was da draußen vor sich ging. Die schräg einfallenden Sonnenstrahlen blendeten ihn, und er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Das leise Schnurren der Elektrobahn, deren Gleise vor dem Hauptgebäude vorbeiführten, war verstummt – offenbar hatte sie angehalten. Dafür hörte er nun lautes Stimmengewirr. Es kam von links, und Sander wandte den Kopf in diese Richtung. Dort stand die blaue Bahn mit der Überdachung über den luftigen Waggons auf den Gleisen.

Er sah die Kinder, die aufgeregt von den Bänken aufgestanden waren und zu dem kleinen Hügel zeigten, der zu Zeiten der Ziegelproduktion der Wintervorrat an Ton gewesen war. Inzwischen war er längst von Gras, Wildkräutern und gelb blühenden Nachtkerzen überwuchert. Wenn man das Freiluftmuseum durch das Eingangstor betrat, war dieser Hügel das Erste, was man sah, und Sander hatte sich noch immer nicht entschieden, ob er ihn auf Dauer so lassen, abtragen oder in seinen ursprünglichen Zustand versetzen sollte.

Er erblickte die Lehrerin, die versuchte, die Kinder zu beschwichtigen und zur Ruhe zu bringen. Mit einer Handbewegung forderte sie sie auf, sich wieder zu setzen.

Er sah Karin in der Gruppe, unverkennbar mit ihrem wasserstoffblonden kurzen Haarschopf. Gerade holte sie ihr Handy hervor und tippte eine Nummer ein.

 

Und dann sah er ihn.

 

Einen sehr kurzen Moment lang glaubte Sander, dass er sich getäuscht haben musste, dachte an eine trügerische Luftspiegelung, die etwas zeigte, was es unmöglich geben konnte. Aber natürlich war das an einem mäßig kalten Novembertag, fern aller Wüsten, nördlich von Berlin unmöglich. Weshalb es keinen Zweifel gab und er das Bild, das sich ihm bot, als real akzeptieren musste:

Auf dem Hügel stand ein grauer Wolf. Der breite, dreieckige Kopf hatte die charakteristische helle Zeichnung um die Schnauze, die sich den kurzen Hals hinabzog. Die hohen Beine mit den breiten Pfoten waren von einem helleren Grau als der kompakte Körper. Mit gesträubtem Fell, das es noch größer aussehen ließ, als es ohnehin schon war, blickte das Tier in die Richtung der Gruppe, die Ohren angelegt. Am furchteinflößendsten aber war die wölfische Grimasse. Sogar aus dieser Entfernung sah Sander, wie der Wolf die Lefzen hochzog und das Gebiss mit den starken Reißzähnen entblößte.

Und dann duckte der Wolf sich und begann, langsam auf die Kinder zuzuschleichen. Es sah so aus, als wolle er jeden Augenblick losstürzen, in wenigen Sprüngen den Hügel hinter sich lassen, die Entfernung zur Gruppe überbrücken. Sie anfallen. Ein Kind zu Boden reißen. Es mit einem gezielten Biss in die zarte Kehle zur Strecke bringen, es wegschleppen und verschlingen. Er sah furchterregend aus.

Sander konnte es nicht hören, aber er war überzeugt, dass das Tier auch knurrte. Diejenigen, die dort unten standen, konnten es dagegen mit Sicherheit hören. Denn mittlerweile waren die Kinder verstummt. Es herrschte Totenstille.

Die Sekunden verstrichen. Mach was!, befahl Sander sich. Irgendetwas! Aber es ging nicht. Er konnte nur bewegungslos dastehen und zuschauen. Er starrte auf den Wolf und spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, langsam den Rücken hinunterlief. Wie tief in ihm ein leises Zittern begann. Ein Wolf. Ausgerechnet. Wenn er jetzt eine Waffe gehabt hätte … Ach, es hätte ihm nichts genutzt. Nie hätte er schießen können. Nie.

Doch endlich löste sich die verhängnisvolle Starre, die ihn im Griff gehabt hatte. Er riss sich von dem Anblick los, verließ das Büro, lief mit großen Schritten die Treppe hinunter. Unten angekommen, trat er vorsichtig aus der Eingangstür und blieb einen Moment stehen, um die Situation abzuschätzen. Die Bahn stand vielleicht fünfzig Meter entfernt, von dort waren es noch einmal schätzungsweise vierzig bis zu dem Hügel.

Langsam ging Sander im Schatten des Zuges auf die Waggons zu. Weder das Tier noch die Menschen schienen ihn zu bemerken, als er sie erreicht hatte. Zuerst sah Karin ihn. Sie kam vorsichtig näher. »Ist das nicht der Wahnsinn? Ein echter Wolf! Ich habe Werner angerufen. Er kommt, so schnell er kann«, flüsterte sie.

Jetzt konnte Sander auch das grollende Knurren des Tieres hören. »Wer ist Werner?«, fragte er leise.

»Werner Ossenski. Der Revierförster«, antwortete Karin.

Sander nickte. Karin vor einem halben Jahr einzustellen, als er beschlossen hatte, hier einen Neuanfang zu machen, erwies sich immer wieder als eine goldrichtige Entscheidung. Sie kannte nicht nur alle und jeden, sondern hatte offensichtlich auch deren Telefonnummern parat. »Ihr müsst alle schleunigst von hier weg«, sagte er.

»Ja, natürlich.« Karin tippte der Lehrerin auf die Schulter, die immer noch wie hypnotisiert den Wolf anstarrte. »Romy, wir gehen zurück in die Rote Burg, bevor was passiert. Komm, sag den Kindern Bescheid. Und sieh zu, dass sie ruhig sind! Nicht dass sie ihn noch erschrecken.«

Die Lehrerin drehte sich zu ihnen um. »Wo der wohl herkommt? Was für ein prachtvolles Tier«, sagte sie andächtig und sehr leise, aber Sander hörte es dennoch und verstand es nicht: Wie konnte sie diesen Wolf bewundern, der doch für ihre Schützlinge eindeutig eine Gefahr darstellte? Und wo sollte er schon herkommen – wahrscheinlich direkt aus der Hölle!

Vorsichtig ging Romy durch die Gruppe, deutete zu dem Gebäude, legte den Finger an die Lippen. Die Kinder schauten sie mit großen Augen an, manche ängstlich, andere so, als ob sie gerade den spannendsten Schulausflug ihres Lebens erlebten. Dann verließen sie gesammelt den Waggon, Romy vorn, die Schüler in der Mitte, Karin hinten.

Der Wolf löste sich aus der geduckten Haltung. Er drehte sich um, lief zurück zur höchsten Stelle des Hügels und legte sich dort hin, die Vorderpfoten weit von sich gestreckt, den Kopf wachsam gehoben. Die abziehende Gruppe ließ er nicht aus den Augen.

Und Sander ließ den Wolf nicht aus den Augen.

Als endlich alle wohlbehalten im Gebäude verschwunden waren, atmete Sander tief durch. Nichts sprach dagegen, dass auch er nun den Rückzug antrat. Aber er zögerte. Setzte sich stattdessen auf eine Holzbank in dem Abteil. Wie ein einsamer Passagier, der nicht aussteigen wollte, obwohl die Bahn schon längst ihr Ziel erreicht hatte.

Er wollte den Wolf weiter beobachten, um dem Förster Auskunft zu geben, wenn das Tier weglief. Am besten wäre es, wenn es dort blieb, bis dieser Werner kam.

Sander stützte einen Ellbogen aufs Knie, legte das Kinn in die Hand und wartete. Unwillkürlich musste er an die Stunden denken, die sie früher zu dritt auf dem Hochsitz verbracht hatten. Ewig hatten sie sich hingezogen. Im Sommer hatten ihn in der Dämmerung Mückenschwärme geplagt, im Winter waren ihm von der Bewegungslosigkeit, die ihm sein Vater befohlen hatte, abwechselnd Hände und Füße eingeschlafen. Manchmal war er eingenickt, um erschrocken wach zu werden, weil etwas im Unterholz geknackt und geraschelt hatte. Hier, in der Schorfheide, gab es auch reichlich Wild. Aber deshalb war er schließlich nicht hierhergezogen. Nichts lag ihm ferner als zu jagen. Er hatte nach etwas anderem gesucht, und als er vor gut sechs Monaten das Gebäude zum ersten Mal betreten hatte, hatte er sofort gewusst: Das ist es! Zwar war die Decke in den Räumen niedrig, so dass Sander manchmal unwillkürlich den Kopf einzog, wenn er durch die Tür trat. Früher waren hier die Ziegel getrocknet worden. Und weil er groß war, hätte er sich nach oben hin gelegentlich mehr Luft gewünscht.

Aber sein Zimmer machte alles wett. Es befand sich in einem halbrunden Turm aus rotem Backstein, der in der Mitte des Gebäudes hochragte. Der Mann, der ihm die Anlage gezeigt hatte, hatte sie schon bei der ersten Besichtigung Rote Burg genannt. Diesen Namen hatte Sander sofort übernommen. Das Rot im Namen hätte die politische Gesinnung des Erbauers bedeuten können, ein alter Sozi, der vielleicht ein Vermögen mit der Ziegelherstellung gemacht hatte. Aber genau wie das Rathaus in Berlin bezog es sich auf die Farbe des Baumaterials, hatte man ihm erklärt. Vom Turm aus hatte man einen großartigen Blick über das gesamte Gelände: auf die Tonstiche, dort, wo der Boden tief und weit aufgerissen worden war, um an die Vorkommen zu gelangen, die man für die Unmengen von Ziegeln gebraucht hatte. Nicht mehr genutzt, hatten sich die Stiche allmählich mit Wasser gefüllt, so dass eine künstliche Seenlandschaft entstanden war, mit ausgedehnter Schilfbewachsung an den Ufern und hohen Schwarzerlen. Davor breitete sich die alte Anlage mit den hohen Schornsteinen der Ringöfen aus, aus denen schon lange kein Rauch mehr quoll. Auf einem von ihnen hatten im Sommer Störche genistet. Sander hatte die ersten Flugversuche der Jungstörche beobachtet, die in ihrem Nest dank häufiger Froschfütterungen zunehmend kräftiger auf und nieder gesprungen waren, um Wind unter die Flügel zu bekommen. Bis sie sich schließlich eines Tages tollkühn vom Rand aus ins Leere gestürzt hatten. Als die vier Störche sich dann Ende August in den Himmel schwangen, hatte er ihnen nachgeschaut. Eine seltsame Melancholie hatte ihn erfasst …

 

Eine Bewegung riss ihn aus seinen Gedanken. Der Wolf sprang auf, als hätte ihn etwas erschreckt. Sander erwartete, dass er scheu weglaufen würde, die Schienen der Bahn überquerte. Vielleicht in Richtung Hafengelände, vielleicht zu den Stichen, vielleicht dorthin, wo die Bäume dichter standen. Aber stattdessen blieb er regungslos auf dem Hügel stehen, als wartete er auf etwas.

Die Minuten verstrichen – quälend langsam. Sander schaute kurz hinter sich zum Hauptgebäude. Die Kinder drückten sich die Nasen an den Fensterscheiben platt, ein kleines blondes Mädchen streckte ihm die Zunge raus. Gut, dass Karin die Fenster geschlossen hatte – der Lärmpegel da drinnen war inzwischen bestimmt beträchtlich angestiegen.

Er blickte auf seine Armbanduhr. Wo blieb der Förster? Über eine Viertelstunde war seit dem rätselhaften Erscheinen des Tieres bereits vergangen.

In diesem Moment fuhr ein dunkelgrüner Geländewagen auf dem Parkplatz vor und hielt. Er beobachtete, wie zwei grüngekleidete Männer ausstiegen und langsam das Gelände betraten, der Ältere so korpulent, dass seine Jacke gefährlich stramm über seinem Bauch spannte, der Jüngere drahtig. Der Ältere winkte ihm kurz zu, und er erwiderte den Gruß, vorsichtig darauf bedacht, sich nicht zu heftig zu bewegen.

Der Wolf hatte bei dem Geräusch des nahenden Autos wieder die geduckte, aggressive Haltung eingenommen. Er spreizte die Vorderpfoten, sträubte die Nackenhaare. Aber das würde ihm nichts nutzen. Sander sah, wie der jüngere der beiden sein Gewehr von der Schulter nahm. Der Ältere machte beschwichtigende Handbewegungen – warte noch, schienen sie zu bedeuten. Der Jüngere nickte, entsicherte trotzdem, legte an und zielte. Waffe mit Kipplauf und Zielfernrohr, dachte Sander automatisch und schaute in eine andere Richtung. Unbewusst wartete er auf einen Schuss …

Der nicht fiel.

Stattdessen hörte er, wie sich ein zweiter Wagen mit hoher Geschwindigkeit näherte. Er kam in sein Blickfeld, und Sander bemerkte, dass die Tür auf der Beifahrerseite sperrangelweit offen stand, obwohl der Wagen in einem rasanten Tempo fuhr. Bei jeder Bewegung schwenkte sie heftig vor und zurück. Es war der älteste VW-Bus, den Sander je gesehen hatte. Wäre er bunt bemalt gewesen, hätte er wie eines dieser Hippie-Fahrzeuge ausgesehen, die in den 70er Jahren gen Indien gerollt waren. Aber ohne Bemalungen und ohne psychedelische Farbspiralen war es einfach nur eine erbarmungswürdige Rostlaube.

Mit laut quietschenden Bremsen hielt der Bus direkt vor dem Tor. Die Tür auf der Fahrerseite wurde aufgerissen, und er hörte einen Schrei: »Nein! Nicht schießen! Die Waffe weg!« Der jüngere der beiden Förster ließ das Gewehr verwundert sinken.

Sander beobachtete, wie eine schlanke Frau hinter dem Bus hervor und durch das Tor gesprintet kam. Ihre wilde dunkle Lockenmähne wehte hinter ihr her, ihre offene Jacke flatterte im Wind, und selbst die schweren Wanderstiefel, die sie trug, minderten ihr Lauftempo nicht. Sie rannte zwischen den Förstern hindurch und schob sie dabei mit einer heftigen Bewegung zur Seite. Dann lief sie weiter auf den Hügel zu. Und während Sander sich noch wunderte, dass nicht wenigstens einer das Gewehr wieder hochnahm, um im Moment des Angriffs zu schießen, wenn der Wolf ganz sicher mit messerscharfen Zähnen nach der Frau schnappte, hörte er, wie sie laut rief: »Jack! Jack!«

Bei ihrem Ruf setzte sich der Wolf hin. Regungslos, die Ohren gespitzt, verharrte er in dieser Haltung, bis die Frau ihn erreicht hatte. Ungläubig sah Sander, wie sie vor dem Tier auf die Knie fiel. Dann umarmte sie das Raubtier, barg seinen schweren Kopf an ihrer Brust und küsste es behutsam zwischen seine Ohren, als sei es ein verloren geglaubter und in allerletzter Sekunde geretteter Freund.

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2. Kapitel

Jack, was machst du denn? Wie kommst du hierher? Du kannst doch nicht einfach abhauen«, murmelte Ella und vergrub ihr Gesicht in dem weichen Fell. Das Tier, dem die enge Berührung unangenehm war, versuchte sich aus ihrer Umarmung herauszuwinden. »Oh, das magst du nicht«, sagte Ella, die sein Missfallen spürte. »Hierbleiben musst du trotzdem, Alter.« Sie löste sich von ihm, hielt ihn jedoch weiter am Nackenfell fest. Mit ihrer freien Hand griff sie in die Tasche ihrer Jacke und zog ein Halsband mit Leine hervor. Rasch streifte sie es ihm um, nahm die dünne Metallkette in die Hand und stand auf. Dann klopfte sie sich das trockene Gras von ihren Jeans ab und wandte sich zum Eingang. Langsam ging sie auf die zwei Männer zu, die ihr entgegenblickten: der eine väterlich besorgt, der andere eher reserviert. Und dann sah sie einen dritten Mann, der mit großen Schritten schnell näher kam. In seinem Gang lag etwas absolut Zielgerichtetes.

»Danke, Werner«, sagte sie erleichtert, als sie den Förster erreicht hatte. »Danke, dass du mich sofort angerufen hast. Hattest ja recht, hätte ja auch ein echter sein können, klar. Super, dass du an mich gedacht hast! Der Wolf hätte aber mindestens Tollwut haben müssen, damit er sich so nah an Menschen rantraut. Aber es ist doch nur mein Jack. Hast du ihn nicht erkannt?«

Werner Ossenski schüttelte den Kopf. »Mensch, Ella, ich hab ihn doch erst einmal gesehen. Was soll ich denn denken, wenn ich so einen alarmierenden Anruf bekomme?«

Aber Ella hatte sich bereits dem anderen zugewandt. »Danke, dass Sie nicht geschossen haben. O Gott, danke, danke, danke.« Sie hatte Tränen in ihren Augen, als sie dem jüngeren Mann zunickte, der neben dem Revierförster stand.

»Sie müssen besser aufpassen«, sagte dieser streng und rückte sich die grüne Kappe gerade. »So etwas darf einfach nicht passieren. Wenn Sie nicht rechtzeitig gekommen wären, hätte ich schießen müssen. In so einer Situation, wo Menschen gefährdet werden könnten, haben wir keine Wahl.«

Ella sah ihn entrüstet an. »Ich habe doch gerade gesagt, dass Jack keinem Menschen was zuleide tun würde!« Ossenski unterbrach sie und fragte: »Was macht Jack denn überhaupt hier?«

»Keine Ahnung! Ich habe nur ganz kurz da hinten gehalten. Die Straße runter, bei dem Schäfer. Ich wollte ihm schnell von dem nächsten Vortrag erzählen, den ich nächste Woche in Liepe halte. Alles über die Sicherung von Herden. Wollte mal fragen, ob er nicht kommen will. Jack muss sich gegen die Tür geworfen haben. Vielleicht hat er nach mir gesucht. Das Schloss ist schon eine ganze Weile ziemlich klapprig, aber ich hab gedacht, das hält noch …« Sie zog nervös die schmalen Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.

»Würden Sie mir bitte freundlicherweise erklären, was das alles zu bedeuten hat?«, unterbrach der dritte Mann ihr Gespräch mit den beiden Förstern. Jack, der dicht neben Ella stand, zerrte an der Leine und knurrte, als er die tiefe Stimme hörte. Ella musterte den Mann: Er war groß, und wenn sie seine Figur mit dem Cordjackett, den Jeans und dem blauen, etwas zerknüllten Hemd richtig deutete, sehr sportlich. Wie ein Langstreckenläufer, dachte sie.

Aus der Entfernung hatte sie ihn für deutlich älter gehalten, als er tatsächlich war. Sein kurz geschnittenes Haar war wohl ursprünglich dunkel gewesen. Aber jetzt war es durchzogen von weißen Haaren und erweckte so den Eindruck, als sei er komplett grau. Er trug es kurz geschnitten und mit längeren Koteletten. Es bildete einen eigentümlichen Kontrast zu seinem jung wirkenden Gesicht. Mitte, höchstens Ende dreißig schätzte sie ihn. Scharf geschnitten waren seine Züge, glatt rasiert, mit einer ausgeprägten Nase, der Nasenrücken etwas verbreitert, und schmalen Lippen. Nicht wirklich schön, aber interessant. Ein Gesicht, das man nicht leicht vergaß. Aber als sie dann in seine hellbraunen Augen sah, trat Ella unwillkürlich einen Schritt zurück. So kalt war dieser Ausdruck, dass sie sofort spürte, wie mühsam er seine Wut unterdrückte. Sie ahnte, was kommen würde, und stählte sich schon mal dagegen.

»Das ist Ella Ridder«, begann der Förster. »Haben Sie noch nicht von ihr gehört, Herr Engelbrecht? Sie arbeitet für die Uni in …«

»Danke, aber für wen Frau Ridder arbeitet, interessiert mich herzlich wenig«, sagte Engelbrecht. »Mich interessiert allein, was dieser Wolf auf meinem Gelände zu suchen hat.«

»Jack ist kein Wolf«, antwortete Ella hitzig. »Jedenfalls kein reinrassiger. Er ist ein Wolfshybrid! Seine Mutter war ein Wolf, gut, das stimmt, aber der Vater war ein Hund. Ein Hund, hören Sie! Ich gebe zu, das ist nicht so leicht zu sehen, aber die Ohren, die verraten das.« Sie zeigte auf den Kopf, als Jack sie bei der Nennung seines Namens anschaute. »Hier, da fehlt diese schwarze Zeichnung am Innenohr. Und seine Augen, sehen Sie? Die sind dunkelbraun, nicht hell wie bei einem reinrassigen Wolf, und die Rute trägt er deutlich höher als es ein Wolf …«

Wieder schnitt Engelbrecht ihr das Wort ab. »Die Abstammung dieses Tieres interessiert mich auch nicht. Ich möchte wissen, was es hier zu suchen hat und wen ich dafür verantwortlich machen kann!«

»Aber ich versuche Ihnen doch nur zu erklären, dass …«

»Kommen Sie endlich zum Punkt!«, sagte er ungeduldig.

»Sie werden es nie erfahren, wenn Sie mich ständig unterbrechen«, erwiderte Ella heftig. Sie hasste es, wenn Männer ihr über den Mund fuhren. Wenn sie so taten, als seien sie allwissend und ihr haushoch überlegen, obwohl sie keine Ahnung hatten. Das hatte sie am Institut unzählige Male erlebt. Das war es auch, was ihrer letzten Beziehung den Rest gegeben hatte. Nur weil Armin einen Doktortitel hatte, hatte er sich intellektuell aufgespielt. Und am allermeisten ärgerte es sie, wenn diese Typen mit ihrer Borniertheit auch noch durchkamen! Aber nicht bei ihr, oh nein.

Ihr Einwand wirkte. Einen Moment lang hob Engelbrecht irritiert die dunklen Augenbrauen, dann holte er tief Luft und meinte: »Gut. Aber machen Sie es kurz – dort drinnen warten Schulkinder auf mich, denen ich eine Erklärung schuldig bin, warum sie nur knapp einem Massaker entronnen sind.«

Dieser Mann war einfach zu viel. Ella konnte ihr Temperament nicht länger zügeln. »Massaker, was für ein Blödsinn!«, sagte sie. »Hat Jack sich geduckt? Die Zähne gefletscht? Die Nackenhaare gesträubt? Das sind doch nur Zeichen dafür, dass er Angst hat! Nicht dass er gleich zum tödlichen Kehlbiss ansetzt, Sie Ignorant! Das ist Wolfssprache! Aber nein, davon haben Sie natürlich keine Ahnung! Ein Wolf – oh! Ein blutrünstiger Killer – herrje! Haben Sie den Kindern auch gleich das Märchen von Rotkäppchen vorgelesen, ja? Wollen Sie Jacks Bauch aufschneiden, um zu schauen, ob er eine Großmutter verschlungen hat? Menschen wie Sie sind es, die meine Arbeit unmöglich machen, die alles gefährden, für das ich mich einsetze!«

Aber noch während sie sich sprechen hörte, wusste sie, dass sie das Falsche gesagt hatte. Engelbrechts Gesicht wurde fahl, und seine Augen sprühten kaltes Feuer. »Ich verbiete mir diesen Ton! Ehrlich gesagt, interessiert mich Ihr Projekt keinen Deut. Aber was immer Ihre Aufgabe ist – Sie führen sie verdammt schlecht aus, wenn es damit endet, dass ein Tier, das haargenau wie ein Wolf aussieht, hier frei herumstromert und meine Museumsbesucher in Angst und Schrecken versetzt! Hier laufen Kinder rum, verdammt noch mal. Ich werde dafür sorgen, dass Sie nicht noch einmal Unheil anrichten können! Je früher Sie Ihr Projekt beenden, desto besser.« Er hatte sehr leise gesprochen, doch seine Botschaft war unmissverständlich klargeworden. Sogar Jack schien sie verstanden zu haben. Er knurrte abermals, fletschte die Zähne, so dass der Kiefer oberhalb der Reißzähne sichtbar war, und legte die Ohren an. Seinen Schwanz hatte er tief zwischen die Hinterbeine gezogen. Ella wusste, dass das eher ein Zeichen von Furcht als von Aggression war. Aber das jetzt auch noch diesem Mann zu erklären? Undenkbar. Inzwischen riss Jack so heftig an der Leine, dass Ella sie mit beiden Händen festhalten musste. Die beiden Förster traten respektvoll einen Schritt zurück.

Ella biss sich auf die Unterlippe. So schnell, wie ihre Wut gekommen war, verging sie auch wieder und machte nagender Besorgnis Platz. Die Situation war völlig aus dem Ruder gelaufen. Dieser Typ würde im Handumdrehen herausfinden, für wen sie arbeitete, und Ärger an der Uni war das Letzte, was sie im Moment gebrauchen konnte. »Können wir uns nicht irgendwie einig werden?«, fragte sie zögerlich. »Sehen Sie, so viel hängt von meiner Arbeit ab …« In diesem Moment fuhr ein schweres Motorrad auf dem Parkplatz vor, von dem schließlich ein Biker abstieg und seinen Helm abnahm. Ella beachtete ihn nicht weiter, sondern trat einen großen Schritt zurück, wobei sie rittlings über Jack stolperte. Er jaulte auf, als sie ihm versehentlich auf die Pfote trat. Noch während sie versuchte, die Balance zu halten, und gleichzeitig spürte, dass sie fiel, war Engelbrecht mit einem einzigen Satz bei ihr. »Vorsicht«, sagte er, packte sie hart am Arm und, weil sie trotzdem zu stürzen drohte, mit der Hand am Rücken und riss Ella nach oben, bevor sie auf den Boden aufschlug. Neben ihnen erklangen klickende Geräusche.

Hastig richtete Ella sich auf. Engelbrecht hatte sie sofort wieder losgelassen, und sie beide schauten in die Richtung, aus der das Klicken ertönte.

»Super. Das hätte man nicht besser stellen können«, sagte der dunkelblonde Mann in der schwarzen Lederjacke. Er hielt eine Kamera vor sein Gesicht und schaute zufrieden auf das Display. Mit raschen Daumenbewegungen klickte er sich durch seine Bilder.

»Wer zum Teufel sind Sie denn?«, fuhr ihn Engelbrecht an. Erleichtert registrierte Ella, dass er ihre Anwesenheit für einen Moment vergessen zu haben schien.

»Volker Wendt, vom Schorfheider Tageblatt«, gab der Mann gelassen zurück und pustete sich lässig eine Strähne aus der Stirn. »Ich bin hier zu einer Bahnfahrt geladen.«

»Ja, und kaum eine Stunde zu spät«, erwiderte Engelbrecht sarkastisch. »Haben Sie keine Uhr, oder was? Die Bahnfahrt ist vorüber. Wir brauchen Sie hier nicht mehr. Auf Wiedersehen.«

Wieder knurrte Jack bedrohlich. Schnell richtete der Reporter die Kamera auf ihn und drückte erneut auf den Auslöser. »Der sieht aus wie ein echter Wolf! Stark!«

»Das ist aber kein echter Wolf. Und er knurrt nur, weil er laute Geräusche und Aufregung nicht mag«, zischte Ella. Sie war es leid, von ignoranten, besserwisserischen Männern umgeben zu sein. Sie wollte nach Hause.

Aber Wendt schien ihr gar nicht zuzuhören. »Schade, dass schon alles vorbei ist. Dabei sah es eben so aus, als würde es jetzt erst richtig lustig werden.« Anzüglich grinste er in Ellas Richtung. »Pech gehabt. Die Bahnfahrt hat pünktlich und somit ohne Sie stattgefunden. Was wir hier noch zu erledigen haben, ist nicht für die Presse bestimmt«, gab Engelbrecht scharf zurück.

»Da kann man wohl nichts machen«, meinte Volker Wendt versöhnlich, aber in seinen Augen blitzte es auf.

Da hat sich dieser Engelbrecht wohl keinen Freund gemacht, dachte Ella, doch es hätte ihr nicht gleichgültiger sein können.

»Aber trotzdem danke für die Einladung. Ich bin gern gekommen. Es war sehr … informativ.« Der Reporter deutete eine flüchtige Verbeugung an und schlenderte, die Kamera über die linke Schulter gehängt, zu seinem Motorrad zurück. »Wenn Sie wieder mal eine tolle Story haben, brauchen Sie sich nur zu melden!«, rief er noch, bevor der Motor seiner Maschine aufheulte und er von dannen brauste.

»Und jetzt noch mal zu Ihnen, Frau Ridder.« Sichtlich ungehalten wandte Engelbrecht sich wieder an Ella. »Schreiben Sie mir Ihren Namen, Ihre Adresse und Telefonnummer auf«, sagte er, während er ein Stück Papier und einen Stift aus seiner Jackentasche zog. »Und versuchen Sie erst gar nicht, falsche Angaben zu machen.«

»Wollen Sie mir jetzt auch noch unterstellen, dass ich eine Lügnerin bin?«, fragte Ella ärgerlich. »Außerdem finde ich, Sie reagieren über, Herr Engelbrecht. Worüber wollen Sie sich eigentlich beschweren? Dass mein Haustier auf Ihrem Grundstück war? Aber bitte, wenn Sie wollen …« Sie versuchte, ruhig zu bleiben, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Hand leicht zitterte. Als sie fertig war, reichte sie Engelbrecht mit spitzen Fingern Zettel und Stift. Ohne einen Blick darauf zu werfen, steckte er beides achtlos in die Tasche seines Jacketts zurück.

»Komm, Jack«, sagte Ella und warf mit einer entschlossenen Bewegung ihre Locken zurück. Hocherhobenen Hauptes verließ sie das Gelände.

Die drei Männer schauten ihr und ihrem vierbeinigen Begleiter nach. Wortlos beobachteten sie, wie sie für Jack die Seitentür des Busses öffnete und sie sorgfältig hinter ihm schloss, wie sie die Beifahrertür zumachte und sich dagegenstemmte, bis diese einrastete, und schließlich hinter dem Steuerrad Platz nahm. Sie beugte sich über den Beifahrersitz und drückte den Türknopf herunter. Dann warf sie auch ihre Tür zu, und ohne die Männergruppe eines weiteren Blickes zu würdigen, ließ sie den Motor an und fuhr los.

Dann erst wandten die drei sich vom Parkplatz ab.

»Na, jetzt haben Sie Ella Ridder kennengelernt. Sie haben wohl noch nichts von ihr gehört?«, fragte Werner Ossenski gemütlich. Sander verneinte. »Als sie im letzten Jahr im Herbst hier anfing, waren unsere Zeitungen voll davon«, erklärte der Förster. »Kann gar nicht glauben, dass Sie noch nie über einen Artikel über sie gestolpert sind. Sie macht sich für Wölfe stark. Die, die wieder nach Deutschland einwandern. Meistens aus Polen. Gelegentlich zieht ja mal einer durch, aber bis jetzt haben wir in der Schorfheide noch kein Rudel. Sie war am Anfang ziemlich umstritten. Die Leute dachten zuerst, sie schleppt die Wölfe hier an, um sie auszuwildern. Aber das wollte sie nie.« Sander hörte nur mit halbem Ohr zu. Er hatte keine Lust, dem Förster zu erklären, dass sein Leben seit dem Umzug in die Schorfheide aus nur drei Dingen bestand: Arbeit. Arbeit. Und noch mehr Arbeit. Er hatte keine Zeit gehabt, sich darum zu kümmern, was in der Umgebung passierte. Das war Karins Aufgabe. Dafür hatte er sie eingestellt. Gelegentlich hatte er mal die Zeitung überflogen, aber eher den weltpolitischen Teil als die lokalen Nachrichten. Was offensichtlich ein Fehler gewesen war.

»Aber das war wahrscheinlich, bevor Sie hierhergezogen sind. Ich wette, dieser Reporter hat Ella auch gleich erkannt. Mittlerweile wird nicht mehr so viel über sie geschrieben«, fuhr der Förster fort. »Sie war bis jetzt wohl noch nicht so erfolgreich, wie sie dachte. Der letzte Riss bei uns wurde gemeldet, bevor Ella herkam. Hat ihn gerade um ein, zwei Monate verpasst. Na, vielleicht ist es auch besser so. Da hat ja jeder seine ganz eigene Meinung. Ein schwieriges Thema, wenn Sie mich fragen. Komm, Jörg, wir müssen los. Mal sehen, was das Schwarzwild hinter Joachimsthal heute wieder angestellt hat. Sind ja wie verrückt, seit sie sich den Bauch mit Eicheln vollschlagen können. Wahrscheinlich zu viel Energie. Wird bestimmt ein strenger Winter dieses Jahr.« Die letzten Worte sagte er zu dem jungen Mann neben sich. Beide wandten sich zum Gehen. Dann blieb Werner Ossenski nochmal kurz stehen und drehte sich zu Sander um. »Man nennt sie auch die Wolfslady«, sagte er. »Ist eigentlich ’ne ganz Nette. Ein bisschen zu wirbelig vielleicht. Ist ja auch kein Wunder. Sie kommt aus Berlin. Da sind ja alle so ein bisschen hektisch.«

»Ah«, sagte Sander, »die Wolfslady!« Er sagte es, als ob diese zwei Worte alles erklärten. Aber er begriff überhaupt nichts. Und Werner Ossenski machte auch keinerlei Anstalten, es ihm genauer zu erklären.

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3. Kapitel

Eine Viertelstunde später leuchtete die Sonne noch genauso hell am dunkelblauen Himmel. Ihre Strahlen fielen auf die Alleenbäume, und wo der Novemberwind das Laub noch nicht fortgerissen hatte, blitzte es vereinzelt golden auf. Das graue Band der Straße durchschnitt die hügelige Endmoränenlandschaft. Links und rechts erstreckten sich Felder. Die meisten waren abgeerntet, nur auf einigen von ihnen stand niedrig das Wintergetreide. Ein weitläufiger Schlag mit dicken Stoppeln verriet, dass hier Mais gestanden hatte, zur Freude einer großen Schar Kraniche. Sie stolzierten darauf herum und pickten emsig nach den Körnern, die bei der Ernte aus den reifen Kolben gefallen waren. Ihre großen grauen Vogelkörper und die langen Hälse hoben sich scharf gegen den Himmel ab.

Doch Ella warf ihnen im Vorbeifahren nur einen flüchtigen Blick zu. Himmel, Erde, Felder, Tiere – ausnahmsweise berührte sie die sanfte Naturschönheit nicht. Der heftige Wortwechsel mit diesem arroganten Museumsmenschen schwirrte ihr immer noch im Kopf herum. Was für ein kaltschnäuziger Typ das gewesen war! Aber am meisten ärgerte sie sich über sich selbst. Darüber, dass sie die Beherrschung verloren hatte. Nach nunmehr einem Jahr sollte sie die Vorbehalte der Menschen längst kennen und in der Lage sein, diplomatischer zu reagieren. Aber nein, stattdessen musste sie in die Luft gehen und unkontrolliert herumbrüllen. Nicht, dass Engelbrecht das nicht verdient hätte. Aber es war der Sache alles andere als dienlich und würde sie wahrscheinlich in ziemliche Schwierigkeiten bringen.

Nicht mal die Stones, deren Stimmen gerade aus dem Autoradio ertönten, konnten sie beschwichtigen. Und für »satisfaction« sorgten sie schon gar nicht. Wütend drückte sie das Gaspedal weiter herunter, als die Straße mit einem Mal in ein Waldstück eintauchte, dessen Kiefern-, Buchen- und Lärchenbäume bis an den Asphaltrand reichten. Der Weg vor ihr war in ein schummriges, dunkles Grün getaucht und bog sich zu einer haarnadelspitzen Kurve. Der VW-Bus beschleunigte, und Ella riss das Lenkrad herum. Auf den feuchten Blättern kam der Wagen ins Schlingern, und ihr blieb nichts anderes übrig, als auf die entgegenkommende Fahrspur auszuweichen, die zum Glück leer war.

Jack, der durch ihre hektische Aktion gegen die Wagenwand geschleudert wurde, jaulte empört auf. »Entschuldige!«, rief Ella nach hinten.

Als sich ihr Herzschlag einigermaßen beruhigt hatte, glitten ihre Gedanken wieder ab zu dem Vorfall auf dem Museumsgelände. Wie wohl ihr Vorgesetzter Fransing reagieren würde, wenn Engelbrecht seine Drohung wahr machte und sich wirklich über sie beschwerte? Sollte sie ihm zuvorkommen und gleich nachher im Institut anrufen? Andererseits wollte sie die Pferde nicht unnötig scheu machen. Denn natürlich hatte sie Engelbrecht weder ihre Telefonnummer noch ihren Arbeitgeber aufgeschrieben, das sollte er mal schön selbst herausfinden! Dass aber auch alles immer so kompliziert sein musste, dachte Ella und seufzte tief.

Vom ersten Tag an, als sie im November letzten Jahres ihr Domizil in der Schorfheide bezogen hatte, war ihr klar gewesen, dass sie sich keine leichte Aufgabe gestellt hatte: Finde mögliche Spuren von Wölfen, die hier durchziehen. Bekomme mit, was sie jagen, sei zur Stelle, wenn sich ein neues Rudel bildet. Koordiniere die Befürworter, stelle ein Netzwerk von Wolfsfreunden auf. Versuche, bei den Gegnern Verständnis zu wecken. Und vor allem: Mach niemanden kopfscheu, bevor die Wölfe da sind.

Ella hatte sich mit viel Enthusiasmus und Motivation in die Arbeit gestürzt. Immerhin hatte sie großartige Vorbilder, Kolleginnen, die weiter unten im Süden schon seit einigen Jahren den Bestand der dortigen Wölfe im Auge behielten.

Sie war so zuversichtlich gewesen und hatte sich unzählige Male vorgestellt, wie man sie anrufen würde: ein besorgter Bauer oder Schäfer, der einen Riss festgestellt hatte. Vielleicht sogar ein erschrockener Spaziergänger, dem ein Wolf über den Weg gelaufen war …

Doch das alles war nicht eingetreten, egal, wie weit sie gefahren war und mit wem sie gesprochen hatte. Anfang des Jahres hatte sie einmal geglaubt, eine Wolfsspur im Restschnee entdeckt zu haben, doch die Abdrücke waren zu undeutlich gewesen, und abgesehen davon, hatte sie ausgerechnet an diesem Tag weder Kamera noch Handy dabei gehabt, um Beweisaufnahmen zu machen.

Es war, als würde ihr Unternehmen unter keinem guten Stern stehen. Während des letzten Winters hatte es kaum geschneit. Kalten, trockenen Frost hatte es gegeben, dann wieder Tauwetter und viel Regen. Aber eine schöne, geschlossene Neuschneedecke, auf der sich Tierspuren deutlich ausmachen ließen? Nein. Die Förster, mit denen sie gesprochen hatte, hatten sich nie bei ihr gemeldet, und auch von den Jägern hatte sich keiner je an sie gewandt.

Sie warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Jack hatte sich wieder hingelegt. Ella dachte an den letzten Winter, als wider Erwarten doch etwas passiert war. An jenem kalten Nachmittag war die Sonne bereits hinter den Bäumen verschwunden. Der Wald hatte in dem silbrigen Dämmerlicht gelegen, das Ella so liebte, schön und zugleich ein bisschen unheimlich.

 

Dick in ihre Norwegerstrickjacke eingemummelt und mit einer doppelten Lage Wollsocken an den Füßen saß sie vor ihrem Computer und vertiefte sich in eine Dokumentation über Wölfe, wobei sie sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich einmal ein Rudel in freier Wildbahn beobachten zu können. Zwischendurch nahm sie kleine Schlucke von dem heißen Tee, den sie auf ein Stövchen neben sich gestellt hatte. Wenn der Ostwind um die Blockhütte heulte, war es schwer, sie richtig warm zu bekommen.

Erschrocken fuhr sie zusammen, als es plötzlich laut an der Tür klopfte.

Als sie öffnete, stand ein fremder Mann vor ihr. Er war drahtig und klein, mit dunklen Augen und schwarzem, halblangen Haar, das strähnig unter seiner roten Basecap hervorlugte. »Galanta« stand darauf, und der Schriftzug kam ihr irgendwie bekannt vor. Er trug eine alte, dick gefütterte Jacke im Flecktarnmuster, die Jeans hingen locker an seiner schmalen Figur herunter. Seine Stiefel waren aus grobem Leder, mit Schäften aus grauem Filz. Alles in allem ein bisschen ärmlich und ungepflegt, fand Ella. Für einen kurzen Moment dachte sie an ihr Gewehr, das nachlässig in einer Ecke lehnte.

»Ja, bitte?«, fragte sie.

»Heiße Gabor, guten Tag«, sagte er, und im selben Atemzug: »Sie mögen Wölfe. Sie Wolfslady. Ich habe gehört. Leute haben erzählt.«

Südöstlich von hier, dachte Ella. Ungarn. Rumänien. Oder noch weiter, vielleicht Moldawien. »Mögen« war nicht das richtige Wort, fand sie, doch sie hatte keine Lust, den Fehler richtigzustellen. Ihr Interesse war vor allem wissenschaftlicher Natur, und sie sehnte sich danach, die Tiere in ihrem Lebensraum zu erforschen.

»Ja, manche nennen mich Wolfslady. Wieso? Wissen Sie etwas, das für mich interessant sein könnte?«, fragte sie neugierig. Den Spitznamen hatte ihr ein Reporter während eines Interviews verpasst. Sie hatte ihn albern gefunden. Aber auch ein bisschen schmeichelhaft und für ihre PR-Arbeit nicht schlecht.

»Nein. Aber ich habe das hier.« Er griff in seine Jacke und zog ein kleines Fellbündel heraus. »Ist halb Wolf, halb Hund«, sagte er. »Zwei Wochen alt. Wir ihn nicht brauchen im Zirkus. Mutterwolf gestern tot gegangen. Sie ihn nehmen, hier.« Er hielt ihr das Tier am Nackenfell entgegen. Es zappelte bei dem Versuch, sich aus dem derben Griff zu befreien. »Wenn Sie nicht wollen, dann er kommt weg.« Er machte eine Handbewegung, die bei aller Unbestimmtheit keinen Zweifel daran ließ, wie das Tier sein baldiges Ende finden würde.

Jetzt wusste Ella wieder, wo sie den »Galanta«-Schriftzug gesehen hatte. Außerhalb des nächsten Dorfes hatte ein kleiner Zirkus sein Winterlager aufgeschlagen, auf einer Wiese neben einem Sportplatz. Ihr waren die vielen kleinen Wagen aufgefallen, das rotgestrichene Holz, das hell aus dem trüben Wintergrau herausleuchtete. Das Zelt war schäbig, wie immer bei diesen jämmerlich verarmten Zirkussen, an denen sich nur kleine Kinder freuen konnten, während den Erwachsenen das Lachen im Halse stecken blieb.

»Sie haben die Mutter im Käfig gehalten?«, fragte sie den Mann.

»Ja. Hat nicht lange gelebt.« Er zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Wir sie mitgebracht aus Rumänien. Hin und her gerannt nachts, hin und her. War viel zu ängstlich, nicht gut für Zirkus. Besucher fanden das nicht schön.« Das konnte Ella sich allerdings vorstellen: eine Wölfin, die in einem Käfig kauerte, um in den Pausen von den Besuchern als wildes Tier bestaunt, wahrscheinlich sogar mit Popcorn beworfen zu werden, und die dabei vergeblich versuchte, sich zu verstecken. Halb wahnsinnig vor Angst. Bei dem Gedanken krampfte sich ihr Magen zusammen.

»Es ist eine Mischung zwischen Hund und Wolf? Was für ein Hund denn?«, fragte sie und strich über das weiche Fell. Mit seiner winzigen rosa Zunge leckte ihr das Tier über die Hand.

»Papa tschechoslowakischer Wolfshund. Von unserem Direktor. Mag Wölfe. Großes Tier. Hat mit Wölfin …« Er machte eine obszöne Geste. »Hier, Sie nehmen«, wiederholte er und versuchte ihr das Tier in den Arm zu drücken.

»Hey! Moment mal!«, rief Ella und wich einen Schritt zurück. »Das geht nicht! Wissen Sie, was passiert, wenn ich einen Wolfshybriden halte? Ich riskier, dass man mich von meinem Job abzieht. Es ist nicht legal, Wolfsmischungen zu halten! Kommt ü-ber-haupt nicht in Frage!«

»Bei uns viele Leute haben Halbwölfe. In Karpaten«, sagte der Mann verständnislos. »Sind wie Hunde. Nur wilder und größere Zähne. Gut im Käfig. Dann kein Einbrecher am Haus.« Er grinste, und ein Schneidezahn glänzte golden.

»Das ist überhaupt nicht gut«, antwortete Ella entschieden. »Das ist Tierquälerei. Das Wölfische kommt bei Mischlingen immer raus. Sie haben Angst vor Menschen! Und manchmal werden sie auch gefährlich. Ein Privatzoo ist das Letzte, was ich jetzt noch brauchen kann.«

Abwehrend hob sie die Hände und sagte entschieden: »Bitte nehmen Sie das Tier wieder mit. Ich will es nicht. Auf Wiedersehen.« Sie schlug die Tür zu und fühlte sich schrecklich. So ähnlich wie damals, als kleines Mädchen in Schwerin. Jedes Tier hatte sie mit nach Hause genommen, Mäuse, Vögel, einfach alles. Einmal hatte sie einen Spatzen gefunden, der sich das Bein gebrochen hatte. Beim Versuch, es zu verarzten, hatte sie es plötzlich in der Hand gehalten. Dasselbe fassungslose Gefühl überkam sie jetzt wieder, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.

Ella setzte sich wieder an den Schreibtisch, trank einen Schluck Tee und versuchte, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Bis plötzlich ein Geräusch von draußen hereindrang. Sie hob den Kopf und lauschte. Es kam von links, wo die schmale Veranda der Blockhütte endete. Dort, wo die grüne Regentonne stand, die das Wasser aus dem Fallrohr auffing, das von der Regenrinne nach unten floss.

Entschlossen stand sie auf und ging hinaus. Während sie sich der Tonne näherte, hörte sie ein klägliches Fiepen. Vorsichtig lehnte sie sich über die Verandabrüstung und spähte nach unten. Sie sah eine gefrorene Lache – und den kleinen Halbwolf, der verzweifelt versuchte, sich aus seinem engen Gefängnis zu befreien. Auf dem spiegelglatten Untergrund rutschten ihm die Pfoten weg, und er prallte mit der Schnauze gegen die Wand.

Wie gemein, ihn einfach hier auszusetzen, dachte Ella entrüstet. Vorsichtig fischte sie den Welpen aus der Tonne und nahm ihn auf den Arm. Dunkel, fast schwarz war sein Fell, und seine Augen strahlten so hellblau wie ihre eigenen. Sofort fing der Kleine an, nach einer Zitze zu suchen. Und weil er nicht fündig wurde, versuchte er es weiter oben, an Ellas Gesicht, ihrem Ohrläppchen, bis er sich schließlich in ihren Haaren verstrickte. Sie lachte und zog ihn ein Stückchen herunter. »Du hast Hunger, was? Wenn deine Mama gestern gestorben ist, hast du ja schon eine ganze Weile nichts mehr bekommen«, sagte sie.

Und natürlich war es entschieden: Sie konnte den Kleinen nicht zurück zum Zirkus bringen und ebenso wenig zu einem Tierarzt, der ihm eine tödliche Spritze verpassen würde. Das ging einfach nicht mit jemandem, der einen am Ohrläppchen geknabbert hatte.

Also beschloss sie, ihm den guten, alten Wolfnamen Jack zu geben und ihn eigenhändig aufzuziehen.

Sie baute ihm ein Gehege hinter dem Haus, füllte endlose Formulare aus, um seine Existenz zu legalisieren, und dachte sich dabei kühne Begründungen aus, wie die Beobachtung seines Verhaltens in ihre Forschungen einfließen sollte. Sie führte ihn zu langen Spaziergängen aus, ließ ihn dabei niemals von der Leine, und alles war gutgegangen – bis heute.