Evangelien vom Sonntag - Ferdinand Rohrhirsch - E-Book

Evangelien vom Sonntag E-Book

Ferdinand Rohrhirsch

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Beschreibung

Der zweite Band enthält weitere Auslegungen der Sonntagsevangelien, die vom Autor in den vergangenen Jahren in der Kirchengemeinde St. Josef in Esslingen am Neckar gehalten wurden. Neben den Auslegungen ist wiederum das betreffende Evangelium des Sonntags aufgeführt. Die Auslegungen ziehen den Text in die Gegenwart. Sie sprechen keine Helden des Glaubens an, sondern sind für Menschen gedacht, die mit ihren Zweifeln und Nöten ihren Alltag nicht nur im Geist Jesu Christi ertragen, sondern aus seinem Geist heraus, in Freude und Zuversicht, gestalten wollen. Die Auslegungen eignen sich für eine Abendreflexion, wie für eine meditative Pause, mitten im Alltag.

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Seitenzahl: 195

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Evangelien vom Sonntag

Auslegungen für die Woche – Band II

www.tredition.de

Gewidmet

Herrn Pfarrer Stefan Karbach,

der mir sein Vertrauen schenkte,

in seiner Gemeinde das Wort des Herrn auszulegen.

Ferdinand Rohrhirsch

Evangelien vom Sonntag

Auslegungen für die Woche Band II

www.tredition.de

© 2016 Ferdinand Rohrhirsch

Esslingen, Deutschland

Fotografien zur Umschlaggestaltung

und im Text: Ferdinand Rohrhirsch

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift

© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-7323-2943-4

Hardcover

978-3-7323-2944-1

e-Book

978-3-7323-2945-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Der Advent

Das Evangelium nach Lukas 3,1-6

O Heiland, reiß die Himmel auf

Das Evangelium nach Lukas 3,10-18

Advent und Wüste – Zeit und Ort der Besinnung, nicht der Besinnlichkeit

Das Evangelium nach Matthäus 1,18-24

Die Geburt Jesu

Die Weihnachtszeit

Das Evangelium nach Lukas 2,1-14

Der Herr ist da, in der Sehnsucht, die sich in uns regt

Das Evangelium nach Lukas 2,41-52

Der junge Jesus im Tempel

Die Fastenzeit – österliche Bußzeit

Das Evangelium nach Markus 9,2-10

Verwandlung – über dem Alltag, für den Alltag

Das Evangelium nach Johannes 4,5-42

Die Frau am Jakobsbrunnen

Die drei österlichen Tage vom Leiden, vom Tod und von der Auferstehung des Herrn und die Osterzeit

Das Evangelium nach Johannes 18,1-19,42

Vom Leiden und Sterben des Menschen(-sohnes)

Das Evangelium nach Johannes 20,19-31

Thomas und die Schwierigkeiten mit der Frage nach der „Realisierung“ der Auferstehung

Das Evangelium nach Johannes 13,31-33a.34-35

Ein neues Gebot gebe ich Euch

Das Evangelium nach Johannes 14,15-21

Zusage eines Beistandes

Das Evangelium nach Markus 16,15-20

Christi Himmelfahrt

Pfingsten

Das Evangelium nach Johannes 14,15-16.23b-26

Der Geist des Herrn – ist nicht der gesunde Menschenverstand

Die Sonntage im Jahreskreis

Das Evangelium nach Markus 1,7-11

Johannes und Jesus

Das Evangelium nach Johannes 1,29-34

Sohn Gottes – Lamm Gottes

Das Evangelium nach Lukas 1,1-4;4,14-21

Geschichte und die Geschichte Jesu

Paulus an die Korinther (1 Kor 13,4-13)

Glauben und Lieben im Alltag

Das Evangelium nach Markus 2,1-12

Heilung und Vergebung in närrischer Zeit

Das Evangelium nach Lukas 14,25-33

Vom Ernst der Nachfolge

Das Evangelium nach Markus 9,30-37

Ethik und Glaube sind verschieden und betreffen doch denselben Menschen

Das Evangelium nach Lukas 18,9-14

Vom Pharisäer und vom Zöllner

Das Evangelium nach Lukas 21,5-19

Zeichen des Untergangs – was ist daran „Frohe Botschaft“?

Nachweise:

Der Autor

Einführung

Liebe Leserinnen und Leser!

Danke für Ihr Interesse an den Auslegungen der Sonntagsevangelien. Ihre Ermutigung und Ihr Zuspruch zum ersten Band haben mich veranlasst, das zweite Bändchen mit weiteren Auslegungen aus den vergangenen Jahren, zügiger zu veröffentlichen, als es zunächst geplant war.

Im ersten Band habe ich erzählt, wie ich als bayerischer Schwabe zum schwäbischen Bayern wurde, wie ich den Weg von Offingen an der Donau über den Ulmer Hauptbahnhof mit einem zweijährigen Fachoberschulaufenthalt in Krumbach (Schwaben) über Eichstätt im Altmühltal, nach Esslingen am Neckar gefunden habe. Ich habe erzählt, wie wir, meine Frau Renate, Simon – unser Sohn, und ich, zuerst nach St. Paul gehörten und mit dem Umzug in die Kolpingstraße im Jahr 2001 zu Mitgliedern der Pfarrgemeinde St. Josef wurden. Wie es zur Begegnung mit Pfarrer Winfried Häberle kam und zu seiner Einladung an mich, in St. Josef das Evangelium auszulegen. Seither sind einige Jahre ins Land gezogen. Herr Pfarrer Karbach wurde der Nachfolger von Pfarrer Häberle und Herr Pfarrer Huber ist der Nachfolger von Pfarrer Karbach geworden.

Immer mehr stellt sich nach gut 15 Jahren das Gefühl ein, dass wir Teil der Gemeinde von St. Josef geworden sind.

Simon ist seit über zehn Jahren Ministrant in St. Josef und hilft immer noch als Mesner aus, wenn „Not am Mann“ (d. h. bei Frau Alexandra Kohl) ist. Auch wenn durch sein Studium und einen damit verbundenen Wohnungswechsel die Gelegenheiten seltener werden, dass wir zu zweit am Altar dienen, empfinde ich gerade deshalb diese Konstellation, als ein besonders schönes Zeichen der Verbundenheit der Familie mit unserer Gemeinde.

Ein paar Sätze zu den Auslegungen seien noch angeführt. Zu Beginn waren die Predigten Stichwortpredigten. Doch schon sehr schnell wandelten sie sich zu ausformulierten Ansprachen, die sich über einen Entstehungszeitraum von ca. vier Wochen hinziehen. In dieser Zeit lese ich täglich den betreffenden Evangeliumsabschnitt und hoffe, dass sich das weiße „Blatt“, das sich am PC-Monitor zeigt, mit sinnvollen und ansprechenden Sätzen füllt. Bisher hat es immer irgendwie geklappt. Mehr als fünf Seiten dürfen es nicht sein. Sonst wird die Ansprache zu lang und dann wird sie schlecht, egal wie gut sie ist.

Der Schwerpunkt liegt auf der Auslegung des Evangeliums, wobei die Texte der Lesungen gelegentlich hineinfließen, jedoch nicht zwingend.

Die Reihung der abgedruckten Texte folgt im Großen und Ganzen, dem Verlauf des Kirchenjahrs. Das Büchlein beginnt also mit den Texten, die im Advent gelesen werden. Danach wartet Weihnachten auf die Gemeinde und anschließend geht es in großen Schritten durch die Fastenzeit auf Ostern mit seinem Abschluss, dem Pfingstfest, zu. Dann folgen die „Sonntage im Jahreskreis“.

Die Texte, die wieder aus unterschiedlichen Jahren stammen, habe ich in dem Stil belassen, in dem sie zum Vortrag kamen. Das heißt, dass die grammatikalische Struktur des Textes eine untergeordnete Rolle spielt. Die Kommas bzw. Satzzeichen dienen in erster Linie dazu, den Redefluss zu bestimmen. Sie dienen nicht vorrangig der Absicht, die Sätze grammatikalisch zu gliedern. Bei Zweifeln lesen Sie am besten mit lauter Stimme und nutzen die Kommas als Betonungshilfe, dann kommt der Sinn (hoffentlich) von alleine.

Danken möchte ich wiederum meinem Sohn Simon, der sich, kompetent und konsequent, den Fehlern und Unstimmigkeiten der Texte annahm. Die noch vorhandenen Fehler „verdanken“ sich, wie im ersten Band, meiner Nachlässigkeit.

Frau Schierle von der Katholischen Bibelanstalt, Stuttgart, sei gedankt, für die erneute Genehmigung, die Texte des Neuen Testaments nutzen zu dürfen. Gedankt sei dem Kirchengemeinderat von St. Josef und vielen anderen. Besonders möchte ich Herrn Pfarrer Gerhard Huber für seine stets freundliche und wohlwollende Unterstützung danken. Die Landschaftsfotos sind in der Umgebung von Esslingen (an der Katharinenlinde) und Neuhaus (Ostsee) aufgenommen worden.

Dieselbe Bitte, die ich schon im ersten Band geäußert habe, möchte ich erneut vorbringen. Gut ist es, wenn Sie vor jeder Auslegung den Text des jeweiligen Abschnitts des Evangeliums lesen. Sollten Sie in Ihrer anschließenden Besinnung auf das Evangelium nicht mehr dazu kommen, die sich anschließende Auslegung zu lesen, dann ist das leicht zu verschmerzen.

Das Evangelium ist und bleibt das Maß.

Ich wünsche Ihnen nun viel Freude mit diesem Bändchen.

Esslingen am Neckar, Ostern 2016

Ferdinand Rohrhirsch

Ich, dein Gott, bin

Der Advent

Das Evangelium nach Lukas 3,1-6

1Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; 2Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.

3Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündigte dort überall Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden. 4(So erfüllte sich‚) was im Buch der Reden des Propheten Jesaja steht:

Eine Stimme ruft in der Wüste:

Bereitet dem Herrn den Weg!

Ebnet ihm die Straßen!

5Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken.

Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.

6Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.

O Heiland, reiß die Himmel auf

Liebe Brüder und Schwestern!

Unsere Orgel hilft uns beim Singen, sie verhilft zum Stimmen und Klingen unserer Stimmen. Unsere Stimmen werden durch ihre Hilfe gerundet und vereint. Laut, gar durchdringend, werden unsere Stimmen dadurch nicht.

Wir, als Gemeinde von St. Josef, bleiben eine kleine, im Ablauf der Weltgeschichte unbedeutende Veranstaltung, abseits der Metropolen, in mehrfacher Weise in der Diaspora, gelegen.

Wer etwas zu sagen hat oder meint, etwas sagen zu müssen, der geht nach Berlin oder London, nach New York oder Brüssel oder in eine andere Metropole der Welt.

Dort ist man am Puls der Zeit, am Nabel der Welt, wo Politiker, Ökonomen, Medienleute, Trendforscher und Prominente den Lauf der Zeiten bestimmen und sagen, was man heute anzuziehen und zu denken hat und wie die Welt vorangebracht werden kann.

Esslingen, und damit auch St. Josef, sind da ganz weit weg.

Wir sind auch weit weg von Rom. Dort regiert seit kurzer Zeit Romano Prodi, vor ihm war der Medienzar Berlusconi am Ruder und ein wenig früher Kaiser Tiberius (14-37 n. Chr.)

Kaiser Tiberus hat, wie seine Nachfolger, mit der Expansion des Römischen Reiches zu tun, mit Feldzügen und der Niederschlagung von Aufständen.

Ganz weit weg von Rom, an der östlichsten Ecke dieses römischen Riesenreiches wandert ein scheinbar Verrückter durch die Gegend. Er wandert durch die Wüste und ruft zum gelingenden Leben auf.

Zu einem Leben,

in dem der Menschen Straßen und Lebenswege gerade werden.

in dem die Einbrüche und Ausbrüche unseres Lebens zum Ausgleich kommen.

in dem die Berge und Täler unserer Zwietracht und unseres Neides mit der Niedergeschlagenheit und Verzweiflung unseres Lebens versöhnt und in Einklang kommen.

Da ruft einer auf, zum glücklichen, heilbringenden Leben aller Menschen, weil, so verkündet er, „Gott sein Heil uns senden wird in der Gestalt eines Messias“.

Und die Wichtigen in Jerusalem, und erst recht die in Rom, kennen diesen Johannes überhaupt nicht. Hätten sie Kunde von ihm, dann würden sie vermutlich laut lachen bzw. den Kopf schütteln über diesen Gutmenschen, diesen Romantiker, diesen Naivling.

Denn im richtigen Leben geht es um Expansion, um die Schaffung von Imperien und Reichen. Und da muss man eben in Kauf nehmen, dass manch Reiche noch reicher und die vielen Armen noch ärmer werden.

Geändert hat sich nichts: Expansion heißt heute Wachstum, bzw. Vergrößerung von Marktanteilen, und reicher werden heißt: Optimierung der Wertschöpfungskette.

Und der Verrückte aus der Wüste Juda sagt zu den Leuten, die fragen, was man denn tun soll, durch und durch Normales, ganz und gar nichts Absonderliches:

Wenn ihr zwei Mäntel habt, gebt einen denjenigen, die keinen Mantel besitzen.

Vom Essen sagt er dasselbe. Er sagt nicht, dass wir alles geben sollen, sondern von dem, was wir entbehren können.

Den Zöllnern sagt er nicht, sie dürfen überhaupt keinen Zoll mehr erheben, sondern so viel, wie ihnen vorgeschrieben ist.

Dennoch, so einer stört dann irgendwann doch. Sein Ende kennen wir. Ist es nicht verwunderlich, dass seine abseitige und unzeitgemäße Rede immer noch gehört, gelesen und studiert wird?

Mehr als ein Jahrtausend nach Johannes, ist die Welt noch ein wenig unübersichtlicher geworden. Nicht nur die Armen klagen – wie immer – und die Wohlhabenden schauen – wie üblich –, wie sie noch wohlhabender werden, sondern, und das ist nun neu: Die Botschaft vom Reich Gottes wird zum Politikum. Die Botschaft Jesu wird zur Machtsteigerung und zum Machterhalt eingesetzt. Der konfessionelle Glaube wird zum Grund, andere zu verfolgen oder zu töten, weil sie Protestanten oder Katholiken sind.

1621 finanzieren die Niederlande, England und Dänemark protestantische Armeen. Diese sollen gegen die katholischen kaiserlichen Heere zu Felde ziehen.

1622 kommt es zum spanischen Feldzug gegen die Niederlande, der Hexenwahn ist auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung. Wie ein Feuer, das alle Vernunft verbrennt, breitete er sich aus und erfasst alle Schichten der Bevölkerung. Auch theologische Fakultäten und juristische Gremien waren willfährige Helfer.

Einem jungen Geistlichen, der die Prozesse begleitete und die Methoden erlebte, unter denen Menschen alles gestanden, was man ihnen unterstellte, wurde immer schmerzlicher bewusst, dass die Beweisführung dieser Prozesse mehr als zweifelhaft war. Denunziationen sind Tür und Tor geöffnet. Anklagen aus bloßer Vermutung, aus Neid oder Habgier waren an der Tagesordnung. Und wer der Folter widerstand, war dazu nur in der Lage, weil er unter dem Schutz dunkler Mächte stand – und ist somit schuldig. Und wer der Folter nicht widerstand der hatte ja durch sein Geständnis bewiesen, dass er schuldig ist.

Wer einmal in den Fängen der Inquisition war, das erkannte der junge Theologe schmerzlich, der kann ihr überhaupt nicht mehr entkommen.

So wird er wohl wieder einmal in seine Stube geflüchtet sein, die Kämpfe der christlichen Parteien im Auge, die Schreie und das Stöhnen der Gequälten im Ohr, aufgebracht und erregt über das, was er – gerade im Namen des Herrn – an Unheil, an Schmerz, an Leiden und Tod heute und so viele Tage vorher mitbekommen hatte.

Und weil seine Stimme nicht nur leise ist, sondern auch weit weg ist von den Zentren der Macht, reißt er in seiner Hilflosigkeit die Schreibfeder aus dem Tintenfass und ruft mehr zu Gott als dass er schreibt:

„Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?

Darauf sie all ihr Hoffnung stellt.

Hier leiden wir die größte Not.

Vor Augen steht der ewge Tod.“

Und dann, in zwei Sätzen und einem nicht mehr zu vergessenden Bild, fasst er die Summe seiner Gedanken, seines Flehens, seines Glaubens und Bittens zusammen, und formuliert das, was „Advent“ eigentlich und wesentlich bedeutet.

„O Heiland reiß die Himmel auf,

herab herab vom Himmel lauf.

Reiß ab vom Himmel Tor und Tür,

reiß ab wo Schloss und Riegel für.“

(Gotteslob, Nr. 231).

Die Adventsansage des Johannes, sein Aufruf zur Umkehr wie auch das Adventsflehen des Friedrich von Spee haben so gar nichts Romantisches an sich.

Sie sind im Grunde ein hoffendes Erwarten. Ein Erwarten, das nicht davon ausgeht, dass die Welt und ihre Gesetze anders werden, sondern dass wir – in aller Not und Angst, in unserem Suchen nach Halt und Orientierung – uns nicht vom Lauten, Schnellen und vermeintlich Erfolgreichen irremachen lassen sollen.

Dass wir auf der Seite der Verrückten bleiben, die im vermeintlich Ohnmächtigen, im Stillen, im Glanz der Sterne sich den Weg weisen lassen, der jenseits des Erfolges oder Misserfolges liegt.

Dass wir uns an die Zusage desjenigen halten, der den Weg, den Gott mit uns vorhat, schon gegangen ist und es sich an ihm gezeigt hat, dass Gott niemanden fallen lässt und verloren gibt, dass er die Seinigen nicht hängen und nicht liegen lässt, an keinem Kreuz und in keinem Grab.

Durch alle Dunkelheit unseres Lebens hindurch, dürfen wir auf dies endgültige Aufreißen des Himmels begründet hoffen, mehr noch, die Ankunft dieses Reiches jetzt schon feiern.

Unsere Messfeier überragt nicht den Lärm der Welt, unsere Eucharistie vollzieht sich nicht mit lautem Getöse.

Wohl aber mit fester Stimme und mit der Unterstützung unserer Orgel, die das Licht der Zuversicht übersetzt, in den Klang und die Gestimmtheit eines glaubenden Erwartens jener endgültigen Ankunft, von der Lukas, Johannes und Jesaja heute im Evangelium sagen:

„Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.“

Amen.

Das Evangelium nach Lukas 3,10-18

10Da fragten ihn [Johannes] die Leute: Was sollen wir also tun?

11Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso.

12Es kamen auch Zöllner zu ihm, um sich taufen zu lassen, und fragten: Meister, was sollen wir tun?

13Er sagte zu ihnen: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist.

14Auch Soldaten fragten ihn: Was sollen denn wir tun? Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold!

15Das Volk war voll Erwartung und alle überlegten im Stillen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei.

16Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.

17Schon hält er die Schaufel in der Hand, um die Spreu vom Weizen zu trennen und den Weizen in seine Scheune zu bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.

18Mit diesen und vielen anderen Worten ermahnte er das Volk in seiner Predigt.

Advent und Wüste – Zeit und Ort der Besinnung, nicht der Besinnlichkeit

Liebe Brüder und Schwestern!

Wie jedes Jahr zu dieser Zeit sind sonderbare Vorgänge zu beobachten. Sie kommen auch tagsüber, aber vorwiegend in Zeiten der Dämmerung und der Dunkelheit. Selten kommen sie alleine. Zumeist bringen sie Verwandte und Bekannte mit. Aus allen Richtungen nähern sie sich der Stadt. Widerstand ist zwecklos. Die Besinnlichkeitspilger sind wieder unterwegs.

In Bussen und Bahnen wallfahren sie zu den Weihnachtsmärkten im Land, darunter auch nach Esslingen, zum hiesigen Weichnachts- und Mittelaltermarkt.

Wie jedes Jahr offeriert er Besinnlichkeit: sei es mit Musik und Attraktionen, sei es mit Kalorien- und Fettbomben für Frau und Kind, sei es mittels hochgeistiger Getränke für die männlichen Erwachsenen. Besinnlichkeit bis zur Übelkeit, ja gelegentlich bis zur Besinnungslosigkeit.

Wie jedes Jahr haben auch Groß- und Einzelhandel besinnlich romantisch aufgerüstet: Leere Schachteln, schön verpackt, liegen in den Schaufenstern.

Wie jedes Jahr wirbt auch das Unternehmen Fressnapf für ein Festtagsmenü, das den anspruchsvollen Hund bzw. die verwöhnte Katze garantiert zufriedenstellt.

Und, auch wie jedes Jahr, wird dieser lärmende, schreiende, aufgeregte und aufgesetzte Besinnlichkeitswahn von der Adventsliturgie konsequent ignoriert und außen vor gelassen.

Nichts ist bei uns da, als im Grunde Dunkelheit und Dämmerung, die heute von drei Kerzen durchbrochen werden. Weitausreichendes Dunkel hier, ist gar nicht so weit entfernt von grenzenloser Leere dort, wo Johannes sich aufhält, in den kargen, öden, wüstenähnlichen Gebieten Judäas

Es ist kein Zufall, dass Johannes in der Liturgie des Advents seinen Platz hat. Die Kirche hat früh erkannt: Johannes und Advent gehören zusammen.

Johannes macht in aller Deutlichkeit, ja Schroffheit, etwas klar, was in unseren Zeiten immer mehr verwechselt wird: Besinnlichkeit hat mit Besinnung nichts zu tun.

Johannes ruft auf zur Besinnung, nicht zur Besinnlichkeit. Besinnung, so sagt es der Philosoph Martin Heidegger, ist der Mut, die Wahrheit der eigenen Voraussetzungen und den Raum der eigenen Ziele zum Fragwürdigsten zu machen. (Vgl. Martin Heidegger, Gesamtausgabe Bd. 5, Holzwege, Die Zeit des Weltbildes, S. 75).

Besinnung ist Aufruf zur erneuten Entscheidung.

Und Advent ist die Zeit und Wüste der Ort der Entscheidung. Für Fragen der Art: Wollen wir weiterhin glauben? Was, und vor allem wem sollen und wollen wir glauben?

Zuzugeben ist: Die Attraktivität der Botschaft des Johannes ist nicht sonderlich konkurrenzfähig gegenüber den Angeboten vom Breuninger-Land, vom Wertheim-Village oder von Mode Wagener. Denn diese und die anderen sagen: Kauf dich glücklich. Nur wer mehr hat, ist auch wer.

Und Johannes? Er sagt das Gegenteil und eigentlich nur das, was wir eh schon wissen. „Gib von deinem Überfluss, handle redlich und mach dir klar: Dein Leben hat ein Ende.“ Das sagt er schnörkellos und gradlinig.

Ja, er sagt noch etwas, das noch einmal die Attraktivität seiner Botschaft dramatisch reduziert.

Johannes sagt von sich selbst, dass er nur in die zweite Reihe gehört, dass er nicht der Messias ist. Viele hätten es gerne gehabt, wenn er gesagt hätte, dass er der Messias sei. Denn dann hätten sie auf den Richtigen gesetzt. Doch er tut ihnen diesen Gefallen nicht. Die Konsequenz ist, dass sich viele von ihm abwenden.

Es gibt diese Leute, die immer und zu allen Zeiten nur mit dem Geschäftsführer, nur mit dem Chefarzt, nur mit dem Werkstattleiter, nur mit dem Meister Kontakt haben wollen. Alles darunter ist unter ihrem Niveau.

Es gibt heute nur noch wenige Menschen, die von sich selbst sagen, dass sie in die zweite Reihe gehören. Johannes ist so einer. Und doch lässt sich auch Jesus von Johannes taufen. Der Messias nimmt Bezug auf die Propheten und die Geschichte Israels. Er sieht sich in deren Fortsetzung. Und wir Christen glauben, dass er diese Reihe vollendet, d. h. zur Erfüllung gebracht hat.

Für die Juden ist immer noch Advent. Für uns Christen ist er, seit Jesus für uns zum Christus geworden ist, grundsätzlich durchbrochen. Wir leben, so gesehen, nicht mehr in der Wüste und nicht mehr in der Dunkelheit.

Doch realistisch gesehen ist unsere Welt seither nicht heller geworden. Das weltpolitische wie private Durcheinander hat nicht abgenommen. Was früher die Griechen und die Römer waren, sind heute Amerikaner und Chinesen.

Realistisch gesehen ist die Welt genauso verrückt wie immer, nur geht heute alles schneller – und deshalb fällt es eher auf.

Wie verrückt, ja geradezu manisch, suchen wir nach Geborgenheit, nach Erlösung und Erleuchtung. Und kommen diese nicht sofort, dann auf zum nächsten Heilsbringer, zur nächsten Botschaft, zum nächsten Sinnfindungsseminar.

Warten, Geduld haben, gar sich mit etwas abfinden – sich freiwillig in die zweite Reihe stellen – unvorstellbar.

Unsere drei Kerzen reichen nicht aus. Und auch wenn es nächste Woche vier Kerzen sind, wird ihr Schein nicht ausreichen, diese Welt vernünftig zu beleuchten, d. h. sie mit Vernunft zu erhellen.

Mit der Auferstehung des Herrn ist der Advent durchbrochen. Unser persönlicher Advent aber dauert an – solange wir leben. Wir sind noch nicht dort, wo wir meinen hinzugehören. Wo wir hingehören, wissen wir so genau auch nicht. Wir möchten eine Zukunft, in der wir keine Angst haben müssen, in der wir uns sicher, aufgehoben, willkommen und geliebt wissen.

Für solch eine zukünftige Heimat haben wir immer nur die Bilder unserer damaligen Kindheit. Mit Hilfe der Bilder unserer Kindheit wissen wir, wie sich Heimat anfühlen könnte. Heimat war – die Mutter in der Küche, der Geruch und der Geschmack von Plätzchen im Haus und auf der Zunge, das Feuer im Ofen, heiß und auflodernd, und draußen der Schneefall, der alles ins Sonderbare und Wunderbare verwandelte. Das kalte Bett, das sich allmählich erwärmte, während man den Schneeflocken zuschaute, die, am Fenster vorbei, bei uns reinschauten und grüßten von einer Welt, die nur von Kinderaugen gesehen werden konnte.

Realistisch gesehen hatte das mit dem sog. Ernst des Lebens nichts zu tun. Aber eben diese kindlichen Realitäten ließen aus Kindern Menschen werden, die Schicksalsschläge, Vertreibung, Krieg und Zerstörung überlebten.

Ließ aus Kindern Menschen werden, die des Lebens Widrigkeiten und Grausamkeiten standhielten und an ihnen nicht verzweifelten, weil sie, gegen alle technisch-ökonomischen, gesellschaftlich-politischen Tatsachen dieser Welt, sich ihren Glauben nicht nehmen ließen, den Glauben, dass es eine andere, eine bessere Welt gibt.

Dieser Glaube hat sie getragen. Der Glaube, dass das eigene, kleine, unbedeutende Leben von Gott gewollt ist, und gegen allen Anschein und gegen alle sog. Fakten dieser Welt es sicher ist, dass es mit uns gut ausgehen wird, weil der Herr es will, dass es mit uns gut ausgeht.

Das ist seit der Geburt des Jesus von Nazaret realer als alles Geschwätz von denen, die ihre Sätze anfangen mit „Fakt ist …“ und dann auf die Realitäten dieser Welt verweisen, und damit begründen wollen, warum wir uns mit dem Hunger, mit der Armut und der Ungerechtigkeit in dieser Welt abfinden sollten.

„Factum est“ heißt: es wurde gemacht, es ist gemacht worden. „Es begab sich …“, so beginnt die Weihnachtsgeschichte, und mit ihr beginnt die Erzählung unserer Rettung. Diese Rettung ist das Faktum, und sonst gibt es keines. Mit diesem Faktum dreht und wendet sich alles. Das ist es, was wir im Advent, glaubend, durch die vier Sonntage hindurch, bekennen.

In manch alten Bildern, die die Geburt Christi darstellen, ist es taghell, obwohl es Nacht ist. Keine Kerze brennt, kein Mond leuchtet, keine Sonne scheint. Realistisch gesehen müsste alles dunkel sein, und doch ist es, wie gesagt, taghell – weil alles Licht von einem, sehr kleinen, Menschen ausgeht.

Ein sonderbarer Gott. Er holt uns hier nicht weg – er kommt zu uns. Er kommt zu uns – mitten ins Dunkel.

Unser Glück ist nicht zu fassen – nur zu glauben.

Amen.