Evermore - Der blaue Mond - Alyson Noël - E-Book
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Evermore - Der blaue Mond E-Book

Alyson Noel

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Beschreibung

Lange war Ever nicht mehr so glücklich. In Damen hat sie ihre große Liebe gefunden. Eine Liebe, die niemand mehr zerstören kann. Doch dann wird das Glück der beiden auf eine harte Probe gestellt. Damen wird von einer Krankheit befallen, die seine Kräfte schwinden lässt und scheinbar einen anderen Menschen aus ihm macht. Immer mehr wendet er sich von Ever ab. Sie bricht auf in das geheimnisvolle Sommerland, um eine Möglichkeit zu finden, Damen und ihre Liebe zu retten.

Band 2 der erfolgreichen Evermore-Serie von Alyson Noël.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

AURA-FARBEN

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG

SECHSUNDZWANZIG

SIEBENUNDZWANZIG

ACHTUNDZWANZIG

NEUNUNDZWANZIG

DREISSIG

EINUNDDREISSIG

ZWEIUNDDREISSIG

DREIUNDDREISSIG

VIERUNDDREISSIG

FÜNFUNDDREISSIG

SECHSUNDDREISSIG

SIEBENUNDDREISSIG

ACHTUNDDREISSIG

NEUNUNDDREISSIG

VIERZIG

EINUNDVIERZIG

ZWEIUNDVIERZIG

DREIUNDVIERZIG

VIERUNDVIERZIG

FÜNFUNDVIERZIG

SECHSUNDVIERZIG

SIEBENUNDVIERZIG

ACHTUNDVIERZIG

NEUNUNDVIERZIG

FÜNFZIG

EINUNDFÜNFZIG

DANKSAGUNG

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Leseprobe

Impressum

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Über dieses Buch

Lange war Ever nicht mehr so glücklich. In Damen hat sie ihre große Liebe gefunden. Eine Liebe, die niemand mehr zerstören kann. Doch dann wird das Glück der beiden auf eine harte Probe gestellt. Damen wird von einer Krankheit befallen, die seine Kräfte schwinden lässt und scheinbar einen anderen Menschen aus ihm macht. Immer mehr wendet er sich von Ever ab. Sie bricht auf in das geheimnisvolle Sommerland, um eine Möglichkeit zu finden, Damen und ihre Liebe zu retten.

Band 2 der erfolgreichen Evermore-Serie von Alyson Noël.

Alyson Noël

Evermore –Der blaue Mond

Aus dem Englischen vonMarie-Luise Bezzenberger

FÜR JESSICA BRODY,

die so wahnsinnig begabt ist,und das in so vieler Hinsicht,dass es einfach nicht fair ist!

Every man has his own destiny;

the only imperative is to follow it, to accept it,

no matter where it leads him.

Henry Miller

AURA-FARBEN

ROT:

Energie, Kraft, Zorn, Sexualität, Leidenschaft, Furcht, Ego

ORANGE:

Selbstbeherrschung, Ehrgeiz, Mut, Bedachtsamkeit, Willensschwäche, apathisch

GELB:

Optimistisch, glücklich, intellektuell, freundlich, unschlüssig, leicht zu beeinflussen

GRÜN:

Friedlich, heilend, Mitgefühl, hinterlistig, eifersüchtig

BLAU:

Spirituell, loyal, kreativ, empfindsam, liebenswürdig, launisch

VIOLETT:

Hochgradig spirituelle Weisheit, Intuition

INDIGO:

Wohlwollen, hochgradig intuitiv, auf der Suche

ROSA:

Liebe, Aufrichtigkeit, Freundschaft

GRAU:

Depression, Traurigkeit, Erschöpfung, wenig Energie, Skepsis

BRAUN:

Habgier, selbstbezogen, rechthaberisch

SCHWARZ:

Mangelnde Energie, Krankheit, unmittelbar bevorstehender Tod

WEISS:

Vollkommenes Gleichgewicht

EINS

Mach die Augen zu und stell es dir vor. Siehst du's vor dir?«

Ich nicke mit geschlossenen Augen.

»Stell sie dir genau hier vor, vor dir. Sieh es vor dir, die Form, die Beschaffenheit, die Farbe – hast du's?«

Ich lächele und halte das Bild in meinem Kopf fest.

»Gut. Und jetzt streck die Hand aus und berühre sie. Ertaste sie mit den Fingerspitzen, lass ihr Gewicht in deinen Handflächen ruhen, und dann bring alle deine Sinne zum Tragen – Sehen, Tasten, Riechen, Schmecken –, kannst du sie schmecken?«

Ich beiße mir auf die Lippe und unterdrücke ein Kichern.

»Hervorragend. Und jetzt verbinde das alles mit Fühlen. Glaub daran, dass das, was du dir vorstellst, genau vor dir existiert. Fühle es, sieh es, berühre es, schmecke es, akzeptiere es, manifestiere es!«, sagt er.

Also tue ich es. Ich tue all das. Und als er aufstöhnt, öffne ich die Augen, um es mir anzusehen.

»Ever.« Er schüttelt den Kopf. »Du solltest doch an eine Orange denken. Das hier ist was anderes.«

»Stimmt, er sieht nicht so saftig aus.« Ich lächele meine beiden Damens an – das Ebenbild, das ich vor mir manifestiert habe und die Version aus Fleisch und Blut neben mir. Beide sind gleich groß, dunkelhaarig und sehen so umwerfend gut aus, dass sie gar nicht wirklich zu sein scheinen.

»Was soll ich nur mit dir machen?«, fragt der echte Damen und versucht, eine verdrossene Miene aufzusetzen, was jedoch völlig misslingt. Seine Augen verraten ihn immer; in ihnen ist nichts anderes als Liebe zu lesen.

»Hm ...« Mein Blick wandert zwischen meinen beiden Freunden hin und her – einer echt, einer herbeigezaubert. »Ich denke, du könntest mich ganz einfach küssen. Oder wenn du zu viel zu tun hast, dann könnte ich auch ihn hier fragen, ob er das übernimmt. Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hätte.« Mit einer Geste zeige ich auf den manifestierten Damen und lache, als der lächelt und mir zuzwinkert, obwohl seine Umrisse verblassen und er bald verschwunden sein wird.

Der echte Damen jedoch lacht nicht. Er schüttelt nur abermals den Kopf und sagt: »Ever, bitte. Du musst das ernst nehmen. Es gibt so vieles, was ich dir beibringen muss.«

»Warum hast du's denn so eilig?« Achselzuckend schüttele ich mein Kissen auf und klopfe auf den freien Platz neben mir; ich hoffe, dass er zu mir kommt. »Ich dachte, wir haben nur Zeit und sonst gar nichts.« Ich lächele erneut. Und als er mich ansieht, wird mein ganzer Körper warm, und der Atem stockt in meiner Kehle. Und unwillkürlich frage ich mich, ob ich mich wohl jemals an seine verblüffende Schönheit gewöhnen werde – an seine glatte, bräunliche Haut, das braune, glänzende Haar, das vollendet geformte Gesicht und den schlanken, muskulösen Körper –, das vollkommene dunkle Yang zu meinem blassen, blonden Yin. »Ich glaube, du wirst feststellen, dass ich eine sehr eifrige Schülerin bin«, füge ich hinzu, und mein Blick begegnet seinen Augen – zwei Brunnen von unergründlicher Tiefe.

»Du bist wirklich unersättlich«, flüstert er und kommt auf mich zu, ebenso sehr von mir angezogen wie ich von ihm.

»Ich versuche nur, verlorene Zeit gutzumachen«, murmele ich, immer so versessen auf diese Augenblicke, auf die Gelegenheiten, wenn wir allein sind und ich ihn nicht mit jemand anderem teilen muss. Nicht einmal das Wissen, dass die gesamte Ewigkeit vor uns liegt, macht mich weniger gierig.

Er beugt sich vor, um mich zu küssen, und hat unseren Unterricht offensichtlich vergessen. Sämtliche Gedanken ans Manifestieren, ans Aus-der-Ferne-Sehen, an Telepathie – all dieser paranormale Kram wird von etwas sehr viel Unmittelbarerem verdrängt, als er mich rücklings in die Kissen drückt und meinen Körper mit dem seinen bedeckt; unsere Leiber verschlingen sich umeinander wie zwei Ranken, die die Wärme der Sonne genießen.

Seine Finger schlüpfen unter mein Top und gleiten dann über meinen Bauch bis zum Rand meines BHs, während ich die Augen schließe und flüstere: »Ich liebe dich.« Worte, die ich früher für mich behalten habe. Doch nachdem ich sie zum ersten Mal ausgesprochen habe, habe ich kaum noch etwas anderes gesagt.

Ich höre sein leises, gedämpftes Aufstöhnen, als er den Verschluss meines BHs öffnet, so mühelos, kein Herumfummeln, keinerlei Unbeholfenheit.

Jede Bewegung, die er macht, ist so anmutig, so vollkommen, so ...

Vielleicht zu vollkommen.

»Was ist denn los?«, fragt er, als ich ihn wegschiebe. Sein Atem geht in kurzen, flachen Stößen, während sein Blick den meinen sucht; um die Augen herum ist sein Gesicht angespannt und verschlossen, auf jene Art und Weise, an die ich mich schon gewöhnt habe.

»Gar nichts ist los.« Ich wende ihm den Rücken zu, ziehe mein Top zurecht und bin froh, dass ich die Lektion, meine Gedanken abzuschirmen, erfolgreich absolviert habe, denn das ist die einzige Art, die es mir erlaubt zu lügen.

Seufzend erhebt er sich vom Bett, verwehrt mir das Kribbeln seiner Berührung und die Hitze seines Blicks, als er vor mir auf und ab marschiert. Und als er endlich stehen bleibt und sich zu mir umdreht, presse ich die Lippen zusammen; ich weiß, was als Nächstes kommt. Das hatten wir alles schon.

»Ever, ich versuche doch nicht, dich zu drängen oder so. Wirklich nicht.« Besorgte Falten zeigen sich auf seiner Stirn. »Aber irgendwann musst du darüber hinwegkommen und akzeptieren, wer ich bin. Ich kann alles manifestieren, was du dir wünschst, dir telepathisch Gedanken und Bilder schicken, wenn wir nicht zusammen sind, mich von jetzt auf gleich mit dir ins Sommerland absetzen. Was ich aber nicht tun kann, ist, die Vergangenheit ändern. Die ist einfach so, wie sie ist.«

Ich starre auf den Boden, komme mir sehr klein und unbedeutend vor und schäme mich furchtbar. Es nervt mich, dass ich so unfähig bin, meine Eifersucht und meine Unsicherheit zu verbergen, dass sie so offensichtlich und leicht zu erkennen sind. Denn ganz gleich, was für einen mentalen Schutzschild ich auch errichte, es nützt nichts. Er hatte sechshundert Jahre lang Zeit, das Verhalten der Menschen zu studieren – mein Verhalten zu studieren –, und ich nur siebzehn.

»Lass mir ... Lass mir einfach noch ein bisschen Zeit, mich an all das zu gewöhnen«, sage ich und zupfe an einer ausgefransten Naht an meinem Kissenbezug herum. »Das ist doch alles erst ein paar Wochen her.« Ich zucke die Achseln und denke daran, wie ich vor weniger als drei Wochen seine Exfrau getötet habe, wie ich ihm gesagt habe, dass ich ihn liebe und mein Schicksal als Unsterbliche besiegelt habe.

Mit zusammengepressten Lippen sieht er mich an; Zweifel sind in seinen Augen zu lesen. Und obwohl er nur einen Meter von mir entfernt ist, ist die Kluft, die uns trennt, so gewichtig und aufgeladen, dass sie sich anfühlt wie ein Ozean.

»Ich meine, in diesem Leben«, fügte ich hinzu, und meine Stimme wird hastiger, lauter, hofft, die Leere zu füllen und die Stimmung zu heben. »Und da ich mich ja an keins von den anderen erinnern kann, ist das hier das einzige, woran ich mich halten kann. Ich brauche einfach ein bisschen mehr Zeit, okay?« Ich lächele nervös, meine Lippen fühlen sich zittrig an, als ich sie ganz still halte. Und erleichtert atme ich aus, als er sich neben mich setzt und die Finger an meine Stirn legt, die Stelle sucht, wo früher meine Narbe war.

»Na ja, das ist genau das, was uns niemals ausgehen wird.« Er seufzt und streicht mit den Fingern an meinem Unterkiefer entlang, während er sich vorbeugt, um mich zu küssen. Seine Lippen legen eine Serie kleiner Pausen ein, von meiner Stirn zur Nase und zum Mund.

Und gerade als ich denke, dass er mich gleich wieder küssen wird, drückt er meine Hand und löst sich von mir, geht geradewegs auf die Tür zu und lässt an seiner statt eine wunderschöne rote Tulpe zurück.

ZWEI

Obwohl Damen auf die Sekunde genau spürt, wann meine Tante Sabine in unsere Straße einbiegt und sich dem Haus nähert, ist das nicht der Grund, weshalb er gegangen ist.

Er ist meinetwegen gegangen.

Und zwar deshalb, weil er seit Hunderten von Jahren hinter mir herjagt und mich in allen meinen Inkarnationen aufgespürt hat, einzig und allein, damit wir zusammen sein können.

Nur waren wir nie zusammen.

Was bedeutet, dass es nie passiert ist.

Irgendwie ist jedes Mal, wenn wir gerade den nächsten Schritt tun und unsere Liebe vollziehen wollten, seine Exfrau Drina aufgetaucht und hat mich umgebracht.

Doch jetzt, da ich sie umgebracht habe, sie mit einem wohl platzierten, wenn auch zugegebenermaßen schwachen Schlag gegen ihr ziemlich angegriffenes Herzchakra eliminiert habe, gibt es nichts oder niemanden mehr, der uns im Weg stehen könnte.

Außer mir selbst.

Denn obwohl ich Damen mit meinem ganzen Wesen liebe und unbedingt den nächsten Schritt tun will, muss ich ständig an die letzten sechshundert Jahre denken.

Vor allem daran, wie er sie verbracht hat. (Laut eigener Aussage reichlich unkonventionell.)

Und mit wem. (Neben seiner Exfrau Drina war auch schon von vielen anderen die Rede.)

Und so ungern ich es auch zugebe, dieses Wissen macht mich etwas unsicher.

Okay, vielleicht auch sehr unsicher. Schließlich kann meine jämmerlich kurze Liste von Jungen, die ich geküsst habe, nicht im Entferntesten mit seinen Eroberungen aus sechs Jahrhunderten mithalten.

Und obwohl ich weiß, dass es albern ist, obwohl ich weiß, dass Damen mich schon seit Jahrhunderten liebt, sind Herz und Verstand eben nicht immer die besten Freunde.

In meinem Fall reden sie kaum noch miteinander.

Trotzdem schaffe ich es jedes Mal, wenn Damen vorbeikommt, um mich zu unterrichten, das Ganze zu einer ausgedehnten Knutschsitzung umzufunktionieren, bei der ich regelmäßig denke: Jetzt! Diesmal passiert es aber wirklich!

Nur um ihn dann wieder wegzustoßen wie die launischste Zicke.

Dabei ist es in Wirklichkeit genau so, wie er sagt. Er kann seine Vergangenheit nicht ändern, sie ist, wie sie ist. Wenn etwas einmal geschehen ist, kann man es nicht ungeschehen machen. Es gibt keine Rückspultaste. Kein Zurück.

In Wirklichkeit kann man immer nur weiter vorwärtsgehen.

Und genau das muss ich tun.

Den großen Sprung nach vorn wagen, ohne zu zögern und ohne auch nur einmal zurückzuschauen.

Einfach die Vergangenheit vergessen und meinen Weg in die Zukunft gehen.

Ich wünschte nur, es wäre wirklich so einfach.

»Ever?« Sabine kommt langsam die Treppe herauf, während ich hektisch durchs Zimmer renne und aufzuräumen versuche, ehe ich mich an meinen Schreibtisch setze und so tue, als würde ich arbeiten. »Bist du noch auf?«, fragt sie und steckt den Kopf herein. Und obwohl ihr Kostüm zerknittert ist, ihre Haare schlaff herunterhängen und ihre Augen leicht gerötet sind, hält sich ihre Aura wacker und glänzt in einem schönen Grünton.

»Ich habe nur gerade noch eine Hausaufgabe fertig gemacht«, sage ich und schiebe mein Notebook beiseite, als hätte ich es benutzt.

»Hast du was gegessen?« Sie lehnt sich gegen den Türrahmen und kneift argwöhnisch die Augen zusammen, während ihre Aura nach mir ausgreift – der tragbare Lügendetektor, den sie, ohne es zu wissen, stets mit sich herumträgt.

»Natürlich«, antworte ich. Ich nicke, lächele und tue mein Möglichstes, um ehrlich zu wirken, doch in Wahrheit fühlt sich meine Mimik falsch an.

Ich hasse es, lügen zu müssen. Vor allem bei Sabine. Nach allem, was sie für mich getan hat. Schließlich hat sie mich doch nach dem Unfall aufgenommen, bei dem meine ganze Familie ums Leben gekommen ist. Das hätte sie nicht tun müssen. Auch wenn sie meine einzige überlebende Verwandte ist, hätte sie ja trotzdem Nein sagen können. Und glaubt mir, die Hälfte der Zeit wünscht sie sich wahrscheinlich, sie hätte es getan. Ihr Leben war wesentlich unkomplizierter, bevor ich gekommen bin.

»Ich meinte noch etwas anderes als dieses rote Getränk.« Sie nickt zu der Flasche auf meinem Schreibtisch hin, der schillernden roten Flüssigkeit mit dem merkwürdigen bitteren Geschmack, den ich inzwischen nicht einmal mehr ansatzweise so eklig finde wie früher. Das ist gut, denn laut Damen werde ich das Zeug bis in alle Ewigkeit schlürfen. Es ist nicht so, dass ich kein richtiges Essen mehr vertrage, ich habe nur einfach keine Lust mehr darauf. Mein Unsterblichkeitssaft liefert mir sämtliche Nährstoffe, die ich brauche. Und ganz egal, wie viel oder wie wenig ich trinke, ich bin immer satt.

Trotzdem weiß ich, was sie denkt. Nicht nur weil ich alle ihre Gedanken lesen kann, sondern weil ich das Gleiche über Damen dachte. Ich habe mich früher richtig über ihn geärgert, wenn er in seinem Essen herumgestochert und nur so getan hat, als würde er essen. Natürlich nur, bis ich sein Geheimnis herausgefunden hatte.

»Ich, ähm, hab vorhin was gegessen«, sage ich schließlich, wobei ich mich bemühe, weder die Lippen aufeinanderzupressen noch den Blick abzuwenden noch zusammenzuzucken – alles, womit ich mich normalerweise todsicher verrate. »Mit Miles und Haven«, füge ich hinzu, in der Hoffnung, damit das Fehlen schmutzigen Geschirrs erklären zu können, obwohl ich weiß, dass es unklug ist, zu viele Details zu nennen, als würde man ein rotes Leuchtschild mit der Aufschrift »Achtung, Lügner!« schwenken. Ganz zu schweigen davon, dass Sabine als Anwältin, genauer gesagt, eine der Top-Prozessanwältinnen in ihrer Kanzlei, unfassbar gut darin ist, Schwindler zu entlarven, auch wenn sie diese Gabe meist nur im Berufsleben einsetzt. In ihrem Privatleben neigt sie eher zur Leichtgläubigkeit.

Außer heute. Heute kauft sie mir kein Wort ab. Stattdessen sieht sie mich nur an. »Ich mache mir Sorgen um dich«, sagt sie.

»Mir geht's gut«, versichere ich ihr nickend und lächelnd, damit sie es mir abnimmt. »Ehrlich. Ich habe gute Noten, ich komme prima mit meinen Freunden aus, Damen und ich sind ...« Ich halte inne, als mir aufgeht, dass ich noch nie mit ihr über meine Beziehung gesprochen, sie nie richtig definiert und eigentlich alles so ziemlich für mich behalten habe. Und jetzt, da ich damit angefangen habe, weiß ich nicht, wie ich weiterreden soll.

Ich meine, uns als Freund und Freundin zu bezeichnen, klingt so banal und unangemessen, wenn man unsere Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte in Betracht zieht, weil uns doch unsere gemeinsame Geschichte zu so viel mehr als dem macht. Trotzdem werde ich uns nicht öffentlich als ewige Liebende oder Seelenverwandte ausrufen – der Kitschfaktor wäre einfach zu hoch. Und eigentlich möchte ich das Ganze am liebsten gar nicht definieren. Zurzeit bin ich sowieso schon verwirrt genug. Außerdem – was soll ich ihr schon sagen? Dass wir uns seit Jahrhunderten lieben, übers Knutschen aber noch nicht hinausgekommen sind?

»Also, mit Damen und mir – das läuft richtig gut«, sage ich schließlich und schlucke, weil ich gut statt super gesagt habe, was das erste wahre Wort sein könnte, das ich den ganzen Tag von mir gegeben habe.

»Dann war er also hier.« Sabine stellt ihre braunlederne Aktentasche auf den Fußboden und sieht mich an. Uns ist beiden bewusst, wie arglos ich in ihre professionelle Anwältinnen-Falle getappt bin.

Ich nicke und versetze mir innerlich selbst einen Fußtritt, weil ich darauf bestanden habe, uns bei mir zu treffen, statt bei ihm, was er eigentlich wollte.

»Dachte mir doch, dass ich sein Auto vorbeifahren gesehen habe.« Sie richtet den Blick auf mein unordentliches Bett mit den kreuz und quer herumliegenden Kissen und der zerdrückten Steppdecke, und als sie mich erneut ansieht, zucke ich unwillkürlich zusammen, vor allem, als ich ahne, was sie gleich sagen wird.

»Ever.« Sie seufzt. »Es tut mir leid, dass ich nicht so viel zu Hause bin und wir nicht mehr Zeit zusammen verbringen können. Aber auch wenn es so aussieht, als müssten wir den richtigen Umgang miteinander noch üben, sollst du wissen, dass ich für dich da bin. Wenn du je das Gefühl hast, mit jemandem sprechen zu müssen – ich höre dir zu.«

Ich presse die Lippen zusammen und nicke. Obwohl ich weiß, dass sie noch nicht fertig ist, hoffe ich, dass es bald vorbei ist, wenn ich nur ruhig bleibe.

»Wahrscheinlich denkst du, ich bin zu alt, um zu verstehen, was du gerade durchmachst, aber ich erinnere mich gut daran, wie es bei mir in deinem Alter war. Wie groß der ständige Druck sein kann, sich mit Models und Schauspielerinnen und anderen unmöglichen Bildern zu messen, die du im Fernsehen siehst.«

Ich weiche ihrem Blick aus und schärfe mir ein, nicht zu heftig zu reagieren und es mit meiner Verteidigung nicht zu übertreiben, da es wesentlich einfacher ist, wenn sie bei mir nur Essstörungen vermutet.

Seit ich vor einiger Zeit von der Schule suspendiert worden bin, hat mich Sabine noch genauer beobachtet als zuvor, und seit sie kürzlich mit einem Stapel Ratgeberbücher nach Hause kam – angefangen bei: Wie man in gestörten Zeiten wie diesen einen gesunden Teenager aufzieht, bis hin zu: Ihr Teenager und die Medien (und was Sie dagegen tun können!), ist es noch unendlich viel schlimmer geworden. Sie hat die kummervollsten Verhaltensprobleme von Teenagern mit Leuchtstift hervorgehoben und dann mich unter die Lupe genommen und nach Symptomen gesucht.

»Aber du sollst wissen, dass du ein sehr hübsches Mädchen bist, wesentlich hübscher, als ich es in deinem Alter war, und dass es nicht nur ein völlig unsinniges und unerreichbares Ziel ist, wenn du hungerst, um mit all diesen klapperdürren Promis mithalten zu können, die ihr halbes Leben in Entzugskliniken zubringen, sondern dass es dich letzten Endes auch krankmachen wird.« Sie wirft mir einen vielsagenden Blick zu und bemüht sich verzweifelt, mich mit ihren Worten zu erreichen. »Du musst wissen, dass du perfekt bist, so wie du bist, und es mir wehtut, dich so zu erleben. Falls es sich aber um Damen dreht, so kann ich nur sagen, dass ...«

»Ich bin nicht magersüchtig.«

Sie sieht mich an.

»Ich habe keine Bulimie, und ich mache auch keine verrückte Diät. Ich hungere nicht, ich versuche nicht, in Größe 32 zu passen, und ich will auch nicht wie eine von den Olsen-Zwillingen aussehen. Ehrlich, Sabine, mache ich den Eindruck, als ob ich am Verhungern wäre?« Ich stehe auf, damit sie mich ungehindert in all meiner Enge-Jeans-Herrlichkeit betrachten kann, denn ich habe eher das Gefühl, dass ich ganz und gar nicht am Verhungern bin. Ganz im Gegenteil, irgendwie nehme ich permanent zu.

Sie mustert mich. Und zwar eingehend. Sie fängt oben an meinem Kopf an und lässt den Blick bis hinunter zu meinen Zehen wandern, ehe er an meinen nackten Knöcheln hängenbleibt. Da meine Lieblingsjeans zu kurz ist, blieb mir nichts anderes übrig, als sie hochzukrempeln.

»Ich dachte nur ...« Sie zuckt die Achseln, da sie nicht weiß, was sie sagen soll, nun, da die vorgelegten Beweise so eindeutig auf ein »Nicht schuldig« hindeuten. »Weil ich dich überhaupt nicht mehr essen sehe und du immer nur dieses rote Zeug trinkst ...«

»Und da hast du einfach angenommen, ich wäre von der jugendlichen Komasäuferin schlagartig zur magersüchtigen Hungerkünstlerin übergegangen?« Ich lache, damit sie weiß, dass ich nicht beleidigt bin – ein bisschen verärgert vielleicht, aber mehr über mich als über sie. Ich hätte es besser vortäuschen sollen. Ich hätte wenigstens so tun sollen, als würde ich etwas essen. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Ich lächele. »Ehrlich. Und nur um Missverständnissen vorzubeugen – ich habe weder vor, mit Drogen, Ritzen, Branding, Ziernarben oder Extrempiercing zu experimentieren noch mit sonst irgendetwas anzufangen, was es diese Woche in die Top Ten der Verhaltensauffälligkeiten bei Teenagern geschafft hat. Und nur der Vollständigkeit halber – dass ich dieses rote Zeug trinke, hat nichts damit zu tun, dünn wie ein Model sein oder Damen gefallen zu wollen. Es schmeckt mir einfach, weiter nichts. Außerdem weiß ich zufällig, dass Damen mich liebt und mich genauso akzeptiert, wie ich ...« Ich halte inne, als mir auffällt, dass ich gerade ein ganz neues, anderes Thema angeschnitten habe, das ich nicht weiter vertiefen will. Und noch ehe sie die Worte gefunden hat, die sich in ihrem Kopf zu formen beginnen, halte ich eine Hand in die Höhe und erkläre: »Und nein, das habe ich nicht gemeint. Damen und ich ...« Gehen miteinander, treffen uns, sind ein Paar, sind eng befreundet, auf ewig vereint. »Also, wir sind zusammen. Du weißt schon, fest, als Paar. Aber wir schlafen nicht miteinander.«

Noch nicht.

Sie sieht mich an, und ihre Miene ist so gequält und beklommen, wie ich mich tief drinnen fühle. Keine von uns möchte diesem Thema auf den Grund gehen, doch im Gegensatz zu mir hat sie das Gefühl, es sei ihre Pflicht.

»Ever, ich habe nicht gemeint ...«, beginnt sie. Doch dann sieht sie mich an, ich sehe sie an, und sie beschließt achselzuckend, es einfach gut sein zu lassen, da wir beide wissen, dass sie genau das gemeint hat.

Ich bin so erleichtert, dass es vorüber ist und ich relativ ungeschoren davongekommen bin, dass es mich kalt erwischt, als sie weiterspricht. »Ja, und da dir offenbar wirklich etwas an diesem jungen Mann liegt, finde ich, dass ich ihn kennen lernen sollte. Lass uns doch bald einmal zusammen essen gehen. Wie wäre es gleich dieses Wochenende?«

Dieses Wochenende?

Ich schlucke schwer, denn ich weiß genau, worauf sie aus ist; sie möchte nämlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Bei einem Abendessen hat sie die ideale Gelegenheit, mich einen ganzen Teller voller Essen verputzen zu sehen, während sie sich Damen vornehmen und ihn nach Herzenslust ausquetschen kann.

»Hm, das klingt gut, nur ist am Freitag die Premiere von Miles' Theaterstück.« Ich ringe darum, meine Stimme ruhig und gelassen klingen zu lassen. »Und hinterher gibt es noch eine Party, die wahrscheinlich ganz schön lange dauern wird, also ...«

Sie nickt, ohne den Blick von mir zu wenden, der so unheimlich und wissend ist, dass ich ins Schwitzen komme.

»Also wird es wahrscheinlich nichts werden«, schließe ich in dem Wissen, dass ich es irgendwann über mich ergehen lassen muss, aber hoffentlich lieber später als früher. Ich meine, ich liebe Sabine, und ich liebe Damen. Ich bin mir nur nicht sicher, dass ich sie zusammen lieben werde, vor allem dann, wenn das Verhör beginnt.

Sie mustert mich noch einmal kurz, ehe sie nickt und sich abwendet. Und gerade als ich erleichtert ausatme, sieht sie sich um und sagt noch etwas. »Tja, Freitag geht dann natürlich nicht, aber damit bleibt immer noch der Samstag. Würdest du Damen bitten, um acht Uhr hier zu sein?«

DREI

Obwohl ich verschlafen habe, schaffe ich es noch rechtzeitig zu Miles. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich nicht einmal mehr annähernd so lange brauche, um mich fertig zu machen, seit Riley nicht mehr da ist und mich ablenkt. Und obwohl es mich immer genervt hat, wie sie in einem ihrer verrückten Halloween-Kostüme auf meiner Kommode saß, mich nach Jungen ausgequetscht und sich über meine Klamotten lustig gemacht hat, kann ich sie leider nicht mehr sehen, seit ich sie dazu gebracht habe, weiterzuziehen und die Brücke dorthin zu überqueren, wo unsere Eltern und unser Hund Buttercup warteten.

Das heißt mehr oder weniger, dass sie Recht hatte. Ich kann nur die Seelen sehen, die dageblieben sind, nicht diejenigen, die weitergezogen sind.

Und wie immer, wenn ich an Riley denke, schnürt es mir die Kehle zu, und meine Augen fangen an zu brennen, und ich frage mich, ob ich mich je daran gewöhnen werde, dass sie weg ist. Ich meine, endgültig und unwiederbringlich weg. Aber eigentlich müsste ich inzwischen genug über Verluste wissen, um zu begreifen, dass man nie wirklich aufhört, jemanden zu vermissen – man lernt lediglich, mit dem riesigen, klaffenden Loch seiner Abwesenheit zu leben.

Ich wische mir die Augen und biege in Miles' Einfahrt ein. Dabei denke ich an Rileys Versprechen, mir ein Zeichen zu schicken, irgendetwas, das mir zeigt, dass es ihr gut geht. Doch obwohl ich mich strikt an ihr Versprechen gehalten habe, wachsam geblieben bin und aufmerksam nach Hinweisen auf ihre Anwesenheit gesucht habe, habe ich bis jetzt kein Zeichen bekommen.

Miles öffnet die Tür, hält sofort die Hand in die Höhe und sagt: »Nicht sprechen. Schau dir einfach mein Gesicht an, und sag mir, was du siehst. Was ist das Allererste, das dir auffällt? Und nicht lügen.«

»Deine schönen braunen Augen«, antworte ich, während ich die Gedanken in seinem Kopf höre und mir nicht zum ersten Mal wünsche, ich könnte allen meinen Freunden zeigen, wie sie ihre Gedanken abschirmen und all ihre Privatangelegenheiten für sich behalten können. Doch damit würde ich verraten, dass ich Gedanken lesen und Auren sehen kann und übersinnliche Fähigkeiten habe, und das geht nicht.

Miles schüttelt den Kopf, steigt ein und klappt sofort die Sonnenblende herunter, um in den Spiegel zu schauen und sein Kinn zu inspizieren. »Du lügst. Schau, hier ist es! Wie ein rotes Blinklicht, das man gar nicht übersehen kann, also tu bloß nicht so, als würde es dir nicht auffallen.«

Ich schaue ihn an, während ich rückwärts aus der Einfahrt fahre, und sehe den Pickel, der es gewagt hat, auf seinem Gesicht zu wachsen. Allerdings sticht mir sein leuchtend pinkfarbener Nagellack viel mehr ins Auge. »Schicke Nägel«, sage ich lachend.

»Das ist für das Stück«. Er grinst und mustert immer noch seinen Pickel. »Ich glaub's nicht! Irgendwie hab ich das Gefühl, ich krieg gleich die Krise, dabei ist alles total super gelaufen. Die Proben waren phänomenal. Ich kann meinen ganzen Text und den aller anderen noch dazu. Ich hab gedacht, ich sei absolut perfekt, und jetzt das!« Er rammt sich selbst den Finger ins Gesicht.

»Das sind nur die Nerven«, entgegne ich.

»Genau!« Er nickt. »Das beweist doch, was für ein Amateur ich bin. Profis, richtige Profis werden nämlich nicht nervös. Die begeben sich einfach in ihre kreative Zone und ... sind kreativ. Vielleicht bin ich doch nicht dafür geschaffen.« Er sieht mich mit sorgenvoller Miene an. »Vielleicht war es nur ein glücklicher Zufall, dass ich die Hauptrolle bekommen habe.«

Ich sehe ihn an und erinnere mich, wie Drina erklärt hat, sie wolle in den Kopf des Regisseurs schlüpfen und ihn für Miles einnehmen. Doch selbst wenn das stimmt, heißt das nicht, dass er es nicht schaffen kann, es heißt nicht, dass er nicht ohnehin der Beste war.

»Das ist doch albern.« Ich schüttele den Kopf. »Unzählige Schauspieler werden nervös, leiden unter Lampenfieber oder sonst was. Du würdest nicht glauben, was für Geschichten Riley immer ...« Ich halte abrupt inne, mit aufgerissenen Augen und offenem Mund, denn ich darf diesen Satz nicht zu Ende sprechen. Nie darf ich die Geschichten meiner kleinen Schwester weitergeben, die so gern der Hollywood-Elite nachspioniert hat. »Außerdem – trägst du nicht tonnenweise dicke Bühnenschminke?«

Er sieht mich an. »Ja. Schon. Worauf willst du hinaus? Das Stück hat am Freitag Premiere, was – nur zu deiner Information – zufällig morgen ist. Bis dahin ist das Ding niemals verschwunden.«

»Mag sein.« Ich zucke die Achseln. »Aber was ich eigentlich gemeint habe – kannst du es nicht mit Make-up abdecken?«

Miles verdreht die Augen und blickt finster. »Ach, damit ich stattdessen ein riesiges fleischfarbenes Blinklicht präsentieren kann? Schau dir das Ding doch mal an! Das lässt sich nicht kaschieren. Es hat eine eigene DNA! Es wirft Schatten!«

Ich biege in den Schulparkplatz ein und nehme meine gewohnte Parklücke in Anspruch, direkt neben Damens schwarz glänzendem BMW. Als ich Miles noch einmal ansehe, verspüre ich den Drang, sein Gesicht zu berühren. Als würde mein Zeigefinger auf unerklärliche Weise von dem Pickel an seinem Kinn angezogen.

»Was machst du denn?«, fragt er, zuckt zusammen und weicht zurück.

»Halt – halt einfach still«, flüstere ich, ohne zu wissen, was ich da tue oder warum. Ich weiß nur, dass mein Finger ein klar umrissenes Ziel hat.

»Bloß nicht anfassen!«, brüllt er genau in dem Moment, in dem ich Hautkontakt habe. »Toll, einfach toll. Jetzt wächst er wahrscheinlich auf doppelte Größe an.« Er schüttelt den Kopf und steigt aus, während ich irgendwie enttäuscht bin, dass der Pickel immer noch da ist.

Offenbar habe ich gehofft, ich hätte eine Art gesteigerte Heilkraft entwickelt. Seit Damen mir, gleich nachdem ich beschlossen hatte, mein Schicksal zu akzeptieren und von nun an den Unsterblichkeitssaft zu trinken, gesagt hat, dass ich mit einigen Veränderungen rechnen müsse, angefangen von enorm gesteigerten übersinnlichen Fähigkeiten (wovon ich weniger begeistert war) bis hin zu enorm gesteigerten körperlichen Fähigkeiten (was immerhin im Sportunterricht seine Vorteile hätte) oder etwas ganz anderem (wie der Fähigkeit, andere zu heilen, was mir gut gefällt, weil es total cool wäre), habe ich auf etwas Außergewöhnliches gewartet. Doch bisher sind zweieinhalb Zentimeter mehr Beinlänge die einzige Veränderung, was kein großer Gewinn ist, außer dass ich eine neue Jeans brauche. Und das wäre irgendwann sowieso passiert.

Ich schnappe mir meine Tasche, steige aus dem Auto und sogleich treffen meine Lippen auf die von Damen, der in diesem Moment vor mir aufgetaucht ist.

»Okay, jetzt mal im Ernst. Wie lange soll das noch so weitergehen?«

Wir lösen uns voneinander und sehen Miles an.

»Ja, euch meine ich.« Er droht mit dem Finger. »Diese ständige Küsserei und Umarmerei, nicht zu vergessen das andauernde Flüstern von süßen kleinen Nichtigkeiten.« Er schüttelt den Kopf und kneift die Augen zusammen. »Ehrlich. Ich hatte gehofft, darüber wärt ihr allmählich hinaus. Also, versteht mich nicht falsch, wir freuen uns alle total darüber, dass Damen wieder in der Schule ist und ihr euch wiedergefunden habt und vermutlich glücklich und zufrieden bis an euer seliges Ende zusammenleben werdet. Aber mal im Ernst, findet ihr nicht, dass ihr vielleicht langsam ein bisschen dezenter werden solltet? Manche von uns sind nämlich nicht so glücklich wie ihr. Manche von uns leiden ein bisschen an mangelnder Liebe.«

»Du leidest an mangelnder Liebe?« Ich lache. »Was ist denn aus Holt geworden?«

»Holt?« Er stutzt. »Red bloß nicht von Holt! Denk überhaupt nicht daran, Ever!« Er schüttelt den Kopf, dreht sich abrupt um und geht auf Haven zu, die am Tor wartet.

»Was hat der denn für ein Problem?«, fragt Damen, greift nach meiner Hand und schlingt seine Finger in meine, während er mich nach wie vor mit liebendem Blick ansieht – trotz gestern.

»Morgen ist Premiere.« Ich zucke die Achseln. »Also kriegt er Panik. Außerdem hat er einen Pickel am Kinn und macht natürlich uns dafür verantwortlich«, sage ich, während ich zusehe, wie Miles sich bei Haven unterhakt und mit ihr aufs Klassenzimmer zusteuert.

»Wir reden nicht mehr mit ihnen«, sagt er zu Haven und wirft einen finsteren Blick zurück auf uns. »Wir streiken, bis sie aufhören, so verliebt zu turteln oder dieser Pickel verschwindet, je nachdem, was zuerst passiert.« Er nickt und meint es nur halb als Witz.

Haven lacht und hüpft neben ihm her, während Damen und ich in unsere Englischklasse verschwinden – direkt an Stacia Miller vorbei, die ihn süß anlächelt und dann versucht, mich zu Fall zu bringen.

Doch gerade als sie ihr Täschchen vor mir fallen lässt in der Hoffnung, mich dadurch richtig demütigend aufs Gesicht fallen zu lassen, sehe ich die Tasche nach oben fliegen und spüre, wie sie direkt gegen ihr Knie knallt. Und obwohl ich den Schmerz auch fühle, bin ich trotzdem froh, dass ich es getan habe.

»Auuu!«, jault sie, reibt sich das Knie und funkelt mich an, obwohl sie keinerlei greifbare Beweise dafür hat, dass ich irgendwie dafür verantwortlich bin.

Ich ignoriere sie einfach und setze mich an meinen Platz. Inzwischen bin ich schon besser darin, sie zu ignorieren. Seit sie dafür gesorgt hat, dass ich wegen Trinkens auf dem Schulgelände vom Unterricht suspendiert wurde, habe ich mein Möglichstes getan, ihr aus dem Weg zu gehen. Aber manchmal – manchmal kann ich es einfach nicht lassen.

»Das hättest du nicht tun sollen«, flüstert Damen und versucht, einen strengen Blick aufzusetzen, während er sich an mich lehnt.

»Bitte. Du bist doch derjenige, der will, dass ich Manifestieren übe.« Ich zucke die Achseln. »Offenbar zahlen sich die Lektionen endlich aus.«

Er sieht mich kopfschüttelnd an. »Dann ist es ja sogar noch schlimmer, als ich dachte, denn – nur zu deiner Information – das, was du gerade gemacht hast, war Psychokinese, nicht Manifestieren. Begreifst du, wie viel du noch lernen musst?«

»Psycho-was?« Ich blinzele, da mir der Begriff neu ist, doch die Ausführung hat Spaß gemacht.

Er nimmt meine Hand, und ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel, während er weiterspricht. »Ich habe mir überlegt ...«

Ich schaue auf die Uhr, sehe, dass es schon fünf nach neun ist, und weiß, dass Mr. Robins erst in diesem Moment das Lehrerzimmer verlässt.

»Freitagabend. Was hältst du davon, wenn wir da irgendwo ... ganz Besonderes hingehen?« Er lächelt.

»Wie zum Beispiel ins Sommerland?« Ich bekomme große Augen, während sich mein Pulsschlag beschleunigt. Ich habe Sehnsucht nach diesem magischen, mystischen Ort. Die Dimension zwischen den Dimensionen, wo ich Ozeane und Elefanten manifestieren kann und wesentlich größere Dinge bewegen kann als zum Wurfgeschoss umfunktionierte Prada-Taschen – aber ich brauche Damen, um dorthin zu gelangen.

Doch er lacht nur und schüttelt den Kopf. »Nein, nicht ins Sommerland. Irgendwann gehen wir natürlich wieder hin, ich versprech's. Aber ich dachte eher an etwas wie, ich weiß nicht, das Montage oder das Ritz vielleicht?« Er zieht die Brauen hoch.

»Aber Miles' Stück hat am Freitag Premiere, und wir haben ihm versprochen zu kommen!«, entgegne ich und begreife erst in diesem Moment, dass ich Miles' Debüt in Hairspray praktischerweise völlig vergessen hatte, als ich mir wünschte, ins Sommerland zu reisen. Doch jetzt, da Damen sich in einem der nobelsten Hotels der ganzen Gegend einmieten will, kehrt die Erinnerung schlagartig zurück.

»Okay, wie wär's dann nach der Aufführung?«, bietet er an. Doch als er erkennt, wie ich zögere, wie ich die Lippen zusammenpresse und nach einer Möglichkeit suche, höflich abzulehnen, meint er nur: »Oder auch nicht. War nur so eine Idee.«

Ich sehe ihn an und weiß, dass ich akzeptieren muss, dass ich akzeptieren will. Ich höre die Stimme in meinem Kopf schreien: Sag ja! Sag ja! Du hast dir selbst versprochen, den Sprung nach vorn zu wagen, ohne auch nur einmal zurückzublicken, und hier kommt deine Chance – also gib dir einen Ruck und tu's! SAG! EINFACH! JA!

Und obwohl ich davon überzeugt bin, dass es an der Zeit ist weiterzugehen, obwohl ich Damen aus ganzem Herzen liebe und fest entschlossen bin, seine Vergangenheit zu ignorieren und den nächsten Schritt zu tun, kommt aus meinem Mund etwas völlig anderes.

»Mal sehen«, sage ich, wende den Blick ab und konzentriere mich auf die Tür, genau in dem Moment, als Mr. Robins hereinkommt.

VIER

Als es endlich zum Ende der vierten Stunde läutet, stehe ich auf und gehe vor zu Mr. Muñoz.

»Bist du sicher, dass du schon fertig bist?«, fragt er und sieht von einem Stapel Blätter auf. »Du kannst dir ruhig noch eine Minute Zeit lassen.«

Ich überfliege mein Prüfungsblatt und schüttele den Kopf. Dabei frage ich mich, was er wohl tun würde, wenn er je erführe, dass ich ungefähr fünfundvierzig Sekunden, nachdem er es ausgeteilt hat, fertig geworden bin und die nächsten fünfzig Minuten nur so getan habe, als hätte ich zu kämpfen.

»Ich bin fertig«, sage ich, und das stimmt auch. Einer der Vorteile meiner übersinnlichen Fähigkeiten ist nämlich, dass ich nicht mehr lernen muss, sondern alle Antworten einfach irgendwie weiß. Und obwohl es mich manchmal reizt, aufzutrumpfen und sämtliche Prüfungen mit einer ununterbrochenen Reihe von Bestnoten zu bestehen, halte ich mich meistens zurück und schreibe ein paar falsche Antworten hin, weil ich es auf keinen Fall übertreiben darf.

Das sagt zumindest Damen. Immer wieder schärft er mir ein, wie wichtig es ist, sich unauffällig zu benehmen und wenigstens den Anschein zu erwecken, normal zu sein – auch wenn wir alles andere als das sind. Als er das zum ersten Mal erklärt hat, konnte ich mir allerdings den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen, dass er zu Beginn unserer Beziehung unzählige Tulpen manifestiert habe. Doch er meinte nur, bei seinen Bemühungen, mich für sich zu gewinnen, habe er sich eben gewisse Freiheiten gestatten müssen. Schließlich habe es sich länger als nötig hingezogen, weil ich mir erst dann die Mühe gemacht hätte, die Symbolik von Tulpen als Zeichen unsterblicher Liebe zu ergründen, als es fast schon zu spät war.

Ich reiche Mr. Munoz das Blatt und zucke zusammen, als sich unsere Fingerspitzen kurz berühren. Obwohl unser Hautkontakt kaum mehr als ein blitzartiges Streifen war, hat es immer noch genügt, um mir weitaus mehr zu zeigen, als ich jemals wissen wollte und mir einen ziemlich klaren optischen Eindruck seines bisherigen Vormittags verschafft. Ich sehe alles – seine unglaublich schlampige Wohnung mit dem von Fastf Fast-Food-Behältern übersäten Küchentisch, auf dem auch noch mehrere Versionen des Manuskripts liegen, an dem er seit sieben Jahren arbeitet; ich sehe, wie er in voller Lautstärke Born to Run singt, während er hektisch nach einem sauberen Hemd sucht, ehe er zu Starbucks geht, wo er mit einer zierlichen Blondine zusammenstößt, die ihm ihren Iced Venti Chai Latte frontal übers Hemd kippt, was einen kalten, nassen, ärgerlichen Fleck ergibt, den ein Funken ihres strahlenden Lächelns regelrecht wegzuzaubern schien. Ein hinreißendes Lächeln, das er offenbar nicht vergessen kann – ein hinreißendes Lächeln, das – meiner Tante gehört!

»Willst du warten, während ich die Arbeit korrigiere?«

Ich nicke und fange beinahe an zu hyperventilieren, während ich mich auf seinen Rotstift konzentriere. Immer wieder lasse ich die Szene ablaufen, die ich gerade in meinem Kopf gesehen habe, und komme jedes Mal wieder zum gleichen Schluss: Mein Geschichtslehrer ist scharf auf Sabine!

Das kann ich nicht zulassen. Ich darf sie nie wieder dorthin gehen lassen. Ich meine, nur weil sie beide gebildet, gut aussehend und Singles sind, heißt das nicht, dass sie was miteinander anfangen müssten.

Wie erstarrt stehe ich da und kann kaum atmen, während ich versuche, die Gedanken in seinem Kopf auszulöschen, indem ich mich auf die Spitze seines Rotstifts konzentriere. Ich beobachte, wie er eine Spur winziger roter Pünktchen zieht, die bei Ziffer siebzehn und fünfundzwanzig zu Korrekturzeichen werden – genau wie von mir geplant.

»Nur zwei falsch. Sehr gut!« Er lächelt und fährt mit den Fingern über den Fleck auf seinem Hemd, wobei er sich fragt, ob er sie wohl je wiedersehen wird. »Möchtest du die richtigen Antworten wissen?«

Äh, eigentlich nicht, denke ich, weil ich so schnell wie möglich hier rauswill, und zwar nicht nur, um zum Lunchtisch zu kommen und Damen zu sehen, sondern für den Fall, dass sein Tagtraum sich dort fortsetzt, wo ich ihn gezwungen habe aufzuhören.

Da ich jedoch weiß, dass es normal wäre, sich wenigstens etwas interessiert zu zeigen, hole ich tief Luft und nicke, als wäre mir nichts lieber als das. Und während er mir den Lösungsschlüssel präsentiert, heuchle ich, so gut ich kann. »Oh«, sage ich, »Mann, da hab ich mich ja total in der Jahreszahl getäuscht.« Und: »Ja, natürlich! Dass ich darauf nicht gekommen bin? Puh!«

Doch er nickt nur, vor allem weil er in Gedanken längst wieder bei der Blondine ist – beziehungsweise der einzigen Frau im gesamten Universum, die absolut tabu für ihn ist! Gerade fragt er sich, ob sie wohl morgen auch dort sein wird – am gleichen Ort, zur gleichen Zeit.

Und obwohl mich die Vorstellung lüsterner Lehrer schon ganz allgemein ziemlich anwidert, ist die Tatsache, dass dieser spezielle Lehrer scharf auf eine Frau ist, die praktisch wie eine Mutter für mich ist, völlig untragbar.

Da fällt mir wieder ein, dass ich erst vor ein paar Monaten eine Vision von Sabine hatte, wie sie einem attraktiven Typen aus ihrem Bürogebäude näherkommt. Und da Munoz hier arbeitet und Sabine dort, besteht eigentlich kaum die Gefahr, dass meine beiden Welten kollidieren. Doch nur für den Fall, dass ich mich irre, stoße ich hervor: »Ahm, es war reiner Zufall.«

Er sieht mich mit zusammengekniffenen Brauen an und versucht, aus meinen Worten schlau zu werden.

Und obwohl ich weiß, dass ich zu weit gegangen bin, obwohl ich weiß, dass ich gleich etwas sagen werde, was alles andere als normal ist, kommt es mir so vor, als hätte ich kaum eine andere Wahl. Ich kann nicht zulassen, dass mein Geschichtslehrer etwas mit meiner Tante anfängt. Das kann ich nicht ertragen. Ich kann einfach nicht.

Also zeige ich auf den Fleck auf seinem Hemd und rede weiter. »Miss Iced Venti Chai Latte?«, frage ich und sehe den Schreck auf seinem Gesicht. »Wahrscheinlich kommt sie nicht wieder. Sie geht nicht besonders oft dorthin.«

Noch ehe ich etwas hinzufügen kann, das nicht nur seine Träume zerstören, sondern auch das gesamte Ausmaß meiner Unnormalität offenbaren wird, schlinge ich mir die Tasche über die Schulter und renne zur Tür. Ich schüttele den Rest von Mr. Munoz' penetranter Energie ab, während ich zum Lunchtisch eile, wo Damen auf mich wartet – voller Sehnsucht nach drei langen Stunden der Trennung von ihm.

Doch als ich dort eintreffe, werde ich nicht ganz so herzlich aufgenommen, wie ich es mir erhofft habe. Ein Neuer sitzt neben ihm, genau an meinem angestammten Platz, und er beansprucht so viel Aufmerksamkeit, dass Damen mich kaum wahrnimmt.

Ich lehne mich gegen die Tischkante und sehe zu, wie sie alle über irgendwas, was der Neue gesagt hat, vor Lachen losprusten. Da ich nicht stören oder unhöflich wirken will, setze ich mich einfach Damen gegenüber.

»Oh, Mann, du bist ja so was von witzig!«, sagt Haven, beugt sich vor und berührt kurz die Hand des Neuen. Dazu lächelt sie auf eine Weise, die deutlich macht, dass ihr neuer Freund und selbst ernannter Seelenverwandter Josh vorübergehend in Vergessenheit geraten ist. »Ein Jammer, dass du das verpasst hast, Ever, er ist dermaßen zum Schreien, dass Miles sogar vergessen hat, sich über seinen Pickel aufzuregen!«

»Danke, dass du mich daran erinnerst«, sagt Miles finster und tastet nach dem Knubbel an seinem Kinn – der jedoch nicht mehr da ist.

Er reißt die Augen auf und heischt mit Blicken nach unserer Bestätigung dafür, dass sein Mammutpickel, der Fluch seiner Existenz am heutigen Morgen, tatsächlich verschwunden ist. Und ich frage mich zwangsläufig, ob dessen plötzliches Verschwinden mir zu verdanken ist, weil ich ihn heute Morgen auf dem Parkplatz berührt habe. Das würde ja heißen, dass ich tatsächlich magische Heilkräfte besitze.

Doch kaum habe ich den Gedanken zu Ende gedacht, ergreift der Neue das Wort. »Ich hab dir doch gesagt, dass es hilft. Das Zeug ist sagenhaft. Behalt den Rest, falls das Teil wiederkommt.«

Ich kneife die Augen zu Schlitzen zusammen und frage mich, woher er die Zeit genommen hat, sich um Miles' Hautprobleme zu kümmern, wenn ich ihn gerade zum ersten Mal zu Gesicht bekomme.

»Ich habe ihm eine Salbe gegeben«, sagt er und wendet sich zu mir um. »Miles und ich haben zusammen Freistunde. Ich bin übrigens Roman.«

Ich sehe ihn an, registriere die leuchtend gelbe Aura, die mit breiten Rändern um ihn herumwirbelt und wie eine freundliche Massenumarmung wirkt. Doch als ich seine dunklen, marineblauen Augen, seine gebräunte Haut und das blonde, zerzauste Haar mit genau dem richtigen Maß an Hipster-Schick mustere, möchte ich trotz seines guten Aussehens am liebsten davonlaufen. Selbst als er mir sein breites, lässiges Herzensbrecher-Lächeln schenkt, bin ich so nervös, dass ich es kaum erwidern kann.

»Und du musst Ever sein«, sagt er und zieht die ausgestreckte Hand zurück, die er mir hingehalten hat, damit ich sie schüttele und die ich bis zu diesem Moment nicht einmal registriert hatte.

Ich sehe Haven an, die offensichtlich entsetzt von meiner Unhöflichkeit ist, ehe ich Miles mustere, der allerdings zu beschäftigt damit ist, in einen Handspiegel zu schauen, um meinen Fauxpas zu bemerken. Doch als Damen unter den Tisch fasst und mir das Knie drückt, räuspere ich mich, sehe Roman an und sage: »Ähm, ja, ich bin Ever.« Und obwohl er mir erneut dieses Lächeln zuwirft, funktioniert es wieder nicht. Ich bekomme davon nur ein flaues, mulmiges Gefühl im Bauch.

»Offenbar haben wir vieles gemeinsam«, sagt er, wenngleich ich mir nicht vorstellen kann, was das sein soll. »Ich habe in Geschichte zwei Reihen hinter dir gesessen. Und als ich gesehen habe, wie du dich mit dem Test abquälst, habe ich mir gedacht, also dieses Mädchen hasst Geschichte mindestens genauso sehr wie du selbst.«

»Ich hasse Geschichte nicht«, sage ich, doch es kommt zu schnell und zu abwehrend heraus, und meine Stimme hat einen scharfen, bissigen Unterton, der alle aufschrecken lässt. Also sehe ich Damen an, auf der Suche nach Bestätigung, da ich doch garantiert nicht die Einzige bin, die diesen unruhigen Energiestrom spürt, der von Roman ausgeht und direkt zu mir fließt.

Aber Damen zuckt nur die Achseln und nippt an seinem roten Getränk, als wäre alles völlig normal. Also wende ich mich wieder Roman zu, tauche in seine Gedanken ab und belausche einen steten Strom von harmlosen Einfällen, die zwar etwas unreif, im Grunde jedoch friedlich sind. Womit weitgehend bewiesen wäre, dass das Problem bei mir liegt.

»Ehrlich?« Roman zieht die Brauen hoch und beugt sich zu mir her. »Sich in die Vergangenheit zu versenken, all diese lange vergangenen Orte und Ereignisse zu ergründen, sich mit dem Leben von Menschen zu beschäftigen, die vor Jahrhunderten gelebt haben und heute absolut bedeutungslos sind – das nervt dich nicht? Und es langweilt dich auch nicht zu Tode?«

Nur wenn diese Menschen, Orte und Ereignisse etwas mit meinem Freund und dessen sechshundertjährigem Lotterleben zu tun haben!

Doch das denke ich nur. Ich sage es nicht. Stattdessen zucke ich nur die Achseln. »Ich fand's locker«, sage ich. »Eigentlich richtig leicht. Ich hab blendend abgeschnitten.«

Er nickt, lässt prüfend den Blick über mich schweifen und mustert jeden Zentimeter an mir. »Gut zu wissen.« Er lächelt. »Muñoz lässt mir das Wochenende zum Aufholen. Vielleicht kannst du mir ja Nachhilfe geben?«

Ich sehe Haven an, deren Augen dunkel werden und deren Aura einen ekelhaften eifersüchtigen Grünton annimmt, dann Miles, der sich mittlerweile von seinem Pickel abgewandt hat und Holt eine SMS schreibt, ehe ich Damen mustere, der uns beide überhaupt nicht wahrnimmt und mit abwesendem Blick auf irgendetwas starrt, das ich nicht sehen kann. Und obwohl ich weiß, dass ich albern bin, dass offenbar alle anderen Roman mögen und ich mein Möglichstes tun sollte, um ihm zu helfen, antworte ich nur: »Oh, das ist bestimmt nicht nötig. Du brauchst mich nicht.«

Ich spüre ein Prickeln auf der Haut und ein Stechen im Magen, als sein Blick meinem begegnet. Sowie er zu sprechen anhebt, kommt ein makelloses weißes Gebiss zum Vorschein. »Nett von dir, dass du im Zweifel für den Angeklagten entscheidest, Ever. Aber ich weiß nicht, ob dir das guttut.«

FÜNF

Was ist denn los mit dir und dem Neuen?«, fragt Haven, die herumtrödelt, während alle anderen ins Klassenzimmer eilen.

»Nichts.« Ich schüttele ihre Hand ab und stapfe weiter. Ihre Energie strömt durch mich hindurch, während ich zusehe, wie Roman, Miles und Damen lachen und so tun, als wären sie alte Freunde.

»Bitte.« Sie verdreht die Augen. »Es ist doch offensichtlich, dass du ihn nicht leiden kannst.«

»Das ist ja lächerlich«, sage ich, den Blick auf Damen fokussiert, meinen umwerfenden und hinreißenden Freund/ Seelenverwandten/ewigen Partner/Verbündeten (ich muss endlich mal das richtige Wort für ihn finden), der seit heute Morgen in Englisch kaum mit mir gesprochen hat. Und ich hoffe, der Grund dafür ist nicht das, was ich denke – mein Verhalten von gestern und meine Weigerung, mich auf dieses Wochenende festzulegen.

»Ich meine es total ernst.« Sie schaut mich an. »Es ist ... es ist, als würdest du neue Leute hassen oder so.« Was wesentlich netter herauskam als die ursprünglichen Worte in ihrem Kopf.

Ich presse die Lippen aufeinander, schaue stur vor mich hin und verkneife es mir, mit den Augen zu rollen.

Doch sie starrt mich weiterhin an, die Hand auf eine Hüfte gestützt, während ihre dick geschminkten Augen unter der feuerroten Strähne in ihrem Pony hervorblinzeln. »Denn wenn ich mich recht erinnere, und du weißt, dass das stimmt, dann hast du auch Damen gehasst, als er neu an unsere Schule kam.«

»Ich habe Damen nicht gehasst«, sage ich und rolle nun doch mit den Augen, obwohl ich mir geschworen habe, es nicht zu tun. Dabei denke ich: Korrektur – ich habe nur so getan, als würde ich Damen hassen, während ich ihn in Wirklichkeit die ganze Zeit geliebt habe. Na ja, abgesehen von der kurzen Phase, in der ich ihn wirklich gehasst habe. Aber eigentlich habe ich ihn selbst da geliebt. Ich wollte es nur nicht zugeben ...

»Ähm, entschuldige bitte, aber da bin ich anderer Meinung«, sagt sie und lässt sich das kunstvoll zerzauste Haar ins Gesicht fallen. »Erinnerst du dich, wie du ihn nicht einmal zu deiner Halloween-Party eingeladen hast?«

Ich seufze, weil mich das alles dermaßen nervt. Ich will jetzt nur noch ins Klassenzimmer, damit ich so tun kann, als würde ich aufpassen, während ich telepathische Botschaften an Damen schicke.

»Ja, und wenn du dich erinnerst, war das auch der Abend, an dem es zwischen uns losging«, sage ich schließlich, obwohl ich es sofort bereue. Haven war diejenige, die uns knutschend am Pool gefunden hat, und es hat ihr fast das Herz gebrochen.

Doch sie ignoriert das Ganze und ist nun noch entschlossener, ihren Standpunkt zu verfechten, statt auf diesen Ausschnitt aus der Vergangenheit einzugehen. »Vielleicht bist du ja auch eifersüchtig, weil Damen einen neuen Freund hat. Du weißt schon, jemand anderen als dich.«

»Das ist ja lächerlich«, sage ich etwas zu schnell, um glaubwürdig zu sein. »Damen hat massenhaft Freunde«, füge ich hinzu, obwohl wir beide wissen, dass das nicht stimmt.

Sie sieht mich mit geschürzten Lippen an, völlig ungerührt.

»Er hat dich und Miles und ...« Und mich, denke ich, doch ich will es nicht aussprechen, weil es eine traurige kleine Liste ist, und genau das hat sie gemeint. In Wahrheit ist Damen ja nie mit Haven und Miles zusammen, es sei denn, ich bin auch dabei. Er verbringt jede freie Minute mit mir. Und wenn wir nicht zusammen sind, schickt er mir einen steten Strom von Gedanken und Bildern, um die Distanz wettzumachen. Es ist, als wären wir stets verbunden. Und ich muss zugeben, dass mir das gefällt. Denn nur bei Damen kann ich so sein, wie ich wirklich bin – mit meinem Gedankenhören, Energiespüren und Geistersehen. Nur bei Damen kann ich aus der Deckung kommen und mein wahres Selbst zeigen.

Allerdings muss ich mich zwangsläufig fragen, ob Haven nicht vielleicht doch Recht hat. Vielleicht bin ich ja eifersüchtig. Vielleicht ist Roman wirklich nur ein ganz normaler, netter Typ, der auf eine neue Schule gekommen ist und jetzt neue Freunde finden will – ganz im Gegensatz zu der gruseligen Bedrohung, die ich in ihm sehe. Vielleicht bin ich ja wirklich so paranoid, eifersüchtig und besitzergreifend geworden, dass ich mir automatisch einbilde, Damen würde mich gleich ersetzen, nur weil er nicht mehr ganz so auf mich fixiert ist wie sonst. Und wenn das der Fall ist, dann ist es einfach zu erbärmlich, um es zuzugeben. Also schüttele ich nur den Kopf und ringe mir ein falsches Lachen ab, ehe ich antworte. »Wieder lächerlich. Das ist doch alles total lächerlich.« Dann versuche ich so dreinzusehen, als würde ich das ernst meinen.

»Ja? Und was ist dann mit Drina? Wie erklärst du das?« Sie grinst. »Du hast sie vom ersten Augenblick an gehasst, versuch bloß nicht, das abzustreiten. Und als du dann herausgefunden hast, dass sie Damen kennt, hast du sie noch mehr gehasst.«