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Im Falkland-Konflikt geht es um ein Waffengeschäft, das ebenso absurd wie schmutzig ist: Um englische Schiffe zu versenken, müssen die Argentinier um jeden Preis die Exocet-Rakete beschaffen, die ausgerechnet Frankreich, der Bündnispartner der Briten, entwickelt hat. Und es sieht ganz so aus, als ob das Geschäft über die Waffenbrüderschaft von Briten und Franzosen siegen wird ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
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Seitenzahl: 299
Veröffentlichungsjahr: 2016
Jack Higgins
Exocet
Roman
Aus dem Englischen von Jürgen Bavendam
FISCHER Digital
Für Denise
Regen prasselte auf den verlassenen Grosvenor Place, als der gelbe Fernmeldewagen um die Ecke bog. Kein anderes Fahrzeug war zu sehen, in Anbetracht des Wetters und der frühen Stunde – drei Uhr morgens – kaum überraschend.
Harvey Jackson nahm Tempo weg, und seine schweißnassen Hände drohten am Lenker abzurutschen. Er trug gelbes Ölzeug. Er war ein großgewachsener Mann Ende dreißig, mit langen dunklen Haaren, die ein selten lächelndes Gesicht mit freudlosen Augen über hohen Wangenknochen einrahmten.
Es goß in Strömen, und die Scheibenwischer hatten Mühe, damit fertig zu werden. Er hielt am Bordstein und zog eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Armaturenbrett, zündete sie an, kurbelte das Fenster hinunter und schaute über die Straße zu der hohen, stacheldrahtbewehrten Backsteinmauer, die den Park hinter dem Buckingham-Palast umschloß.
Er klopfte mit den Knöcheln an die Trennwand hinter ihm. Sofort wurde ein kleines Brett entfernt, und Villiers spähte ins Fahrerhaus. «Ja?»
«Wir sind da. Bist du soweit?»
«Zwei Minuten. Fahr zu der Stelle.»
Das Brett wurde zurückgeschoben, und Jackson legte den ersten Gang ein und fuhr weiter.
Der Laderaum war voller Fernmeldezubehör und wurde von einer Neonröhre grell beleuchtet. Tony Villiers drückte sich an die Werkbank, als der Laster leicht schwankte, schwärzte sich das Gesicht sorgfältig mit Spezialschminke und begutachtete den Effekt in einem an einen Werkzeugkasten geklemmten Spiegel.
Er war dreißig, mittelgroß, mit kräftigen Schultern. Seine Augen waren dunkelbraun und ausdruckslos. Irgendwann war sein Nasenbein gebrochen worden. Sein Haar war schwarz, zerzaust und fast schulterlang. Der schwarze Overall und die französischen Fallschirmjägerstiefel vervollständigten den Eindruck eines gefährlichen Mannes.
Er strahlte eine undefinierbare, müde Bitterkeit aus, und sein Gesicht signalisierte, daß er die Welt und ihre Bewohner zu gut kennengelernt hatte, um sich einen Deut um sie zu scheren.
Er zog sich eine schwarze Wollmütze mit Sehschlitzen über den Kopf und hielt sich an der Bank fest, als der Transporter auf den Bordstein rumpelte und an der Mauer hielt.
Auf der Werkbank lag eine Smith & Wesson, Magnum, mit aufgesetztem Carswell-Schalldämpfer, daneben eine Aktenmappe. Er steckte die Waffe in die große Tasche an seinem linken Hosenbein, klappte die Aktenmappe auf und nahm ein großformatiges Schwarzweißfoto heraus. Es war gestern am späten Nachmittag mit einem Teleobjektiv aufgenommen worden und zeigte den Botschaftereingang an der Seite des Buckingham-Palasts. An der Mauer und unter dem Portikus standen Leitern. Vor allem aber waren zwei oder drei Fenster über dem flachen Dach des Portikus ein wenig geöffnet.
Villiers steckte das Foto in die Mappe zurück und schob das kleine Brett wieder zur Seite. «Fünfundzwanzig Minuten, Harvey. Wenn ich bis dann nicht wieder da bin, hau ab, so schnell du kannst.»
«Red nicht lange, in so einer Nacht brauch ich keine Unterhaltung», antwortete Jackson. «Beeil dich, damit wir wieder nach Hause können.»
Villiers schloß die Öffnung, stieg auf die Bank und klappte eine Luke im Wagendach auf. Er hangelte sich hinauf, machte die Luke hinter sich zu und zog wegen des Regens unwillkürlich den Kopf ein. Er kletterte die Mauer hinauf, kroch vorsichtig über den Stacheldraht, langte nach einem dicken Zweig, turnte daran entlang und ließ sich in das Dunkel fallen.
Der Polizist, der an jenem Morgen am Ende des Palastgartens zum Grosvenor Place hin Dienst hatte, haderte mit seinem Schicksal. Bis auf die Haut durchnäßt, hatte er mißmutig und frierend unter einem Baum Schutz gesucht, als der Schäferhund neben ihm plötzlich leise winselte.
«Was ist denn, Junge?» fragte er, im Nu wieder wach, und ließ den Hund von der Leine. «Such, such!»
Der Schäferhund sauste davon, aber Villiers, der zwanzig oder dreißig Meter weiter neben einem Baum stand, hatte das Winseln gehört und hielt bereits die Sprühdose, die in einer anderen Tasche des Overalls gesteckt hatte. Der auf lautlosen Angriff abgerichtete Schäferhund warf sich gegen ihn, und sein rechter Arm, dessen Ärmel für eben diesen Fall wattiert war, sauste hoch. Der Hund verbiß sich in das dicke gesteppte Material, und Villiers sprühte ihm Ärosol an die Schnauze. Das Tier fiel ohne einen Laut zu Boden und blieb regungslos liegen.
Einen Augenblick später näherte sich der Polizist langsam. «Rex, wo bist du?»
Villiers hob die Hand und streckte ihn mit einem brutalen Kantenschlag in den Nacken nieder. Der Mann stöhnte, ehe er umkippte. Villiers drehte ihm die Arme auf den Rücken, legte ihm die eigenen Handschellen an, zog das Funkgerät aus seiner Tasche und steckte es ein. Dann eilte er durch den dunklen Park zur Rückseite des Palasts.
Harvey Jackson stieg aus dem Wagen und öffnete die Ladetür. Er langte hinein, fand ein paar Enterhaken, beugte sich dann über den Einstieg zu seinen Füßen und hob den Deckel ab. Er nahm eine Inspektionslampe an einer langen Schnur aus dem Wagen und ließ sie in das Loch hinunter, baute dann ein rotes Warnschild ACHTUNG, BAUARBEITEN und einige segeltuchbespannte Stellwände auf und legte eine Plane darüber. Er stieg in das Loch, öffnete einen der Telefonkästen, warf einen Blick auf die verwirrende Vielfalt bunter Drähte und Schalter, lehnte sich zurück und wartete.
Ungefähr fünf Minuten später ertönte Motorengeräusch, und er richtete sich auf und beobachtete über dem Rand des Einstiegs, wie ein Streifenwagen am Bordstein hielt. Der Fahrer lehnte sich aus dem Fenster und griente.
«Harter Job. Das haben Sie davon, daß Sie zur Queen gegangen sind.»
«Sie etwa nicht?» sagte Jackson.
«Hoffentlich kriegen Sie wenigstens Überstundengeld. Mitten in der Nacht zu arbeiten …»
«Darauf kann ich lange warten.»
Der Polizist grinste wieder. «Passen Sie auf. Wenn es so weiterregnet, werden Sie zum Frühstück da drin schwimmen.»
Er fuhr weiter, und Jackson zündete sich eine Zigarette an, setzte sich wieder hin, pfiff ein Lied und dachte daran, wie Villiers wohl zurechtkam.
Villiers hatte zu seiner Erleichterung festgestellt, daß die Leitern der Arbeiter noch unter dem Portikus standen, und war ohne Schwierigkeiten auf das flache Dach über dem Botschaftereingang gestiegen. Zwei der Fenster waren tatsächlich geöffnet. Er balancierte auf einem Sims zu dem nächsten, schob den Flügel weiter hoch und krabbelte in einen kleinen Büroraum. Vorsichtig öffnete er die Tür und betrat einen dunklen Korridor.
Die königlichen Gemächer befanden sich auf der anderen Seite des Bauwerks. Da er sich lange mit den Plänen befaßt hatte, die man ihm gegeben hatte, war er mit dem Grundriß des Buckingham-Palasts gründlich vertraut und lief nun zielbewußt durch ein Labyrinth von Korridoren, in denen sich, genau wie er vermutet hatte, um diese Zeit kein Mensch aufhielt. Nach fünf Minuten hatte er das Ende des Flurs zu den Privatgemächern erreicht. Die Wohnung der Königin war jetzt nur noch ein paar Meter entfernt, ein Speisezimmer, an das sich, wie er wußte, ein Salon und das Schlafzimmer anschlossen. Etwas weiter, hinter der Ecke, lag der Raum, in dem die Corgis, ihre Hunde, schliefen. Gegenüber war das Pagenvestibül, in dem ein Konstabler saß und ein Taschenbuch las.
Villiers musterte ihn einen Moment, ging dann den Korridor zurück und holte das Funkgerät aus der Tasche, das er dem Polizisten im Park abgenommen hatte. Er drückte den Knopf für den vierten Kanal und wartete.
Es knackte leise. Eine Stimme sagte: «Hier Jones.»
Villiers antwortete gedämpft: «Sicherheitsbüro. Der Alarm in der Gemäldegalerie scheint wieder losgegangen zu sein. Wir bekommen ein Signal, allerdings mit Unterbrechungen. Könnten Sie mal nachsehen?»
«Okay», sagte Jones.
Villiers ging wieder zur Ecke des Korridors und sah, wie der Konstabler sich in die andere Richtung entfernte. Er bog um eine Ecke und verschwand. Villiers huschte zur Tür der Königinsuite, hielt kurz inne, holte tief Luft und öffnete sie.
Ihre Majestät, Königin Elisabeth II., saß mit einem Buch am Kamin ihres behaglich eingerichteten Wohnraums. Trotz der frühen Stunde war sie sorgfältig frisiert und zurechtgemacht; sie trug einen hellblauen Twinset und einen Tweedrock und hatte eine Perlenkette um. Die Eingangstür knarrte kaum hörbar, und sie hob den Kopf. Die Tür ging auf, Villiers trat ein und machte hinter sich zu.
In seiner schwarzen Montur und mit der Mütze, die nur die Augen frei ließ, sah er außerordentlich bedrohlich aus. Einen Moment lang sagte keiner der beiden etwas, dann langte er nach oben und zog sich die Kapuze vom Kopf.
«Oh, Major Villiers», sagte die Königin. «War es schwierig?»
«Ich fürchte, nein, Ma’am.»
Die Königin runzelte die Stirn. «Ich verstehe. Nun, wir machen am besten gleich weiter. Ich nehme an, Sie haben nicht viel Zeit?»
«Sehr wenig, Ma’am.»
Sie griff nach einer Zeitung und hielt sie in die Höhe. «Der Standard von gestern abend, genügt das?»
«Ich denke, ja, Ma’am.»
Villiers nahm eine Polaroid-Kamera aus der Tasche, trat näher und ging auf ein Knie. Die Königin hob die Zeitung, er knipste, und wenige Sekunden nach dem Blitz glitt die Aufnahme aus der Kamera. Er ging an den Kamin und hielt das Foto dicht an die Flammen. Ihr Gesicht zeichnete sich ab.
«Ausgezeichnet, Ma’am.» Er hielt ihr das Bild hin.
«Sehr schön, und nun gehen Sie am besten. Lassen Sie sich nicht erwischen, sonst wäre alles umsonst gewesen.»
Villiers zog sich wieder die Mütze über den Kopf und verbeugte sich leicht. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß, und er war fort. Die Königin blieb sitzen und überlegte kurz, ob sie wieder zu Bett gehen sollte oder nicht. Regen trommelte an die Scheiben. Sie fröstelte, nahm das Buch und setzte die Lektüre fort.
Zehn Minuten später kam Tony Villiers wie ein schwarzes Gespenst über die Mauer geklettert und sprang auf das Dach des Fernmeldewagens.
«Los, Harvey», flüsterte er, als er die Luke öffnete und sich auf die Werkbank fallen ließ.
Jackson war augenblicklich zum Einstiegloch hinaus, öffnete die Laderaumtür, reichte die Stellwände, das Warnschild und die Lampe hinein und schloß die Tür. Villiers hörte, wie er den Deckel des Einstiegs zuknallte und um den Wagen herum zum Fahrerhaus lief. Er nahm die Mütze ab, schraubte eine Dose mit Abschminkcreme auf und fing an, sein Gesicht zu bearbeiten. Einen Augenblick später fuhren sie davon.
1972, als der internationale Terrorismus epidemische Ausmaße angenommen hatte, genehmigte der Leiter des britischen Geheimdienstes DI 5 die Bildung einer internen Sonderdienststelle, die den Namen Gruppe Vier bekam und aufgrund einer Ermächtigung des Premierministers fortan sämtliche Fälle von Terrorismus, Subversion und dergleichen bearbeitete.
Brigadier Charles Ferguson, der diese Dienststelle seitdem leitete, war ein großer, leutselig wirkender Herr, dessen zerknitterte Anzüge immer eine Nummer zu groß zu sein schienen. Seine Krawatte mit den Gardestreifen war das einzig Militärische an ihm; seine zerzausten grauen Haare und sein Doppelkinn ließen ihn eher wie einen Professor aus der Provinz aussehen.
Im Augenblick trug er einen Mantel, wie ihn die Offiziere der Gardetruppen bevorzugten, mit hochgeschlagenem Kragen, um sich vor der morgendlichen Kälte zu schützen. Der Bentley stand am Eaton Place, nicht allzuweit vom Palast entfernt, und der einzige andere Insasse – am Steuer – war Harry Fox, ein schlanker, eleganter Mann, neunundzwanzig Jahre alt, der bis vor drei Jahren als Captain der Blues and Royals gedient hatte. Der glatte Lederhandschuh an seiner Linken kaschierte die Tatsache, daß er diese Hand bei einem Bombenanschlag während seiner Stationierung in Belfast verloren hatte.
Er schenkte Tee aus einer Thermosflasche in Plastikbecher und reichte Ferguson einen davon. «Wie er es wohl anstellt?»
«Unser Tony? Oh, sicher genauso rücksichtslos wie immer. Der schreckt vor absolut nichts zurück. Muß daran liegen, daß er in Eton Hausältester war.»
«Trotzdem, Sir, wenn er erwischt wird, gibt es bestimmt einen Skandal, der dem Ansehen des SAS nicht gerade guttun wird.»
«Sie machen sich zuviel Gedanken, Harry», sagte Ferguson. «Das hängt wohl mit Ihrer Ausbildung zusammen. Aber es hätte schlimmer kommen können.» Er nickte zu einem gelben Fernmeldewagen auf der anderen Seite des Platzes hin, der neben einem offenen, von Stellwänden verdeckten Einstiegloch stand. Zwei Männer in gelbem Ölzeug arbeiteten im Regen. «Sehen Sie sich die armen Kerle an. Das für eine Art, sein Brot zu verdienen. Zu dieser nachtschlafenden Zeit im Regen in einem Loch!»
Ein dunkler Ford-Granada, in dem außer dem Fahrer nur noch eine Person im Fond saß, fuhr an ihnen vorbei. Er hielt am Trottoir, der Mann im Fond stieg aus, kam auf den Bentley zu, machte die hintere Tür auf und setzte sich neben Ferguson. Er war stämmig und trug einen dunklen Regenmantel und einen Schlapphut.
«Ah, Superintendent», sagte Ferguson. «Harry, das ist Detective Chief Superintendent Carver von der Special Branch, den Scotland Yard als Beobachter delegiert hat. Nehmen Sie sich in acht, Superintendent.» Ferguson schenkte einen dritten Becher ein und reichte ihn ihm. «Boten, die schlechte Nachricht brachten, wurden früher gewöhnlich hingerichtet.»
«Quatsch», sagte Carver liebenswürdig. «Ihr Mann hat keine Chance, und das wissen Sie genau. Wie will er überhaupt hineinkommen?»
«Ich habe keine Ahnung», erwiderte Ferguson. «Ich frage nie nach den Methoden, Superintendent. Mich interessieren nur die Resultate.»
«Moment mal, Sir», sagte Fox. «Ich glaube, wir bekommen Gesellschaft.»
Die beiden Fernmeldetechniker, die in dem Einstieg auf der anderen Seite des Platzes gearbeitet hatten, waren herausgekommen und näherten sich mit triefendem Ölzeug. Fox klappte das Handschuhfach auf und nahm eine Walther PPK heraus.
Ferguson sagte: «Sehr mutig von denen», und kurbelte das Fenster hinunter. «Guten Morgen, Tony. Morgen, Sergeant Major.»
«Sir»! sagte Jackson und knallte mechanisch die Hacken zusammen.
Villiers beugte sich nach unten und reichte das Polaroidfoto der Königin in den Wagen. «Noch etwas, Sir?» fragte er.
Ohne ein Wort zu sagen, betrachtete Ferguson die Aufnahme, um sie dann dem Superintendenten zu geben. Carver richtete sich kerzengerade auf. «Großer Gott!»
Ferguson nahm ihm das Foto ab, holte ein Feuerzeug aus der Tasche und hielt es an den Rand. Er gab es Villiers. «Das sollte besser nicht in andere Hände fallen. Und nun sagen Sie uns das Schlimmste.»
Villiers hielt die Aufnahme fest, während sie verbrannte. «Der Alarmstrahl im Park verläuft nur einen guten halben Meter von der Mauer entfernt. Kein Problem, darüber zu springen. Im Palast selbst ist das Alarmsystem altmodisch und teils defekt, und um hineinzukommen, braucht man kein Fassadenkletterer zu sein.» Er reichte Ferguson das Foto, das einen Tag vorher gemacht worden war. «Arbeiter lassen Leitern stehen, Hausmädchen lassen Fenster offen – es ist beinahe ein Witz.»
Carver studierte mürrisch das Foto. Villiers sagte: «Wir gehen jetzt ein bißchen spazieren. Lassen Sie sich Zeit.»
Er ging mit Jackson zur nächsten Straßenlaterne, wo sie sich eine Zigarette anzündeten. Carver sagte: «Um Himmels willen, wer ist denn das? Er sieht aus wie ein Ganove aus dem East End und redet wie der Cavalry Club.»
«Eigentlich ist er Major bei den Grenadier Guards und dem SAS unterstellt», antwortete Ferguson.
«Mit dieser Frisur? Ich meine, haben Sie sich die Haare angesehen?»
«Sondererlaubnis vom SAS. Braucht keinen Haarschnitt. Wenn man im Hafen von Belfast einen Strolch spielen will, ist Tarnung ziemlich wichtig, Superintendent.»
«Und er ist wirklich zuverlässig?»
«O ja. Zweimal dekoriert. Military Cross für persönlichen Einsatz gegen marxistische Guerillas in Oman und noch mal für irgendeinen Unsinn irgendwo in Irland, Einzelheiten sind Verschlußsache.»
Carver hielt das Foto hoch. «Das ist schlecht, sehr schlecht. Es wird Kreise ziehen.»
«Wir schicken Ihnen einen umfassenden Bericht.»
«Darauf hätte ich wetten können.»
Carver stieg aus, und Villiers drehte sich um und ging auf ihn zu. «Eines habe ich nicht erwähnt, Superintendent. Ihren Mann am Ende des Gartens zum Grosvenor Place, der auf Spanner aufpassen soll. Ich habe ihn fesseln müssen. Sie finden ihn in seinen eigenen Handschellen unter einem Baum am Teich. Ihm ist nichts passiert. Ich hab auf dem Rückweg nachgesehen. Sagen Sie ihm, es täte mir leid mit dem Hund.»
«Sie Bastard», zischte Carver.
Er lief zu dem Granada, die Tür knallte zu, der Wagen schoß davon.
Ferguson sagte: «Steigen Sie ein, Tony. Sergeant Major, ich denke, wir können uns darauf verlassen, daß Sie den Wagen allein loswerden? Ich werde nicht fragen, wo Sie ihn organisiert haben.»
«Sir.» Jackson schlug die Hacken zusammen und ging über den Platz zu dem Fernmeldefahrzeug.
Villiers stieg hinten in den Bentley, und Fox fuhr los. Ferguson sagte: «Ihr Urlaub ist doch erst in einer Woche um?»
«Offiziell, ja.»
Ferguson kurbelte das Fenster hinunter und schaute hinaus, während sie um das Königin-Viktoria-Denkmal herumfuhren und auf die Mall bogen.
«Haben Sie Gabrielle in letzter Zeit gesehen?»
Villiers sagte unbewegt: «Nein.»
«Wohnt sie noch in Kensington Palace Gardens?»
«Manchmal. Die Wohnung gehört weiterhin mir. Wir haben aber vereinbart, daß sie sie benutzen kann, wenn sie in London ist. Sie hat natürlich noch ihre Wohnung in Paris.»
«Es tut mir leid, als ich das mit der Scheidung hörte.»
«Es war das Beste, was uns beiden je passierte», antwortete Villiers nur.
«Ist das Ihr Ernst?»
«Aber ja.»
Ferguson fröstelte und schlug den Mantelkragen höher, kurbelte das Fenster aber noch weiter auf, so daß die kalte Morgenluft ungehindert ins Wageninnere drang.
«Manchmal frage ich mich, wozu das Leben überhaupt da ist.»
«Die Frage kann ich leider nicht beantworten», sagte Villiers. «Ich lasse es einfach über mich ergehen.»
Brigadier Charles Ferguson arbeitete wenn irgend möglich von seiner Wohnung am Cavendish Square aus. Sie war sein großes Hobby. Der Kamin im Adam-Stil war echt, auch das Feuer, das darin brannte. Der Rest war ebenfalls georgianisch. Alles war perfekt abgestimmt, sogar die Vorhänge. Er saß an dem Morgen nach Villiers’ Palasteinbruch um zehn Uhr am Feuer und las die Financial Times, als sein Diener Kim, ein ehemaliger Gurkhasoldat, eintrat.
«Mademoiselle Legrand, Sir.»
Ferguson nahm seine Lesebrille mit den Halbmondgläsern ab, legte sie und die Zeitung hin und stand auf. «Führen Sie sie herein, Kim, und bitte Tee für drei.»
Kim entfernte sich, und einen Augenblick später kam Gabrielle Legrand ins Zimmer.
Sie ist die schönste Frau, die ich in meinem Leben gesehen habe, sagte Ferguson sich zum soundsovielten Mal. Sie trug Reitzeug: Stiefel, abgewetzte Reithosen, ein weißes Hemd und eine alte grüne Jacke aus Donegaltweed. Die blonden Haare waren im Nacken zu einem Knoten gebunden und wurden von einem scharlachroten Band aus der Stirn gehalten. Sie sah ihn ernst an, und ihre großen grünen Augen zeigten keinerlei Ausdruck, während sie mit der Reitgerte in ihrer linken Hand ans Knie schlug. Sie war nicht klein, mit Stiefeln etwa 1,72 Meter. Ferguson ging herzlich lächelnd auf sie zu und streckte beide Hände aus.
«Meine wunderhübsche Gabrielle.» Er küßte sie auf die Wange. «Wie ich höre, nicht mehr Mrs. Villiers?»
«Nein», sagte sie. «Wieder ich selbst.»
Ihr Akzent war britische Oberschicht, aber das Timbre ihrer Stimme gab ihm eine sehr persönliche Note. Sie ließ die Gerte auf den Tisch fallen, trat ans Fenster und blickte auf den Platz hinunter.
«Haben Sie Tony in letzter Zeit gesehen?»
«Ich sollte meinen, Sie hätten ihn gesehen», sagte Ferguson. «Er ist in der Stadt. Kurzer Urlaub, soweit ich weiß. Hat er nicht angerufen?»
«Nein», sagte sie. «Das würde er nicht tun, nicht, während ich da bin.»
Sie blieb am Fenster stehen, und Ferguson sagte sanft: «Was ist bei euch schiefgelaufen, meine Liebe?»
«Alles und nichts», sagte sie. «Vor fünf Jahren glaubten wir, wir könnten nicht ohne einander leben, aber das dauerte nur einen langen heißen Sommer. Ich war hübsch, er war das bestaussehende Wesen in Uniform, das ich je gesehen hatte.»
«Und dann?»
«Es war keine echte Beziehung, einfach nicht die richtige Mischung.» Ihre Stimme war sachlich, aber er hörte Kummer heraus. «Ich mochte Tony, ich mag ihn immer noch, aber ich wurde zu leicht wütend auf ihn, und ich wußte nie, warum.» Sie zuckte wieder mit den Schultern. «Zu viele Löcher, die wir nie füllen konnten.»
«Es tut mir leid», sagte Ferguson.
Die Türe wurde geöffnet, und Kim erschien mit einem silbernen Tablett, das er auf den niedrigen Tisch am Kamin stellte. «Ah, Tee», sagte Ferguson. «Holen Sie Captain Fox aus dem Büro, Kim.»
Der Gurkha verließ den Raum, und Gabrielle setzte sich ans Feuer. Ferguson nahm ihr gegenüber Platz und schenkte ihr Tee ein.
Sie nahm einen kleinen Schluck und lächelte. «Ausgezeichnet. Meine britische Hälfte ist sehr angetan.»
«Kaffee ist ein barbarisches Getränk», belehrte er sie.
Er bot ihr eine Zigarette an, doch sie schüttelte den Kopf. «Vielen Dank, ich würde, ehrlich gesagt, lieber sofort zur Sache kommen. Ich bin zum Mittagessen verabredet. Was möchten Sie von mir?»
In diesem Augenblick trat Harry Fox ein. Er trug einen hellgrauen Flanellanzug mit Gardekrawatte und hatte eine Akte in der Hand, die er auf den Schreibtisch legte.
«Gabrielle, wie schön, Sie zu sehen.» Er schien sich ehrlich zu freuen und beugte sich nach unten, um ihr einen Kuß auf die Wange zu geben.
«Harry.» Sie tätschelte freundschaftlich sein Gesicht. «Was führt Ihr Chef diesmal im Schilde?»
Fox nahm die Tasse, die Ferguson ihm reichte, und warf diesem einen fragenden Blick zu. Ferguson nickte, und der junge Captain trat an den Kamin und begann. «Was wissen Sie über die Falklandinseln, Gabrielle?» fragte er.
«Im Südatlantik», sagte sie. «Gut sechshundert Kilometer vor der argentinischen Küste. Argentinien hat sie seit vielen Jahren für sich beansprucht.»
«Das stimmt. Britische Kronkolonie, aber bei den zwölftausend Kilometern dazwischen verdammt schlecht zu verteidigen.»
«Übrigens sind dort augenblicklich achtundsechzig Königliche Marineinfanteristen stationiert», bemerkte Ferguson. «Sie werden verstärkt von der lokalen Verteidigungseinheit und einem Schiff der Royal Navy, HMS Endurance, einem packeisgeeigneten Patrouillenboot mit zwei Zwanzig-Millimeter-Geschützen und ein paar Wasp-Hubschraubern. Die Herrschaften im Unterhaus haben in öffentlicher Debatte klargestellt, daß sie beabsichtigen, sie einzumotten, um Geld zu sparen.»
«Und sechshundert Kilometer weiter liegen eine erstklassig ausgerüstete Luftwaffe, ein großes Heer und eine Kriegsmarine auf der Lauer», sagte Fox.
Gabrielle zog die Schultern hoch. «Na und? Sie meinen doch nicht im Ernst, daß die argentinische Regierung eine Invasion vorhat?»
«Ich fürchte, genau das meinen wir», antwortete Ferguson. «Seit Januar lassen alle Anzeichen darauf schließen, und die CIA ist hundertprozentig überzeugt, daß ein Angriff bevorsteht. Es ist ganz logisch. Das Land wird von einer Drei-Mann-Junta regiert. General Galtieri, Staatspräsident und gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte, hat versprochen, die Wirtschaft zu sanieren. Dennoch ist das Land so gut wie bankrott.»
Fox sagte: «Eine Invasion der Falklandinseln würde das Volk von seiner mißlichen Lage ablenken. Die Leute auf andere Gedanken bringen als Inflation und Arbeitslosigkeit.»
«Wie bei den alten Römern», ergänzte Ferguson. «Brot und Spiele. Den Pöbel bei Laune halten. Noch eine Tasse?»
Er schenkte Gabrielle nach. Sie sagte: «Ich sehe immer noch nicht, was das mit mir zu tun haben soll.»
«Es ist sehr einfach.»
Ferguson nickte Fox zu, und dieser klappte die Akte auf dem Schreibtisch auf und nahm eine stilvoll gedruckte Einladungskarte heraus, die er ihr reichte: Seine Exzellenz Carlos Ortiz de Rozas, Argentinischer Botschafter am Hof von St. James’s, gab sich auf englisch und spanisch die Ehre, Mademoiselle Gabrielle Simone Legrand um halb acht Uhr zu Cocktails mit anschließendem kalten Büffet in die Argentinische Botschaft am Wilton Crescent zu bitten.
«Ganz in der Nähe von Belgrave Square», sagte Fox hilfsbereit.
«Heute abend?» sagte sie. «Unmöglich. Ich gehe ins Theater.»
«Es ist wichtig, Gabrielle.» Ferguson nickte, und Fox holte die Akte, öffnete sie wieder und nahm eine Schwarzweiß-Aufnahme heraus, die er auf den Tisch vor ihr legte.
Gabrielle nahm sie. Der Mann, der sie anblickte, trug eine militärische Fliegerkombination, wie Jetpiloten sie haben. In der rechten Hand hielt er einen Fliegerhelm, und er hatte ein Halstuch um. Er war nicht mehr jung, wenigstens vierzig, und er war, wie die meisten Piloten, nicht besonders groß. Er hatte dunkles, welliges, an den Schläfen graumeliertes Haar, einen gelassenen Blick, und seine rechte Wange zierte eine Narbe, die bis zum Auge lief.
«Oberst Raul Carlos Montera», sagte Fox. «Im Moment Luftattaché mit besonderen Aufgaben an der Argentinischen Botschaft.»
Gabrielle starrte auf das Foto. Es war, als betrachtete sie einen alten Freund, jemanden, den sie sehr gut kannte, und doch hatte sie diesen Mann bestimmt noch nie in ihrem Leben gesehen.
«Erzählen Sie mir etwas über ihn.»
«Fünfundvierzig Jahre alt», sagte Fox. «Aristokrat. Seine Mutter, Doña Elena, spielt eine wichtige Rolle in der Gesellschaft von Buenos Aires. Sein Vater ist letztes Jahr gestorben. Die Familie besitzt weiß Gott wieviel Land und so ziemlich alle Rinder der Neuen Welt. Steinreich.»
«Und er ist Pilot?»
«O ja, einer von denen, die nicht ohne Steuerknüppel leben können. Mit sechzehn zum erstenmal allein geflogen. Er hat in Harvard einen Magister in Sprachwissenschaft gemacht und ist dann zur argentinischen Luftwaffe gegangen. Spezialausbildung bei der Royal Air Force in Cranwell. Hat außerdem bei den Südafrikanern und Israelis trainiert.»
«Noch etwas Wichtiges», sagte Ferguson und trat ans Fenster. «Er ist nicht der übliche südamerikanische Faschist. 1967 trat er aus der Luftwaffe aus. Flog im nigerianischen Bürgerkrieg Dakotas für Biafra. Nachts von Fernando Póo nach Port Harcourt. Bestimmt nicht sehr gemütlich.»
«Dann tat er sich mit einem Schweden zusammen, Graf Gustaf von Rosen. Die Biafraner kauften fünf schwedische Übungsmaschinen, Minicons, und ließen sie mit Maschinengewehren und anderen Waffen bestücken. Montera war einer von den Verrückten, die sie gegen russische MiG-Jäger flogen, die von ägyptischen und ostdeutschen Piloten gesteuert wurden.» Fox reichte ihr ein anderes Foto. «Aufgenommen in Port Harcourt, kurz vor dem Ende des Kriegs.»
Montera trug darauf eine alte lederne Fliegerjacke aus dem Zweiten Weltkrieg, seine Haare waren struppig, die Augen lagen tief in den Höhlen, das Gesicht war von Erschöpfung gezeichnet. Die Narbe auf der Wange wirkte geschwollen, als sei sie ganz frisch. Gabrielle hatte unwillkürlich den Wunsch, ihn anzufassen und zu trösten, diesen Mann, den sie nicht kannte. Als sie das Bild hinlegte, zitterte ihre Hand kaum merklich.
«Was genau soll ich tun?»
«Er wird heute abend da sein», antwortete Fox. «Ein offenes Wort, Gabrielle … Es gibt nur wenige Männer, die Ihnen unter normalen Umständen widerstehen können, und wenn Sie sich besondere Mühe geben …»
Der Satz blieb unbeendet in der Luft hängen. Sie sagte: «Ich verstehe. Ich soll mit ihm ins Bett gehen, an England denken und darauf warten, daß er etwas Wissenswertes über die Falklandinseln von sich gibt?»
«Ziemlich drastisch ausgedrückt, trifft aber ungefähr ins Schwarze.»
«Was für ein unmoralischer Mensch Sie sind, Charles.» Sie stand auf und nahm ihre Reitgerte.
«Werden Sie es tun?»
«Ich denke, ja», erwiderte sie. «Ich habe das Stück sowieso schon mal gesehen, und um die Wahrheit zu sagen, scheint Ihr Raul Montera sehr interessant zu sein.»
Die Tür fiel hinter ihr ins Schloß, und Fox schenkte sich Tee nach. «Glauben Sie, daß sie es macht, Sir?»
«O ja», sagte Ferguson. «Unsere Gabrielle liebt es, auf der Bühne des Lebens zu stehen. Was wissen Sie überhaupt von ihr, Harry?»
«Nun, sie und Tony waren ungefähr fünf Jahre verheiratet …»
«Das stimmt. Vater Franzose, Mutter Engländerin. Sie ließen sich scheiden, als sie noch klein war. Sie hörte an der Sorbonne Politologie und Volkswirtschaft und studierte dann ein Jahr am St. Hugh’s College in Oxford. Heiratete Villiers, nachdem sie ihn beim Maiball in Cambridge kennengelernt hatte. Hätte die Einladung zu einem Fest an einer zweitrangigen Universität besser ablehnen sollen. Wie oft hat sie für uns gearbeitet, Harry?»
«Mit meiner Beteiligung nur einmal, Sir. Vier weitere Male über Sie.»
«Ja», sagte Ferguson. «Ein Sprachgenie. Aber nicht gut, wenn es wirklich hart auf hart geht, sei es physisch oder sonstwie. Eine wahre Moralistin, unsere Gabrielle. Was ist eigentlich mit ihren Angehörigen?»
«Der Vater lebt in Marseille. Ihre Mutter hat wieder geheiratet, einen Engländer. Sie leben auf der Isle of Wight. Sie hat einen Halbbruder, Richard, zweiundzwanzig Jahre. Hubschrauberpilot bei der Royal Navy.»
Ferguson griff zu einer Zigarre und setzte sich an den Schreibtisch.
«Ich habe in meinem Leben viele schöne und tüchtige Frauen kennengelernt, Harry, und Sie bestimmt auch, aber Gabrielle ist etwas Besonderes. Für jemanden wie sie kommt nur ein besonderer Mann in Frage.»
«Ich fürchte, die sind uns fürs erste ausgegangen, Sir», sagte Fox.
«Nicht nur fürs erste. Sie waren schon immer knapp. Sehen wir mal nach, was das Foreign Office zu bieten hat.» Ferguson setzte die Brille mit den Halbmondgläsern auf.
Der prunkvolle Ballsaal der Argentinischen Botschaft wurde von Lüstern mit Kristallprismen beleuchtet, deren Licht sich an den teilweise verspiegelten Wänden vielfach brach. Schöne Frauen in eleganten Abendkleidern; gutaussehende Männer in Galauniformen; ein paar kirchliche Würdenträger in Scharlachrot und Purpur. Es war eine beinahe altertümliche Szene, und die Spiegel schienen verblaßte Erinnerungen an eine vergangene Epoche zu reflektieren, während die Tänzer sich ohne Ende zu gedämpfter Musik drehten.
Das Trio, das in der Ecke des Saals auf einem Podium unter einem Baldachin spielte, war gut und schien immerzu die Stücke auszuwählen, die Raul Montera liebte. All die alten Erfolgsschlager von Cole Porter, Rodgers und Hart, Irving Berlin. Aber er langweilte sich dennoch. Er entschuldigte sich bei der kleinen Gruppe um den Botschafter, nahm ein Glas Perrier von dem Tablett eines vorbeikommenden Kellners, schlenderte zu einer Säule und lehnte sich, eine Zigarette rauchend, lässig dagegen.
Sein Gesicht war bleich, die auffallend blauen Augen waren trotz seiner augenscheinlichen Gelassenheit ständig in Bewegung. Die schneidige Uniform saß wie angegossen, und die Orden auf seiner linken Brust wirkten eindrucksvoll. Er strahlte Energie aus, eine lauernde Rastlosigkeit, die zu signalisieren schien, daß er derartige Festlichkeiten banal fand und sich danach sehnte, in Aktion zu treten.
Die Stimme des Majordomo übertönte die allgemeine Geräuschkulisse: «Mademoiselle Gabrielle Legrand.» Montera blickte gleichgültig auf und sah sie in dem goldgerahmten Spiegel vor sich an der Wand. Sie stand im Eingang des Ballsaals. Sein Atem stockte, und er war einen Moment wie erstarrt, um sich dann langsam umzudrehen und die schönste Frau zu betrachten, die er je in seinem Leben erblickt hatte.
Ihre glänzend blonden Haare waren nicht mehr durch ein Stirnband gehalten und zu einem Knoten gebunden wie am Morgen in Fergusons Wohnung, sondern in jenem Stil frisiert, den Meistercoiffeurs coupe sauvage – wilder Schnitt – nennen: Hinten lang genug, um bis über die Schulterblätter zu hängen, vorn kurz und an den Seiten in raffinierten Stufen geschnitten, umrahmten sie ein atemberaubendes Gesicht.
Die Augen waren strahlendgrün, die hohen Wangenknochen gaben ihr etwas Skandinavisches, die Lippen waren voll und makellos geformt. Sie trug ein glasperlenbesetztes, silberdurchwirktes Kleid von Yves St. Laurent, dessen unregelmäßige Saumlinie ein ganzes Stück über dem Knie lag, denn in dieser Saison war Mini wieder letzter Schrei. Sie schritt auf hochhackigen Silberpumps, und ihre Haltung strahlte eine gewisse unbekümmerte Arroganz aus, die zu sagen schien: Es ist mir egal, ob ihr mich attraktiv findet oder nicht.
Raul Montera hatte noch nie eine Frau gesehen, die so sehr den Eindruck machte, es notfalls mit der ganzen Welt aufnehmen zu können. Sie hatte ihn nun ebenfalls bemerkt und war sich sofort einer sonderbaren, irrationalen Erregung bewußt, die sie veranlaßte, sich schnell abzuwenden, als suche sie jemand anderen.
Sie wurde von einem jungen argentinischen Hauptmann angesprochen, der offensichtlich schon zuviel getrunken hatte. Montera ließ ihm genug Zeit, ihr lästig zu werden, und ging dann durch Gruppen anderer Gäste zu ihnen.
«Da sind Sie ja, mon amie», sagte er in ausgezeichnetem Französisch. «Ich habe Sie überall gesucht!»
Sie schaltete schnell. Sie drehte sich zu ihm, berührte seine Schulter und küßte ihn auf die Wange. «Ich dachte schon, ich hätte mich im Abend geirrt.»
«Zu Befehl, Herr Oberst.» Der Hauptmann zog sich verdrossen zurück. Montera sah Gabrielle schelmisch an, und sie mußten beide lachen.
Er nahm ihre Hände und hielt sie leicht in seinen. «Ich nehme an, solche Situationen sind Ihnen nicht neu?»
«Ich bin daran gewöhnt, seit ich vierzehn war.»
In die grünen Augen trat ein Schatten. Er sagte: «Was Sie nicht gerade für die Angehörigen meines Geschlechts eingenommen haben dürfte?»
«Wenn Sie damit fragen wollen, ob ich Männer mag … Nein, eigentlich nicht sehr.» Sie lächelte. «Das heißt, im allgemeinen nicht.»
Er musterte ihre Hände. «Oh, sehr gut.»
«Was ist denn?» Sie war verwirrt.
«Kein Ehering.»
Er richtete sich auf und nahm Haltung an. «Oberst Raul Carlos Montera, stets zu Ihren Diensten, mein Fräulein, und es wäre nicht nur eine Freude, sondern auch ein großes Privileg für mich, wenn Sie mir diesen und alle anderen Tänze des Abends reservierten.»
Er nahm ihre Hand und führte sie zur Tanzfläche, während das Trio in langsamem Foxtrottempo «Our Love is Here to Stay» zu spielen begann.
«Wie passend», sagte er leise und zog sie an sich.
Und darauf gab es nichts zu antworten. Sie tanzten sehr gut miteinander, und sein Arm ruhte federleicht an ihrer Taille.
Sie berührte die Narbe auf seiner Wange. «Woher kommt das?»
«Granatsplitter», sagte er. «Luftgefecht.»
Sie beherrschte ihre Rolle. «Wo denn? So lange ich lebe, hat Argentinien keinen Krieg mehr geführt.»
«Der Krieg anderer Leute», sagte er. «Vor tausend Jahren. Eine zu lange Geschichte.»
Sie berührte die Narbe wieder zärtlich, und er stöhnte leise und sagte auf spanisch, wie zu sich selbst: «Ich habe zwar schon von Liebe auf den ersten Blick gehört, aber dies ist verrückt.»
«Warum?» erwiderte sie ruhig in derselben Sprache. «Ist das, was die Dichter uns seit Jahrhunderten versichert haben, nicht das einzige, wofür zu leben sich heute noch lohnt?»
«Also auch Spanisch?» fragte er. «Was mag diese Frau sonst noch alles können?»
«Englisch», sagte sie. «Und Deutsch. Mein Russisch ist allerdings nicht fließend. Allenfalls passabel.»
«Nicht zu fassen.»
«Sie meinen, bei einer hübschen Blondine mit einem guten Körper?»
Er registrierte die Bitterkeit in ihrer Stimme und trat zurück, um ihr ins Gesicht zu sehen. Seines zeigte unverhüllte Zärtlichkeit und eine gewisse Autorität. «Verzeihen Sie, wenn ich Sie verletzt habe. Es ist nicht meine Absicht. Ich werde mich bemühen, mir bessere Manieren zuzulegen. Sie müssen mir nur ein bißchen Zeit lassen.»
Als die Musik verstummte und er sie von der Tanzfläche führte, war sie sich wieder jener Atemlosigkeit bewußt. «Champagner?» sagte er. «Ich nehme an, da Sie Französin sind, ist er Ihr Lieblingsgetränk.»
«Selbstverständlich.»
Er schnippte einem Kellner mit den Fingern, nahm ein Glas vom Tablett und reichte es ihr. «Dom Pérignon, das Beste, was es gibt. Heute abend versuchen wir, neue Freunde zu gewinnen und alte zu halten.»
«Ich denke, Sie haben es nötig», sagte sie.
Er runzelte die Stirn. «Ich verstehe nicht.»
«Oh. Haben Sie vorhin nicht die Nachrichten gesehen? Im Unterhaus wurden Fragen über die Falklandinseln gestellt. Anscheinend fährt unsere Navy zu Manövern in dem Gebiet.»
«Nicht Falklandinseln», sagte er. «Für uns sind es die Malwinen.» Er zuckte mit den Schultern. «Ein alter Streit, es lohnt sich kaum, darüber zu reden. Es ist Sache der Politiker. Ich denke, die Briten werden früher oder später eine Vereinbarung mit uns treffen. Wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zukunft.»
Sie ließ es dabei bewenden und hakte sich bei ihm unter, ehe sie zu einer Fenstertür gingen und ins Freie traten. Auf dem Weg nahm er wieder ein Glas und reichte es ihr.
«Trinken Sie gar nicht?» fragte sie.
«Nicht viel und nie Champagner. Bringt mich völlig durcheinander. Ich werde alt, wie Sie sehen.»
«Unsinn.»
«Fünfundvierzig. Und Sie?»
«Siebenundzwanzig.»
«Großer Gott, wenn ich noch mal so jung sein könnte.»
«Alter ist ein innerer Zustand», sagte sie. «Hermann Hesse hat mal irgendwo geschrieben, so etwas wie Jugend und Alter gebe es nur bei alltäglichen Menschen. Alle begabten und außergewöhnlichen Leute seien manchmal jung und manchmal alt, genau wie sie manchmal glücklich und dann wieder traurig seien.»
«Wie gebildet», rief er aus. «Woher kommt das alles?»
«Ich war an der Sorbonne und dann in Oxford», antwortete sie. «Ein Mädchencollege, St. Hugh’s. Weit und breit kein Mann, Gott sei Dank. Jetzt bin ich Journalistin. Freischaffend. Vor allem Illustrierte.»
Hinter ihnen spielte das Trio nun «A Foggy Day in London Town». Er fing leise an, die ersten Verse zu singen: «I was a stranger in your city …»
«O nein», unterbrach sie. «Meine Stadt ist Paris, aber trotzdem hatte Fred Astaire in dem Film recht, als er das Lied sang. Jeder sollte mindestens einmal im Leben die Themse entlanggehen, möglichst nach Mitternacht.»
Er lächelte langsam und ergriff ihre Hände. «Eine ausgezeichnete Idee. Aber zuerst sollten wir etwas essen. Sie sehen aus wie ein Mädchen mit gutem Appetit. Wer weiß, was sonst nach dem nächsten Glas Champagner passiert?»