Express - Madison S. Archer - E-Book

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Madison S. Archer

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Beschreibung

Jack Tanner ist Schriftsteller. Während einer achzigstündigen Bahnreise, bei der er seinen neuen Roman schreiben will, wird er feststellen, dass der Grat zwischen Realität und Fiktion oftmals schmaler ist als man denkt …

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Seitenzahl: 57

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Prolog

Wenn Schriftsteller Tagebuch führen würden, was würde da wohl so alles drin stehen? Würden sich diese Tagebücher genauso lesen, wie die Bücher, die diese Schriftsteller sonst so schrieben? Wären sie genauso gut oder schlecht, genauso spannend, gruselig, rätselhaft oder geheimnisvoll? Könnte man das Eine überhaupt vom Anderen unterscheiden?

Jack Tanner ist Schriftsteller. Während einer Bahnreise wird er feststellen, dass der Grat zwischen Realität und Fiktion oftmals schmaler ist als man denkt …

Es war buchstäblich fünf vor zwölf. Mein neuer Roman war längst fällig und ich hatte noch keine einzige Zeile zu Papier gebracht. Meine letzte Frist waren die nächsten 80 Stunden. Genau so lange dauert nämlich eine Zugfahrt von San Francisco nach New York City.

Bereits auf dem Bahnsteig beschlich mich ein seltsames Gefühl, beinahe so, als wäre ich plötzlich nicht mehr in meiner Realität. Es war fast so, als hätte ich ein paar Martini zu viel. Und dabei mag ich Martini nicht einmal. Auf jeden Fall wurde ich auf dem Bahnsteig von einer dunkelhaarigen Frau in einem roten Kleid überholt, die es ziemlich eilig zu haben schien. Und das, obwohl der Zug noch mindestens zwanzig Minuten Aufenthalt hatte. Aber egal. Ich hatte einen ziemlich guten Blick auf die appetitliche Rückseite dieser Dame und fühlte mich bei ihrem Anblick in die zwanziger Jahre zurück versetzt. Ich kam mir plötzlich vor wie in einem dieser alten Filme, bei denen der Dampf der Lokomotiven über den Bahnsteig waberte, während die Passagiere ein- und ausstiegen. Irgendetwas war an dieser Frau, das ich in diesem Augenblick nicht einordnen konnte. Ich hätte nicht einmal sagen können, was es genau war. Ihr Kleid, das alt und teuer aussah? Oder waren es ihre dunklen Nylonstrümpfe, die eine Naht auf der Rückseite der Beine hatten? Keine Ahnung. Und für den Moment konnte ich mich nicht weiter damit beschäftigen, denn der Schaffner wollte meine Fahrkarte sehen und begleitete mich dann zu meinem Schlafwagen-Abteil.

Es war 22.00 Uhr an einem Freitag im September. Bis zum Dienstag um 6.20 Uhr musste das Manuskript fertig sein. Komme was da wolle. Ich machte es mir also in meinem Abteil einigermaßen gemütlich. Das Bett hatte der Schaffner bereits herunter geklappt. Ich stellte meinen Koffer in die Ecke vor die Verbindungstür zum Nachbarabteil, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass diese Tür von meiner Seite aus abgeschlossen war. Dann packte ich mein Notebook aus und fing an zu arbeiten. Während ich die ersten Seiten mit Text füllte, ging mir diese Frau im roten Kleid nicht aus dem Kopf. Wo hatte ich sie nur schon mal gesehen? Und dann fiel es mir plötzlich ein.

X

Es war ungefähr vor dreißig Jahren auf einer Zugfahrt von Frankfurt am Main nach Italien zum Lago Maggiore. Ich war damals als Junge zu Besuch bei einer Tante. Sie und ihre Freundinnen waren eine kleine Gruppe von Krimifreunden die sich einmal die Woche abends trafen um einen in einer Radiosendung vorgetragenen Kriminalfall zu lösen. Wenn ich mich recht erinnere, hieß diese Sendung „Der Whistler … oder jedenfalls so ähnlich“. Es war jede Woche das gleiche Ritual: Sie saßen mit Block und Kugelschreiber bewaffnet vor dem Radio. Ein geheimnisvoller Sprecher trug mit verschwörerischer Stimme einen Fall vor, ob nach wahren Begebenheiten oder aus irgendwelchen Romanen, kann ich nicht sagen. Jedenfalls ließ er jedes Mal das Ende offen. Die Zuhörer hatten dann genau eine Stunde Zeit, das Rätsel, also den Fall, zu lösen und beim Sender anzurufen. Wer als erster mit der richtigen Lösung durchkam, erhielt einen Preis. Und einmal war dieser Preis eine Bahnreise zu einem geheimnisvollen Ort irgendwo in Italien, zu einem sogenannten „Kongress der Rätselknacker“. Es sollte eine Art Krimireise werden. Während dieser Reise mussten alle Teilnehmer ein Verbrechen aufklären. Die Abschluss-Veranstaltung sollte dann in einem alten, zu einem Hotel umgebauten, ehemaligen Sanatorium sein, bei der der Initiator dieser Reise, ein exzentrischer Milliardär, der selber ein passionierter Hobbydetektiv war, die Auflösung des Rätsels präsentieren und den Gewinner küren würde.

Was soll ich sagen? Meine Tante und ihre Freundinnen haben die Reise gewonnen. Und ich durfte auch mit. Und genau auf dieser Reise trat das erste Mal eine Dame in einem roten Kleid in mein Leben.

Sie fiel mir damals bereits auf dem Bahnhof auf. Es stellte sich heraus, dass ein ganzer Zug extra für diese Reise gechartert worden war und Krimifreunde aus der ganzen Welt daran teilnehmen würden. Ein geheimnisvoller Herr, groß gewachsen, hagere, fast schon feminine Gestalt, glatt zurückgegelte Frisur, seiner Aussage nach der Sekretär des Milliardärs, übergab jedem der Teilnehmer ein kleines Paket. In diesem fand sich neben der Fahrkarte eine Sammlung von Gegenständen, die für den detektivischen Alltag unerlässlich waren. Wie zum Beispiel ein Notizbuch nebst Stift, ein kleines Fingerabdruckset, eine Leselupe, eine Taschenlampe, eine kleine Sofortbildkamera mit einem Ersatzmagazin und eine Krawatte. Ich konnte mir zwar vorstellen, dass eine Krawatte bisweilen nützlich sein könnte. Doch ehrlich gesagt, konnte ich mir meine Tante und ihre Freundinnen nur schwer mit einem solchen Kulturstrick um den Hals vorstellen. Dieser geheimnisvolle Milliardär ist wohl bei der Planung dieses Events davon ausgegangen, es lediglich mit Herren zu tun zu haben. Ich war mir sicher, nachdem er meine Tante und ihre Freundinnen kennengelernt hatte, würde er seine Annahmen wohl in mehr als einer Hinsicht überdenken müssen.

Nun. Jedenfalls fiel mir die Dame in der Menge sofort auf und das nicht nur, weil sie erst als letzte auf dem Bahnsteig eintraf. Mit ihrem feuerroten Kleid stach sie deutlich aus der übrigen, eher graubraunen, Menge hervor. Wir stiegen sogar in denselben Waggon, wie die Dame in Rot. Und bei der Gelegenheit konnte ich einen Blick aus der Nähe auf sie erhaschen. Und irgendetwas erschien mir sehr merkwürdig. Natürlich wusste ich damals noch nicht viel über Frauen. Schon gar nicht über solche, die so auffallend angezogen waren. Es war an ihr auch absolut nichts auszusetzen. Sie trug eben dieses knallrote Kleid, dunkle Nylonstrümpfe mit einer perfekt sitzenden Naht auf der Rückseite der Beine, eine Stola aus einem schwarzen Pelz und schwarze Handschuhe aus einem schimmernden Stoff. Ihr Gesicht war für meinen Geschmack etwas zu stark geschminkt. Aber alles in allem gab es an diesem Erscheinungsbild, wie gesagt, nichts auszusetzen. Dennoch hatte ich das komische Gefühl, dass an diesem Bild etwas nicht stimmte.

X

Für mich, der ich bereits eine längere Flugreise von San Francisco nach Frankfurt am Main hinter mir hatte, sollte so eine Zugfahrt eigentlich nichts Außergewöhnliches sein. Doch mitnichten. Ich fand es spannend und aufregend. Der ganze Zug war ein einziger Abenteuerspielplatz für mich. Ich konnte den Flur entlang rennen und mich somit faktisch schneller als der Zug vorwärts bewegen. Es gab einen Speisewagen, einen Aussichtswagen, einen Salonwagen mit einer Bar in der Mitte, separate Waschräume und somit eine Menge Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben, die es zur damaligen Zeit in einem normalen Flugzeug nicht gab.