Facebook, Blogs und Wikis in der Schule - Philippe Wampfler - E-Book

Facebook, Blogs und Wikis in der Schule E-Book

Philippe Wampfler

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Beschreibung

Adolescents today have come to regard social networks as a natural way to maintain their relationships with others, to procure information and to be entertained. This represents both a risk and an opportunity for the school system. How can schools learn to deal with this phenomenon positively and constructively? How can they avoid the pitfalls and still use social media in the classroom? This guideline analyses the various functions of social media and presents valuable tools for applying them in the classroom situation. It provides concrete suggestions for imparting proper competence in adolescents. It also contains information about how social media can best be used as part of the public relations of the respective school.

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Philippe Wampfler

Facebook, Blogs und Wikis in der Schule

Ein Social-Media-Leitfaden

2., unveränderte Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht

Der Autor freut sich über Kritik, Fragen, Anregungen oder Kommentare.Kontakt: Philipppe Wampfler, Ahornstr. 27, CH-8051 ZürichE-Mail: [email protected]: http://philippe-wampfler.ch

Mit 9 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99725-4

Umschlagabbildung: NZZ / Christoph Ruckstuhl

© 2016, 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Inhalt

1. Einleitung

Intermezzo I: Wie man Social Media lernt

2. Die Idee Social Media

Intermezzo II: Kontrollverlust und Filtersouveränität

3. Wie Schülerinnen und Schüler Social Media nutzen

Intermezzo III: Digitale Einsamkeit und Sucht

4. Wie Lehrpersonen Social Media nutzen können

Intermezzo IV: Wirtschaftliche Interessen und Social Media

5. Social Media als Herausforderung für die Schulentwicklung

6. Ausblick

Materialien

Literatur

Die sozialen Medien sind eine Vorschule der sozialen Zukunft. Doch um zu verstehen, was das bedeutet, reicht es nicht aus, sie einfach nur »anzuschauen«. Dann sieht man nichts. Man muss sich ihnen unkonventionell nähern. Es bedarf eines unbequemen, nonkonformistischen Blicks durch die Erscheinungen hindurch, der das Poetische, »Erschaffende« der sozialen Medien identifiziert und aufzeichnet. Alexander Pschera (2011, S. 21)

1. Einleitung

Jede Veränderung bedroht Bewährtes. Jede Veränderung birgt aber auch ein Potenzial. Diese Erfahrung ist Lehrpersonen vertraut: Mit ihrem Unterricht nehmen sie auf Kinder und Jugendliche Einfluss, im Vertrauen darauf, Stärken zur Entfaltung bringen zu können. Sie tun dies im Wissen, dass sich junge Menschen entwickeln, dass es also unabhängig von ihrem Einfluss zu einer Veränderung kommt.

Ähnlich verhält es sich mit den Formen und Mitteln der menschlichen Kommunikation. Auch sie werden beeinflusst, auch sie durchlaufen ständig Veränderungen. Menschen haben gelernt zu schreiben, das Geschriebene stumm zu lesen, es mit Maschinen zu drucken und fast jedem Menschen die Möglichkeit zu geben, Botschaften zu verfassen, die alle anderen lesen können. Dieser Medienwandel hat bewährte Umgangsformen, soziale Strukturen und Vorstellungen über das Wesen des Menschen bedroht, gleichzeitig aber auch neue Möglichkeiten eröffnet.

Das gilt auch für digitale Medien, die eine rasante Entwicklung aller kommunikativen Schnittstellen mit sich bringen. Für Schule und andere Bildungsprozesse stellt sich so die Frage, ob sie sich dieser Entwicklung entziehen oder entziehen können, um Räume und Zeiträume zu schaffen, in denen die parallel laufenden digitalen Gespräche verstummen und Konzentration möglich wird, oder ob sie die Veränderung als Potenzial verstehen, Lehren und Lernen zu verbessern, mehr auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Lernenden abzustimmen und intensiver werden zu lassen.

Im vorliegenden Buch wird der zweite Ansatz gewählt. Es folgt der Aufforderung des Kulturwissenschaftlers Stephan Porombka, der seine Einführung zu kreativen Schreibprozessen in digitalen Medien mit folgendem Aufruf abschließt:

Mit dem Experimentieren beginnen! Hands on! Auch auf die Gefahr hin, dass man alles Bekannte über den Haufen werfen muss und dabei in Zustände gerät, in denen die alten Orientierungsmuster für Kunst und Leben abhandenkommen, ohne gleich durch neue ersetzt zu werden. Auch das kann man lernen […]: dass sich das Auflösen der bekannten Zusammenhänge für produktive Schübe nutzen lässt. […] Es geht um die Frage, wie man das, was als Nächstes kommt, gestalten kann. (Porombka, 2012, S. 13)

Keine Angst: Im Folgenden geht es weniger darum, Orientierungsmuster aufzulösen, als vielmehr darum, Orientierung zu ermöglichen. Leserinnen und Leser werden eingeladen, die Vorteile der Veränderung wahrzunehmen, die hier Social Media heißt. Daraus entsteht dann die Möglichkeit des produktiven Umgangs, der die Veränderung aktiv mitgestaltet, anstatt sie später möglicherweise passiv und unfreiwillig nachzuvollziehen.

Social Media sind erfolgreich, weil sie viele bewährte Vorstellungen guter Kommunikation aufgenommen haben. Deshalb können Lern- und Lehrvorgänge durch den Einsatz digitaler Kommunikation ergänzt und verbessert werden. Dieses Buch kann man sich als Brille vorstellen: Es schärft den Blick auf die Vorteile von Social Media wahrzunehmen, hilft aber auch dabei mögliche Gefahren zu erkennen. Mit einem klaren Bild vor Augen sind Lehrpersonen und Schulleitungen in der Lage, den Medienwandel produktiv und in ihrem Sinne zu gestalten. Dazu enthält der Anhang wie auch das digitale Begleitmaterial hilfreiche Materialien.

Social Media als Staubsauger

Die Prognose ist nicht weit hergeholt: Social Media werden einmal so aufregend sein wie Staubsauger. Beides sind erstaunliche Innovationen, die alltägliche Arbeitsabläufe verändern und neue Rollenbilder zulassen. Was zunächst als Apparat oder reine Technik wahrgenommen wird, führt nach einer Gewöhnungsphase zu einem weit verbreiteten Umgang mit neuen Praktiken.

Im Moment erleben wir die Gewöhnung an Social Media. Jugendliche bewegen sich wie selbstverständlich in sozialen Netzwerken, setzen sich dadurch aber auch immer wieder Risiken aus, die vermeidbar wären. Erwachsene zögern häufig lange, diese neuen Kommunikationsmittel ohne Hemmungen zu nutzen, und stehen oft vor hohen Schwellen, wenn sie es tun. Sie haben aber heute, vor allem, wenn sie beruflich mit Kommunikation zu tun haben, kaum mehr eine Wahl. Verweigerung ist eine verbreitete Position, sie lässt sich aber immer schlechter begründen. Soziale Netzwerke werden in unserem Alltag unentbehrlich werden, ein Ausschluss digitaler Formen von Kommunikation ist langfristig nicht denkbar.

Damit ist auch die Schule direkt von diesem Gewöhnungsprozess betroffen. Sie steht vor einer Herausforderung: Welche Vorgaben soll sie den Schülerinnen und Schülern in Bezug auf neue Medien machen? Muss sie Kompetenzen vermitteln, die auf dem Arbeitsmarkt oder für eine weitere Ausbildung wichtig sind, oder soll sie davon absehen und einen Schonraum bilden, in dem konzentriertes Lernen ohne die ständige Ablenkung durch neue Mitteilungen möglich ist?

Und wie sollen Lehrpersonen Social Media einsetzen? Dürfen sie öffentlich ihre Meinung kundtun oder müssen sie versuchen, diese und damit auch den Gebrauch sozialer Medien möglichst privat zu halten und aus ihrer beruflichen Aufgabe auszuklammern? Kann es einen produktiven Umgang mit Social Media im Unterricht geben?

Daran schließt die Frage an, wie sich Öffentlichkeitsarbeit von Schulen durch Social Media verändert. Wie gelingt es Schulleitungen, ihre Arbeit und die ihrer Lehrpersonen zu vermitteln, wenn der Schulalltag nahezu in real time mit Fotos, Videos und Texten in sozialen Netzwerken abgebildet wird?

Diesen Fragen widmen sich die folgenden Kapitel auf zwei Arten: Zentrale Gedanken werden im Sinne einer Einführung in eine kritischen Theorie der Sozialen Netzwerke zusammengefasst und mit Beispielen unterlegt. Beide Perspektiven, die der Chance und die der Gefahr von Social Media, erhalten dabei Raum.

Die Beschreibungen und Analysen der Medienrealität resultieren in Rezepten und Materialien, aus denen sich Vorgehensweisen und Richtlinien ableiten und erstellen lassen. Beispiele dafür finden sich im Anhang.

Die digitale Revolution

Vielleicht ist dieses Buch für Sie ein Buch im wörtlichen Sinne: Sie halten es in den Händen und blättern in seinen Seiten. Vielleicht halten Sie aber auch ein digitales Lesegerät in den Händen, das Ihnen per Animation die Illusion bietet, in einem Buch zu blättern, obwohl es nur Daten sind, die dargestellt werden. Möglich wäre aber auch, dass Sie einfach im Internet auf einen Link geklickt haben und nun diese Zeilen lesen.

Besitzen Sie das Buch als physisches Objekt, so können Sie zwar mit anderen Menschen darüber sprechen, es verleihen, verschenken oder verkaufen. Lesen Sie es in digitaler Form, so können Sie zudem anderen Menschen Hinweise darauf schicken, sie Auszüge oder das ganze Buch lesen lassen, ohne es selbst weggeben zu müssen. Sie können Passagen markieren, kommentieren, könnten es mit anderen Büchern kombinieren oder auch nur deutlich schneller Zitate daraus in eigene Arbeiten einbauen.

Diese grundlegenden Überlegungen zeigen zunächst einmal, wie die Digitalisierung unseres Wissens zu einer Realität geworden ist. »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien«, schreibt Niklas Luhmann (1996, S. 9) zu Beginn seiner Untersuchung über die Massenmedien. Dieser Satz ist heute auch für das Massenmedium Internet gültig. Was an Wissen entsteht oder verarbeitet wird, befindet sich als Datensatz im Cyberspace. Jedes Buch ist heute zuerst ein digitaler Datensatz auf einem Speichermedium seiner Autorin oder seines Autors. Wird das Buch dann nur auf Papier gedruckt, gehen viele Möglichkeiten verloren, wie Wissen genutzt und verbreitet werden kann (schon allein deshalb, weil es nur mühsam kopiert oder weitergegeben werden kann). Aus informationsethischer Perspektive kann man es deshalb für verwerflich halten, Bücher nur in Papierform in Umlauf zu bringen.

Und damit wären wir bei der zweiten Folgerung aus den oben skizzierten Zusammenhängen: Informationen werden »sozial« verbreitet. Das heißt zunächst, dass es bei deren Weitergabe kaum mehr Hierarchien gibt. Nur in Ausnahmefällen lässt sich festlegen, wer zu welchen Informationen Zugang hat. Alle Interessierten können sich direkt und – wenn die technischen Grundvoraussetzungen gegeben sind – ohne großen Aufwand austauschen.

Diese beiden Feststellungen, die Digitalisierung des Wissens und seine soziale Verbreitung, kann man ganz nüchtern betrachten: So ist es. Man kann sich darüber aber auch freuen: Das Internet hilft dem Wissen, freier zu zirkulieren, es befähigt Menschen, sich Informationen zu beschaffen, die ihnen helfen, ihr Leben ihren Vorstellungen gemäß zu gestalten. Gleichzeitig bietet sich aber auch eine negative Interpretation der digitale Revolution an: Wenn das Wissen ungezähmt im Fluss ist, fehlt es an Strukturen, es mangelt an Orientierung. Wer kann denn noch entscheiden, welche Informationen bedeutend sind? Und wenn niemand mehr bestimmen kann, was mit Informationen geschieht und wie sie verbreitet werden, dann gilt das auch für private Informationen, die im Internet freigesetzt werden können.

Wenn der Autor eines Buches nicht sicher sein kann, dass alle Menschen, die es lesen und nutzen wollen, eine physische Kopie besitzen müssen, so kann er nicht kontrollieren, auf welchen Wegen es sich verbreitet. Das ist eine Chance und eine Gefahr: Eine Chance, dass Menschen, mit denen der Autor nicht gerechnet hätte, das Buch lesen und seine Informationen verbreiten – und eine Gefahr, dass der Autor keine Anerkennung für seine eigene Leistung erhält, weil die Texte eine von ihm unabhängige Existenz erhalten.

Ausgangslage des Leitfadens

Diese beiden Perspektiven, die der Chance und die der Gefahr, werden auf den Einsatz von digitaler Kommunikation in der Schule angewandt. Es wird aufgezeigt, wie die Schule und ihre Akteure (Lehrpersonen, Schulleitungen und an Bildungspolitik Beteiligte) mit Social Media Bildungsformen gestalten können, die zeitgemäß sind – also solche, die mit dem Zirkulieren von digitalisiertem Wissen umgehen können. Mitbedacht wird aber auch, dass Social Media die Gefahr einer permanenten und umfassenden Störung der Unterrichtstätigkeit mit sich bringen. Sie lenken die Aufmerksamkeit stets auf das Neue, das Blinkende, das Markierte, und verleiten so zum Surfen, dem Überfliegen von Inhalten – aber nicht unbedingt zur Konzentration und Vertiefung. Sie verändern auch unser Zusammenleben und gefährden für erfolgreiche Bildung wichtige Beziehungen wie die zwischen Lehrperson und Schülerin oder Schüler.

Schule und Social Media sind Begriffe, die hier im möglichst weiten Sinne zu verstehen sind: So können auch der Einsatz von Twitter im Kindergarten oder die Unterrichtsmethoden von Universitäten zum Thema werden. Weiter kann auch die Frage diskutiert werden, mit welchen Werkzeugen man heute am besten einen Text verfasst – weil das Verfassen von Texten immer auch an das Überarbeiten und Lesen von Texten gekoppelt ist, handelt es sich dabei auch um ein »soziales« Medium, bei dem sich andere beteiligen können.1 Im Folgenden geht es aber vor allem um den Einsatz von digitalen Arbeitsmitteln, bei denen Inhalte über Netzwerke von Profilen verbreitet werden – das ist mit Social Media gemeint –, im Unterricht mit Schülerinnen und Schülern, die soziale Netzwerke auch privat nutzen.

Das Buch ist in vier Hauptkapitel mit Unterkapiteln gegliedert, die von Zwischentexten unterbrochen werden. Alle diese Texte sollen einzeln lesbar sein – sie sind durch die Form Buch gerahmt, weil sie Perspektiven versammeln, die ein Verständnis von Lehren und Lernen mit digitaler Kommunikation ermöglichen.

Die Texte sind praxisbezogen und enthalten Beispiele – aber sie sind keine Anleitungen, sondern Denkanstöße und Überlegungen. Man darf hier keine Checklisten erwarten, die man abhaken kann, um als Social Media-Expertin oder -Experte den beruflichen Alltag zu gestalten. Konkrete Arbeitsmaterialien und Vorschläge für Leitlinien finden sich sowohl im Anhang wie auch im digital bereitgestellten Begleitmaterial.

Jeder Teil befähigt Interessierte, relevante Entscheidungen praxisbezogen zu fällen. Es geht in den Worten von Frank Schirrmacher (2012) um den Anfang einer »digitalen Alphabetisierung«, die Ermunterung, sich das nötige Wissen und die relevanten Kompetenzen anzueignen, um den Medienwandel mitgestalten zu können:

Am Anfang steht eine Darstellung des Wesens von Social Media. Sie soll ein Verständnis der grundlegenden Eigenschaften und Möglichkeiten vermitteln, ohne technische Details zu erklären: Die Leserin oder der Leser werden nicht darin geschult, wie Facebook zu bedienen ist, sondern lernen im besten Fall, welche Bedeutung Facebook hat.

Im zweiten Teil geht es um die Veränderungen, die Social Media im Leben der Jugendlichen bewirken: Sie kommunizieren anders als vor zehn Jahren, bilden andere Gemeinschaften, lernen anders und organisieren ihr Leben anders. Darüber muss man Bescheid wissen, wenn man sich beruflich mit Jugendlichen beschäftigt.

Der dritte Abschnitt widmet sich Lehrpersonen und zeigt, wie sie Social Media für ihr Wissensmanagement, ihren Berufsalltag und ihre Kommunikationsbedürfnisse nutzen können. Den Möglichkeiten werden dabei immer auch die Gefahren gegenübergestellt, die sich durch einen unreflektierten Einsatz von Instrumenten ergeben.

Im letzten Teil geht es um die Schule als Organisationseinheit. Wie kann sie sich über Social Media profilieren, wie kann sie als Organisation vom Einsatz von Social Media profitieren – oder ihre Identität und ihre Werte dadurch auch gefährden? Damit hängt die Frage zusammen, was die Schule der Zukunft auszeichnet und welche Möglichkeiten für Bildung im Kontext von digitalisiertem und einfach zugänglichem Wissen überhaupt noch bestehen.

Chance und Gefahr als Paradox – oder: Der unwissende Lehrmeister

In seinem Essay »Der unwissende Lehrmeister« hat Jacques Rancière (1987/2007, S. 14 ff.) darauf hingewiesen, dass es keine wirklich Unwissenden gibt. Die Distanz zwischen einer Lehrperson, die weiß, und einer Schülerin oder einem Schüler, die nicht wissen, ist eine künstliche, von der Lehrperson geschaffene: »Der Erklärende braucht den Unfähigen, nicht umgekehrt.« Rancière schlägt vor, sich das bewusst zu machen und als »unwissender Lehrmeister« zu agieren. Schülerinnen und Schüler sollen sich direkt Sachverhalten aussetzen, die man nicht erklärt, sondern zu denen man ihnen drei Fragen stellt: »Was siehst du?«, »Was denkst du darüber?« und »Was machst du damit?«

In Bezug auf Social Media gibt es viele Lehrpersonen, die unwissende Lehrmeister sind: Es gibt keine Wissensdistanz zwischen ihnen und ihren Schülerinnen und Schülern, da sie im besten Fall Digital Immigrants sind, also Einwanderer in digitale Gefilde, während ihre Schülerinnen und Schüler Digital Natives sind, Eingeborene, die schon seit ihrer Geburt in einer digitalen Welt leben und ihre Werkzeuge wie selbstverständlich handhaben.

Das scheinbare Defizit der Lehrpersonen – sie wissen nicht Bescheid über Social Media und können aus dieser Position nichts erklären – wäre für Rancière eine Chance: Die Unwissenheit ermöglicht, die Schülerinnen und Schüler mit echten Fragen zu konfrontieren: »Was machst du damit?«, »Was denkst zu darüber?« So wird ein Lernprozess in Gang gesetzt, der auch die Lehrperson einbezieht. Aus einer Gefahr, nämlich als Lehrperson mangelnde Kompetenzen aufzuweisen, wird eine didaktische Chance. Die Lehrperson ist aber keine weitere Schülerin oder ein Schüler, sondern begleitet diese. Deutlich wird dies im Ergebnisbericht der JAMES-Studie (Jugendliche Aktivitäten Medien – Erhebung Schweiz) von 2010:

Des Weiteren ist zu betonen, dass dieses Wissen, das sich die Digital Natives schon in ihren frühen Lebensjahren aneignen, weiterhin gefördert werden soll. Unterstützt vom Allgemeinwissen ihrer erwachsenen Bezugspersonen, die ihnen die gesellschaftlichen, gesundheitlichen und moralischen Aspekte des Medienhandelns aufzeigen können und ihnen auch einen produktiven Umgang, selbstverantwortliches Handeln und die nötige Abgrenzung vorleben sollten. (Süss, Waller und Willemse, 2010, S. 51)

Die Digital Natives haben ein konkretes Fachwissen, ihre erwachsenen Bezugspersonen helfen ihnen mit ihrer Fähigkeit zur Orientierung und Kontextualisierung, dieses Fachwissen in bestimmten Kontexten zu reflektieren und zu erweitern.

Geht man von dieser Aufgabe der Lehrperson und diesem Verhältnis zu den Lernenden aus, rückt der medienpädagogische Fokus weg von Prävention und Abgrenzung, die einer gezielten Förderung von Medienkompetenzen häufig im Weg stehen. Sieht man Social Media und digitale Werkzeuge als eine potenzielle Gefahr, der man eher warnend begegnen müsste, dann fällt es schwer, sie im Unterricht produktiv einzusetzen, ohne verwirrende Botschaften auszusenden.

Es hilft, sich von Social Media als Begriff zu lösen und stattdessen von Tätigkeiten zu sprechen, die damit ausgeübt werden. In diesem Buch wird oft versucht, diese Tätigkeiten in den Mittelpunkt zu rücken. Jemand will beispielsweise eine Botschaft überbringen, Informationen suchen, Gedanken darstellen. Dafür kann man verschiedene Methoden verwenden – Social Media ist eine davon. Eine Botschaft zu übermitteln ist zunächst weder gefährlich noch besonders revolutionär: Beides hängt von der Art ab, wie das getan wird und welchen Inhalt die Botschaft hat. Werden Botschaften an die falschen Adressaten gesandt oder sind sie Botschaften wirr, so kann das gefährlich sein. Gelingt es, präzise Informationen fast aufwandslos den richtigen Personen zukommen zu lassen, wäre das erstrebenswert und somit eine Chance.

Dieses Buch ist nicht fertig

Die Idee zu diesem Buch ist beim Führen eines Blogs entstanden. In der Vorbereitung zu einer Weiterbildung und zu Weiterbildungsveranstaltungen habe ich begonnen, Gedanken und innovative Beispiele aus dem Bereich Schule und Social Media auf schulesocialmedia.com zu sammeln. Pro Monat entstanden so rund 20 Beiträge – die schnell wieder verschwanden, zugedeckt wurden von aktuelleren. Das Buch erweitert, verbindet und systematisiert diese Beiträge.

Ich werde aber nicht aufhören, diesen Blog zu führen. Das hat drei Gründe:

1.Der Blog dient meinem persönlichen Wissensmanagement (siehe Kapitel 3). Die Einträge dokumentieren meine Auseinandersetzungen mit bestimmten Themen, die ich so wieder abrufen und zusammen mit den Links weiterverarbeiten und weiterdenken kann.

2.Der Blog ermöglicht die Bearbeitung von Fragestellungen, die sehr dynamisch sind. Die Möglichkeiten von Social Media und die damit verbundenen Kommunikationspraktiken verändern sich laufend und auf nicht vorhersehbare Art und Weise. Parallel dazu kann die Auseinandersetzung damit nicht stehen bleiben, sondern muss als Prozess erfolgen.

3.Blogs sind ein dialogisches Medium. Sie sind eingebunden in meine Online-Präsenz und ermöglichen so den Leserinnen und Lesern, mit Kommentaren an verschiedenen Orten auf Einträge zu reagieren, mich auf Fragestellungen und Beispiele hinzuweisen, mit mir eine Diskussion zu führen.

Das Buch hätte ohne den Dialog mit den Leserinnen und Lesern meines Blogs, interessierten Jugendlichen, meinen Kolleginnen und Kollegen und meiner Familie nicht entstehen können.

Wie einen Blog möchte ich auch dieses Buch führen: Es überarbeiten, weiterführen, mit den Leserinnen und Lesern in einen Dialog treten und meine Lektüre und gedankliche Auseinandersetzung mit seinen Themen darin dokumentieren. In diesem Sinne lade ich Sie ein, auf das Buch zu reagieren: Mit Kritik, Fragen, Anregungen, Kommentaren. Meine Kontaktangaben finden Sie vorn im Buch auf Seite 4.

Intermezzo I: Wie man Social Media lernt

Menschliche Kommunikation wird durch komplizierte Regeln und Normen gesteuert. Sie fallen uns im Alltag kaum auf, weil wir sie als Kinder erlernt haben. Beim Besuch in einer anderen Kultur erscheinen sie urplötzlich. Es befremdet uns, dass man sich in den USA am Telefon mit einem »Hello« meldet und erwartet, an der Stimme erkannt zu werden; wir staunen darüber, dass sich in deutschen Kleinstädten die Angestellten in einer Bäckerei siezen, während in den hippen Großstadtläden auch unbekannte ältere Laufkundschaft geduzt wird. Die Regeln sind nicht ausformuliert, es gibt kein Buch, in dem sie sich nachschlagen lassen. Wir lernen sie durch den Gebrauch der Sprache in sozialen Situationen.

Solche Regeln und Normen gibt es auch für Social Media. Wir werden sehen, dass soziale Netzwerke im Kern aus Profilen bestehen, die im Austausch von Inhalten Beziehungen zueinander aufbauen. Daraus ergeben sich schnell Unklarheiten in Bezug auf die Gestaltung des Profils, die Art der kommunizierten Inhalte und der Beziehungen, die eingegangen werden. Es könnten Fragen wie die folgenden auftauchen:

–Gehört ein Bild von mir zum Profil? Wenn ja, ein ernstes oder eher ein lustiges?

–Muss ich beim Profil alle Angaben ausfüllen? Welche sind wichtig, welche nicht?

–Darf man falsche Angaben machen? Ist es möglich, ein Pseudonym zu verwenden?

–Müssen sich Inhalte, die ich teile, mit meiner Meinung decken? Müssen sie mit meiner beruflichen, familiären, privaten Rolle konform gehen?

–Muss ich darauf achten, wer diese Inhalte sehen könnte?

–Soll ich mich mit Mitarbeitenden, Freunden, Familienmitgliedern etc. verbinden?

–Gehe ich auch Beziehungen mit Fremden ein?

Diese Fragen stellen sich für jedes soziale Netzwerk und jede Person neu. Erfahrene Userinnen und User können sie sicher mit einer persönlichen Einschätzung beantworten. Solche Ratschläge gelten jedoch immer in Bezug auf konkrete Ziele, die man mit Social Media verfolgt und darüber hinaus nur innerhalb bestimmter Nischen in den Netzwerken. Daher ist es sinnvoller, eine eigene Haltung zu finden, als vorgegebenen Ratschlägen zu folgen.

Learning by lurking

Dazu gibt es eine einfache Methode, die sich auf Englisch »lurking« (von »to lurk«, lauern) nennt. In einem berüchtigten Bilderforum auf der Seite 4chan.org handeln alle Benutzerinnen und Benutzer anonym. Stellt jemand eine ungeschickte Frage oder offenbart mit einem Eintrag, dass er oder sie mit elementaren Zusammenhängen im Bilderforum nicht vertraut ist, wird oft mit der Aufforderung »Lurk moar!« geantwortet. In der für 4chan typischen Schreibweise heißt das, man solle »mehr«, also länger und intensiver lurken. Lurken war ursprünglich im Internet verpönt, man bezeichnete damit passive Zuschauerinnen und Zuschauer, die bei Diskussionen nur mitlasen, ohne sich selber einzubringen.

Lurking kann aber als (auto-)didaktisches Programm viele Einsichten in die Kommunikationsabläufe auf Social Media liefern. In fast allen Netzwerken ist es möglich, mit einem leeren Profil ohne Beziehungen einfach eine Weile mitzulesen. Man kann sich ein Bild von interessanten Akteuren machen, beobachten, was einem gefällt, was einen irritiert oder stört – ohne selber beteiligt zu sein. Dadurch entsteht die für Reflexion nötige Distanz.1

Es kann sinnvoll sein, diese Beobachtungsphase mit einer Art Portfolioarbeit zu koppeln (ein konkretes Anwendungsbeispiel dazu befindet sich im Anhang): Man gibt sich einen konkreten Beobachtungsauftrag, indem man z. B. einige Profile genauer anschaut und sich Auffälliges, Bemerkenswertes notiert, um dann vielleicht jemandem dazu eine Frage zu stellen oder bei der Reflexion der Beobachtungsphase darauf zurückkommen zu können.

Wenn learning by lurking der erste Schritt ist, kann learning by doing der zweite Schritt werden. Wer weiß, wie andere Nutzerinnen und Nutzer durch die Gestaltung ihres Profils, ihre Vernetzung, ihre Inhalte und ihr Kommunikationsverhalten wirken, kann Normen und Regeln durchschauen und sich eigene Vorgaben geben. In der Einleitung zum Buch »Netzgemüse«, in dem Johnny und Tanja Haeusler einen humorvollen Blick auf die Erziehung vernetzter Kinder und Jugendlicher werfen, vergleicht das Ehepaar das Internet mit Bielefeld, einer Stadt, in der man wohnen muss, um ihre Lebensqualität zu erkennen:

Genau wie das Internet ist Bielefeld nichts als das Ergebnis dessen, was seine Bewohnerinnen und Bewohner in der Vergangenheit aufgebaut haben und weiter ausbauen werden. Und trotzdem werden wir beim Rundgang durch die Stadt nur einen Bruchteil all dieser Menschen zu Gesicht bekommen, mit noch weniger von ihnen werden wir reden, und erst, wenn wir verweilen, werden wir wirkliche Gespräche mit ihnen führen.

Aber nur, wenn wir uns entschließen zu bleiben und selbst Bielefelder zu werden, haben wir die Chance, dort Freunde, Kollegen oder die Liebe unseres Lebens zu finden. (Haeusler und Haeusler, 2012, S. 8 f.)

Wie beim Knüpfen der ersten Kontakte in einer neuen Stadt empfiehlt es sich auch bei den ersten aktiven Handlungen im Internet, sich Zeit zu lassen und in einer ersten Phase Erfahrungen zu sammeln. Die Währung auf Social Media ist Aufmerksamkeit – und Aufmerksamkeit ist immer mit Fremdwahrnehmung gekoppelt, die man auf sich wirken lassen muss und aus der man für sich selber Schlüsse ziehen kann.

Letztlich sind Lernprozesse auf Social Media unvermeidlich. Die Wandelbarkeit der Werkzeuge, der Vernetzungen und der Inhalte bringen auch Änderungen der Normen mit sich. Während Social Media in frühen Phasen fast nur mit Pseudonymen stattgefunden haben, gibt es heute unter dem Druck der großen Netzwerke immer mehr die Tendenz zur Authentizität, zur Dokumentation des eigenen Lebens. Solche Verschiebungen erfordern Verhaltensänderungen, sie müssen wahrgenommen werden und fordern Reaktionen heraus. Zudem ändern sich die Zwecke, die man mit Social Media verfolgt, teilweise ziemlich schnell: Wenn Schülerinnen und Schüler soziale Netzwerke zum Kontakt mit ihren Peers, zur Unterhaltung und eventuell zum Lernen brauchen, könnten sie nach einem Wechsel in die Berufswelt berufliche Aufgaben mit Social Media erledigen.

Zusehen, nachvollziehen, ausprobieren – diese Lernweise entspricht genau den wesentlichen Prozessen beim Spracherwerb. Social Media erfordern das Lernen einer neuen Sprache, einer Sprache, die sich nur bedingt durch einen anderen Wortschatz oder eine eigene Grammatik auszeichnet, viel stärker jedoch durch eine spezifische Art von Kommunikation: von möglichen Aktionen, Reaktionen, Erwartungen und Normen.

Infotention

Menschen, die intensiv im Internet kommunizieren, verweisen immer wieder auf die Schwierigkeiten, die das Medium mit sich bringt. Diese folgen alle aus der scheinbar unbegrenzten und unüberblickbaren Fülle von Information, die ständig unsere Aufmerksamkeit von dem abzieht, was wir gerade tun, und sie auf das lenkt, was wir auch noch tun könnten, was wir noch nicht kennen oder was einfach ganz intensiv blinkt. Der Informationsüberfluss erfordert für kompetente Nutzerinnen und Nutzer neuer Medien eine sekundäre Kompetenz, die Howard Rheingold (2012) Infotention genannt hat: Die Fähigkeit, Aufmerksamkeit (attention) und Information sinnvoll zu koppeln.

Schon 1755 dachte Denis Diderot in seiner Enzyklopädie über Informationsüberfluss nach:

Mit den Jahrhunderten wird die Zahl der Bücher kontinuierlich wachsen, und man kann eine Zeit voraussehen, in der er es ebenso schwierig sein wird, von Büchern etwas zu lernen wie durch das Studium des ganzen Universums. Es wird fast gleich umständlich sein, nach einem Stück Wahrheit zu suchen, das von der Natur versteckt wird, wie nach einem, das sich in einer Unzahl von Bänden verbirgt. Wenn diese Zeit kommt, wird ein Projekt nötig sein, das man bisher vernachlässigt hat. (Diderot 1755/1987, S. 85, übers. von Ph.W.)

Aus dieser historischen Reflexion einer Überforderung lassen sich drei Phasen einer Adaption an neue Medienformen bestimmen, die als Generalisierung auch für die Gewöhnung an Internetkommunikation gelten:

1.Alarmismus aufgrund der Überlastung durch die verfügbare Information.

2.Entwicklung von Werkzeugen zum Umgang damit (beim Buch z. B. stilles Lesen, Interpunktion, Wörterbücher, Kodex-Form des Buches etc.).

3.Eine neue Generation von Menschen, welche die neuen Werkzeuge selbstverständlich und ohne Probleme einzusetzen vermag.

Rheingold (2012, S. 96 ff.) entwickelt in seinem Buch Net Smart das Konzept der Infotention sehr sorgfältig. Es geht von der fundamentalen Einsicht aus, dass sich Information und Aufmerksamkeit komplementär verhalten: Je mehr Informationen gleichzeitig verfügbar sind, desto weniger Aufmerksamkeit kann ihnen gewidmet werden. Rheingolds Konzept besteht aus drei Kompetenzbereichen:

Erstens basiert es auf der Fähigkeit, in jedem Moment die zur Situation passende Aufmerksamkeit aufbringen zu können. Zweitens nennt Rheingold das Vermögen, Filter und Dashboards einrichten zu können, die Informationen bereithalten. Und drittens muss ein soziales Netzwerk gepflegt werden, das mit sinnvollen Empfehlungen das Rauschen der Informationen durchbrechen kann.

Die eigenen Gewohnheiten in Bezug auf Aufmerksamkeit müssen also mit entsprechenden Werkzeugen gekoppelt werden. Am Anfang einer Tätigkeit am Computer oder an mobilen Kommunikationsgeräten steht für Rheingold die Formulierung eines Ziels, das man auf ein Stück Papier notiert und stets im Sichtbereich belässt. Es hilft einem dabei, jede Online-Aktivität kritisch zu prüfen. Hilfreich sind auch einige einfache Fragen:

Was will ich gerade tun oder erreichen, wenn ich mich an den Computer setze oder das Smartphone hervorhole? Worauf klicke ich gerade? Was verspreche ich mir davon? Wie gehe ich damit um?

Die letzte Frage führt zu einem einfachen Triage-Modell: Links, Inputs etc. müssen abgelegt oder gespeichert werden, wenn sie mittel- oder langfristig wichtig sein könnten, aber dürfen nicht zu einer Ablenkung führen. Es ist also nötig, dafür entsprechende Tools zu haben. Sie lassen sich mit einfachen Mechanismen einsetzen:

–Was kurzfristig interessant sein könnte, in einem Browser-Tab öffnen.

–Was mittelfristig gelesen werden soll, mit einem Dienst wie Instapaper oder Pocket abspeichern, die per Knopfdruck ein persönliches Archiv anlegen.

–Was langfristig wichtig sein könnte, gezielt in strukturierte Lesezeichen-Ordner im Browser ablegen.

Rheingold fordert für Lernende die Entwicklung einer Kompetenz, Filter und Dashboards managen zu können. Damit meint er Tools, die Informationen durchsuchen, Relevantes hervorheben und Irrelevantes ausblenden. Er fordert, dass diese Kompetenz in der Schule einen prominenten Platz einnehmen muss. Wichtig sei es, in den Strom der Information eintauchen zu können: Eintauchen als eine gezielte, bewusste Tätigkeit, die auch das Auftauchen einschließt und mit der niemand Gefahr läuft, vom Strom mitgezogen zu werden oder darin zu ertrinken.

An dieser Stelle lässt sich der Kreis schließen: Filter und Dashboards zu erstellen und zu unterhalten lernt man wiederum, indem man Profis bei ihrer Mediennutzung zusieht und ihre Tricks dann langsam für sich selber adaptiert. Empfehlenswert ist dafür die Rubrik »Was ich lese« auf dem Blog von Christoph Koch (www.christoph-koch.net, o. J.), in dem Menschen ihr Medienmenu vorstellen und dabei auch ihre Filter beschreiben.

1Ich haben diesen Text mit Google Docs verfasst und gebe so meinen Bezugspersonen (Expertinnen, Experten, Interessierte, Verantwortliche im Verlag und im Korrektorat) die Möglichkeit, ihn zu kommentieren und zu bearbeiten, während ich ihn schreibe.

1Vgl. auch die Taxonomie in Anlehnung an Harold Bloom im Blog von Scott Rocco (2012).

2. Die Idee Social Media

Social Media können nur innerhalb der umfassenden Veränderungen des Internets in den letzten zehn Jahren verstanden werden, die unter dem Begriff Web 2.0 zusammengefasst sind. Miriam Meckel bündelt diese Veränderungen in einer knappen Definition:

Web 2.0 ermöglicht die selbst organisierte Interaktion und Kommunikation der Nutzerinnen und Nutzer durch Herstellung, Tausch und Weiterverarbeitung von nutzerbasierten Inhalten über Weblogs, Wikis und Social Networks. Über kommunikative und soziale Vernetzung verändern die Nutzer die gesellschaftliche Kommunikation – weg von den Wenigen, die für Viele produzieren, hin zu den Vielen, aus denen Eins entsteht: das virtuelle Netzwerk der sozial und global Verbundenen. (Meckel, 2008, S. 17)

Diese Idee der »gesellschaftlichen Kommunikation« macht Social Media aus. Unabhängig vom medialen Kontext – das heißt unabhängig vom Internet – geht es darum, dass die Kommunizierenden nicht nur entweder Inhalte erstellen oder Inhalte konsumieren, sondern dass beides gleichzeitig innerhalb eines Netzwerkes möglich ist. Dadurch entstehen eine Reihe von neuartigen Tätigkeiten, die den traditionellen Umgang mit Medieninhalten (Texten, Bildern, Videos, Audiodaten) erweitern: Ohne großen Aufwand ist es möglich, sie weiterzugeben, gemeinsam zu erstellen, zu konsumieren oder sie in einem sozialen Gefüge zu kommentieren.

Als Idee ist Social Media immer gleichzeitig ein Ideal oder eine Utopie und eine Beschreibung der Realität. Wenn Meckel von den »sozial und global Verbundenen« spricht, so drückt sie aus, dass mit der Verbreitung des Internets auch eine so genannte Digitale Kluft oder eine digital divide entsteht: Menschen, die Zugang zu digitalen oder sozialen Medien haben, verbinden sich stärker und verbessern damit ihre ohnehin schon privilegierte Position, womit sich der Abstand zu denen, die keinen Zugang zu diesen Kulturtechniken haben, vergrößert.

Damit ist schon angedeutet, dass Bildung in einem umfassenden demokratischen Sinne auch mit der Befähigung zur Partizipation an diesen Formen von sozialen Netzwerken und Kollaborationen verbunden sein muss. Diese Forderung wird im abschließenden vierten Kapitel noch einmal aufgegriffen. In den folgenden Abschnitten geht es darum, die Idee, die hinter Social Media steht, zu skizzieren und zu konkretisieren. Die Bedeutung dieser Idee soll fassbar gemacht werden: Als Ideal, aber auch als Realität.

Was sind Social Media?

Es ist leicht möglich, die wesentlichen Elemente von Social Media darzustellen, ohne auf konkrete Netzwerke Bezug nehmen zu müssen. Es handelt es sich um eine Idee, die nicht einmal notwendig etwas mit digitaler Kommunikation zu tun hat. Der Medienwissenschaftler Stefan Münker schreibt in seinem Buch über digitale Öffentlichkeiten einleitend: »Medien sind sozial: alle Medien, immer schon.« (Münker, 2012, S. 9) Er geht dann aber zu einer präziseren Definition über, in der er zwei mögliche Arten, wie der Begriff Social Media definiert werden könnte, umreißt:

Der Begriff Social Media ist mittlerweile ein feststehender Ausdruck […], der als Name zur Beschreibung bestimmter Formen von medialen Umgebungen im Internet dient. Bei Namen ist die Frage nach Sinn oder Unsinn ihrer Bestandteile müßig; wir müssen sie erst einmal nehmen, wie sie sind.

Die Sozialen Medien […] haben eine spezifische Eigenschaft gemeinsam – sie entstehen erst im gemeinsamen Gebrauch. (Münker, 2012, S. 10)

In diesem Leitfaden wird das zweite Verständnis gewählt, in dem Social Media nicht ein Name für eine Reihe von Phänomenen digitaler Kommunikation ist, sondern spezifische Medienformen bezeichnet, die dadurch gekennzeichnet sind, dass es sie erst dann gibt, wenn sie von einer Gemeinschaft verwendet werden. Ohne Inhalte sind Facebook oder Twitter nur Programme, Codes – aber keine Medien.