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Beschreibung

Bedroht der Klimawandel die Freiheit? Was bedeuten freie Märkte für den Menschen? Ist das geeinte Europa ein Hort der Freiheit? Macht uns die Künstliche Intelligenz wirklich frei? Wie frei sind Gedanken in totalitären Systemen? Und lässt sich Freiheit überhaupt messen? Diesen und anderen Fragen gehen renommierte Forscherinnen und Forscher aus Natur- und Geisteswissenschaften im neuen Band der Essay-Reihe der Akademie der Wissenschaften in Hamburg nach. Sie zeigen: Der Begriff der Freiheit birgt viele Dimensionen. https://www.awhamburg.de 

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Seitenzahl: 198

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mojib Latif (Hg.)

Facetten der Freiheit

Perspektiven auf ein Grundrecht

Impressum

Herausgeber: Prof. Dr. Mojib Latif, für die Akademie der Wissenschaften in Hamburg

Redaktion: Wolfgang Grala, Akademie der Wissenschaften in Hamburg

Illustration: Annette Köhn, https://www.jajaverlag.com/

Finanziert aus Mitteln der Freien und Hansestadt Hamburg.

 

Akademie der Wissenschaften in HamburgEdmund-Siemers-Allee 120146 HamburgDeutschland

[email protected]

https://www.awhamburg.de/essays

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2025

Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg

 

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

 

Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich an

[email protected]

 

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © IconNest / shutterstock

 

eBook: ePUBoo.com

 

ISBN Print 978-3-451-39323-5

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83949-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83866-8

Inhalt

Einleitung
Wie der Klimawandel die Freiheit bedroht
Jenseits der 1,5 Grad
Verfassungsgericht verknüpft Klimaschutz mit Freiheitsrechten
Klimawandel zwingt Tuvalu zur Umsiedlung
Klimaignoranz zerstört Freiheit
Freie Märkte, freie Menschen
Alles vermarkten und Markt über alles
Libertäre vs. liberale Freiheit
Dimensionen ökonomischer Freiheit
Mehr als die freie Entscheidung zwischen Alternativen
Weiterführende Literatur
Freiheit und Utopie
Das Paradox der Freiheit in der Gegenwart
Das individualistische Subjekt und neue Perspektiven auf das Menschsein
Alternative Wissensformen und utopische Praktiken
Die Frage nach der Willensfreiheit: Emergenz, ein Gefängnis auf dem Campus Stanfords, Nudges und nur noch ein Video!
Zufall oder Wille
Letztlich Physik
Verantwortlich trotz Urknall
Umstandshalber
Gewaltloses Drängen
Die Forderung nach Freiheit in Iran: Von ersten Diskussionen im 19. Jahrhundert bis zu »Frau – Leben – Freiheit«
Die Bedeutung der Presse im Osmanischen Reich
Formen von Freiheit in der ersten iranischen Verfassung (1906–1907)
Freiheitsrechte unter Vorbehalt: Die zweite iranische Verfassung (1979)
»Frau – Leben – Freiheit«
Literatur
Das geeinte Europa – ein Hort der Freiheit?
Freiheit als europäisches Grundrecht mit langer Tradition
Freie Waren, freie Menschen
Die Freiheit der anderen
Freiheit in Europa
Freiheit messen und international vergleichen
Warum Freiheit messen und wie?
Subjektive Freiheit
Freies Tun, freies Sein
Freedom House Index
Human Freedom Index
Fokus auf unternehmerischer oder bürgerlicher Freiheit?
Alternative Indikatoren für Freiheit
Schlussfolgerung
Mehr als Abwehrrechte gegen den Staat: Grundrechtliche Freiheit als Gewährleistung von persönlichen Verwirklichungschancen
Schutz gegen rechtswidrige Übergriffe des Staates in die individuelle Entfaltungsfreiheit (Abwehrfunktion)
Staatliche Schutzpflichten als Voraussetzung individueller Freiheitsentfaltung
Mittelbare Wirkung von Grundrechten auch zwischen Privaten
Teilhabe an staatlichen Leistungen als Freiheitsvoraussetzung
Individuelle Verwirklichungschancen als verbindendes Element
Vom Hin und Her der Geschichte: Überlegungen zu Rassismus und Freiheit
Critical Race Theory, Rassismus und Unfreiheit
Freiheit »von«: die Grenzen individueller Freiheit
Freiheit »durch«: die Möglichkeiten sozialer Freiheit
Freiheit ist kein Nullsummenspiel
Von Rechten und Rebellion: Elise Reimarus über Freiheit und Widerstand
Aufstand in Hamburg
Lektionen in Staatsbürgerkunde
Die Freiheit aufzusteigen
Freiheit als Schutz vor Gewalt und Willkür
Polizey und Kinderzucht
Im Vergleich mit Kant
Weiblicher Widerstand gegen Konventionen
Die Gedanken sind frei! Oder? Freiheit und Social Engineering
Mensch und Gesellschaft als Maschine
Die Gesellschaft in der Krise
Sprache als Politik
Und wo bleibt die individuelle Freiheit?
Utopian vs. Piecemeal Engineering
Vergessene Unfreiheit: Mittelalterliche Sklaverei als transatlantische Geschichte
Vergessene Unfreiheit
Die entscheidende Rolle der Religion
Ethnizität und Versklavung
Alte und neue Welten
Christliche Freiheit – Von der Freiheit der Christenmenschen
Christliche Freiheit
Von der Freiheit eines Christenmenschen
Folgen christlicher Freiheit
Innere und äußere Freiheit
Das Individuum und die Gruppe – Freiheit, Solidarität und sozialer Zwang im frühen Mittelalter
Gesamtheit und Einzelne
Nicht alle Menschen waren vor dem Gesetz gleich
Die Behauptung des »Ich«
Das familiäre Band
Hierarchie und Ordnung
Ungewollter Verzicht auf Freiheit
Gefährliche Gewässer: Ein Unfreier wetteifert mit freien Menschen
Eidleistung als bindende Tat
Schlussbetrachtung
Macht uns KI freier oder schafft sie neue Zwänge und Ungleichheiten?
Heilserwartungen an hochautonome KI-Systeme
Algorithmische Entscheidungen beschränken Freiheitsgrade
Automatisierung der Arbeitswelt
KI als unvermeidlicher Teil der Gesellschaftsstruktur
KI-Konzerne bedrohen Klima und Gesundheit
Auf Kosten der Freiheit
Quellen
Freiheit in der Grundlagenforschung
Michael Faraday und die Elektrizität
Die patentfreie Erfindung des World Wide Web
Schlusswort
Von der Freiheit, global zu kommunizieren
Soziale Medien als »Freiheitstechnologie«?
Wo die Luft der Freiheit weht3
Gibt es ein Recht, global zu kommunizieren?
Grenzen und Möglichkeiten für die Meinungsfreiheit im Zeitalter globaler Plattformen
Automatisierung und Freiheit
Macht Automatisierung frei?
Macht Automatisierung unfrei?
Automatisierung und gesellschaftliche Freiheit
Ethische Implikationen
Fazit
Virtuelle Freiheit – Das Metaversum im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Überwachung
Freiheit im World Wide Web
Das Metaversum: offen – frei – sicher?
Selbstbestimmung oder Überwachung?
Fazit
Die Beitragenden
Zur Akademie der Wissenschaften in Hamburg
Die vielen Gesichter der Freiheit

Einleitung

Am Anfang war der Mensch frei. Keine Steuern, keine roten Ampeln, keine Mülltrennung.

Am Anfang war der Mensch unfrei. Der Mangel an Sicherheit, medizinischer Versorgung oder Heizung unterwarf ihn Not und Zwang.

Es ist eine Frage der Weltanschauung, ob man die Geschichte der Menschheit als Fortentwicklung zu Emanzipation und Freiheit oder als Abkehr von einem paradiesischen Naturzustand betrachtet. »Freiheit« war schon immer ein so genanntes Hochwertwort, es weckt unmittelbar positive Emotionen. Kaum jemand würde die Freiheit nicht als erstrebenswert anerkennen – unfreie Menschen haben schon seit jeher ihr Leben dafür riskiert.

Es war 1525, als im schwäbischen Memmingen mit den »Zwölf Artikeln« eine der ersten Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten veröffentlicht wurde. Darin begehrten aufständische Bauern nicht weniger als »dass wir frei sind und sein wollen«.1 Sie wehrten sich damit gegen ihre Leibeigenschaft, sie wollten nicht länger Eigentum eines adeligen Herren sein. Auch wenn die vor genau 500 Jahren erhobenen Forderungen erfolglos blieben und die Bauernproteste brutal niedergeschlagen wurden, war die Sehnsucht nach Freiheit nicht dauerhaft zu unterdrücken.

Einer der berühmtesten gesellschaftlichen Aufstände ist die Französische Revolution von 1789. Auch ihre Forderung war Freiheit, die im Dreiklang mit Gleichheit und Brüderlichkeit als »Liberté, Egalité, Fraternité« bekannt wurde. In der »Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte« der französischen Nationalversammlung findet sich eine der griffigsten Definitionen von Freiheit: »Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet.«2 Dieses Freiheitsverständnis, häufig fälschlicherweise Kant zugeschrieben, bleibt bis heute populär.

Während der COVID-19-Pandemie bekam dieses philosophische Ideal für viele einen bitteren Beigeschmack. Denn Schaden von anderen abzuwenden, bedeutete nun ganz konkret, viel weniger tun zu können, als man wollte. Vorsichtsmaßnahmen wie die Absage von Konzerten oder die Schließung von Restaurants wurden als belastende Beschneidung der individuellen Freiheit empfunden.

Seither reagieren viele Menschen gereizt auf jede Form staatlicher Vorgaben oder selbst auf den Appell zu Solidarität und Rücksichtnahme. Einschränkungen wie die in anderen Ländern selbstverständliche Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen oder die Forderung nach Einhaltung bestimmter Sicherheits- und Umweltauflagen beim Hausbau werden als übergriffige Freiheitsbeschränkungen empfunden.

Dass solche Debatten zwar hitzig geführt werden, aber keinen grundsätzlichen Freiheitskampf begründen, zeigt das Beispiel der Gurtpflicht, die 1976 verbindlich wurde. Der Spiegel fragte in einer Titelgeschichte kurz vor der Einführung der Anschnallpflicht: »Soll und darf der liberale Staat die Auto-Bürger zum Überleben zwingen?«3 Heute ist Anschnallen selbstverständlich – der Nutzen unbestritten.

Wer einseitig Freiheit fordert, ohne sie selbst zu gewähren, wer im Namen des Liberalismus die Autonomie des Einzelnen maximieren will, ignoriert andere Werte wie die Unantastbarkeit menschlicher Würde oder die Chancengleichheit. Solche Spannungen lassen sich in pluralistischen Gesellschaften nicht vermeiden, wohl aber demokratisch verhandeln und austarieren. Noch haben wir die Freiheit, unser Gemeinwohl auf diese Weise zu regeln. Diese wird jedoch weltweit in zunehmendem Maße bedroht, wenn autoritäre Machthaber und intransparente Algorithmen in die Grundrechte von Menschen eingreifen, ohne sich dafür öffentlich rechtfertigen zu müssen.

Im Jahr des Erscheinens dieses Buches, 80 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die Alliierten, ist die Freiheitsdiskussion von besonderer Aktualität. Erst 1985 begann mit einer Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ein grundsätzliches Umdenken, das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht als Niederlage, sondern als Befreiung zu sehen.4 1989 folgte die zweite Befreiung von einem totalitären System – diesmal waren es mutige Bürgerinnen und Bürger der DDR, die eine Öffnung der Mauer friedlich erreichten.

Scheinbar geschichtsvergessen sehnen sich heute immer mehr Menschen nach autoritärer Führung und sind bereit, für vermeintliche Sicherheit oder den Erhalt ihres Wohlstandes, für einfache Antworten und bequeme Lösungen grundlegende Freiheiten – vor allem die der anderen – zu opfern. Wird zugleich Liberalisierung vornehmlich als Deregulierung interpretiert – etwa die Entbindung großer Konzerne von gesetzlichen Auflagen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Gesundheit oder der Umwelt –, dann weckt diese Freiheit Ängste.

Autoritäre und illiberale Tendenzen, wie sie nach dem Antritt der Trump-Regierung in den USA und in anderen Ländern zu beobachten sind, schränken sowohl die Freiheiten von Minderheiten – wie queeren Menschen oder Personen ausländischer Herkunft – als auch die der Medien und Wissenschaft ein.

Wissenschaft braucht Freiheit und schafft Freiheit. Wilhelm von Humboldt beschrieb Anfang des 19. Jahrhunderts in einer Rede »die Idee einer Akademie als die höchste und letzte Freistätte der Wissenschaft« als eine »vom Staat am meisten unabhängige Corporation«.5

Was der preußische Bildungsreformer im erhabenen Stil seiner Zeit formulierte, hat auch heute noch Relevanz: Am 30. Januar 2024 positionierten sich Mitglieder und Young Academy Fellows der Akademie der Wissenschaften in Hamburg in einer öffentlichen Erklärung eindeutig: »Ohne das fortgesetzte, freie, sachliche und offene Bemühen um wissenschaftliche Erkenntnis und um das überzeugende Argument kommen wir als Gesellschaft und Menschheit nicht voran.«6

Als Akademie der Wissenschaften in Hamburg haben wir unter anderem den Auftrag, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Gesellschaft zu vermitteln. Im Dialog mit der Gesellschaft setzen wir uns für Freiheit und Demokratie ein, nicht zuletzt durch Bildungsangebote für junge Menschen. Dazu gehören neben Veranstaltungen und Podcasts unter anderem auch das vorliegende Buch sowie die weiteren Bände dieser Reihe zu den Themen Gerechtigkeit (2023) und Wahrheit (2024). Sie sind nicht nur im Buchhandel erhältlich, sondern wurden auch Schulen in Norddeutschland auf Bestellung kostenlos zur Verfügung gestellt. Als Open-Access-E-Books sind sie für jedermann zugänglich. 2025 widmen wir uns in unserer Essay-Reihe dem Thema Vielfalt, die Texte erscheinen fortlaufend auf unserer Website und werden ein Jahr später in Buchform veröffentlicht.

https://www.awhamburg.de/essays

Zunächst aber wünsche ich Ihnen eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre der folgenden neunzehn Aufsätze, die sich einigen Facetten der Freiheit widmen.

Prof. Dr. Mojib Latif Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg

Anmerkungen

1 »Zwölf Artikel« von 1525, Wikisource. Zugegriffen 16. April 2025. https://de.wikisource.org/wiki/Zw%C3%B6lf_Artikel.

2 »Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 | Conseil constitutionnel«. Artikel 4. Zugegriffen 16. April 2025. https://www.conseil-constitutionnel.fr/de/erklaerung-der-menschen-und-buergerrechte-vom-26-august-1789.

3 Der Spiegel. »Furcht vor der Fessel«. 7. Dezember 1975, Abschn. Politik. https://www.spiegel.de/politik/sicherheitsgurte-furcht-vor-der-fessel-a-a8777b51-0002-0001-0000-000041389557.

4 »1985 Zum ›Tag der Befreiung‹«. Zugegriffen 17. April 2025. https://webarchiv.bundestag.de/archive/2006/0807/geschichte/parlhist/streifzug/g1980/g1980_4.html.

5 Humboldt, Wilhelm von. »Über die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin«. 1810. Humboldt-Universität zu Berlin, Humboldt-Universität, Leitung und Verwaltung, 27. Januar 2010. https://doi.org/10.18452/4653.

6 »Für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Erklärung vom 30. Januar 2024«. Zugegriffen 17. April 2025. https://www.awhamburg.de/magazin/fuer-demokratie-freiheit-und-menschenrechte-erklaerung-vom-30-januar-2024.html.

Wie der Klimawandel die Freiheit bedroht

Von Mojib Latif

Wie der Klimawandel die Freiheit bedroht

Von Mojib Latif

Der Klimawandel gefährdet die Freiheit durch Extremwetter und steigende Meeresspiegel. Um dies zu verhindern, muss die Erderwärmung unter 2 Grad bleiben. Ignoranz bedroht sonst die Freiheit von Generationen, daher ist schnelles Handeln unerlässlich.

Die Freiheit ist ein hohes Gut. Sie kann aber nicht grenzenlos sein, wie schon in der Verfassung dargelegt.1 Die persönliche Freiheit endet, wenn durch unser Handeln andere Menschen oder auch Natur und Umwelt erhebliche Beeinträchtigungen hinnehmen müssen. Der menschengemachte Klimawandel, das Problem der globalen Erwärmung mit all seinen Auswirkungen wie die Zunahme und Intensivierung von Wetterextremen oder die steigenden Meeresspiegel nimmt Menschen die Freiheit – in Teilen oder in Gänze.

Jenseits der 1,5 Grad

Auch unter dem Gesichtspunkt der Freiheit ist es also notwendig, dass sich die Weltgemeinschaft der globalen Erwärmung entschieden entgegenstellt und den mittleren Temperaturanstieg an der Erdoberfläche begrenzt, und zwar gemäß des im Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015 vereinbarten Maßes auf deutlich unter 2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit.2 In dem Abkommen heißt es darüber hinaus, dass die Länder versuchen wollen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. In dem Zwölf-Monats-Zeitraum von Juni 2023 bis Mai 2024 lag die Temperatur im weltweiten Durchschnitt schon 1,63 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt.3 Dabei ist zu beachten, dass sich die Pariser Klimaziele auf längere Zeiträume beziehen, weswegen sich die Politik weigert, das Überschreiten der 1,5-Grad-Marke offiziell anzuerkennen.4 Berücksichtigt man die Trägheit des Klimas, wird sich der Temperaturanstieg in den kommenden Jahren fortsetzen – selbst wenn ab jetzt weltweit keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre emittiert würden. Der Umbau der Weltwirtschaft wird Jahrzehnte dauern, und es werden auch künftig große Mengen Treibhausgase ausgestoßen, die die Erde noch mehr aufheizen werden. Aus diesen Gründen ist es bereits heute klar, dass die Welt die 1,5-Grad-Marke gerissen hat.

Anstieg der globalen Oberflächentemperatur über dem vorindustriellen Niveau5

Derzeit steuert die Menschheit auf eine globale Erwärmung von etwa 3 Grad zu. Vor diesem Hintergrund erfordert schon die Einhaltung der 2-Grad-Marke eine enorme Kraftanstrengung der Staatengemeinschaft, die kaum zu bewältigen ist. Möglich wäre es aber allemal, die 2-Grad-Marke nicht zu überschreiten. Die Menschen hielten die Mittel dazu in der Hand, was aber in diesem Essay nicht weiter ausgeführt werden soll.

Verfassungsgericht verknüpft Klimaschutz mit Freiheitsrechten

Viele Länder kommen ihren Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens nicht nach. Auch Deutschland tut sich schwer, seine Klimaziele einzuhalten. Dies hatte schon das Bundesverfassungsgericht 2021 in seinem wegweisenden Urteil zum deutschen Klimaschutzgesetz festgestellt. In dem Urteil heißt es: »Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.«6 Mit dem Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht den Klimawandel mit dem Grundrecht der Freiheit verknüpft und all denen die rote Karte gezeigt, die das Problem der globalen Erwärmung aussitzen und den nachfolgenden Generationen hinterlassen wollen.

Klimawandel zwingt Tuvalu zur Umsiedlung

Der Anstieg der Meeresspiegel ist eine der folgenschweren Auswirkungen der globalen Erwärmung. Die durchschnittliche Erhöhungsrate hat sich seit Beginn der Satellitenmessungen vor gut 30 Jahren schon verdoppelt, und eine weitere Beschleunigung des Anstiegs ist mit großer Sicherheit zu erwarten. Ein 2023 geschlossenes Abkommen zwischen Australien und dem Inselstaat Tuvalu, das in der Weltöffentlichkeit viel Beachtung gefunden hatte, soll die Aufnahme von Klimaflüchtlingen aus Tuvalu in Australien ermöglichen.7 Tuvalu, eine Ansammlung von neun niedrig gelegenen Inseln auf halbem Weg zwischen Australien und Hawaii, ist eines der am stärksten durch den Klimawandel gefährdeten Länder. Als eines der ersten Länder, die infolge der steigenden Meeresspiegel von der Landkarte verschwinden werden, sucht Tuvalu nach Möglichkeiten, um seine Identität über den absehbaren Untergang hinaus zu erhalten und seiner Bevölkerung eine Zukunft außerhalb des jetzigen Territoriums zu bieten. Schätzungen zufolge könnte der Archipel im schlimmsten Fall noch innerhalb dieses Jahrhunderts komplett im Meer versunken sein. Australien hat angeboten, dass Personen aus Tuvalu zunächst ein spezielles Visum bekommen, mit dem sie in Down Under leben, studieren und arbeiten können. Es wird aber erwartet, dass alle gut zehntausend Einwohner des Inselstaats in der Zukunft in Australien Klimaasyl erhalten werden. Der Begriff Klimaasyl drückt in bedrückender Klarheit aus, dass es Menschen geben wird, die wegen des Klimawandels aus ihrer Heimat fliehen müssen. Das Inselreich möchte eine digitale Version seiner selbst erstellen, in der Inseln und Wahrzeichen nachgebildet und seine Geschichte und Kultur bewahrt werden sollen. Die Schaffung einer digitalen Nation würde es Tuvalu erlauben, als Staat weiter zu funktionieren, selbst wenn es vollständig überflutet werden sollte. Das Inselreich möchte weiterhin international als Staat anerkannt werden und wünscht, dass seine maritimen Grenzen – und die Ressourcen innerhalb dieser Gewässer – auch dann erhalten bleiben, wenn die Inseln einmal unter dem Meeresspiegel liegen sollten.8

Klimaignoranz zerstört Freiheit

All jene, die glauben, dass die Bedrohungen durch den Klimawandel maßlos übertrieben seien, mögen sich einmal vorstellen, dass sie selbst in Tuvalu leben würden, und sich in die Lage seiner Einwohner versetzen. Freiheit in dem Sinne, dass man über das eigene Leben selbst bestimmen kann, gibt es für die Einwohnerinnen und Einwohner von Tuvalu nicht mehr. Die Menschen in den Industrieländern tragen daran die Hauptschuld. All diejenigen, die dem Slogan »Freie Fahrt für freie Bürger«9 huldigen, haben nichts, aber auch gar nichts über die Zusammenhänge rund um das Klima begriffen und treten die Freiheit anderer Menschen und unserer Nachkommen mit Füßen.

Ankündigungen allein helfen nicht. Es ist Zeit zum Handeln. In dem 1972 veröffentlichten Bericht an den Club of Rome Die Grenzen des Wachstums, der seinerzeit die Weltöffentlichkeit erschüttert hatte und der aktueller denn je ist, heißt es: »Nichts zu tun, erhöht das Risiko eines Kollapses […]. Wenn die Weltgesellschaft wartet, bis die Belastungen und Zwänge offen zutage treten, hat sie zu lange gewartet.«10 Was den Klimawandel anbelangt, ist dieser Zeitpunkt erreicht. Die Auswirkungen der globalen Erwärmung sind unübersehbar. Ein ungebremster Klimawandel würde die Menschen noch in diesem Jahrhundert ins Chaos stürzen und irreparable Schäden an Natur und Umwelt nach sich ziehen. Es käme zu gewaltigen Flüchtlingsströmen, zu Verteilungskämpfen und in einigen Weltregionen zu kriegerischen Auseinandersetzungen, etwa um die knapper werdenden Trinkwasserressourcen. Die Weltwirtschaft würde in eine tiefe Rezession rutschen. Ein selbstbestimmtes Leben in einer Welt der völligen Unordnung und großen Unsicherheit wäre eine Illusion und Freiheit ein Begriff aus der Vergangenheit.

Anmerkungen

1 https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/75-jahre-grundgesetz/artikel-2-gg-2267590 (abgerufen am 19.8.2024)

2 https://www.lpb-bw.de/pariser-klimaabkommen (abgerufen am 18.8.2024). Die Zeitspanne 1850 bis 1900 wird üblicherweise als vorindustrielle Zeit bezeichnet.

3 https://climate.copernicus.eu/copernicus-june-2024-marks-12th-month-global-temperature-reaching-15degc-above-pre-industrial (abgerufen am 19.8.2024)

4 Allerdings ist im Pariser Klimaabkommen nicht weiter ausgeführt, wie lang der Zeitraum sein soll, in dem im Mittel eine bestimmte Temperaturmarke überschritten wird.

5 https://climate.copernicus.eu/copernicus-june-2024-marks-12th-month-global-temperature-reaching-15degc-above-pre-industrial (abgerufen am 19.8.2024)

6 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr265618.html (abgerufen am 19.8.2024)

7 https://www.reuters.com/world/asia-pacific/australia-offer-climate-refuge-all-residents-tuvalu-report-2023-11-10/ (abgerufen am 19.8.2024)

8 https://www.dw.com/de/inselstaat-tuvalu-gr%C3%BCndet-erste-digitale-nation/a-63803995 (abgerufen am 19.8.2024)

9 https://nach-haltig-gedacht.de/glossary/freie-buerger-freie-fahrt/ (abgerufen am 19.8.2024)

10 Meadows, Dennis L. u. a.: Die Grenzen des Wachstums (1972), Übersetzung von Hans-Dieter Heck, 14. Auflage, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1987, ISBN 3-421-02633-5.

Freie Märkte, freie Menschen

Von Colin von Negenborn

Freie Märkte, freie Menschen

Von Colin von Negenborn

Der Markt durchdringt immer neue Lebensbereiche. Wenn die emotionale Geste einer Umarmung zur Ware wird, betrifft die Forderung nach Marktfreiheit auch die Freiheit der Menschen. Was bedeutet ökonomische Freiheit aus liberaler – was aus libertärer Sicht?

Die Mechanismen der Märkte durchdringen immer neue Bereiche des sozialen und politischen Lebens. Objekte werden zu »Gütern«, Handlungen zu »Dienstleistungen« und damit zur Ware, zu einer tausch- und handelbaren Ressource. So entstehen Märkte für das Buchen von Umarmungen,1 Marktdesigner bieten Börsen für die effiziente Vergabe von Kindergartenplätzen an2 und persönliche Nutzerdaten werden als Öl des 21. Jahrhunderts gehandelt.3 Schon Anfang dieses Jahrtausends sprach der Soziologe Steven Lukes angesichts dieser stetig expandierenden Marktlogik von einer »Invasion der Märkte«.4

Die Marktlogik verspricht dabei Effizienz: Angebot und Nachfrage finden ohne zentrale Koordination zueinander; Informationen können sich durch den Markt verbreiten; Anreize werden automatisch gesetzt und das Allgemeinwohl maximiert. Doch mit diesen Versprechen ist auch eine Forderung verbunden: die nach der Freiheit des Marktes. Denn nur wenn der Markt ungestört, frei von Hemmnissen operieren könne, würden sich auch seine Vorteile entfalten. Im Fall von Marktversagen stellt sich dann weniger die Frage, ob der Markt in der jeweiligen Sphäre des Lebens überhaupt angemessen ist, sondern vielmehr wie die jeweilige Sphäre verändert werden kann, um den Markt ungehindert wirken lassen zu können.

Alles vermarkten und Markt über alles

Zur Begründung müssen oftmals der Moralphilosoph Adam Smith und seine Metapher der unsichtbaren Hand herhalten. Erlaubte man den Menschen, ihre Eigeninteressen frei zu verfolgen, könne dadurch das Allgemeinwohl weit besser gefördert werden als durch zentrale Lenkung. Der Markt könne am besten für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse sorgen. Denn die weit verteilten Informationen zu den Wünschen der Menschen und zu den verfügbaren Ressourcen, die für die Erfüllung der Wünsche benötigt werden, lassen sich durch eine Lenkungsinstanz nicht sammeln und verarbeiten. Der Markt hingegen vermag es – wenn auch nur zufällig, die einzelnen Interessen in kollektiven Wohlstand zu überführen –, wenn er denn gelassen wird.

So wird das Bild eines hyperrationalen, eigennutzmaximierenden Homo oeconomicus gezeichnet, der in einem entfesselten Markt auf seinesgleichen trifft, wobei im Hintergrund allenfalls ein minimalistischer Nachtwächterstaat operiert. Für eine Einhegung der Märkte oder für einen Sozialstaat scheint da wenig Platz. Und doch ist dieses Bild weit weg von jenem, welches Smith tatsächlich zeichnete. In seiner Theorie der ethischen Gefühle beschreibt er den Menschen als ein empathisches Wesen, das sich in seine Mitbürger:innen hineinversetzt, gesehen und geliebt werden möchte. Und er beschreibt einen Staat, der neben der Sicherheit im Inneren (Justiz, Polizei) und im Äußeren (Militär) vor allem auch die Aufgabe hat, öffentliche Güter und vor allem Bildung für alle zu gewährleisten. Smith ging in seinen Überlegungen bis zur Schulpflicht, die in seiner Heimat Schottland damals noch unbekannt war. Denn er sah, dass die Arbeitsteilung Grundlage von Spezialisierung, Handel und damit Wohlstand sein kann – dass sie zugleich aber die Gefahr einer Abstumpfung durch eintönige und repetitive Tätigkeiten birgt und zu einer »Entartung der Massen« (WN V.I.III.II) führen kann.5 Diesen Gedanken wird später Karl Marx aufgreifen.

Wenn Smith also in seinem zweiten Opus magnum, dem Wohlstand der Nationen, für eine Freiheit des Marktes plädiert, dann hat er dabei freie Berufswahl anstelle der Beschränkung durch Zünfte im Kopf, freien Wettbewerb anstelle staatlicher Monopole, freien Handel anstelle protektionistischer Zölle, freie Preisbildung anstelle staatlichen Dirigismus. Er will ein »System der natürlichen Freiheit« (WN IV.IX) an die Stelle der bestehenden »Systeme der Begünstigungen und Beschränkungen« (ibid.) setzen. Er ist damit ein Wirtschaftsliberaler, aber eben kein Libertärer, der in der individuellen Freiheit den höchsten Wert sieht. Der Staat, und zwar kein minimalistischer, ist nötig als Garant ebenjener Freiheit, die er durch sein Zurückziehen aus der Sphäre des Marktes selbst erst schafft.

Libertäre vs. liberale Freiheit

Diese Unterscheidung geht mitunter verloren, wenn die Abrissbirne gegen einen vermeintlich allzu ausufernden Staat gefordert und Smith dafür ins Feld geführt wird. So auch jüngst, als marktradikale Stimmen Smith anlässlich seines 300. Geburtstags als ihren Vordenker priesen. Viel Markt, wenig Staat – prominenter Vertreter ist hier eben gerade nicht Smith, sondern eher die Chicagoer Schule rund um den früheren US-Ökonomen und Wirtschaftsnobelpreisträger ­Milton Fried­man. Vertreter dieser Gruppe berieten in den 1970er Jahren führende Politiker:innen rund um den Globus und prägten damit eine Phase der Privatisierung, Deregulierung und des Abbaus wohlfahrtsstaatlicher Programme: in Großbritannien unter Thatcher, in den USA unter Reagan und in Chile unter Pinochet, wo die Schüler:innen Friedmans als »Chicago Boys« in die Geschichte eingingen. (Tatsächlich war mit María Teresa Infante, späterer Arbeitsministerin, auch eine Frau unter diesen »Boys«.)

Freiheit ist für Friedman der zentrale Kampfbegriff. Dies zeigt sich schon an den Titeln seiner Werke, von Capitalism and Freedom bis zum gemeinsam mit seiner Frau Rose verfassten Buch Free to Choose. Erst durch ein kapitalistisches, marktwirtschaftliches System freier Preisbildung werde ökonomische – und damit auch politische – Freiheit möglich. Andernfalls drohe unter Verweis auf Friedrich August von Hayek Der Weg zur Knechtschaft. Freie Preise an freien Märkten erlaubten, so Friedman, die Verbreitung und Verarbeitung dezentral verteilter Informationen; sie schafften Anreize und eine Verteilung von Ressourcen, wie sie für ein effizientes Ergebnis vonnöten seien. Staatliche Eingriffe wären hier nur Störfaktoren.

Damit unterscheidet sich die Rolle der Freiheit im libertären Verständnis Friedmans fundamental von jener im liberalen Verständnis Smiths. Bei Smith treffen in der ökonomischen Sphäre Menschen aufeinander, die zwar ein Eigeninteresse besitzen, aber eben auch am Wohlbefinden ihrer Mitbürger:innen interessiert sind und deren Billigung erhoffen. Als moralische Richtschnur dient das Ziel, Mitgefühl für die eigenen Beweggründe zu wecken. Das richtige Handeln orientiert sich also an den bereits im Buchtitel erwähnten »ethischen Gefühlen«. Friedmans Position hingegen lässt sich am Titel seines 1970 in der New York Times veröffentlichten Artikels ablesen: »The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits.« Auf dieser Grundlage argumentiert Friedman später gegen staatliche Eingriffe in das Bildungssystem, gegen öffentliche Gesundheitsversorgung wie Medicare und gegen einen Sozialstaat. All das aber fordert Smith, oft reduziert auf einen Garanten freier Märkte.

Dimensionen ökonomischer Freiheit

Der Disput zwischen einem liberalen und einem libertären Verständnis des Marktes hält an. Und angesichts der eingangs erwähnten, sich stetig ausdehnenden Sphäre des Marktes in immer neue Bereiche des gesellschaftlichen Lebens lohnt es sich, die Unterscheidung in Erinnerung zu rufen. Wo Freiheit für Menschen mit Freiheit für Märkte gleichgesetzt wird, da ist ein kritischer Blick auf das zugrunde liegende Freiheitsverständnis vonnöten. Drei Aspekte aus dem Zwischenfeld von Ökonomie und Philosophie gilt es besonders zu beachten.