Fake Boyfriend - Kate Brian - E-Book

Fake Boyfriend E-Book

Kate Brian

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Beschreibung

Lane und Vivi sind es leid, ihre beste Freundin Isabelle immer wieder frustriert zu sehen, weil sich deren Freund Shawn nicht entscheiden kann, ob er mit ihr zusammen sein will oder nicht. Also beschließen die beiden kurzerhand, auf MySpace einen Jungen zu kreieren, «Brandon», ganz nach Isabelles Geschmack. Alles läuft bestens. Bis Isabelle sich mit «Mr. Perfect» Brandon treffen will … Witzig! Cool! Hip! Eine Liebesgeschichte zwischen Internet und wirklichem Leben

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Seitenzahl: 324

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Kate Brian

Fake Boyfriend

Aus dem Englischen von Sabine Bhose

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Für Matt – ...EinsZweiDreiVierFünfSechsSiebenAchtNeunZehnElfZwölfDreizehnVierzehnFünfzehnSechzehnSiebzehnAchtzehnNeunzehnZwanzigEinundzwanzigZweiundzwanzigDreiundzwanzigVierundzwanzigMein besonderer Dank ...
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Für Matt –

mein Freund auf immer und ewig

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Eins

«Also wirklich, so was kauft sich doch kein Mensch!» Vivi Swayne riss ihrer Freundin Lane Morris die Lucky aus der Hand. Auf der Doppelseite der Zeitschrift prangten lauter grässliche schwarzweiße Kleider, die direkt aus einem Alice-im-Wunderland-Albtraum hätten stammen können – nichts als Schachbrettmuster und lächerlich aufgeplusterte Röcke. In nur einem Monat würde ihr Abschlussball stattfinden und keine von ihnen hatte bisher ein passendes Kleid gefunden. Aber wenn dieser Müll tatsächlich das Beste war, was die Modewelt zu bieten hatte, dachte Vivi, wäre sie vielleicht ohne Kleid besser dran. «Das würde ich nicht mal als Mutprobe anziehen.»

«Also bitte. Als ob du je im Leben eine Mutprobe machen würdest», grinste Lane, die gegen die grüne Sitzecke aus Vinyl lehnte und an ihrem Tee nippte.

Die Kids der Westmont High saßen in kleinen Gruppen in Lonnie’s Bagel and Coffee Shop, tranken ihre Lattes und ließen sich Lonnies berühmten Schoko-Pudding schmecken. Das hell erleuchtete Café war schon seit Ewigkeiten im Besitz der gleichen Familie. Seine Retro-Sitzecken, Chromtische und Neonlichter erzeugten ein echtes 50er-Jahre-Feeling, aber es war trotzdem irgendwie gemütlich. Morgens holten sich hier die hektischen Berufspendler ihre Koffeindosis ab, ehe sie mit dem Zug nach New York City fuhren. Und mittags war es der Laden für super leckere Gourmet-Sandwiches. Aber abends gehörte das Lonnie’s den Schülern der Westmont High. Schließlich gab es genug Designer-Coffees und Süßigkeiten, um sie bei Laune zu halten.

«Sie hat Recht», rief Curtis Miles jetzt über den Tisch hinweg und fuchtelte mit einer Gabelvoll Schokoladentorte in der Luft.

Lane lief hinter ihren Sommersprossen dunkelrot an, zog sich eine Strähne ihres langen roten Haars über die Schulter und spielte damit. Wie Vivi inzwischen wusste, tat sie das immer, wenn sie nervös war – was meistens der Fall war, wenn sich Curtis in der Nähe befand. Obwohl die beiden schon seit dem Dreiradalter Nachbarn waren, war Lane seit ungefähr zwei Jahren total in Curtis verknallt. Allerdings hatte der absolut keine Ahnung davon.

«Ich hab wohl schon eine Mutprobe gemacht!», beschwerte sich Vivi und riss Curtis die Gabel aus der Hand. Sie nahm ein riesiges Stück Torte, stopfte es sich in den Mund und schob den Teller dann zurück über den Tisch. «Was ist zum Beispiel mit dem einen Mal, als ich einen ganzen Karton Eis in nur zehn Minuten verputzt habe?»

«Das zählt nicht, weil du es sowieso machen wolltest», erwiderte Lane.

Vivi lenkte ein. «Na schön. Ich mag es eben nicht, wenn mir jemand sagt, was ich machen soll. Das ist ja nichts Neues.» Sie zog ihre langen Beine auf die Bank, pfefferte die Zeitschrift in die Ecke, nahm ihren schwarzweißen Keks vom Teller und biss in die weiße Hälfte. Dann sank sie zurück neben Lane und rutschte so lange mit ihrem Kopf hin und her, bis sie eine gemütliche Haltung gefunden hatte – damit das Gummiband, das ihr dickes blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hielt, nicht im Nacken zwickte. «Und wo zum Teufel bleibt Isabelle?»

Isabelle und Vivi waren in der ersten Klasse Tischnachbarn gewesen und seitdem beste Freundinnen. Curtis und Lane hatten sie in der Middle School kennengelernt und sich zu einem perfekten Quartett zusammengetan. Obwohl Curtis inzwischen nicht mehr ganz so oft etwas mit ihnen unternahm, kamen sie immer noch bestens miteinander aus und hatten Izzy versprochen, sich hier mit ihr zu treffen. Sie wollten über die Prom reden, da sie – natürlich – zusammen dorthin gehen wollten. «Du hast doch Lonnie’s gesagt, oder? Und nicht Starbucks?»

«Spinnst du jetzt? Wieso sollte ich Starbucks sagen, wenn wir uns nie da treffen? Schließlich ist es das Reich des Bösen», antwortete Curtis und starrte verächtlich aus dem Fenster zu dem neuen Laden hinüber, der im letzten Winter auf der gegenüberliegenden Straßenseite eröffnet hatte.

«Jetzt tu mal nicht so. Du bist doch schon völlig abhängig von den Frappuccinos», lästerte Vivi.

«Hm, die Frappuccinos da sind wirklich irre gut», räumte Curtis ein und starte verträumt in seinen Kaffeebecher.

«Meine Güte, Curtis!» Vivi schlug ihm auf den Arm. «Lonnie steht gleich da drüben.» Gemeinsam blinzelten sie verstohlen auf die ältliche Besitzerin, die in ihrem Café zu leben schien, und jetzt hinter der Theke stand. Sie war gerade dabei, Kim Wolfe, die in die Klasse der vier ging, ihr Wechselgeld auszuhändigen. Kim war normalerweise unglaublich laut und unangenehm, doch jetzt kaute sie geduldig auf ihrem Kaugummi und wartete, bis Lonnie ihr jedes Geldstück einzeln auf die Handfläche gelegt hatte. Jeder nahm sich Zeit für Lonnie, denn sie war so etwas wie eine Institution.

«Sie kann uns ja gar nicht hören», sagte Lane leise.

«Sie stellt ihr Hörgerät runter, wenn es mal wieder vv hier drin ist», fügte Curtis hinzu und strich sich seinen langen braunen Pony aus seinen großen braunen Augen.

«Vv?», fragte Vivi genervt.

«Völlig voll», erklärte Curtis und zuckte mit den Schultern.

«Also, dieser ganze Quatsch mit den Abkürzungen geht mir langsam mehr als nur auf die Nerven», blaffte sie ihn an.

«Nimm bloß kein Blatt vor den Mund und sag mir, was du wirklich denkst», gab Curtis zurück und strich sich erneut den Pony aus dem Gesicht.

Plötzlich wurde die Tür des Cafés aufgestoßen und die vierte im Bunde, Isabelle Hunter, kam hereinspaziert. Auch an diesem Abend sah Izzy wieder einmal perfekt aus. Sie trug einen rosafarbenen Rollkragenpullover, enge Jeans und halbhohe schwarze Stiefel. Ihre Haut war makellos, ihr glattes Haar wurde von einem weißen Stirnreif zurückgehalten und an ihren Ohrläppchen funkelten winzige Diamanten.

«Oh – mein – Gott! Ihr werdet mir gleich so was von um den Hals fallen!», kreischte sie. Dann knallte sie einen rosafarbenen Ordner auf den Tisch, auf dem in großen Glitzerbuchstaben PROM stand.

«Sag mal, bist du sicher, dass du dieses Ding wirklich in aller Öffentlichkeit hervorholen willst?», fragte Vivi, während sich Izzy neben Curtis zwängte. Es handelte sich bei dem Ordner nämlich um Isabelles berühmt-berüchtigten Abschlussball-Planer, den sie seit der neunten Klasse besaß.

«Ähm, ja, das bin ich. Schließlich liegt hier drin …» Isabelle blätterte durch die vielen farbenfrohen Seiten mit Eselsohren, auf denen Kleider, Blumen, Limos, Schmuck, Schuhe, Taschen und weitere beliebige Fotos zu sehen waren, die sie in den letzten Jahren aus Zeitschriften ausgeschnitten hatte. Dann zog sie einen gelben Zettel aus dem hinteren Teil des Hefters. «Voilà!», rief sie und hielt ihn strahlend in die Luft. «Ein Beleg für eine weiße Stretchlimousine von Mercedes!»

«Wie bitte?!» Vivi schnappte nach Luft und griff nach dem Beleg.

«Ich habe sie heute Nachmittag gebucht. Sie ist perfekt und gehört uns den ganzen Tag», erklärte Isabelle überglücklich. «Da passen vier Pärchen rein!»

«Mensch, Iz, das ist ja vv!», staunte Curtis.

«Völlig verrückt?», riet Isabelle.

Vivi entdeckte den Mietpreis auf dem unteren Abschnitt und pfiff leise. «Ähm, Iz? Der Preis ist aber ziemlich happig.»

«Ist schon alles bezahlt», winkte Isabelle ab. «Ich habe von meinen Großeltern Geld für den Schulabschluss bekommen und zwar ungefähr viermal so viel wie erwartet.»

«Hör auf», staunte Lane. Isabelles Großvater, ein vormaliger NBA-Basketballstar, überschüttete seine Enkelkinder häufig mit wahnwitzigen Geschenken. «Isabelle, das ist einfach unglaublich.»

«Also, wenn das so ist, könntest du ja vielleicht auch für meinen Smoking aufkommen?!», witzelte Curtis und trank den Rest seines Kaffees aus.

«Warum nicht? Shawns habe ich ja schließlich auch bezahlt», erwiderte Isabelle leichthin, nahm sich Lanes Gabel und ließ sie in Curtis’ Stück Torte sinken.

Lane, Vivi und Curtis tauschten entsetzte Blicke aus.

«Sag mir, dass das nicht stimmt», platzte es schließlich aus Vivi heraus.

Isabelle zuckte mit den Schultern. «Das macht man nun mal, wenn man in einer reifen Beziehung ist, Vivi», antwortete sie in einem Ton, als spräche sie mit einem Kindergartenkind.

«Ja sicher, oder wenn man in einer Beziehung ist, in der eine Person die andere total ausnutzt», murmelte Vivi.

Isabelle ignorierte ihren Kommentar wie immer.

Aber Vivi machte es ganz verrückt. Isabelle war Jahrgangsbeste und Spielführerin des Schul-Basketballteams; sie trank nie Alkohol, rauchte nie und fluchte nicht einmal. Erst kürzlich hatte sie eine Belobigung des Bürgermeisters ihrer Kleinstadt in New Jersey für ihr freiwilliges Engagement bei Essen auf Rädern erhalten. Außerdem hatte sie bereits einen Studienplatz an der Stanford Universität in der Tasche. Sie war das Kronjuwel der Klasse. Ihr Freund, Shawn Littig, dagegen, war ein absoluter Loser. Er kam ständig zu spät, machte oft blau, damit er heimlich Zigaretten rauchen konnte, und war frech zu den Lehrern. Jeder wusste, dass er ein Vollidiot war, aber Isabelle bestand darauf, dass sie ihn nur nicht richtig verstanden und dass niemand ihn so gut kannte wie sie. Leider hatte Vivi das Gefühl, dass die Sache genau umgekehrt lag: Alle Welt konnte Shawn Littig wie ein offenes Buch lesen – wie einen Schundroman vom Wühltisch, um genau zu sein –, aber irgendwie schaffte er es immer wieder, dass Isabelle ihm jede noch so blöde Ausrede abkaufte.

«Er hat gerade sein letztes Geld in sein Auto gesteckt und ist vollkommen pleite», verteidigte sich Isabelle. «Und mein Date geht auf keinen Fall in Jeans und T-Shirt zur Prom.»

«Und wieso hat er nicht gespart? Schließlich weiß alle Welt, wie wichtig dir unser Abschlussball ist», warf Vivi ein. «Oder ist er etwa die einzige Person, die sich nicht jede Seite dieses Ordners einzeln ansehen musste?», fragte sie und deutete dabei auf den Prom-Hefter.

«Hey, mach meinen Hefter nicht runter», maulte Isabelle und legte eine Hand schützend auf den Deckel. «Und natürlich hat er ihn gesehen. Deshalb hat er sich ja auch genau den Smoking bestellt, den ich ihm aus der Teen Vogue Prom-Ausgabe ausgesucht hatte», fügte sie stolz hinzu. «Und wo wir gerade beim Thema sind: Hat Jeffrey sich schon einen Smoking ausgeliehen?»

Vivi holte tief Luft. Sie hatte gehofft, dass dieses Thema nicht zur Sprache käme. «Ähm, also … Jeffrey und ich haben sozusagen Schluss gemacht.» Sie knibbelte verlegen an einem verkrusteten Fleck auf der Vinylbank.

«Was? Wann denn?», fragte Isabelle sofort.

«Hast du davon gewusst?» Lane boxte Curtis auf den Arm.

«Ja, also … ich hab heute Morgen mit Jeff gesprochen», antwortete Curtis und massierte seinen Arm mit schuldbewusstem Blick.

«Und wieso hast du mir nichts davon erzählt?», beschwerte sich Lane.

«Aber hallo, ich bin schließlich ein Typ. Wir haben so was wie einen Ehren-Codex.» Curtis verdrehte die Augen.

«Vivi, was ist denn passiert?», unterbrach Isabelle die beiden. «Ich dachte –»

Vivi hob die Arme und ihre Freunde verstummten. «Wir haben uns gestern Abend voneinander getrennt. Ist kein großes Thema. Irgendwann musste es ja passieren.»

Sie brach die schwarze Hälfte des Kekses ab, stopfte sie sich in den Mund und starrte aus dem Fenster. Sie hoffte, damit das Thema endlich erledigt zu haben. Vorm Starbucks auf der anderen Straßenseite wimmelte es nur so von Schülern aus den zwei Jahrgangsstufen unter ihnen. Offensichtlich wussten sie den subtilen Reiz von Lonnie’s noch nicht zu schätzen.

«Vivi, was ist denn bloß passiert? Warum hast du nicht angerufen?», fragte Lane.

«Und wie geht es dir jetzt?», erkundigte sich Isabelle.

«Mir geht’s gut», nuschelte Vivi mit vollem Mund. «Wir waren gerade mal drei Wochen zusammen. Das ist nun wirklich nicht das Ende der Welt.»

Schließlich konnte sie ihnen wohl kaum die Wahrheit erzählen. Jeffrey hatte ihr gesagt, dass er sie schon gern hatte, es aber ziemlich eindeutig sei, dass sie ihn in Wirklichkeit nicht mochte. Jeder Typ, mit dem Vivi je eine Beziehung hatte, sagte so ziemlich das Gleiche – oder zumindest eine Variation dessen.

«Er hat mir dir Schluss gemacht, stimmt’s?», sagte Lane sanft. Als Vivi nicht darauf antwortete, stöhnte sie. «Vivi, ich hab dir doch schon hundertmal gesagt, dass er, falls du weiter so an ihm rummäkelst –»

Vivi seufzte. Sie hatten diese Unterhaltung schon zig Millionen Mal geführt. In der Achten war Vivi ziemlich lang mit Daniel Lin zusammen gewesen. Vivi war sehr in ihn verliebt. Er war schlau, lustig, gut aussehend, athletisch und kümmerte sich total lieb um sie. Insbesondere für einen Jungen aus der Achten. Er war der perfekte Freund. Und dann hatte er urplötzlich wegen einer Anderen mit ihr Schluss gemacht. Vivi hatte es das Herz gebrochen. Aber sie war darüber hinweggekommen, Daniel war inzwischen weggezogen und das war’s. Vivi fand es eher lächerlich, dass ihre Freundinnen glaubten, diese eine Erfahrung hätte einen Einfluss auf all ihre weiteren Beziehungen. Vivi dachte nicht einmal mehr an Daniel, es sei denn, Lane und Izzy sprachen über ihn. Na ja, fast nie.

«Können wir jetzt bitte mal eine andere Platte auflegen?», fragte Vivi und starrte wieder aus dem Fenster. Sofort ließ sie vor Schreck ihren Keks fallen. Ihre Augen mussten ihr einen Streich spielen. Das konnte einfach nicht wahr sein. Auf … gar … keinen … Fall. Sie trat Curtis unter dem Tisch ordentlich gegen das Schienbein und deutete in Richtung Starbucks.

Als Curtis aus dem Fenster schaute, weiteten sich seine Augen vor Schreck.

«Oh mein Gott», hauchte er nur.

«Was ist denn?», fragte Isabelle und folgte seinem Blick.

«Isabelle! Nicht!», sagte Vivi automatisch. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

Shawn Littig, der Typ, mit dem Isabelle seit dem ersten Highschool-Jahr eine Hick-Hack-Beziehung führte, der Typ, in den sie dermaßen verliebt war, dass es ihr entging, was für ein schleimiges Ekelpaket er war, war gerade mit Tricia Blank im Arm aus Starbucks spaziert. Tricia war im Jahrgang unter ihnen und hatte sich ganz dem trashigen It-Girl-Look verschrieben. Und genau sie zog Shawn jetzt zu einer Häuserwand, und er steckte ihr seine Zunge so weit in den Hals, dass ihr Erstickungstod wahrscheinlich schien.

Und Izzy hatte alles mit angesehen. Sie wurde kreidebleich und gab einen krächzenden Laut von sich, der ihr im Hals steckenblieb.

«Oh mein Gott», entfuhr es Lane, als sie es auch endlich begriff. Besorgt sah sie zu Isabelle hinüber. «Iz, das ist –»

«Nein. Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein», brabbelte Isabelle.

Dann sprang sie plötzlich auf und stürmte nach draußen. Für den Bruchteil einer Sekunde war Vivi wie benommen. Doch dann schossen sie, Lane und Curtis ebenfalls hoch und folgten Isabelle, die inzwischen auf die Ecke zu lief, an der sich der Abendverkehr langsam die Straße entlang schob.

«Shawn!», brüllte sie aus vollem Hals.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite löste sich Shawn abrupt von Tricia. Isabelle sah schnell nach links und rechts, entschied aus irgendeinem Grund, dass sie nicht unter dem Jeep landen würde, der auf sie zu kam, und raste über die Straße.

«Isabelle!», kreischte Vivi, schob die Fäuste in die Taschen ihres grünen Hoodys und lief hinter ihrer Freundin her.

Doch Curtis überholte sie und hielt den Verkehr mit erhobenen Händen an. Der Jeepfahrer stieg in die Eisen und das Auto kam quietschend zum Stehen.

«Habt ihr sie nicht mehr alle?», brüllte er wütend.

«Tschuldigung! Krisensituation», erklärte Curtis. Er winkte Vivi und Lane über die Straße und folgte ihnen schnell.

«Was zum Teufel machst du denn da!?», schrie Isabelle, und alle Kids auf dem Bürgersteig blieben stehen und gafften.

Shawn wich vor Tricia zurück, als hätte sie Feuer gefangen und glotzte Isabelle blöd an. Seine hellblauen Augen schossen durch die Gegend, als suchte er nach einem Fluchtweg. Vivi hoffte inständig, dass er versuchen würde, an ihr vorbeizukommen. Dann könnte sie seinem irritierend gut aussehenden Gesicht nämlich einen Kinnhaken verpassen.

«Isabelle!», sagte Shawn entgeistert.

«Also bitte. Die halbe Schule ist hier versammelt», platzte aus Vivi heraus, die Hände zu Fäusten geballt. «Hast du im Ernst geglaubt, man würde dich nicht erwischen?»

«Halt dich da raus», fuhr Shawn sie an. «Das geht dich überhaupt nichts an.»

Vivi kochte vor Wut und biss sich auf die Lippe.

«Was machst du da?», fragte Isabelle mit wackeliger Stimme.

Shawn sah sie bettelnd an. «Baby … lass uns irgendwohin gehen und reden … allein.»

«Hey!», beschwerte sich Tricia und überkreuzte ihre dünnen Ärmchen über ihrem kaum vorhandenen Tank Top. «Du hast mir gesagt, dass du mit ihr Schluss gemacht hast.»

Vivi hatte das Gefühl, als hätte ihr jemand einen Dolch ins Herz gestoßen, und Izzys Augen füllten sich mit Tränen.

«Was? Shawn … du willst mit mir Schluss machen?»

Shawn sah sich verstohlen um und schien zu begreifen, dass es keinen Ausweg gab. Er sah zu Boden, sodass ihm sein dunkles Haar ins Gesicht fiel, und schüttelte den Kopf. «Es tut mir leid, Iz … Ich bin jetzt mit Tricia zusammen.»

«Mit ihr? Mit ihr?», entfuhr es Isabelle. «Seit wann?»

«Seit ungefähr einem Monat», antwortete Tricia triumphierend, schlang ihren Arm um Shawns Taille und schmiegte sich an ihn.

«Das letzte –» Isabelle knickte leicht ein, als hätte ihr jemand in die Kniekehlen getreten.

Vivi bekam kaum noch Luft. Sie ging auf Izzy zu und legte ihren Arm um sie. Ihre Freundin begann zu zittern, Tränen strömten über ihr Gesicht.

«Iz, bitte …» Shawn machte sich von Tricia los. «Ich wollte dir nicht weh tun. Ich –»

Vivi starrte ihn böse an. «Du solltest jetzt am besten verschwinden. Und zwar sofort», knurrte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

Shawn lachte verächtlich. «Du kannst mir nicht vorschreiben, was ich tun soll.»

«Ich denke schon», sagte Curtis und baute sich vor Shawn auf.

Shawn war um einiges größer und schwerer als Curtis, aber der zeigte keine Angst. Shawn hob abwehrend die Hände und trat den Rückzug an. Feigling. Vivi wusste, dass ihm jede Entschuldigung recht war, um verschwinden zu können und sich nicht mit den Konsequenzen seines Verhaltens auseinandersetzen zu müssen. Genau wie all die anderen Male, als er mit Izzy Schluss gemacht hatte – per Zettel, E-Mail, SMS oder Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Er hatte immer den feigsten Weg gewählt. Und trotzdem hatte Isabelle ihn jedes Mal zurückgenommen. Jedes Mal. Egal, was passiert war.

Nun, vielleicht würde sich das jetzt ändern. Dieses Mal konnte Izzy ihm nicht vergeben. Dieses Mal hatte er sie tatsächlich betrogen. Und die halbe Schule hatte es mitbekommen.

«Isabelle, alles in Ordnung?», fragte Lane, während Shawn und Tricia den Rückzug zu seinem Sportwagen antraten, der am Ende der Straße parkte.

«Seit einem ganzen Monat hat er mich schon betrogen!», schluchzte Isabelle und klammerte sich an Lanes hellblauen Pullover. «Seit einem Monat! Wie ist das überhaupt möglich?»

«Ich weiß, Iz. Es tut mir so leid», antwortete Lane und streichelte Isabelle über das Haar.

Vivi warf einen Blick auf die anderen Schüler, die immer noch zusahen und angestrengt lauschten. Sie bedachte die Gaffer mit bösen Blicken und zog Izzy sanft zurück in Richtung Straße.

«Und dann auch noch mit Tricia Blank!», tobte Isabelle. «Die ist eine … eine …»

Blöde Kuh? Dumme Tussi? Alte Schlampe?, dachte Vivi.

«… eine Stufe unter uns!», jaulte Isabelle auf.

Lane runzelte mitfühlend die Stirn. «Du hast ja recht, Iz.»

«Das wird schon wieder.» Vivi legte ihre Hand auf den Rücken ihrer Freundin. Diese ganze Geschichte ging ihr an die Nieren. Mehr noch als am Vorabend, als Jeffrey mit ihr Schluss gemacht hatte. Isabelle war seit der Grundschulzeit ihre beste Freundin und ihr Liebeskummer machte ihr mehr zu schaffen als ihr eigener. «Kommt, lasst uns von hier verschwinden», fügte sie hinzu.

«Ich geh und hol schnell unsere Sachen», erklärte Curtis und joggte zurück zu Lonnie’s.

«Wir gehen einfach zu mir und … ich weiß auch nicht … schmieden Rachepläne», sagte Vivi tröstend. «Mit vereinten Kräften sollten wir wohl eine Voodoo-Puppe hinbekommen», scherzte sie, um die Stimmung etwas aufzuheitern.

Isabelle versuchte zu lachen und nickte, während ihr Tränen über das Gesicht strömten. «Okay.»

Vivi hatte den Eindruck, dass die Arme in diesem Augenblick allem zugestimmt hätte.

«Mach dir keine Sorgen, Iz», tröstete sie Lane, während sie zu Vivis Auto gingen, das auf dem öffentlichen Parkplatz stand. «Alles wird gut.»

«Auf jeden Fall. Wenn die Voodoo-Puppe nämlich nicht funktioniert, werde ich höchstpersönlich zu ihm gehen und ihm einen ordentlichen Tritt in den Hintern geben. Glaub es mir», verkündete Vivi entschlossen. «Dieser Vollidiot hat dir zum letzten Mal das Herz gebrochen.»

[zur Inhaltsübersicht]

Zwei

Trag das Tablett mit beiden Händen. Leg das Wechselgeld auf das Tablett. Lass das Wechselgeld nicht fallen. Lass … es … nicht … fallen …

Lane gelang es, die Münzen und Scheine von ihrer schwitzenden Hand auf das Plastiktablett zu übertragen, ohne dabei ihr Essen fallen zu lassen. Sie atmete erleichtert auf und strahlte die Bedienung in der Cafeteria triumphierend an. Die starrte Lane an, als würde sie am liebsten den Schulpsychiater benachrichtigen.

Lane setzte ein entschuldigendes Lächeln auf und trat schnell beiseite.

«Und dann sagt mein Vater ganz ohne Vorwarnung: ‹Wenn du nicht lauter Einsen und Zweien im Abschlusszeugnis stehen hast, kannst du dir das Ferienlager aus dem Kopf schlagen›.», wetterte Curtis, während er an der Kasse anstand. «Ich meine, was soll das denn? Schließlich bin ich dieses Jahr sogar Klassensprecher.»

Wie immer hatte er keinen blassen Schimmer, dass Lane seinetwegen vollkommen gestresst war. Lanes Gedanken kreisten praktisch andauernd darum, in Curtis’ Gegenwart nichts zu tun, was ihr peinlich sein müsste. Falls ihr das gelänge, so malte sie sich aus, würde er eines Tages aufwachen und endlich begreifen, dass sie seine einzige, wahre Liebe war. Sie wusste selbst, wie unlogisch das klang, aber das war ihre einzige Hoffnung.

«Findest du nicht auch?», fragte Curtis plötzlich.

«Was? Ach so, äh, ja klar», stimmte Lane ihm zu, ohne wirklich zu wissen, worum es ging.

«Also, und deshalb weiß ich jetzt echt nicht, was ich machen soll. Ich meine, eine Zwei in Differential- und Integralrechnung – das kriege ich nie hin. Lazinsky spinnt sowieso, dass er uns immer so viel aufgibt», fuhr Curtis fort. Er bezahlte sein Mittagessen, steckte sich das Wechselgeld in die Hosentasche und nahm sein Tablett mit einer Hand hoch. Ihm bereitete dieser Balanceakt offensichtlich keinerlei Schwierigkeiten. «Die Abschlussprüfungen sind in einem Monat. Das ist doch geradezu sadistisch.»

«Du könntest es doch einfach nicht machen», schlug Lane vor.

«Sag mal, hast du mir überhaupt zugehört? Ich muss eine Zwei bekommen oder ich kann diesen Sommer nicht ins Camp. Ich muss es irgendwie schaffen», jammerte Curtis, während sie durch die Cafeteria gingen.

Lane beobachtete ihn aus ihren Augenwinkeln und lächelte. So albern es auch sein mochte, sie war ganz fasziniert davon, wie er in diesem Licht aussah. Die goldenen Flecke in seinen braunen Augen schienen regelrecht zu strahlen und die Sonne brachte die roten Highlights in seinem braunen Haar zur Geltung. Sie hätte alles dafür gegeben, ihn mitten in der Cafeteria malen zu können. Es würde ganz bestimmt ihr absolutes Meisterwerk. Das beste Kunstwerk, das sie dieses Jahr produzieren würde, keine Frage. Wenn sie ihn nur dazu bringen könnte …

«Würdest du es machen?»

Lane blieb so abrupt stehen, dass ihre Flasche beinahe vom Tablett rutschte. Glücklicherweise reagierte Curtis schnell und hielt sie fest.

«Das war aber knapp», grinste er. Seit er vor kurzem einen Unfall mit seinem Skateboard gebaut hatte, fehlte ein klitzekleines Stück von seinem Vorderzahn. Er fühlte immer mit seiner Zunge danach, wenn er sich besonders konzentrierte. Es war unglaublich süß.

«Würde ich was machen?», fragte Lane und hielt das Tablett gegen ihre Hüfte gedrückt. Dann zog sie nervös ihr Haar über die Schulter.

«Mir helfen? Mit der Differential- und Integralrechnung? Nach der Schule?», half ihr Curtis in einem Ton auf die Sprünge, der ahnen ließ, dass er sie das bereits gefragt hatte.

Eigentlich hatte Lane vorgehabt, ihren Nachmittag im Schulatelier zu verbringen und an ihrem Abschlussprojekt zu arbeiten. Sie hatte sich schon darauf gefreut und sogar einen neue Playlist für ihren iPod angelegt, die sie inspirieren sollte. Aber Curtis sah sie mit seinem treuen Hundeblick an, und sie hatte es bisher noch nie geschafft, ihm etwas abzuschlagen.

«Klar. Sollen wir uns nach der Achten in der Bibliothek treffen?», schlug sie deshalb vor und zog wieder an ihrem Haar.

Curtis grinste. «Was würde ich bloß ohne dich machen?»

Das weiß ich auch nicht. Aber jetzt solltest du mich eigentlich küssen, dachte sie. Dann lief sie knallrot an, drehte sich schnell um und steuerte auf den besten Tisch in der Cafeteria zu.

Sie saßen immer am gleichen Tisch, direkt neben den Glastüren, die in den Innenhof führten. An schönen Frühlingstagen standen die Türen immer offen und füllten den Raum mit warmer, süß duftender Luft. Lanes Knie zitterten, und sie war mehr als nur erleichtert, sich endlich hinsetzen zu können. Leider war die Stimmung am Tisch alles andere als fröhlich. Wie schon die ganze Woche über, saß Isabelle zusammengesackt auf ihrem Stuhl und stocherte lustlos mit der Gabel in ihrem Mittagessen umher, während Vivi sie traurig dabei beobachtete. Es reichte langsam. Lane hatte ihre Freundin noch nie so viele Tage hintereinander dermaßen deprimiert gesehen. Normalerweise hätte sie sich inzwischen wieder mit Shawn zusammengerauft – nicht, dass Lane das wollen würde. Sie wüsste bloß gerne, wie sie Isabelle aufmuntern könnte.

«Hi, Leute!», begrüßte sie ihre Freundinnen fröhlich.

«Hey», erwiderte Isabelle, deren Stimme kaum lauter als ein Flüstern klang.

«Was gibt’s?», fragte Curtis und schüttelte seinen Kakao. Wie schon die ganze Woche über, sah er auch jetzt wieder hoffnungsvoll in die Runde. Wie Lane wusste, wartete er darauf, dass Isabelle sich endlich wieder fangen würde. Curtis war ein guter Freund, aber er hatte einfach keine Ahnung, wenn es darum ging, wie lange Mädchen einer intensiven Beziehung hinterher trauern.

«Nix», flüsterte Isabelle und starrte teilnahmslos aus dem Fenster.

Curtis seufzte, zuckte mit den Schultern und nahm sich von den Pommes. Lane bemerkte, dass er Isabelle verstohlen musterte und sie wusste sofort, dass er darüber nachdachte, wie er sie aufheitern könnte. Und das machte sie nur noch verliebter.

Als die Tür zur Cafeteria aufgestoßen wurde, sahen Lane und Vivi automatisch auf, wie man es eben tat, wenn jemand zu spät kam. Tricia Blank kam rein. Sie trug einen schwarzen Pullover, der Lane sehr bekannt vorkam. Ihr wurde ganz heiß, und sie sah schnell zu Vivi hinüber. Vivi hatte ihn auch wiedererkannt. Schließlich hatten sie in der Vorweihnachtszeit eine ganze Stunde in einem super heißen und übervollen Shopping-Center damit zugebracht, Isabelle dabei zu helfen, ihn für Shawn auszusuchen. Plus eine weitere halbe Stunde, um das perfekt maskuline Geschenkpapier zu wählen.

«Oh, das glaube ich einfach nicht …», knurrte Vivi und knirschte mit den Zähnen.

«Was denn?», fragte Isabelle und drehte sich um.

Lane hätte es nicht für möglich gehalten, aber Izzys Haut wurde vor ihren Augen noch blasser als sie ohnehin schon war. «Augenblick mal. Ist das der –?»

«Der Pullover, den du Shawn zu Weihnachten geschenkt hast?», ergänzte Vivi kopfschüttelnd, die vor Wut schäumte.

Isabelle sah zu Shawns Tisch herüber. Er saß dort mit seinen Freunden, die alle glaubten, sie wären so etwas wie Anarchisten, weil sie T-Shirts mit widerwärtigen Sprüchen trugen und Zigarettenpackungen aus den Taschen ihrer Jeans lugten. Als ob er eine Art Antenne dafür hätte, blickte Shawn sofort zu ihr auf und streifte dann Tricia mit einem Blick, die sich mit ihren Freundinnen in der Nähe der Wand unterhielt. Er sprang auf und kam zu Isabelle herüber.

«Belle», sagte er bloß und seine blauen Augen sahen sie beschwörend an.

«Du hast ihr meinen Pullover gegeben?», presste Isabelle hervor.

«Nein. Ich schwöre es. Sie muss ihn sich aus meiner Kommode genommen haben», sagte er mit gequälter Stimme. Als scherte er sich um Isabelles Gefühle. Als hätte er überhaupt so etwas wie ein Gewissen.

«Sie war in deinem Zimmer?», wimmerte Isabelle.

Shawn stopfte die Hände in die Taschen seiner Jeans und sah zu den anderen hinüber. «Belle, können wir bitte für eine Sekunde miteinander sprechen?»

«Nenn mich nicht Belle», erwiderte Isabelle traurig.

«Na schön. Tut mir leid. Können wir nur … bitte?»

«Also gut», antwortete Isabelle und stand auf.

Gemeinsam mit Shawn stellte sie sich neben die offenen Türen am anderen Ende des Tisches.

«Unglaublich», kommentierte Vivi und schüttelte dabei so heftig ihren Kopf, dass sich ihr unordentlicher blonder Knoten zu einem Pferdeschwanz auflöste. «Ich kann es nicht fassen, dass sie tatsächlich mit ihm redet.»

Sie erhob sich leise, ging auf Zehenspitzen um den Tisch und steuerte auf den Süßigkeitenautomaten zu, der ungefähr einen Meter von Izzy und Shawn entfernt war.

«Vivi!», zischte Lane.

Vivi drehte sich zu ihr um und bedeutete ihr mit theatralisch aufgerissenen Augen, den Mund zu halten. Lane wandte sich wieder ihrem Mittagessen zu. Sie würde sich erst gar nicht mit Vivi anlegen. Wenn Vivi sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, gab es nichts, was sie davon abhalten würde.

Unterdessen schauspielerte Vivi überzeugend am Automaten. Sie zog ein paar Münzen hervor und tat, als wäre sie von der Auswahl an Süßigkeiten vollkommen überfordert. Shawn und Izzy waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie die Lauscherin nicht bemerkten. Schließlich tippte Vivi aggressiv eine Nummer ein, zerrte den Schokoriegel aus der Klappe und stürmte zurück an den Tisch. Sie schnappte sich ihren Stuhl und ließ sich wütend darauf fallen.

«Okay. Dieser Typ sollte wirklich Politiker werden», schnaubte sie. «Er ist durch und durch schleimig.»

«Wieso? Was ist denn los?», fragte Curtis, der sich nun auch endlich für diese Live-Seifenoper interessierte.

«Als erstes hat er ihr gesagt, dass er sie immer noch gern hat und es auch immer tun wird», knurrte Vivi. «Und dass er den Pullover, den sie ihm geschenkt hat, nie einer Anderen geben würde.»

«Aber das ist doch gut, oder nicht?», fragte Curtis, ehe er einen kräftigen Schluck Kakao nahm.

Vivi verdrehte die Augen. «Dann hat er ihr gesagt, dass sie über ihn hinwegkommen muss. Dass er nicht gut genug für sie ist und dass sie jemanden verdient hätte, der besser für sie ist», flüsterte sie erbost.

Lane prustete verächtlich. «Das stimmt wenigstens.»

«Schon. Aber für ihn ist das alles nur ein Spielchen. Er wusste ganz genau, dass sie ihm widersprechen würde und genau das hat sie natürlich auch gemacht. ‹Ich verstehe nicht, warum du so schlecht von dir denkst. Ich liebe dich, das weißt du doch›», imitierte sie Isabelles Stimme perfekt. «Er lässt sie einfach zappeln. Ich schwöre, am liebsten würde ich –» Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und knurrte frustriert.

«Okay. Okay. Jetzt beruhig dich erst mal wieder», redete Lane ihr gut zu und legte ihre Hand auf Vivis.

«Sie kann ihn nicht zurücknehmen», sagte Vivi und schüttelte ihren Kopf. «Sie kann nicht als zweite Wahl hinter Tricia-der-blanken-Schlampe stehen. Wir müssen uns da einmischen. Ihr irgendwie drohen.»

Lane wickelte sich ein leeres Strohhalm-Papier um ihren Finger und lachte. «Und womit willst du ihr genau drohen?»

«Weiß ich auch nicht … Vielleicht sollten wir ihr sagen, dass wir nicht mehr mit ihr befreundet sein wollen! Sie völlig ignorieren», verkündete Vivi. «Liebevolle Strenge, wie in dem Film, den wir letztes Jahr im Unterricht ansehen mussten.»

«Ähm … nur ist Isabelle kein heroinsüchtiger Junkie», entgegnete Lane.

«Das nicht. Aber sie ist ein Shawn-Junkie», gab Vivi sofort zurück.

Lane bekam Herzklopfen. Das konnte Vivi nicht ernst meinen. Zumindest hoffte Lane, dass sie es nicht ernst gemeint hatte. Denn wenn sich Vivi erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, führte sie ihren Plan normalerweise bis zum bitteren Ende aus. Und sie sorgte dafür, dass ihre Freunde mitmachten.

«Das geht nicht», warf Curtis ein und zerdrückte seinen leeren Kakaokarton. «Das ist viel zu gemein. Und außerdem würde es keiner von uns durchhalten.»

Vivi sackte auf ihrem Stuhl zusammen. «Das stimmt leider. Aber irgendwas müssen wir doch tun! Sie soll endlich merken, dass sie diesen Blödmann nicht braucht», jammerte Vivi und sah in die Runde.

Lane bemerkte, dass Isabelle nickte, während Shawn etwas zu ihr sagte, und der bloße Anblick ließ sie verkrampft werden.

Lane schüttelte den Kopf. «Isabelle ist viel zu gut für den. Falls sie ihn wieder zurücknimmt, gibt es eine Katastrophe.»

Curtis nickte mit vollem Mund.

«Gut. Zumindest sind wir alle einer Meinung», fasste Vivi zusammen und reckte energisch ihr Kinn in die Luft. Sie zog ihre Füße auf den Stuhl und legte ihr Kinn auf die Knie. «Jetzt müssen wir nur noch einen Weg finden, damit sie es auch mitbekommt.»

 

«Glaubst du wirklich, dass ein Kinoabend mit Emanzipations-Filmen helfen wird?», fragte Lane und sah skeptisch auf den Stapel der DVDs, die Vivi ausgeliehen hatte.

«Das ist ja nur ein vorläufiger Plan. Bis mir was Besseres einfällt», erklärte Vivi, während sie eine riesige Schüssel mit Popcorn auf den Tisch stellte.

Plötzlich ging die Kellertür auf. «Hallo Schatz! Ich bin wieder da!», trällerte Vivis Mutter und kam die Treppe heruntergepoltert.

Sie trug eines ihrer bunteren Kopftücher, und ihre blonden Locken standen in zwei perfekten Dreiecken, die von den Ohren bis zur Schulter reichten, vom Kopf ab. An ihren Ohrläppchen baumelten riesige Ungetüme aus Holz, und sie war auffälliger als sonst geschminkt. Wie immer hatte sich Vivis Mutter auch an diesem Abend für eine Party in Schale geworfen. Ihr Job am regionalen Theater, dem Starlight Playhouse, brachte abendliche Veranstaltungen mit sich. Anscheinend ging es diesmal darum, so unkonventionell und abgefahren wie möglich auszusehen.

«Ich dachte nur, ihr Mädels könntet vielleicht ein paar Snacks gebrauchen!» Sie hielt ihnen eine braune Papiertüte mit Fettflecken vor die Nase. «Die Überreste der Ensemble-Party!»

«Oooh! Ich wusste doch, dass es einen Grund gibt, warum ich dich liebe.» Vivi riss ihrer Mutter die Tüte aus der Hand. In ihr befanden sich zahlreiche Dosen mit durchsichtigen Deckeln. Vivi zog die Deckel ab und stellte die Mini-Hotdogs, Mini-Quiches und Mini-Frühlingsrollen auf den Tisch.

«Hallo, Ms Swayne», begrüßte Lane Vivis Mutter, erhob sich, kam um den Tisch und umarmte sie.

«Hallo, Liebes!», rief Vivis Mutter enthusiastisch. «Was habt ihr Hübschen denn vor? Kinoabend? Ist irgendwas Gutes dabei?» Sie sah sich den Stapel der DVDs an. «Oh! Kate Winslet? Die finde ich super. Eine Schauspielerin, die letzten Monat in meiner Inszenierung von Twelfth Night dabei war, erinnerte mich unheimlich an Kate.»

«Wirklich cool, Mom. Und wir würden auch furchtbar gern mehr davon hören. Echt. Aber Isabelle wird jeden Augenblick eintrudeln und deshalb …» Vivi schob ihre Mutter zurück zur Treppe.

«Oh. Okay. Also, wenn ihr irgendwas braucht –»

«Das tun wir nicht», antwortete Vivi und klopfte ihrer Mutter auf den Rücken. «Aber vielen Dank für die Snacks.»

Die Schultern ihrer Mutter sackten zusammen und die hunderte von Plastik-Armreifen klickten an ihrem Handgelenk aneinander. «Okay. Na gut. Ich bin dann oben.»

«Tschüss dann!» Vivi lächelte, bis ihre Mutter verschwunden war, wandte sich ab und verdrehte die Augen. Sie steckte die Hände in die Tasche ihres übergroßen Hoodys und ließ sich auf das Sofa fallen.

«Ich verstehe nicht, warum du immer so gemein zu ihr bist», seufzte Lane und schob sich einen Mini-Hotdog in den Mund.

«Lane, du weißt doch selbst, dass sie den ganzen Abend hierbleiben würde, wenn ich sie nicht rausschmeiße», antwortete Vivi und nahm sich eine Quiche. «Sie glaubt immer noch, dass sie eine von uns ist.»

«Na ja, sie ist zumindest cooler als meine Mom», erwiderte Lane und band sich ihr langes Haar zu einem hohen Pferdeschwanz.

Vivi lachte. «Ich würde alles dafür geben, eine Mutter wie deine zu haben.»

Lanes Mutter arbeitete als Image-Consultant für einen riesigen Medienkonzern in New York. Sie hatte Stil, war elegant und mischte sich nie in Lanes Angelegenheiten ein. Sie war, mit anderen Worten, das genaue Gegenteil von Sylvia Swayne, die aus jeder Mücke einen Elefanten machte.

«Klar, also, wenn ich ihr mal wieder über den Weg laufen sollte, werde ich es ihr gern ausrichten», witzelte Lane trocken.

Plötzlich klingelte es, und Vivi und Lane sprangen gleichzeitig auf. «Na endlich!»

«Ich geh schon!», rief Vivi laut.

Mit Lane dicht auf den Fersen, polterte sie die Kellertreppe hinauf und schlitterte auf Socken durch den Flur. Als sie jedoch an der Haustür ankam, unterhielt sich ihr jüngerer Bruder Marshall bereits mit Isabelle, die ihn unsicher von der Türschwelle aus beäugte. Die meisten Leute sahen Vivis milchgesichtigen, Bücher liebenden Bruder auf diese Weise an. Wie immer hatte er sein blondes Haar mit irgendeinem dickflüssigen Gel aus dem Gesicht gekämmt und trug ein T-Shirt mit dem Slogan LOVE ME, LOVE MY MAC. Vivi hätte am liebsten laut aufgestöhnt. Der Junge hätte wirklich ganz niedlich und vielleicht sogar halbwegs cool aussehen können, wenn er nur nicht so fest entschlossen gewesen wäre, sich als Streber zu outen.

«Du kannst jetzt verschwinden, Loser», erklärte sie und stieß ihn mit einem Hüftschwung aus dem Weg.

«Halt die Klappe», brummte er und wurde rot. «Bis später, Leute. Ich bin dann mal im Wohnzimmer», informierte er Vivis Freundinnen.

«Ist uns egal», gab Vivi zurück.

Marshalls grüne Augen – die genau wie Vivis aussahen – verengten sich, und er verschwand.

«Bis später, Marshall», rief Isabelle ihm nach, höflich wie immer.

Sie betrat den Flur, und Vivi schloss die Tür hinter ihr. «Okay, welchen Film sollen wir uns zuerst ansehen? Liebe braucht keine Ferien? She’s the Man – Voll mein Typ? Oder Erin Brockovich?»

«Iz?», fragte Lane unsicher. «Alles in Ordnung?»

Vivis Herz krampfte sich zusammen, und sie wandte sich um.

Isabelles Gesicht war tränenüberströmt. Sie ließ ihre Reisetasche auf den Boden fallen und schluchzte: «Er geht mit ihr zum Abschlussball!»

«Ach du große Güte, Izzy!», erwiderte Lane. «Wie hast du … wer hat es dir gesagt?»

«Sie hat es mir selbst erzählt! Ich bin ihr im Shopping-Center über den Weg gelaufen, und sie hat damit geprahlt!», heulte Isabelle. «Er geht mit ihr in dem Smoking zur Prom, den ich für ihn ausgesucht habe. Den ich bezahlt habe!»

«Was für ein Arschloch!», zischte Vivi mit zusammengebissenen Zähnen.

Die Prom bedeutete Izzy alles. Alle wussten das, insbesondere Shawn. Nicht, dass Vivi sich ihn als Partner für Izzy gewünscht hätte, aber die Tatsache, dass er eine andere gefragt hatte und Isabelle es auf diese Weise herausfinden musste, war einfach zu schrecklich.

«Darf ich ihn jetzt umlegen?», erkundigte sich Vivi.

«Ich hasse ihn», stieß Isabelle hervor und rang nach Luft. «Ich hasse ihn so sehr!»

Während Lane Isabelle in den Arm nahm, bemerkte Vivi eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Ihr Bruder stand im Türrahmen zum Wohnzimmer und hatte alles mit angehört. Sie warf ihm einen Blick zu, der Stahl zum Schmelzen gebracht hätte, und legte ihren Arm um Isabelles Schulter.

«Komm. Lass uns nach unten gehen.»

«Kay», stimmte Isabelle schluchzend zu.

Nach ungefähr zehn Minuten zusammenhangslosen Jammerns beruhigte sich Isabelle endlich. Sie sah sich im vertäfelten Keller um und schniefte.

«Was für Filme habt ihr denn besorgt?», erkundigte sie sich und zog ihre Hände in die Ärmel ihres flauschigen Pullovers.

«Wir müssen uns keinen Film ansehen, wenn du nicht willst», beruhigte sie Lane.

«Doch, das müssen wir! Sie braucht Ablenkung», widersprach Vivi und griff nach den DVDs.

«Stimmt», sagte Isabelle schwach.

Vivi stand auf und schob Liebe braucht keine Ferien in den DVD-Player. Die Vorschauen begannen gerade, als Vivi die strebermäßigen braunen Schuhe ihres Bruders auf dem Treppenabsatz sah.

«Haben wir dich etwa hierher eingeladen?», brüllte sie.

«Ich bringe euch bloß was zu trinken», erwiderte Marshall. Mit einem Krug Malzbier und drei Bechern hielt er auf der letzten Treppenstufe an. «Ich dachte mir, ihr habt vielleicht Durst.»

«Danke, Marshall», sagte Lane schnell, um zu verhindern, dass Vivi ihm eine weitere Beleidigung an den Kopf warf.

«Ich mag Malzbier», fügte Isabelle tonlos hinzu.

«Also dann.» Marshall stellte alles auf den Tisch und ging zurück zur Treppe. «Ich bin dann oben.»

«Interessiert wirklich überhaupt nicht», antwortete Vivi.

Marshall sah sie irritiert an, zog sich jedoch wortlos zurück.