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Lena, ein junges Mädchen, das hart arbeitet, verliebt sich in den Gesellen Martin Lenz. Vor dem 2. Weltkrieg heiraten die beiden heimlich und kurz darauf wird Lena schwanger und Martin wird als Soldat eingezogen. In beengten ärmlichen Verhältnissen lebt Lena mit ihrem Kind, bis sie ihr Mann eines Tages ein letztes Mal besucht, vor er an die Ostfront nach Russland versetzt wird. Jahre später - Lena muss sich allein mit zwei kleinen Kindern durchschlagen - erkennt die eigene Tochter ihren Vater nicht, als dieser 1948 aus der Gefangenschaft zurückkehrt...
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Seitenzahl: 108
Veröffentlichungsjahr: 2025
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1. Der Rübenacker
2. Der Kirchgang
3. Frühsommer 1939
4. Abschied
5. Hoffnung
6. Krieg und Schatten
7. Geburt
8. Der Besuch
9. Brot, Angst und Nähe
10. Das Telegramm
11. Winterhunger
12. Zwei Leben
13. Der Handel
14. Die Grenze
15. Zweite Geburt
16. Zwei Töchter und ein leerer Topf
17. Der Hunger wird lauter
18. Hauptscharführer Reiser
19. Der Brief
20. Isolde
21. Im Schatten der Gerechtigkeit
22. Der Fall
23. Die Stunde der Amerikaner
24. Kein Name auf der Liste
25. Der Heimweg
26. Der erste Tausch
27. Der Mann am Zaun
28. Der Zorn der Ley
29. Die Härte des Überlebens
30. Der Sonntagszopf
31. Josef, der Geschäftsmann
32. Jeder Morgen ein Kampf
33. Maria und Luise inder Filzfabrik
34. Im neuen Haus
35. Rolf wird krank
36. Erwachsenwerden
37. Rolf und das unsichtbare Gewicht
38. Der zweite Versuch
39. Das morgendliche Chaos
40. Spaziergang in Ichenhausen
41. Abends am Esstisch
42. Tanzabend im Wirtshaus „ Zur goldenen Traube“
43. Am nächsten Morgen in der Küche
44. Ein Brief aus München
45. Sorge um Rolf
46. Die Lehre beim Onkel in Ulm
47. Martin und die alte Wunde
48. Frühe Zugfahrten nach Ulm
49. Ein altes Auto, eine neue Freiheit
50. Der erste Ausflug
51. Die kleine Katastrophe am Abend
52. Alberts Rückkehr und der Antrag
53. Hochzeit von Luise und Albert
54. Maria findet ihr Glück
55. Gregors Jugendstreich – mit Folgen
56. Die Begegnung mit Lena
57. Die schwere Geburt
58. Die Taufe im Krankenhaus
59. Die ersten Tage zuhause
60. Ein neuer Lebensabschnitt
61. Auf der Jagd – der folgenschwere Fehler
62. Vaterfreuden und Alltagslast
63. Ernüchterung und Verantwortung
64. Gregor zwischen Arbeit und Familie
65. Der Hausbau – ein Kraftakt
66. Rolf und das Motorrad
67. Die Italienreise
68. Gernot und der Geldmangel
69. Lisa in München – zwischen Beruf und Enttäuschung
70. Ein Tanzabend verändert alles
71. Das Leben in Hochwang
72. Ein kurzer Moment der Ruhe
73. Luise bekommt spät einen Sohn
74. Rolfs gesundheitlicher Niedergang
75. Spaziergänge mit Iris und dem neuen Blindenhund
76. Der 40. Geburtstag
77. Die Beerdigung
78. Luises Einsamkeit auf dem Land
79. Das dritte Kind
80. Martins letzter Wille
81. Lena wird alt und gebrechlich
82. Das Erbe
83. Iris wird selbst Mutter einer großen Familie
84. Das Vermächtnis lebt weiter
Lena und Martin Lenz
mit Kindern Maria, 1. Tochter - Ehemann Eugen
Luise, 2. Tochter – Ehemann Albert
Gregor, Sohn- Ehefrau Natalie
Rolf, Sohn
Gernot, Sohn – Ehefrau Eleonore
Lisa, Tochter – Ehemann Fritz
Familie Ley
Isolde, Freundin von Lena
Bernhard, Lehrer
Marianne, Krankenschwester
Reiser Georg, Hauptscharführer
Josef, Bruder von Martin mit Ehefrau Cilly
Frau Sailer
Schwester Berta, Hebamme
Lorenz, Martins Freund
Jakob, Lenas Bruder
Enkelin Iris, Tochter von Luise
Enkel/innen: Paula und Max, Emilia, Fred
1. Der Rübenacker
Die Sonne stand schon hoch am Himmel und brannte unbarmherzig auf das weite Feld, das sich am südlichen Rand des Dorfes Hochwang erstreckte. Die Luft flirrte vor Hitze, und über dem rissigen Lehmboden lag ein süßlicher, schwerer Geruch von Erde, Schweiß und jungen Rüben. In der Ferne zirpten Grillen, und ein Bussard zog kreisend seine Bahn über dem frisch gemähten Heuwiesenstreifen. Es war ein Sommertag, wie er im Jahr 1937 nicht ungewöhnlich war – hart, lang und voller Arbeit.
Lena beugte sich erneut über die Rübenhacke, ihr Körper war müde, aber ihr Blick blieb wachsam. Mit gleichmäßigem Schwung hieb sie die Disteln zwischen den Rübenreihen heraus. Seit sieben Uhr morgens standen die Frauen des Dorfes auf dem Feld. Einige trugen Tücher über dem Kopf, andere breite Strohhüte. Lena hatte beides vergessen. Ihre dunklen Haare klebten ihr in Strähnen an der Stirn, und der Schweiß tropfte ihr von den Schläfen in den Nacken. Doch sie klagte nicht.
Ein kurzes Aufatmen, dann wischte sie sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die Haut war gerötet, die Hände rau, ihre Finger voller Erde. Sie richtete sich auf und lehnte sich kurz auf das Holz der Hacke, während ihr Blick über das Feld wanderte – zu den anderen Frauen, die wie gebeugte Schatten in den Reihen arbeiteten, weiter bis zum staubigen Feldweg, wo sich gerade jemand näherte.
Ein Fahrrad kam näher. Schnell erkannte sie den schlanken jungen Mann mit dem grauen Hemd und der Schiebermütze. Martin Lenz. Der Mechanikergeselle aus dem Nachbardorf, der seit ein paar Monaten bei der Firma Schmid in der Werkstatt arbeitete. Seine Bewegungen waren ruhig, aber kraftvoll, als er das Rad in gleichmäßigem Tritt über den Weg lenkte. Als er an der Höhe des Feldes vorbeikam, hob er den Blick – und sah direkt zu ihr.
Lena spürte, wie ihre Wangen noch wärmer wurden, doch sie zwang sich zu einem knappen Nicken, nichts weiter. Kein Lächeln, kein Winken. Nicht hier, nicht vor den anderen wollte sie ihn begrüßen. Martin erwiderte das Nicken fast unmerklich. Doch in seinem Inneren regte sich etwas. Etwas Hoffnungsvolles. Etwas Mutiges.
„Nächstes Mal“, dachte er, „nächstes Mal bleib ich stehen und dann red ich mit dir, Lena.“ Er radelte weiter, aber das Bild von Lena, wie sie auf dem staubigen Feld stand – ernst, verschwitzt, schön – ließ ihn nicht mehr los. In seinem Kopf entstand ein Plan: „Vielleicht treffe ich sie am Sonntag nach der Messe. Wenn ich sie zum Tanzen einlade? Ich weiß, sie mag Musik.“
Martin hatte Lena schon bewundert, als sie noch Kinder gewesen waren – in der engen Dorfschule mit den knarrenden Holzbänken. Sie war klug, aber zurückhaltend gewesen. Schon damals hatte sie nie gelacht, um zu gefallen. Ihr Ernst hatte etwas Stilles, etwas Starkes. Und nun, zehn Jahre später, war sie eine junge Frau mit kräftigen Schultern, funkelnden Augen – und einem Alltag voller Pflicht.
Denn Lena war die älteste von sechs Geschwistern. Ihr Vater, ein wortkarger Mann mit wettergegerbtem Gesicht, führte einen kleinen Hof mit fünf Hektar Land, zwei Kühen und einer klapprigen Scheune. Die Mutter, bleich und kränklich seit der letzten Geburt, war auf Hilfe angewiesen. Also fiel alles auf Lena. Sie kochte, wusch, nähte, beaufsichtigte die Kleinen – und arbeitete im Stall und auf dem Feld, sobald es nötig war. Freizeit war ein Fremdwort, und Kindsein hatte sie früh abgelegt.
Doch trotz der Last, die sie trug, hatte Lena etwas an sich, das man nicht übersehen konnte. Eine stille Entschlossenheit. Eine Würde, die selbst in Schweiß und Staub nicht verloren ging.
Am anderen Ende des Feldes rief eine der Frauen: „Kurze Pause! Trinken nicht vergessen, Mädle!“ Lena trat zurück, ließ die Hacke sinken und setzte sich auf einen umgekippten Eimer. Sie zog ihre alte Blechflasche aus dem Korb und trank. Das Wasser war warm, aber erfrischend. Für einen Moment ließ sie die Schultern hängen und schloss die Augen. In ihrem Kopf tauchte das Bild von Martin auf – das Lächeln, das er ihr zugeworfen hatte. Sie verbarg ein kleines Grinsen hinter ihrer Trinkflasche.
„Wenn du wirklich mit mir tanzen willst, Martin Lenz“, dachte sie, „musst du dich beeilen. Solche Männer wie du sind selten – aber auch andere Mädchen schauen dich an.“
Die Glocke der Kirche schlug elf. Der laut tönende Klang zog über Felder und Wiesen, als wollte er verkünden: Noch ein halber Tag Arbeit. Noch viele Stunden bis zum Abend. Aber vielleicht – vielleicht lag da auch ein Neuanfang in der Luft: Ein erster Blick, ein erster Kontakt oder ein stilles, unausgesprochenes Versprechen.
2. Der Kirchgang
Die Glocken von Ichenhausen läuteten zum Sonntagsgottesdienst, als sich die kleinen Gassen der Kleinstadt langsam mit Menschen füllten. Männer mit Sonntagsjacken und gestärkten Krägen, Frauen in dunklen Kleidern mit aufgestecktem Haar und strengem Blick, Kinder mit frisch gebügelten Hemden, die zwischen den Reihen der Erwachsenen umhersprangen. Die Luft roch nach Sommer, nach Heu, nach Weihrauch, der aus der halb geöffneten Kirchentür quoll.
Lena stand etwas abseits vom Kirchplatz, ihr Gesangbuch in der Hand, der Blick gesenkt. Sie hatte das Haar zu einem festen Knoten gebunden, und ihr Kleid – aus blaugrauem Leinen – war schlicht, aber sauber. Ihre Hände waren rau, doch sie hatte sie sorgfältig gewaschen, die Fingernägel gebürstet. In ihrer Brust klopfte es leise, seit sie Martin gesehen hatte, wie er mit seinem besten Freund Lorenz Müller aus dem Nachbardorf über den Platz geschlendert war.
Martin stand nun ein paar Schritte entfernt, an der niedrigen Kirchhofsmauer. Er versuchte, nicht zu offensichtlich zu starren. Lena war ihm aufgefallen wie selten jemand zuvor – nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern wegen dieser stillen Stärke, die sie ausstrahlte. Die Glocken verstummten. Die Menschen traten ein. Lena wartete einen Moment, ließ die Menge vorüberziehen. Als sie sich schließlich in Bewegung setzte, hörte sie Schritte neben sich.
„Grüß dich, Lena“, sagte Martin mit leiser Stimme.
Sie nickte, leicht überrascht, aber ohne Scheu. „Grüß dich, Martin.“
Ein paar Sekunden gingen sie schweigend nebeneinander her. Die gepflasterte Straße führte an alten Steinmauern vorbei, über denen Bohnenranken hingen. Der Wind trug die Rufe der Krähen vom Waldrand herüber. Erst als sie den Feldweg erreichten, der zum Hof ihrer Familie führte, rang sich Martin zu einem weiteren Satz durch.
„Ich hab dich gestern am Acker gesehen.“
Lena lächelte kaum merklich. „Ich dich auch.“
„Ich wollte stehen bleiben. Aber ich… hab mich nicht getraut.“
Sie blieb stehen, drehte sich leicht zu ihm. Ihre Augen trafen sich.
„Jetzt hast du dich getraut.“
Er nickte, verlegen. „Ja.“
Sie gingen weiter. Aus der Stadt hinter ihnen hallten Stimmen – die jungen Burschen, die sich nach der Messe beim Wirtshaus versammelten. Sie waren laut, lachten zu schrill. Martin hörte, wie einer rief: „Man muss wissen, wer zu uns gehört – und wer nicht! Diese Händler aus Ichenhausen sollen bleiben, wo sie herkommen!“
Lena verzog keine Miene, aber ihre Finger krallten sich fester um das Gesangbuch. Martin bemerkte es.
„Die Zeiten ändern sich“, sagte er leise. „Aber nicht nur zum Guten.“
Sie nickte. „Ich hör, mein Vater sagt, dass bald niemand mehr sicher weiß, wem man noch vertrauen kann.“
„Ich überleg… mir Geld zu leihen“, sagte Martin plötzlich, fast trotzig. „Von einem Juden in Ichenhausen. Ich will mich selbstständig machen, sobald ich mit der Ausbildung fertig bin. Und wenn ich das schaffe… dann könnt ich heiraten.“
Lena blieb erneut stehen. Ihre Wangen röteten sich. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder sprach.
„Du meinst das ernst?“
„Ja.“ Er sah sie an, fester diesmal. „Ich mein dich.“
Sie schwieg. Dann lächelte sie. Zart. Wie ein Licht, das langsam aufgeht.
3. Frühsommer 1939
Der Krieg war noch nicht da, aber er war überall zu spüren – in den Blicken, in den Gesprächen, in den Marschierliedern, die aus dem Radio drangen. Die jungen Männer im Dorf sprachen von Pflicht, Vaterland, Ruhm. Doch Martin dachte nur an Lena.
Sie hatten sich verlobt. Heimlich. Niemandem hatten sie viel erzählt, außer den Eltern. Doch jetzt, im Juni 1939, drei Wochen bevor Martin zur Wehrmacht einrücken musste, hatten sie in aller Stille geheiratet.
Die kleine Kapelle am Ortsrand war kaum größer als eine Scheune. Der Pfarrer, ein alter Freund der Familie, stand mit zitternden Händen vor dem Altar. Nur Lorenz, sein bester Freund, diente als Trauzeuge. Lena trug ein einfaches, selbstgenähtes Kleid. Ihre Mutter hatte ihr einen Schleier aus weißem Musselin aufgesteckt. Es war ein Moment außerhalb der Zeit. Ein Aufbäumen gegen das, was kommen würde.
Als Martin Lena das Versprechen gab, für immer zurückzukehren, wusste er nicht, ob er es halten konnte. Doch er meinte es.
Und Lena? Sie hielt seine Hände, und obwohl ihre Lippen zitterten, war ihre Stimme fest, als sie antwortete: „Ja, Martin. Ich warte auf dich.“
4. Abschied
Der Morgen nach ihrer Hochzeit war grau und windstill. Der Sommer hatte sich über Nacht verzogen, als wollte er die Fröhlichkeit des Vortags nicht länger dulden. Martin stand am Fenster des kleinen Zimmers, das sie in der alten Mühle am Bach gemietet hatten. Lena schlief noch, zusammengerollt unter der schweren Wolldecke, ihr Gesicht friedlich, erschöpft. Ihr schwarzes Haar fiel ihr in weichen Wellen über die Schulter.
Er drehte sich langsam zu ihr um, trat ans Bett und strich ihr vorsichtig eine Strähne aus der Stirn. Dann beugte er sich zu ihr, küsste sie auf die Schläfe.
„Ich muss los, mein Herz.“
Lena öffnete die Augen, sah ihn stumm an. Dann nickte sie, presste die Lippen zusammen. Es war kein Platz für große Worte. Der Abschied lag seit Tagen wie Blei zwischen ihnen. Sie zog ihn noch einmal an sich, fest, ohne Tränen. Er sollte ihre Stärke mitnehmen.
5. Hoffnung
