Familie mit Herz 207 - Caroline Thanneck - E-Book

Familie mit Herz 207 E-Book

Caroline Thanneck

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Beschreibung

Friederike ist blind. Und Mutter. Für viele Menschen scheint das ein Widerspruch zu sein - ein Leben, das allein kaum zu bewältigen ist. Doch Friederike kämpft. Gegen Vorurteile, gegen mitleidige Blicke und gegen das hartnäckige Bild, dass eine blinde Frau kein Kind großziehen und kein selbstbestimmtes Leben führen kann. Mit feinem Gespür, unerschütterlicher Liebe zu ihrer Tochter Leni und der Hilfe ihrer Hündin Suki meistert sie den Alltag und stößt doch immer wieder an Grenzen, die andere ihr setzen. Wenn Nachbarn an ihren Fähigkeiten zweifeln, andere Mütter hinter vorgehaltener Hand tuscheln oder Unterstützung mit Bevormundung verwechselt wird. Gerade als sie glaubt, dass niemand wirklich sieht, wer sie ist, begegnet sie einem Mann, hinter dessen Hilfsbereitschaft vielleicht mehr steckt, als sie zunächst vermutet ...

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Seitenzahl: 125

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Licht in meiner Welt

Vorschau

Impressum

Licht in meiner Welt

Über die außergewöhnliche Stärke einer blinden Mutter

Von Caroline Thanneck

Friederike ist blind. Und Mutter. Für viele Menschen scheint das ein Widerspruch zu sein – ein Leben, das allein kaum zu bewältigen ist. Doch Friederike kämpft. Gegen Vorurteile, gegen mitleidige Blicke und gegen das hartnäckige Bild, dass eine blinde Frau kein Kind großziehen und kein selbstbestimmtes Leben führen kann.

Mit feinem Gespür, unerschütterlicher Liebe zu ihrer Tochter Leni und der Hilfe ihrer Hündin Suki meistert sie den Alltag und stößt doch immer wieder an Grenzen, die andere ihr setzen. Wenn Nachbarn an ihren Fähigkeiten zweifeln, andere Mütter hinter vorgehaltener Hand tuscheln oder Unterstützung mit Bevormundung verwechselt wird.

Gerade als sie glaubt, dass niemand wirklich sieht, wer sie ist, begegnet sie einem Mann, hinter dessen Hilfsbereitschaft vielleicht doch mehr steckt, als sie zunächst vermutet ...

»Was um alles in der Welt ist denn das?«

Friederike hob den Kopf und schnupperte. Ein beißender Geruch stieg ihr in die Nase. Vertraut und ... alarmierend.

Doch niemand sonst schien ihn wahrzunehmen. Rings um sie herrschte das angeregte Summen zahlreicher Stimmen. Freudige Erwartung lag in der Luft wie das Summen wilder Hummeln, die ein Feld mit Lavendel entdeckt hatten. Die Turnhalle der Albert-Schweitzer-Grundschule war voller Menschen. Auf den Sitzreihen aus Bänken war kein einziger Platz mehr frei.

Friederike saß am Rand, weil sie ihren Hund Suki links neben sich hatte. Sie war umgeben von Menschen, die das Leben in den vergangenen Wochen in ihr Leben gespült hatte und von denen einige ihre Freunde geworden waren und andere ... Nun, darüber würde sie sich erst noch klar werden müssen.

Doch zuvor musste sie herausfinden, wo der merkwürdige Gestank herkam, von dem sich ihr nun die Nackenhärchen aufstellten. Suki hatte ihn auch gerochen, denn sie hob den Kopf und wurde sichtlich unruhiger.

»Du riechst es auch, nicht wahr?«

Friederike hörte das Lachen der Kinder, die sich auf die bevorstehende Veranstaltung freuten. Rund einhundert Kinder zwischen sechs und zehn Jahren waren es, zusammen mit ihren Eltern und den Lehrern. Niemand schien etwas von dem aufziehenden Unheil zu ahnen.

Friederike jedoch spürte, wie eine kalte Klaue nach ihrem Herzen zu greifen schien. Ihr wurde flau, als sich der Gedanke nicht länger aussperren ließ. Er veränderte einfach alles.

Sie sprang von ihrem Platz auf. So hastig, dass ihr weißer Taststock mit der Kugelspitze herunterrutschte und auf den Parkettboden der Turnhalle polterte. Jemand in ihrer Nähe sagte etwas, aber es ging unter in dem panischen Rauschen, das sich in ihrem Kopf breitmachte und jedes andere Geräusch übertönte.

»Da ist Rauch!« Sie wusste nicht, ob sie es flüsterte oder brüllte. »Rauch! Es brennt! Wir müssen die Kinder hier rausschaffen!«

♥♥♥

Vier Wochen vorher

»Haben Sie das schon gesehen, Doktor Thomsen?« Schwester Birgit deutete durch das geschlossene Fenster über die Straße.

»Was soll ich gesehen haben?« Hendrik Thomsen streifte sich gerade einen frischen Kittel über. Sein letzter Patient hatte nicht nur nach ihm geschnappt, sondern auch einen Schwall Erbrochenes über ihm ausgeschüttet, was einen Kleiderwechsel unumgänglich gemacht hatte.

»Die Fenster am alten Leuchtturm. Sie stehen offen. Das bedeutet, es ist wieder jemand eingezogen.«

Hendrik wandte sich hinter dem metallenen Behandlungstisch um und warf einen Blick zu dem Leuchtturm, der auf der anderen Straßenseite in den blauen Himmel ragte. Das Bauwerk wurde im Dorf liebevoll der Lange Storch genannt. Der Name rührte von seinen Farben her – oben weiß und unten leuchtend rot.

»In der Tat«, murmelte er. »Vor ein paar Tagen stand in aller Frühe ein Umzugswagen vor dem Langen Storch.«

»Ich frage mich, wer da eingezogen ist. Haben Sie eine Idee?«

»Leider nicht, aber es war wirklich an der Zeit, dass dort wieder jemand einzieht. Es müssen inzwischen fünf Monate vergangen sein, seitdem Hauke von uns gegangen ist. Und es ist kaum noch mitanzusehen, wie sein Garten verfällt. Das Gras steht inzwischen so hoch, dass man ihm vermutlich nur noch mit einer Machete beikommen kann.«

»Ich wusste gar nicht, dass das Grün Sie so stört, Chef.« Seine Helferin warf ihm einen verblüfften Blick zu.

»Nicht das Grün. Nur der Zustand des Gartens. Er war Haukes Steckenpferd. Als es ihm noch gut ging, hat er jeden Tag dort gewerkelt. Das war sein Fleckchen Paradies. Nun zuzusehen, wie alles zuwuchert, gefällt mir nicht.«

Hendrik hatte den alten Leuchtturmwärter gemocht. Hauke mochte ein wortkarger Eigenbrötler gewesen sein, aber er hatte das Herz am rechten Fleck gehabt. Hin und wieder hatte er ein verletztes oder krankes Tier in Hendriks Praxis gebracht, das er gefunden hatte und um das sich sonst niemand kümmerte. Hauke hatte sich gekümmert. Bis sein Herz eines Tages nicht mehr mitgemacht hatte.

Der Leuchtturm war schon seit vielen Jahren nicht mehr in Betrieb. Nicht, seit ein hochmoderner Leuchtturm am Ende der Landzunge gebaut worden war. Vollautomatisch, sodass kein Mensch mehr für seine Bedienung notwendig war. Hauke hatte ihm erklärt, dass bei dem neuen Leuchtturm nur einmal im Jahr jemand die Schrauben nachziehen musste und das war´s. Dabei hatte seine Stimme stets ein wenig bitter geklungen.

»Ich bin auch froh, dass der Leuchtturm wieder bewohnt ist«, meinte Schwester Birgit. »Es hätte Hauke großen Kummer bereitet, ihn verfallen zu sehen.«

»Da sagen Sie was ... Oh, diese verflixten Biester.«

»Wen meinen Sie?«

»Die Mücken! Letzte Nacht ist eine ganze Armee von ihnen in mein Schlafzimmer eingefallen.« Hendrik schabte sich den zerstochenen Arm.

Seine Helferin lachte leise. »Sollten Sie als Tierarzt nicht alle Tiere lieben – egal, ob groß oder auch sehr klein?«

»Schon, aber wenn sie mich stechen, hört die Liebe auf«, brummte er.

Er war in Hamburg aufgewachsen und hatte auch dort studiert, aber für ihn hatte immer festgestanden, dass er eines Tages aufs Land ziehen würde. Und so hatte er nach seinem Abschluss einige Jahre praktische Erfahrungen gesammelt und schließlich zugegriffen, als sich die Gelegenheit bot, die Tierarzt-Praxis in Westerhörn zu übernehmen.

Sein Vorgänger hatte sich zur Ruhe gesetzt und ihm alles überlassen. Die Praxis befand sich nur einen Steinwurf von den Dünen in einem alten Fischerhaus. Hendrik hatte die Räumlichkeiten renoviert und einiges an moderner Ausrüstung angeschafft. Sogar ein kleines Labor und einen Röntgenraum gab es. Zu seinen Patienten zählten Hunde, Katzen, aber auch Möwen und hin und wieder eine Robbe.

Eine Bewegung auf der anderen Straßenseite zog seinen Blick auf sich. Ein kleines Mädchen wirbelte vor dem Leuchtturm durchs Gras, während ein Labrador um sie herumsprang. Es war schwer zu sagen, wer mit wem Fangen spielte. Kind und Hund sausten umher, und ihr fröhliches Lachen drang selbst durch die geschlossenen Fenster.

Eine junge Frau stand am Fenster und goss die Kräuter auf der Fensterbank. Sie hielt den Kopf gesenkt, sodass er nur ihre blonden Locken bemerkte, die ihr bis zu den Schultern reichten und bei jeder Bewegung lebhaft schwangen. Sie war zierlich und trug ein zitronengelbes Sommerkleid mit Spaghettiträgern.

Als das Mädchen sich nun jauchzend auf den Hund stürzte und ihn mit Streicheleinheiten überschüttete, blickte die Frau auf – und etwas in Hendrik wurde weit und warm. Sie war bildhübsch mit ihrem herzförmigen Gesicht und dem offenen Lächeln, zu dem sich ihre Lippen nun verzogen. Hendrik ertappte sich selbst dabei, sie mit offenem Mund anzustarren. Ihr Lächeln ... Himmel! Es ging ihm direkt unter die Haut.

Doch etwas an ihr ... war anders. Er konnte nur nicht genau benennen, was es war.

Ihren Mann konnte er nirgendwo entdecken. Vielleicht war er drinnen. Nach einem Umzug gab es sicherlich eine Menge Arbeit, bis alles fertig eingerichtet war.

Hendrik wollte sich gerade vom Fenster lösen und seinen nächsten Patienten hereinbitten, als sie an einen der Kräutertöpfe stieß. Er fiel um – und sie tastete danach, um ihn zu nehmen und wieder aufzurichten.

Da dämmerte es ihm, was anders an ihr war: Sie war blind!

Ohne lange zu überlegen, verließ er seine Praxis, überquerte die Straße und näherte sich dem Leuchtturm. Sie suchte noch immer nach dem Kräutertopf. Er war ins Gras gefallen. Hendrik suchte ihn, hob ihn auf und hielt ihn ihr hin, bis ihm dämmerte, dass sie das wohl nicht sehen würde.

»Hallo«, machte er sich bemerkbar.

»Hallo«, sagte sie und klang überrascht. Sie drehte den Kopf zu ihm, aber ihr Blick schien ihn ganz knapp zu verfehlen.

»Ich bin Hendrik Thomsen, Ihr Nachbar.«

»Ah, es freut mich, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Friederike. Friederike Peisler. Und da drüben sind meine Tochter Leni und unser Hund Suki.« Ihr Lächeln vertiefte sich und grub bezaubernde Grübchen in ihre Wangen. »Thomsen ... sind Sie der Tierarzt? Ich habe gehört, Ihre Praxis wäre gleich gegenüber.«

»Ja, das stimmt. Ich habe gesehen, dass Ihnen der Topf mit dem Oregano heruntergefallen ist. Hier ist er.« Er reichte ihr den Keramiktopf.

»Oh, wie gut, er ist heil geblieben. Wir wollen heute Abend Pizza machen. Ohne Oregano wäre es gar keine richtige Pizza, nicht wahr?« Sie stellte den Topf zurück.

»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Nicht doch. Das müssen Sie nicht. Ich freue mich nur, dass wir uns schon miteinander bekannt gemacht haben. Ich hatte eigentlich vor, bald einmal nachmittags bei Ihnen vorbeizuschauen und Hallo zu sagen.« Sie tastete vor sich und hielt plötzlich eine Sofortbildkamera in der Hand. Die richtete sie in den Garten – in die Richtung ihrer Tochter und der Hündin. »Leni? Schau kurz her, Schatz, ja?«

Das kleine Mädchen – es konnte nicht älter als sechs Jahre sein – winkte herüber und zeigte ein Zahnlückenlächeln, das mit der Sommersonne um die Wette zu strahlen schien.

Hendrik sah verwundert auf die Kamera in der Hand seiner neuen Nachbarin.

Hatte er sich getäuscht? Konnte sie doch etwas sehen?

»Nein«, erwiderte sie sanft, als hätte sie seine Gedanken gelesen.

»Nein?«, echote er.

»Ich kann nichts sehen. Ich mache Fotos von unserem Umzug, indem ich draufhalte, abdrücke und einfach das Beste hoffe.«

»Woher wissen Sie, dass ich darüber nachgedacht habe?«

»Das war nicht schwer zu erraten. Als ich die Kamera genommen habe, haben Sie nach Luft geschnappt und kein Wort gesagt.«

»Ich verstehe.« Er war verblüfft. Sie schien in ihm zu lesen wie in einem offenen Buch. »Und wofür sind die Schnappschüsse?«

»Es sind Erinnerungen für Leni. Sie sind vielleicht nicht immer scharf und vermutlich sind nicht immer Körperteile und Personen drauf, die draufgehören, aber so kann sie sich später zurückerinnern an ihre Kindheit. Ich finde das wichtig.«

»Könnte Ihr Mann nicht einfach alles für Sie fotografieren?«

»Leider nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Nils ist vor drei Jahren gestorben. Ein Aneurysma. Es ging furchtbar schnell. In einem Moment war er noch bei uns und im nächsten ... nicht mehr.«

»Oh.« Hendrik verfluchte sich selbst, weil er an diese Wunde gerührt hatte. Er hörte den Schmerz in ihrer Stimme. »Das tut mir sehr leid.«

»Danke«, antwortete sie schlicht.

»Und wer lebt nun mit Ihnen hier?«

»Neben Leni, meinen Sie? Nur Suki. Oh – und Haukes Kater natürlich, aber von dem haben wir noch nichts mitbekommen. Er stromert gern mal tagelang herum, glaube ich.«

»Warten Sie. Sonst lebt niemand bei Ihnen?« Hendrik runzelte die Stirn. Das war doch nicht möglich, oder? Eine blinde Frau allein mit einem Kind?

»Sonst niemand«, bestätigte sie.

Er sah sie befremdet an, bis ihm dämmerte, dass sie seine Miene nicht sehen konnte. »Nun, dann also ... Wenn etwas ist, melden Sie sich bei mir, ja?«

»Wenn etwas ist?«

»Ja. Sie wissen schon. Wenn Sie Hilfe brauchen. Dann kommen Sie ruhig rüber und sagen mir Bescheid.«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen.«

Ihr Gesicht verschloss sich – und ihre Stimme kühlte um mindestens zehn Grad ab.

Hendrik spürte, dass er soeben ins Fettnäpfchen getreten war. Er verstand nur nicht, warum. Er hatte doch nur nett sein wollen. Immerhin lebte sie hier draußen ganz allein mit dem Kind – und blind war sie obendrein! Wie sollte sie denn da zurechtkommen? Du lieber Himmel, ihm fielen auf Anhieb hundert Sachen ein, die jederzeit schiefgehen konnten, und da hatte er die Gefahren im Watt noch gar nicht einkalkuliert.

Eine blinde Frau allein mit ihrem Kind im alten Leuchtturm? Das war einfach unverantwortlich. Oder? Das konnte nicht gut gehen. Da war die Katastrophe bereits vorprogrammiert!

♥♥♥

»Du liebe Güte. Diesmal sind wir wirklich spät dran, Suki.«

Friederike hielt den Bügel des Blindenführgeschirrs in ihrer Hand. Sie hatte extra einen früheren Bus genommen, weil sie es nicht mochte, hetzen zu müssen. Lieber ließ sie sich etwas mehr Zeit für kleine Unwägbarkeiten.

Unterwegs hatte es jedoch einen Stau gegeben. Den Grund kannte sie nicht, aber der Bus hatte fast eine Dreiviertelstunde gestanden, ehe es endlich weitergegangen war. Nun mussten sie sich sputen, um noch rechtzeitig anzukommen.

An diesem Abend war Elternabend in der Grundschule Albert-Schweizer. Rieke hatte ihre Tochter in der Obhut von Tante Levke gelassen und sich mit Suki auf den Weg gemacht. Ihre Hündin kannte den Weg und führte sie.

Rieke mochte die kühle Abendluft auf ihrer Haut – sanft mit einem Hauch von Meer. Von irgendwo zog der Geruch nach Holzrauch heran, jemand schien den Grill anzuheizen. Auf der Straße herrschte wenig Verkehr. Das rhythmische Tap-Tap der Hundepfoten begleitete ihre Schritte auf dem Gehweg.

Sie liefen an den Hecken entlang, vorbei am Spielplatz, von dem fröhliche Rufe herüberwehten. Friederike zählte innerlich mit, nicht in Schritten, sondern in kleinen Etappen: das knirschende Kiesstück, der Platz mit dem süßen Duft der kleinen Bäckerei ...

Sie näherten sich der Querstraße vor der Schule. Suki lief zielstrebig, aber plötzlich spürte Rieke ein leichtes Zögern im Griff. Ein minimaler Ruck nach links, kaum wahrnehmbar, aber für sie deutlich: Etwas war anders.

»Was ist los, Mäuschen?«, flüsterte sie, und blieb stehen.

Sie hob leicht den Fuß und tastete mit der Schuhspitze nach dem Bordstein – doch der war nicht dort, wo er sein sollte. Stattdessen stieß sie gegen ein Hindernis. Sie streckte einen Arm aus und fühlte das raue Plastik einer Warnbarke. Eine Absperrung? Offenbar wurde hier gerade die Straße aufgerissen, aber die Arbeiter waren wohl schon im Feierabend, denn es war kein Baulärm zu hören.

»Gut gemacht, Suki«, lobte sie. »Such uns einen Weg.«

Suki setzte sich in Bewegung, führte sie ein paar Schritte an der Baustelle entlang. Dann wieder ein kurzer Zug am Bügel – ein sanftes Signal: Hier lang.

Rieke folgte ihr. Schritt für Schritt, geführt durch die fein abgestimmte Körpersprache ihrer Hündin, die genau wusste, was sie tat.

Sie passierten die Baustelle und warteten an der Kreuzung. Rieke hörte ein Auto, dann ein zweites, dann nur noch das Ticken der Ampel. Das Signal für Grün kam. Kein Autolärm mehr. Sie überquerten und erreichten wenig später die Schule.

Der Abendwind raschelte in den Blättern der Bäume, welche den Pausenhof flankierten. Es war kühl geworden, ein deutliches Zeichen, dass der Sommer das Zepter bald dem Herbst übergeben würde.

Rieke zählte die Schritte von der Straße bis zur Rampe, nahm die andere Akustik wahr, als sie unter das Vordach trat. Die Tür öffnete sich mit einem kurzen Ruck.

Drinnen roch es nach Reinigungsmittel, Bastelkleber und dem Deospray von jemandem, der kurz zuvor hier vorbeigekommen war. Friederike folgte den Stimmen durch den Flur zu einer Gruppe von Menschen. Die Geräusche halfen ihr, den richtigen Raum zu finden.