1,99 €
Als seine neunjährige Tochter Elli plötzlich zusammenbricht, gerät Sebastian Brückners Welt ins Wanken. Nach dem Tod seiner Frau ist Elli alles, was ihm geblieben ist. Die Ärzte diagnostizieren Morbus Wilson - eine seltene, heimtückische Stoffwechselkrankheit, die Ellis Leber bereits schwer geschädigt hat. Nur eine Transplantation kann sie noch retten. Sebastian wäre bereit, alles für seine Tochter zu tun - doch er kommt als Spender nicht infrage. Während Elli zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankt, steht ihm überraschend seine Nachbarin Nicole zur Seite. Sie entwickelt eine enge Bindung zu dem Mädchen, doch Sebastian begegnet ihr mit Zurückhaltung. Kann er ihr wirklich vertrauen? Als Nicole ihm ein unglaubliches Angebot macht, muss Sebastian sich entscheiden. Beginnt er wieder an das Gute im Menschen zu glauben, oder verschließt er sich aus Angst davor, erneut alles zu verlieren?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Ein Versprechen für Elli
Vorschau
Impressum
Ein Versprechen für Elli
Kind. Bewusstlos. Eile geboten. Wenn so die Einsatzmeldung lautet, sind alle meine Sinne in Alarmbereitschaft. Diesmal ist es mitten in der Nacht, als wir in die Parkstraße gerufen werden – zu einer kleinen Patientin, erst neun Jahre alt. Ihr Vater hat den Notruf gewählt, weil Elli plötzlich zusammengebrochen ist.
Bei unserer Ankunft liegt sie reglos auf dem Sofa. Ihre Haut ist fahl, fast gelblich. Auf Ansprache reagiert sie nicht. Schmal und zerbrechlich wirkt sie. Und jünger als ihre neun Jahre vermuten lassen. »Bitte helfen Sie ihr!« Die Stimme ihres Vaters ist kaum zu verstehen. »Sie ist alles, was ich habe.« Ich höre die Verzweiflung in seiner Stimme und würde ihn gern beruhigen.
Doch Ellis Zustand ist ernst. Während ich sie untersuche, wird mir klar, dass wir keine Minute später hätten eintreffen dürfen. Das Leben dieses kleinen Mädchens hängt am seidenen Faden. Noch habe ich keine Ahnung, was ihr fehlt, aber ich muss es schleunigst herausfinden, sonst wird Elli diese Nacht nicht überstehen ...
»Carlos ist tot.«
»Hm?«, nuschelte Sebastian verschlafen.
Das Telefon rutschte ihm aus den Fingern und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Kopfkissen. Er tastete danach, hob es wieder an sein Ohr und blinzelte. Im nächsten Moment fuhr er mit einem gedämpften Fluch in seinem Bett hoch. Die Ziffern auf seinem Wecker leuchteten in der Dunkelheit. Ein Uhr. Nachts.
»Bist du noch dran, Sebastian?« Die Stimme seiner Mutter klang kratzig.
»Ja. Ich ...«
Er fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht. Die Müdigkeit lastete wie Blei auf seinen Gliedern. Es fühlte sich an, als wäre er gerade erst zu Bett gegangen. Nun, genau genommen war er auch gerade erst zu Bett gegangen.
Er hatte bis kurz nach Mitternacht an seinem Roman geschrieben. Ein neues Abenteuer mit Jenna und Jolly. Er hatte sich die Geschichten mit den Zwillingen ursprünglich für seine Tochter ausgedacht. Elli liebte es, wenn er abends noch bei ihr saß und ihr etwas vorlas. Schon als Baby hatte seine Stimme sie beruhigt, als sie die Geschichten noch gar nicht verstehen konnte.
Wenn ihm damals jemand gesagt hätte, dass er eines Tages sein Geld damit verdienen würde, Kinderbücher zu schreiben, hätte er gelacht. Doch genau so war es gekommen. Mittlerweile schrieb er an seinem vierten Buch mit Jenna und Jolly, und er hatte bereits Notizen mit Ideenfetzen für mindestens sieben weitere Bücher in einem Ordner gesammelt.
Elli war immer die Erste, die seine neuen Geschichten zu hören bekam. Sie liebte die Abenteuer mit den Zwillingen, war aber auch kritisch und tat deutlich kund, wenn ihr etwas nicht gefiel. So manche Überarbeitung, die sein Buch besser gemacht hatte, verdankte er ihr. Er wusste, dass sie gern selbst eine Schwester gehabt hätte, aber dieser Zug war leider abgefahren ...
»... zugehört?«, drang die Stimme seiner Mutter in seinen noch immer vom Schlaf vernebelten Verstand.
»Entschuldige«, murmelte er. »Hast du gesagt, dass dein Freund tot ist?«
»Nicht mein Freund!«, sagte sie schluchzend. »Carlos!«
»Ist Carlos nicht dein Freund?« Die Worte waren kaum heraus, als ihm einfiel, dass nicht nur ihr neuer Lebenspartner Carlos hieß, sondern auch ihr Hund. Sie hatte ihn halbtot und blutend auf der Straße gefunden und gesund gepflegt. Und nun war er tot. »Er hatte ein wunderbares Leben, seitdem du ihm ein Zuhause gegeben hast«, sagte er sanft. »Und er war schon alt. Ein Methusalem in Hundejahren.«
»Aber es ist trotzdem zu früh. Ich ... ich war noch nicht bereit, ihn herzugeben.«
»Es tut mir wirklich leid, dass du ihn verloren hast. Ich weiß, wie sehr du ihn geliebt hast.«
»Dein Vater und ich haben ihn zusammen gerettet. Damals in unserem letzten gemeinsamen Urlaub hier auf der Insel. Dein Vater hat Carlos genauso geliebt wie ich. Und nun habe ich ihn auch verloren.« Ihre Stimme verlor sich in einem Schluchzen, das ihm die Kehle zuschnürte.
Er wusste nur zu gut, wie sich Trauer anfühlte. Mit jedem Lebewesen, das man liebt, verliert man auch einen Teil seines eigenen Herzens.
Es war jetzt drei Jahre her, dass er Alina an den Krebs verloren hatte, und es verging keine Stunde, in der er seine Frau nicht vermisste.
Seine Mutter hatte seinen Vater vor acht Jahren hergeben müssen. Mit einem Mal war ihr Haus viel zu groß und viel zu leer gewesen. Dazu ihr Rheuma, dem die bitterkalten Winter in Süddeutschland nicht bekamen ...
Damals hatte sie ihr Haus verkauft und war mit wenig mehr als ein paar Koffern nach Mallorca umgezogen, wo sein Vater und sie in ihren jüngeren Jahren gern Urlaub gemacht hatten. Sie hatte eine Finca gekauft und eine Pension eröffnet.
Soweit Sebastian wusste, hatte sie diesen Schritt nie bereut. Sie liebte es, sich um ihre Gäste zu kümmern und immer neue Menschen zu treffen. Ganz zu schweigen von den Abenden, an denen sie am Strand saß und sich vom Blick auf das Meer verzaubern ließ. Dort hatte sie auch einen Fischer kennengelernt, in dem sie etwas Unerwartetes gefunden hatte: eine zweite Liebe.
Die beiden Carlos, der Hund und der Fischer, hatten ihrem Leben wieder Wärme verliehen. Und nun war einer von ihnen nicht mehr da.
Sebastian ahnte, wie durcheinander sie deswegen war – und wie traurig.
»Carlos hatte ein wunderschönes Leben bei dir«, sagte er und wünschte sich, dass die Entfernung zwischen ihnen nicht so groß wäre. Er hätte gern mehr getan, seine Mutter tröstend in den Arm genommen und ihr vielleicht einen starken Tee gekocht.
»Ich möchte ihn im Garten begraben. Neben dem Oleander, unter dem er so gern gebuddelt hat. Das war sein Lieblingsplatz.«
»Das hätte ihm bestimmt gefallen.«
Seine Mutter schluckte hörbar. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder sprechen konnte. »Wie geht es der Kleinen?«
»Elli kämpft gerade mit einer Erkältung. Ich werde sie wohl morgen zu Hause lassen. Sie hatte heute Nachmittag Fieber, da sollte sie nicht zur Schule gehen.«
»Fieber? Warst du mit ihr beim Arzt?«
»Noch nicht, aber wenn es morgen nicht besser ist, gehe ich mit ihr zu Dr. Naumann. Wir hatten beim Abendessen schon eine kleine Diskussion deswegen. Sie wollte auf keinen Fall den Unterricht versäumen, weil sie ein Projekt mit ihrer Freundin Leonie vorstellen soll.«
»Und sie will Leonie nicht hängen lassen.«
»Genau. Aber wenn sie krank ist, werde ich nichts riskieren.«
»Das verstehe ich. Ich freue mich aber auch, dass sie so verantwortungsbewusst ist und an ihre Freundin denkt. Sie ist ein gutes Mädchen.« Ein wehmütiges Lächeln schwang in der Stimme seiner Mutter mit. »Ich vermisse euch beide.«
»Wir könnten dich in den Sommerferien besuchen kommen. Es sind nur drei Monate bis dahin. Wir könnten ein paar Wochen bleiben. Arbeiten kann ich schließlich von überall aus.«
»Das wäre wundervoll. Ich kann es kaum erwarten, euch wieder hier zu haben.« Ein Atemzug war zu hören. »Danke, Sebastian.«
»Wofür denn?«
»Dass ich nun etwas habe, auf das ich mich freuen kann.«
»Wir freuen uns auch auf die Tage bei dir. Elli wird es kaum erwarten können. Sag mal: Hat dein Nachbar noch Alpakas?«
»Freilich. Camillo und Muffin haben sogar Nachwuchs bekommen. Das Kleine ist unglaublich süß. Elli wird es lieben.«
»O je. Ich bin mir nicht sicher, ob sie es sehen sollte. Sie liegt mir ohnehin in den Ohren, weil sie sich ein eigenes Haustier wünscht. Am liebsten hätte sie eine Katze, aber gegen ein Alpaka hätte sie vermutlich auch nichts.«
»Warum erlaubst du es ihr nicht? Eine Katze, meine ich.«
»Ein Tier im Haus?« Er schüttelte unwillkürlich den Kopf, obwohl seine Mutter das natürlich nicht sehen konnte. »Auf keinen Fall.«
»Warum denn nicht? Es ist gut für ein Kind, mit einem Haustier aufzuwachsen. So lernt es, sich zu kümmern und aufmerksam den Bedürfnissen eines anderen Lebewesens gegenüber zu sein. Elli ist alt genug und verantwortungsbewusst. Sie würde sich bestimmt gut um ihren felligen Freund kümmern.«
»Das bezweifle ich nicht. Trotzdem kann ich mich für diesen Gedanken nicht erwärmen. Tiere bringen nichts als Dreck und Haare ins Haus.« Er schüttelte sich unwillkürlich. »Das sehe ich doch bei meiner Nachbarin.«
Sein Blick wanderte aus dem Fenster zum Nachbargrundstück. Der Garten wurde sanft von mehreren solarbetriebenen Gartenleuchten erhellt. Auf der Hollywoodschaukel lag seine Nachbarin und schlief. Mehrere Katzen drängten sich an sie und lagen kreuz und quer über ihr. Nicht etwa eine oder zwei. Nein. Ganze fünf Katzen lebten bei ihr. Ihn schüttelte es schon wieder. Er durfte gar nicht daran denken, welche Keime und welchen Schmutz die Tiere in ihr Haus trugen. Du lieber Himmel!
»Überleg es dir«, ermunterte ihn seine Mutter. »Ein Haustier könnte euch beiden guttun. Elli hätte einen pelzigen Freund, und du würdest etwas lockerer werden.«
»Lockerer? Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Denk einfach darüber nach, ja? Und entschuldige, dass ich dich aus dem Schlaf gerissen habe. Ich habe nicht daran gedacht, dass es schon so spät ist.«
»Das macht nichts. Du kannst jederzeit anrufen, das weißt du doch. Aber jetzt solltest du versuchen, etwas zu schlafen.«
»Das werde ich. Gute Nacht, mein Junge.«
»Wir telefonieren morgen noch mal, dann können wir die Pläne für die Ferien besprechen. Gute Nacht.« Sebastian legte sein Telefon auf den Nachttisch und rieb sich über die Augen. An Schlaf war vorerst nicht mehr zu denken. Er war wieder hellwach. Vielleicht sollte er noch etwas arbeiten?
Früher war er als Journalist bei einer Tageszeitung fest angestellt gewesen. Doch nachdem seine Frau gestorben war, hatte er seinen Posten aufgegeben und schrieb nun freiberuflich Artikel. Damit verdiente er weniger, aber er hatte Zeit für Elli und war daheim, wenn sie aus der Schule kam. Außerdem blieb ihm so genügend Zeit für seine Kinderbücher.
Gerade, als er die Füße aus dem Bett schwang, um aufzustehen, polterte unten im Haus etwas laut und vernehmlich. Dann war ein heller Schrei zu hören.
Der Schrecken fuhr ihm in alle Glieder. »Elli?« Mit einem Satz war er auf den Beinen. »Elli, was ist passiert?«
***
»Können wir bei Minas Diner einen kurzen Stopp einlegen?« Dr. Andrea Bergen wurde sanft in den Beifahrersitz des Notarzteinsatzfahrzeugs – kurz NEF genannt – gepresst, als Carl Höflinger an einer Ampel stoppte, die einsam ihr rotes Licht in die Nacht sandte. »Ich bin am Verhungern.«
Das Diner hatte vor einem Monat eröffnet und war bereits drauf und dran, zu einem Geheimtipp für das Team des Notdienstes zu werden. Das Lokal war nicht nur im amerikanischen Stil eingerichtet wie ein Zugwaggon, nein, es bot auch die besten Burger diesseits und jenseits des Rheins an – und einen ganz vorzüglichen Kaffee, der den im Krankenhaus weit in den Schatten stellte. Und Kaffee war im Nachtdienst überlebenswichtig!
Sie waren seit vier Stunden unterwegs, und es schien wieder eine dieser Nächte zu werden, in denen ein Einsatz dem nächsten folgte: ein Verkehrsunfall, eine Prügelei am Bahnhof mit fünf Verletzten, ein Senior, der barfuß, mit blutenden Füßen und orientierungslos im Stadtpark unterwegs war, ein Mittfünfziger, der hinter dem Steuer eines Linienbusses mit heftigen Brustschmerzen zusammengebrochen war und seinen Bus gegen einen Baum gefahren hatte ...
Die Notärztin Andrea Bergen brauchte dringend einen Kaffee. Sie ahnte, dass die Nacht noch lang werden würde.
»Burger oder Milchshake?«, fragte Carl und setzte den Blinker, um den kurzen Schwenk zu dem Diner zu machen.
»Kaffee«, entschied sie. »Und einen dieser Zitronencookies, die am besten schmecken, wenn sie noch warm sind.«
Carl stieß zischend den Atem aus. »Da nehme ich auch einen, obwohl ich es eigentlich nicht tun sollte. Minas Cookies kann ich nicht widerstehen.«
»Warum sollten wir auch?« Ein Lächeln flog über das Gesicht der Notärztin.
»Na ja, Hannah meinte, ich würde dazu neigen, einen Bauch zu bekommen.« Er strich flüchtig mit einer Hand über seine Körpermitte, bevor er sie wieder ans Lenkrad nahm.
Angesichts seiner sehnigen Statur, an der kein Gramm Fett zu viel zu finden war, zog Andrea Bergen bei seinen Worten kurz die Augenbrauen zusammen.
»Du hast lange nichts mehr von Hannah erzählt. Wie läuft es denn mit euch?«
»Aus und vorbei«, brummte er.
»Oh.«
»War meine Schuld.«
»Oh?«
»Hab eins ihrer Kunstwerke entsorgt.«
»Oh ...«
Carl grinste angesichts ihrer einsilbigen Kommentare. »Du musst dich nicht zurückhalten, um meine Gefühle nicht zu verletzen. Frag mich ruhig, wenn du was wissen willst.«
»Was ist denn zwischen euch vorgefallen? Ich dachte, Hannah und du würdet gut harmonieren. Dass es was Ernstes ist.«
»Dachte ich auch, aber in letzter Zeit konnte ich ihr kaum noch etwas recht machen. Meine Nachtdienste haben sie genervt, ich hab zu laut geschnarcht, war nicht schick genug angezogen ...« Er zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. »Und dann habe ich unserer Beziehung den Todesstoß versetzt.«
»Wie denn das?«
»Hannah belegt diesen Kurs an der Volkshochschule. Neben ihrer Arbeit im Blumenladen. Kunst und Moderne. Oder so. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, was sie da genau macht, und das ist das Problem. Eines Abends fand ich diese verbeulte Coladose in der Küche. Die war auf ein Brett getackert und mit einer Handvoll Nägeln gespickt. Ich hab das Ding für Müll gehalten und entsorgt, aber ...« Er verzog das Gesicht.
»... es war eins von Hannahs Kunstwerken?«, mutmaßte Andrea Bergen.
»Sie ist fuchsteufelswild geworden. Ich wäre ein Banause, der ihre Arbeit nicht respektieren würde.« Carl klang todunglücklich. »Ehrlich, Andrea, ich hatte keine Ahnung, was es war oder dass ich sie damit verletzen würde.«
»Na ja, das ist wirklich unglücklich gelaufen ...«
»Höre ich da ein leises Aber?«
»... aber könnte es sein, dass Hannah das nur als Vorwand genommen hat, um eine Trennung herbeizuführen, die schon eine ganze Weile in der Luft gehangen hat?« Andrea Bergen sah ihren Fahrer an und las das Ja von seiner bekümmerten Miene ab. Sie wusste, dass er sich eine Beziehung wünschte, aber bei seinen Verabredungen hatte er noch nicht viel Glück gehabt. Bis er Hannah getroffen hatte und kaum noch von etwas anderem sprach. »Es tut mir sehr leid, dass es nicht geklappt hat mit euch.«
»Hat wohl nicht sein sollen.« Er rang sich ein mattes Lächeln ab. »Nun ist es zu Hause wieder still, wenn ich von der Arbeit komme. Meist powere ich mich beim Sport aus und versumpfe anschließend vor dem Fernseher. Und ich schlafe verdammt schlecht. Da bin ich ganz froh, jetzt Nachtdienst und etwas Nützliches zu tun zu haben.«
»Lass das bloß nicht den Chef hören«, warnte sie ihn. »Er verlängert uns glatt den Dienst und behauptet, es wäre zu unserem Besten.«
Das entlockte Carl ein leises Lachen.
Vor ihnen tauchte auf der rechten Straßenseite das hell erleuchtete Diner auf. Während sich der Verkehr so spät in der Nacht in überschaubaren Grenzen hielt, standen vor dem Lokal noch Menschen beisammen und unterhielten sich oder traten gerade den Heimweg an.
Ein kalter Wind rüttelte an ihrem Einsatzfahrzeug. Während die Tage bereits beinahe sommerlich warm waren, obwohl der Mai gerade erst angebrochen war, kühlte es in den Nächten noch spürbar ab. Andrea Bergen wollte gerade den Reißverschluss ihrer Einsatzjacke schließen, als über den Funk eine Meldung hereinkam.
»Drei-Zweiundachtzig, stellen Sie Einsatzbereitschaft her!«, kam die knappe Anweisung aus der Rettungsleitstelle.
Carl hatte das NEF gerade in eine Parkbucht gesteuert und meldete nun: »Einsatzbereitschaft ist hergestellt. Wo geht's für uns hin?«
»In die Parkstraße.« Der Disponent leitete die Adresse an ihr Navigationssystem weiter. Er gab durch, dass ein Mann ziemlich aufgelöst angerufen habe, weil sein Kind mitten in der Nacht im Haus umhergegeistert und zusammengebrochen war. Das Mädchen sein noch nicht wieder bei Bewusstsein.
Carl schaltete das Blaulicht ein und gab Gas.
In der Brust der Notärztin bildete sich ein Knoten. Es gab wohl niemanden im Notdienst, den ein Einsatz bei einem Kind kalt ließ. Bei Kindern waren oft Unfälle im Spiel, leider auch häufig Gewalt, und nicht immer traf die Hilfe rechtzeitig ein. Verloren sie so ein junges Leben, zerbrach jedes Mal auch etwas in ihnen selbst.