Notärztin Andrea Bergen 1501 - Caroline Thanneck - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1501 E-Book

Caroline Thanneck

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Beschreibung

Heftige Wehen überfallen Sarah Kersten viel zu früh in ihrer Schwangerschaft. Die Sorge um ihr ungeborenes Mädchen ist groß. Und obwohl sie dem Vater mit Absicht nichts von der Schwangerschaft erzählt hat, ist sie dankbar, dass er ihr zufällig auf dem Klinikflur über den Weg läuft. Als Hendrik erfährt, dass er Vater wird, setzt er alle Hebel in Bewegung, um diese Rolle auch verantwortungsvoll zu erfüllen. Und Sarah muss feststellen: Es gibt ihr Kraft, die Sorgen um ihr Kind mit Hendrik teilen zu können. Seit Langem fühlt sie sich nicht mehr so allein. Doch in der 28. Woche folgt dann der nächste Schock: ein Notkaiserschnitt muss gemacht werden! Von nun an bangen die Eltern um das Leben ihres Frühchens. Flüchtet Hendrik unter diesen Voraussetzungen vielleicht doch vor der großen Verantwortung?


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Seitenzahl: 130

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Inhalt

Cover

Schock in der 28. Woche

Vorschau

Impressum

Schock in der 28. Woche

Jetzt ist es schon wieder passiert! Ständig werden meine Kollegen bei Einsätzen angegriffen. Gestern erst wurde Rettungssanitäterin Lisa beschimpft und angerempelt, als sie sich bei einem Unfall einem Handyfilmer in den Weg stellte. Ein Notarzt von der Tagschicht wurde vor einigen Wochen sogar mit einem Messer attackiert. Und heute bin ich selbst betroffen!

Im tiefsten Schneegestöber wurden wir zu einem Noteinsatz in eine Bar gerufen. Dort bin ich mitten in eine Prügelei geraten und wurde von einem brutalen Kerl in den Rücken geschlagen. Jetzt habe ich unheimliche Schmerzen in der Nierengegend. Trotzdem bin ich froh, dass ich auf den letzten Einsatz vor Schichtende noch mitfahren konnte. Denn eine schwangere Frau hatte uns wegen Frühwehen kontaktiert. Sie ist nun auf der Gynäkologie unter Beobachtung, und ich drücke ihr alle Daumen, dass das Baby noch etwas auf sich warten lässt. Jetzt werde ich aber dringend eine Pause brauchen, wenn nicht sogar selbst einen Arzt ...

Immer noch häufte sich Schnee auf dem schrägen Dach des roten Backsteingebäudes, das nur einen Steinwurf vom Rheinufer entfernt lag. Aus dem Schornstein stiegen Rauchwolken in den Abendhimmel. Längst war der Eingang des Heimatmuseums für Besucher verschlossen. Nur aus einem Fenster fiel noch Licht hinaus in den Schnee – geradewegs auf das Futterhäuschen, an dem sich zwei Meisen eine abendliche Stärkung holten.

Sarah füllte es jeden Tag auf. Sie wusste, wie spärlich das Angebot an Nahrung für die Vögel bei dem Wetter war. Außerdem mochte sie es, wenn sich vor ihrem Schreibtisch eine gefiederte Schar tummelte.

An diesem Abend war Sarah Kersten noch spät in ihrem Büro. Sie sah die Vorschläge durch, die in die Zettelbox am Eingang des Museums eingeworfen wurden. Ihre nächste Ausstellung stand unter dem Motto Berufe, die es nicht mehr gibt. Dazu hatte Sarah schon einige Ideen – und ihre Besucher offenbar auch, denn die Box mit Anregungen war prall gefüllt.

Auf einem Zettel stand zu lesen: Ameisler.

Was war denn das?

Sarah musste das Internet bemühen, um herauszufinden, dass Ameisler in früheren Zeiten Ameisenpuppen gesammelt und als Vogelfutter verkauft hatten – an Familien, die sich Nachtigallen und Lerchen daheim in Käfigen hielten. Dazu hatten sie die obere Schicht von Ameisenhaufen abgetragen und die Larven herausgesiebt. Nicht nur Siebe und Tücher waren dafür unerlässlich, sondern auch lange Strümpfe gegen Ameisenbisse. Was es nicht alles gab!

Sarah ging die nächsten Vorschläge durch: Zeidler, Gänsehüter, Kesselflicker ... Ihre Liste wurde immer länger.

Sie hatte bereits zwei der Räume im Museum für die Ausstellung reserviert. Nun erwog sie, einen dritten dazu zu nehmen. Sie würde auch zwei Zeichner engagieren, die die Berufe illustrierten. Das war schon mit Lydia und Ralph abgesprochen. Das Künstlerpaar hatte auch das Plakat gestaltet, das vor Sarahs Schreibtisch hing und auf die Aktion Lesen für ein Glas Punsch hinwies. Im Winter gab es an jedem Donnerstagabend im Museum eine offene Lesebühne, auf der jeder vorlesen durfte, was ihm gefiel, und dafür ein Glas Punsch bekam.

Alles, um Besucher für ihr Museum zu begeistern.

Sarah leitete das Heimatmuseum seit dreieinhalb Jahren. Ihr Vorgänger hatte aufgegeben, weil ihm die finanziellen Sorgen über den Kopf gewachsen waren. Die trieben auch Sarah um. Schon mehrmals hatte die Stadt erwogen, ihr Museum zu schließen, aber bislang hatte sie das immer noch abwenden können.

Sarah tat alles, um das Museum mit Veranstaltungen und Mitmach-Aktionen zu erhalten. Doch aus den roten Zahlen waren sie noch lange nicht.

Sie grübelte gerade über den Beruf des Fingerhütlers nach, als das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte.

»Hallo, Spatz, ich bin es«, meldete sich ihr Vater am anderen Ende der Verbindung. Seine Stimme klang tief und rauchig, weil er trotz aller Ermahnungen seines Hausarztes nicht auf sein abendliches Pfeifchen verzichten mochte. »Sag, könntest du mir morgen etwas mitbringen, wenn du zum Essen zu mir kommst?«

»Aber natürlich. Was brauchst du?«

»Die Romane, die ich in der Buchhandlung bestellt habe. Ich komme nicht dazu, in die Stadt zu fahren und sie abzuholen.«

»Kein Problem. Ich halte morgen am Buchladen und bringe sie mit.«

»Danke, Liebes. Wird dir das auch nicht zu viel?«

»Das kommt darauf an. Hast du etwa wieder die halbe Buchhandlung leer gekauft?«

»Diesmal nicht. Es sind nur drei Krimis. Versprochen.«

Als Lehrer für Latein und Geschichte waren Bücher schon immer seine Welt gewesen. Das galt erst recht, seitdem ihre Mutter nicht mehr da war. Er fand Trost beim Lesen und bei der Arbeit in seinem Garten. Doch dort war aufgrund des Schnees, der sich bis ins Frühjahr zog, immer noch nicht viel zu tun.

»Ich hole deine Bestellung gern für dich ab. Es liegt ja auf dem Weg.«

»Danke dir.« Das Klappern von Porzellan im Hintergrund war zu hören. »Wie geht es dir denn? Und der Kleinen?«

Versonnen strich Sarah über ihren runden Babybauch.

»Bei uns ist alles bestens.«

»Isst du auch ordentlich? Und schläfst du genug? Ich weiß noch, dass deine Mutter damals Schwierigkeiten beim Schlafen hatte, als du unterwegs warst, weil ihr Rücken wehtat. Ich habe sie dann immer massiert. Das hat ihr gutgetan.«

»Mir geht es gut. Mein Rücken zwackt ab und zu, aber das ist auszuhalten.«

»Na gut. Gib nur gut acht auf euch zwei, ja?«

»Das mache ich.«

»Ich wünschte, du hättest jemanden, der auf dich aufpasst.«

»Ach, Papa ...«

Seine Worte gaben ihr einen Stich. Sie wusste, dass er sich für sie eine Ehe wünschte, doch das würde nicht passieren. Es gab keinen Mann in ihrem Leben, und das würde auch so bleiben.

Das hatte sie für sich selbst beschlossen. Damals, nachdem sie eine Stunde lang am Altar vergebens gewartet hatte. In ihrem wundervollen Brautkleid und mit klopfendem Herzen. Ihr Verlobter war einfach nicht aufgetaucht. Er hatte sie vor all den Gästen stehen gelassen. Später hatte sie erfahren, dass er am Hochzeitsmorgen mit seinen Kumpels nach Italien abgedüst war. Ohne ein Sterbenswörtchen!

Seitdem ließ sie niemanden mehr an sich heran.

Nun, bis auf eine einzige Ausnahme ...

An einem milden Frühsommertag vor sieben Monaten hatte ihre Schwester geheiratet. Damals waren viele alte Gefühle wieder in ihr hochgekommen. Die Einsamkeit, die sie seit ihrer eigenen geplatzten Hochzeit wie ein Schatten verfolgte...

Und dann hatte dieser Mann sie um einen Tanz gebeten. Hendrik. Er war ein Freund des Bräutigams und hatte den ganzen Abend über nur Augen für sie gehabt. Ein Mann, so attraktiv und verführerisch wie die Sünde selbst. Und sie hatte der Versuchung nachgegeben und eine heiße Nacht mit ihm verbracht.

Trotz der unerwarteten Begegnung hatten sie an Verhütung gedacht, aber aus unerklärlichen Gründen hatte diese »Straßensperre« nicht funktioniert. Nun war ein Baby unterwegs, aber Sarah hatte beschlossen, Hendrik nicht einzuweihen. Für sie beide war es nur um eine einzige Nacht gegangen – und mehr nicht. Daran würde sie nicht rütteln. Alles war gut so, wie es war. Ihr Baby und sie würden bestens allein klarkommen. Da war sie sich sicher ...

Doch in manchen Momenten flüsterte ihr eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf zu, wie schön es wäre, wenn da jemand wäre, mit dem sie sich gemeinsam freuen könnte. Jemand, der mit ihr die Bilder vom Ultraschall betrachten und rätseln würde, wem ihr Baby ähnlich sah. Jemand, der sich mit ihr über Namen zanken und Babysachen aussuchen würde. Jemand, der ihr die Füße massierte, wenn die wieder so geschwollen waren, dass sie in keinen Schuh mehr passten ...

Sarah grub die Zähne in die Unterlippe und schüttelte den Kopf.

»Und wie geht es dir, Papa?«

»Ach, bei mir ist alles beim Alten. Der Wagen muckt, aber ich habe schon einen Termin in der Werkstatt. Gleich muss ich zu meinem Schachabend. Wir sehen uns dann morgen, ja? Und arbeite nicht mehr so lange. Es ist schon spät.«

»Ja, bis morgen. Und viel Spaß beim Schach!« Sarah stellte das Telefon zurück in die Ladestation, warf einen Blick aus dem Fenster und erkannte, dass ihr Vater recht hatte. Es war schon dunkel draußen.

Schluss für heute!, entschied sie und schaltete ihren Computer aus. Sie hüllte sich in ihren Mantel, wickelte sich den überlangen Schal um ihren Hals, den ihre Schwester ihr zum Geburtstag gestrickt hatte, und schulterte ihren Rucksack.

Nach einem prüfenden Blick in alle Räume löschte sie alle Lichter, verließ das Museum und schaltete den Alarm an, bevor sie zusperrte.

Es schneite sacht und ein bitterkalter Wind fauchte durch die Straßen. Zum Glück wohnte sie nur wenige Straßen weiter und hatte es nicht weit.

Sarah schob die Hände in die Manteltaschen und stapfte durch den Schnee, der unter ihren Sohlen knirschte. Die Halbschuhe waren zu dünn bei diesem Wetter, aber in ihre Stiefel passte sie mit den geschwollenen Knöcheln nicht hinein.

Wenig später sah sie bereits ihr Häuschen vor sich. Es gehörte zu einer ehemaligen Eisenbahnersiedlung und reihte sich an vier andere. Ein jedes war mit einem Vorgarten ausgestattet und blickte auf den nahen Wald. Drinnen gab es drei Zimmer, die recht klein waren, aber Sarah liebte ihr Zuhause heiß und innig.

Das Herzstück war der Kachelofen im Wohnzimmer, der ihr Zuhause bei diesem fiesen Wetter behaglich aufwärmte. Ein Lesesessel stand daneben. Davor lag ein bunter Flickenteppich, den sie auf einem Flohmarkt entdeckt hatte und der wunderbar mit dem Holz der Einrichtung harmonierte.

Sarah war gerade die drei Stufen hinaufgestiegen, die zu ihrer Haustür führten, als nebenan die Tür aufging und Frau Meyer herausschaute.

Ihre grauen Haare waren kurz geschnitten. Darunter blitzten wache grüne Augen. Bis zu ihrem Ruhestand war sie Postbotin gewesen. Nun verrieten ihre langsamen Bewegungen, dass ihr ein Hüftleiden zusetzte. Bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, flitzte ein Dackel an ihr vorbei, kam geradewegs auf Sarah zu und wedelte so lebhaft mit dem Schwanz, dass sein gesamtes Hinterteil in Bewegung geriet.

»Hey du.«

Ein wenig schwerfällig bückte sich Sarah und streichelte den kleinen Hund.

»Guten Abend, Sarah.« Ihre Nachbarin stützte sich auf einen Gehstock. »Sagen Sie, würden Sie wohl wieder eine Runde mit dem Kleinen drehen? Heute fällt es mir sehr schwer. Das kalte Wetter bekommt mir nicht.«

»Natürlich. Das mache ich gern.« Sarah nahm ihr die Leine ab.

»Vielen Dank. Was würde ich nur ohne Sie machen? Dann könnte ich den Emil wohl nicht behalten. Es gibt immer wieder Tage, an denen ich keinen Fuß nach draußen setzen kann.«

»Was ist denn mit der Operation, die Ihre Hausärztin empfohlen hat? Könnte die Ihnen keine Linderung verschaffen?«

»Doch, das könnte sie sicherlich, aber ich kann mich nicht dazu aufraffen. Die Narkose, vor der graut es mir. Was ist, wenn ich nicht mehr aufwache?«

»Ich glaube, heutzutage sind die Narkosemittel viel schonender als früher.«

»Mir sind sie trotzdem nicht geheuer. Und da ist ja auch der Emil. Was soll denn aus ihm werden, wenn ich wochenlang im Krankenhaus und in der Reha bin?«

»Oh, den Kleinen versorge ich gern für Sie. Wir müssen es nur mit der Entbindung abstimmen. Überlegen Sie es sich, ja?«

Sarah machte die Leine am Halsband des Dackels fest und versprach ihrer Nachbarin, ihn in einer halben Stunde heimzubringen. Dann stellte sie ihren Rucksack ins Haus und verließ es wieder.

Emil flitzte voraus und schnappte fröhlich nach den Schneeflocken, die vom Himmel rieselten. Sarah folgte ihm langsamer. Sie zog tief die kalte Luft ein und spürte, wie die Anstrengung des langen Tages allmählich von ihr abfiel ...

Plötzlich erklang eine helle Stimme dicht hinter ihr: »Na, dem Kleinen gefällt der Schnee, das ist nicht zu übersehen.«

Sarah blickte sich um und sah ihre jüngere Schwester, die sie gerade einholte. Julie trug einen Parka zu ihren langen Hosen und hatte die Kapuze so tief ins Gesicht und den Schal so hoch gezogen, dass quasi nur ihre Nasenspitze zu sehen war.

»Julie! Was machst du denn hier?«

»Hallo du!« Ihre Schwester umarmte sie. »Meine Güte, dein Bauch ist schon wieder gewachsen, oder? Bald werde ich längere Arme brauchen.« Sie ließ von ihr ab. »Drehst du nur eine Runde mit Emil oder musst du noch irgendwo hin?«

»Wir gehen nur spazieren.«

»Prima. Ich wollte nämlich gerade zu dir. Mein lieber Mann wurde vorhin zu einem Auswärts-Termin abberufen. Da dachte ich mir, wir machen es uns gemütlich, essen etwas zusammen und schauen uns einen Film an. Daheim, weil du ja nicht ins Kino magst.«

»Wenn man alle zehn Minuten aufstehen und zur Toilette muss, macht man sich bei seinen Platznachbarn nicht viele Freunde.« Sarah lächelte schief.

Ihr Baby drückte auf ihre Blase, sodass die zehn Minuten keine Übertreibung, sondern nur eine vorsichtige Schätzung waren.

»Daheim können wir so viele Pausen machen, wie wir wollen«, erwiderte ihre Schwester munter. »Ich habe Lasagne gemacht. So, wie du sie am liebsten isst. Die müssen wir nur noch warmmachen.«

»Das hört sich super an. Du verwöhnst mich.«

»Und du arbeitest zu viel. Ich hab gerade mit Papa telefoniert. Er sagt, du hättest schon wieder Überstunden gemacht. Er macht sich Sorgen um dich, und ich auch.«

»Dafür gibt es keinen Grund. Ehrlich nicht. Mir geht es prima ... oh!«

Ein Zischen entfuhr ihr, als ein leichtes Ziehen durch ihren Bauch schoss. Ganz so, als wollte ihr Körper ihre Worte Lügen strafen. Sarah legte eine Hand auf ihren Bauch und schüttelte kaum merklich den Kopf. Kein Grund zur Sorge. Das waren nur Übungswehen. Ihre Hebamme hatte sie schon vorgewarnt, dass das kommen würde.

Ja, ihr Baby hatte noch viel Zeit, bis es zur Welt kam. Mehr als drei Monate ...

***

»Das nimmt und nimmt kein Ende! Warum ausgerechnet jetzt, wo sich doch langsam der Frühling ankündigen sollte! Verflixt!«

Der Ausruf galt den Schneemengen, die seit Stunden vom Himmel fielen. Carl Höflinger fluchte gerne über das Wetter, erst recht, wenn er am Steuer des Notarzteinsatzfahrzeuges, kurz NEF, saß. Er umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.

Die kleine Stadt am Rheinufer schien in das Innere einer Schneekugel geraten zu sein, die jemand kräftig schüttelte. War das ein Wirbeln! Die Flocken schienen aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen und zum Fauchen des Sturms zu tanzen. Und das dunkelviolette Leuchten am Horizont verhieß noch mehr Schneefälle. Viel mehr Schneefälle!

Notärztin Dr. Andrea Bergen hielt sich am Haltegriff über ihrem Sitz fest, als das NEF schwungvoll eine Kurve nahm.

Sie waren zu einer Bar in die Innenstadt gerufen worden. Ein Mann hatte einen Krampfanfall erlitten und brauchte medizinische Hilfe. Hier war Eile geboten. Sie fuhren mit Sonderrechten durch die Stadt, was ihnen bei diesem Wetter aber auch nichts nützte. Der Neuschnee hatte ganze Arbeit geleistet. Etliche Nebenstraßen waren verweht und damit unpassierbar. Die Hauptstraßen lagen unter einer dichten weißen Decke verborgen. Auf jeder Fahrspur bewegten sich Kolonnen von PKWs im Schritttempo voran.

Der Räumdienst kam nicht mit der Arbeit nach. Kaum hatte er eine Straße vom Schnee befreit, waren drei andere längst wieder unter dem Weiß verschwunden.

Carl lenkte sie an mehreren Autos vorbei, die zur Seite rollten, um ihnen Platz machen. Ab und zu schnarrte das ABS, wenn sich Eis unter der Schneedecke verbarg. Carl blickte konzentriert nach vorn. Er war ein ruhiger Fahrer und fuhr seit mehr als einem Jahrzehnt Einsätze. Er kannte das NEF und wusste, was er riskieren konnte – und was nicht.

»Hier ist etwas zum Aufwärmen.« Die Notärztin schenkte Kaffee aus einer Thermoskanne in den Becher ein, der am Armaturenbrett festgemacht war. »Sobald wir stehen, kannst du ihn dir genehmigen. Er ist süß und heiß, wie du ihn magst.«

»Danke dir, Lebensretterin.«

»Ich mache nur meinen Job.«

»Ich wusste gar nicht, dass ›den Fahrer mit Kaffee versorgen‹, in der Stellenausschreibung für Notärzte steht«, flachste er.

»Doch, doch, das kommt sogar noch vor der Erwähnung der Nachtdienste.«

»So muss das sein.« Carl schmunzelte. »Sag, könnte dort auch etwas von Donuts gestanden haben?«

»Da müsste ich nachschauen ...«

Andrea Bergen hörte ihn leise lachen. Sie genoss die kleinen Neckereien mit ihrem Fahrer, die ihr halfen, nicht in dem Leid zu versinken, das sie während ihrer Arbeit erlebte.