Familienlexikon - Natalia Ginzburg - E-Book

Familienlexikon E-Book

Natalia Ginzburg

4,8

Beschreibung

Das mit dem Premio Strega ausgezeichnete Hauptwerk Ginzburgs ist nicht nur das komische Portrait einer denkwürdigen Familie (voran der donnernde Vater, Freund entschiedener Urteile und Verächter von Simpeln, und die unverwüstliche Mutter, listenreiche Beschützerin ihrer Kinder und des eigenen Kleiderschranks), sondern zugleich ein großartiges Portrait Italiens.

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Seitenzahl: 344

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Aus dem Italienischen und mit einem Nachwort von Alice Vollenweider

Die Originalausgabe erschien 1963 unter dem Titel Lessico famigliare bei Giulio Einaudi Editore in Turin.

E-Book Ausgabe 2016

© 1963 Giulio Einaudi Editore, Torino

© 1993, 2007 für die durchgesehene und veränderte Ausgabe:

Verlag Klaus Wagenbach, Emserstr. 40/41, 10719 Berlin

Covergestaltung: Julie August unter Verwendung des Bildes Der Fremde oder Konversation von Felice Casorati © VG Bildkunst, Bonn 2016. Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt

Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.

ISBN 978 3 8031 4210 8

Auch in gedruckter Form erhältlich: ISBN: 978 3 8031 2563 7

www.wagenbach.de

Wenn bei uns zu Hause, als ich noch ein Kind war, meine Geschwister oder ich bei Tisch ein Glas umstießen oder ein Messer fallen ließen, dann donnerte die Stimme meines Vaters: Benehmt euch nicht rüpelhaft!

Wenn wir die Sauce mit Brot auftunkten, rief er: Schleckt die Teller nicht aus! Macht kein Geschmier! Macht keine Sudeleien!

Geschmier und Sudeleien waren für meinen Vater auch die modernen Bilder, die er nicht leiden konnte.

Er sagte: Ihr wißt euch bei Tisch nicht zu benehmen! Mit euch kann man nicht ausgehen!

Er sagte: An einer Table d’hôte in England würde man euch sofort wegschicken.

Er hatte vor England die höchste Achtung. Es war für ihn von allen Ländern der Welt das beste Beispiel eines zivilisierten Landes.

Er pflegte bei Tisch die Leute, die er während des Tages gesehen hatte, zu kommentieren. Er war sehr streng in seinen Urteilen und bezeichnete fast alle als Dummköpfe. Ein Dummkopf war für ihn wie »ein Simpel«. Der scheint mir ein schöner Simpel, sagte er von einem neuen Bekannten. Neben den »Simpeln« gab es auch die »Neger«. Ein »Neger« war für meinen Vater, wer sich linkisch, ungeschickt und schüchtern benahm, wer sich unpassend kleidete, wer nicht bergsteigen konnte und wer keine Fremdsprachen kannte.

Jede Handlung oder Gebärde, die ihm unpassend erschien, bezeichnete er als »eine Negerei«. Seid keine Neger! Macht keine Negereien! rief er ständig. Die Stufenleiter der Negereien war groß: Bergsteigen mit Stadtschuhen, ein Gespräch anfangen mit einem Reisegefährten im Zug oder einem Passanten auf der Straße, vom Fenster aus mit den Nachbarn schwatzen, die Schuhe im Wohnzimmer ausziehen, um sich die Füße am Heizkörper zu wärmen, sich beim Bergsteigen über Durst, Müdigkeit oder Blasen an den Füßen beklagen, auf die Wanderungen gekochte und ölige Speisen mitnehmen oder Servietten, um die Hände abzuwischen.

Auf die Bergwanderungen durfte man zum Essen nur Fontinakäse, Marmelade, Birnen und hartgekochte Eier mitnehmen und nur Tee trinken, den mein Vater selber auf dem Spirituskocher zubereitete. Mit gerunzelter Stirn beugte er seinen langen Kopf mit den roten Haaren im Bürstenschnitt über den Kocher und schützte die Flamme mit den Schößen seiner Jacke vor dem Wind, einer rostfarbenen Wolljacke, die er während der Ferien im Gebirge immer trug und die um die Taschen ganz abgenützt und versengt war.

Auf die Bergwanderungen durfte man weder Cognac noch Würfelzucker mitnehmen: denn das war, sagte er, »Negerzeug«; man durfte auch nicht zum Imbiß in die Chalets gehen; denn auch das war eine Negerei. Eine Negerei war es, wenn man den Kopf mit einem Taschentuch oder einem Strohhut vor der Sonne schützte, Regenkapuzen trug oder Schals um den Hals schlang: alles Kleidungsstücke, die meiner Mutter lieb waren und die sie am Morgen vor dem Aufbruch für uns und sich in den Rucksack einzuschmuggeln versuchte, die mein Vater aber, wenn sie ihm in die Hände gerieten, zornig wegwarf.

Wenn wir auf den Wanderungen unsere harten, genagelten Bergschuhe, die so schwer wie Blei waren, unsere wollenen Socken, Mützen und Gletscherbrillen auf der Stirn trugen, wenn die Sonne senkrecht auf unsere schweißbedeckten Köpfe brannte, dann betrachteten wir neidisch »die Neger«, die in leichten Tennisschuhen aufstiegen oder an den Tischen des Chalets Schlagsahne verzehrten.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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