39,99 €
Was sind die Erfolgsfaktoren für Langlebigkeit von Familienunternehmen? Wie können Unternehmen über Generationen hinweg erfolgreich bleiben? In einem interdisziplinären Projekt unter der Leitung von Andreas E. Mach, Gründer des ALPHAZIRKEL-Das Forum für Familienunternehmer, und dem Lehrstuhl von Prof. Dr. Torsten Wulf an der Philipps-Universität Marburg wurden von 2019 bis 2022 mögliche Erfolgsfaktoren für die langfristige Stabilität von Familienunternehmen erarbeitet. Dazu wurden persönliche Interviews mit Familienunternehmern in Deutschland, Österreich und der Schweiz geführt. In diesem Buch werden zwanzig Familienunternehmen vorgestellt, in denen diese Erfolgsfaktoren vor dem Hintergrund des jeweiligen Unternehmens und seiner Gesellschafterfamilie hinterfragt wurden. Unternehmerpersönlichkeiten und unternehmerische Interessierte, Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erhalten nicht nur spannende Einblicke in Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen, sondern auch nützliche Hinweise und Anregungen, die untersuchten Phänomene und gewonnenen Erkenntnisse weiter zu vertiefen und wissenschaftlich aufzuarbeiten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 428
Veröffentlichungsjahr: 2024
Alle Inhalte dieses eBooks sind urheberrechtlich geschützt.
Bitte respektieren Sie die Rechte der Autorinnen und Autoren, indem sie keine ungenehmigten Kopien in Umlauf bringen.
Dafür vielen Dank!
Foto Andreas E. Mach: © Max von Eicken((bitte unter Bildnachweis Cover platzieren))
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Print:
ISBN 978-3-648-18210-9
Bestell-Nr. 17033-0001
ePub:
ISBN 978-3-648-18211-6
Bestell-Nr. 17033-0100
ePDF:
ISBN 978-3-648-18212-3
Bestell-Nr. 17033-0150
Andreas E. Mach/Torsten Wulf
Familienunternehmen erfolgreich über Generationen
1. Auflage, November 2024
© 2024 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG
Munzinger Str. 9, 79111 Freiburg
www.haufe.de | [email protected]
Produktmanagement: Bettina Noé
Lektorat: Helmut Haunreiter
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.
Sofern diese Publikation ein ergänzendes Online-Angebot beinhaltet, stehen die Inhalte für 12 Monate nach Einstellen bzw. Abverkauf des Buches, mindestens aber für zwei Jahre nach Erscheinen des Buches, online zur Verfügung. Ein Anspruch auf Nutzung darüber hinaus besteht nicht.
Sollte dieses Buch bzw. das Online-Angebot Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte und die Verfügbarkeit keine Haftung. Wir machen uns diese Inhalte nicht zu eigen und verweisen lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung.
Von Dr. Brigitte Mohn, Mitglied des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung
Gottfried Herder formulierte bereits im 18. Jahrhundert den bemerkenswerten Satz: »Kunst kommt von Können oder von Kennen her (nosse aut potesse), vielleicht von beiden, wenigstens muss sie beides in gehörigem Grad verbinden.«
Nach nun mehr als 200 Jahren gilt dieser Satz noch immer und insbesondere Familienunternehmen haben in dieser Hinsicht mehrfach Prüfungen zu bestehen, wenn sie die Zukunft meistern wollen und das Unternehmen in der Familie gehalten werden soll.
Die Verantwortungsübergabe und dementsprechend auch die Verantwortungsübernahme über Generationen hinweg hat viele Facetten in Familienunternehmen. Die Kontinuität im eigenen Unternehmen ist eine verbindliche finanzielle, menschliche und unternehmerische Zusage sowohl gegenüber der Familie als auch gegenüber dem Unternehmen und dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und damit ist sie gleichzeitig tragender sozialer sowie gemeinwesenorientierter verlässlicher Baustein. Dies zeigt sich im lokalen und regionalen Umfeld, in der politischen und sozialen Gesellschaftsgestaltung vor Ort. Oft engagieren sich die Familien in ihrer Kommune für Belange der Gesellschaft und übernehmen auch in politischen Ämtern Verantwortung. Damit stehen sie in mehrfacher Hinsicht für Kontinuität, Verlässlichkeit und die Wahrung von Haltung.
Als Voraussetzungen für einen langfristigen Erfolg der Fortführung von Familienunternehmen gelten die Fähigkeit und der Wille, die Eigeninteressen hinter die Unternehmens- und Familieninteressen zurückzustellen und eine kluge Rückführung des Kapitals als Investition in die Zukunft des Unternehmens zu steuern. Die strategische Ausrichtung des Unternehmens muss sich dabei an die veränderten Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen im regionalen, nationalen und internationalen Marktumfeld anpassen und verlangt eine weitsichtige Führung unter Einbeziehung der eng im Unternehmen involvierten Familienmitglieder, die die Grundlage und der Garant sind für die Existenz der Familie selbst, die des Unternehmens, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Familien und oft auch der angebundenen Partnerunternehmen.
Die Berücksichtigung der Wahrung und Weiterentwicklung der Familientradition gilt dabei als Teil des Erfolgsrezeptes und diese ist intensiv zu pflegen. Oft wird die entsprechende Aufgabenwahrnehmung gestützt durch eine rechtliche Konstruktion, wie einen Gesellschaftsvertrag oder eine Familienverfassung. Konsens für erfolgreiche Familienunternehmen ist sicherlich, dass die Wertsteigerung im Unternehmen auf eine langfristige Perspektive ausgerichtet ist und nicht der persönlichen Bereicherung von Familienmitgliedern oder einer kurzfristigen Gewinnausschüttung dient.
Die Verantwortungsübergabe in Familienunternehmen beruht in hohem Maße auf Vertrauen, gegenseitiger Rücksichtnahme und Respekt gegenüber den handelnden Personen sowie dem Mut, immer wieder neu über die Generationen hinweg eine Stabsübergabe zuzulassen, die sowohl die Kontinuität des Unternehmens als auch die der Familie wahrt. Dies bedeutet auch, dass die ältere Generation Übergangsregelungen vereinbart und – die eigenen Grenzen anerkennend – mit Zutrauen der nächsten Generation Platz macht, währenddessen sie diese oftmals noch begleitet und dann doch zum richtigen Zeitpunkt loszulassen weiß.
Voraussetzung dafür ist, dass sich der Firmeninhaber in den noch aktiven Jahren ein verändertes Verständnis für die Stärken der jungen Generationen aneignet und die Entwicklung einer neuen Qualität der gegenseitigen Verlässlichkeit auf unternehmerischer Ebene zwischen Eltern, Kindern und weiteren Familienmitgliedern befürwortet. Idealerweise bildet sich über die Zeit eine emotionale Unterscheidung zwischen der Vertrauensgemeinschaft in der Familie selbst und der sich im Unternehmen herausbildenden Verantwortungsgemeinschaft heraus, die gleichermaßen männliche und weibliche Familienmitglieder umfasst.
Dass Familienunternehmen weitergeführt werden durch die nächsten Generationen, ist nicht selbstverständlich. Nicht selten findet ein Management-Buy-out oder ein Verkauf an Externe statt. Verantwortung hat einen Preis. Die Verantwortungsübergabe im Familienunternehmen bedeutet nicht nur eine langfristige Planung der Übergabe und einen vorab kontinuierlichen Dialog in der Familie über die Erwartungen und Anforderungen für die Übernahme. Sie verlangt seitens der nachfolgenden Generationen Mut, unternehmerische Führungsfähigkeit und eine hohe Belastbarkeit ebenso wie eine ausgeprägte soziale Kompetenz und diplomatische Eignung, um die Familie als sozial-emotionales Gebilde zusammenzuhalten und Konflikte zwischen den Generationen unter Berücksichtigung der Unternehmensinteressen über Jahre und Jahrzehnte hinweg auszubalancieren. Dies bedeutet für die nachfolgende Generation explizit auch eine bewusste Entsagung anderer Optionen der unternehmerischen Entfaltung und Lebensplanung außerhalb des Familienunternehmens und die bewusste Zusage im Hinblick auf die Fortführung der Familienkultur und der Werte.
Besondere Herausforderungen bei der Nachfolgeregelung in Familienunternehmen zeigen sich oft in der emotionalen Nähe untereinander und der damit verbundenen hohen Involviertheit der jeweiligen Beteiligten. Häufig scheitern die Übergaben aufgrund von Differenzen in den Familien über die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens, wegen unzureichender Übergabeplanungen oder Rivalitäten zwischen den Familienstämmen. In diesem Zusammenhang spielen mehrere Faktoren eine bedeutende Rolle: Die Begabung jüngerer Familienmitglieder wird verkannt oder aber es fehlt die Einsicht in mangelnde Führungsfähigkeiten der nachrückenden Generation. Darüber hinaus kann es auch unterschiedliche Vorstellungen von Erfolg und Größe oder unterschiedliche Vorstellungen von der Verantwortungsübernahme weiterer Familienmitglieder im Unternehmen geben.
Bei erfolgreichen Nachfolgeregelungen wird das absolute Vertrauensprivileg seitens der Unternehmensgründer gegenüber den nachfolgenden Generationen im Sinne der Unternehmensentwicklung so genutzt, dass sich für diese eine einzigartige Chance zur persönlichen Entwicklung und Entfaltung bietet. Unbestritten ist, dass die jeweils nachfolgende Generation einer deutlich kritischeren Beobachtung und Beweisführung hinsichtlich ihrer Führungskompetenzen unterliegt – sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens.
Das eingangs angesprochene Können und Kennen immer wieder miteinander zu verbinden, ist die zentrale Herausforderung in Familienunternehmen. Es ist allgemein erkennbar, dass die stark angestiegenen Anforderungen an die Aus-, Fort- und Weiterbildung für qualifizierte Arbeitskräfte und ebenso die Anforderungen an die Führungs- und Unternehmensentwicklung die Ausgangsbedingungen der Wettbewerbsfähigkeit insbesondere der kleinen und mittleren Familienunternehmen stark gefährden. Diese müssen zeitgleich hohe Investitionen sowohl in ihre Mitarbeiter, in innovative Produkte, Services als auch in den Aufbau und Ausbau von zukunftsorientierten Kapazitäten tätigen und dabei fokussiert die Gewinnentwicklung des Unternehmens im Auge behalten.
Zudem kommt für eine erfolgreiche Kontinuität im Familienunternehmen als Herausforderung hinzu, dass das von der Familie eingesetzte Management großen Einfluss auf die Stabilität des Unternehmens als soziales Gebilde nehmen kann. Daher bedarf es auch hier eines gemeinsamen Grundverständnisses über die zukünftige Ausrichtung und Weiterentwicklung des Unternehmens und der Führungskultur. Anders als bei fremdgeführten Unternehmen gibt es bei inhabergeführten Familienunternehmen unter den Familienmitgliedern eine unabdingbare emotionale Verantwortung für die Wahrung und den Ausgleich von Interessen innerhalb der Familie oder zwischen den Familienstämmen, die nicht immer deckungsgleich mit der des Managements sein muss. Diese in Einklang zu bringen, ist oft belastender als die rein operative Führung bzw. aufsichtführende Begleitung des Unternehmens. Bei größeren unternehmerischen Misserfolgen bleibt die Verantwortung bei der Familie und belastet sie. Oft zerbricht daran die familiäre Struktur und es ergeben sich damit verbundene Brüche und Diskontinuitäten im Unternehmen, während das angestellte Management meist unbeschadet sozusagen einen Weg nach draußen findet.
Waren die letzten Jahrzehnte geprägt von einer geopolitischen Stabilität in Europa, so müssen sich die nächsten Generationen beim Anspruch auf erfolgreiche Kontinuität in einem wettbewerbsorientierten Umfeld in einer deutlich größeren politischen Unsicherheit im globalen Wettstreit der Systeme zwischen demokratisch verfassten Marktwirtschaften und staatskapitalistischen Systemen beweisen.
Bereits jetzt zeigen sich weltweit die Auswirkungen einer zunehmenden politischen Regulierung von Märkten und des Protektionismus einzelner Länder. Neben den heutigen Festlegungen politischer Regulierungen werden diese den Wohlstand und die Innovationsfähigkeit unserer europäischen Länder bestimmen, wie auch den gemeinschaftlichen Zusammenhalt auf der nationalen und internationalen Ebene definieren. Aus den daraus resultierenden neuen Rahmenbedingungen müssen sich die nächsten Generationen weiteren Herausforderungen stellen, zu denen die Folgen sich verknappender Rohstoffe und des Klimawandels, die Digitalisierung und der demografische Wandel samt einem limitierten Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften zählen.
Die größte Herausforderung in Familienunternehmen wird es sein, das Fundament eines von innen nach außen gelebten Werteverständnisses und eine gemeinsame Definition für eine langfristige und nachhaltig orientierte Verantwortung in der Familie, im Unternehmen wie auch in der sozialen Gemeinschaft zu finden. Nur dies kann die Basis für Stabilität, Wohlstand und Frieden auf allen Ebenen bilden.
Viele positive Beispiele sind in diesem Buch zusammengefasst. Die Lektüre soll anregen und inspirieren, eine gemeinsame Zukunftsvision und eine klare Haltung als Verantwortungsgemeinschaft zu entwickeln. Wachstum muss immer mit gesellschaftlicher Verantwortung und Gemeinwohlorientierung zusammen gedacht und gelebt werden. Dafür stehen diese Familien wie auch viele andere Familien mit ihren Unternehmen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Europa.
Dr. Brigitte Mohn
Bertelsmann Stiftung, Gütersloh
Von Prof. Dr. Torsten Wulf, Philipps-Universität Marburg/HHL Leipzig Graduate School of Management
Familienunternehmen spielen für die deutsche Volkswirtschaft eine ganz wichtige Rolle. Bis zu 90 Prozent der deutschen Unternehmen gelten als Familienunternehmen1. Ähnlich verhält es sich in anderen europäischen Ländern oder in Nordamerika. Dennoch hat sich die Familienunternehmensforschung erst vor etwa drei Jahrzehnten als kleine (aber feine) Teildisziplin der Managementforschung etabliert – zunächst in den USA, später aber auch in Europa und speziell im deutschsprachigen Raum. So wurde 1998 das Institut für Familienunternehmen an der Universität Witten-Herdecke gegründet (WIFU Wittener Institut für Familienunternehmen). Dieser Gründung folgte eine Reihe von weiteren Lehrstühlen und Instituten an Universitäten im deutschsprachigen Raum.
Auch in anderen europäischen Ländern etablierten sich Zentren für Familienunternehmensforschung, so beispielsweise das Center for Family Enterprise and Ownership (CeFEO) an der Jönköping International Business School in Schweden; aber auch in Finnland, Norwegen, Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Spanien und Italien entstanden entsprechende Institute. Die erste Konferenz der International Family Enterprise Research Academy (ifera) fand 1999 in Barcelona statt. Seitdem hat sich die Familienunternehmensforschung bei den meisten großen Konferenzen der Managementforschung als eigenständiger »Track« etabliert. Auch eine wachsende Zahl wissenschaftlicher Zeitschriften widmet sich speziell der Familienunternehmensforschung. Zu nennen sind insbesondere die Family Business Review, die erstmals 1988 erschien, das seit 2010 bestehende Journal of Family Business Strategy, aber auch die bereits lange etablierte Zeitschrift Entrepreneurship Theory and Practice, die zunehmend Beiträge zur Familienunternehmensforschung veröffentlicht.
Inhaltlich hat sich die Familienunternehmensforschung zunächst insbesondere mit der Frage beschäftigt, was Familien- von Nichtfamilienunternehmen unterscheidet. Zunehmend wird aber auch die Heterogenität innerhalb der Gruppe der Familienunternehmen adressiert. In diesem Zusammenhang haben sich zunächst drei Aspekte als besonders relevant erwiesen und dementsprechend in der Familienunternehmensforschung spezielle Aufmerksamkeit gewonnen. Zum einen handelt es sich um die spezifischen Ziele von Familienunternehmen, zum anderen um die Gestaltung ihrer Unternehmensführung (Governance) sowie zum dritten um die spezifischen Ressourcen, die Familienunternehmen zur Verfügung stehen. So weist die bisherige Forschung darauf hin, dass Familienunternehmen andere Ziele verfolgen als Nichtfamilienunternehmen. Unter anderem hat die Forschung gezeigt, dass familienorientierte Ziele, wie die Weitergabe des Unternehmens an die nächste Generation oder – umfassender – das Schaffen und Aufrechterhalten sozio-emotionaler Werte, eine wichtige Rolle spielen und die Langfristorientierung von Familienunternehmen fördern. Darüber hinaus hat die Ausgestaltung von Führungs- und Aufsichtsgremien in Familienunternehmen die Aufmerksamkeit der Forschung gewonnen. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie Familien- und Nicht-Familienmitglieder im Management, Aufsichtsrat oder Beirat von Familienunternehmen das Handeln und den Erfolg des Unternehmens beeinflussen. Nicht zuletzt hat die bisherige Forschung gezeigt, dass manche Familienunternehmen über besonders erfolgsrelevante Ressourcen und Fähigkeiten verfügen – auch als »Familiness« bezeichnet.
In jüngerer Zeit hat die Unternehmerfamilie eine zunehmend wichtige Rolle im Rahmen der Familienunternehmensforschung gewonnen. Forscher haben unter anderem die Ziele und Werte der Familie, ihren Umgang mit ihrem unternehmerischen Vermächtnis, das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Familiengenerationen und die Professionalisierung des Unternehmens sowie den unternehmerischen Neuanfang der Familie, auch mit Fokus auf Nachhaltigkeit, als wichtige Einflussfaktoren auf das Handeln und den Erfolg von Familienunternehmen herausgearbeitet. Genau diese Themen stehen im Zentrum dieses Buchs.
Allerdings richtet sich die Forschung zu Familienunternehmen, die diese Themen bisher aufgegriffen hat, vor allem an eine wissenschaftlich orientierte Leserschaft. Bei Familienunternehmern selbst findet sie dagegen nur wenig Beachtung. Dieses Buch soll daher eine Brückenfunktion zwischen Wissenschaft und Praxis einnehmen. Es stellt in sieben Kapiteln wichtige Konzepte der neueren Familienunternehmensforschung mit einem speziellen Bezug zur Unternehmerfamilie vor und illustriert diese Konzepte anwendungsnah am Beispiel erfolgreicher Familienunternehmen. Diese »best practice«-Beispiele sollen durch ihre konzeptionelle Fundierung Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Zukunftssicherung von Familienunternehmen über Generationen vermitteln.
Marburg, im Mai 2024
Prof. Dr. Torsten Wulf
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Buch das generische Maskulinum verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
Dr. Daniel Eggenberger
Your beliefs become your thoughts. Your thoughts become your words. Your words become your actions. Your actions become your habits. Your habits become your values. Your values become your destiny.
Mahatma Gandhi (1869–1948)
It’s not hard to make decisions when you know what your values are.
Roy E. Disney (1930–2009)
I never wanted to be on any billionaires list. I never define myself by net worth. I always try to define myself by my values.
Howard D. Schultz
Die aktuellen Herausforderungen für Familienunternehmen könnten mannigfaltiger kaum sein: Die Chancen der Digitalisierung müssen genutzt werden; es braucht Antworten auf den Klimawandel, die Auswirkungen der Coronakrise müssen gemeistert werden etc. In diesem Kontext sind Unternehmerfamilien enorm gefordert, weil essenzielle Entscheidungen getroffen werden müssen, die den Erfolg der Familie und den Fortbestand des Familienunternehmens maßgeblich prägen werden. Da stellt sich natürlich die Frage, woran man sich als Unternehmerfamilie orientiert und wonach sich das Familienunternehmen orientieren soll. F. Peter Mitterbauer (Vorstandsvorsitzender der Miba AG) schrieb dazu, dass seine Miba AG sich an bewährten Werten orientiert: »Die Werte, auf denen der Firmengründer, mein Großvater, die Miba damals aufgebaut hat, gelten heute mehr denn je zuvor … [sie] sind seit jeher der Nährstoff unseres Erfolgs« (Miba AG, 2018). In der PwC-Studie »Family Business Survey 2018« geben 76 Prozent von 171 befragten deutschen Familienunternehmen an, über Werte und Ziele für das Familienunternehmen zu verfügen sowie 3 von 4 der Unternehmerfamilien sagen, dass die Familie über klare Familienwerte verfügt (PwC, 2018).
Die Miba AG ist also nicht allein, wenn es darum geht, die Wichtigkeit von Werten herauszustreichen. Doch was sind Werte? Warum ist es wichtig, dass diese Werte innerhalb der Unternehmerfamilie sowie zwischen der Unternehmerfamilie und dem Familienunternehmen geteilt werden und wie kann das erreicht werden? Worauf haben Werte (insbesondere Familienwerte) einen Einfluss? Diese wichtigen Aspekte werden in diesem Kapitel auf zweierlei Arten beleuchtet. In einem ersten Teil werden die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung vor allem im Hinblick auf die Unternehmerfamilie und ihre Werte vorgestellt. Im Anschluss, im zweiten Teil, folgt dann eine Vertiefung bzw. Darstellung von Teilaspekten anhand von Fallbeispielen. Die Familienunternehmensportraits umfassen folgende Unternehmen: Dr. August Oetker Nahrungsmittel KG, Bankhaus Carl Spängler & Co. AG, Hotel Bayerischer Hof Gebrüder Volkhardt KG, Bösmüller Print Management GesmbH & Co. KG und Miba AG
Was sind Werte?
In der Familienunternehmensforschung gibt es etliche Definitionen zu »Werten«, wobei die Wertetheorie des Psychologen Shalom Schwartz insbesondere in den letzten Jahren vermehrt Beachtung gefunden hat (siehe z. B.: Camfield and Franco, 2018; Yuan and Wu, 2017; Rau et al., 2019). Nach seiner Wertetheorie können »Werte« als abstrakte Konzepte oder Überzeugungen definiert werden, die sich auf die Ziele einer Person beziehen und als Leitlinien im Leben dienen. Sie beschreiben daher, was für eine Person von grundlegender Bedeutung ist und bilden somit einen wesentlichen Teil der Identität eines Menschen (Schwartz, 1994; Schwartz, 2005). In seinem anerkannten Wertemodell ordnet Schwartz eine umfassende Anzahl von Werten jeweils einem Wertetyp zu (insgesamt 10 Wertetypen: Sicherheit, Konformität, Tradition, Benevolenz, Universalismus, Selbstbestimmung, Stimulation, Hedonismus, Leistung, Macht), der je einem bestimmten motivationalen Ziel zugrunde liegt. Dabei ist vor allem die jeweilige Priorisierung (»trade-off«) dieser Wertetypen (bzw. motivationalen Ziele) in entscheidenden Situationen relevant für das Verhalten und die Einstellung einer Person (Schwartz, 2012). Anders gesagt: Nach diesen priorisierten Werten handelt eine Person und diese Werte machen die Person auch aus und einzigartig. Wenn nun eine soziale Gruppe wie beispielsweise eine Unternehmerfamilie oder ein Familienunternehmen nach gemeinsamen Werten handeln, spricht man von Familienwerten bzw. Werten des Familienunternehmens.
Die Wichtigkeit »gemeinsamer« Werte und deren Effekte
Die hohe Wichtigkeit von gemeinsamen Werten, sowohl innerhalb der Unternehmerfamilie als auch zwischen der Unternehmerfamilie und dem Familienunternehmen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Literatur in diesem Forschungsfeld. Dabei ist eine der Haupterkenntnisse, dass die Werte nur zu dem Grad, zu dem sie geteilt werden, auch (positive) Wirkung erzeugen (siehe z. B.: Sorenson, 2013; Rau et al., 2019). Aus diesem Grund werden in diesem Abschnitt relevante Theorien/Konzepte sowie Studien bzw. wissenschaftliche Beiträge in diesem Zusammenhang zusammengefasst, um einen holistischen Überblick zu bekommen. Ferner werden auch Effekte von gemeinsamen Werten auf das Familienunternehmen vorgestellt sowie Ansätze gezeigt, die dabei helfen, »gemeinsame« Werte schaffen zu können.
Die ersten relevanten Beiträge, die gleichermaßen die Wichtigkeit von gemeinsamen Werten innerhalb der Unternehmerfamilie sowie zwischen der Unternehmerfamilie und dem Familienunternehmen betonen, stammen aus dem Literaturstrang der Theorie der sozialen Identität. Diese basiert im Wesentlichen auf den Grundannahmen, dass eine Person sich üblicherweise mit einer sozialen Gruppe, zu der sie gehört, identifiziert und daher auch im Interesse dieser Gruppe handelt (Tajfel et al., 1971; Turner et al., 1979; Deephouse and Jaskiewicz, 2013). Die Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe vermittelt der Person einen Sinn bzw. Bedeutung und gibt Leitlinien vor hinsichtlich des erwarteten Verhaltens. Zusätzlich werden den Stakeholdern der Gruppe durch Kommunikation die Werte der Gruppe signalisiert, was deren Reputation beeinflusst (Zellweger et al., 2013; Duh et al., 2010). Um eine hohe Identifikation der Familienmitglieder mit der Familie, aber auch mit dem Familienunternehmen, sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Familienunternehmen, herzustellen, sind unter anderem gemeinsame Werte von essenzieller Bedeutung (Tajfel, 1982; Ashforth and Mael, 1989; Dyer, 2006; Zellweger et al., 2013; Suess-Reyes, 2017; Ashforth, 2012). Die konkreten Beiträge aus diesem wissenschaftlichen Feld, aber natürlich auch aus anderen Bereichen, werden nun vorgestellt, wobei zwischen gemeinsamen Werten innerhalb der Unternehmerfamilie und zwischen der Unternehmerfamilie und dem Familienunternehmen differenziert wird.
1. Gemeinsame Werte innerhalb der Unternehmerfamilie
Wahrscheinlich ist der bedeutendste Aspekt, warum gemeinsame Werte innerhalb der Unternehmerfamilie wichtig sind, dass sie eine Grundvoraussetzung bilden für die Übertragung dieser Werte ins Familienunternehmen, um dort überhaupt eine mögliche positive Wirkung erzeugen zu können (Rau et al., 2019; Suess-Reyes, 2017; Sorenson, 2013). Mehrere Beiträge haben in diesem Zusammenhang einen positiven Effekt von geteilten Familienwerten auf das Familienunternehmen herausgearbeitet, vor allem auf Faktoren wie:
die finanzielle Performance (Jaskiewicz and Klein, 2007; Randolph et al., 2019; Dyer, 2006),
den Entscheidungsprozess (Mustakallio et al., 2002),
die Weitergabe an die nächste Generation (Le Breton–Miller et al., 2004; Jaskiewicz et al., 2016) und
langfristiges Wachstum (Ward, 1997) bzw. langfristiger Erfolg (Aronoff, 2004).
Um innerhalb der Unternehmerfamilie eine gemeinsame Wertebasis zu etablieren, wurden in der Literatur folgende Punkte als hilfreich und wirkungsvoll eingestuft:
Formelle Treffen der Unternehmerfamilie (z. B. »Familienrat«) sowie informelle Treffen der Unternehmerfamilie (z. B. gemeinsame Einnahme von Mahlzeiten) (Aronoff, 2004; Sorenson and Bierman, 2009; Sorenson et al., 2009; Suess-Reyes, 2017)
Formalisierte, schriftlich festgehaltene Werte (z. B. Familienprotokoll, Familiencharta) (Sorenson and Bierman, 2009; Fernández Moya and Tàpies, 2012; Suess-Reyes, 2017)
Erzählen von Begebenheiten, Geschichten (z. B. über die Gründerin oder den Gründer), Mythen (Parada and Viladás, 2010; Kammerlander et al., 2015)
Vorbildfunktion der Vorgängergeneration (z. B. bei einem Besuch oder durch Mitarbeit im Familienunternehmen) (Fernández Moya and Tàpies, 2012; Rau et al., 2019; García-Álvarez et al., 2002)
Gemeinsame Rituale und/oder Symbole (z. B. Besuch der Unternehmerfamilie in der Produktionshalle des Familienbetriebs an einem Feiertag) (Sorenson, 2013)
2. Gemeinsame Werte zwischen der Unternehmerfamilie und dem Familienunternehmen
Der Einfluss von Familienwerten sowie auch der Werte des Familienunternehmens auf die Unternehmenskultur erfährt hohe Beachtung in der Literatur: »Die Organisationskultur ist ein facettenreiches Konstrukt, welches die gemeinsamen Annahmen, Überzeugungen, Ziele, Kenntnisse und Werte der Organisationsmitglieder umfasst und zusätzlich auch implizite, meist nicht direkt wahrnehmbare Aspekte der Organisation, miteinbezieht.« (Duh et al., 2010) Die Familie beeinflusst maßgeblich die Familienunternehmenskultur mit ihren Werten und ihrer Familienkultur (Aronoff, 2004; Dyer, 2003), wobei die starke Präsenz von Familienwerten im Familienunternehmen eine besondere und einzigartige Unternehmenskultur fördert (Astrachan et al., 2002; Rau et al., 2019), was zu einem möglichen Wettbewerbsvorteil führen kann (Craig et al., 2014; Aronoff, 2004; Hoy and Verser, 1994; Dyer, 2003; Presas et al., 2011).
In diesem Zusammenhang wurde in der Familienforschung öfter die F-PEC Skala angewandt (siehe z. B.: Craig and Moores, 2005; Zahra et al., 2008; Craig et al., 2014; Jaskiewicz et al., 2016; Hauswald et al., 2016). Diese besteht im Wesentlichen aus folgenden Kategorien: Macht (»power«), Erfahrung (»experience«), Kultur (»culture«), um den Einfluss der Familie (»family«) auf das Unternehmen zu erfassen. In Bezug auf die dritte Kategorie »Kultur« sind Familienwerte relevant. Die Skala misst, zu welchem Grad die Familienwerte und die Familienunternehmenswerte übereinstimmen mit dem Argument, dass die Familienwerte auf diesem Wege einen maßgeblichen Einfluss haben auf die Unternehmenskultur (Astrachan et al., 2002).
Um an einem Beispiel die Anwendung und die Wirkung zu verdeutlichen: In einer empirischen Studie von Craig et al., 2014 wurde gezeigt, dass ein starker Familieneinfluss, unter anderem durch deren Werte, die Familienunternehmenskultur positiv beeinflusst und diese mittelbar auch die Innovationskraft des Familienunternehmens begünstigt.
Neben dem Aspekt der Unternehmenskultur sowie der sozialen Identität haben folgende Beiträge den positiven Einfluss auf das Familienunternehmen von gemeinsamen Werten zwischen Unternehmerfamilie und Familienunternehmen hervorgehoben bzw. gezeigt:
Verbesserte finanzielle Performance aufgrund tieferer »Prinzipal-Agenten« Kosten (Dyer, 2006)
Höherer ethischer Fokus und ethischeres Verhalten (O’Boyle et al., 2010)
Verbesserte langfristige Mitarbeiterbindung ans Familienunternehmen sowie erhöhte Attraktivität für potenzielle Neueinsteiger (Hauswald et al., 2016; Harsch et al., 2019)
Stärkere Innovationskraft (Filser et al., 2018)
Höhere Verpflichtung (»Commitment«) seitens der Familie und der Mitarbeiter hinsichtlich der gesetzten Unternehmensziele (Kotlar and Massis, 2013; Chua et al., 2012)
Erfolgreicherer und effektiverer Professionalisierungsprozess, vor allem wenn ein Nicht-Familienmitglied das Familienunternehmen führt (Hall and Nordqvist, 2008)
Unabhängigeres Verhalten und Vorgehen der Mitarbeiter und aktivere Teilnahme an Entscheidungsprozessen im Familienunternehmen (Sorenson, 2000)
Um zwischen der Unternehmerfamilie und dem Familienunternehmen eine gemeinsame Wertebasis zu etablieren, wurden in der Literatur folgende Punkte als hilfreich und wirkungsvoll eingestuft:
Formalisierte, schriftlich festgehaltene Werte für das Familienunternehmen (z. B. Firmenwerte, Vision, Mission, Ziele) (Sorenson, 2014)
Ein Familienmitglied der Unternehmerfamilie (oder mehrere) ist operativ im Familienunternehmen tätig und agiert als Vorbild in Bezug auf Werte (»role model«) (Sorenson, 2013; Hoffman et al., 2006)
Das Familienunternehmen orientiert sich stark an den Werten der Gründerin bzw. des Gründers (oder einer anderen einflussreichen Person der Unternehmerfamilie von früher) (García-Álvarez and López-Sintas, 2001; Martínez and Dorfman, 1998; Kelly et al., 2000; Schein, 1983)
Reger Austausch der Unternehmerfamilie mit der Belegschaft (z. B. durch formelle und informelle Treffen) (Sorenson, 2013)
Die Unternehmerfamilie spielt eine wesentliche Rolle in der »Business Governance« (der Familienbeirat trifft sich z. B. regelmäßig mit dem Vorstand des Familienunternehmens) (Distelberg and Blow, 2010)
Es gibt besondere Geschichten und/oder Mythen, Symbole und/oder Rituale, die die Werte das Familienunternehmens versinnbildlichen (Parada and Viladás, 2010; Zwack et al., 2016; Sorenson, 2013)
Heterogenität der Werte der Unternehmerfamilie, Resümee und Ausblick
Die Familienunternehmensforschung hat bisher in den meisten Beiträgen die Annahme getroffen, dass die Werte der Unternehmerfamilie über alle Familienunternehmen hinweg tendenziell homogen sind (James et al., 2012; Rau et al., 2019), mit wenigen Ausnahmen (siehe García-Álvarez and López-Sintas, 2001; Koiranen, 2002; Fernández Moya and Tàpies, 2012; Yuan and Wu, 2017; Camfield and Franco, 2018), von denen hier zur Verdeutlichung kurz zwei Forschungsbeiträge dezidiert Erwähnung finden sollen:
Koiranen, 2002, hat in seiner Studie von finnischen Familienunternehmen erfasst, welche Familienwerte hinter den Familienunternehmen stehen, die schon mindestens über 100 Jahre hinweg erfolgreich sind, wobei Verpflichtung (»Commitment«), Verantwortung, Fairness und hartes Arbeiten als relevante Werte eingestuft wurden.
Camfield and Franco, 2018, haben untersucht, welche Werte auf die Professionalisierung des Familienunternehmens einen spezifischen Einfluss haben und beispielsweise gezeigt – neben anderen Zusammenhängen –› dass die Werte, die nach Schwartz‹ Wertemodell zur Kategorie »Openness to Change« gehören (sprich: Selbstbestimmung, Stimulation, Hedonismus) förderlich sind in Bezug auf die Professionalisierungs-Aspekte (nach Dekker et al., 2012) finanzielle Kontrollsysteme, HR Kontrollsysteme, dezentrale Entscheidungsmechanismen.
Neben diesen Autoren haben auch andere die oben erwähnte Vereinfachung schon infrage gestellt bzw. es wurde argumentiert, dass Unternehmerfamilien jeweils unterschiedliche Familienwerte (nach Schwartz: »Werte-Priorisierung«) haben, die potenziell zu heterogenem Familienverhalten und somit zu unterschiedlichen Entscheidungen und Folgen für das Familienunternehmen führen (Distelberg and Sorenson, 2009). Daher ist für die kommende Zeit die Differenzierung in heterogene Familienwerte sicherlich ein spannendes und relevantes Thema in der Familienunternehmensforschung.
Abschließend ist zu sagen, dass das wissenschaftliche Feld im Bereich Werte (und insbesondere Familienwerte) noch sehr fragmentiert ist. Die in diesem wissenschaftlichen Überblick präsentierten Beiträge zeigen erste Erkenntnisse auf in Bezug auf die Wichtigkeit von Familienwerten und deren Einfluss auf das Familienunternehmen. Diese sind sicherlich sehr hilfreich und relevant für die Praxis und dienen als Grundlage für die weiteren Schritte in diesem Forschungsfeld, um eine schlüssige Theorie zu entwickeln, die den Einfluss von Familienwerten auf das Familienunternehmen darlegt (James et al., 2012; Jaskiewicz and Dyer, 2017).
Dr. Arend Oetker: Der Grandseigneur der Deutschen Industrie und sein lebenslanges Streben nach eigener Verbesserung
Andreas E. Mach
Dr. Arend Oetker, Foto © John M. John
Schwartauer Werke, Außenansicht, Foto © Oetker
Die Schweizer Hero AG in Lenzburg, Foto © Oetker
ALPHAZIRKEL Unternehmerabend am 8. Oktober 2019 im Palais Montgelas München, Interview von Andreas E. Mach mit Dr. Arend Oetker anlässlich seines 80. Geburtstags. Foto © ALPHAZIRKEL/Max von Eicken. Cover: Simon Gehrke.
Dr. Arend Oetker Holding GmbH & Co. KG
Unternehmenssitz: Bad Schwartau
Eigentümer: Familie Dr. Arend Oetker, Berlin
Gegründet 1899 | 3. Generation (Schwartau Werke)
Umsatz: ca. 2,5 Mrd. Euro
Beschäftigte: ca. 40.000
Branche: Konsumgüter, Lebensmittel, Education, Shipping, Bankwesen
Arend Oetker, geboren 1939, ist der Urenkel Dr. August Oetkers, des Gründers der Oetker-Gruppe. Er bezeichnet sich mit einem Augenzwinkern gerne als »der ärmere Oetker« im Vergleich zu seinen Bielefelder Vettern oder als der »Erbe eines Saftladens« in Anspielung auf die Saftfabrik Altländer Gold, die er zusammen mit der Nähmaschinenfabrik Kochs Adler von seiner Mutter Ursula Oetker geerbt hatte. Seit 1989 hat er seine Beteiligungen in der Dr. Arend Oetker Holding zusammengefasst, die heute ihren Sitz in Berlin hat. 2016 hat Arend Oetker den Generationswechsel eingeleitet und übertrug die Anteile an seinen Unternehmen und Beteiligungen schrittweise auf seine drei Töchter und zwei Söhne. Mit seiner Frau Brigitte lebt er in Berlin.
Über Werte und Prinzipien im Familienunternehmen kann man viel von ihm lernen, ganz nach dem Zitat von Mahatma Ghandi: »Your habits become your values. Your values become your destiny.« Arend Oetker ist das, was man einen »Grandseigneur« nennt, ein nach dem Lexikon »vornehmer, weltgewandter Herr (…), dessen Sitten und Lebensweise seine vornehme Abkunft und großes Vermögen verraten« (Wiktionary). Die Berliner Morgenpost nannte ihn einmal »den Lord von Berlin«.
Der im Teutoburger Wald aufgewachsene Unternehmer ist in Wahrheit, und die offenbart sich nach wenigen Sätzen im Gespräch ganz klar, ein Naturliebhaber, »ein Stück Bauer, ostwestfälisch, bescheiden, bodenständig«, wie er selbst über sich sagt. Das erklärt auch seine Begeisterung für die KWS SAAT SE & Co. KGaA, einem der größten Saatguthersteller für landwirtschaftliche Nutzpflanzen weltweit, an der seine Familie zu rund 27 Prozent beteiligt ist, und die heute von seiner Tochter Marie Theres kontrolliert wird. Sie lebt in München, ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Mutter von vier Kindern, und gleichzeitig stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende im Unternehmen ihres Mannes, der SCHNELL Chemie GmbH in München, ein Vollsortimenter für innovative Reinigungsprodukte und maßgeschneiderte Hygienelösungen. Geteilte Werte, sie sind an die Tochter übergegangen, einschließlich des unternehmerischen Talents, mit Modellcharakter.
Dr. Marie Theres Schnell betreibt auch eine Unternehmensberatung und ist an vielen Stellen in der Dr. Arend Oetker Gruppe in den Gremien des Unternehmens vertreten. Das Beispiel passt gut zur Literatur über Werte im Familienunternehmen. »Nur wenn sie weitergegeben werden, wenn es gemeinsame Werte sind, können sie im Unternehmen ihre positive Wirkung entfalten« (Tajfel, 1982; Ashforth and Mael, 1989; Dyer, 2006; Zellweger et al., 2013). Dabei ist eine der Haupterkenntnisse, dass Werte nur zu dem Grad, zu dem sie geteilt werden – also mit den Mitgliedern der Familie und mit den Menschen im Unternehmen – auch (positive) Wirkung erzeugen. »Um eine hohe Identifikation der Familienmitglieder mit der Familie, aber auch mit dem Familienunternehmen, sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Familienunternehmen, herzustellen, sind unter anderem gemeinsame Werte von essenzieller Bedeutung« (Tajfel, 1982; Ashforth and Mael, 1989; Dyer, 2006; Zellweger et al., 2013; Suess-Reyes, 2017; Ashforth, 2012). Auch das Ergebnis der Studie über die finnischen Familienunternehmen, die älter als 100 Jahre sind, passt zu Arend Oetker, seiner Familie und seinen Unternehmen: Verpflichtung (»Commitment«), Verantwortung, Fairness und hartes Arbeiten werden dort als relevante Werte betrachtet (Krista Elo-Pärsinnen, Family Business in Finland: The Engins of the Economy, 2004).
Das trifft auf Arend Oetker in hohem Maße zu. Bei ihm sind die Wertvorstellungen von grundlegender Bedeutung und sie bilden einen wesentlichen Teil seiner Identität, ganz nach der Definition. Und sie entfalten ihre Wirkung dort, wo sie geteilt werden, mit der Familie, mit Mitarbeitern, mit dem Management, mit Kunden. Das Familienoberhaupt Arend Oetker ist neben der harten Arbeit auch ein »Citoyen«, ein Musik- und Kunstliebhaber, Politikinteressierter und eben ein passionierter Unternehmenssanierer, 2019 ist er 80 Jahre alt geworden, was ihn natürlich nicht daran hindert, täglich schon am frühen Morgen in seinem Büro im Berliner Stadtteil Grunewald seine umfangreiche Korrespondenz und die Kommunikation mit seinen Managern zu erledigen.
Verantwortung ist Bürgerpflicht für ihn, er ist um das Gemeinwohl bemüht und die Liste der Ehrenämter, die er im Laufe seines Lebens bekleidete, ist lang. So ist er z. B. im Präsidium des Bundesverbandes der Deutschen Industrie als Ehrenvizepräsident aktiv und war mehr als 10 Jahre Präsident des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft als Ehrenmitglied. Das Ehrenamt ist ihm ebenso Bürgerpflicht, wie das Einstehen für gute internationale Beziehungen. Sein Mandat des Präsidenten der Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. hat er im Juni 2019 gegen die Ehrenpräsidentschaft eingetauscht. Vor Friedrich Merz und Tom Enders war der Berliner Oetker Präsident der Atlantik-Brücke. Das öffentliche Engagement und das Bemühen um Gemeinwohl, die Vertretung von Unternehmertum, Wissenschaft und internationalen Beziehung zieht sich als Leitlinie und Überzeugung durch das Leben von Arend Oetker und bildet so einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit.
Das Vorleben seiner Werte als Vorbild hingegen ist ein Teil der Weitergabe innerhalb des Unternehmens und der Familie. Als Unternehmer, der Verantwortung übernimmt für die Gesellschaft und die Zukunft Deutschlands, hat er natürlich auch in Bildung investiert und ist damit ebenfalls »Citoyen« im wahrsten Sinne des Wortes: Der Begriff beschreibt den Bürger, der in der Tradition und im Geist der Aufklärung aktiv und eigenverantwortlich am Gemeinwesen teilnimmt und dieses mitgestaltet. Das tut Arend Oetker, und zwar in einer europäisch-internationalen Prägung. Also ist der französische Begriff »Citoyen« geradezu auf ihn zugeschnitten.
Bei den Oetkers, wie man an der Vita der Familienmitglieder sieht, hat die Bildung einen hohen Stellenwert. Tochter Marie Therese hat nach dem Studium in Salzburg, Göteborg und Zürich in Kommunikationswissenschaften promoviert, hat als Vorstandsreferentin in einem großen digitalen Verlagshaus sowie als Trainee in der Lebensmittelindustrie in Spanien und in unterschiedlichen Gesellschafterorganen der Dr. Arend Oetker Gruppe praktische Erfahrungen gesammelt.
Ihre Schwester Johanna Oetker, sagt, danach gefragt, woran sie glaubt: »An Bildung und an Kultur« (www.neueleipzigertalente.de). Sie hat Germanistik, Romanistik und Geschichte in Berlin studiert, ein Start-up gegründet und ist im In- und Ausland an Opernhäusern im Bereich Dramaturgie tätig. Darüber hinaus vertrat sie die Interessen der Familie im Aufsichtsrat der Cognos AG. Johanna Oetker macht sich im Ehrenamt auch um die Gesellschaft verdient. Sie ist m Komitee der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch engagiert (www.neueleipziger talente.com).
Der jüngere Bruder Leopold hat Kulturwissenschaften und Geschichte in Berlin und Kopenhagen studiert und in der Türkei bei der Yildiz Holding, ein international agierendes türkisches Lebensmittel- Familienunternehmen, ein Business Development Traineeprogramm absolviert. Er hat dort auch in einer Stiftung für Kultur und Kunst gearbeitet.
Die beiden jüngsten Kinder von Arend und Brigitte Oetker, Clara und Ludwig, haben ihre kürzlich abgeschlossenen Masterstudiengänge mit zahlreichen Praktika im In- und Ausland ergänzt. Ludwig arbeitet im Moment in der Strategischen Unternehmensberatung (Interview Andreas Mach mit Arend Oetker 2019).
Die Auswahl der Studienfächer, das Engagement in der Öffentlichkeit, die Prinzipien des Vaters zum respektvollen Umgang, das Ausgleichen unterschiedlicher Interessen im Dialog sowie Empathie, Fleiß und Klarheit ziehen sich wie ein roter Faden auch durch die Lebensläufe der Kinder. Bildung ist ein »Werkzeug« um Vorurteile, Arbeitslosigkeit und Hunger aus der Welt zu schaffen, meint Arend Oetker und hält es für den entscheidenden Faktor, wenn es den Herausforderungen der Zukunft entgegenzutreten gilt.
Es ist kein Geheimnis, dass der Anteil der Bevölkerung, der einen höheren Bildungsweg einschlägt oder überhaupt einen Schulabschluss hat, in den wohlhabenderen Ländern höher liegt als in den sogenannten Entwicklungsländern und so besteht ein enger Zusammenhang zwischen Bildung und Wohlstand. Das fördern die Oetkers über die Generationen auch so. Und ihr gesellschaftliches Engagement ist mit ökonomischen Gewinnstreben verbunden. Auch das ist keineswegs verwerflich, sondern Grundvoraussetzung für das Engagement – Bildung als Investitionen in die Zukunft Deutschlands, Europas und der Welt. Eine gute Ausbildung eröffnet Möglichkeiten für gut bezahlte Jobs. Hohe Gehälter schaffen eine hohe Kaufkraft in der Bevölkerung und diese wiederum kurbelt die Wirtschaft an, was sich positiv auf den Wohlstand einer Nation auswirkt – die dann wieder mehr in ihre Bildung investieren kann.
Und weil die Oetkers das so sehen, haben sie auch merkantilistisch in Bildung investiert, und zwar in die Hamburger Cognos AG. Schweden investiert 7,05 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in Bildung, mehr als jede andere Nation in Europa. Deutschland gibt lediglich 4,52 Prozent des BIP dafür aus. Da ist eine Gesellschaft für Berufsfachschulen, Hochschulen, Akademien und Institute für berufliche Weiterbildung wie die Cognos AG genau das Richtige. Hauptgesellschafter der nicht börsennotierten AG sind die Familie Arend Oetker und Ludwig Fresenius. Die Cognos AG war auch beteiligt an der HHL Leipzig Graduate School of Management oder der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, an der Hochschule Fresenius, der Bankhochschule Prag und an vielen anderen Berufsfachschulen, Hochschulen und Akademien in Deutschland und im Ausland.
Mutter Brigitte Oetker – wie sollte es in dieser Familie auch anders sein, in der Bildung, Kultur und das »Streben nach der eigenen Verbesserung«, wie es Arend Oetker nennt, ganz vorne steht – ist Professorin am Institut für Kultur und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Sie zeichnete unter anderem verantwortlich für das Projekt Kunst in der Leipziger Messe, für das 25 internationale Künstler permanente Installationen auf dem neuen Gelände der Leipziger Messe schufen. Sie war viele Jahre, und auch dies ist ganz »Citoyenne«, Mitglied im Stiftungsrats der Stiftung Charité und seit 2010 Mitglied des Kuratoriums der Freunde der Berliner Philharmoniker e. V.
Das Beteiligungsportfolio der Familie Arend Oetker ist insgesamt sehr diversifiziert und international und, so sagt der Grandseigneur, »einer der Gründe, warum er so vielseitig interessiert« sei. Oder umgekehrt, weil er sich für viele Geschäftsfelder und Strömungen interessiert, hat er das Beteiligungsportfolio breit angelegt.
Ins Schwärmen gerät Arend Oetker besonders, wenn er über seine Schwartauer Werke und über die ebenfalls seiner Familie gehörende Schweizer Hero AG spricht. Zusammen machen die beiden Firmen etwa 1,5 Mrd. Umsatz mit Fruchtprodukten, Marmelade, Müsliriegeln und Babynahrung. Aufgebaut hat der Unternehmer das Portfolio um die Traditionsfirma Schwartau herum, in dessen Geschäftsführung er im Jahr 1968 eingetreten ist. Seit 1986 besitzen die Schwartauer Werke auch eine Lizenz zur Verwendung des Namens Mövenpick für Fruchtaufstriche und damit eine Premiummarke im deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Für die Herstellung der Konfitüren, Sirupe, Dessert-Saucen und Fruchtriegel kauft Schwartau seine Früchte zu 90 Prozent in der Europäischen Union ein.
Aber es sollte noch ein anderer Konzern dazugehören, auf den Arend Oetker schon länger geblickt hatte. Die börsennotierte Schweizer Hero gehört seit 1995 zum Firmenreich des Arend Oetker. Er sicherte sich die Mehrheit an der Hero AG durch Kauf der FIM AG, einer Holding im Steuersparkanton Zug, die die Aktien an der Hero AG hielt. 2003 hatte die Oetker Holding 74 Prozent der Anteile und erwarb über die Börse weitere Aktien am Unternehmen. Der Wirtschaftsjournalist Rüdiger Jungbluth hatte in seiner Monografie über die weitverzweigte Unternehmerfamilie Oetker den Kauf der Aktien an Hero als intransparent beschrieben und den Aktionärsrechtler Ekkehard Wenger zitiert, der den Erwerb der Aktien über die Börse als ein Musterbeispiel beschrieben hat, wie man zu niedrigen Kursen in einem schwachen Aktienmarkt Kleinaktionäre aus einer Gesellschaft hinausdrängt (Rüdiger Jungbluth, Die Oetkers 2004).
Tatsächlich hat Oetkers Schwartau International GmbH von der FIM AG die Hero AG gekauft und dann über die Börse weitere Aktien von Kleinaktionären erworben. Später dann kaufte die Hero AG die Schwartau Werke, die seither als »Schwartauer Werke GmbH & Co. KG« firmieren. Der Kulturwissenschaftler und Historiker, der das Lebensmittelgeschäft bei der Yildiz Holding in Istanbul gelernt hat, Leopold Oetker, vertritt die Familie im Verwaltungsrat von Hero. Die Arbeit bei Yildiz war für Leopold eine gute Schule. Der Lebensmittel- und Süßwaren-Gigant aus der Türkei macht etwa 10 Mrd. US-Dollar Umsatz und ist das Familienunternehmen der Familie Ülker, zu dem unter anderem der belgisch-amerikanische Godiva Konzern gehört. Yildiz und die Arend Oetker Gruppe arbeiten auch in mehreren Märkten im Nahen Osten und in Afrika zusammen. Und Leopold Oetker wäre nicht der Sohn seines Vaters, wenn er sich in Istanbul nicht um eine Kultur- und Kunststiftung genauso kümmerte wie um seine Arbeit mit sozial benachteiligten Kindern in Berlin.
Auch 50 Prozent der Lübecker TT-Fährlinie gehören zum Oetkerschen Firmenportfolio. Die TT-Fährlinie ist eine Reederei, die Oetker zusammen mit dem MLP-Unternehmer Bernhard Termühlen gehört und die Fährverbindungen in der Ostsee anbietet. Sein Credo, mit dem er in Deutschland seit den 1960er-Jahren eine Vorreiterrolle eingenommen hat, lautet: »Lukrative Nischen besetzen und Manager durch Beteiligung zu Unternehmern machen«.
Mit der Wertvorstellung, Leistungsträger im Unternehmen ans Unternehmen durch Beteiligung zu binden und zu motivieren, fahren viele Familienunternehmer gut, vor allem wenn es sich um Holdingkonstruktionen mit vielen einzelnen Gesellschaften handelt. Das Beispiel des größten deutschen Autohändlers, ein Familienunternehmen aus dem schwäbisch-bayerischen Augsburg, die AVAG Holding SE, bestätigt dies auch. Dort sind Dutzende von Geschäftsführern der 85 Tochtergesellschaften an der jeweiligen Gesellschaft beteiligt. Mit dieser Wertvorstellung hat der Unternehmer und AVAG Gründer Albert Still Senior das Unternehmen in 50 Jahren aufgebaut. Er ist auch ein großartiger Moderator des beteiligten Topmanagements des Unternehmens und arbeitet nach dem Prinzip des unbedingten Respekts mit den beteiligten Geschäftsführern und allen Geschäftspartnern. Vor einigen Jahren hat Alber Still Senior das Unternehmen in die Hände seiner Söhne Roman und Albert gegeben. Die AVAG mit ihren über 2 Mrd. Euro Umsatz sowie die Dr. Arend Oetker Gruppe gelten nicht ohne Grund als attraktive Arbeitgeber und besitzen eine erhöhte Attraktivität für potenzielle Talente und Neueinsteiger – ein Wert, der in der Literatur als Erfolgsmerkmal von Familienunternehmen gilt (Hauswald et al., 2016; Harsch et al., 2019).
Und so sagt Arend Oetker auch auf die Frage, welcher Aspekt für Mitarbeiter entscheidend sein sollte, sich für ihn als Arbeitgeber zu entscheiden, dass die kulturelle Identität und die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens die wohl entscheidenden Aspekte seien. Der Ruf, dass er hervorragend integrieren und unterschiedliche Interessen bestens ausgleichen kann, eilt ihm wohl zu Recht voraus. Er hat diese Charakterstärke in vielen Unternehmen und Gremien jahrzehntelang bewiesen – eine Fähigkeit, die in direktem Zusammenhang steht mit dem Talent und den Wertvorstellungen, wie man ein weitverzweigtes Unternehmen erfolgreich führen kann.
So kann man mit Arend Oetker, dem vielseitig interessierten und talentierten Grandseigneur der Deutschen Industrie, auch ziemlich über alles sprechen. Auch aktuelle Themen liegen ihm am Herzen, wie der Klimawandel, der nachhaltige Umgang mit Rohstoffen oder die Digitalisierung, auch wenn er zugibt, dass er einer der »Old Economy« ist und »keinen digitalen Kalender« führt. Das müsse in seiner Generation schließlich auch erlaubt sein. Aber der digitale Vertrieb der Babynahrung in China und neue Distributionswege im Netz interessieren ihn trotzdem, denn, so sagt er: »Man darf ja nicht stehenbleiben«, auch nicht in seinem Alter.
Das Projekt »Bee Careful« ist ein anderes Beispiel, auf das er mit gewissem Stolz und ganz modern nachhaltig denkend verweist: »Hier unterstützen wir bedrohte Bienen in ihrer Umwelt und machen auf die Besonderheit und die Relevanz der Biene aufmerksam. Wir wollen dafür sensibilisieren, dass ohne Bienen keine Blüten befruchtet werden, und wir ohne die Tiere keine Früchte ernten und daher auch keine Marmelade herstellen können. Das ist eines unserer schönsten Projekte. Denn die Biene ist nicht nur fleißig, sondern notwendig – und unsere kleinste und eine der wichtigsten ›Mitarbeiterinnen‹ «, erzählt er. Was seit Juli 2019 Gesetz im Freistaat Bayern ist, nach dem Artenschutz-Volksbegehren »Rettet die Bienen« und vom Bund Naturschutz als ein »Meilenstein für den Naturschutz in Bayern« bezeichnet wurde, ist bei Arend Oetker und seinen Unternehmen schon lange ein Teil des Wertekanons. Ein Blick in den Nachhaltigkeitsbericht von Hero-Schwartau bestätigt das: Der nachhaltige Umgang mit Ressourcen und das nachhaltige Wirken der Unternehmen ist ein Teil der Werte der Arend Oetker Gruppe und der Nachhaltigkeitsbericht ist nicht, wie so oft, ein Feigenblatt, sondern ein Bestandteil des unternehmerischen Wertekanons.
In einem Nebensatz verbindet der Allround-Unternehmer einen Teil seiner Unternehmenskultur, Verantwortung und Arbeitsethik, wenn er erzählt, wie er mit 28 Jahren den »Saftladen«, die Firma Altländer Gold, übernehmen musste und die Firma zusammen mit der anderen Beteiligung seiner Mutter, die Kochs Adler Nähmaschinenfabrik, auch ein Sanierungsfall, nach erfolgreicher Sanierung verkauft hat. Deshalb hält er auch von Fruchtsaftproduktionen nichts und hat nach der Übernahme der Hero AG die Tochtergesellschaft Lindavia, eine Fruchtsaftmarke vom Bodensee, gleich veräußert – obwohl sie damals ein regional durchaus erfolgreiches Unternehmen war, freilich mit schmalen Margen.
Die Passion des Unternehmenssanierens auf eigene Rechnung hat Geschichte. Als sein damaliger Schwiegervater Otto Wolff von Amerongen keinen Nachfolger für sein Unternehmen fand, sprang Oetker in das damals größte deutsche Eisenhandelsunternehmen mit 2,5 Mrd. DM Umsatz als Sanierer ein. Er sagt, mit dieser Aufgabe persönlich die größte Herausforderung erlebt zu haben, als er einen Teil des Unternehmens in die Insolvenz schicken musste. Mit eigenem Geld hat er sich dann auch am Unternehmen und den Immobilien beteiligt und 1990 den Konzern mit seinen rund 200 Beteiligungen und 30.000 Mitarbeitern an Thyssen Krupp verkauft. Er hat sich sein Vermögen hart erarbeitet, als Unternehmenssanierer in unterschiedlichen Situationen – aus einer komfortablen Situation heraus vielleicht, aber eben auf bemerkenswerte Weise und zudem erfolgreich.
Seit er 2016 seine Vermögens- und Unternehmensnachfolge unter Beteiligung seiner fünf Kinder, die sich ein Jahr lang dazu extern beraten ließen, geregelt und sein Vermögen, wie er sagt, »gerecht« aufgeteilt hat, schläft er wieder besser, sagt er. Er sieht sich bis heute als Coach und Sparringspartner seiner Kinder. Und er freut sich über jedes neue Enkelkind, für das er aber bei seinem nach wie vor gefüllten Terminkalender wohl wenig Zeit hat, obwohl er ein Familienmensch ist und die Familie auch gemeinsam in die Ferien fährt. Natürlich gehört die alljährliche Oetker-Gruppentagung in Baden-Baden dazu, eine Telefonkonferenz mit allen Kindern pro Monat und zwei Mal im Jahr eine Sitzung mit den Kindern und den Testamentsvollstreckern. Das ist gelebte Identifikation der Familie mit dem oder den Unternehmen auf der Basis gemeinsamer Werte, wie es auch in der Literatur beschrieben wird (Tajfel, 1982; Ashforth and Mael, 1989; Dyer, 2006; Zellweger et al., 2013; Suess-Reyes, 2017; Ashforth, 2012).
Wichtig ist Arend Oetker auch, wie er sagt, dass man Grundwerte hat und behält und dafür müssen alle Beteiligten einen Beitrag leisten. Überhaupt spricht er viel von Werten, die er in seinen Unternehmen und in seiner Familie immer gepflegt und weiterentwickelt hat. Dazu gehört unter anderem ein respektvoller Umgang mit Partnern und der Mitarbeiterschaft, der Ausgleich unterschiedlicher Interessen im Dialog und die Vorbildfunktion im Unternehmen und in der Gesellschaft. Er verweist darauf, wie wichtig ihm Empathie, Fleiß und Klarheit sind, und dass man Lösungen gemeinsam entwickelt und nicht diktiert. Er sagt: »Ein Unternehmen muss sich so organisieren, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Fähigkeiten nutzen, ihr Potenzial ausschöpfen und sich weiterentwickeln können«.
Wenn man die Werte, die sich in der Wissenschaft als Erfolgsfundament eines Familienunternehmens herauskristallisieren, systematisch in der Arend Oetker Gruppe sucht, wird man in allen Kategorien fündig. Geteilte Werte haben einen positiven Effekt auf die finanzielle Performance und auf die erfolgreiche Weitergabe an die nächste Generation (Le Breton–Miller et al., 2004; Jaskiewicz et al., 2016), auf das langfristige Wachstum (Ward, 1997) bzw. den langfristigen Erfolg (Aronoff, 2004), führen zu einem höheren ethischen Fokus und einem ethischeren Verhalten (O’Boyle et al., 2010) und zu stärkerer Innovationskraft (Filser, 2013). Die Weitergabe gemeinsamer Werte führt zu einem höheren Commitment seitens der Familie und Mitarbeiter in Bezug auf die gesetzten Unternehmensziele.
Unternehmen werden in der Regel professioneller geführt, wenn ein Nicht-Familienmitglied das Unternehmen führt, genau wie es bei den Unternehmen der Arend Oetker Gruppe der Fall ist (Hall and Nordqvist, 2008). Dies wiederum führt zu einem unabhängigeren Verhalten und einer aktiveren Teilnahme aller an den Entscheidungsprozessen, auch ein Credo von Arend Oetker. Auch in der Literatur ist diese Einschätzung zu finden, unter anderem bei Sorensen (2000), der auf die formalisierten, schriftlich festgehaltenen Werte für das Familienunternehmen verweist.
Ein solches Niederschreiben der Werte findet bei den Beispielen in unserem Buch allerdings meist nicht statt, hier überwiegen vielmehr die Fälle, dass Wertekanon und Governance ein Teil des ungeschriebenen unternehmerischen Vermächtnisses sind. Arend Oetker dient sicher als Vorbild in Bezug auf die Werte der Familie und der Unternehmen und gibt diese Funktion sukzessive an seine Kinder ab, die sich durch breite Bildung im In- und Ausland, Engagement um das Gemeinwohl und praktische Erfahrungen in anderen Unternehmen auszeichnen. Die Werte, sagt Arend Oetker, wollen wir in unserer Unternehmenskultur so erhalten, wie wir sie immer gepflegt haben, man muss sie vielleicht anpassen und Änderungen vornehmen, die Unternehmenskultur aber nicht verändern. Auch hier ist Arend Oetker vorbildlich: Die Unternehmen und ihre Menschen orientieren sich an den Werten des Gründers der Unternehmensgruppe (García-Álvarez and López-Sintas, 2001; Martínez and Dorfman, 1998; Kelly et al., 2000; Schein, 1983). Wichtig bei Oetkers und anderen aktiven Gesellschaftern ist zudem, dass man im regen Austausch mit der Belegschaft und mit dem Management steht, z. B. durch formelle und informelle Treffen, wie bei Sorensen, 2013, ausgeführt (Distelberg and Blow, 2010).
Arend Oetker ist seinen Werten und Prinzipien treu geblieben, er hat sie weitergegeben an Familie, Management und Mitarbeiter, er hat sein ganzes Leben danach gehandelt im »stetigen Streben nach eigener Verbesserung«. Damit ist er ein gutes »Modell«, nicht nur für Familienunternehmer und das Vermächtnis einer großen Unternehmerpersönlichkeit, sondern auch für seine Familie und die Gesellschaft.
Heinrich Spängler: »Vergesst den Anstand nicht!«
Andreas E. Mach
Heinrich Spängler am Schreibtisch, Foto © Bankhaus Carl Spängler
Familienbild historisch (1892), Foto © Bankhaus Carl Spängler
Aktionärsfamilie heute, Foto © Bankhaus Carl Spängler
Bankhaus Carl Spängler & Co. AG
Unternehmenssitz: Salzburg, AT
Eigentümer: Familien Spängler, Wiesmüller und Welt und deren Stiftungen
Gegründet 1828 | 7. Generation
Bilanzsumme: 1,7 Mrd. Euro (31.12.2022)
Beschäftigte: rund. 260
Branche: Banken und Finanzen
Familienwerte finden in der Literatur über Familienunternehmen eine hohe Beachtung. Wie in der Einleitung steht: »Die Organisationskultur ist ein facettenreiches Konstrukt, welches die gemeinsamen Annahmen, Überzeugungen, Ziele, Kenntnisse und Werte der Organisationsmitglieder umfasst und zusätzlich auch implizite, meist nicht direkt wahrnehmbare Aspekte der Organisation, miteinbezieht.« (Duh et al., 2010) Gleichzeitig beeinflusst die Familie mit ihren Werten und ihrer Familienkultur maßgeblich die Familienunternehmenskultur (Aronoff, 2004; Dyer, 2003), wobei die starke Präsenz von Familienwerten im Familienunternehmen eine besondere und einzigartige Unternehmenskultur fördern (Astrachan et al., 2002; Rau et al., 2019). Das wiederum kann zu einem möglichen Wettbewerbsvorteil führen (Craig et al., 2014; Aronoff, 2004; Hoy and Verser, 1994; Dyer, 2003; Presas et al., 2011). Das ist beim Bankhaus Carl Spängler & Co AG, der ältesten sich in Familienbesitz befindenden Bank Österreichs, mit Sicherheit so.
Die Wichtigkeit von Familienwerten und ihr Einfluss auf das Familienunternehmen kann man bei Unternehmen, die seit vielen Generationen bestehen, besonders gut erkennen. Denn unabhängig davon, ob die Werte in einer Familienverfassung oder in einem Statut festgeschrieben sind oder aus Leitsätzen bestehen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, sie scheinen ein Teil der Langlebigkeit von Familienunternehmen zu sein. Und jeder Familienunternehmer tut gut daran, sich auf die Werte und die Unternehmenskultur seines Unternehmens und der Familie zu besinnen und diese, wenn es keine solche Praxis im Unternehmen und in der Familie gibt, herauszuarbeiten und dann festzuschreiben. Eine Theorie, die den Einfluss von Familienwerten auf das Unternehmen darlegt, existiert bis heute nicht, sodass es wichtig ist, sich die Einzelfälle in der Praxis anzusehen und somit Grundlagen zu schaffen für die weitere Entwicklung in diesem Forschungsfeld und in praktischer Hinsicht von den Besten zu lernen. Der Satz von Roy Disney: »It’s not hard to make decisions when you know what your values are« zeigt anschaulich, wie sehr unternehmerische Entscheidungen doch auf dem Wertegerüst der Eigentümerfamilie beruhen.
Wie es Peter Mitterbauer von der Miba AG sagt, so kommt es auch von Heinrich Spängler: Die Werte »anständig sein und Maß halten« haben die Eigentümerfamilien in der 195-jährigen Geschichte des Unternehmens Bankhaus Spängler seit jeher gepflegt und diese traditionellen Werte werden hochgehalten, auch von der jungen Generation. So sind bei Spängler, die älteste Privatbank Österreichs, fünf Mitglieder der Aktionärsfamilien operativ tätig, das Management ist zu 2/3 familienfremd, der Aufsichtsrat gemischt von Eigentümervertretern und Experten. Leitsätze mit Wertvorstellungen prägen die Kommunikation des Unternehmens innen wie nach außen.
Das Beispiel des Bankhaus Spängler passt deshalb so gut, weil das Bankhaus und die Familie Spängler besonders dezidiert die traditionellen Werte als Grundlage ihres unternehmerischen Handelns verstehen. Von daher ist dem Aufsichtsratsvorsitzenden Heinrich Spängler auch der Satz seines Vorgängers, des legendären Salzburger Kommerzialrats Dr. Heinrich Wiesmüller, besonders wichtig, den er ihm auf den Weg mitgegeben hat, als sie 1996 die traditionsreiche Privatbank in eine Aktiengesellschaft umwandelten: »Vergesst den Anstand nicht!«.
Heinrich Wiesmüller, einer der führenden Köpfe der Salzburger Festspiele, ist mit Hanni Spängler verheiratet, eine Ur-Urenkelin des Gründers der Bank Johann Alois Duregger, der neben seinem Transport- und Handelsunternehmen in Salzburg seine Geschäftstätigkeit 1828 mit einer Bank ausgeweitet hatte. 1855 heiratete seine Tochter Carl Spängler und so wurde daraus das Bankhaus Spängler. Die Familie Spängler führt das Bankhaus seither in 6. und 7. Generation, heute vertreten durch den langjährigen und auch im Kulturleben Salzburgs und Österreichs höchst aktiven Heinrich Spängler als Aufsichtsratsvorsitzendem. Ferner vertreten duch Mag. Franz Welt im Vorstand, den Generalbevollmächtigten Carl Phillip Spängler, Theresa Wackerbarth-Spängler und Dr. Maria Wiesmüller im Aufsichtsrat und Mag. Markus Wiesmüller im Family Office.