Fantastische Aussichten: Fantasy & Science Fiction bei Knaur #11 - Lina Frisch - kostenlos E-Book

Fantastische Aussichten: Fantasy & Science Fiction bei Knaur #11 E-Book

Lina Frisch

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Beschreibung

Bist du bereit für eine aufregende Reise in fremde Welten? Bist du bereit, dich von fantastischen Geschichten verzaubern zu lassen? Dann ist diese Leseproben-Sammlung genau das Richtige für dich!  Begleite die 19-jährige Hellea, genannt Hell, auf ihrer Reise in die urtümlichen Wälder Schwedens, aus denen sie nicht als diejenige zurückkehren wird, die sie zuvor gewesen ist. Denn plötzlich wird sie von unerklärlichen Fieberschüben heimgesucht, und bald muss Hell erfahren, dass das, was sie bislang als Wutanfälle und zuletzt als Fieber wahrgenommen hat, eine uralte Kraft ist, die das Schicksal der Welt und insbesondere der Frauen in Hells Hände legt. Tauche ein in ein magisches, in den glamourösen 20er-Jahren erstarrtes Berlin, bewohnt von vielgestaltigen Feen-Wesen. In der »Spiegelstadt«, dem neuen Urban-Fantasy-Roman von Christian Handel und Andreas Suchanek, entfaltet sich eine andere Wirklichkeit, die in den Schatten unserer Welt existiert. Auf einer wilden Party begegnet Max dem ebenso attraktiven wie geheimnisvollen Lenyo – und gerät damit mitten hinein in einen blutigen Konflikt um die Herrschaft in der Feen-Welt. Keiner von ihnen ahnt, dass sie schon bald zum Spielball einer gefährlichen Macht werden, die die Barriere zwischen den Welten bedroht …  Manuel Schmitt, auf YouTube aktiv als SgtRumpel, nimmt dich in seinem Roman »Godmode. Der Videospiel-Prophet« mit auf eine fantastische Reise durch die Welt der Videospiele: Neil Desmond, bekannt als eSport-Legende Orkus666, verflucht die Welt nach einem desaströsen Match gegen seine Erzrivalin KiraNightingale – und erwacht am nächsten Morgen er in einer Welt, in der Computer lediglich zur Datenverarbeitung verwendet werden und es Videogames niemals gegeben hat. Der ehemals berühmte Orkus666 arbeitet nun als Putzmann bei einem großen IT-Unternehmen. Neil beschließt, den ihm bekannten Status Quo in Sachen Gaming wiederherzustellen. Und ausgerechnet seine Erzrivalin könnte dabei der Schlüssel zum Erfolg sein.  Diese und weitere fantastische Geschichten von den Autor:innen Asta Müller, Fonda Lee und Boris Koch findest du in der Leseproben-Sammlung zu den Fantasy-Titeln des Knaur Verlages. Das kostenlose eBook enthält Leseproben zu: - Lina Frisch, »We Will Give You Hell« - Asta Müller, »Kairra. Geschenk der Götter« - Fonda Lee, »Jade City. Familie ist Pflicht« - Boris Koch, »Moorläufer. Im Reich des letzten Drachen« - Andreas Suchanek & Christian Handel, »Spiegelstadt. Tränen aus Gold und Silber« - Manuel Schmitt, »Godmode. Der Videospiel-Prophet«

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Lina Frisch / Asta Müller / Fonda Lee / Boris Koch / Andreas Suchanek / Christian Handel / Manuel Schmitt

Fantastische Aussichten: Fantasy & Science Fiction bei Knaur

Ausgewählte Leseproben von Manuel Schmitt, Fonda Lee u.v.m.

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Bist du bereit für eine aufregende Reise in fremde Welten? Bist du bereit, dich von fantastischen Geschichten verzaubern zu lassen? Dann ist diese Leseproben-Sammlung genau das Richtige für dich! 

Begleite die 19-jährige Hellea, genannt Hell, auf ihrer Reise in die urtümlichen Wälder Schwedens, aus denen sie nicht als diejenige zurückkehren wird, die sie zuvor gewesen ist. Denn plötzlich wird sie von unerklärlichen Fieberschüben heimgesucht, und bald muss Hell erfahren, dass das, was sie bislang als Wutanfälle und zuletzt als Fieber wahrgenommen hat, eine uralte Kraft ist, die das Schicksal der Welt und insbesondere der Frauen in Hells Hände legt.

Tauche ein in ein magisches, in den glamourösen 20er-Jahren erstarrtes Berlin, bewohnt von vielgestaltigen Feenwesen. In der Spiegelstadt, dem neuen Urban-Fantasy-Roman von Christian Handel und Andreas Suchanek, entfaltet sich eine andere Wirklichkeit, die in den Schatten unserer Welt existiert. Auf einer wilden Party begegnet Max dem ebenso attraktiven wie geheimnisvollen Lenyo – und gerät damit mitten hinein in einen blutigen Konflikt um die Herrschaft in der Feenwelt. Keiner von ihnen ahnt, dass sie schon bald zum Spielball einer gefährlichen Macht werden, die die Barriere zwischen den Welten bedroht …

Manuel Schmitt, auf YouTube aktiv als SgtRumpel, nimmt dich in seinem Roman Godmode – Der Videospiel-Prophet mit auf eine fantastische Reise durch die Welt der Videospiele: Neil Desmond, bekannt als E-Sport-Legende Orkus666, verflucht die Welt nach einem desaströsen Match gegen seine Erzrivalin KiraNightingale – und erwacht am nächsten Morgen in einer Welt, in der Computer lediglich zur Datenverarbeitung verwendet werden und es Videogames niemals gegeben hat. Der ehemals berühmte Orkus666 arbeitet nun als Putzmann bei einem großen IT-Unternehmen. Neil beschließt, den ihm bekannten Status quo in Sachen Gaming wiederherzustellen. Und ausgerechnet seine Erzrivalin könnte dabei der Schlüssel zum Erfolg sein.

Diese und weitere fantastische Geschichten von den Autor:innen Asta Müller, Fonda Lee und Boris Koch findest du in den Vorab-Leseproben zu den Fantasy-Titeln des Knaur-Verlages, die im Frühjahr und Sommer 2023 erscheinen.

Inhaltsübersicht

Vorwort

Lina Frisch – We Will Give You Hell

Asta Müller – Kairra – Geschenk der Götter

Fonda Lee – Jade City – Familie ist Pflicht

Boris Koch – Moorläufer – Im Reich des letzten Drachen

Andreas Suchanek & Christian Handel – Spiegelstadt – Tränen aus Gold und Silber

Manuel Schmitt – Godmode – Der Videospiel-Prophet

Vorwort

Liebe Leser*innen,

 

das Knaur-Fantasy-Programm möchte euch im Frühjahr 2023 wieder mitnehmen auf fantastische Reisen! Unsere Leseproben entführen euch in ein Universum, in dem Videospiele neu erfunden werden, in die Welt alter Magie und Alchemie, auf eine Zeitreise in die 1920er und an viele weitere atemberaubende Orte. Begleitet unsere Held*innen bei der Erkundung neuer Welten, der Rettung geliebter Menschen und im Kung-Fu-Kampf. Streift mit den Abenteurer*innen durch dunkle Moore, stille Wälder, heiße Wüsten und leuchtende Städte – aber nehmt euch in Acht vor den Schatten. Denn wer weiß, was im Verborgenen lauert …

Wir wünschen euch viel Spaß beim Stöbern und eine fantastische Zeit mit all den neuen Charakteren!

 

Herzlich

euer Droemer-Knaur-Team

 

PS: Wenn ihr kein fantastisches Abenteuer mehr verpassen wollt, findet ihr uns auch bei Instagram. Auf @knaurfantasy teilen wir alle Neuigkeiten rund um unser Fantasy- und Science-Fiction-Programm mit euch.

Lina Frisch

We Will Give You Hell

 

Über dieses Buch:

Es sollte der Sommer ihres Lebens werden: In Schweden wollen die 19-jährige Hellea, genannt Hell, und ihre Freunde vier Wochen lang die urtümlichen Wälder und das malerische Stockholm erkunden. Doch bald wird Hell von unerklärlichen Fieberschüben heimgesucht. Nach einem Anfall nahe einem alten Wikingergrab lernt Hell die mysteriöse Astryd kennen, die ihr eine schier unglaubliche Geschichte erzählt: Was Hell bislang als Wutanfälle und zuletzt als Fieber wahrgenommen hat, ist eine uralte Kraft, die das Schicksal der Welt und insbesondere der Frauen in Hells Hände legt.

Kapitel 1
Samstag, Danach

Salziger Wind schlägt mir ins Gesicht. Ich richte den Blick nach unten auf die Schaumkronen im schmutzig grauen Wasser. Sie bilden eine aufgewühlte Linie. In ein paar Atemzügen wird keine Spur mehr von dem Schnitt zu sehen sein, der das Meer für kurze Zeit in zwei Hälften geteilt hat. Davor und Danach, untrennbar verwoben.

»Hell!« Der Ruf kämpft sich durch das Pfeifen des Windes.

»Fuck«, zische ich und wische mir mit dem Handrücken über die rot geweinten Augen. Dass sie rot sind, weiß ich. Sie waren es jedes Mal, wenn ich in den letzten vierundzwanzig Stunden in einen Spiegel gesehen habe. »Hell, wehe, du haust ab!«

Wohin denn? Ich werfe einen letzten Blick hinaus aufs Meer, dann drehe ich mich mit dem Rücken zur Reling und breite die Arme aus. »Wir sind auf einem gottverdammten Schiff, Matti.«

Mein bester Freund kommt so knapp vor mir zum Stehen, dass er beinahe gegen mich geprallt wäre. Der Boden unter unseren Füßen ist glitschig von dem salzigen Sprühnebel, der sich auf die Oberflächen legt, als wollte das Meer uns zeigen, dass wir hier draußen ihm gehören.

»Ich bin so froh, dass es dir gut geht!« Gut ist ein dehnbarer Begriff. »Coco und Tom suchen gerade das Auto-Deck ab. Yasin konnte Alice gerade noch so davon abhalten, der Crew Bescheid zu sagen. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht!«

»Mir war nicht danach, gefunden zu werden.« Der Wind bläht meine Jeansjacke auf und ich schlinge sie mit verschränkten Armen enger um meinen Körper. Lass gut sein, Matti. Aber das wird er nicht. Nicht, bis ich über das geredet habe, was gestern passiert ist – dabei ist Reden das Letzte, was ich im Augenblick will.

»Wie wäre es, wenn wir reingehen?« Die blonden Härchen auf Mattis nackten Unterarmen stellen sich auf. Obwohl wir Juli haben, ist es kühl hier draußen an Deck, aber das war zu erwarten. Die Ostsee ist eben nicht die Karibik.

»Geh du«, sage ich und drehe mich wieder zum Meer. Am Horizont ist die Küste Schleswig-Holsteins noch erkennbar, ein grauer, schmaler Streifen, auf dem mein Davor zurückgeblieben ist. Anders als das Meer, werde ich nie wieder zusammenwachsen.

Matti lehnt sich neben mir gegen die Reling.

»Wir können auch hier draußen bleiben, wenn du möchtest.« Er starrt hinunter auf das graue Wasser. »Es ist nicht deine Schuld, Hell. Das weißt du, oder?«

Meine Hand tastet nach dem silbernen Amulett, das an seiner Kette warm um meinen Hals liegt.

»Klar. Weiß ich.« Matti sieht mich von der Seite an.

»Du kannst nicht lügen. Konntest du noch nie.«

»Was willst du denn von mir hören?«, fauche ich. »Dass es mir nichts ausmacht?«

»Niemand verlangt …« Ich hebe die Hand und Matti verstummt mit hilflos zusammengepressten Lippen.

»Ich kann deine Pseudo-Psychologenscheiße gerade echt nicht gebrauchen.« Ich starre auf den Horizont, bis ich höre, wie seine Schritte sich entfernen.

Super gemacht, Hell. Ich wollte nicht auch noch Matti verletzen. Aber der Druck in meiner Brust und die Hitze in meinem Bauch haben mir keine Wahl gelassen. Sie verschwinden immer erst dann, wenn Schuld sich über mich legt wie eine nasskalte Löschdecke.

Ich drehe mich um, aber Matti ist schon die Treppe hinunter- und an der spärlich besuchten Bar vorbeigegangen. Zu weit weg, um eine Entschuldigung zu hören, selbst wenn ich sie brüllen würde. Tränen laufen heiß über meine Wangen. Ich fühle mich falsch. Genau wie früher, wenn ich gesehen habe, wie andere Mädchen ihre Gefühle hinter einem Lächeln verbargen. Ich habe versucht, es ihnen gleichzutun und ein liebes Mädchen zu sein. Stattdessen war ich ein Vulkan.

Stumm sehe ich zu, wie die Tür zum Schiffsinneren hinter meinem besten Freund ins Schloss fällt. Ich wollte noch nie allein sein, wenn ich stattdessen mit Matti hätte sprechen können. Aber in vierundzwanzig Stunden kann sich vieles verändern – oder, in meinem Fall, alles.

Freitag, Davor

Ich trete aus der Kabine und drehe mich um, damit Alice den Reißverschluss meines Jumpsuits vollends hochziehen kann. Im Spiegel über den Waschbecken sehe ich zu, wie das silberne Amulett unter nachtblauer Seide verschwindet. Mein Blick wandert nach oben und bleibt an meinen dunkelrot geschminkten Lippen hängen. Deine Tochter sieht aus, als würde sie auf der Reeperbahn arbeiten, Charlotte. Kurz überlege ich, den Lippenstift wieder abzuwischen, für den Familienfrieden. Aber ich widerstehe dem Drang. Stattdessen lächle ich meinem Spiegelbild zu und wuschele mir einmal durch die kurzen, aschblonden Haare, damit sie extra unordentlich liegen. Heute ist mein Tag, nicht seiner.

»Bereit?« Alice tritt neben mich und zupft die Träger ihres grünen Kleides zurecht.

»Du siehst großartig aus«, sage ich. In Alice’ Zimmer hängt ein lebensgroßes Bild von ihrem Idol Marilyn Monroe, und ich schwöre, dass die beiden Schwestern sein könnten, wenn Alice nicht so dunkle Haare hätte. Sie greift nach ihrer Handtasche, als ihr Handy plingt.

»Na, was will Benjamin?«

Alice wendet sich ab und versperrt mir so den Blick auf den Bildschirm. »Er schafft es nicht«, sagt sie knapp, während ihre Finger in Lichtgeschwindigkeit eine Antwort tippen. »Es gibt Probleme mit einem der neuen Hotels in Spanien und er muss dringend Telefonate führen.« Sie steckt das Handy wieder weg und wirft einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel.

»Mit wem führt Benjamin noch mal eine Beziehung?«, frage ich in gespielter Verwirrung. »Mit dir oder mit der Hotelkette deiner Familie?«

Alice verdreht die Augen. »Papa ist kurz davor, ›Vier Sterne Superior‹ zu bekommen«, sagt sie. »Entweder Ben fehlt oder er.« Ihr Handy plingt ein zweites Mal.

»Lass mich raten: Mr Juniorchef fleht um Verzeihung«, sage ich und nehme einen Schluck aus der Sektflasche, die auf dem Waschbeckenrand steht. »Mit mindestens vier Herz-Emojis und dem Versprechen, dir zur Wiedergutmachung sein Ferienhaus in Saint-Tropez zu schenken.«

Alice nimmt mir die Flasche aus der Hand, die sie selbst bis jetzt noch nicht angerührt hat. »Sei heute Abend ausnahmsweise mal nett zu Benjamin, ja?«

»Ich bin immer nett!« Ein Klopfen unterbricht uns. Ich öffne die Tür der Mädchentoilette, um einem ungeduldig auf die Uhr schauenden Matti gegenüberzustehen. Seine schulterlangen, strohblonden Haare, die ihm normalerweise wirr ins Gesicht fallen, hat er zur Feier des Tages ordentlich zurückgekämmt.

»Wir haben noch fünf Minuten. Also ihr habt noch fünf Minuten, ich sollte eigentlich schon längst in der Aula sein.«

»Was hält dich dann noch hier, Herr Jahrgangssprecher?«, frage ich. »Wolltest du unsere überirdische Schönheit als Erster bewundern?« Ich beginne, Singular Sensation zu summen und mich im Rhythmus des berühmten Las-Vegas-Showsongs einmal um mich selbst zu drehen.

»Bescheiden wie immer, Hell«, erwidert Matti trocken. »Ich wollte nur wissen, warum die Hälfte meiner Freunde riskiert, ihre eigene Abiverleihung zu verpassen.«

»Wer ist denn noch spät dran?«, frage ich verwundert. Coco ist schusselig, aber der überkorrekte Tom würde niemals zulassen, dass seine Freundin ausgerechnet heute die Zeit vergisst.

»Yasin«, erwidert Matti. »Er ist nirgendwo zu finden und ich mache mir langsam Sorgen. Er hat die Karteikarten für meine Rede.« Matti fährt sich gestresst durch die Haare, die prompt wieder in alle Richtungen abstehen.

»Typisch«, sage ich und lache bitter. »Wenn du ihn einmal brauchst …«

Alice schiebt mich zur Seite und legt Matti die Hände auf die Schultern. »Du kannst deine Rede doch eh auswendig. Und wir«, sagt sie und dreht ihn in Richtung der Aula, »können uns sehr gut um uns selbst kümmern.« Matti wirft einen Blick auf die halb leere Sektflasche, die in einem nicht ganz ungefährlichen Winkel auf dem Waschbeckenrand balanciert.

»Das sehe ich. Aber ich habe euch nicht gesucht, um sicherzustellen, dass ihr nüchtern auf der Bühne erscheint.«

»Gut so.« Ich sehe ihn todernst an. »Dann wäre deine Mission nämlich leider gescheitert.« Matti erwidert meinen Blick, aber seine Mundwinkel zucken nicht.

»Ich wollte dir sagen, dass Bernd und deine Mutter mit den Zwillingen da sind, Hell.« Auf einen Schlag verschwindet die sektinduzierte Wärme in meinem Bauch. »Sie sitzen in der dritten Reihe links.« Ich nicke, doch Matti rührt sich nicht von der Stelle. »Ich wollte mich davon überzeugen, dass du froh bist, sie zu sehen.«

»Habe ich eine Wahl?« Mein Lachen klingt eine Spur zu hoch, um echt zu wirken.

»Ja«, sagt Matti. »Ich gehe jetzt runter und schicke Bernd nach Hause, wenn du das willst.«

»Es war ein Streit wie jeder andere«, beruhige ich ihn. Dabei ist das nicht wahr. Unseren letzten Streit habe ausnahmsweise nicht ich angefangen. »Geh, Matti.«

»Bist du dir sicher?« Ich nicke. Nach einem letzten besorgten Blick dreht er sich um und eilt den Gang hinunter. Ich greife nach meiner Tasche, doch Alice hält mich am Handgelenk fest.

»Das mit Berlin sagst du Bernd aber im Restaurant, nicht zu Hause, ja?« Ihre grünen Augen sehen mich eindringlich an – eindringlich und beunruhigt, genau wie vor drei Tagen am Elbstrand. »Ich meine es ernst. Du sagst es ihm nicht, wenn du mit ihm alleine bist.«

»Zum hundertsten Mal, Al, es ist nichts passiert!« Meine Stimme klingt schärfer als beabsichtigt.

»Wenn du das sagst.« Alice sieht mich prüfend von der Seite an. Doch bevor sie fragen kann, warum ich die letzten beiden Nächte auf einer Isomatte neben ihrem Bett verbracht habe, wenn doch nichts passiert ist, ziehe ich sie den Gang hinunter.

Samstag, Danach

Das Meer unter mir ist nicht mehr grau, sondern tintenschwarz. Ich sehe zu, wie die Lichter der Fähre auf den schwachen Wellen tanzen. Wäre alles anders gelaufen, wenn ich einfach lächelnd mein Zeugnis entgegengenommen hätte, als Lea Curtens aufgerufen wurde? Wenn ich nicht einen meiner Anfälle gehabt hätte, diesmal mitten auf einer Bühne? Hätte Bernd das Geheimnis meiner Mutter weiter gehütet, wenn ich nicht schon wieder übertrieben hätte?

Enge schnürt mir die Brust zu, während Worte meinen Kopf bis zum Platzen füllen.

Wenn dein Vater enttäuscht von jemandem wäre, dann von dir, Hellea. Und zu Recht! Ich habe das, was darauf folgte, für eine Lüge gehalten. Den Preis dafür, dass ich mich als Einzige gegen ihn auflehne. Aber ich bin nicht das Opfer, für das ich mich immer gehalten habe. Ich bin das, was er mir schon seit Jahren vorwirft. Egoistisch. Irrational. Böse.

Auf einmal fühle ich mich durchsichtig, als hätte jeder gewusst, was mit mir los ist, außer mir. Als wäre nur noch so wenig von mir übrig, dass mich der nächste Windstoß mühelos von Bord fegen wird. Ich sehe hinaus auf die Wellen. Wie schnell ein Kopf in ihnen verloren gehen würde, selbst ein blonder … Schritte erklingen hinter mir und kommen zögerlich zum Stehen.

»Du wirst hier draußen noch erfrieren.« Ich drehe mich um. Alice trägt ihre gelbe Öljacke, die wir letzten Herbst zusammen in Amsterdam gekauft haben. Erst als sie die Kapuze zurechtzieht, merke ich, dass es regnet.

»Bereust du mittlerweile, dich gegen Südfrankreich entschieden zu haben?«, frage ich im verzweifelten Versuch, einen Witz zu machen. Ich weiß ganz genau, warum Alice in letzter Sekunde den Urlaub mit Benjamin abgesagt hat, um mit nach Schweden zu kommen. Meinetwegen. Dabei verdiene ich weder ihr Mitleid noch ihre Freundschaft. Egoistisch. Irrational. Böse. Wer hätte gedacht, dass Bernd all die Jahre lang recht hatte?

»Du kannst nicht die ganze Nacht hier an Deck verbringen, Hell.« Ich kann einiges, was man mir nicht zugetraut hätte. Wortlos drehe ich mich zurück zum alles verschlingenden Meer. Wenn ich nie durch die Tür von Vincenzos Osteria gegangen wäre … Wenn ich nicht von Berlin angefangen hätte … Wenn ich mich an dem kalten Novembermorgen vor vierzehn Jahren verdammt noch mal unter Kontrolle gehabt hätte …

Freitag, Davor

»Wo bleibt denn Matti?«, fragt Alice und reckt den Hals. Ich lehne mich gegen die grün lackierte Beifahrertür von Mattis altem Ford Granada, den wir nach seinem zweiten Motorschaden mit liebevoller Ironie Granate getauft haben, und ignoriere die Nachricht von Ma, in der sie mich bittet, pünktlich im Restaurant zu sein. Was würde ich darum geben, dieses Mittagessen und das mit ihm verbundene Geständnis einfach ausfallen zu lassen …

»Gerade hat er noch vor der Aula mit Herrn Konerwa gesprochen«, sage ich und stecke mein Handy zu meinem Abizeugnis in die Tasche, als mir eine herbe Aftershave-Wolke den Atem verschlägt.

»Haben deine Eltern dich nach deinem Auftritt gerade etwa hier sitzen lassen?« Yasin zündet sich eine Zigarette an – Pueblo Rojo, die abartigste Marke von allen – und grinst mich an.

»Mein Stiefvater hatte keine Lust auf den Sektempfang«, sage ich, mit Betonung auf Stief. »Sie sind vorgefahren.« Ich spüre Alice’ Hand auf meiner Schulter.

»Mach dir bloß keine Vorwürfe …«, beginnt sie.

»Echt mal, Konerwa einfach so das Mikro aus der Hand zu nehmen war badass.« Yasin nickt mir anerkennend zu. »Ich verstehe eh nicht, warum deine Eltern deinen Namen im Programm geändert haben.« Nicht meine Eltern, denke ich bitter. Bernd. Bernd hat meinen Namen ändern lassen. Weil Lea so viel normaler klingt als mein richtiger Name, den mein richtiger Vater mir gegeben hat. So viel unauffälliger. Bloß bin ich nicht Lea. Dieselbe Hitze ballt sich in meinem Bauch zusammen, die mich dazu gebracht hat, meinem Schuldirektor das Mikrofon aus der Hand zu reißen und die Sache richtigzustellen. Ich taste nach dem Amulett, das wie jeden Tag um meinen Hals liegt. Während ich die seltsame Form der nach unten geöffneten Acht nachfahre, beruhigt sich mein Herzschlag. Mein Vater – der Mann mit den blitzenden Augen und dem schiefen Lächeln, an das ich mich immer weniger erinnern kann – wäre stolz auf mich. Das ist alles, was zählt.

»Hey!«, höre ich Alice rufen. »Deine Rede war der Hammer!« Ich blicke auf. Matti kommt durch das Schultor auf uns zu. Alice fliegt ihm entgegen, und er fängt sie lachend auf, bevor er sie einmal herumwirbelt.

»Man hat mir also nicht angesehen, dass ich da oben vor Angst fast gestorben wäre?«, fragt er und lockert seine Krawatte, bevor er mich umarmt.

»Quatsch«, sage ich, als er mich losgelassen hat.

Yasin tritt seine Zigarette aus und hält Matti die Hand zum Einschlagen hin. »Du kannst mich doch bestimmt rumfahren.« Keine Frage, sondern eine Feststellung.

»Klar, mache ich.« Matti schließt die Fahrertür auf und bemerkt meinen Blick. »Wenn ich die Sternschanze umfahre, sind wir ganz sicher noch rechtzeitig bei Vincenzo.« Aber es geht mir nicht darum, ob wir pünktlich im Restaurant auftauchen oder nicht.

»Was war denn heute Morgen so wichtig, dass du vergessen hast, an Mattis Karteikarten zu denken?«, frage ich Yasin, als wir im Wagen sitzen und Granate ruckelnd anfährt.

Er zuckt mit den Schultern. »Ich bin zu spät aufgestanden.«

»Es gibt eine großartige Erfindung«, sage ich hart. »Sie nennt sich Wecker.«

»Komm schon, Hell«, stöhnt Yasin. »Die Rede ist doch gut gelaufen!«

Ich schüttle den Kopf. »Darum geht es nicht.«

»Ach nein?« Yasin lehnt sich zurück und zündet sich eine neue Zigarette an, obwohl er weiß, wie sehr Matti Rauchgeruch in seinem Auto hasst. Manchmal frage ich mich wirklich, warum Matti überhaupt mit Yasin befreundet ist.

»Nein!« Wütend kurbele ich mein Fester herunter und lasse den Lärm von Hamburgs Straßen hinein. »Du hast Matti im Stich gelassen!«

»Es waren doch nur Karteikarten«, sagt Yasin mit einer Gleichgültigkeit, die mir die Sprache verschlägt. Matti legt mir beschwichtigend eine Hand aufs Knie.

»Vielleicht waren es für dich nur Karteikarten«, sage ich betont ruhig. »Aber für Matti waren sie wichtig.« Mein bester Freund wirft mir einen Blick zu, und ich weiß, dass er mich versteht, obwohl ich wie immer nicht in Worte fassen kann, was ich eigentlich sagen will. Ich kann nicht zulassen, dass du jemals wieder verletzt wirst.

»Okay, ich gebe auf«, sagt Yasin auf dem Rücksitz und hebt die Hände. »Bevor Hell wieder versucht, mir die Nase zu brechen.« Alice’ Lachen fühlt sich an wie ein Betrug. Als würde sie sich nicht an all die Witze auf Mattis Kosten, seinen jeden Morgen wieder auf den Gang gestellten Stuhl und die verschwundenen Hefte erinnern. Aber das ist kein Wunder, schließlich erinnert Matti sich ja selbst nicht.

»Sorry, Hell, aber das war einfach zu göttlich damals«, keucht Alice, als sie wieder Luft bekommt. »Wie du …«

»Jaja, wie ich mir die Hand verstaucht habe. Saukomisch.« Ich werfe Yasin einen vernichtenden Blick zu, der sein selbstgefälliges Grinsen nur noch breiter werden lässt. Und mit diesem Arsch soll ich es vier Wochen in Schweden aushalten …

»Da vorne links kannst du halten«, unterbricht Yasin meine Fantasie, in der ich ihn mitsamt seiner ekelhaften Zigaretten in einen eiskalten schwedischen See schubse. Nachdem er ausgestiegen ist, sieht Matti mich an.

»Wir müssen nicht zu Vincenzo fahren.«

Die Realität dessen, was mich gleich erwartet, schlägt mir ins Gesicht wie ein kalter Wind.

»Doch«, sage ich und taste nach dem Brief aus Berlin, der zusammengefaltet neben meinem Zeugnis in meiner Tasche steckt. »Gib Gas. Je schneller wir da sind, desto schneller habe ich es hinter mir.«

***

Exakt vier Minuten zu spät betreten Matti, Alice und ich den Gastraum unseres Lieblingsrestaurants.

»Ciao, ragazzi!« Vincenzo umarmt uns der Reihe nach. »Großer Tag heute, meine Freunde, eh?«

Karl und Kilian laufen uns entgegen und überreichen mir stolz einen kleinen Strauß weißer Lilien. Meine Lieblingsblumen. Ich nehme die Zwillinge in den Arm, wie wir es tun, seit sie stehen können – Karl links, Kilian rechts. Kurz schließe ich die Augen und atme den Duft ihrer kleinen Köpfe ein. Meine Halbbrüder sind das Einzige, was ich vermissen werde, wenn ich nach dem Sommer nach Berlin ziehe. Aber selbst sie könnten mich nicht davon abhalten, zu gehen.

Egoistisch. Ich schüttle den Kopf, als hätte ich Wasser im Ohr und nicht die Stimme, die sich seit Jahren beständig in mein Gehirn brennt wie ein kokelndes Streichholz. Irrational. Böse.

Am Tisch begrüße ich Mattis Eltern, Anna und Simon Lundqvist, und seine ältere Schwester Ida und versuche, die angespannten Mienen meiner besten Freunde zu ignorieren.

»Wann kommen deine Eltern, meine Liebe?«, wendet sich Mattis Mutter an Alice, die neben Bernd sitzt und jetzt rot anläuft.

»Oh, sie … sie kommen nicht. Zu viel zu tun im Hotel.« Alice faltet verlegen die Hände in ihrem Schoß. Ihre Eltern würden niemals einen Fuß in ein Restaurant wie dieses setzen – selbst nicht, um das Abitur ihrer Tochter zu feiern. Vincenzo rettet Alice mit den Karten und einer großen Antipastiplatte aus ihrer Erklärungsnot.

»Hat weder pesce noch prosciutto gesehen, keine Sorge, Signorina«, sagt er an mich gewandt. Ich lächle ihm dankbar zu und lasse mir von Anna Lundqvist einen Teller reichen.

»Habt ihr euch mittlerweile entschieden, ob ihr die Fähre nehmt oder über Dänemark fahrt?«, fragt Ma. Ein Friedensangebot.

»Wir nehmen die Fähre«, sage ich. Morgen Abend werden Matti, Yasin, Coco, Tom und ich mit zwei Autos von Kiel nach Göteborg übersetzen, Mattis klapprigem Ford Granada und Cocos Fiat.

»Sie geht über Nacht, sodass wir keinen Reisetag verschwenden«, erklärt Matti. »Und da wir die billigsten Kabinen gebucht haben, gibt das Budget die Überfahrt gerade noch her.«

»Ich beneide euch so!« Mattis Schwester seufzt. »Der Wald, die Stille und dieser unvergleichliche Geruch nach Sommer.« Ida schließt die Augen, und ich versuche, ihre Begeisterung nachzuvollziehen in der Hoffnung, dass ein bisschen davon auf mich abfärbt. Aber es hilft nicht, genauso wenig wie die paradiesischen Bilder von eisblauen Seen inmitten von hohen Nadelwäldern, die Matti mir ständig zeigt, um mir den Wander-Part unserer Reise schmackhaft zu machen. Es sind nur vier Tage, mache ich mir Mut. Vier Tage Wildnis und dann erkunden wir Stockholm. Ich kann es kaum erwarten, durch die berühmte Altstadt Gamla Stan zu streifen, auf denselben Wegen, die mein Vater damals gegangen ist.

»Nehmt auf jeden Fall genug Sonnencreme mit«, rät Ida. »Die mittelmäßigen Temperaturen bedeuten nicht, dass ihr euch nicht verbrennen könnt.«

»Und wählt die Wanderabschnitte nicht zu lang«, fügt Mattis Vater hinzu.

»Ich halte Wandern ja für ein ausgesprochen sinnvolles Hobby«, wendet Bernd sich an Simon Lundqvist. »Die gesunde Luft, die Bewegung.«

Heuchler. Ich richte die Stola, die Alice mir gestern noch genäht hat, um die blauen Flecken auf meinem Oberarm zu verstecken. Dann stopfe ich mir ein ganzes Artischockenherz in den Mund, bevor ich Bernd fragen kann, warum er mir die Reise mit allen Mitteln verbieten wollte, wenn Wandern doch so ein sinnvolles Hobby ist.

»Sind Sie selbst oft unterwegs gewesen, als Sie noch in Schweden wohnten?«, fragt er weiter.

»Allerdings«, bestätigt Mattis Vater mit leuchtenden Augen. »Der Sörmlandsleden war unser beliebtestes Ausflugsziel. Ein wenig touristisch zwar, aber dafür sicher und ganz in der Nähe von Stockholm.«

Während die Familie Lundqvist über Schutzhütten und den Stellenwert gut eingelaufener Wanderschuhe zu fachsimpeln beginnt, lehne ich mich zu Alice.

»Blinzle zwei Mal, wenn du doch mitwillst.« Sie schüttelt lächelnd den Kopf. »Im Ernst! Matti und ich holen dich mit Granate ab. Bis deine Eltern merken, dass du weg bist, sind wir schon längst auf der Fähre! Ich könnte eine weitere Wanderanfängerin wirklich gut gebrauchen.«

Alice spießt eine Olive mit ihrer Gabel auf. »Benjamin freut sich so sehr auf Frankreich. Es ist unser letzter gemeinsamer Urlaub, bevor ich auf die Hotelakademie gehe.« Sie knufft mich in die Seite. »Und außerdem sehe ich von dir bald sowieso mehr als genug, Roomie.«

Ich grinse. Es ist genau eine Woche her, dass Matti, Alice und ich den Vertrag für die kleine Wohnung in Berlin-Neukölln unterschrieben haben. Das Badezimmer ist so schmal, dass keine zwei Leute aneinander vorbeigehen können, und zwei der drei Schlafzimmer blicken auf eine sechsspurige Hauptstraße. Aber mir erscheint unser neues Reich wie das Paradies auf Erden. Ich ziehe den Brief aus meiner Handtasche, in dem mir die nette Koordinatorin meine Ausbildungsstelle offiziell bestätigt. Alles, was ich mit jeder Faser meines Körpers will, liegt nur noch einen Funken Mut von mir entfernt.

»Signorina Hell?«

»Ich, äh …« Ich schiebe den Brief unter meinen Oberschenkel und werfe einen hastigen Blick in die Karte. »Penne all’arrabbiata und eine Apfelschorle, bitte.« Vincenzo nickt.

Als das Essen kommt, stochere ich in meinen Nudeln herum und versuche, mich auf das Gespräch zu konzentrieren, doch meine Gedanken schweifen immer wieder ab. Ich muss einfach ruhig bleiben. Ruhig und sachlich erzählen, dass ich nicht studieren werde. Dass ich nicht in Hamburg bleiben werde. Und dass nichts und niemand diese Entscheidung ändern wird.

»Kilian!« Bernd wirft meinem kleinen Bruder, der beschlossen hat, seine Spaghetti mit den Fingern zu essen, einen strengen Blick zu.

»Die flutschen immer von der Gabel!«, rechtfertigt er sich. Ich greife hastig nach meiner Serviette und wische ihm die Hände sauber.

»Du willst doch nicht, dass Bernd dir Fernsehverbot gibt, oder?«, flüstere ich ihm zu.

»Macht Papa eh nicht«, kräht Kilian. Ich presse die Lippen zusammen. Unter normalen Umständen hätte Kilian recht, die Zwillinge können sich eine Menge erlauben. Aber ich habe heute mit meinem kleinen Stunt bei der Abiverleihung schon für genug Aufmerksamkeit gesorgt. Und wenn Bernd eins nicht leiden kann, dann, wenn jemand von uns ungewollt Aufmerksamkeit auf sich zieht.

»Wie wäre es, wenn wir aus Spaghetti coole Mininudeln machen?«, frage ich. Kilian nickt, und ich schneide ihm die Spaghetti klein, bis er sie problemlos mit dem Löffel essen kann.

»Wie lange bist du noch mal in Schweden, Hell?« Karl, der das Kinn voller Tomatensoße hat, sieht mit seinen hellblauen Augen fragend zu mir auf, und mein Herz ist kurz davor, zu brechen.

»Nur vier Wochen«, sage ich und wuschle ihm durch die blonden Haare. Ich werde meine Brüder besuchen kommen. Wer weiß, vielleicht wird das Verhältnis zwischen Bernd und mir ja entspannter, wenn wir uns nicht mehr jeden Tag sehen und er den initialen Schock über meine Entscheidung, einmal nicht nach seiner Pfeife zu tanzen, verdaut hat. Ich könnte einen Teil meiner Urlaubstage in Hamburg verbringen – den Geburtstag der Zwillinge, Weihnachten …

»Wir haben gehört, dass Matti an der Humboldt-Universität angenommen wurde«, sagt Ma. »Psychologie, richtig?« Matti nickt und mein Mund wird mit einem Mal staubtrocken.

»Wir sind sehr stolz«, sagt Simon Lundqvist und wirft seinem Sohn einen liebevollen Blick zu. »Obwohl es hart sein wird, das letzte Kind gehen zu lassen.« Er deutet lächelnd auf Karl und Kilian. »Wenigstens haben Sie ja noch die Zwillinge.«

Fuck, fuck, fuck …

»Oh, Hell wird weiter zu Hause wohnen«, erklärt Ma. »Die wirtschaftliche Fakultät ist ja nicht so weit weg von uns, sie braucht keine Wohnung in der Innenstadt.«

»Wirtschaft?« Anna Lundqvist wirft mir einen erstaunten Blick zu.

Dann ist jetzt wohl der Moment. Ich hole tief Luft.

»Tja, wer hätte das gedacht, nach der Krise in der Zehnten«, wirft Bernd ein, bevor ich etwas sagen kann. Er breitet die Arme über die Stuhllehnen seiner Nachbarinnen aus, ohne zu merken, dass sowohl Ma als auch Alice sich versteifen. »Aber dann hat Lea sich ja zum Glück wieder gefangen. Es wäre eine Schande gewesen, so viel Potenzial an eine x-beliebige Ausbildung zu verschwenden. Sie ist an der Uni bedeutend besser aufgehoben und schließlich kommt sie ja auch aus einem Akademikerhaushalt.« Das reicht.

»Ich heiße Hellea.« Unter dem Tisch krallen sich meine Finger fest um die Zusage in Berlin. »Und ich habe meine Bewerbung an der Uni schon längst zurückgezogen.« Meine Mutter lässt klirrend ihre Gabel fallen, was ihr einen strafenden Blick von Bernd einbringt. »Weil ich nach Berlin gehe. Mit Matti und Alice.« Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus.

Jetzt ist es raus.

»Um was zu machen?« Bernds Stimme ist wie immer am Anfang noch ruhig, gefasst. Aber er umklammert Mas Stuhllehne so sehr, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. Ich denke daran, wie er mich festgehalten hat, als ich aus der Haustür stürmen wollte, und jedes Triumphgefühl verschwindet aus meinem Inneren. Aber ich kann jetzt nicht aufgeben.

»Eine Ausbildung zur Pflegefachkraft. Ich habe schon die Zusage.« Der Brief, den ich auf den Tisch lege, ist ganz zerknittert.

»Das kommt nicht infrage.« Bernd schüttelt den Kopf. »Du wirst nicht einfach so aus einer albernen Laune heraus deine Zukunft wegwerfen.«

»Wir hatten eine Absprache«, sage ich, bevor mein Stiefvater weiterreden kann. »Ich mache mein Abitur, dafür haltet ihr euch aus meiner Berufswahl heraus. Und die Ausbildung ist keine Laune. Ich wollte das schon vor drei Jahren. Tante Emmi hält es für eine gute Idee.«

»Weil deine Großtante senil ist!« Jetzt erhebt Bernd seine Stimme, doch Ma legt ihm beruhigend eine Hand auf den Arm.

»Ich verstehe ja, dass du Menschen helfen willst. Aber warum studierst du dann nicht Medizin? Oder vielleicht Pflegewissenschaften?« Ihr flehendes Lächeln verzerrt sich, als ich den Kopf schüttle. Sie versteht nicht, worum es mir geht, und wie könnte sie auch? Wann hat sie sich je die Zeit genommen, Tante Emmi zuzuhören, die mehr Geschichten kennt als jeder andere Mensch und so sehnlichst jemanden braucht, der sie anhört? Pflege muss mehr bedeuten, als für das körperliche Wohl alter Menschen zu sorgen. Ihnen zuzuhören, ihre Lebenserfahrung zu schätzen. Sie, die ihr Leben lang für uns da waren, nicht einfach alleinzulassen, wenn sie nicht mehr in unseren Alltag passen.

»Weil nicht jeder Familie hat, Ma«, beantworte ich ihre Frage. »Wenn Tante Emmi im Heim leben müsste, würdest du dann nicht wollen, dass sich jemand gut um sie kümmert und ihr das Leben verschönert?« Mit einem Stich schlechten Gewissens fällt mir ein, dass ich meine Großtante in ihrem kleinen Haus in Norderstedt schon seit bestimmt zwei Wochen nicht mehr besucht habe. Seit dem Tag, an dem sie mir die Hand gedrückt und gesagt hat, dass ich meinen eigenen Weg gehen muss. Ich vertreibe Tante Emmis Lächeln aus meinen Gedanken, das mir jedes Mal, wenn ich durch die grüne Haustür trete, das Gefühl gibt, sehnsüchtig erwartet worden zu sein.