Farm der Tiere. Eine Märchenerzählung - George Orwell - E-Book

Farm der Tiere. Eine Märchenerzählung E-Book

George Orwell

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Beschreibung

In seiner düsteren Fabel von 1945 verarbeitet George Orwell die Ereignisse nach der Russischen Revolution und den Stalinismus. Erzählt wird darin, wie die Tiere einer Farm sich zusammentun, um die menschliche Herrschaft abzuschütteln und fortan brüderlich in Freiheit zu leben. Doch bald entstehen Konflikte und Rivalitäten. Es erweist sich, dass auch in einer Gesellschaft der Gleichen "manche gleicher sind als andere". Eine politische Parabel und eines der großen Werke des 20. Jahrhunderts – neu übersetzt und erstmals in der Universal-Bibliothek erhältlich.E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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George Orwell

Farm der Tiere

Eine Märchenerzählung

Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Hans-Christian Oeser

Reclam

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961810-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014056-7

www.reclam.de

Inhalt

Farm der Tiere

Zu dieser Ausgabe

Nachwort

[5]Farm der Tiere

Eine Märchenerzählung

[7]1

Mr Jones von der Manor Farm hatte die Türen der Hühnerställe für die Nacht verriegelt, war aber zu betrunken, um daran zu denken, auch die Schlupflöcher zu sichern. Vor sich den hin und her tanzenden Lichtkegel seiner Laterne, torkelte er über den Hof, schleuderte an der Hintertür die Stiefel von sich, zapfte sich aus dem Fass in der Spülküche ein letztes Glas Bier und machte sich auf den Weg ins Bett, wo Mrs Jones bereits schnarchte.

Kaum war das Licht im Schlafzimmer erloschen, machte sich in den Wirtschaftsgebäuden ein Gewusel und Geflatter bemerkbar. Tagsüber hatte sich die Nachricht verbreitet, Old Major, der preisgekrönte Middle-White-Eber, habe in der vorhergehenden Nacht einen sonderbaren Traum gehabt, den er den anderen Tieren mitteilen wollte. Es war vereinbart worden, dass sie, sobald Mr Jones endlich aus dem Weg wäre, alle in der großen Scheune zusammenkommen sollten. Old Major (so wurde er stets genannt, obwohl der Name, unter dem er bei der Schau gezeigt worden war, Willingdon Beauty lautete) genoss ein so hohes Ansehen auf der Farm, dass alle bereitwillig eine Stunde Schlaf opferten, um sich anzuhören, was er zu sagen hatte.

An einem Ende der großen Scheune, auf einer Art erhöhtem Podest und unter einer Laterne, die von einem Balken herabhing, hatte sich Major bereits auf seinem Strohbett niedergelassen. Er war zwölf Jahre alt und hatte in letzter Zeit ziemlich zugelegt, war aber noch immer ein majestätisches Schwein von weisem und wohlwollendem Aussehen, obgleich ihm nie die Hauer gestutzt worden waren. Binnen kurzem trafen auch die anderen Tiere ein und [8]machten es sich bequem, ein jegliches nach seiner Art. Zuerst kamen die drei Hunde Bluebell, Jessie und Pincher, dann die Schweine, die sich auf das Stroh unmittelbar vor dem Podest legten. Die Hühner hockten sich auf die Fensterbänke, die Tauben flatterten auf die Dachsparren, die Schafe und die Kühe lagerten sich hinter den Schweinen und begannen wiederzukäuen. Die beiden Zugpferde Boxer und Clover fanden sich gemeinsam ein, sie gingen ganz bedachtsam und setzten ihre mächtigen behaarten Hufe mit großer Sorgfalt, falls sich ein kleines Tier im Stroh versteckte. Clover war eine kräftige, mütterliche Stute, die sich der Lebensmitte näherte und nach dem vierten Fohlen ihre Figur nie wieder ganz zurückbekommen hatte. Boxer war ein gewaltiges Tier, er hatte ein Stockmaß von 183 Zentimetern und war so stark wie zwei gewöhnliche Pferde zusammengenommen. Ein weißer Streifen auf dem Nasenrücken verlieh ihm ein leicht dümmliches Aussehen, und tatsächlich war er nicht eben von erstrangiger Intelligenz, wurde aufgrund seiner Charakterfestigkeit und seiner ungeheuren Arbeitskraft jedoch allseits geachtet. Nach den Pferden trafen Muriel, die weiße Ziege, und Benjamin, der Esel, ein. Benjamin war das älteste Tier auf der Farm und das übellaunigste. Er sprach selten, und wenn er es tat, dann gewöhnlich nur, um eine zynische Bemerkung von sich zu geben – so sagte er etwa, dass Gott ihm zwar einen Schwanz geschenkt habe, um die Fliegen fernzuhalten, doch lieber wären ihm kein Schwanz und auch keine Fliegen gewesen. Als einziges Tier auf der Farm lachte er nie. Auf die Frage, warum, antwortete er dann wohl, er sehe nichts, worüber er lachen könne. Dennoch war er, ohne es offen zuzugeben, Boxer treu ergeben; die Sonntage [9]verbrachten die beiden meist gemeinsam auf der kleinen Koppel hinter dem Obstgarten, wo sie Seite an Seite grasten und schwiegen.

Die beiden Pferde hatten sich eben hingelegt, als eine Schar Entlein, die ihre Mutter verloren hatten, schwach piepsend in die Scheune gewatschelt kam und von einer Ecke zur anderen irrte, um ein Plätzchen zu finden, wo sie nicht zertrampelt würden. Mit ihrem großen Vorderbein bildete Clover eine Art Mauer um sie herum, und die Entlein kuschelten sich hin und schlummerten unverzüglich ein. Im letzten Moment tänzelte, an einem Stück Zucker kauend, anmutig Mollie herein, die törichte, hübsche weiße Stute, die Mr Jones’ Einspänner zog. Sie wählte einen Platz weiter vorne und schüttelte ihre weiße Mähne in der Hoffnung, Aufmerksamkeit auf die roten Bänder zu lenken, die hineingeflochten waren. Zu guter Letzt kam die Katze, die sich wie immer nach dem wärmsten Fleckchen umsah und sich schließlich zwischen Boxer und Clover schmiegte; während Majors Rede schnurrte sie dort zufrieden, ohne auch nur ein Wort von dem zu hören, was er sagte.

Nunmehr waren alle Tiere anwesend, außer Moses, dem zahmen Raben, der auf einer Stange hinter der rückwärtigen Tür schlief. Als Major sah, dass sich alle bequem eingerichtet hatten und gespannt warteten, räusperte er sich und hob an:

»Genossen, ihr habt bereits von dem sonderbaren Traum gehört, den ich letzte Nacht hatte. Auf diesen Traum werde ich später eingehen. Zunächst habe ich etwas anderes zu sagen. Ich glaube nicht, Genossen, dass ich noch viele Monate unter euch weilen werde, und bevor ich sterbe, sehe ich es [10]als meine Plicht an, euch die Weisheit zu vermitteln, die ich mir erworben habe. Ich habe ein langes Leben gehabt; wenn ich allein in meinem Koben lag, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken, und ich glaube, ich kann sagen, dass ich das Wesen unseres Daseins auf dieser Erde so gut wie jedes andere heute lebende Tier verstehe. Darüber möchte ich mit euch sprechen.

Nun, Genossen, was ist das Wesen unseres Daseins? Seien wir ehrlich: Unser Dasein ist elend, mühsam und kurz. Wir werden geboren, wir kriegen gerade mal so viel Futter, dass uns der Atem nicht ausgeht; diejenigen von uns, die dazu in der Lage sind, werden gezwungen, bis zum letzten Rest ihrer Kräfte zu arbeiten; und sobald es mit unserer Nützlichkeit zu Ende geht, werden wir mit abscheulicher Grausamkeit geschlachtet. Kein Tier in England, wenn es erst einmal ein Jahr alt ist, kennt noch die Bedeutung von Glück oder Muße. Kein Tier in England ist frei. Das Leben eines Tieres ist Elend und Sklaverei. Das ist die ungeschminkte Wahrheit.

Aber ist das schlicht und einfach Teil der natürlichen Ordnung? Liegt es daran, dass unser Land so arm ist, dass denen, die darin leben, kein anständiges Leben ermöglicht werden kann? Nein, Genossen, tausendmal nein! Der Boden Englands ist fruchtbar, sein Klima günstig; England könnte einer viel größeren Anzahl von Tieren, als es jetzt bewohnen, Futter im Überfluss bieten. Diese eine Farm würde ein Dutzend Pferde, zwanzig Kühe, Hunderte von Schafen ernähren – und sie alle könnten in einer Behaglichkeit und Würde leben, die unsere heutige Vorstellungskraft fast übersteigt. Warum dann lassen wir diese elenden Zustände fortdauern? Weil uns fast alle Erträge unserer Arbeit [11]vom Menschen gestohlen werden. Das, Genossen, ist die Ursache aller unserer Probleme. Sie lässt sich in einem Wort zusammenfassen – Mensch. Er ist der einzig wahre Feind, den wir haben. Man entferne den Menschen von der Bildfläche, und die Hauptursache für Hunger und Überarbeitung wäre für immer beseitigt.

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das konsumiert, ohne zu produzieren. Er gibt keine Milch, er legt keine Eier, er ist zu schwach, um den Pflug zu ziehen, er kann nicht schnell genug rennen, um Kaninchen zu fangen. Und doch ist er Herr über alle Tiere. Er lässt sie arbeiten, er gibt ihnen nur das Allernotwendigste zurück, damit sie nicht verhungern, und den Rest behält er für sich. Unsere Arbeit bestellt den Boden, unser Mist düngt ihn, und doch gibt es unter uns keinen, dem mehr gehört als die nackte Haut. Ihr Kühe, die ich euch vor mir sehe, wie viele tausend Liter Milch habt ihr im vergangenen Jahr gegeben? Und was ist aus all der Milch geworden, mit der ihr kräftige Kälber hättet aufziehen sollen? Jeder Tropfen davon ist in die Kehlen unserer Feinde geflossen. Und ihr Hennen, wie viele Eier habt ihr im vergangenen Jahr gelegt, und aus wie vielen dieser Eier sind jemals Küken geschlüpft? Die übrigen sind alle auf den Markt gebracht worden, damit Jones und seine Männer damit Geld verdienen. Und du, Clover, wo sind die vier Fohlen, die du zur Welt gebracht hast und die dir eine Stütze und eine Freude im Alter hätten sein sollen? Jedes wurde verkauft, als es ein Jahr alt war – keines von ihnen wirst du jemals wiedersehen. Was hast du für deine viermalige Niederkunft und für all die Arbeit auf den Feldern je erhalten außer knappe Rationen und ein Dach überm Kopf?

[12]Und das elende Leben, das wir führen, darf nicht einmal seinen natürlichen Lauf vollenden. Was mich selbst anbelangt, will ich nicht murren, bin ich doch einer der Glücklichen. Ich bin zwölf Jahre alt und habe mehr als vierhundert Kinder gezeugt. Das ist das natürliche Leben eines Schweines. Doch am Ende entgeht kein Tier dem grausamen Messer. Ihr jungen Mastschweine, die ihr hier vor mir sitzt, binnen eines Jahres wird sich ein jedes von euch auf dem Block das Leben aus dem Halse schreien. Gegen dieses Grauen ist keiner von uns gefeit – weder Kühe noch Schweine, Hühner, Schafe, niemand. Selbst die Pferde und die Hunde kennen kein besseres Schicksal. Dich, Boxer, wird Jones an dem Tag, an dem deine starken Muskeln ihre Kraft einbüßen, an den Abdecker verkaufen, der dir die Kehle durchschneiden und dich einkochen wird für die Jagdhunde. Was die Hunde betrifft, so wird ihnen Jones, wenn sie alt und zahnlos werden, einen Ziegelstein um den Hals binden und sie im nächsten Teich ertränken.

Ist es nicht sonnenklar, Genossen, dass alle Übel unseres Lebens der Tyrannei menschlicher Wesen entspringen? Lasst uns den Menschen abschütteln, und die Früchte unserer Arbeit werden uns gehören. Fast über Nacht könnten wir reich und frei werden. Was also müssen wir tun? Tag und Nacht mit Leib und Seele auf den Sturz der Menschheit hinarbeiten! Das ist meine Botschaft an euch, Genossen: Rebellion! Ich weiß nicht, wann es zu dieser Rebellion kommen wird, vielleicht in einer Woche oder in hundert Jahren, aber so gewiss, wie ich das Stroh unter meinen Füßen sehe, weiß ich, dass früher oder später Gerechtigkeit walten wird. Darauf, Genossen, richtet für den kurzen Rest eures Lebens euren Blick! Vor allem aber gebt diese meine [13]Botschaft an diejenigen weiter, die nach euch kommen, damit künftige Generationen den Kampf fortsetzen, bis er siegreich ist.

Und denkt daran, Genossen, eure Entschlossenheit darf niemals nachlassen. Kein Argument darf euch in die Irre führen. Hört nicht darauf, wenn sie euch einreden wollen, Mensch und Tier hätten ein gemeinsames Interesse, der Wohlstand des einen sei der Wohlstand des anderen. Das alles sind Lügen. Der Mensch dient den Interessen keines Geschöpfes außer sich selbst. Und unter uns Tieren sollte vollkommene Einigkeit herrschen, vollkommene Kampfgenossenschaft. Alle Menschen sind Feinde. Alle Tiere sind Genossen.«

In diesem Moment entstand ein gewaltiger Aufruhr. Noch während Major sprach, waren vier große Ratten aus ihren Löchern gekrochen, saßen jetzt auf ihrem Hinterteil und hörten ihm zu. Plötzlich hatten die Hunde sie erspäht, und nur durch einen schnellen Sprung in ihre Löcher retteten die Ratten ihr Leben. Major hob einen Huf und gebot Schweigen.

»Genossen«, sagte er, »das ist ein Punkt, der geklärt werden muss. Die wilden Geschöpfe wie Ratten und Kaninchen – sind sie unsere Freunde oder unsere Feinde? Lasst uns darüber abstimmen. Ich lege der Versammlung folgende Frage vor: Sind Ratten Genossen?«

Die Abstimmung erfolgte sogleich, und mit überwältigender Mehrheit wurde entschieden, dass Ratten Genossen seien. Es gab nur vier Andersdenkende, die drei Hunde und die Katze, von der sich später herausstellte, dass sie sowohl mit Ja als auch mit Nein gestimmt hatte. Major fuhr fort:

[14]»Sehr viel mehr habe ich nicht zu sagen. Ich wiederhole nur: Denkt stets an eure Pflicht zur Feindschaft gegenüber dem Menschen und all seinen Gebräuchen. Was auch immer auf zwei Beinen läuft, ist ein Feind. Was auf vier Beinen läuft oder Flügel hat, ist ein Freund. Und denkt daran, dass es im Kampf gegen den Menschen nicht dazu kommen darf, dass wir ihm ähnlich werden. Selbst wenn ihr ihn besiegt habt, macht euch seine Laster nicht zu eigen. Kein Tier darf jemals in einem Haus wohnen, in einem Bett schlafen, Kleidung tragen, Alkohol trinken, Tabak rauchen, Geld anrühren oder Handel treiben. Alle Gewohnheiten des Menschen sind böse. Vor allem aber darf kein Tier jemals seinesgleichen tyrannisieren. Schwach oder stark, klug oder eher schlicht, wir alle sind Brüder. Kein Tier darf jemals ein anderes Tier töten. Alle Tiere sind gleich.

Und nun, Genossen, werde ich euch von meinem Traum der letzten Nacht erzählen. Ich kann euch diesen Traum nicht beschreiben. Es war ein Traum von der Erde, wie sie einmal sein wird, wenn der Mensch verschwunden ist. Aber er erinnerte mich an etwas, das ich längst vergessen hatte. Vor vielen Jahren, als ich noch ein kleines Ferkel war, sangen meine Mutter und die anderen Sauen immer wieder ein altes Lied, von dem sie nur die Melodie und die ersten drei Wörter behalten hatten. Diese Melodie war mir in meiner Kindheit bekannt, dann aber lange entfallen. In meinem Traum letzte Nacht fiel sie mir jedoch wieder ein. Mehr noch, auch die Worte des Liedes fielen mir wieder ein – Worte, da bin ich mir sicher, die von den Tieren in alten Zeiten gesungen wurden und schon vor Generationen in Vergessenheit geraten waren. Dieses Lied will ich euch jetzt vorsingen, Genossen. Ich bin alt, und meine Stimme [15]ist heiser, aber wenn ich euch die Melodie beigebracht habe, könnt ihr sie selbst besser singen. Es heißt ›Tiere Englands‹.«

Old Major räusperte sich und begann zu singen. Seine Stimme war, wie er gesagt hatte, heiser, aber er sang doch recht leidlich, und es war eine mitreißende Melodie, ein Mittelding zwischen »Oh My Darlin’ Clementine« und »La Cucaracha«. Die Worte lauteten:

Tiere Englands, Tiere Irlands,

Tiere aller Länder, Breiten,

Höret meine frohe Kunde

Von den künft’gen gold’nen Zeiten.

 

Seid gewiss, der Tag wird kommen,

Da wir stürzen den Tyrannen,

Von den satten Fluren Englands

Werden wir den Menschen bannen.

 

Keine Ringe durch die Nasen,

Auf dem Rücken kein Geschirr,

Sporen und Gebiss verrosten,

Keine Peitsche wird mehr schwirr’n.

 

Reichtum über alle Maßen,

Weizen, Gerste, Hafer, Klee,

Bohnen, Heu und Mangoldwurzeln

Werden unser sein, juchhe!

 

Englands Felder werden leuchten,

Reiner seine Wasser sein,

[16]Lauer seine Lüfte wehen,

Wenn vom Joch wir uns befrei’n.

 

Diesen Tag gilt’s zu erkämpfen,

Droht uns vorher auch der Tod;

Kühe, Pferde, Puten, Gänse:

Für die Freiheit, gegen Not!

 

Tiere Englands, Tiere Irlands,

Tiere aller Länder, Breiten,

Hört und predigt diese Kunde

Von den künft’gen gold’nen Zeiten.

Das Singen dieses Liedes versetzte die Tiere in die wildeste Aufregung. Noch bevor Major zu Ende gesungen hatte, stimmten sie es schon selber an. Sogar die Dümmsten unter ihnen hatten sich die Melodie bereits angeeignet und einige Worte aufgeschnappt, und was die Schlauen anbelangte, etwa die Schweine und die Hunde, so hatten sie das ganze Lied binnen weniger Minuten auswendig gelernt. Und dann, nach einigen ersten Anläufen, schmetterte die ganze Farm in einem gewaltigen Chor »Tiere Englands«. Die Kühe muhten es, die Hunde kläfften es, die Schafe blökten es, die Pferde wieherten es, die Enten quakten es. So begeistert waren sie von dem Lied, dass sie es fünfmal hintereinanderweg sangen und es vielleicht die ganze Nacht hindurch gesungen hätten, wären sie nicht unterbrochen worden.

Unglücklicherweise weckte der Aufruhr Mr Jones, der in der Überzeugung, dass sich ein Fuchs auf den Hof geschlichen hatte, aus dem Bett sprang. Er ergriff die Schrotflinte, [17]die stets in einer Ecke seines Schlafzimmers stand, und feuerte einen Posten in die Dunkelheit. Die Kugeln bohrten sich in die Scheunenwand, und die Versammlung löste sich eilends auf. Jeder floh zu seinem eigenen Schlafplatz. Die Hühner hüpften auf ihre Sitzstangen, die Säugetiere ließen sich im Stroh nieder, und bald darauf schlief die ganze Farm.

[18]2

Drei Nächte später starb Old Major friedlich im Schlaf. Sein Leichnam wurde am Ende des Obstgartens beigesetzt.

Das war Anfang März. In den nächsten drei Monaten gab es allerlei geheime Umtriebe. Majors Rede hatte den intelligenteren Tieren der Farm eine völlig neue Sichtweise auf das Leben eröffnet. Sie wussten nicht, wann die von Major vorhergesagte Rebellion stattfinden würde, noch hatten sie Grund zu der Annahme, sie werde noch zu ihren Lebzeiten stattfinden, aber sie sahen deutlich, dass es ihre Pflicht war, sich auf sie vorzubereiten. Natürlich fiel die Aufgabe, die Übrigen zu unterweisen und zu organisieren, den Schweinen zu, welche allgemein als die klügsten der Tiere galten. Unter den Schweinen ragten zwei junge Eber namens Snowball und Napoleon heraus, die Mr Jones aufgezogen hatte, um sie als Zuchteber zu verkaufen. Napoleon war ein großer, recht grimmig aussehender Berkshire-Eber, das einzige Berkshire-Schwein auf der Farm; er war kein großer Redner, stand jedoch in dem Ruf, sich durchsetzen zu können. Snowball war temperamentvoller als Napoleon, redegewandter und einfallsreicher, galt jedoch als weniger charakterstark. Alle anderen männlichen Schweine auf der Farm waren Mastschweine. Das bekannteste unter ihnen war ein kleines fettes Schwein namens Squealer mit sehr runden Wangen, blinzelnden Äuglein, flinken Bewegungen und einer schrillen Stimme. Er war ein glänzender Redner, und wenn er ein schwieriges Argument vortrug, hatte er eine Art, hin und her zu hopsen und mit seinem Ringelschwänzchen zu wackeln, die irgendwie sehr [19]überzeugend wirkte. Die anderen sagten Squealer nach, er könne einem ein X für ein U vormachen.

Die drei hatten die Lehren Old Majors zu einem vollständigen Denksystem ausgearbeitet, dem sie den Namen Animalismus gaben. Mehrere Nächte pro Woche hielten sie, wenn Mr Jones schlief, in der Scheune Geheimtreffen ab und legten den anderen die Grundsätze des Animalismus dar. Anfangs stießen sie auf viel Unverständnis und Apathie. Einige der Tiere sprachen von einer Loyalitätspflicht gegenüber Mr Jones, den sie als ihren »Herrn« bezeichneten, oder machten grundlegende Bemerkungen wie »Mr Jones füttert uns. Wenn er fort wäre, würden wir verhungern«. Andere stellten Fragen wie »Was kümmert es uns, was nach unserem Tod geschieht?« oder »Wenn die Rebellion ohnehin stattfindet, was macht es da für einen Unterschied, ob wir für sie arbeiten oder nicht?«, und die Schweine hatten größte Mühe, ihnen begreiflich zu machen, dass dies dem Geist des Animalismus widersprach. Die törichtesten Fragen kamen von Mollie, der Schimmelstute. Die erste Frage, die sie an Snowball richtete, lautete: »Wird es nach der Rebellion noch Zucker geben?«

»Nein«, sagte Snowball nachdrücklich. »Eine Möglichkeit, auf der Farm Zucker herzustellen, haben wir nicht. Außerdem brauchst du keinen Zucker. Du wirst so viel Hafer und Heu haben, wie du willst.«

»Und werde ich noch Bänder in meiner Mähne tragen dürfen?«, fragte Mollie.

»Genossin«, sagte Snowball, »die Bänder, die dir so am Herzen liegen, sind Abzeichen der Sklaverei. Verstehst du nicht, dass Freiheit wertvoller ist als Bänder?«

Mollie stimmte zu, klang aber nicht sehr überzeugt.

[20]