Faszien in Bewegung - Gunda Slomka - E-Book

Faszien in Bewegung E-Book

Gunda Slomka

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Beschreibung

Faszien haben vielfältige Aufgaben im Körper und sind eine seit langem vernachlässigte Struktur, die im Trainingsprozess weit mehr Aufmerksamkeit verdient. Dieses Buch füllt die Wissenslücken bezüglich Faszien im trainingswissenschaftlichen Bereich mit Inhalt und Wissen: Welche Funktionen haben Faszien und wie können wir durch Training Einfluss nehmen auf die Qualität der bindegeweblichen Strukturen in unserem Köper? Das Buch gibt zunächst einen Einblick in die Entstehung, die Physiologie und Anatomie des Bindegewebes und anschließend folgt ein Konzept für die Trainingspraxis. Zahlreiche Übungen für den Fitness-, Gesundheits- und Leistungssport werden vorgestellt und bieten Trainern und Therapeuten konkrete Hilfestellung für das Training.

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Seitenzahl: 164

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Gunda Slomka

Faszien in Bewegung

Meyer & Meyer Fachverlag & Buchhandel GmbH

Inhaltsübersicht

Vorwort für Gunda SlomkaEinleitungFaszien – woher kommen sie und wozu brauchen wir sie?II.a Faszien? „... nie gehört!“II.b Wie wichtig sind Faszien für das Training und den Alltag?Faszien – was steckt in ihnen?III.a Anatomisch-physiologische GrundlagenIII.a.i Aufgaben des BindegewebesIII.a.ii Entstehung des BindegewebesIII.a.iii Bestandteile des BindegewebesIII.a.iv Erscheinungsformen des BindegewebesIII.b Das Bindegewebe als SinnesorganIII.b.i KörperwahrnehmungIII.b.ii RezeptorenartenIII.b.iii SchmerzFaszien in BewegungIV.a Haltung in BewegungIV.a.i TensegrityIV.a.ii Über Dynamik ins KörperlotIV.b Versorgen ist alles – von Gel zu SolIV.b.i CrosslinksIV.b.ii Alles im Fluss – GrundmatrixIV.b.iii Verschieben von FlüssigkeitenIV.b.iv Regeln für die PraxisIV.b.v PraxisIV.c Die Renaissance des Federns und SchwingensIV.c.i Kollagen und ElastinIV.c.ii Der KatapulteffektIV.c.iii Der Gebrauch formt die StrukturIV.c.iv PraxisIV.d Fascial Stretch – Ausrichtung der StrukturenIV.d.i Immer im Umbau – Halbwertzeiten der BindegewebszellenIV.d.ii Neue (alte) Grundlagen des DehnungstrainingsIV.d.iii Myofasziale LeitbahnenIV.d.iv Regeln für die PraxisIV.d.v PraxisIV.e Fascial PowerIV.e.i MyofibroblastenIV.e.ii Spannungsnetzwerk – FaszienIV.e.iii Arbeitsweise des KrafttrainingsIV.e.iv Regeln für die PraxisIV.e.v PraxisIV.f Sensorisches VerfeinernResümeeV.a Allgemeine Empfehlungen für das TrainingV.b Differenzierung und KontraindikationV.b.i Gibt es einen geschlechtsspezifischen Unterschied?V.b.ii Hat der Alterungsprozess Einfluss auf das Bindegewebe?V.b.iii Ist Faszientraining für Sportler sinnvoll?V.b.iv Wann sollte man nicht üben?V.b.v SalutogeneseLiteraturBildnachweis:

Vorwort für Gunda Slomka

Willkommen in der faszinierenden Welt der Faszien

Bis vor wenigen Jahren galten sie noch als Aschenputtelgewebe in der Medizin. In den praktischen Anatomiekursen der angehenden Ärzte schälte man sie erstmal möglichst gründlich weg „damit man etwas sehen kann“. Die Rede ist vom muskulären Bindegewebe, den sogenannten Faszien. Während man sie früher als passives Verpackungs- und Füllmaterial betrachtete, vergleichbar der Umhüllung eines Weihnachtsgeschenks, haben neuere Forschungen gezeigt, dass unser Fasziennetz eine ungeahnt wichtige Rolle spielt – bei der muskulären Kraftübertragung, bei der eigenen Körperwahrnehmung, bei vielen Arten von Weichteilschmerzen sowie auch in der Sportmedizin in den Bereichen Beweglichkeit, Schnellkraft und Energieeffizienz.

Als ein den ganzen Körper umhüllender Bodysuit umhüllt dieses faserige kollagene Bindegewebe uns von Kopf bis Fuß, mit einer je nach lokaler Belastung schwankenden Dicke von 0,3 bis 3 mm. Am deutlichsten ausgeprägt ist es daher an der Außenseite des Oberschenkels (sogenanntes iIliotibiales Band) und an der Fußsohle. Anstatt uns nur zu umhüllen, geht dieser Anzug jedoch nahtlos über in zahlreiche Beutel und Septen im Inneren jedes Muskels, in die tubenartigen Umhüllungen der Nervenbündel und Gefäße, sowie die der inneren Organe. Die moderne Sichtweise betrachtet daher das Fasziennetzwerk als ein den ganzen Körper umhüllendes, durchdringendes und miteinander vernetzendes Zugspannungsnetzwerk, bei dem sich die Ausrichtung der kollagenen Fasern je nach lokaler Belastungsgeschichte spezialisiert.

Die Osteopathen, Rolfer sowie einige kundige Yoga- und Kampfkunstexperten kannten die Bedeutung der Faszien schon seit Langem und entwickelten – meist im Alleingang – auch wirksame Methoden, um auf dieses Gewebe gezielt einzuwirken. Was jedoch fehlte, war eine wissenschaftlich akzeptable Quantifizierbarkeit. Zur exakten Messung der Knochen hatte man schon seit Jahrzehnten die Röntgendiagnose, zur Messung der Muskeln dann die sogenannte Elektromyografie (EMG). Zur Erkundung der Faszien musste man sich jedoch auf die subjektiven Dehnungsempfindungen des Anwendenden oder den Tastbefund des Behandlers verlassen.

Dank neuer Messmethoden hat sich dieser bedauerliche Zustand in den letzten Jahren deutlich geändert: Mit hochempfindlichem Ultraschall können wir heute die Dicke und Beweglichkeit einer Faszie bis auf Zehntelmillimeter erfassen. Wir können deren Festigkeit, Elastizität und Wassergehalt mit portablen Geräten vor und nach einer sportlichen oder therapeutischen Stimulation erfassen. Und wir können an klitzekleinen Gewebeproben aus den Faszien deren biochemische Bestandteile unter die Lupe nehmen und die Ergebnisse mit den – mehr oder weniger esoterischen – Glaubenskonzepten der Osteopathen, Rolfer, Yogis und östlichen Kampfkünstler vergleichen.

Für faszieninspirierte Therapeuten und Wissenschaftler wie mich sind das aufregende Zeiten. Derzeit vergeht kaum ein Monat, in dem die über Nacht entstandene Szene der international vernetzten Faszienforscher nicht mit einer neuen, aufsehenerregenden Entdeckung über die Faszien für wissenschaftliche Schlagzeilen sorgt. Kein Wunder, dass nun auch im Fitness- und bewegungstherapeutischen Bereich das ehemalige Aschenputtelorgan Faszien zunehmend ins Lampenlicht gezerrt wird.

Das vorliegende Buch ist eine der ersten ernst zu nehmenden Publikationen in diesem neuen Bereich. Mit Sicherheit werden in den kommenden Monaten und Jahren noch Dutzende von Nachahmerprodukten den Markt überschwemmen – vermutlich nicht immer mit derselben Fundiertheit und fachlichen Qualität wie dieses.

Gunda Slomka hat die Bedeutung der neuen Faszienerkenntnisse frühzeitig erkannt und sich als eine der ersten Expertinnen der deutschen Fitnessszene mit Herz, Hirn und Engagement in die aktuellen internationalen Erkenntnisse eingearbeitet. Zusammen mit unserer Fascia Research Group an der Universität Ulm (fasciaresearch.de) sowie der auf dem inhaltlichen Anwendungsfeld meines Erachtens führenden Fascial Fitness Association (fascial-fitness.de) hat sie bestehende Rückentrainings-, Gymnastik-, Tanz- und Yogaübungen in einer fasziengerechten Art und Weise abgewandelt, um sie in diesem Buch erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Ihr Hintergrund als ehemalige Sportwissenschaftlerin, ihr Ruf als eine der erfolgreichsten und bekanntesten Pionierinnen der deutschen Fitnessszene, ihre enge Zusammenarbeit mit dem deutschen „Stretching-Papst“ Professor Jürgen Freiwald sowie nicht zuletzt ihre gewinnende menschliche Art haben uns überzeugt, sie als eine geeignete Protagonistin des Faszientrainings bei der Konzeption dieses Buches nach Kräften zu unterstützen.

Den Leserinnen und Lesern möchte ich daher herzlich gratulieren zur Wahl dieses Buchs. Und es mit einer wohlmeinenden und wissenschaftlich begründeten Empfehlung versehen: Bitte gehen Sie das Training der Faszien – auch bei allem auftretenden Enthusiasmus – langsam und geduldig an. Kollagen erneuert sich langsamer – dafür umso nachhaltiger – in Reaktion auf sportliche Belastungen als die Muskulatur oder die kardiovaskuläre Fitness.

Betreiben Sie das Faszientraining wie die Verfolgung eines schwäbischen Bausparvertrags: Viele kleine Einzahlungen über einen längeren Zeitraum werden es Ihnen erlauben, Ihr körperliches Zuhause über einen Zeitraum von 6-36 Monaten von einem spröden Fasergerüst in ein elastisch-federndes Spannungsnetzwerk zu verwandeln.

Mit einem wohltrainierten Fasziennetz können Sie dann erwarten, größeren Sturmbelastungen in Zukunft mit einer erhöhten Resilienz und Verletzungsfreiheit zu begegnen. Sie werden Ihren Körper beim Tanzen und Laufen mit einer vermehrt lustvolleren Sinnlichkeit spüren und auch viele tägliche Bewegungsherausforderungen mit einer jugendlichen Leichtigkeit absolvieren.

Spannend ist auch die bereits erschienene DVD zum Faszientraining von Gunda Slomka: Lassen Sie sich – so wie es mir beim Anschauen erging – von ihrer kraftvoll-geschmeidigen Eleganz inspirieren.

Dr. biol. hum. Robert SchleipDirektor, Fascia Research Group, Universität UlmForschungsdirektor der European Rolfing Association

Kapitel I

Einleitung

Faszien! Selten hat ein anatomisch-physiologisches Thema in der Bewegungs­praxis so interessiert, begeistert –, aber auch polarisiert!

Für die einen ist es neu, spannend und birgt Entwicklungspotenzial. Andere motiviert es zu Aussagen wie: „Kenn ich! Mach ich schon seit Jahren.“ Sie fühlen sich bestätigt in ihrem Wissen und Wirken. Wieder andere „kämpfen“, verurteilen und tun aktuelle Untersuchungen mit einem süffisanten Lächeln ab.

Eines steht fest: In den letzten Jahren hat man begonnen, „alte“ Fragen zum Bindegewebe (Faszien) durch neue Untersuchungen, neue Ergebnisse und neue Bilder neu zu bewerten.

Ob das, was dabei an Übungen herauskommt, neu ist oder ob viele Ideen aus vergangenen Zeiten stammen, ist an dieser Stelle gar nicht entscheidend. Ob das auf die Faszien bezogene Training etwas bewirkt, ob wir dadurch gesünder, belastbarer, schneller, flexibler, energievoller werden, das sind wichtige Fragen, die es zu diskutieren lohnt und die im Verlauf dieses Buches beantwortet werden.

Theoretisches Wissen in eine zielgruppenorientierte Umsetzung zu führen, das ist das, was mich persönlich zu diesem Buch motiviert hat.

Das Buch führt Sie durch fünf Kapitel.

Kapitel I ist ein Wegweiser. Es erklärt die Bestandteile des Buches. Jedes Kapitel baut aufeinander auf und ist dennoch inhaltlich voneinander getrennt. Sind Sie an den anatomisch-physiologischen Gegebenheiten der Faszien nicht interessiert, können Sie gleich mit dem eher praktisch orientierten Kapitel IV beginnen.

Kapitel II nimmt Sie auf eine „fasziale Zeitreise“ mit. Seit wann beschäftigt man sich mit dem Thema Faszien? Wie ist der aktuelle Wissensstand? Was ist wichtig und bei der Bewegung bzw. beim Training zu beachten?

Kapitel III gibt einen anatomisch-physiologischen Überblick über das Bindegewebe und die faszialen Strukturen im Körper. Es klärt u. a. die Terminologie: Was sind Faszien und was ist Bindegewebe? Obwohl es unterschiedliche Definitionsmöglichkeiten gibt, möchte ich bereits an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich mich dazu entschlossen habe, diese beiden Wörter synonym zu verwenden.

Kapitel IV widmet sich dem Thema „Faszien in Bewegung“. Nachdem der Bezug zum Körper und der Bewegung über das Thema Haltung hergestellt wurde, wird das Bewegungskonzept vorgestellt, welches auf fünf Säulen basiert:

Versorgung ist alles

Die Renaissance des Schwingens und Federns

Fascial Stretch

Fascial Power

Sensorisches Verfeinern

Über einen anatomisch-physiologischen Einstieg, anknüpfend an Kapitel III, führt der Weg über die Trainingslehre zur praktischen Umsetzung.

Kapitel V hält Trainingstipps parat, zeigt Möglichkeiten zur Differenzierung und nennt Kontraindikationen.

In allen Kapiteln finden Sie kleine, hervorgehobene Kästen, die für Sie von besonderer Bedeutung sind:

Gut zu wissen!

Ein Merkkasten, der jeweils wichtige Aussagen wiederholt und hervorhebt.

Aufgepasst!

Hier gibt es Mausefallen, in die man nicht tappen sollte.

Schon gewusst?

Wir nehmen uns die Zeit für einen kleinen, spannenden Exkurs.

So wird‘s gemacht!

Das freut die Beweger unter Ihnen. In diesem Kasten stehen Trainingstipps für die Übungspraxis.

Dieses Buch ist ein Fachbuch für Übungsleiter, Trainer und interessierte Übende, vornehmlich für den Einsatzbereich im Fitness- und Gesundheitssport.

Übergreifend wird der Blick von Zeit zu Zeit in die Therapie oder aber in die Richtung des Leistungssports gewendet. Je weiter die Bewegungs- oder Trainingspraxis jedoch in die eine oder andere Richtung ausschlägt, desto mehr Individualisierung, abhängig von der Person oder aber der Sportart, wird notwendig.

Ich bin mir allerdings sicher, dass dieses Buch auch für den Therapeuten oder den Athletiktrainer interessante Aspekte parat hält.

Die Faszien: ein körperweites Spannungsnetzwerk, ein „Stiefkind“ der Trainingslehre.

Mein persönlicher Wunsch ist, dass wir genau so viel wissen wie über andere physiologische Systeme und dieses Wissen anwenden, um die physiologisch- anatomische Familie, bestehend aus Muskeln, Nerven, Gefäßsystemen, Stützgeweben, gelenkigen Verbindungen und Faszien, gleichberechtigt zu behandeln und im „familiären Kontext“ zu trainieren.

Aus dem Grunde gehört dieses Buch den Faszien!

Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit:

FASZIEN IN BEWEGUNG

Kapitel II

Faszien – woher kommen sie und wozu brauchen wir sie?

Um sich mit der Trainierbarkeit von Faszien und dem Nutzen daraus auseinanderzusetzen, geht der Blick zunächst zurück in die Anfänge der sportwissenschaftlichen Arbeitsweise.

II.a Faszien? „... nie gehört!“

Wenn noch vor einigen Jahren nach der Trainierbarkeit von Faszien gefragt wurde, kam häufig die Gegenfrage: „Faszien – was?“

Die Trainingswissenschaft und mit ihr die Sportanatomie und Sportphysiologie ist im Vergleich zu vielen anderen Wissenschaften eine junge Wissenschaftsdisziplin. Zwar gewannen nach dem Zweiten Weltkrieg die Lehrstühle für Sport an den deutschen Universitäten an Zahl und Bedeutung, doch die sportmedizinischen Zentren, in denen auch trainingswissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt werden, mussten sich zunächst noch entwickeln.

Viele Ergebnisse, auf denen wir unsere heutigen Ideen zur Trainingssteuerung aufbauen, kommen aus den 1970er- oder 1980er-Jahren.

Schon gewusst?

Chronologie der Trainingsschwerpunkte des Gesundheits- und Fitnesssports in Abhängigkeit von der Sportwissenschaft (Auswahl):

1970er-Jahre

Das Krafttraining stand im Zentrum der Aufmerksamkeit und mit ihm die Trainingsanpassungen durch verschiedene Trainingsreize auf die Muskulatur.

1980er-Jahre

Das kardiopulmonale System, die Anpassungen durch Training auf das Herz-Kreislauf-System wurden untersucht.

1990er-Jahre

Viele Untersuchungen zum Dehnungstraining standen im Fokus. Unterschiedliche Dehnmethoden und deren Wirkungen auf die Muskulatur wurden beleuchtet. Auch koordinative Aspekte gewannen an Bedeutung.

2000er-Jahre

Stabilisation und Core Stability waren die Schlagwörter des Jahrzehnts. Das muskuläre System fand seine Gliederung in der tief liegenden Stabilisatorengruppe auf der einen Seite und dem oberflächlich-bewegenden Mobilisatorensystem auf der anderen.

2010er-Jahre

Die Faszien erobern durch aktuelle Untersuchungsergebnisse die Aufmerksamkeit der Trainer, Therapeuten und Wissenschaftler.

Obwohl das Bindegewebe an sich natürlich nicht „neu“ ist, ist doch einiges Wissen über das Bindegewebe neu.

Viele Untersuchungen stehen noch aus. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten darf noch einiges an neuem Wissen erwartet werden.

Verstehen Sie dieses Buch als eine Art Wegbegleiter, das zum Nachdenken anregt und dessen Inhalte sich weiterentwickeln werden.

Die Trainingslehre und die abgeleitete Umsetzung für die Übungspraxis basiert auf anatomisch-physiologischen Kenntnissen. Anatomie bedeutet zerteilen! D. h., das Wissen stammt aus dem Zerteilen, Zerlegen des Körpers. Mikroskopisch wird bis in die kleinste Einheit des Körpers geschaut, die Muskulatur bis hin zur Mikrofibrille zerlegt oder aber ein Nerv freipräpariert, um etwas über seine Beschaffenheit und mögliche Anpassungen durch Trainingsreize zu lernen. Das alles umgebende und durchziehende, weiße, milchige Gewebe, das Bindegewebe, wurde dabei entfernt. Außer der Funktion des Verbindens, Zusammenhaltens und Kräfteweiterleitens wurde ihm keine besondere Beachtung geschenkt.

Sicher ist dies einer der Gründe, warum bis heute so wenig über das Bindegewebe, die Faszien, bekannt ist.

Das Lernen von den Bildern der Anatomie ist die westlich geprägte Herangehensweise zum Festlegen von Trainingsgesetzmäßigkeiten. Die einzelnen Teile des Körpers werden auf Trainingsanpassungen hin beobachtet, überprüft und bewertet. So weiß man heute recht genau, welche Trainingsintensitäten und Trainingsumfänge notwendig sind, um z. B. die Maximalkraft oder auch Kraftausdauer zu trainieren. Um das sensorische System in Bezug auf Rekrutierung und Frequenzierung (Reizleitungsgeschwindigkeit) zu trainieren, weiß man auch, welche Trainingsreize gesetzt werden sollten. Die Therapie und der Leistungssport profitieren in großem Ausmaß von den Möglichkeiten dieser wissenschaftlichen Untersuchungen.

Die asiatischen Bewegungslehren hingegen basieren auf den mehrere hundert Jahre alten Lehren großer Meister. Über das Spüren und Erleben von Bewegung entstanden Bewegungskonzepte, wie sie heute z. B. als verschiedene Stile des Yoga praktiziert werden. Es war und ist auch heute nicht nötig, „zu zerlegen“, um die kleinste Einheit des Körpers zu kennen. Der Mensch als Ganzes steht im Mittelpunkt der Bewegung: der Körper und der Geist.

Kein Meister des Qi Gong käme auf die Idee, die genaue Wirkung seiner Übungspraxis auf eine spezielle Nervenfaser zu untersuchen oder die Wirkung einer Yoga Asana auf z. B. den M. rectus abdominis (den geraden Bauchmuskel) zu untersuchen. Asiatisch geprägte Bewegungslehren funktionieren nur im „Ganzen“. Isoliertes Muskeltraining gibt es nicht. Das muskuläre System arbeitet im Zusammenspiel aller Muskeln, im Zusammenspiel mit den Nerven, im Zusammenspiel aller faszialen Systeme.

Tom Meyers konnte nachweisen, dass 80 % der energetischen Linien (Meridiane) mit den nach ihnen benannten „myofaszialen Leitbahnen“ (vgl. Kap. IV.d.iii) übereinstimmen. Auch bei den aus der chinesischen Medizin bekannten Akkupunkturpunkten entsprechen 80 % den faszialen Durchtrittsstellen von Nerv, Arterie, Vene (Trias).

Zwei Lehrwege als Grundlage für Bewegungskonzepte: Sowohl die asiatisch wie auch westlich geprägten Herangehensweisen sind für uns ein Schatz des Wissens und Lernens.

Von den Meistern des Yoga, des Tai-Chi, des Qi Gong lernen wir, Körper und Geist als Einheit zu betrachten. Die Sensibilität für das Zusammenspiel von Körper, Geist und Umwelt zu schulen. Die westlich-analytische Herangehensweise liefert uns hingegen die primär naturwissenschaftliche Erklärung über physiologische Prozesse.

Das ganzheitlich-energetische Denken des Ostens findet über das Netzwerk der faszialen Strukturen eine Verbindung zur anatomisch-physiologischen Lehre des Westens. Zwei Lehren, die in ihren Ansätzen nicht unterschiedlicher sein können, finden eine Schnittmenge, profitieren voneinander und liefern gegenseitige Erklärungswege.

Gut zu wissen!

Faszien sorgen für Austausch und Versorgung. (1. Versorgung ist alles)

Faszien können Bewegungsenergie speichern und diese katapultartig wieder zur Verfügung stellen. Sie machen uns elastisch und geschmeidig bei der Ausführung von Alltagsbewegungen und im Sport. Sie puffern Kräfte ab und leiten diese weiter. (2. Die Renaissance des Schwingens und Federns)

Faszien verleihen uns Spannkraft und Festigkeit. (3. Fascial Stretch)

Faszien stellen ein ausgefeiltes Kommunikationssystem dar. Sie halten zusammen, verbinden Muskeln mit Nachbarmuskeln, verbinden das aktive Bewegungssystem mit dem passiven Bewegungsapparat oder auch mit den inneren Organen. (4. Fascial Power)

In den Faszien liegt die Mehrzahl aller Rezeptoren des vielfältigen Nervensystems. Faszien spielen eine wesentliche Rolle bei der Propriozeption und reagieren auf verschiedene Arten von Stimulation mit An- oder Entspannung. (5. Sensorisches Verfeinern)

II.b Wie wichtig sind Faszien für das Training und den Alltag?

Diese Frage stelle ich mir persönlich seit einigen Jahren. Aktuell liegt der Fokus vieler Trainer und Therapeuten auf den Faszien. Ist es ein Trend? Können die Faszien mit etwas Neuem, Überraschendem aufwarten? Steckt hinter dem Mehr an Wissen über die Faszien auch ein Mehr an Bewegungs-, Trainings- oder Therapieideen? Besteht die Möglichkeit, Grenzen zu überschreiten, an denen man mit bisherigen Behandlungsmethoden oder Trainingskonzepten scheiterte?

All diese Fragen sollen im Verlauf dieses Buches ihre Beantwortung finden.

Schon gewusst?

Therapeutische Behandlungsmodelle, bei denen die Faszien im Vordergrund stehen:

Osteopathie (n. Still seit 1885)

Rolfing (n. Ida Rolf 1896-1979)

FDM (Faszien Distorsionsmodell nach Typaldus seit 1991)

Triggerpunkttherapie (seit 1951)

Im Präventions-, Rehabiliations- oder auch Leistungssport werden Methoden zur Einflussnahme auf das Bindegewebe gesucht und entwickelt. Die Industrie reagiert. Foamrolls und Triggerpunktbälle erobern den Markt. Möglichkeiten zur Selbstmassage werden gefunden und Trainingskonzepte zur Einflussnahme auf die bindegewebigen Strukturen wurden und werden in vielen Variationen publiziert.

Warum ist das Interesse an den Faszien plötzlich so groß? Ein sicherlich ebenso eher westlich geprägter Antrieb ist das Bedürfnis nach Weiterentwicklung. Schneller, höher, weiter, gesünder, jünger (oder zumindest mal nicht älter,). Da ist eine neue Idee für das Training oder für die Anwendung willkommen, denn die bisherigen Möglichkeiten stoßen immer wieder an Grenzen.

Ein „Trend“ ist es dennoch nicht. Ein Trend, gerade in der Fitnessszene oft zu beobachten, kommt und geht. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an Callanatics, ein um die Person Callan Pinckney in den 1980er-Jahren entworfenes Gymnastikprogramm. Es sollte durch sanfte Bewegungen mit hoher Wiederholungszahl die Tiefenmuskulatur stärken und das Gewebe straffen. Nach einiger Zeit verlor dieser amerikanische Trend seine Attraktion und verschwand vom Fitnessmarkt. Einige Beispiele mehr lassen sich dafür finden.

Das aktuelle Interesse an den Faszien basiert nicht auf einer Bewegungsidee. Es basiert auf Untersuchungen und in diesem Zusammenhang auf einer Neubewertung einer seit langem bekannten (Bindegewebs-)Struktur im Körper.

Erst seit einigen Jahren ist die Auflösung bildgebender Verfahren fein genug, um eine präzise Messung oder Darstellung der Faszien im gesunden Menschen, aber auch bei unterschiedlichen Krankheitsbildern, zu ermöglichen.

Realtime-Ultraschallgeräte, funktionelle Magnetresonanz, elektrische Impedanzmessungen sowie Sonoelastografie geben ganz neue Einblicke in das Bindegewebe und lassen neue Schlüsse zu.

Wünschenswerte Ziele durch Faszientraining

Trainingswissenschaft

Ein Training mit gezielter Einflussnahme auf die Faszien ermöglicht Leistungssteigerungen sowie eine verbesserte Regeneration.

Therapie

Beharrliche „Problemfelder“ des Körpers können gelöst werden und der Weg zur Beschwerdefreiheit wird gebahnt.

Prävention

Faszien wirken stützend, schützend und stabilisierend. Positive Selbsthilfemechanismen des Immunsystems werden aktiviert.

Ästhetik

Straffe Haut und ein jugendlich-federnder Gang sind nur einige der angestrebten Ziele.

Mich persönlich ereilte das Thema der Faszien während eines Langstreckenflugs. Die ersten deutschen Veröffentlichungen waren gerade ins Netz gestellt worden und mich fesselte jeder einzelne Artikel. Viele Erklärungslücken schlossen sich. Gleichgültig, ob meine Gedanken in den Bereich des Dehnungstrainings sprangen, sich beim Krafttraining festbissen, therapeutischen Ideen folgten –, ich fühlte mich zurückgeworfen und gleichzeitig vorangetrieben. Vieles von dem, was ich jahrelang in der vermeintlich „modernen“ Lehre verteufelte, machte plötzlich, ein wenig anders betrachtet, wieder Sinn.

Mein Interesse war geweckt und ich begab mich auf die Suche nach dem Ursprung, den Lehrern, den Wissenschaftlern und dem aktuellen Stand des Wissens.

Verantwortlich für das wiedergewonnene Interesse an den Faszien war das Zusammentreffen einiger paralleler Ereignisse.

2007 gewann Peter Huijing den Muybridge Award zum Thema „muskuläres Bindegewebe“. Im gleichen Jahr traf sich eine Vielzahl von Bewegungstherapeuten, um histologische Untersuchungen und Anpassungen aus Forschung und Wissenschaft im Bereich „connective tissues“/Bindegewebe vorzustellen.

Ein positiv formulierter Artikel in der Zeitschrift Science, eine der international anerkanntesten Fachzeitschriften, sorgte schlussendlich für das (neu) beginnende Interesse im europäischen Raum.

In den 1960er-und 1970er-Jahren genoss das Thema Faszien in Deutschland das letzte Mal besondere Aufmerksamkeit. Auf viele Illustrationen dieser Zeit greifen wir noch heute zurück. Zu der Zeit gab es sogar ein Max-Planck-Institut für Bindegewebsforschung. Allerdings verdrängten die damals neuen Methoden der Molokularbiologie das Interesse am Bindegewebe und den Faszien.

Es wurde „ruhig“ um die Faszien.