Fehlkonstruktion - Sitala Helki - E-Book

Fehlkonstruktion E-Book

Sitala Helki

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Beschreibung

Wenn Liebe sich anfühlt wie Socken tragen.

Falk ist bereits so lange heimlich in seinen besten Freund Heiko verliebt, dass dieses Gefühl für ihn zur Normalität geworden ist. Offenbarung kommt für ihn nicht infrage, denn Heiko ist nicht schwul und zudem sein zukünftiger Schwager. Sich der Ausweglosigkeit seiner Situation bewusst, gelang es Falk bisher dennoch nicht, sich emotional zu lösen – bis Marius auftaucht und Falks Leben durcheinanderwirbelt. Endlich scheint es das Schicksal gut mit ihm zu meinen, wäre da nicht Heiko, der sich neuerdings merkwürdig verhält ...

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Veröffentlichungsjahr: 2019

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Sitala Helki

Fehlkonstruktion

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Fehlkonstruktion

 

 

 

© Sitala Helki 2016

13507 Berlin

[email protected]

http://www.bookrix.de/-nv0d72c4414ac35/

https://www.facebook.com/sitala.helki

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

Bildmaterialien Cover: 123rf.com (ferwulf; lightwise); pixabay.com

Covergestaltung: Caro Sodar

Lektorat/Korrektorat: M. Kuntz, K. Meier, A. Rid, C. Sodar

 

Sämtliche Personen und Ereignisse dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung der Covermodels aus.

 

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der Autorin.

 

Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen weder kopiert noch weiterveräußert werden.

Widmung

 

 

 

 

 

 

Für Thomas. Danke für deine Unterstützung und dein Verständnis.

I

Ja, ich weiß, was die meisten von euch jetzt denken: ›Nicht noch so ein typischer Schwulen-Schmacht-Roman, an dessen Ende sich die beiden Auserwählten sowieso bekommen.‹

Leider muss ich euch enttäuschen. ›Leider‹ für die, die auf solche Schnulzen stehen und natürlich für mich, denn gegen eine gewisse Komplikationslosigkeit in diesem Bereich meines Lebens hätte ich keine Einwände.

 

An dieser Stelle eines Romans - wenn in meinem Fall der Begriff ›Drama‹ auch treffender wäre - kommt, wie mir bekannt ist, die obligatorische Vorstellung des Protagonisten. Ich überspringe dies dezent, denn mit den üblichen Attributen, wie groß, muskulös, durchtrainiert,super-coole Frisur, bestechenden grün-grau-wie-auch-immer-gesprenkelten Augen und dergleichen kann ich wahrlich nicht dienen.

Vielleicht kennt ihr ja so einen Typen aus Schule, Studium, Arbeit, Nachbarschaft, Freundeskreis oder dem örtlichen Schneckenzüchter-Verein, was weiß ich. Jemanden, der durchweg unauffällig ist. Weder hübsch, noch super-hässlich, ein wenig zu viel Bauchansatz, stets in Alltagsklamotten, die dazu meist auch noch ein bisschen verwaschen wirken, augenscheinlich nett und über den man doch im Grunde genommen nicht wirklich etwas weiß. Habt ihr ein Bild vor Augen? Gratulation, dann kennen wir uns vielleicht sogar.

Oder wohl eher nicht, denn ich bezweifle, dass irgendwen aus meinem Bekanntenkreis meine Geschichte interessiert. Schließlich bin ich die Langeweile in Person.

Nach dem Informatikstudium begann ich bei einer Firma zu arbeiten, die Software für Apotheken entwickelt und anbietet. Mit diesem Job wird man zwar nicht reich, aber ich kann mich auch nicht beklagen. Denn als ich damals anfing zu studieren, schrie jedermann nach Informatikern und alle stürzten sich auf diesen Studiengang, ohne dabei zu bedenken, dass es dann ja plötzlich ganz viele von uns geben wird. Zugegeben, ich hatte diesen Aspekt genauso wenig bedacht.

Nach meinem Abschluss vor acht Jahren war der Markt regelrecht überschwemmt und ich froh um meinen Arbeitsplatz, den ich seitdem nicht gewechselt habe.

Zum einen mag ich Veränderungen nicht sonderlich, zum anderen hätte das bedeutet, aus meiner Heimat wegziehen zu müssen.

Nein, ich wohne nicht mehr im ›Hotel Mama‹. Bereits zu Studienbeginn bin ich von zu Hause ausgezogen, um mit Heiko, meinem Sandkastenfreund, eine WG zu gründen, die genau genommen nur aus uns beiden bestand. Mittlerweile lebe ich zwar alleine, dennoch ist Heiko der Grund, weshalb ich nicht weg will. Ja, ihr ahnt es sicher schon. Es ist die älteste aller Geschichten: Ich bin in meinen besten Freund verliebt. Und um es mir so richtig übel mitzugeben, ist er natürlich hetero und obendrein mit meiner kleinen Schwester verlobt. In einem halben Jahr ist die Hochzeit.

Dreimal dürft ihr raten, wer sein Trauzeuge sein wird.

 

Bisher weiß Heiko nichts von meinen Gefühlen ihm gegenüber und ich werde den Teufel tun, etwas daran zu ändern. Zwar weiß er, dass ich schwul bin, doch dass er der Grund dafür ist, dass ich noch nie eine Beziehung hatte, das weiß er nicht.

Er denkt, ich hätte einfach nur noch nicht den Richtigen gefunden. Dabei geschah das bereits vor dreißig Jahren, als wir uns mit gerade mal zwei Jahren im Kindergarten kennenlernten.

Wir klebten von Anfang an wie die Kletten aneinander und stellten sämtlichen Blödsinn zusammen an. Oh, die Mädchen haben uns regelrecht gehasst, weil wir immer Regenwürmer in ihren Schuhen oder Mützen versteckt haben. Mit vierzehn tranken Heiko und ich heimlich unser erstes Bier, das ich aus dem Keller meiner Eltern hatte mitgehen lassen, und holten uns hinterher gegenseitig einen runter. Von diesem Zeitpunkt an wollte ich keinen anderen mehr.

Dumm nur, dass Heiko sich am nächsten Tag nicht mehr erinnern konnte und mir war das Ganze derart peinlich, dass ich nie wieder ein Wort darüber verlor.

Tja, und dann kam meine Schwester in die Pubertät und irgendwann besuchte er mehr Rebecca als mich. Wie üblich in dem Alter war sie mit den zwei Jahren, die sie jünger ist als wir, deutlich reifer als die gleichaltrigen Jungs. Dass Heiko damals statt mit ihr mit mir zusammengezogen ist, lag einzig daran, dass Rebecca zu dem Zeitpunkt noch nicht mit der Schule fertig war und unsere Eltern dementsprechend dagegen, sie gehen zu lassen. Andernfalls wäre es nie dazu gekommen, das weiß ich genau.

 

Das ist also der Status quo: Ich, Falk Meinecke, 32 Jahre, graue Maus, sexuell unerfahren (der One-Night-Stand, den ich mit zwanzig hatte, weil ich es endlich hinter mir haben wollte, zählt für mich nicht wirklich), heimlich verliebt in den besten Freund ohne Aussicht auf Besserung, sitze hier und heule Fremden die Ohren voll.

Super, und jetzt habe ich mich doch beschrieben. Na ja, vergesst es einfach, machen alle anderen schließlich ebenfalls.

Doch von nun an wird alles anders. In ein paar Minuten holt mich Birgit ab; meine beste Freundin.

Als wir uns vor ein paar Jahren kennenlernten, war sie noch mit dem Typen, der über mir wohnte, zusammen. Wir sind uns ein paar Mal im Treppenhaus und beim Einkaufen begegnet. Irgendwann machte ich den Fehler, sie zu fragen, wie es ihr denn ginge. Eine Frage, die normale Menschen, mit einem »Gut, danke« beantworten. Nicht so Birgit. Sie schüttete mir ihr Herz über die böse Männerwelt aus und dass sie zwar wisse, dass ihr Freund sie betröge, aber dass sie ihn zu sehr liebe, um ihn zu verlassen. Diesen besagten Abend verbrachten wir mit viel Reden, viel Lachen und noch mehr Tequila in meinem Wohnzimmer.

Es tat gut mit jemandem, der einen objektiven Blick auf die Dinge hat, über alles zu sprechen. Ihr mein Herz auszuschütten, fiel mir extrem leicht, sodass ich das Gefühl hatte, sie schon ewig zu kennen. Birgit ist damit die Einzige, die über mein Dilemma Bescheid weiß. Sie versteht mich und verurteilt mich nicht, auch wenn sie mir immer wieder klarzumachen versucht, dass ich mich lösen muss. Selbstverständlich weiß ich das ebenfalls, doch sagt sich so etwas immer so leicht. Herz und Verstand gehen eben leider nicht immer konform. Birgit ist dies ebenso bewusst, weshalb sie mir immer wieder geduldig zuhört, mich aufbaut und mir Ratschläge gibt. So gesehen war es im Nachhinein betrachtet kein Fehler gewesen, sie anzusprechen.

Damals machte sie kurz darauf endlich mit ihrem untreuen Freund Schluss. Ich tröstete sie, wir lästerten noch mehr über Männer und seit dieser Zeit möchte ich sie nicht mehr in meinem Leben missen. Als Birgit und Heiko das erste Mal aufeinandertrafen, war mir ein wenig mulmig zumute. Doch sie ließ sich nichts anmerken, bis heute nicht.

Schon seit einer halben Ewigkeit versucht sie mich davon zu überzeugen, dass ich etwas ändern muss, vor allem mich selbst. Dabei stichelt sie zwar gern, drängt mich aber nie. Birgit ist eben zum einen ein echter Kumpel, zum anderen ist sie aber auch eine typische Frau, die einen Teil der üblichen Frauengene besonders stark ausgeprägt innehat. Ganz oben auf der Liste steht: Klamotten shoppen. Bisher habe ich mich erfolgreich vor ihren Versuchen, mir die neueste Mode anzudrehen, drücken können. Sie hat zwar ab und zu mal nachgehakt, aber bisher immer akzeptiert, wenn ich dankend ablehnte. Die einzige Konsequenz, die daraus folgt, ist, dass sie für sich nur umso mehr einzukaufen scheint. Dabei ›darf‹ ich immer mitkommen, sei es als kritischer Berater oder als der Depp, der alles zu ihr nach Hause trägt.

Aber heute ist nicht sie es, die unbedingt shoppen will, sondern ich möchte mich selbst endlich neu einkleiden. Ich habe es nämlich allmählich satt, still vor mich hin zu leiden. Es gibt genügend tolle Männer da draußen. Da wird doch wohl einer dabei sein, der mich Heiko vergessen lässt!

Birgit hat sich gefreut, als fielen Weihnachten und ihr Geburtstag auf einen Tag, als ich ihr meinen Entschluss zur Lebensveränderung mitteilte.

»Na endlich, Falk. Ich hatte schon befürchtet, du schaffst den Absprung nie. Wir machen aus dir einen neuen Menschen. Du wirst sehen: Die Männer werden reihenweise umfallen.«

 

Ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht geworden. Aber als ich abends nach Hause komme, besitze ich drei neue Hosen, einige T-Shirts sowie Hemden und sogar zwei Paar neue Schuhe. Das Argument, meine Sneakers seien doch noch völlig in Ordnung, ließ Birgit nur die Augen verdrehen. Stattdessen nahm sie mir das Versprechen ab, dass ich diese ›siffigen Dinger, die nur noch vom Dreck zusammengehalten werden‹ entsorge, sobald ich zu Hause bin. Als ich dann meine langen Wegbegleiter so lieblos in dem Plastikmülleimer liegen sehe, bin ich kurz versucht, Trauermusik zu spielen.

Zur Krönung hat Birgit mich noch zum Friseur geschleift. Dabei ist der letzte Schnitt höchstens drei Monate her und meine Mutter macht das wirklich nicht schlecht.

Birgit war ein wenig enttäuscht, dass der Friseur hetero und verheiratet ist. Ein Umstand, der sowohl ihm als auch mir zugutekam, sonst hätte sie sicher keine Ruhe gegeben, bis wir uns verabredet hätten.

So laufe ich nun mit der ersten professionellen Frisur meines Lebens herum. Ich muss zugeben, es sieht gar nicht mal übel aus, was er aus den Fransen gemacht hat. Dass die blonden Strähnen tatsächlich nötig waren, bezweifle ich, aber das wächst ja auch wieder raus.

 

~*~*~

 

Am Montagmorgen bin ich wie üblich eine halbe Stunde zu früh auf der Arbeit. Wir fangen um acht an, aber wenn ich später losfahre, stünde ich derart im Stau, dass ich regelmäßig unpünktlich wäre.

Notorische Zuspätkommer kann ich nicht leiden, weshalb ich selbst meistens zu früh bei Verabredungen erscheine.

Ich schlurfe also in die Küche unseres Büros - denn ohne die zweite Tasse Kaffee bin ich noch kein Mensch - als mein Chef hereinkommt. Eigentlich ist er nie vor neun Uhr im Haus, wenn überhaupt.

»Uwe? Was ist los? Hat deine Frau dich rausgeschmissen?«, witzle ich und widme mich wieder der Kaffeemaschine.

»Was machst du hier, Falk?«

Mit Blick über meine Schulter sehe ich ihn fragend an. »Ich arbeite hier, sofern sich seit Freitag nichts daran geändert hat.«

»Scherzkeks. Du bist doch heute im Kundeneinsatz.«

Wie bitte? Warum steht das denn nicht in meinem Kalender? Ich trage die Termine immer ein, auch in mein Handy, damit ich den Überblick behalte. Hat Henning vergessen, mir Bescheid zu geben? Sähe ihm durchaus ähnlich.

Stirnrunzelnd hole ich mein Smartphone hervor, öffne die Kalender-App, heutiger Tag. Na also, da ist kein ...

»Mist!« Ich hab’s tatsächlich übersehen. Das ist mir noch nie passiert!

Die Adresse steht auch dabei. Bei dem Berufsverkehr kann es eng werden, rechtzeitig dort zu sein.

Ich laufe zurück ins Büro und greife mir die Jacke vom Haken. Wo habe ich nur den Autoschlüssel? Ich klopfe meine Hosentaschen ab. Nichts. In der Jacke ist er ebenfalls nicht. Ich drehe mich um mich selbst. Habe ich den etwa verloren? Mir wird warm. Ich streife die Jacke wieder ab. »Mist!«

»Hier!« Uwe hält mir den Schlüssel vors Gesicht. Woher ...? Egal. Ich hechte zur Tür und stolpere beinahe über meine eigenen Füße.

»He, mach langsam! Henning ist schon vor Ort.« Henning ist unser Mann fürs Grobe. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich der Hardware, während ich für den Rest zuständig bin.

»Wann öffnen die?« Kurzer Blick auf die Uhr. Es ist Viertel vor acht.

»Um halb neun, glaube ich.«

»Okay, das schaffe ich.« Hoffe ich zumindest. Wenn ich den Schleichweg nehme und überall minimal die Geschwindigkeit übertrete, müsste es klappen.

»Falk, fahr vorsichtig«, ermahnt mich mein Chef. »Ich brauche dich noch. Das Basisprogramm einspielen bekommt Henning ebenso hin. Das gibt dir ein wenig mehr Zeit.«

Ich nicke, doch wir wissen beide, dass ich diese Dinge lieber selbst erledige.

Mit meinem Rucksack in der Hand bin ich schon fast aus dem Büro gelaufen, als Uwe noch hinterhersetzt: »Siehst übrigens gut aus. Steht dir.«

»Äh ... danke?« Ja, ich habe heute gleich eins der neuen Outfits angezogen. Und? Ich meine, ich gehe kaum weg und wenn ich etwas ändern will, sollte das wohl im Alltag beginnen.

Ich sehe ihn nur noch grinsen, bevor ich zum Auto eile.

 

~*~*~

 

Um 8:28 Uhr stehe ich vor besagter Apotheke. Durch das Schaufenster erkenne ich Henning und einen Typ im weißen Kittel, wobei es sich vermutlich um den Chef handelt. Obwohl er reichlich jung aussieht. Ich bezweifle, dass der überhaupt schon dreißig ist.

In Ermangelung einer Klingel klopfe ich an die Scheibe. Der Apotheker kommt lächelnd auf mich zu und drückt von innen einen Knopf. Die Automatiktür öffnet sich.

»Guten Morgen! Falk Meinecke. Entschuldigen Sie bitte die Verspätung«, rede ich sofort auf ihn ein.

»Kein Problem. Herr Römer hat uns informiert, dass Sie im Stau stehen.« Er lächelt meine Entschuldigung einfach weg und ich verfalle kurz in ungläubiges Starren. Dürfen Apotheker so gut aussehen?

»Ich bin übrigens Marius Wenke.« Der Typ streckt mir seine Hand entgegen. Fester, kräftiger Händedruck und so wie der aussieht, hat er sicher an jedem Finger drei Frauen. Durchtrainiert, ohne prollig zu wirken, und auch der leichte Bartschatten passt zu ihm. Ob die fast schwarze Farbe seiner Haare wohl aus der Tube kommt? Sind sie von Natur aus ein wenig widerspenstig oder ist diese Frisur gewollt? Sind seine Haare so weich, wie sie aussehen? Und warum frage ich mich das alles?

Räuspernd entziehe ich ihm meine Hand.

»Also, Herr Wenke ...«

»Marius«, unterbricht er mich. Ich blinzle einige Male. Herr Wenke grinst mich an. »Einfach Marius«, ergänzt er.

»O ... Okay.« Oh, Mann! Der Kerl hat ein dermaßen charmantes Lächeln, dass es einem das Hirn aus dem Kopf saugt und man dabei auch noch freudig »Ja!« ruft. Ich lächle zurück und verspüre einen gewissen Stolz, das ohne größere Probleme zu bewerkstelligen.

»Also ... Marius«, betone ich und er lächelt gleich noch eine Spur breiter. »Wie weit sind Sie schon gekommen?«

Henning räuspert sich. Stimmt, das sollte ich eher meinen Kollegen fragen.

»Alte Hardware ist raus, neue drin. Ich wollte gerade den Server einrichten, aber das kannst du ja jetzt machen. Dann kümmere ich mich in der Zeit um die Kleinteile.« Henning deutet auf das Kabelwirrwarr.

»Okay. Entschuldigung«, wende ich mich erneut an Marius. »Bis halb neun wird es wohl nichts.« Vor allem, da es laut meinem Handy bereits 8:37 Uhr ist.

»Ach, wir öffnen erst um neun und selbst wenn, dann werde ich eben improvisieren.«

Okay, neun müsste zu schaffen sein. Wenigstens der Server und eine Kasse.

 

Es wird zehn nach neun, aber immerhin. Marius ist begeistert. Seine beiden Angestellten ebenfalls.

Als ich mir das Feintuning des Servers vornehme, kommt Henning zu mir.

»Sag mal, hast du jetzt ’nen Styling-Berater?«

Ich ignoriere seine spitze Bemerkung. Schließlich sehe ich nicht viel anders aus als er, nur ist man es von mir nicht gewohnt.

»He, das war ein Kompliment. Gefällt mir.«

Ein kurzer Seitenblick auf ihn bestätigt, dass er es ehrlich meint. Ich zucke mit den Schultern. »Dachte, ich gönne mir mal was Neues.« Genau, immer schön beiläufig klingen, richtig so.

»Hm, und das genau zur passenden Zeit, wie’s aussieht.« Henning grinst mich vieldeutig an.

»Hm?«, mache ich, während ich darauf warte, dass der Computer meine Änderungen übernimmt.

Henning kommt näher. »Nun, Herr Wenke hat mir nicht das ›Du‹ angeboten. Der steht auf dich«, flüstert er.

»Du spinnst doch«, wiegle ich ab und konzentriere mich weiter auf meine Arbeit. Also, ich versuche es. Einige Male vertippe ich mich, so sehr zittern meine Hände.

Das glaube ich einfach nicht. Der ist nie und nimmer schwul und wenn, steht der sicher nicht auf unscheinbare graue Mäuse.

»Glaub mir. Ich habe einen Blick für solche Dinge.« Henning zwinkert mir erneut zu, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmet.

Kopfschüttelnd sehe ich ihm nach. Als wenn er das als Hetero beurteilen könnte.

»Kaffee?« Ich zucke heftig zusammen, als Marius plötzlich neben mir steht. Wo kommt der denn her?

»Äh ...« Ich freue mich doch immer wieder über meine Eloquenz. »Milch? Zucker?«, fragt er weiter.

Mein Kopfschütteln lässt Marius lachen. »Auf welche Frage war das jetzt die Antwort?«

»Ohne alles«, erwidere ich krächzend. Himmel, warum ist mein Hals denn so trocken?

Dankbar, mich an etwas festhalten zu können, nehme ich Marius die Tasse ab.

»Also, Falk ...« Erwähnte ich schon, dass ich es mag, wie er meinen Namen ausspricht? Oje! Was passiert hier mit mir? Solche Hormonwallungen hatte ich nicht mehr seit der Sache mit Heiko damals.

»Machst du die Betreuung hier vor Ort?« Den intensiven Blick über den Rand der Tasse hinweg bilde ich mir bestimmt nur ein. Man sieht doch immer nur das, was man gerne sehen will, nicht wahr? Dennoch bewirkt allein diese Illusion ein warmes Kribbeln in mir. Ob es vermessen wäre zu fragen, ob ich ein Bild seiner Augen in meiner Wohnung aufhängen darf? Dann könnte ich seufzend davorsitzen und mich darin verlieren.

Kopfschüttelnd schaue ich nach unten und puste in meine Tasse.

»Äh, nein. Frau Herold müsste gleich da sein. Sie ist heute und morgen für Sie da. Also, für dich, euch, Sie ... also ...« Wow! Ich habe mich selten so peinlich benommen. Mein Gesicht glüht. Ich sehe Marius lächeln, als ich kurz den Blick hebe.

»Schade.«

Schade? Was meint er denn damit?

»Das heißt, wenn alles eingerichtet ist, bist du wieder weg, ja?«

Ich nicke nur. Bloß nicht noch mehr reden. Das übersteigt momentan bei Weitem meine Fähigkeiten.

»Hm, vielleicht solltest du mir deine Nummer geben, für den Fall, dass mal etwas mit der Software sein sollte.«

»Da ... Dafür gibt es dann ja die ... die Hotline.« Ich habe 32 Jahre nicht gestottert - warum fange ich jetzt damit an?

»Schon, aber du weißt doch besser, was genau du hier gemacht hast.«

Uwe mag so etwas nicht, dennoch höre ich mich sagen: »Meine Durchwahl ist die 311.«

Marius nickt und kommt ein wenig näher. »Und hast du auch eine Handynummer für den Notfall?«

Ich schlucke mehrmals. Wo ist denn die ganze Feuchtigkeit aus meinem Mund hin? »Äh, wieso ...? Das wird dann eh umgeleitet und ...«

»Mann, Falk«, unterbricht Henning mein Gestammel. »Herr Wenke möchte gerne deine Privatnummer, um dich näher kennenzulernen.« Spinnt der jetzt vollkommen? Der kann doch so etwas nicht einfach so sagen! Hektisch sehe ich zwischen ihm und Marius hin und her.

»Entschuldigen Sie, Herr Meinecke ist manchmal etwas schwer von Begriff«, wendet er sich nonchalant an Marius.

Geht’s noch peinlicher? Doch Marius scheint das nicht zu stören. Im Gegenteil, er grinst jetzt ebenfalls und zwinkert Henning zu. »Gut zu wissen.«

Jetzt sieht er mich erneut abwartend an und ich frage mich, ob schon einmal jemand gestorben ist, weil sämtliches Blut in den Kopf geflossen ist und die restlichen Organe unterversorgt waren. Wenn nicht, werden wir es bald herausfinden, fürchte ich.

Unfähig irgendetwas zu tun, geschweige denn zu denken, schaue ich Marius weiterhin an, bis er mir einen Zettel und einen Stift entgegenhält. Als mir auch das keine Reaktion entlockt, reißt er das Papier in der Mitte durch und schreibt etwas auf die eine Hälfte, um es mir dann zu geben. Seine Handynummer. Ich schlucke. Meine Finger zittern, als ich danach greife.

Ich benehme mich wie ein unerfahrener Teenager. Oh Mann! Vom Alter mal abgesehen, stimmt das ja auch leider.

Bevor es noch peinlicher wird, schließe ich kurz meine Augen, atme möglichst unauffällig einmal durch und schreibe endlich meine Nummer auf. Ob er mein Zittern bemerkt?

Marius freut sich sichtlich und verspricht mir augenzwinkernd: »Ich melde mich.«

 

~*~*~

 

»Oh, Mann! Das war so peinlich!«, jammere ich, doch Rebecca lacht nur. »Ach, was! In zwanzig Jahren lacht ihr darüber. Außerdem ist das doch eine tolle Geschichte, die ihr irgendwann euren Nichten und Neffen erzählen könnt.«

Meine Schwester und mein bester Freund standen plötzlich unangemeldet vor meiner Tür und hatten es furchtbar eilig hereinzukommen. Doch bevor sie mir sagten, weshalb sie hier aufgekreuzt sind, hatte Rebecca schon erkannt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Manchmal ist es unheimlich, wie gut sie mich kennt. Abstreiten bringt in solchen Situationen nichts, sondern nur: gemeinsam auf die Couch setzen und reden. Ob ich will oder nicht.

»Ha, ha«, erwidere ich humorlos. »Heiko findet das auch nicht lustig, siehst du?«

»Ach, der.« Rebecca winkt ab und schaut zu ihm. »Alles okay, mein Schatz?«

Ich sehe, was sie meint. Heikos Ausdruck wirkt schmerzerfüllt.

»Ich frage mich, ob das eine gute Idee war«, erklärt er mit vorwurfsvollem Blick.

»Wieso?«, frage ich irritiert.

»Wie lange kanntest du den Typ? Eine Stunde? Und dann gibst du ihm einfach deine Nummer?«

»Was ist denn mit dir los?« Rebecca klingt so überrascht, wie ich mich fühle.

»Ich meine ja nur. Der Kerl ist mir nicht geheuer.« Heiko verschränkt die Arme vor der Brust. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er seine Meinung so schnell nicht ändern wird.

»Du kennst ihn doch gar nicht«, verteidigt meine Schwester Marius.

»Eben. Du kennst doch Falks Menschenkenntnis.« Ohne mich anzusehen, zeigt er auf mich.

»Ey!«, wende ich ein. »Ich bin hier, falls ihr es vergessen habt und ich bin durchaus in der Lage, selbst zu entscheiden, wem ich meine Nummer gebe. Meine Güte, der wird mich schon nicht gleich stalken. Vielleicht treffe ich mich auch gar nicht mit ihm.«

Die unerwartete Lautstärke meinerseits lässt die beiden mich überrascht ansehen. Heiko zieht eine Augenbraue hoch. Solch einen Ausbruch kennt er nicht von mir.

»Ich wollte nur anmerken, dass du vorsichtig sein sollst.« Er klingt trotzig.

»Ist angekommen«, informiere ich ihn. »Und jetzt sagt endlich, warum ihr mich überhaupt überfallen habt.«

Rebecca nimmt meine Hand und sieht mich betreten an. Was ist denn nun los? Wollen sie die Hochzeit absagen?

»Ich ... Wir wollten, dass du es als Erster erfährst«, beginnt sie geheimnisvoll. Auf ihrer Unterlippe kauend sieht sie mich unschuldig an. Ja, was ist denn nun?

Scheu blickt sie kurz zu Heiko, bevor sie mich schließlich anlächelt. »Du wirst Onkel.«

»Was?!« Hat sie gerade ernsthaft gesagt, dass ...?

»Oh, Gott!« Bevor hier ein falscher Eindruck entsteht: Das ist kein Ausruf der Freude!

»Aber du ... ihr ... wie ...?« Hektisch wechselt mein Blick mehrfach zwischen den beiden hin und her. Rebecca schaut amüsiert, Heiko wirkt dagegen irgendwie unbeteiligt.

»Seid ihr sicher?«

»Ja, natürlich sind wir das.« Jetzt grinst sie über das ganze Gesicht. Scheiße!

Ich atme einmal tief durch. »Äh, okay. Glückwunsch.« Meine Manieren haben den Schock offenbar schneller überwunden als der Rest von mir.

»Danke!« Rebecca strahlt. Heiko nickt mir lediglich kurz zu und sieht dann angestrengt weg. Na, glücklich sieht definitiv anders aus.

II

Die nächsten Tage verlaufen wie gewohnt. Marius hat sich nicht gemeldet und ich werde den Teufel tun, ihn von mir aus anzurufen. Ich kann so etwas einfach nicht.

Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich ziemlich erbärmlich. Manchmal fühle ich mich wie Drew Barrymore in ›Ungeküsst‹. Kennt ihr diese olle Liebesschnulze? Nur, um das klarzustellen: Ich musste sie mir damals mit Birgit zusammen ansehen.

Zumindest geht es mir genauso wie ihr. Auch ich warte noch auf meinen ersten richtigen Kuss mit einem Mann. Bei One-Night-Stands küsst man ja bekanntlich meistens nicht.

 

Ich frage mich, wozu so ein blödes Herz und diese ganzen Gefühle eigentlich gut sind. Okay: Trieb, Arterhalt, dafür sind sie recht praktisch. Denn nur aus Vernunftgründen würden sich wohl kaum zwei Menschen zusammenfinden, um Nachwuchs zu produzieren.

Aber warum hat die Natur es nicht eingerichtet, dass der Verstand bei diesem Mist ein Wörtchen mitzureden hat? Ich meine, mein verdammtes Herz schlägt seit beinahe zwanzig Jahren für Heiko. Mein Kopf hat bereits vor langer Zeit realisiert und akzeptiert, dass das Ganze einseitig ist. Warum gibt es nicht die Möglichkeit, dass das Gehirn irgendwelche Botenstoffe aussendet und das Herz einfach aufhört mit dem Quatsch, sodass man sich jemand anderem zuwenden kann?

Echt, der menschliche Organismus ist eine komplette Fehlkonstruktion. Als Produkt irgendeiner Firma wäre der Mensch so nie auf den Markt gekommen oder sofort wieder eingestampft worden, wenn die Verantwortlichen vorher nicht noch auf Schadensersatz verklagt worden wären.

 

Stattdessen quäle ich mich mal mehr, mal weniger herum und mache gute Miene zum bösen Spiel, wie es so schön heißt. Ich lasse die blöden Kommentare von Henning über mich ergehen, ob ich mich schon mit meinem Loverboy getroffen hätte, und versuche, mich für Heiko und meine Schwester zu freuen.

Dachte ich bis vor Kurzem noch, die Hochzeit würde alles endgültig besiegeln, hat mich die Nachricht über Rebeccas Schwangerschaft eines Besseren belehrt. Heiko ist ein absoluter Familienmensch und dieses Baby wird die beiden auf ewig aneinanderbinden.

Ein weiteres Mal wird mir bewusst, dass sich in einem verborgenen Eckchen meines Herzens noch immer ein winzig kleines bisschen Hoffnung versteckt hatte. Wie dämlich kann ein Mensch sein? Wie viele Beweise braucht es noch, dass mein Herz endlich aufhört, in jeden Blick etwas hineinzuinterpretieren?

Womit wir wieder beim Thema ›Fehlkonstruktion‹ wären.

 

~*~*~

 

In der Mittagspause am Donnerstag entdecke ich zwei Nachrichten und einen verpassten Anruf auf meinem privaten Handy. Ich glaube, das ist Rekord, denn ich bekomme selten Nachrichten, schon gar nicht tagsüber, weil jeder, der mich kennt, weiß, dass ich während der Arbeit kaum auf mein privates Handy schaue oder es auch gerne mal zu Hause vergesse. In wirklich dringenden Fällen bin ich schließlich auf meinem Diensthandy zu erreichen, welches ich tagsüber immer bei mir trage. Meine Familie sowie Heiko und Birgit kennen die Nummer und wissen, dass ich bei diesem den Ton nicht ausstelle.

Nun gut, wollen wir doch mal sehen, wer sich gemeldet hat.

Die erste Nachricht stammt von meiner Mailbox, dass ich einen Anruf verpasst habe, dessen Anrufer keine Nachricht hinterlassen hat. Die zweite ist von Marius.