Feldversuch - Daniel Etter - E-Book

Feldversuch E-Book

Daniel Etter

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Beschreibung

Die Verwirklichung eines Traums und zugleich spannende Einblicke in die Wege der alternativen Landwirtschaft

Wie schafft man es, Landwirtschaft mit der Natur zu betreiben, nicht gegen sie? Böden lebendig zu halten, Hitze und Dürre zu trotzen, die Artenvielfalt zu schützen und dabei gut zu ernten? Der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Fotograf und Autor Daniel Etter hat in Nordspanien einen kleinen Hof erworben und sich damit einen Traum erfüllt. Es soll ein Rückzugs- und Energieort für den Reporter sein, der oft in Krisengebieten unterwegs ist. Mit seiner Partnerin und Helfern und Helferinnen pflanzt er Olivenbäume und baut Obst und Gemüse an – nach Methoden der nachhaltigen, regenerativen Landwirtschaft. Auf der Suche nach Vorbildern macht sich Etter auf die Reise zu Menschen, die andernorts mit Alternativen zur industriellen Landwirtschaft experimentieren. In England lässt er sich von einem Pionier die Idee des Waldgartens erklären, er besucht Bäuerinnen und Bauern in Deutschland und Österreich, Schäfer in Frankreich und Viehzüchter im Schwarzwald. Wie ein roter Faden zieht sich daneben die Beschreibung eines Jahreslaufs auf seinem Hof durch das Buch: Pflanz- und Pflegearbeiten, der Kampf mit Klimaerwärmung und Wetterschwankungen, Enttäuschungen und freudige Momente, das Nachdenken über den Weg zu einer besseren Zukunft. Das schön ausgestattete Buch enthält zahlreiche Fotos von Daniel Etter.

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Die Verwirklichung eines Traums und zugleich ein spannendes Experiment der alternativen Landwirtschaft

Wie schafft man es, Landwirtschaft mit der Natur zu betreiben, nicht gegen sie? Böden lebendig zu halten, Hitze und Dürre zu trotzen, die Artenvielfalt zu schützen und dabei gut zu ernten? Der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Fotograf und Autor Daniel Etter hat mit seiner Partnerin in Nordspanien einen kleinen Hof erworben und sich damit einen Traum erfüllt. Es soll ein Rückzugs- und Energieort für den Reporter sein, der oft in Krisengebieten unterwegs ist. Die beiden pflanzen Olivenbäume und wollen Obst und Gemüse anbauen – nach Methoden der nachhaltigen, regenerativen Landwirtschaft. Auf der Suche nach Vorbildern macht sich Etter auf die Reise zu Menschen, die andernorts mit Alternativen zur industriellen Landwirtschaft experimentieren. In England lässt er sich von einem Pionier die Idee des Waldgartens erklären, er besucht Bauern in Deutschland und Österreich, Schäfer in Frankreich und Viehzüchter im Schwarzwald. Wie ein roter Faden zieht sich daneben die Beschreibung eines Jahreslaufes auf seinem Hof durch das Buch: Pflanz- und Pflegearbeiten, der Kampf mit Klimaerwärmung und Wetterschwankungen, Enttäuschungen und freudige Momente, das Nachdenken über den Weg zu einer besseren Zukunft. Das schön ausgestattete Buch enthält zahlreiche Fotos von Daniel Etter.

Daniel Etter ist Fotograf, Autor und Filmemacher. Er hat unter anderem den Pulitzer-Preis, einen World Press Photo Award und den Hansel-Mieth-Preis gewonnen. Die meiste Zeit seiner beruflichen Laufbahn hat er in Krisenregionen wie Afghanistan, dem Irak oder Syrien verbracht. Er lebt auf einem Bauernhof in Spanien, beschäftigt sich dort mit regenerativer Landwirtschaft und hofft, dass seine Olivenplantage in den nächsten Jahren endlich Öl abwirft. Das mit seinen Fotos bebilderte Buch von Marco Maurer, Meine italienische Reise, stand wochenlang auf der Bestsellerliste.

www.penguin-verlag.de

DANIEL ETTER

FELDVERSUCH

MEIN HOF UND DIE SUCHE NACH DER ZUKUNFT DER LANDWIRTSCHAFT

Mit Fotografien des Autors

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Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2024 Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lektorat: Ulrike Gallwitz

Bildbearbeitung: Lorenz + Zeller GmbH, Inning a. Ammersee

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt

Umschlagabbildungen: © Daniel Etter

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-30548-2V001

www.penguin-verlag.de

INHALT

Protagonistinnen und Protagonisten

PROLOG  Der Waldgärtner

FRÜHJAHR

AUFLEBEN  Unser spanischer Garten

WASSER  La Junquera und der Anbau in permanenter Dürre

NETZE  Was das Mar Menor über komplexe Systeme lehrt

KONTROLLE  Wie wir unseren Garten sich selbst überlassen

BODEN I  Ohne Pflug gegen die Erosion niedersächsischer Sandböden

BODENII  Der längste Feldversuch

SOMMER

DÜRRE  Unser Garten verdorrt

ZYKLEN  Ursünde und Segen der industrialisierten Landwirtschaft

BODENIII  Ein österreichischer Landwirt und seine fünf Millionen Regenwürmer

ENTFREMDUNG  Deutsche Ackerflächen in Brasilien

DIVERSITÄT  Wie ein Brite Bäume für den Acker wiederentdeckte

HERBST

HITZE  Wie mich unser Garten Demut lehrte

VIEH I  Die Grenzen meines Vegetarismus

VIEHII  Mit Schäfern durch die französischen Alpen

VIEHIII  Die Kuh als Klimaretter?

VIEHIV  Glückliche Kühe im Schwarzwald

WINTER

STASIS  Wahlen in unserem Tal

REINTEGRATION  Wie ein Bauer in Brandenburg Landwirtschaft und Natur versöhnen will

PFLANZEN  Wir gestalten unseren Garten klimaresilient

RADIKALEANNÄHERUNG  Eine Vision für die Landwirtschaft der Zukunft

EPILOG  Die Waldgärtnerin

Dank

Quellenverzeichnis

Register

PROTAGONISTINNEN UND PROTAGONISTEN

Für den Waldgärtner Martin Crawford sind Pflanzen eine Form des Widerstandes gegen ein destruktives System.

Yanniek Schoonhoven und Alfonso Chicode Guzmán betreiben im Südosten Spaniens den Betrieb La Junquera.

Isabel Rubio Pérez, Englischlehrerin in Rente, kämpft für das Mar Menor und gegen die intensive Landwirtschaft.

Friederike Schierholz und Alexander Schierholz-Prilop versuchen, Erosion auf kargen niedersächsischen Sandböden durch den Verzicht aufs Pflügen zu stoppen.

Meike Grosse, studierte Musikerin, ehemalige Geigenlehrerin und Doktorin der Landwirtschaft, betreut im schweizerischen Aargau einen der längsten Feldversuche zu ökologischer Bodenbearbeitung in Europa.

Alfred Grand, Landwirt in unzähliger Generation, lässt auf seinem Hof westlich von Wien Millionen Regenwürmer für sich arbeiten.

David Wolfe führt im Osten von England das Erbe seines Vaters weiter, der Bäume für den Acker wiederentdeckte.

Lennart Claaßen und Nanouk Dognies wollen mit Schafen in den französischen Alpen Biodiversität aufbauen.

Biobauer Christoph Trütken will auf dem Antoni-Hof im Schwarzwald mit Rindern Kohlenstoff im Boden speichern.

Bodenkundler Christopher Poeplau vom Thünen-Institut für Agrarklimaschutz kämpft gegen falsche Versprechen und für ein neues Paradigma der Landwirtschaft.

Benedikt Bösel betreibt in Brandenburg einen der größten regenerativen Betriebe Europas und will Landwirtschaft und Natur versöhnen

Für die Landwirtin und ehemalige Künstlerin Maria Giménez sind Gärten ein Akt der Revolution.

PROLOG  DER WALDGÄRTNER

Die Hypothese von Gaia ist für jene bestimmt, die gerne herumstreifen oder einfach stehen und schauen, die über die Erde staunen und das Leben, das sie trägt, und über die Folgen nachdenken, die unsere Existenz hier nach sich zieht. Sie bietet eine Alternative zu der pessimistischen Sicht, nach der die Natur nur eine primitive Kraft verkörpert, die es zu unterwerfen und zu erobern gilt.

J. E. Lovelock, 1979

Ein kleiner Wald, sattgrün und wild bewachsen, von Laubbäumen dominiert, die 20, vielleicht 30 Meter in den Himmel der englischen Grafschaft Devon ragen. Allein folge ich einem schmalen Pfad hinein, versuche mich zu orientieren. Mit jedem Meter wird deutlich, dass dieser Wald nicht gewöhnlich ist: Erdbeeren bedecken den Boden, dichte Bambussträucher bilden einen Tunnel, durch den der Pfad führt, üppige Yucca-Palmen scheinen sich hierhin verirrt zu haben, die roten Früchte der Japanischen Weinbeere schälen sich gerade aus fein behaarten Knospen. Dieser Wald ist das Lebenswerk von Martin Crawford. Er ist der Ausgangspunkt meiner Suche nach der Zukunft der Landwirtschaft in einer heißeren Welt. Sie hat mich von Südspanien über den Südwesten Großbritanniens durch Niederösterreich und die französischen Alpen bis nach Brandenburg gebracht. Ich habe Neueinsteiger getroffen und Landwirte und Landwirtinnen, die nicht sagen können, in welcher Generation sie ihren Betrieb führen. Crawfords Garten war nicht der geografische Ausgangspunkt, aber sein Ansatz war Inspiration für meinen Garten im Norden Spaniens – und damit auch für dieses Buch.

Am nächsten Morgen treffe ich ihn. Er ist ein hagerer Mann, 61 Jahre alt, seine kurz geschnittenen Haare stehen am Hinterkopf ein wenig wild ab. Crawford trägt, was er auf allen Fotos trägt, die ich von ihm kenne: Jeans, kariertes Hemd und Gummischuhe. Zusammen schlendern wir durch den Wald. Beinahe alles hier ist essbar – die Blätter, Früchte, Wurzeln – oder nutzbar – als Feuerholz, Kerzenwachs oder Medizin. Dann gibt es Pflanzen, die Nährstoffe sammeln und sie anderen verfügbar machen. Die Erlen etwa können mit Hilfe von Pilzen Stickstoff im Boden fixieren, der Beinwell sammelt mit seinen metertiefen Wurzeln Mineralien aus der Tiefe. Das Ganze nennt sich Waldgarten, und Crawford war einer der Pioniere dieses Anbausystems in Europa.

Der Sommer 2022 ist der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in England, die Temperaturen stiegen in den vergangenen Wochen auf über 40 Grad Celsius. Der Höhepunkt der extremen Hitzewelle ist gerade vorbei. Sie hat ihre Spuren in der Landschaft hinterlassen. Die Felder in Devon sind gelb verdorrt. An diesem Tag nieselt es ein wenig, immerhin. Crawford scheint erstaunt, wie gut sich sein Waldgarten unter diesen harschen Bedingungen behauptet. »Wir sind inmitten einer Dürre«, sagt er und schaut sich im dichten Grün um. »Alles ist immer noch üppig. Fast nichts zeigt Anzeichen von Stress durch Trockenheit.« Rund 500 verschiedene mehrjährige Pflanzenarten wachsen hier, drei Viertel davon sind in Großbritannien nicht heimisch. »Die Menschen glauben, dass Pflanzen immer konkurrieren. Aber wenn man seinen eigenen Waldgarten anlegt, stellt man fest, dass die Pflanzen mehr kooperieren als konkurrieren«, erzählt er. »Das merkt man besonders bei diesen extremen Wetterbedingungen.«

Martin Crawford in seinem Waldgarten während eines heißen, trockenen Sommers

1994 pflanzte Crawford hier auf knapp einem Hektar Weideland den ersten Baum. »Wahrscheinlich war es eine Italienische Erle«, erinnert er sich. »So wie die.« Er zeigt zur Krone des mächtigen Baumes, unter dem wir stehen, und legt seine Hand auf die Rinde. Mir fällt es schwer, ein System zu erkennen. Ein Busch wuchert in den nächsten, Kletterpflanzen ranken sich Bäume hinauf, hoch in den Kronen reifen Kastanien ihrer Ernte entgegen, die Obstgehölze scheinen kaum beschnitten – der Alptraum des deutschen Schrebergärtners. Doch der Wald ist das gesamte Jahr hindurch ertragreich. Crawford und seine Familie ernähren sich beinahe ausschließlich daraus. Momentan gibt es etwa Samen von Cajanus cajan, der Straucherbse, die vor allem in den Tropen und Subtropen kultiviert wird, oder Caragana arborescens, dem Gemeinen Erbsenstrauch, dessen Samen in Deutschland offiziell als giftig gelten, die aber gekocht bedenkenlos zu konsumieren sind.

Crawford deutet auf den kleinen Teich, an dem wir vorbeigehen. Er ist dicht mit Wasserlilien bewachsen. Am Rande sprießen Pflanzen mit kleinen weißen Blüten und handtellergroßen, sternförmigen Blättern. »Das hier, Sagittaria, hat wunderbare Knollen.« Für einige indigene Völker Nordamerikas waren sie ein Grundnahrungsmittel. Jetzt gehört Crawford zu den wenigen Menschen weltweit, die sie überhaupt noch essen. »Wahrscheinlich gibt es auf diesem Planeten niemanden, der sich von so viel unterschiedlichem Gemüse ernährt wie du?«, frage ich. Crawford zögert, sagt dann »wahrscheinlich« und kichert stolz.

Ein Waldgarten produziert auf sieben Ebenen: Ganz oben ist der Schirm, die Kronen von Bäumen, die viel Licht brauchen, Kastanien etwa oder Erlen. Dann kommen kleinere oder schattentolerantere Bäume, wie die klassischen Obstbäume Apfel, Birne, Kirsche, oder Außergewöhnlicheres, wie die beinahe schwarzen Apfelbeeren. Auf der nächsten Ebene wachsen Sträucher wie Goji, Blaubeeren oder Himbeeren. Darunter mehrjährige krautige Pflanzen wie Artischocken oder Spargel. Dann folgen Bodendecker, beispielsweise Erdbeeren. Schließlich Pflanzen mit essbaren Wurzeln wie Topinambur und Kletterpflanzen wie Kiwi. Dazwischen wachsen Speisepilze auf Totholz. Alles produziert einmal gepflanzt mehrere Jahre, manchmal über Jahrzehnte. Crawford erntet in seinem Waldgarten das gesamte Jahr über. Es macht ihn und seine Familie unabhängig von gekauftem Gemüse, das wie Tomaten oder Gurken meist einjährig angebaut wird. Dabei produziert er nicht, um andere Menschen zu ernähren. Dafür ist sein System zu komplex und zu wenig auf Effizienz getrimmt.

Doch in Zukunft wird es darauf ankommen, wie wir angesichts der Klimakrise acht Milliarden Menschen ernähren können, wie wir, ohne zu hungern, Biodiversität erhalten und der Klimakrise etwas entgegensetzen können. »Kann man hiermit ein Dorf ernähren?«, frage ich. »Interessante Frage«, antwortet er. »Wenn du ein kommerzielles System willst, musst du simplifizieren.« In geraden Reihen etwa lässt sich einfacher ernten als in diesem gewundenen Wald. »Aber da liegt mein persönliches Interesse nicht«, ergänzt er.

Essbare Pflanzen in Crawfords Garten

Über 28 Jahre ist dieser Waldgarten gewachsen, und mit jedem Jahr wurde deutlicher, warum dieses Projekt so wichtig ist. »Für mich ist die oberste Priorität eines regenerativen oder nachhaltigen Anbausystems, so viel Kohlenstoff zu speichern wie möglich«, sagt er. »Wenn du von dieser Idee ausgehst, kommst du unweigerlich zu einem System mit vielen Bäumen. Waldgärten sind da besser als jedes andere Anbausystem.« Tatsächlich haben sich Wissenschaftler der Universität Kopenhagen angeschaut, wie viel Kohlenstoff in Crawfords Bäumen gespeichert ist: rund 40 Tonnen pro Hektar. Da Kohlenstoffdioxid 3,67-mal so schwer ist wie ein einzelnes C-Atom, bedeutet das knapp 147 Tonnen Kohlenstoffdioxid, die nicht in der Atmosphäre sind. Aber es ist ein Anbausystem, bei dem man Abstriche bei der Produktivität machen muss. Für Crawford ist das unerheblich. Für ihn ist dieser Waldgarten eine gepflanzte Kritik an unserem destruktiven Wirtschaftssystem.

»Das Ding ist, sobald du irgendein Anbausystem kommerziell funktionieren lassen willst, musst du das innerhalb des gegenwärtigen Systems machen.« Das sind auch Gedanken, die mich umtreiben. Das Wirtschaftswachstum seit den Nachkriegsjahren hat vielen Menschen – vor allem in Europa und den USA – unvergleichlichen Wohlstand gebracht. Der konsumgetriebene Kapitalismus ist das mächtigste Wirtschaftssystem, das diese Welt je gesehen hat. Er macht Luxusgüter zu Alltagsgegenständen, vernetzt das abgelegenste Dorf mit dem Rest der Welt und hat uns eine Nahrungsmittelvielfalt im Supermarkt um die Ecke beschert, die für die Generation unserer Großeltern undenkbar war. Und wenn sich diesem Kapitalismus und seinem beständigen Drang nach Wachstum etwas in den Weg stellt, entfaltet er unglaubliche, oft destruktive Kräfte. Die größten Wälder werden gerodet, die Weltmeere verwandeln sich in eine Müllhalde, riesige Sumpflandschaften werden trockengelegt, und die Klimakrise bedroht nicht weniger als die Existenz der Zivilisation. »Prekarität schien einst das Schicksal der weniger Glücklichen zu sein. Jetzt scheint es, all unsere Leben seien prekär – auch wenn, für diesen Moment, all unsere Taschen gefüllt sind«, schreibt die Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing in ihrem Buch Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus. Biogemüse anzubauen, reicht nicht, um diese Gefahr zu bannen.

»Meiner Meinung nach ist das gegenwärtige Wirtschaftssystem komplett nicht nachhaltig. Und es führt uns an den Rand einer Klippe. Davon will ich nicht Teil sein«, sagt Crawford. »Wenn wir als Zivilisation überleben wollen, muss sich das ändern. Wenn das nicht passiert, macht es keinen Unterschied, was du machst.« Crawford lacht über den Fatalismus seiner Worte.

Direkt neben seinem Waldgarten liegen die Gebäude des Schumacher Colleges, an dem ökologisch zentriertes Wirtschaften gelehrt wird. Es gibt Kurse für Marktgärtnerei, und inzwischen gehört auch ein eigener Waldgarten dazu. Studierende helfen Crawford an einem Morgen in der Woche in seinem Waldgarten aus, ernten manchmal mit. »Für junge Leute ist es so schwer. Bei den derzeitigen Umweltbedingungen und angesichts der vielen dramatischen klimatischen Entwicklungen in der Zukunft ist das eine große Herausforderung für sie.« Zudem wird Land für den Anbau immer knapper und immer teurer. »Ich denke, der Druck, etwas zu ändern, wird von ihnen kommen.« Oder von klimaaktivistischen Gruppen wie Extinction Rebellion, die durch Straßenblockaden in Großbritannien notorische Bekanntheit erlangt hat. Diese jungen Menschen machen ihm Hoffnung.

Crawford ist ein stiller, unaufgeregter Mann. Niemand, der auf Barrikaden klettert und die Massen anheizt. Sein Widerstand sind Pflanzen. »Ich bin innerlich zerrissen«, sagt er. »Ich sehe, dass das System nicht funktioniert, aber ich muss irgendwie für meinen Unterhalt sorgen.« Deshalb hat er Bücher geschrieben und auf einem anderen Areal eine Baumschule und Gärtnerei mit ess- und nutzbaren Pflanzen aufgebaut. Dort hat er auch ein Gewächshaus stehen, in dem er Pflanzen für eine heiße Zukunft testet. In dem 20 mal 20 Meter großen und etwa zehn Meter hohen, futuristisch wirkenden Glaskasten wachsen Bananen, Debregeasia orientalis, ein Strauch, der etwa im nordöstlichen Indien heimisch ist und dessen Früchte man essen kann, oder Mashua, die Knollige Kapuzinerkresse, die in den Anden konsumiert wird. Noch kann er die Pflanzen hier nicht ganzjährig unter freiem Himmel anbauen, aber lange wird es nicht dauern, bis dies auch hier, im Südwesten Englands, möglich ist.

Es ist ein Spagat: Auf der einen Seite verdient Crawford so in diesem System Geld, auf der anderen Seite hilft er anderen Menschen, sich ein wenig aus diesem System zu lösen. Pflanzen und Bäume zu verkaufen, sein Wissen weiterzugeben, ist seine revolutionäre Praxis. In den vergangenen Jahren sei die Nachfrage nach Pflanzen schier explodiert. Vor allem seit Beginn der Pandemie. »Alles, was wir tun können, ist, etwas Gutes mit Leidenschaft zu tun und zu hoffen, dass sich die Wellen davon verbreiten«, sagt Crawford. Wenn das alles nicht funktioniert, bleibt ihm eines: »Ich mag es, Pflanzen aufzuziehen«, erklärt er mir ungefragt, als wir durch seine Baumschule schlendern. Es klingt, als sei es die wichtigste Erkenntnis seines Lebens. Er will das bis zum Ende machen. »Eines Tages werden sie mich tot in den Feldern finden.«

Dieses Buch ist im Laufe meiner Reise zu Landwirten und Landwirtinnen in ganz Europa zu einem anderen geworden, als ich es ursprünglich im Sinn hatte, weil dieses Jahr anders war, als ich es mir zu Beginn der Recherche vorgestellt hatte. Auf Sota la Quinta, meinem Bauernhaus im Norden Spaniens, begann es mit einem ungewöhnlich trockenen Winter. Gefolgt wurde dieser von einem Frühjahr, in dem es über Wochen nicht aufhörte zu regnen. Dann kamen späte Fröste im April, die unsere Pfirsichernte dezimierten. Im Mai ist der Garten so grün wie selten zuvor. Doch das Wachstum wird jäh enden. Denn 2022 wird ein Jahr außergewöhnlicher Hitze. Weltweit fallen Temperaturrekorde. Während unser Garten in den Jahren zuvor bis in den Juli hinein saftig grün war, werden die Wiesen in diesem Jahr schon Anfang Juni gelb vertrocknet sein. Unsere Tomaten verkochen am Strauch, der Bach unten im Tal versiegt teilweise und wird sich über Monate nicht regenerieren.

Was jetzt noch Extreme sind, wird bald Normalität sein. Es ist eine Entwicklung, die mir große Sorgen bereitet. Gleichzeitig sehe ich aber, dass dieses Projekt, die Suche nach klimaresilienter und klimafreundlicher Landwirtschaft, dringlicher ist denn je.

Aus der Frage, wie Landwirtschaft nachhaltiger werden kann, wurde die Frage, wie sie in einer heißeren Zukunft überhaupt noch funktionieren kann. Sicher, es gibt Experimente mit Laborfleisch, es gibt riesige künstlich beleuchtete und bewässerte Farmen in den Niederlanden. Aber damit acht Milliarden Menschen ernähren? Das scheint mir utopisch. Die Energie, die Ressourcen, die dafür aufgewandt werden müssten, übersteigen die Kapazitäten dieser Erde. Schon jetzt verbrauchen wir 1,7-mal mehr, als sich regenerieren kann. Landwirtschaft unter offenem Himmel wird auf absehbare Zeit die Norm bleiben. Und diese zu betreiben, wird immer schwieriger werden.

Um das zu verstehen, lohnt ein Blick ins kalifornische Central Valley. In der fruchtbaren Region produzieren 35 000 Farmen auf zweieinhalb Millionen Hektar rund ein Viertel der in den USA konsumierten Nahrungsmittel. Mandeln, Orangen, Weintrauben, Milch, Fleisch und Getreide: 400 Kulturpflanzen werden dort angebaut. Aber die Frage ist, wie lange wird das noch in der derzeitigen Form funktionieren? Seit zwei Jahrzehnten trocknet die Gegend aus. Megadürre nennt sich das. Wobei ich mir die Frage stelle, ob Dürre hier überhaupt noch der richtige Begriff ist. Dürre impliziert ja, dass irgendwann wieder regenreiche Jahre kommen. Aber eine Dürre, die sich über zwei Jahrzehnte erstreckt? Selbst biblische Dürren endeten nach drei Jahren. Was in Kalifornien passiert, sieht nach einer fundamentalen Verschiebung von Wettermustern aus.

Und die Auswirkungen auf die Landwirtschaft sind dramatisch. Aufgrund der Dürre 2021 konnten 155 000 Hektar Ackerland nicht mehr bepflanzt werden. Der finanzielle Schaden betrug 1,5 Milliarden Euro, und 14 000 Menschen verloren ihre Jobs. Amerikanische Konsumenten haben davon jedoch kaum etwas mitbekommen. Globalisierte Versorgungsketten sorgen dafür, dass Ernteeinbrüche in einem Land mit Importen aus einem anderen Land kompensiert werden können. Doch auch das hat Grenzen.

Eine Studie aus dem Jahr 2019 kommt zu dem Ergebnis, dass die Anbaufläche aufgrund schwindenden Wassers allein im südlichen Teil des Central Valleys bis 2040 um gut 200 000 Hektar zurückgehen wird. Eine andere Studie aus dem folgenden Jahr projiziert, dass es bis 2060 in weiten Teilen des Central Valleys nicht mehr kalt genug für Pfirsiche werden wird. Aber es bleibt dort nicht bei Dürren, denn im Winter 2022 beginnen verheerende Regenstürme in Kalifornien. Was als Segen für das ausgetrocknete Land erscheint, ist ein ebenso großes Problem. Der Regen übersättigt den Boden, überfordert Rückhaltebecken und überflutet weite Teile des Central Valleys, weil Böden versiegelt sind, Flüsse nicht genug Platz haben, in die Breite zu gehen, und dem Wasser so keine Zeit gegeben wird, in die Tiefe zu dringen. Anstatt Grundwasser zu speichern, erodiert fruchtbarer Boden.

Im Moment, in dem ich das schreibe, lässt sich noch nicht absehen, wie groß der landwirtschaftliche Schaden sein wird, aber er addiert sich zu den Dürreschäden weltweit. Die Koexistenz von Dürren und extremeren Regenfällen wird seit vielen Jahren von der Klimawissenschaft prognostiziert. Solche Einbrüche werden keine lokalen Ereignisse bleiben, und sofern wir unsere Nahrungsmittelproduktion nicht darauf einstellen, wird es einen Punkt geben, an dem sich die Lebensmittelknappheit auch in amerikanischen oder europäischen Supermärkten niederschlägt, weil die Kapazität globalisierter Kompensation erschöpft ist.

Sosehr Landwirtschaft auch für Klimaschäden verantwortlich ist und sosehr sie unter diesen leidet, so viel Potenzial steckt auch in ihr, den Klimawandel zu verlangsamen. Sie ist eine Chance der Menschheit, möglichst schnell und effektiv etwas zum Besseren zu ändern. Eine Milliarde Tonnen Kohlenstoffdioxid könnte landwirtschaftlicher Boden jedes Jahr zusätzlich fixieren – das sind rund drei Prozent des globalen Ausstoßes. Frankreich hat 2015 das Ziel ausgerufen, den Kohlenstoffgehalt in den Böden der französischen Bauern und Bäuerinnen jedes Jahr um 0,4 Prozent zu erhöhen, will damit knapp die Hälfte seiner Emissionen ausgleichen. Ist das realistisch? Wie kann man das erreichen? Und wie können wir damit weiterhin genug Nahrungsmittel für acht Milliarden Menschen produzieren? Es sind einige der größten Fragen unserer Zeit.

Deshalb wurde meine Reise immer mehr ein Versuch, zu verstehen, wie wir in einer heißeren Zukunft nachhaltig anbauen können. Wie kann die Landwirtschaft mit diesen Extremen, mit Wassermangel und großer Hitze auf der einen und extremen Regenfällen und späten Frösten auf der anderen Seite umgehen? Ich habe Projekte in Spanien, Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Ungarn, Österreich und Deutschland besucht. Viele der Produzenten, Bauern und Viehwirtinnen, die ich getroffen habe, sind Quereinsteiger, oft ohne landwirtschaftliche Ausbildung. Manche sind privilegiert, weil sie Land geerbt haben, andere jung und voller Energie, etwas Neues zu wagen. All das hilft, wenn man gängige Dogmen in Frage stellen will. Wenn man das macht, wenn man gängige Praktiken über den Haufen wirft, macht man zwangsläufig Fehler und erntet dann anstatt Weizen nur den Spott der Nachbarn.

Aber ich wollte auch einem persönlicheren Anliegen nachgehen. Zu Sota la Quinta gehören zwei Äcker, die wir bisher nur sporadisch genutzt haben. Auf einem habe ich 120 Olivenbäume gepflanzt, der andere liegt komplett brach. Zusammen sind es etwa 1,5 Hektar. Ich habe Leguminosen gepflanzt, die die Bodenstruktur verbessern und den Boden mit Stickstoffverbindungen anreichern, die für das Pflanzenwachstum wichtig sind. Von den Menschen auf meiner Reiseroute wollte ich nun lernen, was das Klimaresilienteste und Klimafreundlichste ist, was ich mit diesen 1,5 Hektar Land machen kann.

Dieses Buch ist keine konkrete Anleitung für nachhaltige, regenerative oder irgendeine Form von Landwirtschaft. Aber es will ein Verständnis der komplexen Systeme vermitteln, die Grundlage unser aller Ernährung sind. Sie fangen im Boden an und enden auf unseren Tellern. Wenn man dieses Verständnis hat, wird der eigene Garten davon profitieren – und der eigene Konsum vielleicht ein wenig bewusster.

Aber ich bin davon überzeugt, dass es Veränderungen im System braucht. Dass wir nicht extra in den Biosupermarkt gehen müssen, um nachhaltige Lebensmittel zu kaufen, sondern dass nachhaltige Lebensmittel auch im Discounter Standard sein sollten. Dafür braucht es gesellschaftliche und politische Veränderungen, dafür müssen wir Dogmen hinterfragen und altgewohnte Techniken überdenken. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unsere Landwirtschaft und die Systeme, die sie am Laufen halten, reformieren müssen, dass es besser, gesünder und nachhaltiger geht. Nur braucht es politischen Willen dafür. Und die Zeit drängt.

AUFLEBEN  UNSER SPANISCHER GARTEN

Es ist März. Aus meinem Schreibzimmer blicke ich über unseren Garten. Tiefe Wolken hängen über den Hügeln auf der anderen Seite des Tals. Es regnet in Strömen. Die Böden sind gesättigt. An einigen Stellen im Garten steht das Wasser knöcheltief. Seit drei Wochen gab es keinen Tag ohne Niederschlag. Es war bitter nötig. Davor hat es beinahe drei Monate am Stück nicht einen Tag geregnet. Normalerweise ist wenig Wasser im Winter, in der Ruhephase von Bäumen und Sträuchern, nicht dramatisch, aber in diesem Jahr hat die Trockenheit unseren neu gepflanzten Oliven zugesetzt. Jetzt scheint der Regen kein Ende nehmen zu wollen. Auch für die nächste Woche zeigt die Wettervorhersage jeden Tag Niederschlag an.

Unser Steinhaus liegt in einem dicht bewaldeten Tal in einem vulkanischen Vorgebirge der Pyrenäen. Die Menschen, die hier leben, sind vor allem Bauern. Wenn sie sich am Wochenende zur Jagd verabreden, wärmen sie sich davor mit Ratafia, einem lokalen Likör, auf. Ich bin vor sieben Jahren eher zufällig hier gelandet. Meine damalige Partnerin hat in Barcelona studiert, und wir haben nach Häusern in der Gegend geschaut. Ein kleiner Hof auf dem Land war schon lange ein Traum, und in Deutschland war das entweder unerschwinglich oder nur in tristen Gegenden möglich. Dieses Steinhaus, das laut Grundbuch auf dem Anwesen namens Sota la Quinta steht und Can Barras heißt, war günstig, die Gegend wunderschön.

Die Familie, die hier zuvor lebte, betrieb zuletzt ein wenig Subsistenzwirtschaft, baute auf einem Acker vor dem Haus Kartoffeln, Bohnen oder Tomaten für den Eigenverzehr an. Hinter dem Haus ziehen sich Terrassen den Hang hinauf. Sie sind überwachsen mit Ginster. Weiter oben finden sich ebene Flächen, auf denen sich Eichen, Pinien und Lorbeer angesiedelt haben. Ich habe mich seit dem Kauf gefragt, bis wann und wofür diese Terrassen genutzt wurden. Irgendwann bin ich auf unscharfe Luftbilder aus den 50er-Jahren gestoßen. Darauf kann man erkennen, dass der gesamte Hang bewirtschaftet wurde. Ich zähle rund ein Dutzend Äcker, in unregelmäßigen Formen und unterschiedlichen Größen.

Die nächsten Luftbilder, die ich finden kann, stammen aus den späten 90ern. Die Terrassen und Äcker sind da schon zu Wald geworden. Zwischen den Aufnahmen aus den 50ern und denen aus den 90ern steht der Siegeszug vieler technischer Innovationen – vor allem der des Traktors. Die engen Terrassen mit ihren steilen Auffahrten waren damit nicht zu erreichen. Landwirtschaft, die nicht mechanisiert war, verlor die Konkurrenzfähigkeit. Immer weniger Menschen waren nötig, um einen Hof zu betreiben. Und je größer und regelmäßiger die Flächen sind, desto besser rechnet sich der Traktor.

Damit, so scheint es, war das Ende des kommerziellen Anbaus auf Sota la Quinta besiegelt. Die Menschen zogen weg. Überall in der Gegend stehen noch Ruinen, die vermutlich bis in die 50er bewohnt waren. Bis 2014 lebte in Sota la Quinta noch eine Familie. Es gibt Farbfotos, auf denen sie mit handbetriebenen Pflügen vor dem Heuschober posieren.

Das Haus verteilt sich auf zwei Ebenen, die in drei etwa gleich große Bereiche aufgeteilt sind. Als ich im Herbst 2015 zum ersten Mal durch die breite Eingangstür trat, fand ich mich in einem großen Eingangsbereich mit einem Boden aus wackligen Feldsteinen wieder. Links davon war die Küche mit einem offenen Kamin und dahinter eine Räucherkammer, rechts vom Eingang ein Stall mit einer Tränke, am Ende des Eingangsbereichs ein abgetrennter Bereich für Mutterkuh und Kalb. Die Fenster hatten entweder keine Scheiben oder waren einfach verglast. Die Rahmen waren morsch. Das Dach war nicht isoliert. Es muss im Winter, wenn die Temperaturen hier nachts bis auf minus sieben Grad fallen, bitterkalt gewesen sein. Irgendwann hatte man immerhin ein von innen begehbares Badezimmer an die Rückwand in der ersten Etage gebaut. Es war aus dünnen Ziegeln mit einem Dach aus Asbest. Außen war ein zweigeschossiger Heuschober aus Feldsteinen angebaut worden. Er ist auf den Luftbildern aus den 50ern noch nicht zu erkennen.

Wir kauften das Haus und begannen mit dem Umbau. Der Stall wurde zur Küche, bekam einen Durchbruch zum Heuschober, der unten zum Wohnzimmer und oben zu einem Schlafzimmer wurde. Aus der Küche und der Räucherkammer wurde ein Apartment. Wir ersetzten Fenster oder bauten sie überhaupt erst ein, isolierten das Dach, verlegten neue Stromleitungen und Installationen, bauten Badezimmer ein. Später kam eine Photovoltaikanlage dazu, die die Hälfte unseres Strombedarfs deckt. Der Umbau war zeit- und nervenaufreibend, manchmal war ich kurz davor, aufzugeben und das Haus im halb renovierten Zustand zu verkaufen. Nach beinahe drei Jahren Umbau war es endlich fertig.

Für mich war die Idee eines Hauses auf dem Land auch die eines Rückzugsortes. Ich arbeite seit zehn Jahren als Fotograf – vor allem in Krisengebieten. Ich habe in Libyen, dem Irak, Afghanistan, Syrien und zuletzt in der Ukraine recherchiert. Ich habe mehr Tod und Verzweiflung gesehen, als gesund ist. In Syrien ist ein Pilot mit seinem Kampfjet auf mich zugestürzt und hat mich mit einer Rakete beschossen, die glücklicherweise hinter einer Mauer einschlug. In Afghanistan bin ich mit noch viel mehr Glück einer Entführung entgangen. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen mussten für diesen Beruf mit ihrem Leben bezahlen, andere sind bis heute verschollen. In den vergangenen Jahren habe ich mich der Klimakrise gewidmet. Ich habe im Irak gesehen, wie die Gier von Ölkonzernen, Korruption, Misswirtschaft und steigende Temperaturen ein einmaliges, einst riesiges Ökosystem – die Mesopotamischen Marschen – zerstören; habe in Somalia gesehen, wie Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren, weil eine Regensaison nach der anderen ausbleibt; habe in Syrien trockene, erodierte Felder gesehen, auf denen die kläglich wenigen Wassermelonen nur noch als Übungsziel für die Terrororganisation Islamischer Staat herhielten.

Dieses Haus in Spanien sollte ein Ort sein, an dem ich diese Erfahrungen hinter mir lassen konnte, um Energie für neue Projekte und Zeit zum Reflektieren zu finden. Und ich wollte pflanzen – Gemüse, ein paar Obstbäume vielleicht. Denn was könnte ein größerer Kontrast zur Zerstörung durch Kriege und Krisen sein, als zu sehen, wie ein Samen keimt, wie die ersten Blättchen sprießen, wie die Pflanze größer wird, langsam ihren Charakter entwickelt, zu einem Kraut, Strauch oder Baum wird?

Die Vorbesitzer von Sota la Quinta hatten einen kleinen Gemüsegarten östlich des Hauses angelegt. Auf dem kleinen Feld vor dem Haus pflanzten sie offenbar Kartoffeln, und auf den beiden größeren Äckern, die durch den Zufahrtsweg geteilt werden, bauten sie Luzerne als Viehfutter für die Nachbarn an. Gut zwei Hektar wollten bewirtschaftet werden. Der Gemüsegarten blieb Gemüsegarten. Auf den beiden Äckern ließ ich von einem benachbarten Bauern Heu machen. Dann suchte ich nach Ideen für das Feld vor dem Haus. Weil ich weiterhin viel reiste, brauchte ich einen Ansatz, der wenig Zeit erfordert. Schließlich entdeckte ich Martin Crawfords Buch Creating a Forest Garden. Der Waldgarten, lernte ich damals, produziert seine eigenen Nährstoffe und erfordert, einmal etabliert, wenig Arbeit. Das, dachte ich mir, mache ich auch, und pflanzte die ersten Bäume: Granatäpfel und Pfirsiche. Aber es wurde dann doch einiges mehr an Arbeit als geplant.

Auch ein Obstbaum braucht in der ersten Zeit Zuwendung, wie ich merken musste. Wildschweine gruben die frisch gepflanzten Bäume präzise aus, Rehe und Hasen zerfraßen die Rinde. Also mussten Zäune gesetzt und Bäume nachgepflanzt werden. Und doch hatte mich eine Leidenschaft gepackt. Mit jeder Pflanzung, mit jedem abgeschlossenen Projekt kamen neue Ideen. Ich las mir mehr Wissen an, vertiefte mich in Studien und begab mich abends in den YouTube-Garten-Strudel. 2019 zäunte ich dann mit Hilfe dreier Freiwilliger einen der beiden großen Äcker ein und pflanzte in großer Naivität Oliven an. Wie sich bald herausstellte, hielt der grobmaschige Zaun weder Wildschweine noch Rehe ab, und ich musste lernen, dass Olivenblätter für gewisse Vögel offenbar eine Delikatesse sind. Oliven werden hier im Vall de Llémena traditionell nicht angebaut, und die Nachbarn erklärten mir oft und gerne, dass das Klima zu kühl und zu feucht sei. Aber für mich waren sie eine Pflanzung für eine heißere, trockenere Zukunft. Allerdings kam die Hitze nicht so schnell wie befürchtet, und die Oliven litten unter einem feuchten, kalten Winter.

Unser junger Waldgarten im Frühjahr

Martin Crawford ist ein Nerd. In seinem Buch hat er detailliert aufgeschrieben, in welchem Abstand man wie hohe Bäume in welchem Winkel zur Sonne pflanzt; wie man den Nährstoffbedarf berechnet und wie man diesen durch bestimmte Bäume, Büsche oder durchs Pinkeln decken kann. Um sein Denken zu verstehen, hilft es, sich seine Biografie anzuschauen.

Crawford wuchs in und um London auf. Er studierte in den 80erJahren Informatik. Seinen ersten Job hatte er in der damals noch jungen Computerindustrie, aber er merkte schnell, dass seine Leidenschaft eine andere ist. Er begann, für Gemüsebauern zu arbeiten, und zog in den frühen 90er-Jahren in die Grafschaft Devon in die Nähe des idyllischen Städtchens Totnes mit seinen reetgedeckten Fachwerkhäusern. Dort baute er Gemüse für den lokalen Wochenmarkt an, ohne künstlichen Dünger, ohne Pestizide.

Totnes war schon damals eine Hochburg des Ökoanbaus. Heute drängen sich im Stadtzentrum diverse Bio-Einkaufsläden, Drogerien mit lokal produzierter Biokosmetik, Buchhandlungen, die sich auf Umweltthemen spezialisiert haben, und mehrere Farm-to-Table-Restaurants. Selbst der Bestatter wirbt mit kompostierbaren Ökosärgen und der Reinkarnation als Baum. Auf den Feldern um die Stadt reiht sich ein progressives Landwirtschaftsprojekt an das nächste. Kurz: Eigentlich war es der perfekte Ort, um Biogemüse zu verkaufen. Doch für Crawford war es desillusionierend. Er kehrte an den Markttagen mit Kisten voller Gemüse zurück, das völlig in Ordnung war, aber nicht den unrealistischen, ästhetischen Ansprüchen der Marktgänger genügte.

Die Arbeit als Marktgärtner ist repetitiv und zeitaufwendig. Während er die langen Reihen von Karotten vom Unkraut befreite, blieb ihm viel Zeit zum Nachdenken. Er las Texte des Wissenschaftlers, Umweltschützers und Zukunftsforschers James Lovelock, der eine Woche vor meinem Besuch bei Crawford im Alter von 103 verstarb. Lovelock ist vor allem mit der Gaia-Hypothese bekannt geworden. Danach sind die Erde und ihre Biosphäre, ist also der Raum, in dem Leben existiert, ein selbstständiger, selbstregulierender Organismus. Lovelocks Ideen prägten Crawford. Er suchte den Kontakt zu ihm, freundete sich mit ihm an und wurde schließlich zum Direktor von Lovelocks Organisation Gaia.

Lovelock warnte schon damals vor den gefährlichen Folgen des Anstiegs der Kohlenstoffdioxid-Konzentration in der Atmosphäre, warnte vor der Chimäre grünen Wachstums. Crawford wurde bewusst, dass wir auf ein enormes ökologisches Problem zusteuern und dass es ein radikales Umsteuern braucht. Aber wenn selbst die Menschen im Ökostädtchen Totnes keine krummen Zucchini kaufen wollten, wie konnte er dann wirklich nachhaltig anbauen?

Zur gleichen Zeit stieß er auf die Arbeit des britischen Landwirts Robert Hart. Der Weltkriegsveteran arbeitete zunächst als Milchbauer, sattelte dann auf Marktgärtnerei um, fand aber, dass ihm die Arbeit mit einjährigem Gemüse zu aufwendig war. Er entdeckte mehrjähriges Gemüse für sich und begann damit zu experimentieren. Aus diesen Experimenten entstand schließlich das Konzept des Waldgartens.

Crawford besuchte Hart in seinem Garten, lernte von ihm, gab die Marktgärtnerei auf, pachtete ein Stück Weideland auf dem Grund des gemeinnützigen Dartington Trusts am Rande von Totnes und pflanzte die ersten Erlen. Seine Frau arbeitete damals an einer Universität in der Nähe und sicherte ihr finanzielles Auskommen, während er Briefe und Faxe in die USA und nach Japan schrieb, um Saatkataloge zu bestellen, Samen vorzog und jahrein, jahraus pflanzte. Zuerst die Bäume und dann Sträucher. Wenig Pflanzen gediehen hier nicht. »Ich habe Akazien als Stickstoffbinder gepflanzt«, erinnert sich Crawford. »Die sind alle vom Frost dahingerafft worden. In den frühen Jahren hatten wir oft minus zehn, minus zwölf Grad im Winter.« Heute würden sie wohl überleben. »Wir sind in den vergangenen Jahren nicht mal in die Nähe von minus zwölf gekommen.«

Ich habe nicht die Geduld, die Crawford aufgebracht haben muss, habe Büsche und Bäume bestellt und teils nach Plan, teils nach spontaner Eingebung auf einem halben Hektar meines Landes gepflanzt – und habe viele Rückschläge einstecken müssen. Wenig Arbeit ist so ein Waldgarten vielleicht, aber vor allem in den Anfangstagen eines solchen Projektes ist es wichtig, dass man ein Auge darauf wirft. Neben Wildschweinen, Hasen, Rehen und Wühlmäusen stellen auch heiße, trockene Perioden eine Gefahr für die Pflanzen dar. Glücklicherweise fand sich ein Paar, das von einem Leben auf dem Land träumte und dem wir im Gegenzug für Gartenarbeit das Apartment in unserem Haus zur Verfügung stellten.

Ich fand eine neue Partnerin, Catharina, die mit dem Ende ihres Studiums mehr Zeit auf Sota la Quinta verbringen konnte, und wir planten und pflanzten immer mehr gemeinsam. Aber im Herbst 2021 kam ein Punkt, an dem ich mich fragte, was ich hier eigentlich mache. Es war mehr als Rückzug und Zeitvertreib, aber für ein kommerzielles Projekt fehlte mir die Zeit. Außerdem schien es mir in Spanien noch komplizierter, mich im Gewirr von Gesetzen, Regulation und Förderungen zurechtzufinden.

Es gibt die japanische Idee des Ikigai