Fidel Castro. 133 Blicke auf den Máximo Líder. Ein Kaleidoskop - Jeanette Erazo Heufelder - E-Book

Fidel Castro. 133 Blicke auf den Máximo Líder. Ein Kaleidoskop E-Book

Jeanette Erazo Heufelder

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Beschreibung

Aus zahlreichen Gesprächen mit Weggefährten, Zeitzeugen und Gegnern entwirft Jeanette Erazo Heufelder in 133 kurzen Kapiteln ein facettenreiches Bild des Phänomens Fidel Castro. Sie beschreibt Castros Aufstieg und seine Technik der permanenten Aktion, legt Motivationen, Strategien und Widersprüche offen, dokumentiert helle und dunkle Kapitel der kubanischen Revolution, analysiert das System des Fidelismus. Und sie erklärt, warum Fidel Castro auch weiterhin eine umstrittene, aber faszinierende Figur bleibt. Denn selbst wer nicht viel über Castro weiß, hat bei seinem Namen sofort ein Bild im Kopf: Vollbart, Uniform, Zigarre. Mit den Detailansichten des vielschichtigen Bildes das von Castro existiert, beschäftigt sich vorliegendes Buch, das den mit seiner Person verknüpften Geschichten, Fakten, Legenden und Zitaten auf den Grund geht und nebenbei auch ein Stück Zeitgeschichte in Erinnerung ruft. Angereichert mit bisher unveröffentlichten Fotos ist dieses Buch ein wichtiger Schlüssel, den Mythos des Revolutionärs ein Stückchen begreifbarer zu machen. »Jeanette Erazo Heufelder, die den kubanischen Politiker in seiner Widersprüchlichkeit zeigt, hat keine konventionelle Biografie verfasst. Sie legt vielmehr eine ›Sammlung von Geschichten, Fakten, Legenden und Zitaten‹ vor, die sich kaleidoskopartig zu einem prägnanten Gesamtbild zusammenfügen. Ein empfehlenswertes Buch. « Süddeutsche Zeitung

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Über das Buch Aus zahlreichen Gesprächen mit Weggefährten, Zeitzeugen und Gegnern entwirft Jeanette Erazo Heufelder in 133 kurzen Kapiteln ein facettenreiches Bild des Phänomens Fidel Castro. Sie beschreibt Castros Aufstieg und seine Technik der permanenten Aktion, legt Motivationen, Strategien und Widersprüche offen, dokumentiert helle und dunkle Kapitel der kubanischen Revolution, analysiert das System des Fidelismus. Und sie erklärt, warum Fidel Castro auch weiterhin eine umstrittene, aber faszinierende Figur bleibt.

Denn selbst wer nicht viel über Castro weiß, hat bei seinem Namen sofort ein Bild im Kopf: Vollbart, Uniform, Zigarre. Mit den Detailansichten des vielschichtigen Bildes das von Castro existiert, beschäftigt sich vorliegendes Buch, das den mit seiner Person verknüpften Geschichten, Fakten, Legenden und Zitaten auf den Grund geht und nebenbei auch ein Stück Zeitgeschichte in Erinnerung ruft. Angereichert mit bisher unveröffentlichten Fotos ist dieses Buch ein wichtiger Schlüssel, den Mythos des Revolutionärs ein Stückchen begreifbarer zu machen. »Jeanette Erazo Heufelder, die den kubanischen Politiker in seiner Widersprüchlichkeit zeigt, hat keine konventionelle Biografie verfasst. Sie legt vielmehr eine ›Sammlung von Geschichten, Fakten, Legenden und Zitaten‹ vor, die sich kaleidoskopartig zu einem prägnanten Gesamtbild zusammenfügen. Ein empfehlenswertes Buch. «Süddeutsche Zeitung
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Über die AutorinJeanette Erazo Heufelder, geb. 1964, lebt in Potsdam und schreibt über Lateinamerika – bevorzugt Biografien und literarische Reportagen. Fidel Castro lernte sie bei Dreharbeiten 1995 persönlich in Havanna kennen. Die vorliegende Biografie über den Máximo Líder war logische Folge dieser Begegnung. Zuletzt veröffentlichte sie den »Drogenkorridor Mexiko« (Transit Verlag 2011), ein Road Trip durch die Schneise der Zerstörung, die die Druckwelle der Gewalt auf der mexikanischen Landkarte hinterlassen hat.

Jeanette Erazo Heufelder

Fidel Castro

133 Blicke auf den Máximo Líder 

Ein Kaleidoskop

Impressum Überarbeitete Neuausgabe eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2013www.culturbooks.de Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg Tel. +4940 31108081, [email protected] Alle Rechte vorbehalten Erstausgabe Print: Eichborn 2004

Inhalt

VORWORT
PERSÖNLICHES
ANFANG
AUFSTIEG
MACHT
KAMPF
FEINDE
ÜBERZEUGUNGEN
BRÜCHE
UNTERDRÜCKUNG
PROTEST
NIEDERLAGEN
ERFOLGE
PROPAGANDA
REDEN
MYTHOS
MACHISMO
MEDIEN
KULT
ZUKUNFT
ANHANG
ANMERKUNGEN

Vorwort

Inmitten des Rausches jener ersten Tage nach dem Sieg der Revolution, als ganz Kuba den Befreier Fidel Castro feiert, behält zumindest einer seinen gesunden Menschenverstand: »Fidel, du musst die ganze Geschichte aufschreiben«, rät Camilo Cienfuegos dem Kampfgefährten aus der Sierra Maestra, den das nicht endende Bad in der Menge schon ganz trunken macht. »Du musst es jetzt tun. Denn wenn zu viel Zeit vergangen ist, wirst du alt sein und einen Haufen Lügen erzählen wie alle Politiker. Und kein Camilo wird mehr hier sein, um dir zu sagen: ›Du machst es schlecht, Fidel.‹«[1] Cienfuegos klopft seinem verblüfften Freund lachend auf den Rücken. Sein Blick in die Zukunft sollte nicht täuschen. Er selbst stirbt noch im gleichen Jahr bei einem Flugzeugabsturz. Und Fidel Castro hat die ganzen Ereignisse 1959 eben nicht aufgeschrieben, sondern sich ihrer in seinen Reden wieder und wieder bedient. Wie ein Mythenerzähler, der aus dem Urgrund der Dinge Geschichten schöpft, mit denen sich alles erklären lässt, beschwört Fidel Castro in den nächsten Jahrzehnten vor seinen Landsleuten immer wieder den Urgrund der symbiotischen Beziehung zwischen ihm und Kuba herauf. Jenen legendären 26. Juli des Jahres 1953, an dem er mit einer Gruppe Gleichgesinnter die Moncada-Kaserne überfällt und den Aufstand gegen den Diktator Fulgencio Batista wagt. Jene zwei Jahre in Haft und das anschließende Exil in Mexiko, wo er Che Guevara trifft. Jene abenteuerliche Rückkehr in die kubanische Heimat als Partisan. Und schließlich die Kämpfe in der Sierra Maestra.

Mit einem Himmelfahrtsunternehmen stellt sich der damals noch unbekannte junge Jurist seinen Landsleuten vor. Mit dieser Mischung aus kämpferischer Verwegenheit, politisch taktischen Erfolgen, Gerüchten und unzähligen Geschichten, die zwischen Legende und tatsächlichen Fakten pendeln, unterhält er sie die nächsten Jahre weiter.

Was ist Wahrheit, was nicht?

Mit der Klärung dieser Frage sind Castros Biographen beschäftigt, seit sich der Revolutionsführer 1959 an die Spitze des Staates gekämpft und dabei entdeckt hat, dass die Geographie Kubas zu klein für seinen Willen zur Macht ist. Er korrigiert dieses Missverhältnis, indem er aus einer karibischen Randnotiz eine internationale Dauerschlagzeile macht. Aus einer nationalen Revolutionsmixtur, bei der es zunächst um die Beseitigung eines korrupten Diktators geht, wird weltpolitisch hochexplosiver Zündstoff. Im Jahr 1961, in dem in Berlin der Eiserne Vorhang in Beton gegossen wird, verkündet der ehemalige Guerillaführer den sozialistischen Charakter seiner Revolution. Zwei Jahre, bevor sich Kennedy auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses dazu bekennt, ein Berliner zu sein, tut Fidel Castro in Havanna kund, dass er Marxist-Leninist ist und fordert für dieses provokante Bekenntnis – 90 Meilen vor der Küste Nordamerikas – sowjetische Hilfe ein. Der einstige Partisanenkämpfer aus der Sierra Maestra spielt nun im Spiel der Supermächte mit, zunächst als Trittbrettfahrer des Kalten Krieges, dann als dessen Agent provocateur. Sollte es noch Menschen gegeben haben, die noch nie etwas von dem bärtigen Kubaner gehört hatten, so reichen dreizehn Tage im Oktober des Jahres 1962 aus, um den Namen Fidel Castro zukünftig in einem Atemzug mit Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy zu nennen. Kuba wird zum Schauplatz der Raketenkrise, die die Welt an den Rand eines atomaren Weltkriegs führt und Castro zum zeitgeschichtlichen Sujet erhebt. Der Kalte Krieg, der Kampf gegen Imperialismus und Ungerechtigkeit, Revolutionsbewegungen und Emanzipationsversuche der Dritten Welt ... kurzum, die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hat plötzlich ein Gesicht. Je nach politischem Standort meinen die internationalen Berichterstatter darin einen machtbewussten Machiavellisten oder einen selbstbewussten Idealisten zu erkennen.

Der Eiserne Vorhang ist vor einem Vierteljahrhundert gefallen, Kuba seitdem wieder an die karibische Peripherie gerückt. Für jeden Kubaner, der jünger als 25 ist, beginnen die frühesten Erinnerungen mit der Período especial, der als Sonderperiode bezeichneten Wirtschaftskrise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der Mythos der Revolution, mit dem diese Generation groß wurde, ist gänzlich von der Wirklichkeit ihrer Lebenswelt entkoppelt und trotzdem überall präsent. Denn wenn von Zukunft die Rede ist, wird weiterhin jene Vergangenheit heraufbeschworen, die mit dem 26. Juli 1953 begann, an dem das Schicksal Kubas mit dem Fidel Castros verschmolz.

Dabei hat Kubas Zukunft ohne Fidel bereits begonnen. Am 31. Juli 2006 – 53 Jahre und fünf Tage nach dem Überfall auf die Moncada-Kaserne – überträgt der Maximo Líder seinem Bruder Raul die Amtsgeschäfte. Zunächst provisorisch wegen gesundheitlicher Probleme. 2008 wird Raul in der Nationalversammlung dann aber auch offiziell zu seinem Nachfolger als Staatspräsident gewählt. 2011 übernimmt er von ihm schließlich noch den Vorsitz im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei. Seitdem ist Fidel Castro von der großen politischen Bühne abgetreten und mischt sich nur noch sporadisch ins Weltgeschehen ein. Mit persönlichen Kommentaren, die unter dem Titel »Gedanken des Genossen Fidel« in kubanischen Medien veröffentlicht werden.

Seine kontroverse Figur wird ohnehin längst historisch rezipiert. Als Kultfigur von seinen Bewunderern. Als Diktator von seinen Gegnern. Er wird geachtet oder verachtet und selbst wer nicht viel über Castro weiß, hat bei seinem Namen sofort ein Bild im Kopf: Vollbart, Uniform, Zigarre.

Mit den Detailansichten dieses Bildes beschäftigt sich vorliegendes Buch, das den mit seiner Person verknüpften Geschichten, Fakten, Legenden und Zitaten auf den Grund geht und nebenbei auch ein Stück Zeitgeschichte in Erinnerung ruft. Es ist die aktualisierte Version der 2004 unter dem Titel »Fidel. Ein privater Blick auf den Máximo Líder« bei Eichborn erschienenen Biografie.Die weiterfließende Zeit ändert die Gewichtung des Blicks. So manches Detail, das mir 2004 noch mitteilenswert schien, habe ich nicht in die aktualisierte Version mit aufgenommen. Stattdessen wurde die E-Book-Ausgabe um einige bisher unveröffentlichte Fotos erweitert.Die Autorin

Fidel Castro. Foto © Sylvio Heufelder

PERSÖNLICHES

Auf Fragen nach seinem Privatleben entgegnet Castro einmal: »Mein Leben gehört mir. Alles andere sind unwichtige Details. Sie haben weder etwas mit der Revolution noch mit Politik zu tun.«[2]

Paparazzi haben in Kuba schlechte Karten. Als der Kuba-Korrespondent der Prawda 1990 einen Artikel veröffentlicht, in dem private Details aus Castros Leben preisgegeben werden, fühlt sich der Journalist in Kuba seines Lebens nicht mehr sicher. Nach einem mysteriösen Unfall, der für ihn in Zusammenhang mit dem Artikel steht, verlässt er die Insel freiwillig.[3] Dabei erfährt der Leser in seinem Artikel nichts wirklich Brisantes. Zwar tauchen zum ersten Mal der Name von Castros Ehefrau Dalia Soto del Valle auf und die der gemeinsamen fünf Söhne Angel, Antonio, Alejandro, Alexis und Alex, von den Häusern des Comandante auf der Insel ist die Rede und von der allgegenwärtigen Präsenz seines persönlichen Sicherheitsapparates. Aber das ist nichts wirklich Neues, nur durch die Agenturmeldung über den angeblichen Attentatsversuch auf den Verfasser erhalten die Veröffentlichungen politischen Zündstoff.

Sein Privatleben solle nicht, wie in der kapitalistischen Welt üblich, für Publicityzwecke oder Politik missbraucht werden, verteidigt Castro die Nachrichtensperre.[4] Dieser Sinneswandel vollzieht sich allerdings erst Mitte der Sechzigerjahre. In den ersten Jahren an der Macht hat er keine Bedenken, sich der Öffentlichkeit auch privat zu präsentieren. Bei der ersten Live-Schaltung für NBC lässt sich der Staatschef davon überzeugen, im Schlafanzug aufzutreten. Dem Zuschauer in den USA vermitteln die Bilder aus der privaten Suite des Comandante im Hotel Habana Libre einen sehr »amerikanischen« Politiker im Morgenmantel; charmant, leger und mit dem zehnjährigen Sohn Fidelito an seiner Seite.

Die Nachricht über den Tod seiner Mutter ist 1963 allerdings für sehr lange Zeit die letzte öffentliche Notiz aus Castros familiärem Leben. Die nächsten Jahrzehnte legt sich ein Mantel des Schweigens um alles, was den Eindruck erwecken könnte, dass der Premier überhaupt so etwas wie ein Privatleben besitzt. Mit der Entscheidung, biographische Details geheim zu halten, wächst Castros Charisma als außergewöhnliche und außeralltägliche Erscheinung, die pausenlos seinem Volk und der Revolution zur Verfügung steht. Tatsächlich sagt Castro einmal: »Meine Familie ist sehr groß. Ich habe neuneinhalb Millionen Brüder. Meine Familie ist nicht nur Kuba. Meine Familie ist Angola. Meine Familie ist die Befreiungsbewegung in Südafrika. Meine Familie setzt sich aus allen progressiven, revolutionären Völkern dieser Welt zusammen.«[5]

Obwohl Castros Privatleben tabu ist, wird die Berichterstattung seit Jahrzehnten mit außergewöhnlich unterhaltsamen Geschichten über die persönlichen Abneigungen und Vorlieben des unermüdlichen Revolutionärs versorgt. Er gehöre zu den wenigen Kubanern, die weder singen noch tanzen können. Auf die Frage, welche Musik er am liebsten höre, bekennt er sich zu »Klassik und Marschmusik«[6]. Angeblich habe er, der in seiner Karriere unzählige Reden vor riesigen Menschenmassen gehalten hat, vor jedem Auftritt Lampenfieber.[7] Außerdem sei er ein ebenso leidenschaftlicher Koch wie Literaturliebhaber und Sportler und sein Biorhythmus unterliege anderen als den Naturgesetzen.

Was an die Öffentlichkeit dringt, verstärkt das Bild des unkonventionellen Politikers und zeugt vom Lebensstil eines ausgeprägten Individualisten. Aber der kubanische Präsident bemüht sich, seine Freiheit von Konventionen und Zwängen in den Dienst der Revolution zu stellen. So wichtig wie die »Kunst des Arbeitens« sei die »Kunst, sich auszuruhen«, verrät er seinem alten Freund, dem kolumbianischen Schriftsteller Gabriel García Márquez.[8] Selbst banale Zerstreuung lässt sich so als eine Übung in revolutionärer Disziplin präsentieren. Wenn der Comandante en Jefe schnorchelt, Domino spielt oder über Langustenrezepte sinniert – ist das ebenso bedeutsam wie ein Arbeitsgespräch mit dem Zuckerindustrieminister oder eine Rede über den dreißigsten Jahrestag der Raketenkrise.

Persönliches über Fidel Castro verrät mehr über die Psychologie der kubanischen Revolution als über den Menschen Fidel. Es lohnt der Blick gen Norden. Mit der ritualisierten Geheimhaltung seines Privatlebens signalisiert der kubanische Präsident machtchoreographisch die Distanz zu US-amerikanischen Präsidenten, die sich, gerade in Krisenmomenten, bevorzugt privat inszenieren. Für die Fernsehkameras wird in den Staaten in der Privatfarm des Amtsinhabers in lässiger Freizeitkleidung bei Kamingesprächen scheinbar eher nebensächlich über das Weltgeschehen geredet. Und bei Fernsehansprachen ist der Staatsvertreter von Familienfotos eingerahmt, auf denen die Nation neben Gattin und Kindern auch den Lieblingshund der Präsidentenfamilie zu sehen bekommt.

Fidel Castro hingegen scheint gerade in politischen Krisensituationen überhaupt nicht mehr aus der Uniform herauszuschlüpfen. Er ist dann vierundzwanzig Stunden für die Revolution und die Nation auf den Beinen. Aber nie wirkt »Fidel« authentischer als in den Momenten des inszenierten Verzichts auf Privates.

Erst 2006, nach seinem Rücktritt von allen politischen Ämtern wird der Schleier, der sich bis dahin um das Leben der Familienmitglieder des Comandante legte, löchrig. Bilder der Ehefrau und der gemeinsamen erwachsenen Kinder kursieren plötzlich im Netz. Zum ersten Mal seit den Schlafanzug-Aufnahmen mit Sohn Fidelito für NBC genehmigt Fidel Castro 2010 die Veröffentlichung eines Fotos von sich im familiären Kreis. An der Seite seiner Frau Dalia Soto del Valle bei einem Treffen mit dem nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega und dessen Frau.

Familie

Fidel Alejandro Castro Ruz wird am 13. August 1926 – manche Biografen geben das Jahr 1927 an – in Birán, einem Ort in der Provinz Oriente geboren. Sein Vater Angel Castro stammt aus dem spanischen Galizien. Er kämpft im zweiten Unabhängigkeitskrieg Kubas auf spanischer Seite, kehrt 1898 nach dem Krieg für kurze Zeit in die Heimat zurück und wandert Anfang des 20. Jahrhunderts endgültig in die junge kubanische Republik aus. Er arbeitet zunächst für die United Fruit Company und beginnt Land aufzukaufen, bis er schließlich 800 Hektar eigenes Land besitzt, zu dem noch weitere 10.000 Hektar Pachtland hinzukommen. Angel Castro heiratet die Lehrerin María Argota und hat mit ihr zwei Kinder: Pedro Emilio und Lidia. Fidels Mutter, Lina Ruz González, die Tochter eines Fuhrmanns, arbeitet zunächst bei den Castros in der Küche und wird bald die Geliebte des Hausherrn, von dem sie insgesamt sieben Kinder bekommen wird. Die Erstgeborenen Angela, Ramón und Fidel kommen zur Welt, während Angel noch mit María Argota verheiratet ist. Kurz nach Fidels Geburt lässt sich das Ehepaar scheiden. Angel heiratet nun die Mutter seiner jüngeren Kinder. Die Nächstgeborenen Juana, Emma, Raúl und Augustina erblicken als eheliche Kinder das Licht der Welt.

Ein engeres Verhältnis als zu den Eltern hat der junge Fidel zu einem Teil seiner Geschwister. Besonders gut versteht er sich mit seiner Halbschwester Lidia, die sich während seiner Studienjahre in Havanna fürsorglich um ihn kümmert. Der jüngere Bruder Raúl wird Castros Kampfgefährte, politischer Weggenosse, Stellvertreter und 2006 schließlich auch sein Nachfolger. Seine Schwester Juana wandert in den Sechzigerjahren nach Miami aus und wird zu einer leidenschaftlichen Gegnerin der Politik ihres Bruders. Wann immer sich Gelegenheit bietet, bezeichnet sie ihn als »Tyrannen«.

Fidel Castro hat vermutlich neun Kinder von fünf verschiedenen Frauen. Der älteste, 1949 geborene Sohn Felix Fidel, stammt aus der Ehe mit Mirta Díaz-Balart, die der junge Jurastudent 1948 heiratet. Sieben Jahre später wird die Ehe wieder geschieden. Nach dem Sieg der Revolution zieht Mirta Díaz-Balart mit ihrem zweiten Mann nach Spanien. Über die gemeinsamen Jahre mit dem neuen Machthaber Kubas ist beiderseitiges Stillschweigen vereinbart. Fidelito wächst bei seinem Vater auf. Er studiert Physik in der UdSSR und ist von 1980 bis 1992 Chef des kubanischen Atomprogramms. Mittlerweile hat er sich aus der Politik und der kubanischen Öffentlichkeit zurückgezogen.

Weniger öffentlichkeitsscheu zeigt sich Alina Fernández, Castros uneheliche Tochter aus der Affäre mit Naty Revuelta. 1993 gelingt ihr die Flucht aus Kuba. Sie schreibt unter dem Titel Ich, Alina ein Buch über ihr Leben in Kuba als Fidel Castros Tochter und beteiligt sich auf der Seite von Tante Juana und den Castro-Gegnern am kubanischen Familienzwist, dessen Fronten quer durch ihre eigene Familie verlaufen. Fidel Castro ist während seiner Studienzeit mit Rafael Díaz-Balart, dem Bruder seiner späteren Frau Mirta befreundet. Doch mit der Zeit entfremden sich die beiden politisch so sehr, dass ihre Freundschaft in Feindschaft umkippt. Der republikanische Kongressabgeordnete Lincoln Díaz-Balart, einer der heftigsten Castro-Gegner und Mitverfasser des Helms-Burton-Gesetzes, ist Rafaels Sohn und damit Fidel Castros Neffe.

Aus Castros Romanze mit der Revolutionsgefährtin María Laborde stammt der uneheliche Sohn Jorge Angel.[9] Und schließlich wohnt in Miami, fernab der Öffentlichkeit, eine weitere uneheliche Tochter, wie Castros Schwester Juana Reportern verrät.

Mit seiner zweiten Frau Dalia Soto del Valle hat Fidel Castro fünf Söhne, die alle in Kuba leben und bürgerlichen Berufen nachgehen.

Kindheit

Fidel Castro gibt bereitwillig Auskunft über seine Kindheit und Jugend auf der väterlichen Mañacas-Hazienda in Birán. Neben dem Eindruck, dass er ein Leben im Freien und in Freiheit genoss, vermitteln Castros Erinnerungen auch das Gefühl, dass es ihm bereits als Kind bei seinen Einfällen vor allem darum gegangen ist, auf andere zu wirken. So fährt er einmal mit dem Fahrrad gegen eine Mauer, um zu beweisen, dass er fähig ist, Dinge zu tun, die andere niemals wagen würden.[10] Oder er droht seinem Vater, die Hazienda anzuzünden, falls dieser ihn, wie angekündigt, nicht mehr in die Schule nach Santiago zurückgehen lässt.[11] Eine Drohung, die er während des Guerillakampfes tatsächlich wahr machen sollte: Um ein Beispiel zu geben, brennt er die Zuckerrohrfelder der väterlichen Farm nieder. Die Mañacas -Hazienda scheint überhaupt ein beliebtes Experimentierfeld für den späteren Guerillero zu sein. Einmal organisiert er hier unter den Zuckerrohrarbeitern einen Streik. Das ist nicht sein einziger. Mit Bruder Raúl fliegt er von der jesuitischen Dolores-Schule in Santiago, weil er im Speisesaal aus Protest gegen die kleinen Essensrationen ebenfalls einen Aufstand angezettelt hat.[12]

Fidel rebelliert früh. Zumindest sind ihm vor allem Kindheitserlebnisse politischer und gesellschaftlicher Natur im Gedächtnis geblieben. Mit zehn Jahren liest er den Arbeitern seines Vaters Zeitungsreportagen über den spanischen Bürgerkrieg vor.[13] Er erinnert sich noch im Alter an die Kinder dieser Arbeiter, die barfuß und immer hungrig waren und keine Schule besuchten, während er in teuren Privatinternaten untergebracht war, wo ihm vor allem die Rassendiskriminierung ins Auge sticht: »Im Kolleg Dolores waren wir alle weiß – das war die Voraussetzung. Das befremdete mich, und mehr als einmal, sowohl in Santiago wie auch im Kolleg in Havanna, in das ich später ging, forschte ich nach, warum es dort keine schwarzen Schüler gab. Ich habe noch in Erinnerung, dass die einzige Erklärung, die einzige Antwort, die sie mir gaben, war: ›Nun, weil es nur wenige sind, würde sich ein schwarzer Junge hier unter so vielen Weißen nicht wohl fühlen.‹«[14]

In Form kindlicher Neugier keimt ein erstes Gespür für gesellschaftliches Unrecht auf. Vielleicht aber modelliert sich der kubanische Staatschef auch erst im Rückblick zu dieser kindlichen Ausgabe des späteren Revolutionärs.

Schulerziehung

Castro ist überzeugt: »Ich wurde eindeutig mit Berufung zum Politiker und Revolutionär geboren. Obwohl es fast unwahrscheinlich ist, dass sich im Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, ein Revolutionär entwickeln konnte.«[15] Sein »Umfeld«, das sind ab seinem fünften Lebensjahr vor allem religiöse Einrichtungen. In Santiago besucht er – zunächst als Tagesschüler, dann als Interner – eine Grundschule, die von einer Ordensbrüdergemeinschaft geführt wird, anschließend das Jesuitenkolleg Dolores. 1941 wechselt er auf das Jesuiteninternat Belén in Havanna. Belén hat den Ruf, die beste Schule des Landes zu sein, die die Kinder der gesellschaftlichen Elite auf führende Positionen in den Bereichen Wirtschaft und Politik vorbereitet. Ideologisch ist Belén als reaktionär einzustufen. Ein Großteil der Lehrer kommt aus Spanien und bekundet ihre Sympathien für General Franco. Das Wort Kommunismus existiert nur als Schimpfwort. Und trotzdem findet Castro durchaus lobende Worte für die Einrichtung. Er anerkennt, dass die Padres aus echtem Interesse an ihren Schülern handelten, dass sie sich bemühten, Charakter und Benehmen jedes Einzelnen zu formen. Er respektiert die dortige Strenge und Disziplin. Einmal vergleicht er die Erziehung des Menschen mit einer Drehbank, die ein Stück Eisen schleift. [16]

Der Jesuitenzögling verinnerlicht die Lektionen der Jesuiten über Autorität und Führertum. Von seinen Rebellen wird er den gleichen unbedingten Gehorsam einfordern, wie ihn Ignacio von Loyola von den Ordensbrüdern verlangt hat. Die religiöse Erziehung am Belén-Internat ist Castros Meinung nach gescheitert, da sie mechanisch und dogmatisch erfolgte. Statt religiöser Reflexion und Wertevermittlung bot sie nur hundertfache Wiederholung. Die täglichen Messen und Vaterunser seien eine Übung für Stimmbänder und die Geduld gewesen – mehr jedoch nicht.[17]

Auch Gewalt als pädagogisches Mittel lernt er bei den Glaubensbrüdern in Santiago kennen. Die Ohrfeige, die er dort verpasst kommt, vergisst er nicht. Auf dem Belén-Kolleg in Havanna erlebt er eine Demütigung ganz anderer Art. Von einem der Padres wird er beim Verfassen eines Liebesgedichts überrascht. Er muss das Gedicht abgeben und dabei zusehen, wie es der Padre aufreizend langsam Zeile für Zeile durchliest. Nach diesem traumatisierenden Erlebnis habe er nie wieder ein erotisches Gedicht geschrieben, gesteht Fidel Castro.[18]

Im Jahrbuch der Belén-Absolventen des Jahrgangs 1945 steht über den berühmtesten Schüler: »1942–1945. Fidel zeichnete sich stets in allen Fächern aus, deren Gegenstand die Literatur war. Ein hervorragender Schüler und Mitglied der Kongregation, war er außerdem ein ausgezeichneter Sportler, der die Farben seiner Schule stets mutig und stolz vertrat. Er hat sich die Bewunderung und Zuneigung aller erworben. Wir sind sicher, dass er sich nach seinem Jurastudium einen glänzenden Namen machen wird. Fidel hat das Zeug dazu und wird etwas aus seinem Leben machen.« [19]

Schlüsselerlebnis

Revolutionäre werden nicht geboren. Revolutionäre werden gemacht, sagt Fidel Castro. Er selbst bringt allerdings etwas mit, was er als »angeborenen politischen und revolutionären Instinkt« umschreibt: »Nicht aus einer politischen Familie zu stammen, nicht in einem politischen Milieu aufgewachsen zu sein und sich dennoch die Rolle einer politischen Revolutionsfigur in einer strengen revolutionären Lehrzeit angeeignet und in einer relativ kurzen Zeit realisiert zu haben, wäre ohne diese besondere Berufung nicht möglich gewesen.«[20]

Er sei ein politischer Analphabet gewesen, als er neunzehnjährig das Studium in Havanna aufnimmt. Für einen politischen Analphabeten bringt er jedoch bereits einiges an praktischer Erfahrung über die politischen Gepflogenheiten seines Landes mit. Mit vierzehn Jahren ist er Wahlkampfhelfer seines Halbbruders Pedro Emilio, der bei den Provinzwahlen im Osten der Insel kandidiert. Fidel macht sich auf den Weg zu den Hütten der Tagelöhner und Landarbeiter seines Vaters, um ihnen zu zeigen, wohin sie ihr Kreuz zu setzen haben: »Ich war mit 14 Jahren noch kein Revolutionär, auch kein politisch denkender Mensch. Der Kandidat war mein Bruder und er hatte mir ein Pferd versprochen, falls er die Wahlen gewinnt. (...) Ich glaube, es war ein Araber. Das war meine erste politische Erfahrung.« [21]

Studium

Havannas Universität ist in den Vierzigerjahren alles andere als ein wissenschaftlicher Elfenbeinturm. Mehr als mit ihren Studienfächern beschäftigen sich die Studenten mit Politik, weil sie in einem Land, in dem es ein Überangebot an Rechtsanwälten und Doktoren, aber kaum wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten gibt, eine der wenigen Möglichkeiten bietet, Karriere zu machen. Die Seilschaften werden schon an der Uni geknüpft.

Das ist die Atmosphäre, in der Fidel Castro in Havanna 1945 mit dem Jurastudium beginnt und dabei, wie viele andere seiner Kommilitonen, die Politik entdeckt. Castros politische Emanzipation vollzieht sich in einem demokratiefeindlichen Umfeld. An der Universität tragen bewaffnete Banden skrupellos ihre Kämpfe um politische Einflussnahme aus. Sie nennen sich Sozialistische Revolutionäre Bewegung (MSR) und Aufständische Revolutionäre Union (UIR) und sind politische Kontrahenten im Kampf um Pfründe und Posten. Sie sind der verlängerte Arm korrupter politischer Parteien, die auf dem autonomen Universitätsgelände selbst nicht aktiv werden können. Dass Fidel Castro im Bandenkrieg mitgemischt habe, um hochschulpolitischen Einfluss zu gewinnen, wird oft behauptet, aber nie bewiesen. Zumindest taucht sein Name immer wieder in Verbindung mit gewalttätigen Auseinandersetzungen und sogar mit dem Mord an einem der Bandenführer auf, was seinen hochschulpolitischen Ambitionen eher schadet als nutzt. Fidel Castro bewirbt sich für diverse Hochschulämter, kann aber seine Kommilitonen mehrheitlich nicht für sich gewinnen. Sie sehen sich in hochschulpolitischen Fragen doch lieber von solchen Studenten vertreten, die nicht in die Nähe zur Uni-Mafia gebracht werden. Castro erhält weder das angestrebte Amt des Studentenvertreters der juristischen Fakultät, noch das des Studentenführers. Wenn er später in der Literatur dennoch als Studentenführer bezeichnet wird, so deshalb, weil er sich selbst dazu ernennt. [22]

Die Studenten stören sich zunehmend am Treiben der bewaffneten Banden und am politisch korrupten Klima ihrer Universität. Sie beginnen sich in unabhängigen Zirkeln neu zu organisieren. Castro will die Gelegenheit ergreifen, sich von seinem schlechten Ruf als Pistolero zu befreien und beantragt die Mitgliedschaft in einer der neuen Studentenbewegungen. Der Antrag wird abgelehnt.[23] Damit ihn die Gerüchte um seine angebliche Verwicklung in die Bandenkriege nicht weiterhin wie ein lästiger Schatten verfolgten und in seinen politischen Ambitionen behinderten, räumt er 1949 – im letzten Studienjahr – ein für allemal mit ihnen auf und veröffentlicht in Kubas meist gelesener Zeitschrift einen selbstmörderischen Artikel, in dem er Insiderwissen über Korruption und Gewalt auf dem Unigelände preisgibt und Namen nennt. Die politische Katharsis könnte ihm das Leben kosten. Fidel taucht in seinem Heimatort Birán unter und verschwindet anschließend für drei Monate nach New York.[24] Dann erst wagt er sich wieder auf das Universitätsgelände, wo er sich, wider seinem Naturell, politische Abstinenz verordnet und sich stattdessen den lange vernachlässigten Studien widmet, die er im September 1950 mit einem Doktor der Rechts- und Sozialwissenschaften abschließt.

Berufsleben

Seine Jura-Abschlussnoten sind ein Omen für seinen weiteren Lebensweg »Sehr gut« in Arbeitsgesetzgebung, »ausreichend« in Vermögensrecht. Wie der Washington-Post-Korrespondent Lionel Martin humorvoll anmerkt, sind das »passende Noten für einen überzeugten Sozialisten«. [25]

Nach Beendigung der Studien eröffnet der frisch graduierte Jurist zusammen mit zwei ehemaligen Kommilitonen eine Kanzlei in der Tejadillo-Straße Nr. 57. Der Name der Kanzlei: Azpiazu, Castro und Resende. Das dürfte eines der letzten Male gewesen sein, dass der Name Castro nicht an erster Stelle steht!

Aber Fidel Castro hat schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vor, seinen Ehrgeiz in eine Juristenkarriere zu stecken. Nach Beendigung der Universität stürzt er sich vollends in die Politik. Und da seine Anwaltskanzlei nicht genug Geld abwirft, um seine Familie zu ernähren und seine Bewegung zu fördern, beschließen seine Freunde, einen Teil seiner privaten Kosten zu übernehmen und aus Fidel Castro den ersten bezahlten Berufsrevolutionär Kubas zu machen.

Geld

Fidel Castros größter Luxus besteht darin, mit Geld in alter, iberischer Tradition völlig verächtlich umzugehen, indem er es großzügig ausgibt; daran gewohnt, dass es immer irgendwie weiter fließt. Eine Freundin stellt fest, wie »leicht, sogar beunruhigend flott« er Geld ausgibt. [26] Trotz der Wohlhabenheit der Eltern und Schwiegereltern ist Geld im Hause des jungen Juristen und seiner Frau Mirta knapp. Sie haben Schulden beim Lebensmittelhändler, zeitweise werden Strom abgestellt und Möbel abgeholt, bis einer von Castros Kanzleipartnern oder Freunden einspringt und die Rechnung begleicht. In einem Brief, den der junge Fidel seiner fürsorglichen Schwester Lidia schreibt, behauptet er im Brustton der Überzeugung: »Haltet mich nicht für exzentrisch. Ich habe nichts. Ich habe nie einen Centavo gestohlen oder erbettelt. Ich habe meine Karriere der Sache geopfert ... Ich brauche absolut nichts.«[27] Er hat aber auch nichts dagegen einzuwenden, dass ihn sein Vater über die Studienzeit hinaus materiell unterstützt. Kritiker werfen dem kubanischen Führer das Verhalten eines verwöhnten Kindes vor, dass nie für seinen eigenen Lebensunterhalt aufkommen musste. Zuerst waren der Vater und die Schwestern da, dann die politischen Freunde und Unterstützer der Bewegung 26. Juli (M-26-7). Und seit dem ersten Januar 1959 zahle Kuba die Rechnungen für den Comandante. Kein Wunder, sagen sie, dass er, ohne mit der Wimper zu zucken, die Farm seines Vaters verstaatlichen ließ, wo ihm inzwischen ohnehin die ganze Insel gehörte.

Freundschaften

Er hätte nicht wirklich das, was man einen Kreis guter Freunde nennen könne, bekennt Fidel Castro. Am ehesten noch ließen sich mit diesem Begriff seine revolutionären Weggefährten bezeichnen.

Celia Sanchez

Celia Sanchez ist Castros Revolutionsgefährtin, persönliche Assistentin und engste Vertraute. Ihre Treue zum kubanischen Führer ist so unerschütterlich, dass sie dasTimes Magazinein Anspielung auf Robinson Crusoe »Fidel’s Girl Friday« tauft.[28]Doch ob die Freundschaft zwischen der Arzttochter aus Manzanillo und dem kubanischen Führer zumindest zeitweise auch eine Liebesbeziehung war, darüber kann nur spekuliert werden. Ihre Kusinen − Celias Freundinnen seit Kindheitstagen − glauben, dass Fidel für sie Vaterersatz war. Ihre Mutter stirbt früh, sie hinterlässt acht Kinder. Celia kümmert sich um die Geschwister und um den Vater. Sie begleitet ihn bei Patientenbesuchen aufs Land, wo sie von den Sorgen der einfachen Bevölkerung erfährt und viele Bauern, die sie später für die Sache der Rebellen anwerben wird, persönlich kennenlernt. Celia begleitet ihren Vater auch bei seinen Ausflügen ins Gebirge, wenn er Fossilien und präkolumbische Artefakte sammelt. Die versteckten Wege und kleinen Pfade, die sie bei den Ausflügen entdeckt, werden später im Guerillakampf von Vorteil sein.

Celia Sanchez ist frühes Mitglied der Bewegung M-26-7. Gemeinsam mit Frank País trifft sie in der Provinz Oriente die nötigen Vorbereitungen für den Kampf in der Sierra Maestra. Während des Guerillakampfes wird sie Fidels wichtigste Verbindungsperson zum städtischen Untergrund. Als ihr die Verhaftung droht, bleibt sie schließlich ganz in den Bergen. Dann erkrankt ihr Vater. Er wird ins Krankenhaus eingeliefert, wo Batistas Soldaten schon auf die Tochter warten. Sie wissen, wie eng das Verhältnis zwischen Beiden ist und sind sich sicher, dass Celia ihren im Sterben liegenden Vater noch einmal besuchen wird. Aber sie taucht nicht auf. Vom Tod ihres Vaters erfährt sie aus dem Radio. Ein Verwandter sorgt dafür, dass die Nachricht stündlich durchgegeben wird, in der Hoffnung, dass sie auch irgendwann von Celia in den Bergen gehört wird. Auf diese Weise rettet er ihr das Leben.

In den ersten Jahren der Revolution lebt Celia Sanchez zusammen mit Fidel Castro im gleichen Mietshaus in der 11. Straße in Havannas Stadtbezirk Vedado. Aber sie wohnen nicht im gleichen Stockwerk.

Fidels 80-m²-Wohnung im obersten Stock des Hauses macht auf den italienischen Verleger Feltrinelli den Eindruck einer »typischen Wohnung eines amerikanischen Junggesellen. ... die Möblierung ist gepflegt und schlicht ... mit ein paar geschmackvollen Bildern«. [29] Es sind die Möbel von Celias Vater. Die praktisch veranlagte Tochter hat sie nach Havanna bringen lassen und damit die Wohnung von Kubas neuem Premierminister eingerichtet.

Zwischen ihr und dem kubanischen Führer kommt es nur ein einziges Mal zu einer Vertrauenskrise, als Fidel – während seines Annäherungskurses an die Kommunistische Partei – seine Privatsekretärin durch einen Kommunisten ersetzt. Aber schon im März 1962 ist sie wieder an seiner Seite und von dort weicht sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1980 nicht mehr. Die Ehe mit Dalia Soto del Valle, mit der Castro zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahrzehnt zusammenlebt und gemeinsame Söhne hat, schließt er erst nach dem Tod der Revolutionsgefährtin.

Che Guevara

Fidel Castro und Che Guevara lernen sich im Sommer 1955 in Mexiko kennen. Schon damals ist der Argentinier ein »politischer Vagabund« (wie ihn Fidel Castro später nennen wird). Nach Beendigung seines Medizinstudiums in Buenos Aires reist er durch ganz Lateinamerika und lernt die Schattenseiten der Länder seines Kontinents kennen. Che Guevara träumt von Revolution. Nach dem ersten Gespräch mit Fidel Castro hat er das Gefühl, dass sich sein Traum von einer neuen Gesellschaft in Lateinamerika mit diesem jungen, kämpferischen Kubaner verwirklichen ließe. Später erzählt er über den Beginn ihrer Freundschaft: »Ich lernte ihn an einem dieser kalten mexikanischen Abende kennen und ich erinnere mich, dass es in unserem ersten Gespräch um die internationale Politik ging.

Wenige Stunden später war ich einer der zukünftigen Expeditionsteilnehmer (...) Was mich vom ersten Moment an mit Fidel verband, war ein Band ›romantischer‹ Sympathie, so wie es zwischen Abenteurern besteht, und die Überzeugung, dass es sich an einem fremden Strand für ein so reines Ideal zu sterben lohne.«[30]

Che Guevara schließt sich dem kubanischen Revolutionär an, bricht mit ihm und seiner Partisanenarmee im Dezember 1956 Richtung Kuba auf und trägt entscheidend zum Sieg der kubanischen Revolution bei. Nach Castros Machtübernahme wird Che Guevara Wirtschaftsminister und Chef der kubanischen Nationalbank. Er ist der Konstrukteur des voluntaristischen Wirtschaftsmodells. Als sich abzuzeichnen beginnt, dass der revolutionäre Idealismus der kubanischen Führung zunehmend von realpolitischen Kompromissen aufgeweicht wird und dass der revolutionäre Weg Kubas in die Arme der Sowjetunion führt, zieht sich Che Guevara aus der Regierungspolitik zurück. Er gibt seine Ämter auf, verlässt Kuba und stürzt sich erneut in den internationalen, revolutionären Kampf. Zunächst im Kongo, dann in Bolivien, wo er scheitert und stirbt.

Che Guevara ist als Revolutionsgefährte Castro gegenüber ein bedingungslos loyaler Freund. Und als Freund ist er in erster Linie sein Revolutionsgefährte. Für die Öffentlichkeit gilt Che Guevara als Chefideologe der Revolution und Fidel Castro als ihr Taktiker. Castro selbst sieht die Aufgabenteilung etwas anders: »Ich bin ein besserer Koch, als er es war. Ich sage nicht, dass ich der bessere Revolutionär bin, aber kochen kann ich besser als Che.« [31] Es ist viel darüber spekuliert worden, warum Che Guevara Kuba verlassen hat und weshalb ihn Castro in Bolivien nicht unterstützt hat. Die Überlegungen gingen bis zur Frage, ob sich der kubanische Staatschef seines ideologisch starrsinnigen Gefährten entledigen wollte, weil dieser im Moment der Annäherung an die Sowjetunion zum Störfaktor wurde. Jorge Castañeda schreibt zu diesen Spekulationen in seiner Biografie über Che Guevara, dass Fidel ihn nicht in den Tod geschickt oder ihn verraten habe. Vielmehr ließ er der Geschichte einfach ihren Lauf, ohne an ihr aktiv Anteil zu haben. Ihm sei ihr zwangsläufiger Ausgang bewusst gewesen.[32]

In Che Guevaras dreißigstem Todesjahr werden seine Gebeine, zusammen mit den Überresten von fünf Mitstreitern, nach Kuba überführt und in einem Mausoleum in Santa Clara bestattet.

Heldenverehrung im Jahre 1997 © Sylvio Heufelder

Gabriel García Márquez

Castros bekanntester Freund ist der kolumbianische Nobelpreisträger Gabriel García Márquez, von seinen Freunden Gabo genannt. Mit einem etwas selbstgefälligen Gespür für das öffentliche Interesse an ihrer Freundschaft und unter dem Eindruck, dass sie bereits der Mantel der Geschichte streift, sind die beiden alten Männer dazu übergegangen, ihre Begegnung zu literarisieren. So fragt Gracía Márquez seinen Freund, was er am liebsten auf der Welt täte? Und der mächtigste Mann Kubas antwortet mit einem Satz Hemingway’schen Formats: »Einfach nur an irgendeiner Straßenecke rumhängen.«[33]

Fidel seinerseits erinnert sich, wie sie eines Abends über den Beginn ihrer gemeinsamen Geschichte sprachen und feststellten, dass sie 1948 während des Massenaufstands in Bogotá – noch ohne voneinander zu wissen – Zeugen der gleichen Geschehnisse wurden. Castro erzählt, was er damals in Bogotá sah: Brennende Häuser und Plätze, Menschen, die ihre Verzweiflung auf die Straße hinausschreien und einen Mann, der sich Luft macht, indem er auf eine Schreibmaschine einschlägt und sie in die Luft schleudert. Dann fragt er seinen Freund, was denn er während des Bogotazo gemacht habe. Die García Márquez’sche Antwort lautet: »Fidel, ich war der Mann mit der Schreibmaschine.«[34]

Oswaldo Guayasamín

1961 lernt Castro den ecuadorianischen Maler Oswaldo Guayasamín kennen, der nach Kuba gekommen ist, um den Comandante zu porträtieren. Guayasamín gehört zu den Malern, die über die Beschäftigung mit der künstlerischen Ästhetik nicht die politische Wirklichkeit Lateinamerikas vergessen. So hat er für das ecuadorianische Parlament das Wandgemälde Imagen de la Patria (Bildnis des Vaterlandes) entworfen. Auf dem Bild taucht ein Totenkopf mit Stahlhelm auf, auf dem in großen Lettern CIA prangt. Der US-Botschafter verlangt vom Vorsitzenden des ecuadorianischen Parlaments, die Wandmalerei zu ändern, da andernfalls die Einstellung der amerikanischen Wirtschaftshilfe für Ecuador drohe.

Imagen de la Patria hat den Streit überdauert und hängt immer noch im Plenarsaal des Parlaments. Guayasamíns Mut imponiert dem kubanischen Führer. Insgesamt viermal sitzt er dem Maler Modell. Das letzte Porträt malt Guayasamín zu Castros siebzigstem Geburtstag. Es ist eine kritiklose Hommage an den kubanischen Führer und erinnert, wie Guayasamín selbst augenzwinkernd bemerkt, in seinem Manierismus ein wenig an El Greco. »In dem Bild steckt Mitleid«, urteilt Castro, als er sein mildes Antlitz auf der Leinwand sieht. Hiermit sei entgegen der Ansicht seiner Feinde endgültig der Beweis erbracht, dass er in den Himmel komme: »Sonst hätte Guayasamín doch nicht dieses Bild von mir gemalt. Das bin ich, wie ich in den Himmel steige. Oben empfängt mich Petrus und sagt: ›Du kannst rein‹. Und wenn ich drinnen bin, werde ich beten und eine Lobby aufbauen, damit auch der alte Sünder Guayasamín rein kann.« [35]

Zahlreiche Freundschaftsbeweise, zu denen auch die Überlassung eines Hauses in der Altstadt Havannas für die Einrichtung eines Guayasamín-Museums gehört, lassen darauf schließen, dass der 1999 verstorbene Maler im Lauf der Jahrzehnte zu einem der wenigen echten Freunde geworden ist, dessen menschliche Qualitäten Castro sehr geschätzt hat: »Guayasamín ist wie ein Diamant. Transparent und wertbeständig. Den Wert seiner Freundschaft weiß man erst so richtig im Laufe der Jahre zu schätzen, wenn sich nach und nach seine zahlreichen Facetten zeigen. Er ist ein wahrer Freund.« [36]

Fidel Castro reist 2004 in die ecuadorianische Hauptstadt Quito, wo er – wie der venezolanische Präsident Hugo Chavez – Ehrengast bei der Eröffnung der Capilla del Hombre (Kapelle des Menschen) ist, Guayasamins großem Museumsprojekt, dessen Fertigstellung er selbst nicht mehr erlebte. Die Stiftung Guayasamín wiederum richtet 2006 die Feierlichkeiten zu Fidels 80. Geburtstag aus. Ihrer Einladung nach Havanna folgen unter anderem Gabriel García Márquez und Gerard Depardieu sowie Nora Cortiñas und Hebe Bonafini – die beiden, verfeindeten Wortführerinnen der Mütter der Plaza de Mayo. Und auch zu Castros 85. Geburtstag organisiert die Stiftung Guayasamín unter dem Motto »Serenade der Treue« noch einmal eine Gala im Karl-Marx-Theater in Havanna.

 Fidel Castro steht Modell für Oswaldo Guayasamín © Sylvio Heufelder

Gerüchte

Wo aus jeder privaten Notiz ein Staatsgeheimnis gemacht wird, brodelt die Gerüchteküche.

Die Jahrzehnte an der Macht werden von Meldungen über schwere Krankheiten begleitet. Bereits 1960 werden Vermutungen laut, dass Castro unter Depressionen leide. Immer wieder ist von Anzeichen die Rede, die deutlich auf einen abnormen Geisteszustand hinwiesen. Dann wieder wird behauptet, Castro wäre mit Elektroschocks behandelt worden.[37] Anderswo macht er den Eindruck, dass er vergiftet worden sei, weil er stark abgemagert wäre und müde und verwirrt wirke. 1986 wird spekuliert, dass Castro einen leichten Herzinfarkt erlitten haben könnte, weil er seine Reden langsam vom Blatt ablese und nicht mehr rauche.[38] Als Castro wieder einmal die Meldung einer US-amerikanischen Zeitung dementieren muss, dass er an einer tödlichen Krankheit leide, meint er: »Wenn ich eines Tages wirklich sterbe, wird es keiner mehr glauben.«[39]

Im Jahr 2004 bekommen endlich diejenigen Recht, die seit 44 Jahren den Schatten von Krankheit und Tod im Auftreten des kubanischen Präsidenten festzustellen glauben. Der inzwischen 78jährige stürzt nach einer Rede und erholt sich seitdem nicht mehr richtig. Nachdem er 2006 schließlich alle politischen Ämter seinem Bruder und offiziellen Nachfolger übergeben und sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, gilt er wieder einmal als tot, bis er selbst Entwarnung gibt. Er habe gut zwanzig Kilo abgenommen, aber die gesundheitliche Krise sei überwunden, sagt er gut einen Monat nach seinem Rücktritt. An was er eigentlich gelitten hat, erfährt man nicht. Stattdessen lädt wieder einmal jedes Foto vom gebrechlich wirkenden Staatschef a.D. zu Ferndiagnosen ein. Ein Besuch beim rekonvaleszierenden Patienten gehört fortan zum Programm jedes lateinamerikanischen Staatsgasts, der die freundschaftlichen Beziehungen mit Kuba zum Ausdruck bringen will. Die Fotos des virilen venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez am Krankenbett des greisen kubanischen Revolutionsführers gehen um die Welt und gelten als Besiegelung der politischen Erbfolge im linken Lager Lateinamerikas. Wenige Jahre später vertauschen sie die Rollen und es ist Castro, der Chavez während seiner Krebsbehandlung in einem kubanischen Krankenhaus aufsucht. Inzwischen hat der Comandante auch den venezolanischen Präsidenten überlebt, der 2013 seinem Krebsleiden erliegt.

Interessen

»Er ist der kompletteste Mensch, der mir je begegnet ist», schwärmt sein Freund, der ecuadorianische Maler Oswaldo Guayasamín. Zum romantischen Bild eines Revolutionärs gehört, dass er allseitig begabt ist; was bei Castro so aussieht, dass er über alles und jedes mit der gleichen Intensität spricht. Neben dem Image des letzten wirklichen Vollblutpolitikers pflegt er das des herausragenden Athleten, fanatischen Bücherlesers und leidenschaftlichen Kochs. Sein Langustenrezept, den zahlreichen Gesprächspartnern jedes Mal mit Verschwörermiene weiter gegeben, wandert als stereotyper Geheimtipp durch die Castro-Literatur. Dem italienischen Verleger Feltrinelli schlägt er einen Wettstreit vor, wer von ihnen die besseren Spaghetti zubereite. Bei Castro ist sogar Kochen eine Herausforderung auf »Vaterland oder Tod«. Nach seinem Rezept werden fünfhundert Gramm Nudeln in einer Brühe aus zwei Hühnern gekocht und mit Scheiben von jungem Käse serviert. Der Sieger steht fest: Am nächsten Abend gibt es Spaghetti à la Fidel. [40] In den ersten Jahren nach dem Sieg der Revolution steht auf dem Pflichtprogramm der Staatsgäste der Rundgang durch das ehemalige Gefängnis auf der Pinieninsel, in dem Castro zwischen 1953 und 1955 seine Haftstrafe nach dem Überfall auf die Moncada-Kaserne absaß. Werden die Besucher vom kubanischen Staatschef begleitet, vergisst er nicht zu erzählen, wie er sich seine geliebten Spaghetti in seiner Zelle zubereitet hat. Mit Hingabe für das Detail erklärt er, wie viele Stunden es dauerte, bis die Nudeln auf dem kleinen Elektrokocher fertig waren. [41]

Castros Appetit beschränkt sich nicht nur auf leibliche Genüsse. Er hat auch – wie er zu wiederholen nicht müde wird – einen unersättlichen Lesehunger, der so gewaltig sei, dass er selbst davon überzeugt ist im »nächsten Leben Schriftsteller zu werden«.[42] Ob das jene einheimischen Autoren versöhnlicher stimmt, die von ihm in seinem jetzigen Leben zum Schweigen gebracht oder ins Exil getrieben werden, bleibt zu bezweifeln.

»Ich habe in meinem Leben so viele Bücher gelesen, wie ich konnte und ich leide, weil mir nicht mehr Zeit zum Lesen zur Verfügung steht. Ich leide, wenn ich Bibliotheken sehe, wenn ich eine bunt gemischte Bücherliste überfliege: Ich bedauere es, dass ich nicht mein ganzes Leben mit lesen und studieren verbringen kann.«[43]

Welche Erkenntnis zieht Fidel Castro aus seinem Bücherwissen? Er erzählt gerne, dass er bei seinem Kampf in den Bergen Kriegsstrategien aus Hemingways Wem die Stunde schlägt angewendet hat. Als ihn ein Reporter der Washington Post in seinem Rebellencamp in der Sierra Maestra aufsucht, liest er gerade Kaput von Curzio Malaparte und zitiert Mussolinis Bemerkung, dass man einen Coup mit der Armee oder ohne die Armee durchführen könne, niemals aber gegen die Armee. Castro blickt den Besucher an: »Wir beweisen gerade, dass sich Mussolini täuscht. Wir sind hier in Kuba dabei, einen Krieg gegen die Armee zu gewinnen.«[44]

Literatur als Gebrauchsanweisung für die Praxis: Anfang der Neunzigerjahre liest Castro Süskinds Parfüm. Er schwärmt davon, was man in dem Buch alles über die Herstellung von Parfums lernen könne.[45] Kurze Zeit später kommt das kubanische Parfum Alicia Alonso auf den Markt. Zufall?

Sport

Wie im gesellschaftlichen Leben Kubas nimmt Sport auch im persönlichen Leben des Máximo Liders eine wichtige Rolle ein. Für eine Runde im Meer unterbricht Castro in den ersten Regierungsjahren sogar politische Sitzungen. Zweimal in seinem Leben wird er wegen sportlicher Leistungen ausgezeichnet. Beim ersten Mal ist er noch Schüler. Beim zweiten Mal führt er bereits die Geschicke Kubas. 1960 gewinnt der kubanische Premierminister einen von Hemingway ins Leben gerufenen Angelwettbewerb. Der Nobelpreisträger persönlich überreicht ihm die Siegestrophäe. Das Foto schmückt die Bars in Althavanna. Es ist das Einzige, das ihn mit dem berühmten amerikanischen Schriftsteller zeigt, aber nicht das Einzige, das ihn beim Sport zeigt. Kein Präsident der Welt wurde so oft in sportlicher Pose abgelichtet wie Fidel Castro: beim Tischtennis, Boxen, Base-, Basket oder Volleyball, bei der Jagd, beim Schach und beim Schwimmen. Sogar mit dem Golfschläger in der Hand wurde der kubanische Revolutionär fotografiert. Obwohl Golf zu den verpönten Sportarten gehört, für die nach dem Sieg der Revolution kein Platz mehr in Kuba ist. Erst mit dem aufkommenden Tourismus entstehen in den Neunzigerjahren wieder die ersten Golfplätze in Kuba. Der passionierteste kubanische Spieler und einer der wenigen Kubaner überhaupt, die sich die Mitgliedschaft in einem der edlen Golfclubs leisten können, ist Castros Sohn Antonio, der im April 2013 das Internationale Golf-Turnier Montecristo im Badeort Varadero gewinnt.

ANFANG

Unter den Präsidentschaften von Ramón Grau San Martín (1944–48) und Carlos Prío Socarrás (1948–52) werden Gewalt, Bestechung und Sinekuren politisches Tagesgeschäft in Kuba. Dabei hat der ehemalige Medizinprofessor Grau San Martín 1934 die Kubanische Revolutionäre Partei (PRC), deren Anhänger sich Auténticos nennen, gegründet, um nach dem Scheitern der Revolution von 1933 einen neuen politischen Anfang zu wagen. Seitdem ist die Partei der Auténticos jedoch selbst zu einem staatsterroristischen Instrument verkommen, das skrupellos Gewerkschaftler und Kommunisten verfolgt. Korruption und Verbrechen sind während der Jahre, in denen die PRC an der Macht ist, zum Synonym für Politik geworden. In der PRC macht Karriere, wer sich bereichern will.

Unter Eduardo Chibás, dem Studentenführer von 1933, spaltet sich die Partei des Kubanischen Volkes (PPC) von der PRC ab, weil diese die Ziele, die zu erreichen sie sich 1934 vorgenommen hatte, mittlerweile völlig aus den Augen verloren hat. Chibás ist ein leidenschaftlicher Ankläger der staatlichen Korruption, ein mitreißender Redner, der mit seinen wöchentlichen Radioprogrammen, in denen er Politiker namentlich des Amtsmissbrauchs überführt, vor allem unter der Jugend Anhänger gewinnt.

Wer in den Vierzigerjahren in Havannas Hochschulpolitik einen eigenen, unabhängigen Weg gehen will, lebt gefährlich, weil das politische Establishment seine staatsterroristischen Handlanger aus Mitgliedern gewaltbereiter Gruppen auf dem Unigelände rekrutiert und sie mit lukrativen Staatsämtern ködert. Die beiden einflussreichsten Mafiagruppen an der Uni von Havanna – die Sozialistische Revolutionäre Bewegung (MSR) und die Aufständische Revolutionäre Union (UIR) – sind, wie andere radikal-nationalistische Bewegungen aus den Dreißigerjahren, im Laufe der Zeit zu Banden verkommen. Die Politik tut nichts, um ihr Treiben zu unterbinden. Im Gegenteil: So macht der kubanische Präsident Grau San Martín ein Mitglied vom MSR zum Leiter der Geheimpolizei, den Führer der UIR hingegen zum Polizeichef.[46] Die Uni-Pistoleros entwickeln sich zu professionellen Gangstern, die für die Regierungspolitiker die Drecksarbeit erledigen. Der Hauptkrieg tobt weiterhin auf dem Campusgelände. Fidel Castro, der während seine Studiums zwischen die Fronten gerät, kann den Verdacht, selbst in den Bandenkrieg verwickelt zu sein, nur dadurch beseitigen, dass er eine schonungslose, öffentliche Selbstanzeige inszeniert.

Da in der Hochschulpolitik der durchschlagende persönliche Erfolg ausbleibt, konzentriert sich der angehende Jurist früh auf die Landespolitik. Der Hochschulaktivist fühlt sich von Chibás’ Partei des Kubanischen Volkes, deren Anhänger sich im Unterschied zu den Auténticos Ortodoxos nennen, angezogen. Die PPC hat sich Nationalismus, Antiimperialismus, Unabhängigkeit, politische Freiheit und soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben. Fidel Castro gehört zu ihren Gründungsmitgliedern. Er begleitet den Parteivorsitzenden zu öffentlichen Auftritten und übernimmt dessen populären Anklagestil. Wie Chibás kämpft auch er als Anwalt der Armen während seiner Wahlkampagne in Cayo Hueso gegen die Pläne der Regierung, arme Habaneros aus lukrativen Wohngegenden zu vertreiben.

Im Rückblick ist man versucht, Fidel Castro von Anfang an und überall stets die Rolle des Protagonisten zuzuschreiben. Eine Bedeutung, die er bei seinen ersten politischen Gehversuchen allerdings nicht innehatte.

Glockenläuten

Seine Misserfolge bei den Bewerbungen um diverse hochschulpolitische Ämter überdeckt der junge Castro durch einfallsreiche, symbolträchtige Aktionen, bei denen er viel nationalistisches Pathos einsetzt. Schon damals glaubt er an die Bedeutung von Symbolen. Er ist überzeugt, dass Fahnen eine große Wirkung haben. Und mit wehenden Fahnen, lauten Hymnen und jeder Menge nationalistischem Brimborium sorgt er für große Emotionen auf dem Uni-Campus. Er hält die kubanische Flagge in den Händen, wenn er Protestzüge anführt, in denen zum Sturz der diversen Regierungen aufgerufen wird. Er singt mit ansteckendem Eifer die letzte Zeile der kubanischen Nationalhymne, »Für das Vaterland sterben, heißt leben», wenn es zu entscheidenden Momenten im Kampf zwischen Studenten und der Obrigkeit kommt.

Der Student der Rechtswissenschaften übersieht kein historisches Datum, das sich nicht zu einer universitätspolitischen Aktion ausbauen ließe. Doch die Glanznummer an patriotischer Symbolik gelingt ihm mit der spektakulären Inszenierung der Aufregung um die Glocke von Demajagua, die im VolksmundGlocke der Gerechtigkeit genannt wird. Mit dieser Glocke hat 1868 der kubanische Patriot Carlos Manuel de Céspedes auf seiner Hazienda Demajagua