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WEIL EINE FAKE-BEZIEHUNG NIEMALS GENUG IST
Tate King ist Chief of Marketing der millionenschweren King Group - und ein Playboy. Doch damit soll jetzt Schluss sein! Tate will seinen Ruf verbessern und seinen Brüdern beweisen, dass er sich verändert hat. Eine Fake-Beziehung soll die Lösung all seiner Probleme sein. Die perfekte Kandidatin ist ausgerechnet Violet Sinclair, die kleine Schwester seines ehemaligen College-Mitbewohners, die dringend Geld benötigt, um das Café ihres verstorbenen Vaters finanziell über Wasser zu halten. Dass Tate und sie sich zuvor in seinem exklusiven Club wiedergetroffen und sich dort als maskierte Fremde nähergekommen sind, versuchen sie hinter sich zu lassen - doch bald schon wird es unmöglich, der Anziehungskraft von damals zu widerstehen ...
»Ich kann nicht genug bekommen von den King-Brüdern und habe dieses Buch geliebt!« BOOKTALK_AND_COFFEE
Band 2 der neuen sexy CEO-Trilogie bei LYX
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Seitenzahl: 666
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
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Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von L. M. Dalgleish bei LYX
Impressum
L. M. DALGLEISH
Fierce King
Roman
Ins Deutsche übertragen von Beate Bauer
Der Chief of Marketing der millionenschweren King Group ist ein Playboy – zumindest behauptet das die Klatschpresse über Tate King. Ganz unverschuldet an seinem Ruf ist der junge Bachelor nicht, schließlich hatte er schon immer eine Schwäche für schöne Frauen. Doch Tate will sich bessern und seinen Brüdern beweisen, dass er sich verändert hat. Eine Fake-Beziehung soll die Lösung all seiner Probleme sein, und ausgerechnet Violet Sinclair ist die perfekte Kandidatin. Die kleine Schwester seines ehemaligen College-Mitbewohners braucht nämlich dringend Geld, um das Café ihres verstorbenen Vaters finanziell über Wasser zu halten. Tate ist bereit, sie zu unterstützen, wenn Violet dafür im Gegenzug seine Fake-Freundin spielt und ihm dabei hilft, in den Augen der Öffentlichkeit gut dazustehen. Dass er und Violet erst kürzlich eine unvergessliche Begegnung als maskierte Fremde in seinem exklusiven Club Onyx hatten, versuchen sie hinter sich zu lassen – doch schnell wird klar, dass weder Tate noch Violet vergessen können, wie richtig sich jede einzelne Berührung zwischen ihnen angefühlt hat …
Liebe Leser*innen,
Fierce King enthält Elemente, die triggern können.
Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Für alle Leser, die gerne mitansehen, wie es den Playboy schließlich erwischt – und zwar richtig erwischt –, dann ist das hier das Richtige.
Ich schwöre, die alte Espressomaschine hasst mich.
Die Hände in die Hüften gestützt und die Augen zusammengekniffen, starre ich das Stahlungetüm an und versuche den Schweißtropfen zu ignorieren, der an meinem Rücken hinunterläuft.
Zu meiner Rechten hat sich eine kleine Schlange am Abholtresen von True Brew gebildet. Obwohl es bisher keine Beschwerden gegeben hat, kann ich die berüchtigte New Yorker Ungeduld mit jedem Mal dringlicher spüren, wenn jemand von einem Bein aufs andere tritt oder einen Blick auf die Uhr wirft. »Sorry, dass es etwas länger dauert«, rufe ich und hoffe, mein Lächeln sieht nicht so entnervt aus, wie ich mich fühle. »Ihr Kaffee ist in null Komma nichts fertig!«
Ich gehe näher an die Maschine heran und werfe einen Blick in die Runde, um mich zu vergewissern, dass niemand in Hörweite ist, bevor ich mich vorbeuge und bedrohlich flüstere: »Wenn du es nicht für mich tun willst, dann tu es wenigstens für Dad.«
Ich falte die Hände und halte den Atem an, wobei ich beinahe glaube, dass sie bei der Erwähnung ihres verstorbenen Besitzers zischend in Aktion treten wird. Leider sieht es nicht danach aus, als könne ich in absehbarer Zukunft Maschinenflüsterin zu meinem Lebenslauf hinzufügen, da sich nichts rührt. Und jetzt fällt mir nichts mehr ein, außer hektisch auf die Temperaturanzeige zu klopfen.
Jarrod tritt neben mich und schiebt mich mit der Schulter beiseite. »Lass mich mal sehen«, sagt er. »Du kannst vorn übernehmen.«
Ich lächle dankbar, während ich mir mit dem Rücken meines Handgelenks eine lose Strähne aus den Augen wische. »Du bist ein Lebensretter.« Jarrod arbeitet schon gut zwei Jahre bei True Brew und hat die verblüffende Fähigkeit entwickelt, die unberechenbare Maschine am Laufen zu halten. Doch trotz seiner magischen Hände ist die Wahrheit nicht zu leugnen. Sie muss eher früher als später ersetzt werden.
In der Hoffnung, dass er sie wieder in Gang bringt, lasse ich ihn herumhantieren und gehe zum vorderen Tresen. Dort wartet nur eine Kundin, ein junge, gestresst wirkende Mom mit einem verspielten Kleinkind auf der Hüfte. Das kleine Mädchen, das einen prächtigen roten Lockenkopf hat, sieht erhitzt und mies gelaunt aus, so als könne es gleich explodieren.
Ich lächle die Mom an und nehme ihre Kaffeebestellung entgegen. Nachdem ich diese gebongt habe, zeige ich auf das Glas mit riesigen weichen Marshmallows auf dem Tresen. »Möchte Sie vielleicht einen?«
Die Frau strahlt. »Sehr gerne.« Sie wendet sich an ihre Tochter. »Oder nicht, Molly?«
Das kleine Mädchen verbirgt ihren Kopf an der Schulter ihrer Mom, bevor sie mich ansieht und nickt.
Ich lächle in mich hinein, als ich den Deckel abnehme und eine kleine Zange benutze, um einen rosa Marshmallow herauszunehmen. »Bitte sehr, meine Süße.«
Das kleine Mädchen streckt seine Hand aus, und ich lasse ihn auf ihre Handfläche fallen. Sie drückt ihn an die Brust und betrachtet ihn entzückt.
»Vielen Dank«, sagt ihre Mom. »Sie hatte einen langen Tag. Wir beide.«
»Ich hoffe, sie genießt ihn. Und ich hoffe, Sie genießen Ihren Kaffee. Es klingt, als wäre beides wohlverdient.«
Sie schenkt mir ein letztes Lächeln, bevor sie zum Abholtresen geht. Molly winkt mir sogar über ihre Schulter hinweg zu.
Leider stellt sich niemand anderes hinter ihr in die Schlange, und ich lasse die Schultern hängen, als ich den Raum betrachte. Der kleine rustikale Coffeeshop mit den Ziegelwänden sieht eher trist als behaglich aus, und beinahe alle Tische mit ihren Holzplatten sind leer.
Für den Bruchteil einer Sekunde kehre ich in eine andere Zeit zurück. Als das True Brew brechend voll und mit fröhlichem Geplauder erfüllt war, während die Espressomaschine mahlte und Besteck klapperte. Übertönt wurde das alles vom dröhnenden Lachen meines Vaters, wenn er mit der Kundschaft scherzte, die in langen Schlangen für hausgemachte Backwaren, einfache leckere Mahlzeiten und eine Auswahl fair angebauten Kaffees anstand.
Ich stoße einen Seufzer aus. Das war damals, und das hier ist heute.
Vor zwanzig Monaten ist Dad an einem Herzinfarkt gestorben. Mit seinem Tod sind auch das Herz und die Seele von True Brew verschwunden. Und nachdem der Manager, den mein Bruder Mark und ich fälschlicherweise eingestellt hatten, den Laden heruntergewirtschaftet hatte, bildet er nicht länger die lebhafte Gemeinschaft, die er einst war.
Als Mark vor fünf Monaten anrief, um mir mitzuteilen, dass wir vielleicht verkaufen müssten, hatte ich gewusst, was zu tun war. Ich kündigte meinen Job bei einer in Maine ansässigen NGO und bin nach Hause gekommen. True Brew ist alles, was von Dad übrig ist. Auf keinen Fall will ich diejenige sein, die ein Zu-verkaufen-Schild an seinen Traum hängt.
»Hab sie in Gang gebracht, Boss«, sagt Jarrod hinter mir.
Ich drehe mich zu ihm um; mich trifft das vertraute Gefühl von Dankbarkeit, dass er noch immer hier arbeitet. Er ist erst fünfundzwanzig, so alt wie ich. Er hätte sich locker einen anderen Job suchen können, als es nicht mehr so gut lief. Doch er ist geblieben. Ich bin mir sicher, sein vertrautes Gesicht ist der Grund dafür, dass die wenigen verbliebenen treuen Gäste wiederkommen. Doch jetzt, da ich unseren langjährigen Kaffeelieferanten José davon überzeugt habe, unseren Liefervertrag – ein Opfer der Sparmaßnahmen unseres früheren Managers – zu erneuern, hoffe ich, mehr Menschen zurückgewinnen zu können.
Ich muss den Laden nur offen halten, bis das passiert.
Ich lächle Jarrod an. »Zum Glück liebt dich die Maschine.«
»Das sollte sie.«
Seine haselnussbraunen Augen funkeln. »Meine Beziehung mit ihr dauert schon länger als jede andere, die ich mit einer richtigen Frau hatte.«
Mit einem Lachen mache ich den Platz frei, damit er wieder seinen Platz am Tresen einnehmen kann. »Das liegt daran, dass dich dein charmantes Lächeln in Schwierigkeiten bringt«, necke ich ihn.
Er legt den Kopf schräg und zieht einen Mundwinkel hoch. »Findest du mich charmant?«
Ich winke mit einem Finger vor seinem Gesicht. »Genau das meine ich. Glaub ja nicht, ich hätte nicht gesehen, wie die Mädchen, die hier reinkommen, dir zuzwinkern.«
Ich kann sehen, was an seinen dunklen Haaren, seinem verschmitzten Lächeln und an diesem Grübchen so anziehend ist. Auch wenn ich keine Schmetterlinge im Bauch bekomme, als er mein Lächeln erwidert.
Ich gebe ihm zum Dank einen Klaps auf den Arm, bändige mein langes Haar, indem ich das Haargummi wieder festziehe, und richte meine Aufmerksamkeit auf die Kaffeebestellungen.
Der Andrang ist schnell vorbei – obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich das langsame Eintrudeln der paar Leute als Andrang bezeichnen sollte –, und unsere Teilzeitkellnerin Sarah macht sich auf den Weg nach Hause.
Ich mache gerade einen Kaffee für Jarrod und mich, als die Türglocke bimmelt und meine beste Freundin Anna hereinspaziert. Sie kommt direkt von ihrem Job als Personal Trainer und hat noch immer Yogapants und ihr Tanktop an. Ich gehe um den Tresen herum und umarme sie. »Was tust du hier um diese Tageszeit?«
»Kannst du dir vorstellen, dass die letzten beiden Kunden abgesagt haben? Ich habe es als Zeichen gesehen, meinen Lieblingsmenschen zu besuchen.«
»Perfektes Timing.« Ich nehme ihre Hand und führe Anna zu einem kleinen Tisch im hinteren Bereich. »Jarrod und ich wollten gerade zusammen einen Kaffee trinken.«
Sie zieht die dunklen Brauen hoch und setzt ein aufgeregtes Lächeln auf. »Dann will ich euch nicht stören.«
Ich verdrehe die Augen, auch wenn ich ein Lächeln unterdrücken muss. »So ist das nicht.«
»Mhm, wenn du es sagst.«
Ich senke die Stimme und drehe mich von Jarrod weg, der gerade sauber macht. »Nur weil wir zusammenarbeiten, bedeutet das nicht, dass etwas zwischen uns läuft. Außerdem bin ich seine Chefin.«
»Als ob das eine Rolle spielt«, sagt sie verächtlich. »Hast du in letzter Zeit keinen Liebesroman gelesen? Ich merke doch, wie er dich ansieht. Und hast du ihn überhaupt angesehen? Völlig ausgeschlossen, mit ihm im Bett keinen Spaß zu haben. Vielleicht ist er genau das, was du brauchst, um aus deinem Trott rauszukommen.«
Jarrod auf der anderen Seite des Raums wischt den Tresen ab, wobei sich die Muskeln in seinem Unterarm auf eine Weise zusammenziehen, die sogar ich zu schätzen weiß.
Ich wende mich ab und dränge sie zu einem Stuhl. »Er schaut jeden so an. Dich eingeschlossen. Aber versuch bitte nicht, selbst herauszufinden, ob er so unterhaltsam ist, wie er aussieht. Das Letzte, was ich brauchen kann, ist irgendeine seltsame Spannung zwischen meiner besten Freundin und meinem besten Angestellten.«
Anna setzt sich und verschränkt die Unterarme auf dem abgenutzten Holztisch. »Er ist süß, und bestimmt wäre es spaßig mit ihm, aber er hat für meinen Geschmack zu viel Golden-Retriever-Energie. Ich bin eine, die eher auf BDE steht.« Sie schenkt mir ein schamloses Zwinkern.
Ich muss lachen. Big Dick Energy passt. Anna stand schon immer eher auf die Alpha-Typen. Männer, die Gefahr ausstrahlen. Ich würde einen lieben Kerl jederzeit einem arroganten Ladykiller vorziehen. Die tun erst charmant und lässig, bis man ihnen verfallen ist. Dann, sobald sie bekommen haben, was sie wollten, und man in alle möglichen Emotionen verstrickt ist, lassen sie die Maske fallen, und ihr wahres Ich kommt zum Vorschein.
»Eins ist klar«, Anna weist mit dem Kinn in Richtung Theke, »du arbeitest zu viel. Hol dir deinen Kaffee und setz dich zu mir. Denn wenn Jarrod kein Thema mehr ist, habe ich einen Vorschlag.«
Ich werfe ihr einen neugierigen Blick zu, doch sie grinst einfach nur und sagt nichts.
»Willst du auch einen Kaffee?«, frage ich.
»Nun, wenn du schon einen anbietest, dann nehme ich gern einen deiner Single-Origin-Lattes.«
Wenige Minuten später stelle ich Anna die Tasse hin. Sie betrachtet lächelnd ihre Latte-Art-Katze, mit der ich ihren Kaffee dekoriert habe. Es ist eine Technik, die ich schließlich nach vielen, vielen Fehlversuchen gemeistert habe, die Jarrod spaßeshalber meine Latte-Gräuelkunst nannte.
Dann nehme ich meine eigene Tasse und setze mich ihr gegenüber. »Na schön, was ist das für ein Vorschlag?«
Sie beugt sich nach vorn und sieht mich ernst an. »Ich möchte, dass du mich anhörst, bevor du etwas sagst.«
Ich nicke kurz. »Natürlich.«
»Erinnerst du dich, wie ich dir vor ungefähr einem Jahr von diesem Kerl erzählt habe, mit dem ich was hatte? Älter, attraktiv, wohlhabend.«
Ich habe damals noch in einem anderen Staat gelebt, aber ich erinnere mich an das Telefonat, das wir über Richard hatten, und Dinge, die er mag. »Oh ja, ich erinnere mich auf jeden Fall. Er ist dann aber weggezogen, oder?« Ist er zurück?«
»Er ist noch immer in Kalifornien. Wir haben uns damals auf einen glatten Schlussstrich geeinigt und haben seither nicht mehr gesprochen. Aber ich habe dir von diesem einen Club erzählt, wohin er mich mitgenommen hat. Erinnerst du dich noch?«
Sie errötet ein wenig. Anna und ich sind seit der siebten Klasse Freundinnen. Über Beziehungen und Sex zu reden ist nicht neu für uns. Und sie ist nicht gerade der schüchterne Typ, weshalb ich mich frage, was sie und Richie Rich in dem Club angestellt haben.
»Ich erinnere mich, aber du bist nicht näher darauf eingegangen.«
Sie nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee und betrachtet mich über den Rand der Tasse hinweg. »Es ist schwer zu beschreiben. Sagen wir, es war, ähm, befreiend.«
Ich ziehe eine Braue hoch. »Mehr hast du nicht darüber zu sagen?«
»Nun …« Sie wirft mir ein durchtriebenes Lächeln zu. »Ich will nicht zu viel verraten, weil ich glaube, du solltest es selbst erleben.«
Ich bekomme ein flaues Gefühl und hätte beinahe meinen Kaffee umgekippt. »Du willst, dass ich in einen … einen Sexclub gehe?« Ich flüstere den letzten Teil. »Tut mir leid, aber kennst du mich überhaupt? Das ist eine schreckliche Idee.«
Sie schmollt, auch wenn ihre dunklen Augen amüsiert funkeln. »Du hast versprochen, mich anzuhören.«
Ich beiße auf meine Unterlippe und nicke. Das habe ich, obwohl ich nicht so recht weiß, ob ich wissen will, was sie damit bezweckt.
»Ich weiß, was du denkst. Ich dachte das Gleiche, als Richard es vorgeschlagen hat. Aber der Laden ist überhaupt nicht anrüchig. Er ist total exklusiv, weil er auf sehr reiche, sehr berühmte Leute ausgerichtet ist. Mitglieder werden überprüft, und man muss Masken tragen, damit alle anonym sind, ansonsten kommt man nicht rein.«
Sie mustert meinen Gesichtsausdruck und grinst dann. Wahrscheinlich, weil nur zu offensichtlich ist, dass sie mich von der Idee nicht überzeugen kann. »Hör zu. Sie nehmen Sicherheit dort sehr ernst. Backgroundchecks sind obligatorisch, sogar für Gäste. Die Masken sorgen für Anonymität, aber ich verspreche dir, es ist nicht freakig.« Sie lächelt. »Es ist sogar verdammt sexy. Stell dir vor, es ist eine einzigartige Gelegenheit, mit den Reichen und Berühmten zu tun zu haben, während sie so richtig sexy sind. Und …« sie macht eine Pause, »und falls du dich dazu entschließen solltest, ist es perfekt zum Stressabbau ohne Hintergedanken, anonym und safe. Was du, liebe Freundin«, sie zeigt mit dramatischer Geste auf mich, »dringend brauchst nach allem, was du in den letzten zwei Jahren durchgemacht hast.«
Ich versuche zu begreifen, was sie vorschlägt. Ich weiß, sie meint nicht nur das True Brew oder meine Trauer um meinen Dad und mein Schuldgefühl, nicht hier gewesen zu sein, als er starb, obwohl ich mit beidem zu kämpfen hatte. Sie meint auch meinen Ex Eric, der mich nicht nur einmal betrogen hat. Anna ist die Einzige, der ich erzählt habe, was damals passiert ist, weil ich Mark nicht mit den Folgen meiner schlechten Männerwahl belasten wollte. Nicht, wenn nur ich allein schuld daran bin, die ganzen Red Flags nicht gesehen zu haben. Was bedeutet, dass Anna die Einzige ist, die weiß, weshalb ich seither so zögerlich bin, mich auf eine neue Beziehung einzulassen.
Das heißt nicht, dass ich den Körperkontakt zu einem Mann nicht vermisse. Ich habe vielleicht meinen batteriebetriebenen Lover zu Hause, aber nichts kann den zwischenmenschlichen Kontakt und die Verbindung von Haut zu Haut ersetzen. Ist das vielleicht die Antwort? Eine Nacht ohne Namen, ohne Erwartungen, ohne ausgetauschte Telefonnummern. Keine verletzten Gefühle, weil die Frage nicht einmal gestellt wird. Und kein seltsamer Morgen danach.
Anna betrachtet mich mit einem Stirnrunzeln. »Ich will dich nicht drängen oder dir ein ungutes Gefühl geben. Aber es wäre gut für dich, loszulassen, und wenn es nur für eine Nacht wäre. Ein wenig Ablenkung von allem, was du um die Ohren hast.« Sie legt ihre Hand auf meine. »Und es gibt überhaupt keinen Druck. Man kann machen, was man will. Der vordere Bereich ist fast wie ein normaler Nachtclub, wir können einfach was trinken und tanzen. Mehr muss gar nicht passieren. Aber wenn du jemanden triffst, der dir gefällt, dann kannst du das austesten.«
Mein Herz klopft schneller. Sollte ich das tun? Zumindest wäre es eine Sache, die ich dann von meiner Wunschliste streichen könnte. Nicht dass »einen Sexclub besuchen« draufstehen würde. Aber wer hat nicht schon mal eine Aufgabe auf eine Liste geschrieben, nur um sie zufrieden abhaken zu können? Und die Aussicht, etwas für mich so Untypisches, so Wildes zu tun, ist irgendwie reizvoll. Es ist lange her, dass ich mich sorglos gefühlt oder sorglos verhalten habe. Es mag komisch sein, aber einen Abend lang der Realität zu entfliehen, klingt … gut.
Ganz zu schweigen davon, dass ich damit Eric nachträglich eins auswischen würde.
Ich hole tief Luft. »Okay, sagen wir, ich denke darüber nach. Richard hat dich eingeladen, stimmt’s? Wie kommen wir dann rein, wenn er nicht hier ist?«
Annas Augen leuchten auf, und sie strafft den Rücken. »Bevor er gegangen ist, hat er mir eine Mitgliedschaft geschenkt. Hat es ein Abschiedsgeschenk genannt. Aber um ehrlich zu sein, war ich nicht daran interessiert, ohne ihn hinzugehen.« Sie führt ihre Tasse zu ihren Lippen und nimmt einen kleinen Schluck, bevor sie fortfährt. »Die Mitgliedschaft läuft in ein paar Wochen aus. Es wäre schade, sie nicht wenigstens einmal zu benutzen. Vor allem, weil sie nicht billig ist. Und weil ich Mitglied bin, kann ich dich als Gast mitbringen. Wir müssten nur deine Personaldaten für einen Hintergrundcheck einreichen. Sobald das erledigt ist, darfst du mit mir hingehen.« Sie beugt sich nach vorn. »Aber das musst du nicht jetzt entscheiden. Denk darüber nach und lass es mich wissen.«
Ich könnte darüber nachdenken. Oder ich könnte meine Big Girl Panties anziehen und mir selbst erlauben, einen Abend lang nicht Violet, die kämpfende Coffeeshop-Besitzerin, zu sein, und zum ersten Mal seit langer Zeit etwas Mutiges tun.
Ich trinke meinen Kaffee aus, stelle die Tasse hin und schenke Anna ein Lächeln – eins, das wahrscheinlich viel selbstbewusster aussieht, als ich mich tatsächlich fühle. »Was soll ich denn anziehen?«
Das polierte Holz des Tresens schimmert unter dem Glitzern von Kronleuchtern, und die Luft ist schwer, ein Gemisch aus Eau de Cologne und Parfüm – eine Gefälligkeit der Elite von New York City, die den Ballsaal hinter mir füllt.
Ich tippe mit dem Finger auf den Rand meines inzwischen leeren Glases. Der Barkeeper schenkt mir einen wissenden Blick und greift nach dem Macallan 25.
»Versuchst du mit dem hier einen Rekord zu brechen, Tate?«, scherzt er. Es ist das Zeugnis dafür, wie viele von diesen Events ich in letzter Zeit besucht habe, dass ich jetzt mit dem Barpersonal befreundet bin. Das ist die vierte Charity-Gala in sechs Wochen.
»Ich versuche einfach nur, eine persönliche Bestleistung zu erbringen.« Ich führe den Tumbler an meine Lippen und atme das warme Eichenaroma ein, bevor ich trinke. Das rauchige Brennen des Whiskeys ist eine angenehme Unterbrechung, als er mir durch die Kehle rinnt.
Ich habe die heutigen Aufgaben beim Networking als Marketingchef für mein Familienunternehmen, der King Group, erfüllt und mich für gefühlt mehrere eintönige Stunden unter die Leute gemischt, um unsere jüngsten Immobilienentwicklungen zu besprechen. Jetzt lege ich eine wohlverdiente Pause an der Bar ein.
Das Blue Planet Benefit ist eine hochkarätige Veranstaltung zum Umweltschutz, was bedeutet, der Ballsaal ist voll mit sogenannten Power Players und Social Climbers, die alle so tun, als läge ihnen die Sache wirklich am Herzen, während sie das Vermögen der anderen abchecken. Und weil mein Vermögen eines der höchsten hier ist, sind eine Menge Blicke auf mich gerichtet.
»Wann können wir gehen?«, fragt mein älterer Bruder Cole neben mir mit leiser Stimme, womit er ausspricht, was ich denke.
Ich seufze erleichtert und drehe mich zu ihm um, nur um festzustellen, dass er überhaupt nicht mit mir redet. Er meint die hübsche dunkelhaarige Frau an seiner Seite.
Delilah, seine Verlobte, blickt zu ihm hoch, und ihre grünen Augen glitzern amüsiert. »Wir sind erst seit einer Stunde hier.«
Fuck. Ich hätte schwören können, dass es schon viel länger ist.
Trotz der unerfreulichen Enthüllung muss ich ein Grinsen unterdrücken, als Cole den Kopf senkt und als sein Mund an ihrem Ohr ist, flüstert er, dass er viel lieber zu Hause wäre und sie dazu brächte, seinen Namen zu rufen.
»Cole«, zischt sie und gibt ihm einen Klaps auf seine mit einem Smoking bekleidete Brust, während ein Hauch von Röte ihre Wangen färbt. Mein Blick ruht einen Moment lang auf den beiden. Ich hätte nie gedacht, meinen Bruder einmal verliebt zu sehen. Überraschenderweise ist es genau das Richtige für ihn. Seit er mit Delilah zusammen ist, bekommt man öfter ein Lächeln, und er lacht auch häufiger. Er berührt sie fortwährend oder sie ihn. Von verstohlenen Liebkosungen zu der besitzergreifenden Art, seinen Arm um ihre Taille zu legen – Cole scheint das alles sehr zu genießen. So als könnte er nicht genug davon bekommen. Als könnte er nicht genug von ihr bekommen.
»Ich muss noch mindestens eine Stunde bleiben«, stellt Roman, mein ältester Bruder, unumwunden fest und unterbricht damit meine Gedanken. »Und wenn ich hier sein muss, müsst ihr das auch.«
Ich kann es mir nicht verkneifen, ihn zu provozieren. »Erzähl mir nicht, dass der große, böse CEO der King Group auf einer Party jemanden zum Händchenhalten braucht. In diesem Falle sind mit Sicherheit unzählige Frauen hier, die für diesen Job zur Verfügung stehen. Obwohl …« Ich lege den Kopf schräg. »Es ist vielleicht nicht deine Hand, die sie halten wollen.«
Er fixiert mich mit seinen kühlen grauen Augen, und diesmal kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Händchenhalten ist nicht das, was ich von dir brauche«, sagt er. »Was ich von der Führung der King-Group brauche, ist ein geschlossenes Auftreten. Und nicht, dass mein Chief of Operations mit seiner Verlobten nach Hause rennt, und auch nicht, dass mein Chief of Marketing mit der nächstbesten gelangweilten High-Society-Gästin den Rest des Abends in einer dunklen Ecke verschwindet.«
Ich kontrolliere meinen Gesichtsausdruck, um mir den Anflug von Verärgerung nicht anmerken zu lassen, den seine Worte ausgelöst haben, erwidere den Blick und nehme einen weiteren Schluck Whiskey. Ich kann gegen seinen Kommentar nichts einwenden. Bis vor Kurzem war das mein übliches Vorgehen bei solchen Events. Doch es ist schon ein paar Monate her, dass ich so eine Nummer abgezogen habe, und er weiß das, auch wenn er es nicht zugeben will. »Keine Sorge. Die gelangweilten High-Society-Gästinnen dieser Welt sind heute Abend sicher vor mir.«
Er nickt lediglich mit verengten Augen und kehrt in den Ballsaal zurück, wo die Reichen und Blasierten von New York gänzlich im Sehen-und-gesehen-werden-Modus sind.
Als sich Delilah von Cole löst, um sich neben mich hinzustellen, blicke ich ihn an und lächle angesichts seiner finsteren Miene. Unsere Beziehung hat sich während der letzten anderthalb Jahre deutlich verbessert, aber ich bin mir nicht sicher, ob er mir je für meine Art der »Hilfe« vergeben wird, als er kurz davor war, das Beste zu vermasseln, was ihm je passiert war.
Apropos das Beste, was ihm passiert ist – ich wende mich Delilah zu. »Habe ich dir schon gesagt, wie wunderschön du heute Abend aussiehst?« Ich ignoriere das Brummen, das von meinem Bruder kommt.
Ein Lächeln zupft an ihren Mundwinkeln. »Das hast du, danke.« Sie berührt mich am Arm. »Cole hat mir deine Marketingideen für Genesis-I gezeigt. Sie gefallen mir. Du hebst alle Nachhaltigkeitselemente hervor, während du gleichzeitig den luxuriösen Highrise-Lifestyle präsentierst.« Wenn sie das sagt, ist das nicht ohne Bedeutung, weil sie eine der Architektinnen ist, die an dem Projekt arbeiten – es ist bereits ihr zweites für die King Group.
Dankbar für ihre Anerkennung, nicke ich. Um ehrlich zu sein, verkauft sich Genesis-I fast wie von selbst. Hochmoderne Architektur, innovative Technologie, unvergleichlicher Luxus, und ein CO2-neutraler Fußabdruck – es ist eine bahnbrechende Neuerung auf dem New Yorker Immobilienmarkt, sobald das Gebäude steht. Der Bau beginnt allerdings erst in ein paar Monaten. Inzwischen ist es der Job meines Teams, mein Job, so viele Vorverkäufe wie möglich abzuschließen und dafür zu sorgen, dass der Cashflow stabil und das Vertrauen der Investoren hoch bleibt.
Als ich die Menge absuche, erregt eine große, gertenschlanke Blondine meine Aufmerksamkeit. Hauptsächlich, weil sie mich anstarrt. Ihr Mund verzieht sich zu einem langsamen, verführerischen Lächeln, und ihr Blick zeigt eine allzu vertraute Begierde, als sie ihre Champagnerflöte zu den Lippen führt.
Sie ist nicht die Erste, die heute Abend meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versucht. Und vor nicht allzu langer Zeit hätte ich nicht gezögert, ihre unausgesprochene Einladung anzunehmen. Sie hat den Blick einer Frau, die es genießt, im Stehen an einer Wand genommen zu werden und einen oder zwei Orgasmen zu bekommen, um durch den Abend zu kommen. Doch die Dinge haben sich geändert. Der Ruf, den ich mir im Laufe der Jahre erworben habe, hat sich nicht unbedingt positiv auf die Firma ausgewirkt. Und nachdem meine Brüder nach Dads Verhaftung vor achtzehn Monaten übernommen haben, will ich die Zukunft wirklich nicht aufs Spiel setzen. Vor allem weil meine Beziehung zu Cole und in geringerem Maße zu Roman sich gerade verbessert. Mit neunundzwanzig will ich endlich mit meinen Brüdern zusammenstehen und wissen, dass ich genauso viel beigetragen habe wie sie.
Deshalb gebe ich mein Bestes, um zu zeigen, dass ich mich gebessert habe. Nicht dass es jeder bereits mitbekommen hätte den zunehmend lächerlichen Artikeln nach zu urteilen, die in jüngster Zeit über mich geschrieben werden. Es ist, als hätten sich die Boulevardzeitungen entschlossen, sich die abgefahrensten Geschichten über mich auszudenken, nachdem sie von mir keine skandalösen Fehltritte mehr bekommen haben. Wie vor zwei Wochen. Jemand hat von mir ein Foto geschossen, wie ich neben einer kürzlich geschiedenen Frau und ihrer zwanzigjährigen Tochter stand. Beide lächelten mich darauf an, was angeblich bedeutete, dass wir uns gleich einem flotten Dreier hingeben würden. Ich habe vielleicht ein paar wilde Dinge im Leben getan, aber Gruppensex mit Familienmitgliedern gehörte nicht dazu.
Also schenke ich der Frau lediglich ein höfliches Lächeln und betrachte weiterhin die glitzernde Szenerie vor mir. Leider nähert sich die nächste Blondine so schnell, dass ich wünschte, ich wäre mit der ersten in einer dunklen Ecke verschwunden, als ich die Gelegenheit dazu hatte.
Mom bleibt vor uns stehen und bedenkt uns alle mit einem eisigen Lächeln. Sie ist in ein Kleid gehüllt, das von so einem kalten Blau ist wie ihre Augen – und ihr Herz wahrscheinlich auch.
»Roman, Cole, Tate«, sagt sie. »Delilah.« Sie zögert kurz und fährt dann fort. »Wie schön, dich wiederzusehen, meine Liebe.« Es ist interessant, dass ihre zukünftige Schwiegertochter sechs Begrüßungswörter mehr bekommt als ihre Söhne. Nicht dass ich ihr das vorwerfen würde. Delilah ist wahrscheinlich mehr wert als wir drei zusammen. Cole hat letztens gesagt, dass Mom womöglich ein wenig weicher geworden ist, seit sie Dad nicht mehr um sich hat. Vielleicht stimmt das, nur kann ich es einfach nicht sehen.
Ich nehme noch einen Schluck von meinem Whiskey, während Mom Small Talk macht, an dem selbst sie kaum Interesse vortäuschen kann. Ihr Fokus ist auf die Menge gerichtet, während sie dafür sorgt, dass ihre Freunde und Bekannten uns sehen.
In den Kreisen, in denen wir verkehren, ist der Schein alles. Und Mom hat die Welt stets glauben machen wollen, dass die King-Familie zusammenhält, selbst in den Zeiten, als das Gegenteil der Fall war. Was noch stärker zutrifft, seit sie sich von Dad infolge seiner Verurteilung wegen Insiderhandels hat scheiden lassen. Nicht dass ich ihr das zum Vorwurf machen würde. Ihre Ehe hatte eh nur auf dem Papier bestanden. Wenn man bedenkt, wie viele Affären Dad hatte, bin ich überrascht, dass sie überhaupt darauf gewartet hat, bis er ins Gefängnis kam, bevor sie die Scheidungspapiere unterschrieben hat.
Obwohl sie selbst auch nicht gerade unschuldig ist. Meine beiden Eltern sind während ihrer Ehe fremdgegangen. Obwohl Dad, soweit ich weiß, nie den Fehler gemacht hat, dauerhafte Beweise zu hinterlassen.
Ich werde jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue, mit dem Beweis von Moms Fehltritt konfrontiert. Während Cole und Roman beide helle Augen haben wie Mom und Dad, sind meine von einem unverwechselbaren Goldbraun. Dad hat sein dunkles Haar an meine beiden Brüder vererbt, und obwohl ich mein blondes Haar von meiner Mutter haben könnte, ist ihres ein kühles Platinblond, während meins einen wärmeren und dunkleren Ton hat. Sogar meine Haut ist anders, denn sie besitzt eine natürliche Bräune, die sogar im Winter bleibt. Ungeachtet dessen, was auf meiner Geburtsurkunde steht, kennen wir alle die Wahrheit. Nicht, dass wir je offen darüber sprechen würden.
»Wie ich höre, gibt euer Vater jetzt Interviews.« Moms Worte unterbrechen meine Überlegungen.
»Dad liebt es beinahe so sehr wie du, Aufmerksamkeit zu bekommen«, gebe ich von mir und schenke ihr ein übertrieben breites Lächeln, als sie mich wütend ansieht. Meine Fähigkeit, in ihrer Gegenwart den Mund zu halten, lässt anscheinend nach, je älter ich werde.
Wie immer geht ihre Reaktion über einen scharfen Blick nicht hinaus. Eine Reaktion würde voraussetzen, dass sie sich dafür interessiert, was ich über sie denke. Sie räuspert sich lediglich und fährt fort, als hätte ich nichts gesagt.
»Ich habe keine Ahnung, was er damit erreichen will, abgesehen davon, dass er damit die Aufmerksamkeit erneut auf seine Missetaten lenkt und den Namen King erneut durch den Dreck zieht.«
»Du weißt doch, wie Dad ist«, sagt Cole. »Uns dabei zuzusehen, wie wir die Firma übernehmen und zu neuem Erfolg führen, macht ihn wahrscheinlich kirre. Er will nur seinen Namen wieder lesen.«
Ich schnaube. »Er ist im Gefängnis wegen Insiderhandels und nicht wegen einer Serie bewaffneter Überfälle. Die Leute stehen nicht gerade Schlange, um von ihm finstere Geschichten aus seinem kriminellen Leben zu hören.«
»Was ist das denn für ein Benehmen heute Abend?« Romans Stimme klingt ausgesprochen verärgert.
Ich blicke auf mein Glas und lasse die bernsteinfarbene Flüssigkeit am Boden kreisen. Ich bin, ehrlich gesagt, nicht sicher. Normalerweise bin ich besser darin, bei solchen Events mitzuspielen. Vielleicht liegt es daran, dass es in meinem Bemühen, ein verantwortungsvolles, engagiertes Mitglied der King-Familie zu werden, Monate her ist, dass ich jemanden flachgelegt habe.
»War ’ne lange Nacht.« Ich zucke die Achseln.
Mom rümpft die Nase. »Ich hoffe nur, es gibt keine Einzelheiten darüber in der Klatschpresse.«
Ich setze ein Grinsen auf. »Keine Sorge, Mom. Ich hab die Fotografin gevögelt, die ein Bild von mir gemacht hat, als ich die drei Prostituierten in einer Seitengasse gerammelt habe. Bestimmt sagt sie in ihrem Artikel nette Sachen über mich.«
Dem Blähen ihrer Nasenflügel nach zu urteilen, ist sie tatsächlich schockiert.
Ich nehme mir einen Moment Zeit, um die Genugtuung auszukosten, und leere mein Glas. »Entschuldigt mich, ich sehe eine Frau auf der anderen Seite, die meinen Namen trägt.«
Mit einem Zwinkern zu Delilah, lasse ich meine Familie stehen und bewege mich durch ein Meer makelloser Smokings und wallender Abendkleider. Leute kommen auf mich zu, als ich mich durch die Menge bewege, schütteln mir die Hand und versuchen, sich bei mir einzuschleimen, oder, im Fall von zahlreichen Frauen, versuchen mit mir zu flirten und wollen sich so eine Nacht in meinem Bett sichern. Nicht, dass ich mein Bett je anbieten würde. Aber man gebe mir irgendeine ebene Fläche, und ich bin startklar. Oder ich war’s jedenfalls. Trotz dessen, was ich zu Mom gesagt habe, gibt es keine Frau hier, die mich genug interessiert, um meine Entwicklung zum Guten aufzuhalten.
Mein Handy in der Tasche piept, und ich nehme es heraus und benutze es als Vorwand, um die kurvige Brünette stehen zu lassen, die gerade um meine Aufmerksamkeit buhlt. Es ist eine Nachricht von meinem Geschäftspartner Reid.
Ich hoffe, du planst, bald vorbeizukommen. Wir haben einiges zu besprechen.
Ich lächle. Die Nachrichten von Reid klingen immer ein wenig bedrohlich. Was vielleicht daran liegt, dass er selbst ein wenig bedrohlich wirkt. Wenigstens erweckt er diesen Eindruck. Er ist bezüglich seiner Vergangenheit so verschwiegen, dass es mich nicht überraschen würde, wenn er ein paar nicht so astreine Verbindungen hätte. Doch es ist eine Weile her, dass ich im Onyx war, dem Club, den wir zusammen betreiben. Und die Vorstellung, bei einem Drink übers Geschäft zu sprechen, erscheint mir auf einmal viel reizvoller, als hier zu sein.
Ich sehe mich um und betrachte die ganzen Leute, die mich anstarren, die etwas von mir wollen. Scheiß drauf. Roman wird sich vielleicht einen Spruch nicht verkneifen können, wenn er herausfindet, dass ich früher gegangen bin, doch für heute habe ich genug davon, mir darüber Sorgen zu machen. Mir sein Wohlwollen zu sichern, ist vielleicht sowieso ein Luftschloss.
Lad mich auf einen Drink ein, und ich gehöre ganz dir.
Mit ein bisschen Glück mache ich zwei daraus. Hoffentlich hast du was zu bieten.
Mit einem Grinsen stecke ich mein Handy zurück in die Hosentasche, lockere meine Krawatte und gehe in Richtung Ausgang.
Ich betrachte mein Spiegelbild, während ich vorsichtig meinen roten Lippenstift mit den Fingerkuppen verblende. Wann war das letzte Mal, als ich mich so aufgebrezelt habe? Allein mich das fragen zu müssen bedeutet, dass es schon viel zu lange her ist. Doch nicht das Ausgehen selbst macht mich nervös; es ist, wohin ich gehe.
Von dem Augenblick an, als ich zugestimmt habe, mit Anna mitzugehen, bis jetzt habe ich es vermieden, über das ganze Konzept vom Besuch eines Sexclubs nachzudenken. Es war einfacher, als es nur eine abstrakte Idee war. Jetzt, wo ich als Gast zugelassen bin und mich darauf vorbereite, meine Komfortzone zu verlassen, vibriert mein gesamtes Nervensystem.
Anna hingegen ist völlig sorglos. Sie kommt mit zwei Gläsern Weißwein angetanzt und reicht mir eins. Ihr Ausdruck ist sanft, als sie meinem Blick im Spiegel begegnet. »Du siehst wunderschön aus.«
Ich lächle ebenfalls. »Du auch.« Ihre glänzenden schwarzen Locken und espressobraunen Augen sind ein lebhafter Kontrast zu meinen gewellten mittelblonden Haaren und blauen Augen. Ich komme nach meiner Mom. Ich erinnere mich nicht an sie, weil sie gestorben ist, als ich ein Kleinkind war, aber die Tatsache, dass ich nach ihr komme, zeigen die Familienfotos, die Dad an der Wand hängen hatte, und auch das eine Foto, das jetzt auf meinem Nachttisch steht.
Ich begutachte Annas Outfit. Sie trägt ein tief ausgeschnittenes rotes Neckholder-Top und eine hautenge Hose aus Leder, die alle ihrer Rundungen betont. Angesichts der Hose ziehe ich eine Braue hoch. »Ich weiß nicht viel über Sexclubs, aber ich dachte, je leichter der Zugang, desto besser.«
Sie lacht. »Richtig. Aber ich habe nicht vor, heute Abend irgendjemandem Zugang zu verschaffen.«
Ich drehe mich zu ihr um. »Ich dachte, dass du vorhattest … du weißt schon – Sachen zu machen. Es ist deine letzte Chance, stimmt’s?«
Sie zuckt die Achseln. »Heute Abend geht es um dich. Ich habe nicht vor, mehr zu tun, als zu trinken, zu flirten und zu tanzen.« Sie schenkt mir ein Lächeln.
Ich schlinge meine Arme um sie und atme den leichten Blumenduft ihres Parfüms ein, das sie gern trägt. »Danke, dass du eine so gute Freundin bist.« Meine Sicht verschwimmt, als sie mich fest drückt. Ich bin vielleicht ein wenig emotional, aber in solchen Momenten bin ich unendlich dankbar dafür, dass Anna damals an unserem ersten Tag in der Mittelstufe beschlossen hat, sich neben mich zu setzen.
»Du würdest das Gleiche für mich tun«, sagt sie, als sie zurücktritt und mich auf Armeslänge hält. »Ich will, dass du dich wieder wohlfühlst in deiner Haut. Dieser miese Betrüger hatte kein Recht, dir das Gefühl zu geben, nicht die fantastische Frau zu sein, die du bist. Ich war damals nicht da, um dir zur Seite zu stehen, also kann ich dir zumindest dabei helfen, ihn endgültig hinter dir zu lassen. Und welch bessere Methode gäbe es, als es mit einem heißen, reichen Typen zu treiben, den du nie wiedersehen musst?« Sie lässt mich los und gibt mir dann einen Klaps auf den Hintern, woraufhin ich überrascht aufquieke. »Jetzt komm schon. Trinken wir aus und machen uns auf den Weg. Sobald wir dort sind, wirst du viel entspannter sein.«
»Okay.« Ich hebe mein Weinglas an und nehme einen großen Schluck. Ein wenig extra Mut kann nicht schaden, nicht wahr? Nachdem ich mir ein letztes Mal durchs Haar gestrichen habe, drehe ich mich zum Bett um, auf dem meine Maske liegt. Anna hat sie für mich bestellt, da laut ihr in diesem Club nicht die typischen, mit Rüschen und Spitzen besetzten Masken getragen werden, die kaum etwas verbergen.
Diejenige, die sie für mich ausgewählt hat, passt zu dem kleinen Schmetterlingstattoo auf meinem Rücken – das Ergebnis eines spontanen Entschlusses, nachdem ich mit Eric Schluss gemacht und gemerkt habe, wie befreit ich mich plötzlich fühlte. Ein Klischee, ich weiß, aber es gefällt mir. Die schwarze Maske ist kunstvoll aus geschmeidigem Leder gefertigt und in leuchtenden Blau- und Violetttönen gefärbt. Wenn ich sie aufsetze, bedeckt sie mein Gesicht von den Wangen bis zum Haaransatz, wobei sich die Ränder von der Augenlinie aus nach oben wölben und Flügeln ähneln. Diese sind mit winzigen, diamantartigen Kristallen besetzt, die das Licht einfangen und bunt schillern. Die einzigen Bereiche meines Gesichts, die noch sichtbar sind, sind mein Kinn, mein Mund und meine Augen.
Anna nimmt mir sanft die Maske aus meinen Händen. »Ich lege sie dir an. Wir müssen sie aufhaben, wenn wir ankommen.«
Eine weitere Welle der Nervosität durchfährt mich. Ich befeuchte meine plötzlich trockenen Lippen, nicke ihr zu und drehe mich um, damit sie die Seidenbänder zubinden kann. Dann tue ich das Gleiche mit ihrer Maske, die Pfauenfedern nachempfunden ist. Das Leder ist in einem wunderschönen Farbverlauf von Blau-, Grün- und Goldtönen gefärbt. Wie meine ist sie mit Kristallen geschmückt, die sie zusätzlich funkeln lassen.
Als ich fertig bin, stehen wir nebeneinander vor dem Spiegel.
»Wow«, hauche ich. Das Ergebnis ist atemberaubend – und seltsam berauschend. Die Anonymität, die die Maske verleiht, löst einen Teil der Anspannung, die mich in den vergangenen Tagen gequält hat. Mit dieser Maske auf dem Gesicht kann ich sein, wer ich will. Und als ich mein Spiegelbild betrachte, denke ich, ich könnte einfach eine Frau sein, die endlich bereit ist, ihrem aufgestauten Verlangen wieder Leben einzuhauchen.
* * *
Das Uber hält vor einem unauffälligen Eingang, der sich zwischen zwei unscheinbaren Gebäuden in einem nicht so belebten Teil von Manhattan befindet. Es gibt keinen Hinweis auf einen Club außer einem Mann in einem maßgeschneiderten schwarzen Anzug vor einer schlichten schwarzen Tür. Anders als der stereotype große, stämmige Türsteher ist dieser Typ muskulös und adrett gekleidet. Die Eindringlichkeit, mit der er Anna und mich beim Näherkommen in Augenschein nimmt, macht jedoch deutlich, dass er weiß, wie man mit Ärger umgeht.
Anna reicht ihm eine mattschwarze Karte. Er holt einen kleinen Scanner aus seiner Tasche, liest damit die Karte, bevor er ihr das Gerät hinhält. Sie drückt ihren Daumen darauf. Ich ziehe die Brauen hoch und bin von so viel Geheimnistuerei verwirrt. Ganz zu schweigen von der Vorstellung, dass meine Freundin ein Teil davon ist.
Das Gerät piept, und er reicht ihr ihre Karte zurück. Er blickt auf den Screen und dann zu mir, wahrscheinlich, um meine Identität anhand des Fotos zu überprüfen, das ich zusammen mit meinen Personalangaben einreichen musste.
Mit einem knappen Nicken steckt er das Gerät wieder ein. »Genießen Sie das Onyx, meine Damen.«
Die Tür klickt, und ich folge Anna hinein. Die Szenerie, die vor mir liegt, ist überhaupt nicht das, was ich erwartet habe. Nicht dass ich wüsste, wie ein Sexclub der Spitzenklasse aussieht. Aber der lange, dunkle, stille Korridor, den wir betreten haben, bringt mich aus der Ruhe. Eine wunderschöne rothaarige Frau steht am anderen Ende und trägt ein gleichmütiges Lächeln zur Schau.
»Guten Abend, meine Damen«, sagt sie, als mich Anna auf sie zuführt. »Wenn Sie Ihre Handtaschen bitte hierlassen würden, können Sie direkt hineingehen.«
»Brauche wir die nicht, um die Drinks zu bezahlen?«, flüstere ich Anna ins Ohr.
»Nein.« Sie schüttelt leicht den Kopf. »Es wird aufgeschrieben. Bevor wir gehen, zahlen wir dann für alles, was wir bestellt haben.«
Sobald unsere Taschen hinter einer mit einem Keypad zu verschließenden Wand sicher verwahrt sind, reicht die Frau jedem von uns ein schwarzes Armband mit einer silbernen vierstelligen Zahl darauf.
Ich lege meins mit einem Stirnrunzeln an und werfe Anna und anschließend der Frau einen Blick zu.
Da sie anscheinend meine Verwirrung spürt, richtet sie das Wort an mich. »Wenn Sie Drinks oder bestimmte Aktivitäten ordern wollen, scannen Sie einfach Ihr Armband. Darauf sind Ihre Daten verschlüsselt gespeichert, und alles, was Sie erwerben, wird von Ihrem Konto abgerechnet. So müssen Sie nicht auf Ihre Sachen achten, falls Sie sich dafür entscheiden, sich ein wenig verwöhnen zu lassen, während sie drin sind. Außerdem möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es im Onyx ein Limit von drei alkoholischen Getränken pro Person gibt, um sicherzustellen, dass Sie jederzeit in der Lage sind, bewusst Ihre Einwilligung geben zu können.«
»Oh ja, natürlich.« Ich zeige ein breites Lächeln, um zu verbergen, wie überfordert ich mich fühle.
Sie erwidert meinen Ausdruck mit einem beruhigenden Lächeln, als würde sie mich vollends durchschauen. »Das erste Mal ist immer ein wenig einschüchternd. Aber geben Sie der Sache eine Chance, und bestimmt werden Sie Ihren Abend genießen. Wie er sich entwickelt, liegt ganz bei Ihnen. Bitte denken Sie daran.«
Mein Hals wird immer trockener, und ich schlucke schwer und nicke. »Danke.«
Damit drückt sie einen Knopf, und eine Tür geht auf. Anna führt mich hindurch, und einen Augenblick später betreten wir den Club. Ich bleibe hinter dem Eingang stehen und betrachte den Raum. Auf den ersten Blick sieht er wie jeder hochexklusive Nachtclub aus. Oder wie ich mir einen hochexklusiven Nachtclub vorstelle, da ich noch in keinem war. Abgesehen von dem Stroboskop über der vollen Tanzfläche ist die Beleuchtung gedämpft. Ein langer, geschwungener Tresen führt an der einen Seite des Raums entlang, und in den weiter entfernten dunklen Ecken befindet sich eine Anzahl Kabinen und Nischen.
Doch während ich mich umsehe, registriere ich sämtliche Einzelheiten, in denen sich dieser Club von anderen unterscheidet. Am offensichtlichsten ist, dass alle Masken tragen, sogar die Barkeeper – obwohl diese in schlichtem Schwarz sind, während die meisten Gäste kunstvoll gearbeitete Gesichtsbedeckungen haben. Die Anonymität gibt der Szenerie etwas Besonderes, wie Anna gesagt hat, und schafft eine geheimnisvolle und reizvolle Atmosphäre. Die Musik, die hier spielt, läuft nicht in den aktuellen Charts, soweit ich weiß, doch sie hat einen tiefen, verführerischen Beat, der in meinem Brustkorb pulsiert. Der Rhythmus lenkt meine Aufmerksamkeit zurück auf die Tanzfläche. Als ich die Menge betrachte, stelle ich fest, dass nicht nur Singles und Paare tanzen, sondern Gruppen aus vier oder mehr Leuten aller Geschlechter, die sich aneinander reiben.
Ich beiße mir auf die Lippe und setze meine Betrachtung fort. In einer der Nischen hat ein Mann das Oberteil einer Frau heruntergezogen und beugt sich über sie, damit er sie … Oh, wow.
Hitze prickelt auf meiner Haut, als ich wegblicke, nur um festzustellen, dass ich auf ein Sofa starre, wo eine Frau rittlings auf einem Mann sitzt. Sie trägt ein Kleid, doch seine Hände kneten ihren Hintern. Ich kann nicht sagen, ob er sie bewegt oder sie sich von selbst, aber so, wie sie Kopf zurückgelegt hat, tun sie auf jeden Fall mehr, als nur herumzumachen.
Ich schlucke schwer und wende mich an Anna.
Sie lächelt amüsiert. »Ich bin mir ziemlich sicher, ich hatte den gleichen Ausdruck im Gesicht, als mich Rich zum ersten Mal hierher mitgenommen hat.«
»Äh, ja. Es ist ziemlich gewöhnungsbedürftig.« Ich stoße ein nervöses Lachen aus, als ich mir Luft zufächere. »Obwohl ich, ehrlich gesagt, erwartet hatte, dass es noch …« Ich zögere, und mein Verstand ist ein wenig zu durcheinander, um das passende Wort zu finden.
Sie zieht eine Braue hoch. »Verdorbener wäre?«
»Wahrscheinlich. Nicht im negativen Sinne«, beeile ich mich klarzustellen. »Wie … ich weiß nicht, Leute, die gefesselt und ausgepeitscht werden oder so etwas.«
Sie lächelt und zeigt auf eine Stelle hinter mir. »Siehst du diesen Durchgang dort hinten?«
Auf der anderen Seite des Raums gibt es eine Öffnung in der schwarzgestrichenen Wand, und dahinter beginnt ein weiterer abgedunkelter Korridor. »Ja.«
»Der führt zum hinteren Bereich. Eine Menge kleinerer Räume für unterschiedliche Aktivitäten.« Sie benutzt das gleiche Wort wie die Frau draußen am Eingang. »Es gibt auch Privaträume, mit allem möglichen Equipment. Dort passiert mehr von dem, woran du denkst.«
»Oh.« Meine Schultern entspannen sich ganz leicht. Ich war mir nicht sicher, was ich erwarten konnte, doch die Möglichkeit, mitten in eine Orgie hineinzuplatzen, ist mir ein oder zweimal durch den Kopf gegangen. Abgesehen von dem, was in den dunkleren Ecken passiert, ist es leicht, so zu tun, als wäre das hier ein normaler Club.
»Möchtest du einen Drink?«, fragt Anna.
Ich hole einmal tief Luft und nicke begeistert. »Oh mein Gott, ja.«
Wir gehen zur Bar, die passenderweise aus hintergrundbeleuchtetem Onyx zu sein scheint. Die leicht konkave Form führt dazu, dass jeder, der an der Bar steht, sehen und gesehen werden kann. Ein Barkeeper taucht sogleich auf, und nachdem er unsere Armbänder gescannt hat, bestellen wir einen Manhattan für Anna und einen Cosmopolitan für mich. Sobald ich den Drink in der Hand halte, nehme ich einen großen Schluck, um meine Nerven zu beruhigen. Dann drehe ich mich so, dass ich mehr von meiner Umgebung wahrnehmen kann. Der gesamte Ort verströmt Dekadenz. Die gedämpften Lichter spiegeln sich in der schwarz verspiegelten Wand hinter der Bar, Spirituosen stehen auf Regalen aufgereiht, und Kristallkronleuchter hängen von der Decke.
Die Masken, die von anderen Gästen getragen werden, sind denen von mir und Anna ähnlich, wenn auch in zahlreichen unterschiedlichen Designs. Es gibt Tiermasken, Teufelsmasken, verspielte Masken, elegante Masken, Masken, die Angst machen oder einschüchtern wollen. Die Frauen sind ganz unterschiedlich gekleidet, von fast nackt bis zu hautengen Bodysuits. Ich dachte, ich wäre mutig, wenn ich mein sexy Outfit anziehe – ein kleines schwarzes Kleid mit tiefem Dekolleté, einem noch tiefer ausgeschnittenen Rücken und einem Rock, der an den Hüften ausgestellt ist und meine Oberschenkel umspielt. Aber Anna und ich sind hier unter den eher zurückhaltend gekleideten Frauen.
Im Gegensatz dazu tragen viele Männer Anzüge, was mich ein wenig verwirrt. Ich war davon ausgegangen, dass es mehr Haut zu sehen gäbe. Aber vielleicht geht es darum. Vielleicht ist es für viele das Machtungleichgewicht oder zumindest die Illusion davon, die sie antörnt.
»Siehst du jemanden, der dir gefällt?«, fragt Anna.
Ich zwinkere und richte meinen Blick dann auf sie. »Ich weiß nicht genau, wonach ich Ausschau halte. Oder was ich will. Oder, ob ich überhaupt will.«
»Schon okay, es besteht keine Eile. Trinken wir aus und gehen dann tanzen. Und Violet …« Sie berührt meine Hand mit ernster Miene. »Denk an das, was ich gesagt habe. Kein Druck. Wenn wir einfach nur den ganzen Abend tanzen, ist das okay. Ja?«
Es ist zu lange her, dass ich mir einen Abend gegönnt habe, um all meine Sorgen zu vergessen und einfach zu tanzen und Spaß zu haben. Sie hat recht. Ich hole tief Luft und hoffe, meine letzten Bedenken über Bord zu werfen. Schließlich verlässt die Anspannung meinen Körper, und ich lächle sie an. »Ja.«
Ich lehne an der Bar im Onyx, während Reid zwei Whiskey bei einem der maskierten Barkeeper bestellt. Nachdem wir oben Geschäftliches besprochen haben, hat er mich unten auf einen Drink eingeladen. Auf dem Weg aus dem Büro schnappe ich mir eine Maske aus der Sammlung, die er bereithält. Sie ist aus Leder und in einem so dunklen Rot gefärbt, dass sie beinahe schwarz aussieht, und hat Teufelshörner, die sich an meiner Stirn nach oben biegen. Ich bin mir sicher, dass Mom sie passend für mich fände.
Sobald wir unsere Gläser in der Hand halten, stellen wir uns mit dem Rücken zur Bar und sehen uns im Club um. Onyx war Reids Traum, aber er hatte nicht das Kapital, um den Club aufzuziehen und auf eigene Kosten am Laufen zu halten. Als er auf mich zukam, war er lediglich ein entfernter Bekannter. Doch bei ein paar Drinks hat er mich von der Idee dieses Etablissements überzeugt – ein Club, der sämtliche Wünsche von New Yorks Reichen und Mächtigen erfüllt und es ihnen ermöglicht, sich aus dem Rampenlicht herauszuhalten.
Eine Masse aus Körpern zuckt auf der Tanzfläche vor uns, im Rausch der anonymen Genusssucht. Etwas, womit ich vertraut bin. Als einer der reichsten Männer des Landes ist es ein Gefühl, nach dem ich mich häufig gesehnt habe. Die Freiheit, die Anonymität einem gibt, kann berauschend sein. Ich bin es gewohnt, in den meisten Räumen, in denen ich mich aufhalte, im Mittelpunkt zu stehen. Es kann ein aufregendes Gefühl sein, aber manchmal gibt es mir auch das Gefühl, vor allem allein zu sein. Zumindest hier, wenn ich die Aufmerksamkeit anderer errege – und das tue ich –, liegt es ausschließlich an der Art, wie ich mich gebe. Es ist Neugier darauf, welche Lust man vielleicht in meinen Händen finden kann, nicht das Interesse an meinem Geld oder meiner Macht.
Reid nimmt einen Schluck von seinem Whiskey. »Bist du sicher, du willst nur auf einen Drink bleiben?«, fragt er. »Du hast zwar gesagt, du willst dich ein wenig mäßigen, aber das heißt ja nicht, dass du enthaltsam sein musst.«
Er hat recht. Es gibt keinen Grund, die Dinge nicht zu genießen. Das hier ist der eine Ort, wo ich sicher sein kann, mich nicht auf den Titelseiten der Klatschpresse zu finden. Nur dass die meisten Frauen, die ich hier sehe, alles tun würden, worum ich sie bitte, weshalb sich die Vorfreude, die mir früher einen Adrenalinstoß versetzt hat, nicht einstellen will. Nachdem ich mich so lange zusammengerissen habe, sollte ich kaum erwarten können, endlich mal loszulassen. Dennoch lässt mich die Art der Interaktion, emotionsloser Sex, die Suche nach unbekümmerter Lust, derzeit kalt. Ich schüttle den Kopf. »Nur der eine, dann fahre ich nach Hause.«
Während wir an unseren Drinks nippen, reden wir weiter über Expansionsmöglichkeiten von Onyx und fügen der Liste noch ein paar weitere Städte für potenzielle Locations hinzu, und Reid fragt nach Genesis-I. Reid ist einer unserer ersten Käufer, weshalb er ein Interesse an der Entwicklung des Projekts hat. Ich habe meinen Whiskey beinahe ausgetrunken, als eine Frau meine Aufmerksamkeit erregt, die durch die Eingangstür des Clubs kommt.
Sie ist in Begleitung einer Freundin, aber ich nehme diese kaum wahr. Ich werde viel zu sehr von der Frau in dem kurzen schwarzen Kleid mit der Schmetterlingsmaske angezogen. Sie steht wie erstarrt auf der Türschwelle und dreht den Kopf in die eine und dann die andere Richtung, als wolle sie jeden Moment wieder hinausstürzen. Es ist ganz klar, dass sie zum ersten Mal hier ist. Doch als sich ihre Freundin zu ihr hinüberbeugt und mit ihr spricht, lächelt sie und scheint sich zu entspannen.
Sie folgt ihrer Freundin zur Bar, und der Saum ihres Kleids berührt bei jedem Schritt ihre formschönen Oberschenkel, und aus irgendeinem Grund kann ich meinen Blick nicht abwenden.
Sie lassen sich ein Stück entfernt von dort, wo Reid und ich stehen, nieder und bestellen Drinks. Dann beugt sich die dunkelhaarige Freundin lächelnd zu ihr hinüber, und Schmetterling legt den Kopf zurück, während sie mit den Fingerspitzen leicht ihre Brust streift, während sie lacht.
Etwas rührt sich in meinem Hinterkopf, als wäre die Bewegung irgendwie vertraut. Ich betrachte sie von Kopf bis Fuß, wobei mich ihre schmale Taille und die Rundung ihrer Hüften für einen Moment ablenken. Doch abgesehen von dieser einen Geste entdecke ich nichts an ihr, das mir vertraut vorkommt.
Jedenfalls nicht aus der Ferne.
Reid gibt ein leises Lachen von sich. »Also doch nicht ein Drink und dann nach Hause?«
Ich wende mich von der Frau ab, die jetzt an ihrem Cocktail nippt, während sie auf die Tanzfläche schaut. »Ich werde gehen. Ich bewundere nur den Ausblick, während ich meinen noch austrinke.«
»Nur damit du’s weißt, du bist nicht der Einzige, der den Ausblick genießt.« Er zeigt mit dem beinahe leeren Glas in Richtung zweier Männer weiter unten an der Bar, deren Köpfe ebenfalls den Frauen zugewandt sind.
Es sollte keine Rolle spielen, wenn ein anderer ebenfalls überlegt, etwas zu unternehmen. Ich bleibe ja nicht. Und Besitzansprüche gegenüber einer Frau – egal welcher, ganz zu schweigen von einer, mit der ich weder gesprochen noch Körperkontakt hatte – sind mir fremd. Es gibt mehr als genügend Fische in meinem Teich, weshalb ich mir keine Sorgen machen muss, nur eine abzubekommen.
Aber als die Männer ihren Platz verlassen und sich in die Nähe der beiden stellen, erfasst mich eine seltsame Anspannung. Die Frau mit der Schmetterlingsmaske erstarrt, als der Größere seinen Unterarm neben ihr auf den Tresen legt.
Normalerweise würde ich nicht eingreifen, aber weil sie bei ihrer Ankunft so nervös war, möchte ich nicht, dass sie sich wegen ihm womöglich noch unbehaglicher fühlt.
Ich kippe den Rest meines Drinks und stelle das Glas ein wenig zu fest auf den Tresen. Als ich mich zu Reid umwende, haben seine Augen hinter der Maske einen amüsierten Ausdruck.
»Dann machst du dich also auf den Weg?«, fragt er, während er einen Mundwinkel hochzieht.
»So ähnlich.« Ich verabschiede mich nicht, als ich die Bar verlasse. Er weiß genau, wohin ich gehe, wie mir das Lachen beweist, das mir folgt, als ich mich auf die Frau und ihre Freundin zubewege. Ich könnte den Grund dafür nicht erklären, wenn ich es versuchte. Ich folge einfach meinem Instinkt.
Und in diesem Moment sagt mir mein Instinkt, dass mir die Frau mit der Schmetterlingsmaske heute Abend ganz allein gehört.
Ich drehe mich von dem Mann mit der Phantom-der-Oper-Maske weg, der seinen Arm hinter mir auf dem Tresen abgestützt hat. Er steht so dicht hinter mir, dass der Stoff seines Hemds mein nacktes Schulterblatt streift. Ich versuche, keine große Sache daraus zu machen, weil er im Grunde nichts falsch gemacht hat, außer zu dicht neben mir zu stehen. Und egal wie normal der Laden hier erscheint, es ist noch immer ein Sexclub. Schnell körperlich zu werden ist hier wahrscheinlich normal. Es ist nur nicht normal für mich.
»Das erste Mal?« Er rückt noch ein Stückchen näher, was bedeutet, dass er meine Körpersprache nicht versteht.
Ich schenke ihm ein kleines, höfliches Lächeln. »Ist das so offensichtlich?«
Er lacht. »Frischfleisch ist nicht schwer auszumachen.«
Ich zucke zurück bei seinen Worten, und diesmal bemerkt er es.
»Entschuldige, ein schlechter Scherz. Ich wollte nur sagen, dass du etwas von einem Rehkitz hast. Wenn ich dich zu einem Drink einladen darf, kann ich dir dabei helfen, darüber hinwegzukommen.« Er senkt den Kopf und fährt sich mit der Zunge über die Unterlippe, während er den Blick über meinen Körper gleiten lässt.
Diesmal ist es ein Schaudern, das meinen Körper durchfährt. Etwas forsch zu sein ist hier anscheinend üblich, aber das geht bestimmt besser. Sein Benehmen ist weder impulsiv noch aggressiv, aber wer er auch immer ist – und in der Annahme, dass er hier Mitglied ist, ist er wahrscheinlich jemand – hat er den Charme und das Taktgefühl eines Gorillas.
Anna schaltet sich ein und legt mir eine Hand auf den Unterarm. »Wir wollten eigentlich nur was trinken, ein bisschen tanzen und entspannt ein bisschen Spaß haben. Verstehst du?«
Der Freund von Phantom hebt das Kinn, nachdem er den Wink verstanden hat. »Komm schon. Lass uns nach hinten gehen und ein bisschen zuschauen. In einem der Räume soll es eine Shibari-Vorführung geben.«
Ich habe keine Ahnung, was Shibari ist, aber ich bin froh, dass sie gehen. Ich will jedoch nicht unhöflich sein, weshalb ich Phantom zulächle. »Trotzdem danke. Genieß die …« Ich habe vergessen, wie der andere es genannt hat. »Vorführung«, schließe ich ein wenig schwach.
Anstatt zu gehen, rückt er noch näher, woraufhin sich mir das Nackenhaar sträubt. »Du könntest mitkommen. Shibari ist …«
Er kommt nicht dazu, seinen Satz zu beenden, weil wie aus dem Nichts ein Mann mit einer Teufelsmaske auftaucht. Er bleibt neben Phantom stehen, wobei er ihn ein gutes Stück überragt, da er einige Zentimeter größer ist.
»Ich denke, die Damen haben sich klar ausgedrückt.« Er spricht leise, aber seine Stimme ist mit Stahl durchsetzt.
Mein Blick schnellt zwischen ihm und dem Mann hin und her, den wir freundlich abblitzen lassen wollten.
Phantom runzelt die Stirn. »Ich wollte nur nett sein.«
»Dann solltest du das wahrscheinlich im Spiegel üben, denn was du da tust, ist das Gegenteil von nett. Nimm den freundlichen Hinweis und mach dich vom Acker.«
Phantom schaut seinen Kumpel an und schüttelt den Kopf. »Kein Problem. Wir gehen.«
Und ohne ein weiteres Wort sind sie verschwunden. Jetzt sind nur noch Anna und ich und der Mann mit der Teufelsmaske da. Er ist groß, wie ich bereits festgestellt habe, und gut gebaut. Die Art, wie sich sein makellos maßgeschneidertes weißes Hemd an seine breiten Schultern und seine Brust schmiegt, lässt keinen Zweifel daran, dass sich darunter Muskeln befinden. Er trägt keine Krawatte, und der oberste Knopf steht offen und zeigt ein kleines V mit glatter gebräunter Haut.
Aus dem Nichts schießt mir ein Bild in den Kopf, wie ich meine Lippen auf seine Muskeln presse, und augenblicklich erwacht in mir Erregung zum Leben.
Nachdem ich den Gedanken verscheucht habe, richte ich meine Aufmerksamkeit erneut auf sein Gesicht. Oder zumindest auf das, was ich davon sehen kann. Ein starkes, glatt rasiertes Kinn und volle Lippen mit einem verführerischen Schwung. Im gedämpften Licht sieht das Haar, das sich um seine Ohren lockt, dunkelblond aus, und seine Augen, die im Schatten der Maske liegen, scheinen hellbraun zu sein. Es ist schwer zu sagen. Ungeachtet ihrer Farbe ist der amüsierte Glanz darin unverkennbar.
Seine Belustigung gilt zweifellos der Tatsache, dass er mich gerade dabei ertappt hat, wie ich ihn mustere. Ich erröte und wende den Blick ab.
»Danke«, sagt Anna.
Ich hole tief Luft und konzentriere mich auf sie, um mich von dem Mann vor uns und meinem rasenden Puls abzulenken.
Mit ihrem Blick fordert sie mich auf, mit ihm zu reden. Sie hält den Typen wohl für eine bessere Wahl als die beiden, die er gerade verscheucht hat. Obwohl sich ein Teil von mir fragt, ob er nicht vielleicht gefährlicher ist.
Doch höflich zu sein muss nicht zu mehr führen.
Außer, ich möchte es.
Ich räuspere mich und suche angestrengt nach Worten. »Kommst du öfter hierher?« Ich winde mich innerlich, sobald ich die Worte ausgesprochen habe. Mehr Klischee geht wohl echt nicht. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich wissen möchte, wie häufig er in einem Sexclub ist. Ich hebe die Hand. »Tut mir leid, sag bitte nichts.«
Sein Lachen ist leise und verführerisch. Wie kann ein Lachen überhaupt so verführerisch sein? »Sagen wir, ich bin nicht gerade Frischfleisch.«
Ich rümpfe die Nase unter meiner Maske. »Du hast das gehört?«
»Das Onyx kann zwar deine körperliche Unversehrtheit garantieren, während du hier bist, aber es kann dich nicht komplett vor den Trotteln dieser Welt bewahren.«
»Wir wollten gerade noch etwas trinken«, klinkt sich Anna ein. »Leistest du uns Gesellschaft?«
Bäh, sie ist darin viel besser als ich. Ich bin völlig aus der Übung, was das Flirten angeht. Der Mann mit der Teufelsmaske wendet seine intensive Aufmerksamkeit ihr zu, was augenblicklich einen gänzlich ungewohnten Anflug von Eifersucht auslöst. Was lächerlich ist. Ich kenne den Kerl nicht, und er hätte großes Glück, Zeit mit meiner besten Freundin verbringen zu können.
»Nur, wenn ich einladen darf«, sagt er.
Das Lächeln, das Anna ihm zuwirft, sorgt dafür, dass sich der kleine Wurm der Eifersucht noch tiefer eingräbt. Ich drehe mich zum Tresen und unterdrücke das Gefühl. Sie versucht nicht, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie ist einfach nur ihr nettes Selbst. Aber sie ist so hübsch. Welcher Mann würde ihrem Lächeln nicht erliegen? Es gibt außerdem noch einen Haufen anderer Männer. Wenn ich flirten – oder mehr – will, finde ich bestimmt jemanden.
Ich werde aus dem Gedanken gerissen, als mich eine Hand tief am Rücken streift, und dann steht er neben mir. Er senkt den Kopf und spricht mir ins Ohr, und sein warmer Atem auf meinem Hals verursacht mir Gänsehaut am ganzen Körper. »Was kann ich für dich bestellen?«
Merkt er, wie mein Körper auf seine Nähe reagiert? Der Gedanke, dass er das kann, gibt das Gefühl, seltsam entblößt zu sein. »Ich hätte gern einen Cosmopolitan, danke.«
Mit einem Nicken wendet er sich an den Barkeeper, der vor uns aufgetaucht ist.