Filter - Berit Glanz - E-Book

Filter E-Book

Berit Glanz

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Beschreibung

Viel mehr als Katzenohren: Digitale Filter sind aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken und haben unsere Sehgewohnheiten nachhaltig verändert. Berit Glanz über die Freude am Filtern und die Risiken grenzenlos bearbeitbarer (Selbst-)Bilder. Social-Media-Filter beeinflussen seit einiger Zeit entscheidend die Ästhetik unserer Timelines. Bearbeitetes Bildmaterial ist allgegenwärtig, weit über einfache Farbkorrekturen hinaus. Wir alle benutzen Filter, verwandeln uns in ältere oder jüngere Versionen unseres Selbst, in Cartoonfiguren oder Trolle. Dabei werden die technischen Möglichkeiten immer komplexer: Alte Fotos beginnen zu tanzen, Schwarz-Weiß-Aufnahmen lassen sich mühelos kolorieren. Doch diese Entwicklung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf unser Verhältnis zur Realität: von Körperpolitiken in Sozialen Medien bis hin zu Deep Fakes. Berit Glanz zeigt, wie Filter das Internet verändert haben, und wagt einen Ausblick auf ihre Zukunft.

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Viel mehr als Katzenohren: Digitale Filter sind aus der Ästhetik der Sozialen Medien kaum noch wegzudenken und haben unsere Sehgewohnheiten nachhaltig verändert. Berit Glanz über die Freude am Filtern, den Alltag in der »erweiterten Realität« – und die Risiken grenzenlos bearbeitbarer (Selbst-)Bilder.

Berit Glanz

FILTER

Alltag in der erweiterten Realität

Verlag Klaus Wagenbach Berlin

DIGITALE BILDKULTUREN

Durch die Digitalisierung haben Bilder einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Dass sie sich einfacher und variabler denn je herstellen und so schnell wie nie verbreiten und teilen lassen, führt nicht nur zur vielbeschworenen »Bilderflut«, sondern verleiht Bildern auch zusätzliche Funktionen. Erstmals können sich Menschen mit Bildern genauso selbstverständlich austauschen wie mit gesprochener oder geschriebener Sprache. Der schon vor Jahren proklamierte »Iconic Turn« ist Realität geworden.

Die Reihe DIGITALE BILDKULTUREN widmet sich den wichtigsten neuen Formen und Verwendungsweisen von Bildern und ordnet sie kulturgeschichtlich ein. Selfies, Meme, Fake-Bilder oder Bildproteste haben Vorläufer in der analogen Welt. Doch konnten sie nur aus der Logik und Infrastruktur der digitalen Medien heraus entstehen. Nun geht es darum, Kriterien für den Umgang mit diesen Bildphänomenen zu finden und ästhetische, kulturelle sowie soziopolitische Zusammenhänge herzustellen.

Die Bände der Reihe werden ergänzt durch die Website www.digitale-bildkulturen.de. Dort wird weiterführendes und jeweils aktualisiertes Material zu den einzelnen Bildphänomenen gesammelt und ein Glossar zu den Schlüsselbegriffen der DIGITALEN BILDKULTUREN bereitgestellt.

Herausgegeben von

Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich

Abraham Lincoln »yassified« mit FaceApp-Filtern

1 | Schwarz-weiße Vergangenheit – Von analoger zu digitaler Filtertechnologie

Die Website I used to believe … sammelt seit 2002 absurde, lustige und mitunter erschreckende Dinge und Geschichten, an die heutige Erwachsene als Kinder geglaubt haben. In kurzen Textbeiträgen werden dort verbreitete Vorstellungen wie beispielsweise die geteilt, dass Libellen Münder zunähen oder Wolken in Fabriken entstehen. Eine der am häufigsten genannten Kindheitsüberzeugungen, mit sehr vielen sich ähnelnden Kommentaren, ist der Glaube, die Welt sei früher schwarz-weiß oder sepia gewesen, weil die Fotografien und Filme, über deren mediale Vermittlung man der Vergangenheit begegnete, hauptsächlich monochrom waren.1

Mit diesen Ideen von einer farbloseren oder andersfarbigen Vergangenheit spielen auch immer wieder Filme und Fernsehserien, wenn beispielsweise die Erinnerungen von Protagonist*innen in einer anderen Farbschattierung präsentiert werden. Von Harry Potter und die Kammer des Schreckens bis hin zu CSI: New York: Regelmäßig werden Rückblenden in die Vergangenheit visuell durch eine Farbveränderung in Richtung Schwarz-Weiß oder Sepia angedeutet. In dem Film Pleasantville wird der Zeitsprung der Hauptfiguren in eine Fernsehserie der fünfziger Jahre beispielsweise dadurch markiert, dass die Farbigkeit entfernt wird und erst mit zunehmender Modernisierung der dargestellten Kleinstadtgemeinschaft die Kolorierung zurückkehrt. Die schwarz-weiße Darstellung macht den Zuschauer*innen in vielen Filmen den Sprung in die Vergangenheit intuitiv plausibel.

Raum und Zeit werden jedoch nicht nur in ästhetischen Quellen durch eine spezifische Farbigkeit markiert, sondern auch in unserer eigenen Wahrnehmung. Solche Zuordnungen werden oftmals gar nicht bewusst vorgenommen, führen aber trotzdem dazu, dass Menschen bestimmten Dekaden oder Orten intuitiv bestimmte Farbmuster zuweisen. Nicht nur die Orte, an denen wir leben, arbeiten oder Urlaub machen, auch unsere Lebensphasen und die medial vermittelten Erinnerungen daran haben bestimmte Farbschemata. Es macht beim nostalgischen Anschauen der Bilder aus vergangenen Jahrzehnten einen Unterschied, ob Fotografien aus der Kindheit monochrom sind oder farbig, ob die Sättigung stark ist oder schwach.

Mit der massenhaften Verbreitung der Smartphone-Fotografie verschwinden jedoch diese eindeutigen Farbmuster. Es gibt mittlerweile keine kollektiv geteilten Farbschemata mehr, die alle fotografischen Erinnerungen bestimmter Jahre oder Jahrzehnte auszeichnen. Denn mittlerweile können wir durch den Einsatz von Filtern sehr einfach die Farbigkeit unserer fotografischen Erinnerungen festlegen, die wir auf Social-Media-Accounts hochladen oder abspeichern. Dabei treffen wir permanent mehr oder weniger bewusste ästhetische Entscheidungen. Aufgrund der vielen Möglichkeiten, seine Smartphone-Fotos mit einem Filter den Look eines anderen Jahrzehnts zu verpassen, unterscheiden sich die bearbeiteten Aufnahmen aus der Zeit nach 2010 je nach den individuellen Filtervorlieben.

Wir haben in unserer Gegenwart einen viel größeren Spielraum bei der Entscheidung, welche Farbigkeit wir den Dokumentationen unseres Alltags verleihen, ob wir uns für einen kontrastreichen Filter entscheiden oder für einen, der die Aufnahme mit einem freundlichen Sepia-Ton überzieht. Ob wir bestimmte Farben und Farbtemperaturen als hip oder altmodisch empfinden, als sympathisch oder abweisend, hängt mit unserer kulturellen Sozialisation zusammen, und die Geschmacksmuster können zwischen verschiedenen Peergroups erheblich divergieren. Mit den unserem sozialen Umfeld entsprechenden ästhetischen Vorlieben gestalten wir auch unsere Fotografien. Die technische Entwicklung dieser leicht zugänglichen Smartphone-Filter verstärkt diesen Umstand noch und wird künftig die mit unserer Vergangenheit assoziierten Farbschemata – die medial vermittelte Farbstimmung der Smartphone-Jahrzehnte – prägen, höchstwahrscheinlich durch noch mehr Ausdifferenzierung als bisher schon.

Auch wenn Phänomene wie die individuell wahrgenommenen Farbstimmungen konkreter Orte, Farbmuster einzelner Epochen oder das Gefühl für einen Instagram-Filter häufig gar nicht so einfach in Worte zu fassen sind, verfügen viele Menschen über ein intuitives Verständnis für die Symbolfunktion bestimmter Farbeindrücke. Die Zuweisungen von Bedeutungen und Emotionen zu einzelnen Farben sind jedoch weder universell noch historisch gleichbleibend. Veränderungen in der Wahrnehmung kollektiv anerkannter Farbbedeutungen oder Farbmuster hängen oft mit technischen Innovationen, chemischen Entwicklungen neuer Farbstoffe, neuartigen Bildgebungsverfahren und eben auch Fortschritten im Bereich der Filtertechnologie zusammen.

So hat zum Beispiel erst die zunehmende Rechenkapazität von Computern die nachträgliche digitale (und damit effizientere) Farbbearbeitung großer Filmdateien ermöglicht. Einer der ersten Hollywoodfilme, der in großem Stil von digitaler Farbkorrektur in der Postproduktion Gebrauch machte, war im Jahr 2000 O Brother, Where Art Thou? von den Coen-Brüdern, dessen Sepia-Färbung dem Film die gewünschte altmodische Atmosphäre verlieh. Seit der Jahrtausendwende ist die digitale Farbveränderung des Ausgangsmaterials in der Postproduktion mittlerweile zum Standard geworden, und eigene ästhetische Konventionen haben sich herausgebildet.

In den ersten Jahren der digitalen Farbkorrektur kam es beispielsweise zu einer Häufung von Filmen, in denen der Komplementärkontrast von Orange und Türkis extrem sichtbar intensiviert wurde. Zusammenstellungen von Filmplakaten, bei denen die Häufigkeit dieser Farbgebung augenfällig wird, werden in den Sozialen Medien gerne geteilt,2 und noch bis vor einigen Jahren erschienen regelmäßig neue Filme, wie Batman v Superman: Dawn of Justice (2016),3 in denen die Farben Türkis und Orange deutlich verstärkt wurden.4

Vor der umfassenden Digitalisierung wurden solcherlei Veränderungen fotografischer Aufnahmen in Bezug auf Farbe, Kontrast oder Sättigung noch durch Filteraufsätze vor den Kameralinsen und durch anspruchsvolle Bearbeitungsmethoden im analogen Labor umgesetzt. Als der Fotograf Richard Avedon 1967 gebeten wurde, eine Posterserie mit den Beatles zu produzieren, die der experimentellen psychedelischen Ästhetik der beiden im selben Jahr veröffentlichten Alben Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band und Magical Mystery Tour entsprechen sollte, musste er auf komplizierte Verfahren zurückgreifen, um den Effekt der Übersättigung der Bilder zu erzielen. Die von ihm verwendete Pseudo-Solarisation (auch Sabattier-Effekt genannt) hatte als verfremdendes Dunkelkammerverfahren schon in der Avantgardefotografie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für Aufsehen gesorgt. Richard Avedon benutzte für seine Bilder der Fab Four außerdem fluoreszierende Neon-Farben, die den Übersättigungseffekt der Aufnahmen noch einmal verstärkten. Die Massenwirksamkeit von Avedons Bildern war nicht nur durch den Superstar-Status der Porträtierten gewährleistet, sondern auch durch den Vertrieb der Poster über mehrere internationale Magazine. Die stark bearbeiteten Aufnahmen wurden so zu Ikonen der psychedelischen Ästhetik der späten sechziger Jahre.

Musste Avedon für seine Bildbearbeitungen noch viele Arbeitsstunden investieren und über solide handwerkliche und technische Kenntnisse verfügen, können in der Gegenwart selbst in Fotografie-Technik und -Ästhetik unerfahrene Menschen mit nur wenigen Swipes und Clicks Bilder mit ähnlichen Effekten erzeugen. Schon in der Frühphase digitaler Bildbearbeitung – die erste Version der heutigen Standardsoftware Photoshop von Adobe kam 1990 auf den Markt – waren die plötzlich äußerst simple Veränderung von Farben, das Einfärben von Bildflächen und die Anpassung von Licht- und Schattenverteilung zentrale, im Vergleich mit der analogen Manipulation von Bildern deutlich vereinfachte Funktionen.

Um diese alles andere als günstige Software zu verwenden, benötigte man jedoch ebenso teure Geräte und zumindest basale Fähigkeiten im Umgang mit Computer und Software. Die digitale Bildbearbeitung war in den Anfangsjahren ein Feld für Profis oder technikinteressierte Amateure und kein Mainstream-Phänomen. Erst die sprunghaft gestiegenen Arbeitsspeicherkapazitäten in Computern, die Entwicklung des Smartphones und die Programmierung praktischer mobiler Anwendungen haben digitale Filterverfahren für die breite Masse der User*innen nutzbar gemacht. Über verschiedene Apps lassen sich Aufnahmen mit Smartphones inzwischen ohne größeren Aufwand bearbeiten.