Financial Wellbeing - Thomas Mathar - E-Book

Financial Wellbeing E-Book

Thomas Mathar

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Beschreibung

Money und Mindset fest im Griff - Der internationale Finanztrend Financial Wellbeing erstmals im deutschsprachigen Raum anschaulich erklärt Finanzratgeber geben in der Regel Geldtipps. Sie stellen uns hierfür Kalkulationen, Tabellen oder Taschenrechner zur Verfügung. Finanzratgeber berücksichtigen in der Regel nicht, wie das menschliche Gehirn funktioniert.  Wir alle kennen die gut gemeinten Ratschläge zum Thema Finanzen. Was hindert uns daran, vernünftig zu sein und gewissenhaft mit unserem Geld umzugehen? All die weisen Ratschläge ignorieren unseren stressigen Alltag und unsere eigenen Vorbehalte & Blockaden. Wir sind keine rationalen Wesen, wir brauchen clevere Tipps, um ins Handeln zu kommen und um dranzubleiben. Auf der Grundlage von Forschungen aus den neueren Verhaltenswissenschaften gibt dieses Buch handfeste und evidenzbasierte Tipps, wie Sie Ihr finanzielles Wohlbefinden mithilfe von 10 Bausteinen optimieren. Fünf dieser Bausteine behandeln die Finanzen – oder das, was auf dem Bankkonto passiert. Fünf weitere Bausteine behandeln unser "Mindset" – oder das, was im Kopf passiert. Die Finanztipps aus diesem Buch zeigen, wie wir uns finanziell besser aufstellen, wenn wir mit kleinen und wissenschaftlich erprobten Interventionen und Techniken unsere Gewohnheiten und Denkweisen ändern.

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Für Robbie und Tilda natürlich

THOMAS MATHAR

FINANCIAL WELLBEING

Die 10 Money- und Mindset-Bausteine für ein krisenfestes, glückliches und erfolgreiches Leben

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft. Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Ein Hinweis zu gendergerechter Sprache: Die Entscheidung, in welcher Form alle Geschlechter angesprochen werden, obliegt den jeweiligen Verfassenden.

Alle Meinungen in diesem Buch sind die des Autors und geben nicht die seines Arbeitgebers wieder.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-96739-158-9

ISBN epub: 978-3-96740-312-1

Lektorat: Ulrich Selich

Korrektorat: Sandra Bollenbacher | www.rotstift.art

Umschlaggestaltung: Tina Mayer-Lockhoff, Berlin

Autorenfoto: privat

Satz und Layout: Lohse Design, Heppenheim | www.lohse-design.de

© 2023 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2023 erschienenen Buchtitel "Financial Wellbeing. Die 10 Money- und Mindset-Bausteine für ein krisenfestes, glückliches und erfolgreiches Leben.“ von Dr. Thomas Mathar © 2023 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

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INHALT

INHALT

EINLEITUNG

1. MONEY-BAUSTEIN »EINKOMMEN«

2. MINDSET-BAUSTEIN »VERGLEICHE«

3. MONEY-BAUSTEIN »CLEVERER KONSUM«

4. MINDSET-BAUSTEIN »SELBSTWISSEN«

5. MONEY-BAUSTEIN »FINANZPOLSTER«

6. MINDSET-BAUSTEIN »LANGER ZEITHORIZONT«

7. MONEY-BAUSTEIN »ALTERSVORSORGE«

8. MINDSET-BAUSTEIN »LEBENSPLANUNG«

9. MONEY-BAUSTEIN »VERMÖGENSWERTE FÜR LANGLEBIGKEIT«

10. MINDSET-BAUSTEIN »KRISENBEWUSSTE GELASSENHEIT«

SCHLUSS

DANKSAGUNG

ÜBER DEN AUTOR

ANMERKUNGEN UND REFERENZEN

EINLEITUNG

»Heute Nacht geht ein schweres Jahr zu Ende.«

OLAF SCHOLZ AM 31. 12. 2022

»Verschwenden Sie niemals eine gute Krise.«

WINSTON CHURCHILL

Können Sie eine Krise nennen, die sich in den letzten fünf Jahren ereignet hat? Irgendeine – zum Beispiel eine politische Krise, eine wirtschaftliche oder gesundheitliche?

Höchstwahrscheinlich können Sie das. Denn in den letzten Jahren schlidderten wir von einer Krise in die nächste. Angela Merkel wurde – als sie im Dezember 2021 nach 16 Jahren ihr Amt übergab – in vielen Nachrufen als »Krisenkanzlerin« oder »Kanzlerin der Krisen« beschrieben (erinnert wurde an Euro-Krise, Flüchtlingskrise, Corona und andere Ereignisse). Ihr Nachfolger Olaf Scholz war keine drei Monate im Amt, da musste er am 24. Februar erklären, dass dies ein schlimmer Tag für die Ukraine und Europa sei: Russland war da in sein Nachbarland einmarschiert. Wir sahen Bilder von Familien in den U-Bahn-Stationen Kiews. Und in Deutschland hörten wir die ukrainische Sprache häufiger in Bussen und S-Bahnen. Kurz darauf bekamen wir es alle mit Inflation und Energiekrise zu spüren.

Kein Wunder, dass sich viele Sorgen machen.

In Krisenzeiten hören wir immer von Menschen, die von der Krise betroffen sind. Im Oktober 2022 zum Beispiel sammelte das ZDF Stimmen am Nürnberger Hauptmarkt und berichtete von Händlern, denen die Kunden wegblieben: »Die Touristen kaufen nichts, und die andere Laufkundschaft bleibt einfach weg«, wird ein Händler zitiert. Eine Händlerin am Stand nebenan sieht es genauso: »Die Straßen sind voll mit Menschen, aber es kommt keiner rein.«1

Natürlich sind die vornehmlich finanziellen Sorgen immer objektiv berechtigt: Strom- und Gaspreise stiegen damals unbestreitbar an, die Inflation trieb die Preise in die Höhe, Mieten und Immobilienpreise wurden instabil und schwer vorherzusagen, die Märkte wurden nervös.

Aber vielleicht steckt hinter den Überschriften, die uns über diese Trends unterrichten – und in unseren Sorgen selbst –, ein naiver Optimismus. Es wird eine Welt ersehnt, in der Strom- und Gaspreise stabil bleiben, in der die Inflation nahe dem Wunschwert der EZB bleibt, in der kein Land in ein anderes einmarschiert und in der die Märkte stabil bleiben und es allen Menschen – inklusive der Einzelhändler an lokalen Märkten – gut geht.

Wir brauchen nicht weit zurückzudenken an Geschichten von unseren Eltern und Großeltern, um uns daran zu erinnern, dass solche Hoffnungen unrealistisch sind. Warum sollten Krisenzeiten nur in der Vergangenheit geschehen sein? Warum sollten sie nicht auch im Hier und Jetzt passieren? Shit happens – oder, wie Wirtschaftsphilosoph Gunter Dueck sagt: Shift happens.

In diesem Buch plädiere ich für eine neue Einstellung zu Geld. Und ich plädiere für eine Einstellung, die uns dazu bewegt, unsere Haushalte anders zu bewirtschaften. Ich behaupte nicht mit falsch verstandenem Stoizismus, dass Geld nicht wichtig ist. Im Gegenteil: Gutes Einkommen, Finanzpolster, gutes Schuldenmanagement, private Altersvorsorge und andere Kapitalarten sind sehr wichtig – vor allem, wenn man all das nicht hat. Unter anderem darüber geht es in diesem Buch.

Allerdings geht es ebenso darum, dass eine gewisse Einstellung oder Denkweise (das, was man im Englischen Mindset nennt) ebenso wichtig ist – allerdings unterbelichtet. Im Zusammenhang mit Money-Mindset werde ich argumentieren, dass wir uns mehr Gedanken darüber machen sollten, welche Bedürfnisse wir mit unserem Konsum versuchen zu befriedigen, dass wir uns bewusster werden sollten über die sozialen Vergleiche, die wir anstellen (und die uns häufig unzufrieden machen), dass wir versuchen sollten, eine konkrete und bedeutungsvolle Verbindung mit unserer Zukunft herzustellen, und dass wir lernen müssen, mit Krisen zu leben.

Im Zusammenhang mit Krisen – wie den Krisen, die wir gerade eine nach der anderen als Gesellschaft erleben – plädiere ich für einen konstruktiven Pessimismus. Lassen Sie mich kurz ausholen.

Wir erleben im Großen und Ganzen eigentlich einen sehr positiven Trend: Als Gruppe und statistisch gesehen werden wir immer älter und leben längere, gesündere Leben. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung errechneten, dass jedes Baby, das 2009 in der Bundesrepublik zur Welt kam, mit 50%iger Wahrscheinlichkeit den 100. Geburtstag erleben wird. Eine heute 50-Jährige wird im Schnitt über 88 Jahre alt. Ihren 100. Geburtstag erlebt sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 13 %. Die Mehrheit der heute 44-Jährigen kann davon ausgehen, noch in ihrer ersten Lebenshälfte zu sein. Dies sind unglaublich positive Errungenschaften.

Natürlich bereiten Krisen uns Sorgen. Das ist verständlich und beinahe unvermeidbar. Aber bedenken Sie, dass Sie den Verlauf der Krisen nicht beeinflussen können. Dies liegt nicht in Ihrer Hand. Machen Sie sich deshalb bessere, aufschlussreichere und einfühlsamere Sorgen. Bedenken Sie hierbei Dinge, die in Ihrer Hand liegen.

Aber mit diesem positiven Trend gehen neue Probleme und Risiken einher. Deshalb der konstruktive Pessimismus: Es ist beinahe unvermeidbar, dass wir in dem längeren, gesünderen Leben, das wir leben, Krisen erleben. Viele dieser Krisen erfahren wir gerade:

politische Krisen: Invasion der Ukraine, Aufstieg Chinas, Populismus, Klimawandel, Massenimmigration

ökonomische Krisen: geringere Kaufkraft, Energieknappheit, Arbeitslosigkeit

finanzielle Krisen: Unruhe an den Märkten, Inflation, Deflation

Hinzu kommen eventuell – auch nicht unwahrscheinlich, statistisch gesehen – persönliche Krisen wie Scheidung, persönlicher Bankrott oder Schuldenfalle, Krebs oder andere schwere Krankheiten.

Ein richtiges Money-Mindset erkennt das Positive und Pessimistische in diesem großen Ganzen an. Und mit einem richtigen Money-Mindset planen wir unsere Finanzen anders.

Ich möchte (und kann) Ihnen nicht nahelegen, sich über Geld keine Sorgen mehr zu machen. Ich möchte Ihnen allerdings nahelegen, sich bessere, aufschlussreichere und einfühlsamere Sorgen zu machen.

Hier ist ein Beispiel dafür, wie Sie sich bessere Sorgen machen. Nehmen wir an, dass aufgrund hoher Inflation oder insgesamt schwächeren Konsums Ihr Arbeitgeber in Kostendruck gerät und Ihr Arbeitsplatz gefährdet ist. Oder dass sich für Sie – sollten Sie selbstständig sein – aufgrund dieser externen Dinge die Auftragslage verschlechtert.

In so einem Fall lohnt es sich nicht, sich über die Dauer des Ukrainekonflikts, den Leitzins der EZB, die von der Koalition eingeleiteten Maßnahmen oder das Kaufverhalten der Kunden Sorgen zu machen. All diese Dinge können Sie nicht kontrollieren. Zwei Dinge allerdings schon:

wie Sie sich auf potenzielle Arbeitslosigkeit vorbereiten, um mit dem daraus resultierenden finanziellen Problem umzugehen, und

wie Sie mental mit drohender oder faktischer Arbeitslosigkeit umgehen.

Um das finanzielle Problem anzugehen, können Sie sich vorbereiten, indem Sie zum Beispiel Finanzpolster aufbauen (in Kapitel 5 rate ich zu mindestens drei Netto-Monatsgehältern an Ersparnissen). Sie können auf der Website des Arbeitsamts herausfinden, welche Formulare im Falle von Arbeitslosigkeit oder Insolvenz ausgefüllt werden müssen, damit sie schnell Arbeitslosengeld ausgezahlt bekommen. Sie können sich, um besser zu planen, erkundigen, wie lange es dauert, Sozialleistungen ausgezahlt zu bekommen, und welche Leistungen Ihnen wie lange zustehen. Sie können schon jetzt entscheiden, welche Abos oder Policen Sie kündigen, um Geld zu sparen.

Um sich mental auf drohende Arbeitslosigkeit vorzubereiten, können Sie zudem einige mit dem Ereignis verbundene Emotionen normalisieren. Es ist bei drohendem Jobverlust oder drohender Insolvenz normal, Angst zu haben. Es ist normal, dem Joballtag (zum Beispiel aufgrund lieb gewonnener Kollegen) nachzutrauern. Es ist normal, den nächsten Schritt als zu große Herausforderung zu befürchten. Lesen Sie sich ein wenig in die Literatur zu den Emotionen Angst, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Trauer und Betroffenheit ein. Vielleicht auch zu Emotionen wie Scham, Peinlichkeit, Demütigung und Schuldgefühl.

Diese Emotionen zu verstehen, ist wichtig für den nächsten Schritt. Denn es gibt alle möglichen Studien, die belegen, dass es verunsicherte Menschen schwerer haben, einen neuen Job zu finden. Normalisieren Sie in diesem Schritt auch einige andere Fakten, zum Beispiel, dass vor Ihnen schon viele Menschen ohne ihr eigenes Zutun ihren Job verloren haben. Dass es in 45 Jahren Arbeitsleben als normal angesehen werden kann, ein paarmal seinen Job verloren zu haben. Dass es aufgrund neuer Technologien wie Automatisierung, künstlicher Intelligenz oder Robotisierung vielleicht häufiger vorkommen wird, dass Sie Ihren Job verlieren.

Denken Sie schließlich an Ihre Stärken: Denken Sie an die Erfahrungen, die Sie in Ihrem alten Job gesammelt haben. Denken Sie daran, wie sie Herausforderungen in der Vergangenheit gemeistert haben. Und denken Sie an die Leute im Familien- oder Bekanntenkreis, die Sie unterstützen würden.

Sie sehen: Für den richtigen Umgang mit Krisen brauchen wir mehr als finanzielle Unterstützung. Wir brauchen eine Denk- und Handlungsweise, die die mit finanziellen Engpässen oder Herausforderungen verbundenen Probleme konstruktiv angeht. Dies ist keine naiv optimistische Du-musst-nur-dran-glauben-Philosophie. Vielmehr ist es eine wissenschaftlich fundierte Denkweise, die im Kern sowohl pessimistisch als auch optimistisch ist. Pessimistisch, weil Krisen normalisiert und angenommen werden. Optimistisch, weil wir berechtigterweise daran glauben können, resilient genug zu sein, diese Krisen zu überwinden.

Ebenso im Kern des richtigen Money-Mindsets befindet sich eine Reflexion darüber, was wir kontrollieren können und was nicht. Dies ist ein Kernansatz der kognitiven Verhaltenstherapie (der auf die stoische Philosophie von Seneca, Epiktet und Aurel von vor ungefähr 2500 Jahren zurückgeht). In Kapitel 10 komme ich darauf zurück.

Anstatt uns darüber Sorgen zu machen, dass die Preise steigen (das können wir nicht kontrollieren), sollten wir uns fragen, ob wir Geld auf die Art und Weise ausgeben (und verdienen), die uns glücklich macht. Anstatt hohe Schulden zu beklagen (wir können ebenso wenig die Vergangenheit ändern), sollten wir überlegen, wie wir Finanzpolster aufbauen (zum Beispiel indem wir Artikel, die wir nicht brauchen, auf Kleinanzeigen oder Flohmärkten verkaufen, ein Zimmer freiräumen und gelegentlich als Handwerkerzimmer untervermieten oder indem wir bestimmtes Wissen und bestimmte Fähigkeiten in einem zweiten oder dritten Job anbieten). Und anstatt uns über Altersarmut zu sorgen (wir können weder die Zukunft im Allgemeinen noch die anzunehmenden Entwicklungen in der Rentenpolitik kontrollieren), sollten wir Onlinerechner nutzen, um unsere Rentenlücke und Möglichkeiten der privaten Altersvorsorge zu ermitteln.

Die Tipps und Hinweise in diesem Buch stammen zum Teil aus meinen eigenen verhaltenswissenschaftlichen Experimenten. Diese führte ich bei meinem Arbeitgeber Aegon UK, einem der weltweit führenden Investitions- und Finanzdienstleister, durch. Bei Aegon UK leite ich das Centre for Behavioural Research (das Zentrum für verhaltenswissenschaftliche Forschung) – eine kleine Abteilung mit ausgebildeten Psychologen und Verhaltensökonomen. Ebenso häufig wie auf meine eigenen Studien greife ich auf Ergebnisse von verhaltenswissenschaftlichen Kollegen – hauptsächlich aus den USA und aus Großbritannien – zurück.

Auch wenn alle der hier zitierten Studien mit britischen oder amerikanischen Bürgern durchgeführt wurden, gehe ich davon aus, dass die Ergebnisse meistens auch auf Deutschland zutreffen. Die Studien führender Verhaltenswissenschaftler wie Daniel Kahneman, Richard Thaler, Gerd Gigerenzer oder Dan Ariely untersuchen nur selten Unterschiede von Staatsangehörigkeit. Sie vermuten menschliche Gründe für bestimmte Verhaltensweisen.

Natürlich gibt es ein paar relevante Unterschiede struktureller und sozialpolitischer Art: In Großbritannien gibt es mehr individualisierten, in Deutschland mehr sozialisierten Wohlstand. Die Altersvorsorge in Deutschland und Österreich wird zum Beispiel immer noch zu einem großen Teil über den Staat geleistet. In Großbritannien ist sie eher in der Verantwortung des Einzelnen. Aber auch in Deutschland gibt es immer mehr Anzeichen dafür, dass sich der Wohlfahrtsstaat dem angloamerikanischen System anpasst – private Altersvorsorge wird auch in Deutschland immer wichtiger. Die für 2023 angekündigte Aktienrente zum Beispiel zeigt, dass ein Rentensystem, das allein auf Umlagefinanzierung basiert, der Vergangenheit angehört.

Die Perspektiven der Verhaltensökonomie oder Verhaltenswissenschaft sind in Deutschland meiner Einschätzung nach unterentwickelt. Dies hat vielleicht vor allem historische Gründe. Es gibt keinen objektiven Grund dafür, dass das bevölkerungsmäßig beinahe zehnmal so große Deutschland genauso viele verhaltenswissenschaftliche For-profit- oder Non-profit-Unternehmen und Thinktanks hat wie die Schweiz: nämlich neun. Zum Vergleich: In Großbritannien gibt es 76, in den USA 209.2

Die Perspektiven der Verhaltenswissenschaften wurden in Deutschland meines Wissens nur einmal auf breiter öffentlicher Basis diskutiert: Das war im November 2018 in einer im Bundestag geführten sogenannten »ergebnisoffenen Orientierungsdebatte« zur Organspende. In einem gemeinsamen Vorstoß wollten der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn sowie andere Gesundheitspolitiker wie Prof. Dr. Karl Lauterbach die »Widerspruchsregel« einführen. Die Politiker hofften, mit dieser Regel den Anteil an Organspendern auf eine ähnliche Höhe wie im Nachbarland Österreich zu bringen.

In Österreich gab es 2021 genau 724 Organtransplantationen von verstorbenen Spendern. In Deutschland waren es 3260 – viereinhalbmal mehr als im Nachbarland.3 Berücksichtigt man jedoch, dass Deutschland bevölkerungsmäßig mehr als neunmal so groß ist wie Österreich, kann man von fast der doppelten Anzahl österreichischer Spender ausgehen. Der Grund für mehr Organspenden in Österreich lässt sich natürlich nicht mit einer fundamental anderen Kultur, anderen Werten oder einer anderen Sprache erklären. Einer der Hauptgründe ist, dass man in Deutschland, wenn man Organspender werden will, dem zustimmen muss. Wohingegen man in Österreich, wenn man nicht Organspender sein will, dies ablehnen muss. Kurzum: In Österreich existiert die für Deutschland von Jens Spahn und Karl Lauterbach vorgeschlagene Widerspruchsregel. Daraus folgt, dass in Österreich der Anteil an Organspendern um ein Vielfaches höher ist – nicht weil sich die Österreicher dafür entschieden haben, Organspender zu sein, sondern weil sie sich nicht dagegen entschieden haben.

Bei der in Österreich geltenden Widerspruchsregel handelt es sich um ein gutes Beispiel für einen Nudge (zu Deutsch: Stups). Eine der bekanntesten Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaft ist, dass wir Dinge machen, die einfach sind. Und dass wir die Dinge vermeiden, die uns schwierig erscheinen. Diese Erkenntnis klingt banal (wir schauen sie uns in Kapitel 5 genauer an), ist aber eine Herausforderung für den aufgeklärten, modernen Menschen. Denn der aufgeklärte Mensch nimmt an, dass wir Entscheidungen auf Grundlage einer Abwägung von Kosten und Nutzen treffen. Die Verhaltenswissenschaften widerlegen diese Annahme häufig.

In unserem idealen Menschenbild vermuten wir den aufgeklärten Menschen. Dieser trifft Entscheidungen auf Grundlage einer Abwägung von Kosten und Nutzen. Dieser Mensch entscheidet sich bewusst für oder gegen eine Op-tion. Die Verhaltenswissenschaften widerlegen dieses Menschenbild: Instinkte, Emotionen und Motivationen spielen eine große Rolle bei den Entscheidungen, die wir treffen. Und Umweltfaktoren – zum Beispiel wie unterschiedliche Optionen präsentiert werden – beeinflussen uns ebenso. Wir entscheiden in der Regel nicht aufgrund kluger Abwägung. Wir entscheiden meistens unbewusst oder unterbewusst.

Bestimmt kennen Sie dieses Phänomen selbst. Zum Beispiel wenn Sie mehr Süßigkeiten gekauft haben als, wie ursprünglich geplant, gesunde Lebensmittel (weil erstere meist zugänglicher an der Kasse platziert werden). Oder wenn Sie diese Woche trotz der guten Vorsätze letzten Sonntag weniger häufig im Fitnessstudio waren (weil es einfacher ist, aufs Sofa zu plumpsen und den Fernseher anzumachen). Oder wenn Sie die Nachrichtenlage auf dem Smartphone verfolgen, statt sich mit Familienmitgliedern oder Freunden zu verabreden (weil es einfacher ist, sich mit den Desastern dieser Welt zu beschäftigen als mit den vermeintlich banalen Problemchen der Nahestehenden).

Der Nudge der Widerspruchsregelung (der es einfach macht, Organspender zu werden, beziehungsweise es schwerer macht, kein Organspender zu sein) kam in Deutschland nicht gut an. Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. In der Debatte, die der Abstimmung vorausging, kritisierten Abgeordnete, dass dieser Ansatz unvereinbar sei mit dem Selbstbestimmungsrecht (Christine Aschenberg-Dugnus, FDP), dass somit die eigentlich vorhandene Spendenbereitschaft zerstört würde, wenn Menschen gezwungen würden, aktiv Nein zu sagen (Annalena Baerbock, Grüne), dass eine informierte Einwilligung durch die Widerspruchslösung verhindert werden würde (Katja Kipping, Die Linke), dass die Gefahr bestünde, dass neue Wirtschaftszweige entstehen würden (Paul Viktor Podolay, AfD).4

Die hinter diesen Argumenten stehende Annahme, dass die Menschen rationale und im Kern gute Wesen seien, die geschützt werden müssten vor der Wirtschaft und einem Staat, der auf den Körper zugreifen will, kenne ich aus Großbritannien nicht. Und ich vermute, dass sie mit der spezifisch deutschen Geschichte erklärt werden kann.

In den USA gilt die Widerspruchsregel bei der Organspende schon lange, und sie ist ein großer Erfolg. In Großbritannien hat man das Konzept der Widerspruchsregel auch in anderen Bereichen eingeführt: Zum Beispiel in der Altersvorsorge. Bis 2012 mussten Arbeitnehmer, die von den Leistungen der Betriebsrente Gebrauch machen wollten, hierfür einen Antrag bei ihrem Arbeitgeber einreichen (es gab also Hürden, die die Teilnahme erschwerten). Seitdem werden Arbeitnehmer automatisch für die Betriebsrente registriert. Nur wenn man nicht an der Betriebsrente teilnehmen möchte, muss man einen entsprechenden Antrag stellen (mit anderen Worten: Nichtteilnahme wurde erschwert). Der Nudge des Auto-Enrolments führte über Nacht dazu, dass Hunderttausende an der privaten Altersvorsorge teilnahmen.

In Deutschland müssen Arbeitgeber seit 2022 ebenso eine Betriebsrente anbieten. Allerdings bleiben die Details häufig noch im Ermessensspielraum der Arbeitgeber selbst. Und Arbeitnehmer müssen häufig selbst aktiv werden, wenn sie richtig von der Betriebsrente profitieren wollen. Im Gesetz gibt es Formulierungen wie »der Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber verlangen«. Mit anderen Worten: Die Regelung ähnelt der aus Großbritannien vor 2012. Kurzum: Deutschland würde es vielleicht guttun, mehr verhaltenswissenschaftliche Ansätze aus den USA, Großbritannien, aber auch aus Schweden und der Schweiz zu übernehmen. Vielleicht hätten wir ebenso über Nacht mehr Organspender und eine Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung.

Natürlich gibt es berechtigte Kritik an den Verhaltenswissenschaften und an deren Menschenbild. Einer der in Deutschland führenden Psychologen und Verhaltenswissenschaftler – Gerd Gigerenzer, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung – kritisiert zum Beispiel die Grundannahme vieler seiner Kollegen, dass Menschen im Kern irrational oder unüberlegt seien. Was viele Verhaltenswissenschaftler als Denkfehler darstellen, sieht Gigerenzer eher als clevere, über Jahrtausende angelernte Faustregeln, die uns erlauben, mit Komplexität und Unsicherheit umzugehen.

Wo Verhaltenswissenschaftler häufig Trägheit, Denkfaulheit oder Schwerfälligkeit vermuten, sieht Gigerenzer eher einen cleveren und effizienten Umgang mit der wertvollsten Fähigkeit des Menschen: der Fähigkeit, zu denken. Wir wollen, so mutmaßt Gigerenzer, diese Fähigkeit nicht auf alle Probleme und Entscheidungen, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind, verschwenden. Vielmehr wollen und müssen wir mit dieser Fähigkeit wirtschaften. In Kapitel 7, wenn es um Altersvorsorge geht, komme ich auf die Stärken von Faustregeln zurück.

Unter anderem aufgrund der von Gigerenzer präsentierten Kritik benutze ich traditionelle Begriffe der Verhaltenswissenschaft nur spärlich: Ich zögere, von Gegenwarts-Bias, Aktions-Bias oder Besitztumseffekt zu sprechen. Allerdings glaube ich, dass es manchmal hilfreich ist, diese Konzepte anzusprechen. Sie erklären viele Verhaltensweisen, die wir kennen und häufig bereuen. Mein Kompromiss zwischen traditioneller Verhaltenswissenschaft von Kahneman und Thaler auf der einen und Gerd Gigerenzer auf der anderen Seite lautet: Ja, wir haben sehr clevere und effiziente Denkmechanismen, die uns helfen, mit Komplexität umzugehen. Aber manchmal nutzen wir diese Mechanismen im falschen Kontext.

Aus genetischer und evolutionsbiologischer Perspektive sind die Menschen von heute dieselben wie die Jäger und Sammler aus der Steinzeit. Wir haben zum großen Teil dieselben Instinkte, Emotionen, denselben Metabolismus und dieselbe genetische Ausstattung. Aber die Welt um uns herum hat sich rapide geändert. Wir leben vergleichsweise im Überfluss, wir organisieren uns in riesigen Netzwerken. Und wir werden älter als je zuvor.

Aus diesem Grund brauchen wir eine Erkenntnis darüber, wie unser Gehirn funktioniert, wozu uns Konsumkapitalismus verleitet, wieso uns Altersvorsorge schwerfällt und der Wille, uns im Hier und Jetzt zufriedenzustellen, beinahe immer überhandnimmt.

Financial Wellbeing besteht aus insgesamt zehn Bausteinen. Fünf davon sind finanzielle oder Money-Bausteine. Die anderen fünf betreffen die Art und Weise, wie wir über Geld denken und fühlen, Mindset-Bausteine. In diesem Buch besprechen wir alle zehn Bausteine.

Das von mir und meinen Kollegen bei Aegon UK entwickelte Modell definiert langfristiges Financial Wellbeing anhand von zehn Bausteinen. Fünf davon sind finanzielle Bausteine. Die anderen fünf sind Mindset-Bausteine (sprich, es geht darum, wie und ob wir über Geld instinktiv oder bewusst denken und fühlen). In diesem Buch präsentiere ich jeden dieser Bausteine. Und ich gebe Tipps, wie Sie sich dahingehend verbessern können.

Jedes Kapitel behandelt abwechselnd einen Money- und einen Mindset-Baustein. Die ersten fünf Kapitel konzentrieren sich eher auf die Gegenwart (wie wir unsere finanzielle Situation und unser Mindset hier und jetzt verbessern). Und sie konzentrieren sich auf Ansätze aus der eher klassischen Verhaltenswissenschaft. Wir werden viel über die schon angesprochenen unterschiedlichen Denkweisen nachdenken – einerseits das intuitive, automatische und schnelle Denken (das Kahneman das System 1 nennt). Und andererseits das rationale, kalkulierende und langsame Denken (System 2). Das sind die ersten fünf Bausteine:

Money-Baustein »Einkommen«: Es gibt Menschen, die sagen, dass Geld nicht wichtig sei für ihre Lebenszufriedenheit und ihr Wohlbefinden. Diese Aussage wird in diesem Kapitel anhand von Untersuchungen über die richtige Höhe des Einkommens widerlegt. Kurzum, ein gutes Einkommen ist wichtig, denn zu wenig Einkommen geht meistens einher mit Stress und anderen körperlichen und psychischen Krankheiten. Es gibt Menschen, die ein immer höheres Einkommen anstreben, weil sie glauben, dass sie damit ihr Wohlbefinden stetig verbessern. Dies ist ebenso ein Irrglaube. Im ersten Kapitel rege ich Sie an, ein Einkommen anzustreben, das »gut genug« ist, und liefere einen Hinweis, was ein ausreichendes Einkommen sein könnte.

Mindset-Baustein »Soziale Vergleiche«: Es gibt diverse Studien, die belegen, dass unser objektiver Wohlstand weniger wichtig ist als unser Wohlstand im Vergleich zum (von uns angenommenen) Wohlstand von anderen. Zum Beispiel gibt es eine großartige Studie aus der Schweiz, die belegt, dass die Lebenszufriedenheit in den Kantonen des Landes geringer ist, in denen es eine hohe Registrierung an Porsches und Ferraris gibt. Es ist normal, zu vergleichen (Menschen tun es seit Tausenden von Jahren). Aber wir können bessere Vergleiche anstellen, indem wir zum Beispiel Vorbilder wählen oder indem wir uns fragen, was genau wir eigentlich am Lebensstil von anderen beneiden. Hierbei lernen wir idealerweise wichtige Dinge über uns selbst. In diesem Kapitel lernen Sie drei erprobte Techniken kennen, mit denen Sie bessere Vergleiche anstellen können.

Money-Baustein »Cleverer Konsum«: Ungefähr sechs Millionen Bürger in Deutschland – oder 10% der Erwachsenen – sind überschuldet und weisen »nachhaltige Zahlungsstörungen« auf.5 Einer der Gründe hierfür, der Jahr für Jahr an Gewicht gewinnt, lautet »unwirtschaftliche Haushaltsführung«. Ein Begriff, der oft auch synonym mit dem Begriff »irrationales Konsumverhalten« verwendet wird. In diesem Kapitel schauen wir uns an, wie bestimmte Kontextfaktoren (zum Beispiel Kredit- und Debitkarten oder vermeintliche Schnäppchen) es leichter machen, in die Schuldenfalle zu geraten, und wie Sie das verhindern. Bei »cleverem Konsum« halten Sie viele Ihrer Instinkte im Zaum, zum Beispiel mit sogenannten Wenn-dann-Plänen oder indem Sie die EC-Karte zu Hause lassen und Kartendaten im Browser löschen.

Mindset-Baustein »Klarheit über unsere Bedürfnisse«: Viele Probleme (mit unserem Einkommen, mit unserer Altersvorsorge oder mit Schulden) entstehen, weil unser Konsumverhalten unsere tieferen Bedürfnisse missachtet. Mit anderen Worten: Wir verschwenden viel und denken nicht darüber nach, wie wir unsere Belange effizienter und kostengünstiger bedienen könnten. In diesem Kapitel diskutiere ich zwei handfeste und einfach anwendbare Ansätze aus Psychologie und Verhaltenswissenschaft, die eine Introspektion dahingehend leichter machen.

Money-Baustein »Finanzpolster und Sicherungsnetze«: Wir können nicht perfekt vorhersagen und planen, was passieren wird. Wir müssen aber für ein paar denkbare Szenarien gewappnet sein. Ob für den Fall, dass der Kühlschrank kaputtgeht, dass wir eine komplexe Zahnoperation brauchen, wir unseren Job verlieren, eine längere Krankheit uns berufsunfähig macht oder, schlimmer noch, für den Fall des verfrühten Todes eines Verdieners in der Familie. In diesem Kapitel lege ich mit dem verhaltenswissenschaftlichen EAST-Modell (Make it Easy, Make it Attractive, Make it Social, Make it Timely) dar, wie Sie die allgemein als sinnvoll erachteten Finanzpolster und Sicherungsnetze aufbauen.

Das sind die ersten fünf Bausteine für Financial Wellbeing. Wie erwähnt, betreffen sie vor allem die Gegenwart und orientieren sich eher an den Erkenntnissen und Ansätzen der klassischen Verhaltenswissenschaften. Die weiteren fünf Bausteine betreffen die Zukunft. Sie basieren auf vielen Annahmen der klassischen Verhaltenswissenschaften, gehen jedoch über diese hinaus. Insbesondere Erkenntnisse aus der neueren Psychologie (oder der Positiven Psychologie) und der Verhaltenstherapie werden hier genutzt.

Mindset-Baustein »Empathie mit Ihrem ›zukünftigen Selbst‹ «: Natürlich brauchen wir Geld für die Altersvorsorge. Aber eine Erkenntnis aus meinen und anderen Forschungen lautet: Wichtiger als Geld ist ein langfristiger Denkhorizont. Halten Sie es für möglich, dass Menschen auf den geringsten Einkommensstufen eher langfristige Sparer sein können als Menschen auf den höchsten Einkommensstufen? Es ist tatsächlich so. Und zwar dann, wenn diejenigen auf den geringsten Einkommensstufen eine konkrete und bedeutungsvolle Verbindung zu ihrem zukünftigen Selbst haben, während diejenigen auf den höchsten Einkommensstufen nur eine vage und diffuse Verbindung zu ihrem zukünftigen Selbst haben. Besser noch: Menschen mit einem langen Zeithorizont zeigen andere Verhaltensweisen in allen möglichen anderen Bereichen: Sie haben zum Beispiel auch weniger Schulden und höhere Finanzpolster. Empathie aufzubauen mit den intrinsischen Motivationen unseres zukünftigen Selbst (Wo werde ich in 20 Jahren leben? Mit wem werde ich dann Zeit verbringen? Was werde ich tagein, tagaus unternehmen?), ist vielleicht der beste Tipp in diesem Buch. In diesem Kapitel erfahren Sie von drei Techniken, wie Sie das angehen können.

Money-Baustein »Altersvorsorge«: So entmutigend es auch sein mag, die unausweichliche Wahrheit lautet, dass die Menschen, wenn sie länger leben, mehr Geld brauchen. Das bedeutet, entweder mehr zu sparen oder länger zu arbeiten. In diesem Kapitel geht es um die Notwendigkeit der privaten Altersvorsorge im Allgemeinen und der politisch immer expliziter gewollten kapitalgedeckten Altersvorsorge im Besonderen. Diese Art der Altersvorsorge ist in vielen anderen Ländern wie den USA und Großbritannien – aber auch der Schweiz, Schweden und Norwegen – schon länger gang und gäbe. Deshalb gibt es vor allem aus diesen Ländern diverse Erkenntnisse zu richtigen Anlagestrategien, aber auch verhaltenswissenschaftliche Befunde zur richtigen Verhaltens- und Denkweise beim langfristigen Investieren. Wir betrachten in diesem Kapitel zunächst die Überlegenheit von Faustregeln. Daraufhin lesen Sie von einigen Faustregeln für langfristigen Erfolg an den Kapitalmärkten. Welche Plattform, welche Anlagestrategie, wie viel sollte man sparen – auf all diese Fragen gibt es grobe Antworten.

Mindset-Baustein »Langfristige Lebensplanung, nicht Finanzplanung«: Wir werden immer älter. Und wir leben lange, gesunde Leben. Das ist eine tolle Konsequenz aus den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritten der letzten 150 Jahre. Die Schattenseite davon ist, dass wir für unser langes Leben mehr Geld brauchen. In diesem Kapitel denken wir darüber nach, warum wir eine neue Vorstellung von Alter und vom Ruhestand brauchen, um einen besseren Umgang mit Langlebigkeit zu entwickeln. Jetzige Vorstellungen von der »dritten Lebensphase« beruhen auf Lebenszyklen von vor 100 Jahren – sie sind nicht mehr aktuell und setzen uns, insbesondere im mittleren Alter, unnötig unter Druck. Ich argumentiere, dass Menschen ihre Karriere und Finanzen so gestalten sollten, dass sie flexibler und anpassungsfähiger auf Veränderungen reagieren können. Dies kann bedeuten, dass man seine Karriere in kleineren Schritten und über einen längeren Zeitraum hinweg aufbaut, statt alles auf einmal zu erreichen. Es kann auch bedeuten, dass man seine Finanzen so gestaltet, dass man in der Lage ist, mehrere Karrierewechsel oder Ruhestandsphasen zu überstehen.

Money-Baustein »Kapitalarten für Langlebigkeit«: Wenn wir Wohlstand definieren, dann denken wir zumeist an die Summe unserer Einkommen, Investitionen, Immobilien und andere Bilanzaktiva. Die Soziologie lehrt uns allerdings schon seit Längerem, dass Kapital nicht nur in finanzieller Art daherkommt. Pierre Bourdieu, der einflussreiche französische Soziologe, identifizierte beispielsweise soziales Kapital (die Möglichkeiten, die durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe entstehen) und kulturelles Kapital (zum Beispiel die produktiven Kräfte unserer Bildung) als ebenso wichtige Anlagen. In diesem Kapitel diskutieren wir die meiner Meinung nach wichtigsten finanziellen und nicht-finanziellen Anlagegüter, in die es sich zu investieren lohnt. Es wird begründet, warum Selbstwissen eines der wichtigsten Anlagegüter der Zukunft sein wird. In diesem Kapitel werde ich die Notwendigkeit dieser Fähigkeit im Zusammenhang mit dem Übergang vom bisherigen Drei-Phasen-Leben (Ausbildung, Erwerbsleben, Ruhestand) zum zukünftigen Mehr-Phasen-Leben hervorheben.

Mindset-Baustein »Krisenbewusste Gelassenheit«: Wir leben, wie eingangs erwähnt, in Krisenzeiten. Die Gefahr eines einseitigen Fokus auf die Tücken der Krisen jedoch ist, dass wir ein »Knappheits-Mindset« entwickeln. Zum Beispiel entdecken wir in Zeiten von hoher Inflation schnell den höheren Preis von Butter; wir überlegen, wie wir Gas und Elektrizität sparen können; wir haben ein Auge auf die Währungskurse, um zu erahnen, welchen Einfluss der Dollar-Kurs auf unseren Urlaub haben könnte. Dieses »Knappheits-Mindset« kann hilfreich sein, um die damit verbundenen konkreten Probleme zu bewältigen. Aber es lässt uns ein größeres Phänomen missachten: Wir werden älter und wir leben länger gesund. Es ist unvermeidlich, dass wir Krisen erleben werden. Aber die Frage ist, wie wir auf Krisen reagieren. Werfen uns diese Krisen aus der Bahn? Oder sind wir darauf vorbereitet? Können wir sie gar nutzen, um uns besser auf die nächsten fünf bis zehn Jahre vorzubereiten? Wir gehen in diesem Kapitel zurück bis zur Antike – zur Philosophie der Stoiker. Wir werden sehen, dass diese Lebensphilosophie diverse Gemeinsamkeiten mit einigen Grundannahmen aus den Verhaltenswissenschaften und der kognitiven Verhaltenstherapie hat. Und wir betrachten drei Techniken der Stoiker, die uns helfen, besser auf Krisen zu reagieren und auf das zu achten, was wir kontrollieren können.

Dieses Buch hat einen klaren Fokus. Hier wird es keine Investitionstipps geben – außer ein paar sehr einfachen Faustregeln. Hier werden Sie nicht über die verschiedenen Varianten der Riester-Rente aufgeklärt. Dieses Buch konkurriert nicht mit den sehr gut recherchierten Ergebnissen und Analysen der Stiftung Warentest, des Verbraucherschutzes oder der Internetseite »Finanztip«. In diesem Buch diskutiere ich Finanztipps auf eine Art und Weise, die berücksichtigt, wie unser Gehirn funktioniert. Ich hoffe, Ihnen mit diesem Buch zu helfen, unter Berücksichtigung Ihrer intrinsischen Motivationen die richtigen finanziellen Produkte und Gewohnheiten für Ihre Lebenssituation und Lebensplanung zu finden. Und ich biete Faustregeln, die Ihnen nahelegen, was im Großen und Ganzen richtig oder »gut genug« ist.

Vielleicht motiviert das Buch Sie dazu, mehr über das Investieren und Sparen zu lernen. Vielleicht interessieren Sie sich fortan für die Entwicklung an den Börsen oder neue Anlagestrategien. Das kann nicht schaden. Aber bedenken Sie, dass die besten finanziellen Entscheidungen die sind, die einmal getroffen und dann für lange Zeit vergessen werden. Mit anderen Worten: Haben Sie auch den Mut zur Lücke und akzeptieren Sie eine Lösung, die »gut genug« ist. Finanzplanung kann schnell zu einer Obsession werden – das Bessere der Feind des Guten. Die Zukunft ist zu ungewiss, als dass es den perfekten Finanzplan für die Zukunft geben könnte.

»Aufmerksamkeit richten auf« übersetzt man ins Englische mit »to pay attention to«. Dass man Aufmerksamkeit zahlt, ist sehr passend. Diese Formulierung betont, dass Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist, mit dem wir bewusst wirtschaften müssen. Wir können uns schlecht mit unserem Partner unterhalten und dabei WhatsApp-Nachrichten lesen. Wir können nicht für die Kinder da sein und gleichzeitig eine E-Mail beantworten. Wir können kein Musikalbum genießen und gleichzeitig mit Freunden telefonieren. Aufmerksamkeit auf eine Sache zu richten, bedeutet, etwas anderes zu ignorieren.

Die hier vorgestellten zehn Bausteine für finanzielles Wohlbefinden haben das Ziel, Ihnen zu helfen, Aufmerksamkeit zu »zahlen« für die Dinge, Aktivitäten und Erlebnisse, die Ihnen heute und in Zukunft Freude machen und die Ihnen Lebenssinn geben. Sodass Sie all diese Dinge heute – und in der Zukunft – mit den Ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln auch bezahlen können.

1. MONEY-BAUSTEIN »EINKOMMEN«

Im Jahr 1960 wurde Uwe Seeler zu Deutschlands erstem »Fußballer des Jahres« gekürt. Im selben Jahr wurde der Mittelstürmer Deutscher Meister mit dem Hamburger Sportverein. Auch in den folgenden Jahren holte er noch viele weitere Titel für seinen HSV.

Es hätte aber auch anders kommen können: Denn 1961 erhielt Seeler ein sehr attraktives Angebot von Italiens Spitzenverein Inter Mailand. Um den Klub für Seeler interessant zu machen, traf Startrainer Helenio Herrera den Hamburger in einem Zimmer des Hotel Atlantic und präsentierte ihm dort einen Koffer mit 1,2 Millionen D-Mark in Scheinen. Eine damals unverschämt und unvorstellbar ohe Summe.6 Seeler überlegte hin und her. Und die ganze Stadt fieberte mit ihm mit. Würde »Uns Uwe« in Hamburg bleiben? Oder würde man ihn fortan in Deutschland nur noch für die Nationalmannschaft spielen sehen und ansonsten auf internationaler Bühne verfolgen? Hamburg hoffte auf den Verbleib und freute sich auf Unterstützung des in der Öffentlichkeit bekannten Pastors und Theologen Helmut Thielicke, der Seeler in einem offenen Brief zum Verbleib in der Hansestadt aufrief. Am Ende jedoch schien der Rat des Vaters am schwersten zu wiegen. Dieser erinnerte Uwe Seeler daran, dass er es doch eigentlich sehr gut habe in Hamburg, und außerdem: »Mehr als ein Steak am Tag kann man nicht essen.«7

Und so verzichtete Uwe Seeler auf Mailand, eine internationale Karriere und mehr Geld. Er blieb in Hamburg, wo er es – wie er nach reiflicher Überlegung feststellte – doch »gut genug« hatte.

Im Juli 2022 starb Uwe Seeler in seiner Heimatstadt. Das »Hamburger Abendblatt« erinnerte in seinem Nachruf an die großen Erfolge des Publikumslieblings, seine Treue zum HSV im Besonderen und der Hansestadt im Allgemeinen.8 Man brauchte nicht groß zu erklären, warum »ihn sogar Kinder verehrten, die ihn niemals spielen sahen«. Er »verkörperte all das, was an Werten im Sport gepredigt wird«, schrieb »Der Spiegel«.9

Vielleicht kennen Sie auch jemanden, der behauptet, mit wenig Geld im Leben klarzukommen. Oder jemanden, der sagt, dass ihm Geld für den von ihm und seinem Haushalt angestrebten Lebensstil nicht so wichtig sei.

Vielleicht stimmt es sogar in dem individuellen Fall. Aber in der Regel stimmt es höchstwahrscheinlich nicht. Geld ist wichtig! Ohne Geld ist das Leben oft schwer.

Der israelische Verhaltenswissenschaftler und Nobelpreisträger Daniel Kahneman untersuchte mit seinem Kollegen Angus Deaton die Daten von beinahe einer halben Million Menschen. Die beiden stellten fest, dass Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden von Menschen mit mittlerem Einkommen signifikant höher sind als die von Menschen der unteren Einkommensstufen. Menschen auf unteren Stufen gaben an, mit ihrem Leben unzufriedener zu sein. Außerdem seien sie häufig traurig, müde oder gestresst und hätten andere psychische und/oder physische Schmerzen.

Was heißt eigentlich »unteres Einkommen« oder »mittleres Einkommen« in Deutschland? Laut Statistischem Bundesamt lag das Nettoeinkommen eines deutschen Haushalts im Jahr 2021 bei etwas über 43.000 Euro pro Jahr oder knapp über 3600 Euro pro Monat.10