Find me in the Storm - Kira Mohn - E-Book

Find me in the Storm E-Book

Kira Mohn

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Beschreibung

Das Finale einer einzigartigen Romance-Trilogie über drei junge Frauen, einen Leuchtturm und die große Liebe Eigentlich ist Airin die Ausgeglichenheit in Person. Doch der neueste Gast in ihrem Bed&Breakfast an der irischen Westküste bringt sie ganz schön aus der Ruhe. Joshua Hayes ist ein umschwärmter TV-Star, und auch Airin fühlt sich schnell zu ihm hingezogen. Dabei passt er so gar nicht in ihr Leben, das gerade durch einen erbitterten Familienstreit schon kompliziert genug ist. Es wäre völlig unvernünftig, für diesen ebenso undurchsichtigen wie charmanten Mann Gefühle zu entwickeln. Und nahezu hirnverbrannt, auf die ungewöhnliche Wette einzugehen, die Josh ihr vorschlägt …

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Kira Mohn

Find me in the Storm

Roman

Über dieses Buch

Das Finale einer einzigartigen Romance-Trilogie über drei junge Frauen, einen Leuchtturm und die große Liebe

 

Eigentlich ist Airin die Ausgeglichenheit in Person. Doch der neueste Gast in ihrem Bed & Breakfast an der irischen Westküste bringt sie ganz schön aus der Ruhe. Joshua Hayes ist ein umschwärmter TV-Star, und auch Airin fühlt sich schnell zu ihm hingezogen. Dabei passt er so gar nicht in ihr Leben, das gerade durch einen erbitterten Familienstreit schon kompliziert genug ist. Es wäre völlig unvernünftig, für diesen ebenso undurchsichtigen wie charmanten Mann Gefühle zu entwickeln. Und nahezu hirnverbrannt, auf die ungewöhnliche Wette einzugehen, die Josh ihr vorschlägt …

Vita

Kira Mohn hat schon die unterschiedlichsten Dinge in ihrem Leben getan. Sie gründete eine Musikfachzeitschrift, studierte Pädagogik, lebte eine Zeitlang in New York, veröffentlichte Bücher in Eigenregie unter dem Namen Kira Minttu und hob zusammen mit vier Freundinnen das Autoren-Label Ink Rebels aus der Taufe. Heute wohnt sie mit ihrer Familie in München. Die Romantik darf in ihren Geschichten nicht zu kurz kommen, aber vor allem ist es ihr wichtig, Figuren zu erschaffen, die sich echt anfühlen. «Find me in the Storm» ist der finale Band ihrer Leuchtturm-Trilogie. Kira ist auf Facebook und Instagram aktiv und tauscht sich dort gern mit Lesern aus.

Für Jens

Meinen Mann, meinen Freund, meinen Begleiter

777

1

«Hör auf, mir zu erzählen, was ich zu tun und zu lassen habe! Du scheinst zu vergessen, mit wem du gerade sprichst!»

Das Letzte, das ich von meiner Mutter sehe, bevor sie mir die Tür vor der Nase zuschlägt, sind ihre funkensprühenden Augen. Sekundenlang scheint der Knall im gesamten Haus nachzuhallen, jedes Geräusch aus den anderen drei Zimmern im ersten Stockwerk ist verstummt. Im ersten Moment hebe ich die Hand, um noch einmal zu klopfen, dann atme ich resigniert aus.

Ach, Mum. Das ist mittlerweile doch wirklich kein Zustand mehr.

Seufzend wende ich mich von der Zimmertür meiner Mutter ab, um nach unten in die Küche zu gehen. Dort stapelt sich Geschirr, die Spülmaschine muss ausgeräumt und neu eingeräumt werden, die Einkäufe von heute Nachmittag liegen zum großen Teil noch unverstaut in ihren Tüten, und ich muss die vier Tische, die im Esszimmer vor der langen Fensterfront stehen, für das Frühstück morgen vorbereiten. Ganz abgesehen davon, dass die Treppe dringend mal wieder gewischt werden müsste, wie ich auf meinem Weg hinunter feststelle. Das erledige ich gleich mit, wenn ich nachher noch den Küchenboden und die Diele putze. Nachher. So gegen zehn, schätze ich. Jetzt ist es Viertel vor sechs, und als Allererstes muss ich bei der Wäscherei anrufen und nachfragen, wo die frischen Laken bleiben, die sie mir schon gestern hätten vorbeibringen sollen. Das wollte ich schon den ganzen Tag tun, doch ständig kam etwas dazwischen. Die blöde Wäsche ist das Einzige, das ich andere erledigen lasse, und entweder ich übernehme das demnächst wieder selbst, oder Charlie schickt mir meine Bettwäsche gefälligst zuverlässig zu den abgesprochenen Zeiten vorbei.

Bei dem Gedanken an eine ununterbrochen arbeitende Waschmaschine hoffe ich stark, Charlie möge sich einsichtig zeigen. Die beiden jungen Französinnen, die den Kerry Way entlangwandern und für vier Tage bei mir Zwischenstation gemacht haben, ziehen morgen weiter. Am Samstag muss ich auch die anderen beiden Zimmer neu beziehen, und ich habe dafür dann nur noch eine Garnitur – und die wird garantiert meine Mutter für sich beanspruchen. Im Gegensatz zu meinen Gästen hat sie auch keinerlei Hemmungen, in den Hauswirtschaftsraum neben der Küche zu gehen und sie sich selbst zu nehmen.

Während ich die Spülmaschine anstarre, massiere ich mir die Stirn. Was wollte ich noch gleich als Nächstes tun? Die Maschine ausräumen?

Ich habe die Klappe schon aufgerissen, da fällt es mir wieder ein: Nein, verflucht, ich wollte Charlie anrufen! Bevor der um sechs nur noch den Anrufbeantworter rangehen lässt.

Zehn Minuten später hat Charlie mir versprochen, seinen Sohn Aidan morgen früh als Allererstes bei mir vorbeizuschicken. Und er hat sich hundertmal dafür entschuldigt, dass der schusselige Aidan mich mal wieder vergessen hat. Kein Wunder, Aidan braucht vermutlich jede verfügbare Gehirnzelle, um sich zu überlegen, wie er Siobhan ansprechen soll, so oft, wie er bei ihr im Laden zwischen den Regalen herumlungert. Von Siobhan selbst weiß ich, dass sie ihn sogar ganz niedlich findet, nur dass er nicht die Zähne auseinanderkriegt, stört den Erstkontakt doch empfindlich.

Einen Teil der Gläser aus der Maschine trage ich direkt ins Esszimmer, um sie auf die Tische zu stellen, und wo ich schon mal hier bin, ziehe ich die Vorhänge zu, wische mit dem Tuch, das ich mir über die Schulter geworfen habe, halbherzig über die breite Fensterbank und mache mir eine gedankliche Notiz, dass die Pflanzen, die dort stehen, dringend gegossen werden müssen.

All die Dinge, die noch zu erledigen sind, bevor ich mich in meinem Dachzimmer endlich ins Bett werfen darf, lenken mich dankenswerterweise von der Diskussion mit meiner Mutter ab.

Aktuell hasst sie ihr Zimmer.

Das Fenster zeigt nicht in den Garten, sondern zur Straße hinaus, die Matratze ist für ihren Rücken zu weich, über den dicken Teppich, der ursprünglich auf den Holzbohlen vor dem Bett lag, ist sie mehrere Male gestolpert, sodass ich ihn vor einigen Tagen endgültig hinausgetragen habe. Jetzt allerdings ist ihr der Boden zu kalt, und sie verlangt nach einem ähnlichen Teppichmodell, wie sie es von früher aus ihrem alten Schlafzimmer gewohnt ist. Ich habe ihr versprochen, einen solchen zu besorgen – ich bin nur noch nicht dazu gekommen –, allerdings mache ich mir keinerlei Illusionen: Auch ein neuer Teppich wird sie nicht damit versöhnen, wieder hier in Castledunns zu sein. Dass meine ältere Schwester Susannah und ich ihr ehemaliges Schlafzimmer vor zwei Jahren mittels eines Durchbruchs zu einem größeren Bad ausgebaut haben und nichts mehr so ist wie früher, macht die Sache nur noch schlimmer.

Seit sie vor einigen Wochen völlig überraschend zurück ins Seawinds gezogen ist, scheint ihre einzige Beschäftigung darin zu bestehen, mich in den Wahnsinn zu treiben.

Nachdem mein Vater sie verließ – nachdem er uns verließ –, hatte sie genug von dem B&B und genug von Castledunns. Susannah und ihr Freund Callan nahmen sie bei sich auf, und ursprünglich wollte meine Mutter niemals zurückkehren. Wäre sie vermutlich auch nicht, hätte Callan sie nicht vor kurzem quasi vor die Tür gesetzt. Ich weiß schon, warum ich mit dem Freund meiner Schwester nie richtig warm geworden bin, und auch Susannahs Verhalten kann ich in diesem Punkt nicht wirklich nachvollziehen.

«Airin!» Die Stimme meiner Mutter schallt von oben herunter.

Meine Güte! Was kann sie denn jetzt wieder wollen? Ich habe gerade erst damit begonnen, das schmutzige Geschirr in die Maschine einzusortieren. Und warum um alles in der Welt muss sie dafür durch das ganze Haus brüllen? Entnervt stelle ich den Topf, den ich in der Hand halte, auf die Arbeitsplatte zurück.

«Airin!»

«Ja, verdammt.» Ich nehme zwei Stufen auf einmal, um einem dritten Ruf zuvorzukommen, und reiße ihre Zimmertür auf. «Was ist denn?»

«Würdest du bitte den Wasserkrug auffüllen?»

Sie liegt bereits im Bett, die Decke fast bis ans Kinn gezogen, obwohl es nicht einmal sieben ist.

«Du könntest das auch selbst tun, weißt du?», sage ich so freundlich, wie es mir möglich ist. «Das Badezimmer ist direkt gegenüber.»

«Ist es denn zu viel von dir verlangt, diesen Krug zu füllen? Muss ich hier um jeden Gefallen betteln? Du weißt genau, wie schwer ich von dieser weichen Matratze hochkomme, aber gut, wenn du wichtigere Dinge zu tun hast …» Mit einer kräftigen Handbewegung schlägt sie die Decke zurück, richtet sich umständlich auf und macht Anstalten, aus dem Bett zu steigen. Das sah jetzt nicht weiter schwer aus, aber ich werde mich hüten, das zu erwähnen.

«Schon gut, vergiss es.» Ich greife nach dem Krug, der neben einem Glas auf dem Nachttisch steht. Sie würde weiterzetern, bis sie ihn im Bad gefüllt hat und damit zurück in ihr Zimmer gegangen ist, und es wäre ihr völlig egal, dass die Gäste hinter den drei anderen Zimmertüren, die zum Flur abgehen, sie hören könnten. «Nur bitte schrei nicht durchs ganze Haus, wenn du irgendetwas brauchst. Wenn dir das Aufstehen so schwerfällt, dann ruf mich einfach an.»

«Ich soll dich anrufen, obwohl du unten in der Küche bist?»

«Entweder das – oder du kommst runter.»

«Ich telefoniere doch nicht in meinem eigenen Haus mit meiner eigenen Tochter, nur weil ich Durst habe!»

Noch immer sitzt sie auf der Bettkante, ihre Füße in den dicken Wollsocken berühren gerade den Boden, und ich kann die blasse Haut ihrer Beine unter dem Nachthemd sehen.

«Hör zu», erkläre ich mühsam beherrscht. «Es geht dir nicht gut, ich weiß das, aber alles hat seine Grenzen. Du hast drei Möglichkeiten: Entweder du kommst zu mir, oder du rufst mich an, oder aber du wartest, bis ich bei dir vorbeischaue, und sagst mir dann, was du brauchst.» Mit dem Krug in der Hand gehe ich zur Zimmertür. «Eigentlich hast du sogar vier Möglichkeiten, denn vielleicht ist es dir ja doch hin und wieder möglich, dich selbst um so was zu kümmern.»

Im Badezimmer lasse ich das Wasser eine Weile laufen, bevor ich den Krug darunterhalte, damit es auch wirklich kalt ist und sie nicht gleich etwas Neues hat, worüber sie sich beschweren kann. Herrgott, meine Mutter ist noch keine sechzig, verhält sich aber wahlweise wie eine bettlägerige Greisin oder wie ein trotziges Kleinkind. Ich liebe sie, ich liebe sie wirklich, und ich weiß, dass sie verletzt und frustriert ist, aber warum zum Teufel lässt sie das ständig an mir aus? Keine Ahnung, wie lange ich das noch aushalte – das muss anders werden. Es muss! Nur wie?

Mum hat die Bettdecke wieder über sich gebreitet, als ich in ihr Zimmer zurückkehre, und sieht mich nicht einmal an, während ich den Krug auf den Nachtschrank stelle.

Erst als ich bereits bei der Zimmertür angekommen bin, erklingt ihre Stimme in meinem Rücken: «Würdest du mir bitte noch ein Glas Wasser einschenken?»

Mit zusammengebissenen Zähnen durchquere ich das Zimmer erneut und fülle das Glas auf.

«Gute Nacht», sage ich, bevor ich mich abermals zum Gehen wende. Sie antwortet nicht, aber ich habe auch nichts anderes erwartet. Mit offenen Augen liegt sie da und starrt an die Decke. Es ist mir ein Rätsel, wie es ihr gelingt, um diese Uhrzeit in dem taghellen Zimmer einzuschlafen. Vielleicht tut sie das ja gar nicht. Vielleicht liegt sie jetzt stundenlang bewegungslos im Bett und denkt über das nach, was Susannah ihr angetan hat. Bisher ist noch kein einziger Tag vergangen, an dem sie nicht mindestens einmal erwähnt hätte, wie enttäuscht sie von Susannah ist. Sie erzählt das leider auch den Gästen, wenn sie ihnen zufällig über den Weg läuft: Ihre eigene Tochter hat sie vor die Tür gesetzt! Können Sie sich das vorstellen? Was sagen Sie dazu?

Gestern sind Mrs. Brennan und ihr Mann quasi auf Zehenspitzen zur Treppe gehuscht, die hinunter ins Erdgeschoss führt. Ich kam gerade aus dem Bad, wo ich frische Handtücher bereitgelegt hatte, und Mrs. Brennan zuckte sichtbar zusammen, bevor sie verlegen lächelte. Beim Frühstück heute Morgen hat sie mir eine Hand auf den Arm gelegt und mir erklärt, wie bewundernswert sie es fände, dass ich mich so rührend um meine Mutter kümmere.

Rührend.

Zwischen meiner Mutter und mir läuft es derzeit alles andere als rührend ab. Jahrzehntelang hat sie zusammen mit meinem Vater das Seawinds geführt, sie weiß genau, dass ihr Verhalten die Gäste verschreckt, es scheint ihr nur völlig egal zu sein. Wüsste ich nicht, dass sie oft weint, hielte mich mittlerweile kaum mehr etwas davon ab, Klartext mit ihr zu reden. Aber ich möchte am liebsten mitheulen, wenn ich sehe, wie sie sich um einen kühlen Ausdruck in ihrem Gesicht bemüht, auf dem die Tränenspuren noch deutlich zu erkennen sind.

In der Küche räume ich die Spülmaschine fertig ein und setze sie auch gleich in Gang. Danach wische ich die Böden und die Treppe zum ersten Stock, decke die Tische für morgen früh fertig, gieße die Zimmerpflanzen, überprüfe meine Mails und kümmere mich um die Rechnung für die beiden Französinnen.

Es ist fast zehn, als endlich alles erledigt ist, und ich fühle mich, als sei es kurz vor Mitternacht. Früher war ich um diese Uhrzeit nie so erschöpft, doch die ständigen Diskussionen mit meiner Mutter machen mich fertig. Müde steige ich die Treppen bis zu meinem Zimmer unter dem Dach hinauf. Gleich nach ihrer Ankunft habe ich es meiner Mutter angeboten. Sie hätte mehr Ruhe und ein eigenes Bad, doch sie lehnte entrüstet ab. Die schmale Stiege zum Dachgeschoss sei lebensgefährlich. Ich habe mir jede Bemerkung darüber verkniffen, dass sie durchaus in der Lage sei, schnell genug die Treppe hinunterzurennen, wenn es darum geht, einen erschrockenen Gast aufzufordern, die Haustür leiser zu schließen.

Vor dem Spiegel im Bad binde ich meine kringeligen Locken zurück. Die Haare meiner Mutter waren früher genauso rot wie meine, damals, als sie noch lächeln konnte und mit ihrer guten Laune jeden noch so griesgrämigen Gast aufzuheitern vermochte. Mittlerweile werden ihre Haare langsam grau – mit jedem Tag scheinen sie sich mehr ihrer Stimmung anpassen zu wollen.

Erst mein Vater und nun auch noch Susannah.

Es ist nicht so, dass ich meine Mutter nicht verstehen könnte, ich verstehe sie sogar sehr gut – es ändert nur nichts daran, dass fast jeder Tag mit ihr verdammt anstrengend ist.

Wie zum Teufel soll das weitergehen, Mum?

* * *

Der nächste Tag wartet mit einer Überraschung auf.

Es ist nicht Aidan, der mir endlich meine Bettwäsche vorbeibringt, und es sind auch nicht die beiden Französinnen, die trotz meiner Mutter unmittelbar nach ihrer Abreise eine euphorische Online-Bewertung für das Seawinds abgeben.

Es ist eine Mail, die ich am späten Nachmittag auf dem Sofa lese, und sie betrifft eine Buchung, die bereits vor Monaten von irgendeiner Agentur für einen James Murphy durchgeführt wurde. Es wird darin noch einmal um eine Bestätigung gebeten – so weit, so normal –, doch das ist noch nicht alles.

Bitte nehmen Sie freundlich zur Kenntnis, dass es sich bei Ihrem Gast um Joshua Hayes handelt, der sich einen ruhigen und entspannten Urlaub abseits des Medieninteresses bei Ihnen verspricht.

Abseits des Medieninteresses? Was soll das denn bedeuten? Klingt so, als handele es sich bei diesem Joshua Hayes um irgendeinen B-Promi.

Wenn mir die Agentur damit zwischen den Zeilen nahelegen will, nicht alle großen Fernsehsender darüber zu informieren, dass ein ominöser Mr. Hayes demnächst hier übernachten wird, ist das kein Problem, allerdings dürfte sich kaum verhindern lassen, dass es sich in Castledunns herumspricht. Es sei denn, Joshua Hayes hat vor, nur im Trenchcoat und mit angeklebtem Bart vor die Tür zu gehen. Nach Mitternacht. Und selbst dann hat er vermutlich keine Chance.

Neugierig lese ich weiter:

Falls Sie außerdem Folgendes möglich machen könnten, wäre dies außerordentlich erfreulich:

• Bettwäsche ohne Reißverschluss

• Keine Daunenfedern

• Ein zusätzliches Kissen

• Frühstück bis elf

Die Liste geht noch eine Weile weiter und endet mit:

• Jederzeit Zugang zu frischem Obst (Ananas, Mango, Passionsfrucht, Papaya, Feigen)

Passionsfrucht und Feigen? Siobhan, der zusammen mit ihrer Mutter Órla der Lebensmittelladen in Castledunns gehört, kriegt einen Lachkrampf, wenn ich sie danach frage. Wer um alles in der Welt ist denn dieser offenbar außerordentlich wichtige Joshua Hayes? Irgendetwas klingelt ganz schwach in mir, aber ich komme nicht darauf. Die Agentur dieses Kerls geht zumindest ganz offensichtlich davon aus, dass ich ihn kenne.

Ein paar Mausklicks später bin ich schlauer: Joshua Hayes, Model, Schauspieler und Moderator, wobei sich seine Rollen als Schauspieler auf kleinere Produktionen beschränken, während sich die Liste der von ihm moderierten TV-Shows etwas beeindruckender liest. Perfect Match ist dabei, eine recht bekannte Kuppelshow, und aktuell präsentiert er Anything for love. Von der habe ich auch schon gehört. Wenn ich mich richtig erinnere, muss man darin beweisen, wie gut man seinen Partner kennt.

Ist ja wirklich eine immens wichtige Person, dieser Joshua Hayes. Rechtfertigt absolut täglich frischservierte Papaya.

Auf den zahlreich vorhandenen Bildern blickt mir ein attraktiver Mann mit schwarzem Haar und tiefblauen Augen entgegen. Angesichts seines hellen Hauttons wirken seine Haare fast ein bisschen zu schwarz und die Augen zu blau – genau genommen scheint der ganze Mann zu gut aussehend, um echt zu sein. Aber unter den Fotos sind auch ein paar Paparazzi-Schnappschüsse, und an seinem Aussehen ist anscheinend gar nichts fake.

Ich fürchte, auf deinen exotischen Obstkorb musst du trotzdem verzichten, Joshua Hayes, und ich hoffe sehr, du stellst dich deshalb nicht genauso an wie aktuell meine Mutter wegen ihres Zimmers.

Ich habe mich schon wieder halb vom Sofa erhoben, da überlege ich es mir anders, lasse mich noch einmal zurückfallen und rufe YouTube auf. Anything for love – es gibt jede Menge Videos dazu. Wahllos klicke ich das erste davon an. Das Publikum klatscht noch, während Joshua Hayes, umrahmt von einem Paar, offenbar gerade eine Aufgabe erklärt.

«Wer kennt es nicht, das Märchen vom Aschenputtel?» Ein charmantes Lächeln für die Frau zu seiner Linken und ein breites Grinsen für den Typen zu seiner Rechten. «Brandon, du kennst es sicher, oder?»

Brandon nickt. «Klar.»

«Mara?» Joshua hat sich zu der jungen Frau gedreht.

«Ja, kenn ich auch.»

«Das ist gut, denn Sie beiden dürfen jetzt die entscheidende Schlüsselszene nachspielen: Der Prinz enttarnt seine Liebste unter der Zuhilfenahme eines Schuhs! Wir allerdings drehen das Ganze etwas um – Brandon, würdest du bitte deinen rechten Schuh ausziehen?»

«Ach, ich?» Brandon zieht eine Grimasse, entledigt sich jedoch bereitwillig seines Schuhs.

«Den Socken bitte noch anbehalten – wir wollen ja nicht, dass Mara die Gelegenheit bekommt, sich jetzt noch irgendwelche auffälligen Muttermale zu merken – und dann folge Grace, sie wird dir einen Platz hinter dieser Wand zuweisen, wo», an dieser Stelle wendet er sich mit einem leichten Augenzwinkern der zierlichen Mara zu, «neun weitere gutaussehende Männer bereits ungeduldig mit nacktem Fuß warten. Was hältst du denn von Männerfüßen?»

Mara schüttelt bei dieser Frage im ersten Moment überrascht den Kopf. «Na ja …» Sie räuspert sich. «Ich glaube, die sind mir eigentlich ziemlich egal.»

«Wirklich?» Joshua scheint schockiert. «Du weißt aber schon, dass wir Männer extrem sensibel sind, was unsere Füße betrifft?»

«Echt?» Ganz kurz sieht sie verunsichert aus. «Nein, das wusste ich nicht.»

Ungläubig zieht Joshua Hayes eine Augenbraue in die Höhe. «Dann lernst du in dieser Sendung jetzt etwas wirklich Essenzielles: Für die meisten Männer sind die Füße das mit Abstand erogenste Körperteil.»

«Ich dachte …»

«Nein! Nein, ich ahne, was du dachtest, aber das stimmt nicht. Im Gegensatz zu Frauenfüßen besitzen Männerfüße ungefähr eins Komma fünfmal so viele Nervenzellen, vermutlich weil Männer früher während der Jagd ja besonders leise auftreten mussten, und deshalb …», er nickt Mara beschwörend zu, «können die meisten Männer auch nur über die Stimulierung ihrer Füße zum Orgasmus kommen.»

Joshua Hayes erzählt diesen Unsinn im Brustton der Überzeugung, und leider nimmt Mara das ganze Gerede offenbar für bare Münze.

«Das war mir nicht klar», erklärt sie ernsthaft, «also, wenn ich das gewusst hätte …»

«Gut, dass ich dich darüber aufgeklärt habe, denn so weißt du hoffentlich angemessen zu würdigen, dass dir genau jetzt», in der dramatischen Pause, die Joshua an dieser Stelle einlegt, strecken sich durch die Klappen des Paravents, hinter dem Brandon verschwunden ist, eine Reihe Füße hervor, «zehn Männer ihre erogensten Körperteile anvertrauen. Ein bewegender Augenblick, oder, Mara?»

Mara kichert.

Himmel, Mara, echt jetzt?

«Du hast nun die Qual der Wahl – welcher dieser Füße gehört Brandon? Du hast drei Minuten, um das herauszufinden. Wenn du es schaffst, erhaltet ihr weitere fünfundzwanzig Punkte – wenn nicht, könnte ich dir zumindest ein Date mit dem von dir gewählten Fußbesitzer arrangieren, wie wär’s?», erkundigt er sich interessiert, während Mara an den Füßen vorübergeht.

«Also, ich glaube, das würde Brandon nicht so gut gefallen.»

«Aber dir schon?»

«Na ja, kommt drauf an», lacht Mara, und ein Anflug von Mitleid überkommt mich, weil die Kamera in diesem Moment Brandons Gesichtsausdruck einfängt, der auf einem Bein dasteht, gestützt von der langmähnigen Assistentin Grace. Trotz der Tatsache, dass ihr halbnackter Oberkörper sich gegen seine Seite presst, blickt Brandon sekundenlang einigermaßen konsterniert drein, bevor er sich fängt und sein Grinsen wieder aufsetzt.

Mara ist unterdessen vor einem Fuß stehen geblieben. Zweifelnd beugt sie sich ein wenig vor.

«Nicht anfassen!», instruiert sie Joshua Hayes, der sie begleitet hat. «Nicht dass hier jemand zu erregt wird, du verstehst schon.»

«Wollte ich gar nicht!» Verlegen lachend verschränkt Mara die Arme vor der Brust. «Ich wollte gar nicht … ich bin nur froh, dass ich mir gerade keine anderen erogenen Körperteile angucken muss.»

«Mara!» Theatralisch reißt Joshua Hayes die Augen auf. «Was für Gedanken setzt du unseren Zuschauern da in den Kopf?»

«Oh Gott!» Mara verbirgt für einen Moment ihr Gesicht in den Händen, und das erheiterte Publikum lässt sich zu einem Zwischenbeifall hinreißen.

«Männer besitzen viele erogene Stellen.» Joshua Hayes wendet sich mit einer raumgreifenden Geste dem Saal zu. «Wir hätten uns auch für Ohren entscheiden können – Ohren sind nämlich das zweiterogenste Körperteil eines Mannes. Mara, wusstest du das?»

«Das hab ich mal irgendwo gelesen, ja», sagt Mara eifrig, die zwischenzeitlich ihre Aufgabe vergessen zu haben scheint, und nicht nur ich muss lachen. Die Arme. Wenn sie sich das irgendwann später mal anguckt, wird sie eventuell nicht so glücklich sein über das Bild, das sie in diesem Moment abgibt. Vermutlich setzt Scheinwerferhitze zusammen mit Publikumstarren vorübergehend Teile des Hirns außer Gefecht.

«Du hast übrigens noch siebenundvierzig Sekunden Zeit», stellt Joshua Hayes fest. «Ich will dich nicht drängen, aber die Herren könnten sich etwas vernachlässigt fühlen.»

«Okay, also, ich glaube …» Mara läuft noch einmal hektisch an der Wand entlang. «Ich glaube, es könnte dieser Fuß hier sein.»

«Dieser hier?»

«Ja.»

«Ganz sicher?»

«Ich … also … ja. Ich denk schon.»

«Woran erkennst du Brandons Fuß?»

«Also … also … es ist so ein Bauchgefühl.»

«Ah.» Joshua nickt lächelnd. «Ich höre da heraus, dass Brandon bisher gewisse Freuden verwehrt geblieben sind.»

«Das mit den Füßen hab ich ja auch echt nicht gewusst!», verteidigt Mara sich, und ich muss kurz verlegen die Augen schließen und leider trotzdem schon wieder lachen. Ihre Naivität ist schon ziemlich lustig, aber es ist auch irgendwie abscheulich, wie sie ausgenutzt wird. Ich weiß schon, warum ich so was nie gucke.

«Also dieser Fuß?»

«Ja.»

«Vielleicht doch noch mal kurz rüberfühlen?»

«Ähm … nein. Nein, lieber nicht», kichert Mara.

«Dann würde ich sagen – hier ist der Pantoffel.»

Mit einer galanten Verbeugung überreicht er Mara Brandons Sneaker, die daraufhin den Schuh umständlich über den nackten Fuß manövriert. Es ist nicht zu übersehen, dass sie sich bemüht, den Fuß nicht zu berühren, und sie wirkt ziemlich erleichtert, als sie endlich fertig ist.

«Scheint zu passen, oder?», ergreift Joshua Hayes wieder das Wort. «Wenn der Besitzer dieses stattlichen Männerfußes dann bitte zu uns auf die andere Seite kommen würde?»

Der Typ, der jetzt um die Ecke spaziert kommt, sieht mit seiner gebräunten Haut und dem längeren, dunkelblonden Haar aus wie ein Surfer.

Mara schlägt die Hände vor den Mund. «Oh nein!»

«Tja.» Joshua Hayes schüttelt den Kopf und schnalzt mit der Zunge, mit etwas gutem Willen könnte man es als mitleidige Geste interpretieren. «Das ist leider nicht Brandon.»

«Nein», bestätigt Mara und lacht. Ein bisschen klingt es wie ein Seufzen.

«Dann rufen wir jetzt mal Brandon her – oder soll ich vielleicht doch …?» Vielsagend nickt Joshua Hayes mit dem Kinn ich Richtung Surfertyp, und Mara, die mittlerweile ohnehin schon eine recht kräftige Gesichtsfarbe hat, wird noch ein wenig röter.

«Nein danke.»

Sekunden später steht sie neben ihrem Freund, und das Erste, das sie zu ihm sagt, ist: «Ich hab seinen Fuß nicht angefasst.»

An dieser Stelle endet das Video, und ich kippe samt Rechner lachend auf dem Sofa zur Seite. Meine Güte. Was für eine schreckliche Sendung.

Joshua Hayes allerdings verspricht ein interessanter Gast zu werden.

* * *

Am frühen Abend ruft einmal mehr Susannah an. Heute klingt sie wirklich mitleiderregend. Wie sooft verwandelt sich ihr aufgesetzter Optimismus innerhalb weniger Minuten in heulendes Elend, und genau deshalb lasse ich mich zu einem weiteren Versuch überreden, zwischen ihr und unserer Mutter zu vermitteln.

«Ich glaube aber nicht, dass ich Erfolg haben werde», warne ich meine große Schwester vor. «Sie wird jeden Tag anstrengender, Susannah. Inzwischen verlässt sie das Zimmer fast nur noch zum Essen und um ins Bad zu gehen.»

«Aber was tut sie denn den ganzen Tag?»

«Zeitschriften lesen. Kreuzworträtsel lösen. Aus dem Fenster starren. Sich über jedes Geräusch aufregen, das lauter ist als ein Mäusepups. Was weiß ich. Auf jeden Fall ist ihre Stimmung eher schlechter als besser geworden.»

«Bitte frag sie trotzdem, ob sie mit mir redet. Ich kann jederzeit vorbeikommen. Gestern habe ich noch einmal mit Callan gesprochen, und … es war ein so bescheuerter Fehler, Airin, ich hätte mich nie von ihm dazu drängen lassen dürfen. Es ging alles viel zu schnell, und die Dinge, die er gesagt hat … wenn ich gewusst hätte …»

«Susannah», unterbreche ich sie sanft. «Mir hast du das alles schon erzählt. Ich werde sehen, was ich tun kann, ja?»

«Sag ihr, ich komme sonst einfach vorbei.»

«Das hast du schon versucht», erinnere ich sie. «Hat ja auch nicht viel gebracht.»

An diesen Nachmittag erinnere ich mich ungern. Er endete damit, dass Susannah weinend in der Küche saß, nachdem sie eine knappe Stunde lang erfolglos versucht hatte, meine Mutter dazu zu bewegen, ihre Zimmertür aufzuschließen.

«Dann bleibe ich das nächste Mal halt so lange, bis wir das geklärt haben.»

Dann kann sie auch gleich wieder hier einziehen. Keine Ahnung, wo Susannah noch diese Zuversicht hernimmt, aber als ich, kurz nachdem wir uns voneinander verabschiedet haben, bei meiner Mutter klopfe, vermag ich sie nicht zu teilen.

Sie sitzt in dem weinroten Sessel neben dem Kleiderschrank, die Hände untätig im Schoß gefaltet, und bereits jetzt weiß ich, dass ich mir den Versuch genauso gut sparen könnte. Hätte ich es Susannah nicht versprochen, würde ich wohl allein aufgrund ihres griesgrämigen Gesichtsausdrucks einknicken. Mein Gott, sie hat sich so verändert.

«Hast du nicht Lust, nachher mit mir zum Strand zu gehen?», beginne ich. «Wer weiß, wie lange es noch so schön bleibt.»

Ihr angespanntes Gesicht wird weicher, und ich schöpfe Hoffnung. Würden wir zusammen am Meer entlanglaufen, ließe sich das Thema Susannah sehr viel einfacher anschneiden.

«Das ist eine nette Idee, Airin, aber mir ist im Moment nicht danach.»

«Ich bin sicher, deine Laune würde sich verbessern, wenn …»

«Ich habe nein gesagt, Airin.»

«Du gehst überhaupt nicht mehr vor die Tür.»

«Irgendwann werde ich das sicher wieder tun», entgegnet meine Mutter gleichmütig. «Und bis dahin wäre es schön, du würdest meine Entscheidung respektieren.»

Mit einem Seufzen ziehe ich mir den Stuhl heran, der vor dem Schreibtisch steht. «Ich respektiere sie ja. Aber ich sehe doch auch, dass es dir nicht gutgeht. Und ich kenne noch eine Person, die leidet.»

Das war zu schnell. Ich kann es daran erkennen, wie ihre Augenbrauen sich zusammenziehen und ihr Kinn sich hebt.

«Airin», beginnt sie warnend, doch nachdem ich Susannah nun bereits ins Spiel gebracht habe, wage ich einen weiteren Vorstoß.

«Es geht ihr wirklich schlecht mit der ganzen Sache. Sie ruft hier alle zwei, drei Tage an, sie hat dich jetzt so oft gebeten, mit ihr zu reden …»

«Ich habe deiner Schwester nichts zu sagen.»

«… und ich weiß, dass sie bereut, wie alles gelaufen ist – hör ihr doch wenigstens einmal zu.»

«Wieso sollte ich? Wieso bitte sollte ich das tun? Deine Schwester hat mich aus ihrer Wohnung geworfen. Sie hat mich vor die Tür gesetzt. Mehr brauche ich nicht zu wissen.»

«Es ist Callans Wohnung, nicht ihre. Und sie hat dich nicht rausgeworfen, sie hat nur versucht, eine Lösung dafür zu finden, dass Callan mit der Situation nicht mehr zurechtkam.»

«Mit welcher Situation? Bin ich eine Situation? Ein Problem? Deine Schwester hat mir von heute auf morgen erklärt, ich müsse leider ausziehen …»

«Das hat sie nicht!»

«… und sie hat nicht widersprochen, als ich mir von ihrem Freund anhören musste, seine Wohnung sollte nie ein verdammter Mehrgenerationenhaushalt werden!»

«Susannah hat …»

«Erzähl mir bitte nicht, was deine Schwester getan oder auch nicht getan hat, Airin! Du warst nicht dabei!»

«Sie wusste nicht, dass Callan dir eine Frist setzen würde.»

Meine Mutter richtet sich in ihrem Sessel so weit auf, wie es ihr möglich ist. «Deine Schwester hat mit Sicherheit gewusst, dass er mich rauswerfen würde – wieso sonst hätte sie nur schweigend danebengesessen? Überrascht war sie jedenfalls nicht. Sie hat sich damit hinter Callan gestellt, und es ist mir völlig egal, ob sie jetzt ein schlechtes Gewissen hat und Tag für Tag hier anruft.»

Es ist ihren Augen anzusehen, dass es ihr alles andere als egal ist. Sobald ich ihr Zimmer verlasse, wird sie nach der Box mit den Taschentüchern greifen. Warum ist sie nur so stur?

«Susannah ist von der Geschichte im Grunde genauso überrumpelt worden wie du. Sie hat sich deshalb sogar mit Callan gestritten.»

«Diese Geschichte, von der du da sprichst, trägt einen Namen, nämlich meinen. Und jetzt will ich nichts mehr darüber hören.»

2

Susannah begann schon wieder zu weinen, als ich ihr am Telefon vom Gespräch mit unserer Mutter berichtete. Sie tut mir so verdammt leid. Als sie sich damals trotz der Bedenken ihres Freundes Callan dafür entschied, Mum bei sich aufzunehmen, hätte sie bestimmt nie gedacht, dass es mal so weit kommt. Sie und ich hatten angenommen, es wäre nur eine Phase. Eine Pause, die Mum brauchte, um sich von Dad lösen zu können, der nach fast dreißig Jahren Ehe beschlossen hatte, sein Glück mit einer anderen Frau noch einmal neu aufzurollen. Wir dachten, sie würde schnell zurückkehren wollen. Doch wir hatten uns geirrt.

Gegen zwanzig vor neun, nach einer letzten Diskussion mit meiner Mutter darüber, ob ihr zuzumuten sei, am nächsten Tag zum Frühstück herunterzukommen, oder ob ich ihr ab sofort das Essen in ihrem Zimmer serviere, mache ich mich auf den Weg zum Brady’s. Wenn meine Mutter morgen nicht unten auftaucht, wird sie sich ihr Frühstück selbst machen müssen, sie igelt sich ohnehin schon viel zu sehr ein. Mit Essen auf dem Zimmer fangen wir gar nicht erst an.

Es ist ein milder Septemberabend, selbst der Wind, der vom Meer heranzieht, bringt mich nicht dazu, meine Jacke zu schließen. Brady’s Pub liegt direkt an der Küstenstraße, die Castledunns vom Meer trennt, und als ich dort ankomme, lehne ich mich noch für ein paar Minuten gegen die breite Mauer, die an der Straße entlangläuft. Dahinter fällt ein Grasstreifen sanft zum Strand hin ab, dünne Halme zittern zwischen flachen Felsen in der schwachen Brise. Dort, wo das Wasser aufs Land trifft, leuchtet die weiße Gischt im Mondlicht auf, und eine Weile verfolge ich gedankenverloren das sanfte Anbranden der Wellen, bevor ich mich endlich losreiße. Ich bin ohnehin schon spät dran.

Das Brady’s ist ziemlich gut gefüllt, wie ich feststelle, als ich den schweren Vorhang zurückschlage, der den winzigen Eingangsbereich des Pubs vom Inneren abtrennt, und das, obwohl das Publikum seit kurzem auf Kjer verzichten muss. Kjer ist ein Freund von mir und fest zusammen mit meiner besten Freundin Liv. Ganz nebenbei sieht er außerdem gut genug aus, um den Pub noch vor kurzem an jedem Donnerstag, wenn er für Livemusik sorgte, aus allen Nähten platzen zu lassen.

Okay, ich will nicht ungerecht sein, er singt auch wirklich gut, und es ist in vielerlei Hinsicht schade, dass er das zukünftig nur noch selten tun wird. Seit er wieder studiert, wohnt er in Dublin, weshalb er nur noch gelegentlich an den Wochenenden in Castledunns ist und dann meistens anderes zu tun hat, als sich um die Unterhaltung im Brady’s zu kümmern.

«Hi, Airin!» Seanna, auch eine Freundin von mir, die hier als Kellnerin arbeitet, eilt hinter dem Tresen hervor, um mich zu umarmen. «Schön, dich mal wieder zu sehen.»

Es ist fast zwei Wochen her, seit ich zum letzten Mal hier war, fällt mir auf – ich schiebe es auf die ständigen Streitereien mit meiner Mutter, dass ich neuerdings abends nur noch in mein Bett will.

«Hey.» Ich erwidere Seannas Umarmung.

Sie hat dunkelbraune, kurze Haare, ist ziemlich klein und eher zart, ein auffälliger Kontrast zur Größe und Statur ihres Freundes Niall, der das Brady’s vor kurzem übernommen hat. So wie zuvor Dean, der frühere Besitzer, arbeitet Niall hier jetzt als Barkeeper, seine dunklen Augen und sein sexy Grinsen gehören nach Kjers Abschied zu den Gründen, warum der weibliche Anteil im Brady’s immer noch höher ist als anderswo. Es ist zwar mittlerweile den meisten klar, dass Niall mit Seanna zusammen ist, doch das hindert viele Frauen nicht daran, ihn über den Tresen hinweg anzuflirten. Seanna ist deshalb mitunter ziemlich genervt, aber in der Regel zu cool, um das raushängen zu lassen. Außerdem hat Niall ohnehin nur Augen für sie.

«Liv sitzt hinten bei der Bühne», sagt sie jetzt und nickt in die entsprechende Richtung. «Sie hat für dich schon mitbestellt.»

«Alles klar, danke.» Ich will mich schon durchdrängeln, da fällt mir noch etwas anderes ein. «Seanna, hast du morgen oder übermorgen Zeit, mir einen Kuchen zu machen?»

Niemand kann besser backen als Seanna. Aktuell überlegt sie sogar, ob sie das vielleicht beruflich machen will, und wird deshalb im November bei einer Konditorei in Cahersiveen ein Praktikum beginnen. Ich wette, sie bringt denen noch was bei.

«Wenn es bis übermorgen Zeit hat, ist es kein Problem. Morgen wollen Niall und ich mit Emmy einen Schulranzen kaufen.»

«Jetzt schon? Ist das nicht ein bisschen früh?»

Emmy ist Nialls Tochter und vor kurzem fünf geworden. Sicher, sie kommt nächstes Jahr in die Schule, doch bis dahin sind es ja noch über elf Monate.

Seanna, die wieder hinter den Tresen gegangen ist und in der letzten Minute Cola in mehrere Gläser gefüllt und auf ihr Tablett gestellt hat, grinst mich an. «Klar, aber sie hat sich in den Kopf gesetzt, dass sie den Ranzen jetzt schon braucht, und du kennst doch Niall. Danach wollen wir noch irgendwo Eis essen gehen, es könnte also knapp werden mit dem Kuchen. Aber Samstag hast du ihn bestimmt.»

«Wunderbar, das reicht mir, danke. Ich brauche ihn frühestens am Nachmittag für die neuen Gäste, und wenn du es erst abends schaffst, biete ich ihn einfach am nächsten Tag zum Frühstück an.»

«Airin, hey!» Niall hat sich vom anderen Ende der Bar losgeeist. Er zieht mich kurz an sich, bevor er direkt wieder zur Zapfanlage tritt. «Dass du dich mal wieder blickenlässt!», ruft er mir über die Schulter hinweg zu.

«Ist viel los gerade», gebe ich zurück, winke noch einmal und mache mich auf den Weg zu Liv. Seanna ist ohnehin gerade mit ihrem Tablett in der Menge verschwunden.

Ich finde Liv zusammen mit Madison und ihrem Freund Henry an einem Tisch an der Wand, wo sie sich mitten im Satz unterbricht, als sie mich entdeckt.

«Airin, na endlich! Sagtest du nicht, du schaffst es bis halb neun?» Sie erhebt sich, um mich in den Arm zu nehmen. «Ich habe dir etwas voreilig ein Guinness bestellt, das steht jetzt leider schon etwas länger.»

«Nicht schlimm», winke ich ab. «Hallo, Madison, hi, Henry.»

Es ist schön, die beiden auch mal wieder zu sehen. Maddy kenne ich schon ewig – wir saßen in der Schule nebeneinander –, aber obwohl sie und Henry in Castledunns leben, tauchen sie immer seltener im Brady’s auf. Maddy hat vor einiger Zeit erwähnt, Henry sei abends einfach oft zu müde, und ohne ihn wolle sie nicht ausgehen.

Henry nickt mir über den Tisch hinweg zu. «Airin. Wie läuft’s bei dir?»

«Du siehst gestresst aus», wirft Liv ein, bevor ich Henrys Frage beantworten kann. «Gäste oder deine Mutter?»

«Meine Mutter», erwidere ich und ziehe das Bier zu mir, während ich mich neben sie auf einen Stuhl sinken lasse. «Ich weiß so langsam wirklich nicht mehr, was ich noch tun soll.»

«Ist sie immer noch so unzufrieden mit allem?», fragt Liv mitfühlend.

«Ja, und ich habe das Gefühl, es wird immer schlimmer. Sie ist die ganze Zeit über wütend – und wenn sie mal nicht wütend ist, guckt sie lethargisch an die Zimmerdecke.»

«Ach, Airin, das hört sich anstrengend an», sagt Madison.

«Ist es auch.» Ich lehne mich seufzend auf meinem Stuhl zurück. «Hattest du bei Seanna auch was zum Essen bestellt, Liv?»

«Nein, noch nicht. Zum Glück, sonst wäre jetzt alles kalt.»

«Ich mach das auf dem Weg nach draußen», erklärt Henry und steht auf.

«Willst du etwa schon wieder gehen?» Madison sieht nicht besonders erfreut aus.

«Ich habe dir gesagt, dass ich nicht lang bleibe – morgen muss ich früh raus. Was darf ich euch bestellen?»

Liv wirft mir einen fragenden Blick zu. «Spezial-Stew?»

Ich nicke.

«Madison, und du?»

«Ich habe mir vorhin nach der Arbeit mit einer Kollegin eine Pizza geteilt, danke. Aber ein zweites Guinness wäre schön – es ist wirklich schade, dass du jetzt schon verschwindest.» Madison hebt den Kopf, als Henry sich zu ihr hinunterbeugt, um sie zu küssen. Der Größenunterschied zwischen der schmalen, sommersprossigen Madison mit dem scharfgeschnittenen dunklen Bob und Henry, einem hünenhaften Kerl mit raspelkurzen, hellbraunen Haaren ist sogar noch auffälliger als der zwischen Seanna und Niall.

«Sorry – am Wochenende hab ich Zeit, okay?»

«Das sagst du immer», seufzt Madison, küsst ihn aber trotzdem noch einmal.

«Wie geht’s Kjer?», frage ich Liv, nachdem wir uns von Henry verabschiedet haben.

«Dem geht’s gut. Er und seine beiden Mitbewohner suchen allerdings einen neuen Mieter für das vierte Zimmer – genauer gesagt eine Mieterin.»

«Was ist mit dem Typen, der vorher dort gewohnt hat?»

«Der hat beschlossen, dass er doch nicht studieren, sondern lieber in die Firma seines Vaters einsteigen will. Ohne Umwege in die Chefetage. Muss praktisch sein, wenn man im Leben alles auf dem Silbertablett serviert bekommt.»

Madison lehnt sich vor. «Und warum muss es jetzt eine Frau sein, die das freie Zimmer kriegt?»

«Weil Kjers Mitbewohner Olly und Adam plötzlich der Meinung sind, mit Frauen sei alles unkomplizierter.» Liv verdreht die Augen. «Natürlich liegt es nicht daran, dass jetzt auch Adam seit ein paar Wochen wieder Single ist.» Etwas ernster fügt sie hinzu: «Mir gefällt der Gedanke nicht, dass da morgens eine fremde Frau in der Dusche steht.»

«Du kannst Kjer vertrauen, Liv», sage ich.

«Tu ich ja auch. Ich fahre aber trotzdem am Wochenende hin und gucke mir die Bewerberinnen an, die sie für Samstag und Sonntag eingeladen haben. Vielleicht bleib ich auch gleich ein bisschen – Kjer fehlt mir.»

Ursprünglich hatte Liv geplant, viel häufiger in Dublin zu sein, doch sie hat schnell feststellen müssen, dass die ständige Unruhe in der Vierer-WG ihr jede Konzentration beim Arbeiten raubt. Liv schreibt als freie Journalistin für mehrere Magazine, und ich weiß, dass sie und Kjer sich in Dublin am liebsten eine eigene Wohnung nehmen würden, doch das können sie sich zusätzlich zu der Wohnung hier in Castledunns nicht leisten. Und ich bin froh, dass sie die nicht aufgeben wollen.

Seanna bringt Madisons Guinness vorbei und ist wieder verschwunden, noch bevor diese den ersten Schluck getrunken hat.

«Um noch mal auf deine Mutter zurückzukommen, Airin», sagt Madison. «Vielleicht könnte deine Schwester ja mal mit ihr reden. So langsam glaube ich nicht mehr, dass du bei ihr irgendetwas ausrichten kannst.»

Ich kann nicht verhindern, dass mein Lachen bitter klingt. «Susannah würde ja gern mit Mum reden, sie versucht es seit Wochen. Aber die weigert sich nach wie vor, auch nur ein Wort mit ihr zu sprechen. In ihren Augen hat Susannah sie rausgeworfen, und das wird sie ihr noch ewig vorhalten, fürchte ich.»

«Ach Mann. Arme Susannah.»

«Ja, arme Susannah. Aber vor allem arme Airin», wirft Liv ein. «Du bekommst alles ab und kannst am allerwenigsten dafür. So eine blöde Situation.» Sie hält inne. «Hast du mal überlegt, deiner Mutter vorzuschlagen, für ein paar Tage Matthew einen Besuch abzustatten? Das könnte Wunder wirken.»

Matthew ist der Name des Leuchtturms auf Caorach, einer winzigen Insel vor der Küste. Max Wedekind, sein etwas exzentrischer Besitzer, hat ihn so genannt, und nicht nur Liv, sondern mittlerweile fast jeder hat den Namen übernommen. Liv hat ein halbes Jahr dort verbracht und liebt ihn heiß und innig.

Inzwischen ist Matthew eine Ferienunterkunft, um die ich mich zusätzlich neben dem Seawinds für Mr. Wedekind kümmere.

«Ich glaube nicht, dass sie das auch nur in Betracht ziehen würde», sage ich. «Sie weigert sich ja schon, zum Dachzimmer hinaufzugehen. Abgesehen davon ist er bis Anfang November ohnehin durchgehend vermietet. Wisst ihr übrigens, wer für eine Woche zu Matthew ziehen wird? Nachdem er erst zwei Wochen bei mir war?»

«Wer denn?», will Liv neugierig wissen.

«Joshua Hayes. Kennt ihr den?»

«Joshua Hayes? Etwa der Joshua Hayes? Der Moderator?», platzt es aus Madison heraus.

«Genau der.»

«Oh Gott! Joshua Hayes! Airin, kann ich das Zimmer neben ihm haben?»

«Für dich allein, oder nimmst du Henry mit?» Ich lehne mich zurück, weil Seanna mit zwei Tellern Stew für Liv und mich an unseren Tisch tritt. «Ich könnte ihn auch fragen, ob du gleich in seinem Bett schlafen darfst. Ein Extrakopfkissen steht ohnehin auf seiner Wunschliste.»

«Wer braucht ein Extrakopfkissen?», erkundigt Seanna sich.

«Joshua Hayes», erwidere ich. «Er wird ab Samstag für zwei Wochen im Seawinds wohnen. Seine Agentur hat mir heute eine lange Liste mit Extrawünschen geschickt.»

«Joshua Hayes? Für ihn ist der Kuchen?»

«Unter anderem, ja.» Ich greife nach dem Löffel, den Seanna auf die Serviette neben meinem Teller gelegt hat. «Falls du auch das Zimmer neben ihm willst, musst du es dir mit Madison teilen.»

«Ich teile mir lieber ein Bett mit Joshua Hayes als ein Zimmer mit Seanna», sagt Madison. «Frag ihn doch bitte, ob er nackt schläft.»

«Der arme Henry», stellt Seanna grinsend fest. «Ein Glück, dass er schon gegangen ist.»

«Henry weiß, dass ich nur einen einzigen Mann auf der Welt noch ein winziges bisschen attraktiver finde als ihn, und das ist Joshua Hayes», erwidert Madison unbekümmert. «Er würde das verstehen. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn Airin Henry das Zimmer direkt neben Keira Knightley geben würde.»

«Hättest du nicht?», frage ich.

«Doch.» Madison hebt einen Zeigefinger. «Sollte jemals Keira Knightley bei dir ein Zimmer wollen, sagst du ihr gefälligst, du seist leider ausgebucht bis September 2034.»

«Ich kenne diesen Joshua Hayes gar nicht», meldet Liv sich zu Wort. «Was genau macht der? Das ist ein Moderator?»

«Ja, genau. Im Moment moderiert er Anything for love, und er ist so witzig! Und außerdem heiß, heiß, heiß – wie kann man so aussehen? Ich wollte Henry und mich für seine Show anmelden, aber Henry hatte was dagegen, keine Ahnung, warum.»

«Ja, komisch», bemerkt Liv trocken.

«Warte ab, bis du ihn siehst», sagt Madison. «Ich wette, du guckst ihm einmal in die Augen, und es geht dir ganz genauso wie mir.»

«Liv ist mit Kjer zusammen, Maddy», werfe ich ein. «Sie dürfte immun sein.»

«Ist Joshua Hayes Ire?» Liv hat ihr Smartphone hervorgeholt und betrachtet ein Bild, auf dem Joshua Hayes zu sehen ist.

«Nein. Er ist Schotte, aber seine Großmutter mütterlicherseits war Japanerin. Er kommt aus Glasgow, und seine Familie war wohl früher ziemlich arm», erklärt Madison.

«Woher weißt du das alles?», frage ich.

«Hey, ich steh auf den, falls du das bisher noch nicht bemerkt hast – ich weiß alles über ihn!»

«Wie groß ist er?»

«Einszweiundachtzig. Sternzeichen Widder. Und Single.»

«Der ist Single?», kommt es von Seanna, dann dreht sie sich um, weil jemand nach ihr ruft. «Ach, Mist, ich muss weitermachen – aber um einen heulenden Henry im Brady’s zu vermeiden, würde ich Madison nicht das Zimmer neben dem von Joshua Hayes geben.» Sie grinst Madison an, die ihr die Zunge herausstreckt.

«Joshua Hayes», seufzt sie, als Seanna verschwunden ist, und hebt ihr Guinnessglas in die Höhe. «Auf jeden Fall schickst du ihn hierher, Airin, okay? Sag ihm, es gibt nirgends eine nettere Bar als das Brady’s. Und sag ihm auch, dass es in Castledunns zur Tradition gehört, dass die Einheimischen Fremde mit einem Kuss begrüßen. Und wehe, du sagst mir nicht, wann er hier auftaucht!»

«Maddy, ich glaube, du solltest dich für die nächsten zwei Wochen von Henry trennen», sagt Liv lachend.

Madison wackelt gespielt nachdenklich mit dem Kopf, dann lacht sie ebenfalls. «Ach nein. Das kann ich Henry nicht antun, und außerdem ist er dann doch der Tollste – zumindest, sobald Joshua Hayes wieder weg ist», fügt sie grinsend hinzu. «Aber dein toller Typ ist derzeit nicht mal da – ich mache mir daher echt Sorgen um dich. Besser, du bleibst die nächsten zwei Wochen zu Hause, um dich nicht in Versuchung zu bringen.»

Liv schiebt sich nur grinsend einen Löffel Stew in den Mund.

Ich beteilige mich nicht am Geplänkel der beiden. Die Gefahr, Liv könne irgendein Mann besser gefallen als Kjer, liegt ohnehin weit unter null. Die beiden haben sich gesucht und gefunden. Spontan würden mir nur Seanna und Niall einfallen, bei denen es ähnlich offensichtlich gefunkt hat.

Die ganz große Liebe …

«Airin? Alles okay?» Liv hat aufgehört zu essen und mustert mich besorgt.

«Klar. Wieso fragst du?», erwidere ich überrascht.

«Erstens, weil dein Stew kalt wird. Und zweitens, weil du gerade irgendwie … traurig ausgesehen hast.»

Verlegen lächelnd greife ich zum Löffel. «Ich hab nur darüber nachgedacht, was ich morgen alles erledigen muss», rede ich mich heraus. «Es gibt im Moment einfach so verdammt viel zu tun.»

«Du brauchst ganz eindeutig selbst Urlaub – du bist echt überarbeitet. Und jetzt auch noch der ständige Stress mit deiner Mutter …»

Ich zucke nur mit den Schultern und beginne zu essen. Leider ist das alles derzeit nicht zu ändern.

«Nimm dir doch eine Auszeit mit Joshua Hayes», schlägt Madison vor. «Du bist die Einzige von uns, die das problemfrei tun kann. Wenn er allerdings im Bett auch nur halb so gut ist, wie er aussieht, kommst du garantiert zu gar nix mehr.»

«Dann lieber nicht», erkläre ich und setze hinzu: «Die meisten extrem attraktiven Männer sind übrigens nur sehr mittelmäßig im Bett. Sie verlassen sich zu sehr auf ihr gutes Aussehen. Da gibt es Studien drüber.»

«Studien.» Liv grinst mich von der Seite an. «Meine eigenen Studien sagen etwas anderes.»

«Ausnahmen bestätigen die Regel.»

* * *

Obwohl ich auf dem Heimweg vor Müdigkeit fast gegen einen Laternenpfahl gerannt wäre, liege ich jetzt im Bett und bekomme kein Auge zu. Das passiert mir nicht oft, und ich habe leider keine Ahnung, wodurch es ausgelöst wird – wüsste ich es, würde ich es vermeiden. Heute Nacht kommen meine Gedanken einfach nicht zur Ruhe. Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, und mein Leben erscheint mir bereits jetzt irgendwie … festgefahren.

Es ist nicht so, dass ich das Seawinds aufgeben wollen würde. Ich liebe dieses Haus, ich liebe Castledunns, und ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo zu wohnen, wo ich nicht jederzeit ans Meer gehen könnte, um den Wellen zuzuschauen, die sich am Strand brechen. Doch in Nächten wie dieser ist mir danach, auch mal etwas anderes zu sehen, einfach mal Urlaub zu machen … und dabei nicht allein zu sein.

Nicht dass ich wirklich allein wäre. Ich habe die besten Freundinnen, die man sich wünschen kann, und ich kenne halb Castledunns so gut, dass ich fast jeden hier um Hilfe bitten könnte, sollte ich sie brauchen. Aber wenn ich an Liv und Kjer denke oder an Seanna und Niall – verdammt, selbst wenn ich an den verliebten Aidan denke, obwohl der echt nichts auf die Reihe kriegt, dann fühle ich mich wehmütig.

Wann war ich zum letzten Mal verliebt? Es scheint Jahre her zu sein, und es war nie mehr als Schwärmerei. Natürlich, es gab Dates, ich hatte an der Uni auch zwei kurze Beziehungen, aber irgendwie war ich immer eher diejenige, bei der sich die Jungs über ihren Liebeskummer ausheulen konnten, war ich immer mehr Kumpel als Mädchen, und bei den wenigen, bei denen das anders gewesen war, sprang der entscheidende Funke nicht über. Da war nie etwas, das sich zu etwas Ernstem, etwas Echtem hätte entwickeln können.

Ich drehe mich zum schmalen Dachfenster und suche nach Sternen.

Meistens denke ich über so etwas nicht nach. Meistens habe ich viel zu viel zu tun, um darüber nachzudenken. Nur eben manchmal … so wie jetzt …

Ich bin nicht allein, aber ich fühle mich einsam. Hin und wieder.

Und das Einzige, das mich tröstet, ist, dass ich weiß, morgen früh wird dieses blöde Gefühl wieder verschwunden sein.

* * *

Am nächsten Morgen erledige ich stur all die Arbeiten, die jeden Tag auf meiner ungeschriebenen Liste stehen, trage Tee und Kaffee, Toast und gebackene Bohnen und was sonst noch alles zum Frühstück gehört zu den Tischen, räume hinterher alles wieder ab und kämpfe dabei gegen ein unangenehm drückendes Gefühl an, vermutlich die Nachwehen der vergangenen Nacht.

Liv hat wohl recht: Ich könnte wirklich Urlaub gebrauchen. Das Seawinds, der Leuchtturm, meine frustrierte Mutter, Susannah, die hier alle drei Tage anruft und sich bei mir darüber ausheulen möchte, dass Mum ihre fünf Millionen Erklärungen ignoriert und ihre zehn Millionen Entschuldigungen nicht annimmt, das alles ist –

«Airin?»

Als hätte sie mitbekommen, dass ich gerade über sie nachdenke, tönt die Stimme meiner Mutter die Treppe hinunter. Sie ist vor nicht einmal zehn Minuten als Letzte von ihrem Tisch aufgestanden und in ihr Zimmer gegangen – was auch immer sie will, hätte ihr auch wirklich früher einfallen können. Mit einem Seufzen mache ich mich daran, die Treppe zum ersten Stock hinaufzusteigen, um in ihr Zimmer hineinzusehen.

«Ja?»

Mit ihrer Lesebrille auf der Nase und einer aufgeschlagenen Zeitschrift im Schoß sitzt sie in ihrem Sessel. «Könntest du für mich bitte bei Mimi die neue Stellar kaufen?»

«Klar. Ich will nachher sowieso noch ein paar Sachen besorgen.»

«Wann?»

«Ich weiß nicht … wenn ich die Küche fertig habe?»

Keine Ahnung, warum meine Stimme zum Ende des Satzes hin höher wird – als müsste ich mir von ihr die Erlaubnis abholen, erst hier aufräumen zu dürfen, bevor ich zum Laden von Mimi Fitzgerald renne, um ihre Zeitschrift zu holen.

Sie nickt. «Gut. Würdest du bitte noch das Fenster schließen, bevor du wieder gehst? Es zieht.»

Ohne ein Wort trete ich neben den Schreibtisch vor dem Fenster und tue, worum sie mich gebeten hat. In Erwartung weiterer Aufträge drehe ich mich zu ihr um und sehe es förmlich in ihrem Kopf arbeiten. Irgendetwas wird ihr noch einfallen. Ich bin sicher, dass meiner Mutter mittlerweile ziemlich langweilig ist, doch sie hat sich viel zu tief in ihrer Gekränktheit verstrickt, um das auch nur vor sich selbst zuzugeben.

«Und ich hätte gern einen Tee.»

«Bring ich dir.»

«Danke.»

Ich steige die Treppe zum Erdgeschoss wieder hinunter, um in der Küche Tee in einen Filter zu füllen und den Wasserkocher einzuschalten. Während ich darauf warte, dass das Wasser kocht, beseitige ich im Esszimmer die letzten Reste vom Frühstück und beginne, die Spülmaschine einzuräumen. Damit bin ich noch nicht fertig, als es im Kocher bereits sprudelt, doch bevor meine Mutter sich mal wieder darüber beschweren kann, ich ließe sie warten, gieße ich zunächst einmal den Tee auf, lege ein paar Kekse auf einen Teller und trage alles zusammen mit einem Schälchen Zucker nach oben.

Meine Mutter ist in ihrem Sessel eingeschlafen. Leise stelle ich ihr das Tablett auf den Schreibtisch und hoffe, sie wird mich nicht zu sich rufen, sobald sie wieder wach wird, damit ich die Tasse zu ihrem Sessel trage.

Zurück in der Küche, räume ich die restlichen Sachen weg, mache die Spülmaschine an und stelle anschließend eine umfangreiche Einkaufsliste zusammen. Theo bringt morgen Vormittag Vorräte mit seinem Boot nach Caorach. Seine Frau Elaine richtet dann den Leuchtturm her, während er die jetzigen Gäste zurück nach Castledunns fährt. Er und Elaine sind alte Freunde und wohnen nur zwei Parallelstraßen weiter, meine Mutter isst manchmal bei ihnen zu Abend. Zumindest diesen Kontakt hat sie noch nicht aufgegeben.

Ich selbst werde dann nachmittags den neuen Bewohner des Leuchtturms zur Insel fahren und nehme auf dem Rückweg Elaine wieder mit.

Alles muss genau organisiert sein. Der Leuchtturm macht mehr als ein Drittel meiner Einnahmen aus, seine Verwaltung kostet mich allerdings beinahe ebenso viel Zeit.

Nachdem ich mit Theo wegen morgen telefoniert habe, klopfe ich noch einmal vorsichtig an die Zimmertür meiner Mutter. Sie sitzt noch genauso da wie vorhin, nur sind ihre Augen jetzt geöffnet, und sie umklammert die Teetasse mit beiden Händen. Mir kommen diese Suchbilder in den Sinn: Finden Sie die sieben Unterschiede.

«Ich will jetzt los. Du brauchst nur die Stellar, richtig?»

«Ja.» Argwöhnisch blickt sie auf das Telefon, das ich noch immer in der Hand halte. «Ich werde nicht mit Susannah sprechen.»

Ich untersage mir jedes Augenrollen und ziehe einfach die Tür hinter mir zu. Man sollte sie und Susannah in einen Raum einschließen und erst wieder hinauslassen, wenn Mum sich endlich eingekriegt hat.

Nach zwei Schritten fällt mir noch etwas ein, und ich gehe zurück.

«Kennst du Joshua Hayes?», frage ich meine Mutter, die überrascht aufsieht. Garantiert kennt sie ihn, wenn nicht aus dem Fernsehen, dann doch zumindest aus ihren Zeitschriften. Vielleicht holt sie die Nachricht, dass er im Seawinds ein Zimmer gebucht hat, zumindest kurzfristig aus ihrer Lethargie.

«Den Moderator?»

«Ja, genau. Er wird in den nächsten zwei Wochen bei uns wohnen.»

«Aha.» Sie scheint auf nähere Erklärungen zu warten.

«Ich dachte nur, das interessiert dich vielleicht.»

«Nicht wirklich. Allerdings wundert es mich nicht, dass er lieber in Castledunns Urlaub macht als in St. Tropez, nach all dem, was in letzter Zeit über ihn berichtet wurde.»

«Wieso? Was denn?»

«Dass er sich mit seinem Sender überworfen hat und sich in ein Kloster zurückziehen will, um dort zölibatär zu leben.»

«Echt?»

Sie nickt. «In der letzten Stellar stand, er versage sich bereits jetzt weltliche Freuden und spiele mit dem Gedanken, Priester zu werden.»

«Also, das ist …»

«Alles Blödsinn, ich weiß», unterbricht mich meine Mutter. «So was schreiben die nur, weil sie ihm nicht genug Frauengeschichten andichten können. Lass dir eine signierte Autogrammkarte geben, vielleicht können wir sie irgendwo aufhängen.»

«In Ordnung», erwidere ich grinsend und ziehe die Tür ein zweites Mal zu.

«Mimi verehrt ihn übrigens sehr!», ruft meine Mutter mir noch hinterher. «Lass dir zwei Autogrammkarten geben!»

* * *

Im Kramladen von Mimi Fitzgerald, einer älteren, weißhaarigen Dame, besorge ich als Erstes die Zeitschrift, bevor ich mein Glück auf der anderen Straßenseite im Lebensmittelgeschäft versuche. Wie erwartet, kann Siobhan nicht mit all dem Exotenobst dienen.

«Tut mir leid, Airin, aber bis auf Mango und Ananas habe ich nichts davon da. Wie wäre es mit Kiwi? Oder Bananen?»

«Pack mir alles ein. Und auch noch zwei Orangen.»

«Frische Feigen.» Sie schüttelt den Kopf. «Will das irgendein Gast?»

«Genau. Hoffentlich macht er kein Theater, weil er statt Papayas nur Bananen kriegt.»

Siobhan grinst, wir haben schon häufiger über die Extrawünsche meiner Gäste gelacht. «Vielleicht braucht er nach seinem Urlaub eine Papaya-Infusion. Also manche Leute … weißt du noch, dieses Paar, wo der Mann so einen Aufstand gemacht hat, weil ihm von den dreißig Teesorten hier im Laden keine gepasst hat? Du bist wegen dem extra nach Cahersiveen gefahren.»

«Oh Gott, erinnere mich nicht daran. Jedenfalls werde ich bestimmt nicht jeden Tag nach Cahersiveen fahren, um frische Feigen zu besorgen. Das kann der Typ selbst tun, wenn es unbedingt sein muss – aber vielleicht ist ihm in Cahersiveen schon zu viel los. Wenn ich seine Agentur richtig verstehe, legt er keinen großen Wert darauf, erkannt zu werden.»

«Seine Agentur? Wer ist es denn?»

«Joshua Hayes.»

«Oh, Joshua Hayes! Anything for love! Ich guck diese blöde Sendung nur wegen ihm. Wenn der in die Kamera grinst …»

Sie lässt offen, was in solchen Momenten passiert.

«Du auch? Du bist nicht die Erste, die etwas in der Art sagt.»

«Natürlich nicht – hey, Joshua Hayes. Ich will ein Kind von ihm.»

«Stell dich hinten an.» Ich nehme meine Tüten in Empfang. «Madison steht schon vor dir in der Schlange.»

«Madison hat ihren Henry.»

«Und was ist mit Aidan?»

«Ach, der.» Siobhan winkt ab. «Neulich hat er bestimmt zehn Minuten zwischen den Cornflakes herumgewühlt. Und als ich ihn gefragt habe, ob ich ihm irgendwie helfen kann, hat er irgendwas gestottert und ist aus dem Laden gerannt. Aidan ist süß, aber Joshua Hayes … für ihn finde ich direkt heraus, bei welchem Großhändler ich frische Feigen bekomme.»

«Lass mal», erkläre ich. «Das klingt so, als wären mir die Dinger eh zu teuer.»

«Du kriegst sie ja auch gar nicht – schick mir einfach Joshua vorbei», erwidert Siobhan.

Lachend verlasse ich den Laden. Ich glaube, irgendwelchen Medienrummel hat Joshua Hayes in Castledunns zwar nicht zu befürchten – aber um das eine oder andere Fangirl kommt er garantiert nicht herum.

* * *

Am nächsten Tag klingelt es an der Haustür, noch bevor der letzte Frühstückstisch abgeräumt ist.

«Kommt rein», begrüße ich meine neuen Gäste, ein Pärchen, das sich als Willow Scott und Shane Graham vorstellt. «Ihr seid allerdings ein bisschen früh dran.»

«Ja, wissen wir», erwidert Willow. Sie ist etwas kleiner als ich, mit einem Grübchen im Kinn und einer wilden, blonden Lockenmähne. Um ihre Handgelenke trägt sie ungefähr hundert Armreifen und Lederbändchen, und ich mag sofort ihr offenes Lächeln. «Wir sind so früh losgefahren, weil wir uns den Sonnenaufgang anschauen wollten – wir haben schon um kurz nach sieben gepicknickt! Falls es jetzt nicht passt, gehen wir einfach noch ein bisschen zum Strand.»

«Nein, schon in Ordnung. Euer Zimmer ist bereits fertig, kommt ruhig rein.»

«Super, wir holen eben noch unsere Sachen.» Willow strahlt erst mich und dann Shane an, einen dünnen, schlaksigen Typen, der mir ebenfalls zulächelt. Hand in Hand schlendern sie zu ihrem Wagen auf der anderen Straßenseite, um ihr Gepäck zu holen.

Nachdem die Formalitäten erledigt sind und ich ihnen ihr Zimmer gezeigt habe, höre ich sie kaum zehn Minuten später die Treppe wieder hinunterstapfen.

«Wir gucken uns jetzt gleich mal das Dorf an!», ruft Willow mir durch die offen stehende Küchentür zu. «Kann man hier irgendwo essen gehen?»

«Erst abends, da aber dann sehr lecker. Im Brady’s, unten an der Küstenstraße. Jetzt bekommt ihr nur etwas im Lebensmittelladen – wartet, ich gebe euch noch eine Karte, darauf sind alle Läden und Sehenswürdigkeiten in Castledunns und der Umgebung eingezeichnet.»

Kurz darauf sind sie polternd und türenschlagend verschwunden. Aufmerksam lausche ich die Treppe hinauf. Meiner Mutter traue ich zu, dass sie die beiden bei nächster