Findel - Im Auftrag des Königs - Katka W. Jäger - E-Book

Findel - Im Auftrag des Königs E-Book

Katka W. Jäger

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Beschreibung

Das sind "magische Geschichten" in Form von Märchen und Kurzgeschichten. "Findel" ist das Findelkind des Königs und soll, nachdem es von Meister Senkel in der Kunst des Kampfes und anderen Dingen ausgebildet wurde, anstelles des Königs in dessen Ländereien gehen, um zu sehen, wie die Menschen leben und was so im Königreich passiert. Findel weiß allerdings nicht, dass viele Dinge und Schicksale mit seinem Butler Wendelin und der guten Hexe Ullene zusammenhängen. Bei mehreren Bewährungsproben, in denen dunkle Mächte das Königreich angreifen, muss Findel zeigen, dass er Ihre Majestät würdig vertritt. Ein Anhang zeigt eine Kurzgeschichte, mit der die Idee von Findel begann - und weitere kleine Märchen und Kurzgeschichten, die zuvor oder parallel entstanden sind.

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Seitenzahl: 214

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Über die Autorin

August 1951 als Junge im Rieskrater geboren – praktisch ein Flüchtlings- und Mischlingskind aus fränkischen, österreichischen und tschechischen Wurzeln.

Im Alter von sechs Jahren gefragt, was das Lieblingsspiel sei, kam prompt die Antwort: „Malen und Schreiben!“.

Kunstunterricht bei Prof. Wendelin Kusche (1926-2003), Forchheimer Künstler und Kunstdozent: Grundlagen zur Harmonie und Verhältnismäßigkeit, der Frage von Kunst und Kitsch; vor allem Porträt- und figürliches Zeichnen – in der Zeit von 1974 bis 1977

Journalismus: Volontariat beim Weilheimer Kreisboten 1981. Danach Studium an der LMU München:

Kommunikationswissenschaften (mit Schwerpunkt Zeitungswissenschaft), Soziologie und Theaterwissenschaft (Abschluss Magister Artium, 1988)

Erste Lesung (Kurzgeschichten) am 13 Juni 1997 im „Literaturbüro“, Milchstr. 4, München.

Zwischendurch mehrere Jobs: Pflegehelfer, Vertriebsarbeiter (Kopierwerk), Korrektor.

Schwerpunktmäßig 1981 – 2000: freier Journalist für verschiedene Printmedien (zuletzt „Japan Magazin“) und bis 2001 Mitglied des Bayerischen Journalistenverbandes (BJV).

Seit den 1990-ern: Verwaltungsangestellte/-r in einem med. Privatlabor bis zum 31.07.2012.

Parallel Weiter-Arbeit als freie Autorin und Malerin. Fotografie als Ausdrucksmittel. –

Privatleben: mit einem Transmann und immer wieder mit Katzen zusammen.

Ganz persönliches „Hobby“: die Kampfkunst (Budo) und das „alte Japan“. Auch diese Inhalte fließen in einzelne Arbeiten ein.

Weitere Lesungen: Juni und Oktober 2013 in den Räumen der „nea e.V., München, unter Begleitung eines Violinisten (Thomas F.).

Über meine Websites können Sie gern mehr über mich erfahren:

www.katka-w-jaeger.de

Ich wünsche allen viel Spaß beim Lesen!

Abbildung 1: Stufen an der Wörnitz, Donau-Ries

Dieses Buch widme ich der Erinnerung an meinen Vater, Martin Weinicke ( Anfang 2015), und

meinem Ehemann Henrik Haas, und einer alten Freundin, Helga M., die einige Ideen zum Findel in den 80-er Jahren beigesteuert hat – und zudem allen, die Spaß am Lesen haben, und die noch etwas mit den Begriffen Märchen und magisch anfangen können.

Inhalt

Über die Autorin

Vorwort

Findel vor dem Schloss - eine Vorgeschichte

Das Findelkind des Königs

Findel und die Suche nach einem Lehrer

Findel und der Meister Senkel

Findel und die Geschichte von der Zweigsteckerin

Findel und der Blumenkenner

Findel und das Nullinger

Findel bei den Video-Menschen

Findels Frühschoppen

Findel, die Diebin und der Richter

Findel „am Ende der Welt“

Findels Findelkind

Das gar so weite Königreich

Findel und die Begegnung mit dem Nichts

Eine Geschichte für Findel

Die Geschichte von der Fuß-Inspektorin und dem Wanderer

Findel und der Gast

Findels Ende?

Anhang:

Wie alles begann – und andere Märchen

Das verlorene Königreich

Die Taizé – Märchen u. a.

Der Berg, der einer war

Die Wiege

A Sunny-Flower-Power-Dream

Schicksal einer Flocke

Der Weg des Ziegelsteins – oder: Jeder findet seinen Platz

Legende vom Tag-Nachtfalter

Der Pendler

Abbildungsverzeichnis

Weitere Bücher der Autorin

Da war ein Reich – und ein König.

Der König war älter geworden. Sein

Reich mit der Anzahl seiner grau

gewordenen Haare gewachsen. Um

alles überwachen zu können, hatte

der König überall im Lande soge nannte Stellvertreter eingesetzt, die

nach dem Rechten sehen sollten.

Besonders ihm angetane Dinge ließ

er auch durch ihm besonders ange tane Leute überprüfen: so seine

Gärtnereien durch eine ihm überaus

ans Herz gewachsene Person. Es

war „Findelkind“, der vielleicht einmal

„Findelkönig“ werden sollte, und den

wir kurz „Findel“ nennen, der diesen

Auftrag bekam.

Vorwort

Als Kind liebte ich Dumas´ „Die 3 Musketiere“ und überhaupt wollte ich jeden Ritterfilm sehen, der gerade lief, ob im Kino oder im Fernsehen. Ivanhoe (als Serie mit dem blutjungen Roger Moore besetzt) gehörte zu meinen Favoriten.

Mit 27 Jahren (damals ein suchender Mann) wurde ich auf Taizè aufmerksam. Neben Großbritannien war ich schon immer auch in Frankreich verliebt. Das wurde noch vertieft durch die innige Freundschaft mit einem jungen Franzosen namens Jean Pierre Junker, der praktisch wie ein Bruder zu mir war – und der 1978 mit 25 Jahren viel zu früh verstorben ist.

1977 hörte ich in einem kleinen Geschäft Nähe Altenfurt bei Nürnberg diesen einen Satz: „Werde nie ein großer Knecht, sei immer ein kleiner König in dir!“. Damit und aufgrund einer Woche in Taizè im „Dorf des Schweigens“, im Juli 1977, indem ich begann, Märchen zu schreiben, begann auch Findels Geburt. Findel steht für alle, die es nicht mehr oder noch nicht können, in die Welt hinaus zu gehen. Er geht stellvertretend vor allem für alle jüngeren wie älteren Könige in die Welt und sieht nach dem Rechten. Das Königreich, in dem Findel lebt, geht mit der Zeit; es ist unsterblich wie seine Figuren – so lange sie sich in der Welt der Phantasie befinden.

Da die Geschichten mit und um Findel im Laufe von etwa 30 Jahren entstanden sind, finden sich auch immer starke Unterschiede. Manche Erzählungen bauen aufeinander auf, andere stehen vereinzelt da, oft nur mit Findel als Hauptperson. Einzelne wichtige Nebenfiguren kommen aber wieder vor. Die Hexe Ullene steht sprichwörtlich für das Wesen der magischen Geschichten.

Am Ende sieht es zwar so aus, dass Findel aufhört zu sein .aber ganz sicher ist das auch nicht. Und in einem Anhang kleiner Geschichten will ich eben vor allem jene Märchen vorstellen, die in Taizè entstanden sind. Wie gesagt haben sie nicht direkt mit Findel zu tun, aber sie bildeten den Nährboden, aus dem Findel entstand.

Ich habe bewusst Märchen für Erwachsene geschrieben, denn ich finde, dass dieser Bereich viel zu wenig beachtet wird.

Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen allen,

Katka „Jäger“ Weinicke,

Nürnberg am 20.05.2021

Findel vor dem Schloss - eine Vorgeschichte

Katze Neko machte einen großen Buckel, streckte sich dann richtig durch und visierte das vom Wetter stark gezeichnete Fensterbrett an. Der Vollmond hatte deutlich sein typisch neugieriges Gesicht aufgesetzt und blickte unverhohlen in alle zugänglichen Fenster – auch in das von Weinblättern umwucherte Häuschen der Zweigsteckerin. Niemand vom Dorf kannte den Namen dieser Frau, die offensichtlich in den königlichen Gärtnereien arbeitete.

Die Zweigsteckerin, die man aufgrund ihrer Lieblingsbeschäftigung so nannte, war nicht allein. Eine zweite, etwas ältere Frau befand sich mit in der heimeligen Küche und legte Karten. Und dann war da noch der königliche Butler Wendelin, der jede Bewegung der Kartenlegerin genauestens verfolgte. Und ab und zu tauschten Wendelin und die Gärtnerin sorgenvolle Blicke aus. Katze Neko besah diese wundersame Szene um Mitternacht aufmerksam vom Fensterbrett aus – im Wechsel mit dem Anblick der strahlenden Erscheinung des fast weißen Mondes.

„Die Mondin gibt uns das passende Licht!“, befand die Hexe Ullene, die nun die letzte Karte in der Mitte des Küchentisches ablegte. Butler Wendelins Nase hob und senkte sich. Im Hintergrund brodelte eine deftige Kräutersuppe. Ihr Duft vermischte sich überraschend gut mit dem der an beiden Seiten des Küchentisches platzierten Räucherstäbchen. – „Worauf wollen wir uns dieses Mal konzentrieren?“, fragte Ullene beinahe beiläufig. Neko maunzte den Vollmond nun mit Leibeskräften an. Kleine Mäuse rannten quer durch den Garten und suchten Schutz unter Holzscheiten oder in schwer einsehbarem Gestrüpp.

Wendelin, ein kräftiger Mann, Mitte Fünfzig, mit leicht gebeugter Haltung und einem kleinen Bauchansatz, war Zeit seines Lebens Butler auf dem Schloss des alten Königs. „Die Zukunft des Schlosses und die Ihrer Majestät stehen auf dem Spiel!“, erklärte er nervös. Ullene horchte auf. Das klang sehr nach Zukunftsangst. Auch die Mäuse im Garten hatten Angst. Sie spürten Nekos starke Präsenz selbst in ihren Verstecken. Das weiße Licht des Mondes fiel nun exakt auf die Karten, die in der typischen Form von Tarot aufgelegt waren: inmitten eines magisch anmutenden Kreises lagen mehrere über Kreuz gelegte Einzelkarten mit verschiedenen Motiven.

Geschickt deckte die Hexe die ersten Karten auf und beschrieb dabei für die vier Himmelsrichtungen des Königshauses die jeweils gravierendsten Umstände. Mit den nächsten beiden Karten bat Ullene Himmel und Erde um magische Unterstützung. Bei der siebten Karte stellte sie die dann alles entscheidende Frage: „Was wird aus Majestät, dem Königreich – und somit seinen Untertanen werden?“ – Das war eine logische Frage, denn der König hatte nicht geheiratet und auch sonst keine Nachkommen. Bis auf das Knistern der brennenden Holzscheite im alten Ofen und dem Brodeln der Kräutersuppe war für einen langen Moment nichts zu hören. Selbst die Katze hatte ihr Miauen eingestellt. Ja, die Hexe, die Gärtnerin und der Butler schienen in diesem Augenblick nicht einmal zu atmen. Und genau in diesem Moment machte Neko einen gewaltigen Sprung in den Garten. Mäusehuschen überall.

„Nimm eine Karte!“, flüsterte die Hexe dem Butler zu, der einen gewissen Befehlston nicht ignorieren konnte. Dennoch fiel es Wendelin schwer, nicht in den tiefen Ausschnitt zu sehen, der Ullenes Busen doch sehr weiblich betonte. „Wendelin!“, stieß die Hexe vorwurfsvoll hervor – nach außen, innerlich grinste sie – „. du musst mit der flachen Hand knapp über den Karten kreisen, bis eine gewisse Wärme spürbar ist und du dieses Gefühl hast das ist sie!“ – Wendelin fühlte sich seltsam ertappt und konzentrierte sich nun. Seine rechte Hand wanderte knapp über den ausgelegten Karten im Kreis hin und her. Unter jeder Rückseite konnte die entscheidende Antwort liegen. Zumindest der Ansatz zu einer Lösung . Dann war der Moment gekommen. Wendelin konnte wundersame, beinahe magnetische Kräfte spüren und seine rechte Hand begann leicht zu zittern. Dennoch bewegte sich die Hand vorsichtig weiter, bis sie plötzlich stoppte, etwa bei der Mitte der vorderen Tischkante, vor der Wendelin saß. Der Butler nahm die Karte und hob sie wie einen zerbrechlichen Spiegel hoch, um sie dann umgedreht auf der alten Stelle ab zulegen. Das Bild der Karte ließ drei Köpfe magisch auf einen Punkt bringen. Sechs Augen verschmolzen nahezu mit dem abgebildeten Motiv: eine Scheibe mit zwei hell- und dunkelblauen Querstreifen im Wechsel klemmt zwischen zwei gekrümmten, kahlen Bäumen, deren mittlere Astgabeln sich über dem Kreis der Scheibe kreuzen, während rechts und links davon zwei Äste unterschiedlich gebogen wegstehen. Am rechten hinteren Ast scheint ein kleines schwarzes Stoffteil zu wehen, während am rechten, auffällig abgeknickten Ast ein langer roter Faden hängt. „Das ist die zehnte, große Arkade im Hexentarot – das

Glücksrad!“, flüsterte Ullene, die nun von den anderen fixiert wurde. „Und das heißt?“, mehr Worte brachte der Butler gerade nicht hervor. Die Hexe sah kurz zum Fensterbrett. Katze Neko hatte gerade wieder Platz genommen und begann, sich zu putzen. Unwillkürlich fingerte die Zweigsteckerin an ihren langen Haaren herum.

Wendelin blickte kurz zum brodelnden Suppenkessel. Ullene setzte sich wieder in eine gemütliche Position und lächelte nun leicht. „Vorbestimmung, Glück, Schicksal und Ergebnis sind nur einige Stichpunkte zur Deutung dieser Karte. Die Anleitung besagt, dass ein Problem bereinigt und eine Frage beantwortet wird.“ Die Hexe blickte nun in Wendelins Augen, die wie unter Trance glänzten. „Aber“, so fügte Ullene hinzu, „wie der Wandel, der indirekt angekündigt wird, ausfällt, ob gut oder schlecht, das hängt von mehreren Konstellationen ab!“ – Wendelin schnaufte tief durch. „Und wann wird dieser Wandel eintreten?“ – Ullene lächelte mehrdeutig. „Jetzt werden wir erst einmal die Kräutersuppe genießen!“ sagte sie bestimmt und wandte sich dem Herd zu. Was die Zweigsteckerin und der Butler nicht sahen, sah Neko, die Katze. Die Hexe ließ noch ein paar Teile eines Pilzes in die dampfende Suppe fallen.

Das Schloss des alten Königs trotzte den Elementen. Ein gewaltiges Unwetter war aufgezogen und Wolken türmten sich über Wolken, so dass der Mond es dieses Mal nicht schaffte, gesehen zu werden. Heftige Regenfälle stürzten auf das Schloss und das darunter liegende Dorf herunter. Ein orkanartiger Wind gebot, besser zuhause zu bleiben. Butler Jeremias ging in den Keller, um weiteres Brennholz zu holen, während Butler Wendelin im oberen Königsgemach die letzten Holzscheite in den röhrenden Ofen schob. Es war kalt geworden und der König fror. Wendelin verbeugte sich kurz vor Ihrer Majestät. „Ich gehe kurz nach unten, um zusehen, wo Jeremias bleibt!“ – Der König zog eine alte Decke noch fester um sich und nickte nur. Als der Butler das Zimmer verließ, blickte Ihre Majestät ihm sorgenvoll drein. Der König hatte immer weniger Einnahmen aus seinen Ländereien. Vielleicht wurde er auch betrogen. Aber er fühlte sich bereits zu alt, um noch alles kontrollieren zu können. Er seufzte leise vor sich hin, denn er wusste auch nicht, wie lange er sich noch seine beiden Diener würde leisten können. - So dunkel, wie sich das Unwetter draußen gebärdete, so finster sah es gerade im Herzen des Regenten aus.

Das Brausen des Sturmes konnte Wendelin selbst durch die dicken Wände des Schlosses hören, als er die vielen Treppen hinab lief. Doch als er unten ankam, stutzte der Butler. Plötzlich war das Wüten offenbar vorbei. An der offenen Kellertüre sah Wendelin, dass sein Kollege und Freund Jeremias wohl noch im Holzlager war. Somit lief Wendelin zur Eingangstür des Schlosses, öffnete umständlich die Tür, die nun quietschend aufging und vernahm im gleichen Augenblick das laute Schreien und Krächzen, was ein Baby von sich gibt, wenn es in Not ist. Verwirrt blickte der Butler vor die Tür. Eingeklemmt zwischen Schlossmauer und einem uralten Baum, der linkerhand vom Eingang stand, befand sich eine große Tasche, aus der diese Klagelaute kamen. Schnell sprang der Butler zu dieser Stelle und besah ein bildschönes Baby, das trotz seiner gefährlichen Lage nicht aufgab, auf sich aufmerksam zu machen. „Findel …“, entschlüpfte es Wendelin. Dann nahm er die Tasche mitsamt Baby und beeilte sich, wieder ins Schloss zu kommen. Butler Jeremias kam gerade die Kellerstufen hoch und eilte ebenso zum Baby, das nun langsam begann, seine Stimme zu drosseln, denn irgendwie hatte es wohl bemerkt, dass es nun nicht mehr allein war. „So ein süßes Kerlchen!“, bemerkte Jeremias, der etwas dicker war und gern der Köchin bei ihrer Arbeit half. „Das ist Findel!“, flüsterte Wendelin und dann blickten beide Butler nach oben. Was würde der König zu diesem Fund sagen?

Nach und nach hatten sich die Wolkenberge abgebaut, hatte sich der Sturm gelegt und blickte ein Vollmond nun ruhig und gelassen durch alle Fenster, die es zuließen.

Die Katze Neko lag direkt vor dem warmen Ofen der Hexe Ullene, die gerade eine Flasche Rotwein öffnete. Sie stellte der Zweigsteckerin ein Glas hin und nickte ihr zu.

„Ich glaube, der Wandel ist gerade eingetreten! Trinken wir darauf!“ – Dann stießen die Hexe und die Gärtnerin sanft ihre runden Weingläser an, was einen besonderen Klang erzeugte. Die Katze gab unterschiedlichste Töne von sich, zwischen Säuseln, Knurren und hellen Tönen. Neko träumte. Und inmitten einer Wiese konnte die Katze einen Jungen sehen, der eine glänzende Krone in der Hand hielt. Die Sonne schien, und vor lauter Freude tanzten sogar die Mäuse.

Das Findelkind des Königs

Das Leben im Schloss hatte sich genauso wieder normalisiert wie im Dorf. Kaum, dass bekannt geworden war, dass der König ein Findelkind aufgenommen hatte, das vielleicht einmal auch König werden könne, fühlten sich alle irgendwie wohler, sicherer und auch optimistischer. Mit einem möglichen Nachfolger für Ihre Majestät konnte das Land wieder einer gesicherten Zukunft entgegen sehen. Auch im Schloss war das so. Die beiden Butler und auch das andere Personal spürten eine unendliche Zufriedenheit in sich. Die finanzielle Lage war zwar noch nicht ganz geklärt, aber auch der König war zuversichtlich. Mit Findel war frischer Wind ins Schloss gekommen – und das verblüffende war, dass er dem König tatsächlich irgendwie ähnelte.

Natürlich hatte man versucht, etwas über die Person zu erfahren, die Findel in dieser einen stürmischen Nacht vor der Schlosstür abgelegt hatte, aber das Unwetter hatte alle Spuren verwischt. Niemand hatte eine verdächtige Person gesehen. Und inzwischen war das alles auch nicht mehr wichtig. Findel war da! Und wie! Die Köchin Adelheid war mit einem Mal doppelt beschäftigt. Sie musste nicht nur den Hunger des Königs stillen, und den des anderen Personals, sondern auch extra ausgesuchte Leckerbissen für Findel zubereiten. Und die beiden Butler waren nun nicht nur für Ihre Majestät zuständig, sondern auch für das Wohl des kleinen, der – wie es Ihre Majestät bereits festgelegt hatte – einmal der Stellvertreter des Königs sein sollte.

Die Zeit verflog im Nu. Regelmäßig lag der kleine Findel in den Armen des Königs, um von ihm herumgetragen und leicht geschaukelt zu werden. Das war meist in der Zeit, die Butler Wendelin, von der Sommerzeit abgesehen, nutzte, um das abendliche Kaminfeuer im oberen Turmzimmer in Gang zu setzen. Manchmal trödelte der Butler auch ganz bewusst, um mehr Zeit für Findel herauszuschinden. Denn dem kleinen schien es gerade im Turmzimmer sehr zu gefallen; hatte er da auch schon eine gute Aussicht auf die Ländereien Ihrer Majestät, wenn dieser – mit Findel auf dem Arm – ein Fenster öffnete und die Landschaft betrachtete. „Ja, mein kleiner Findel“, sagte der König dann oft mit einer betont sanften Stimme, „bald kann ich dich da hinaus schicken, um nach dem Rechten zu sehen!“ Der kleine blickte dabei meist erstaunt ins Freie hinaus, um dann wieder die vertrauten Augen des Königs zu suchen, den er vermutlich als Vater ansah. Wendelin trödelte aber auch, weil sich Ihre Majestät meist dazu hinreißen ließ, dem Butler nebenbei zu befehlen, eine gute Flasche königlichen Rotweins zu öffnen, um ihn dann gemeinsam zu trinken. Doch dann machte der König mit der Zeit ein müdes Gesicht, meist nach dem dritten Gläschen Wein, zugleich begann auch Findel müde zu werden, gähnte herzhaft und schlief fest ein. So fest, dass Butler Wendelin selten Mühe hatte, ihn ins königliche Kinderzimmer zu legen, das genau unter dem Turmzimmer lag. Und weil außer der Köchin keine Frau im Schloss zugegen war, durfte Wendelin ebenfalls im Kinderzimmer übernachten, um auf den kleinen aufzupassen. Schrie Findel – und musste nicht gewickelt werden – so zog der Butler an einer Klingel, die mit der unteren Küche verbunden war.

Die Köchin Adelheid machte dann sogleich eine Flasche Milch bereit und zwischendrin auch ein Gläschen Brei mit Zimt und etwas Zucker.

Abbildung 2: Festung in Rom

Die Jahre gingen ins Land und der kleine Königssohn konnte bereits laufen und sprechen. Mit sechs Jahren war er schon sehr neugierig und wurde vom Morgenbutler Jeremias häufig als „Frag-Amsel“ tituliert. „Wozu ist das?“, fragte Findel, „Und weshalb machst du das?“ Oder er fragte „Woher hast du das?“ oder auch „Wie heißt das?“.

Die schönste Zeit für Findel war jene, in der Morgenbutler Jeremias und Abendbutler Wendelin am Nachmittag etwa drei Stunden gemeinsam da waren. Dann konnte der kleine Junge alle beide befehligen oder befragen oder schlichtweg nerven. Und er wusste, dass die beiden Diener des Königs das wussten – und zugleich liebten. Nur mit der Köchin Adelheid musste Findel vorsichtiger umgehen – denn die konnte sich gut rächen, allein mit Veränderungen auf dem Speiseplan. Findel hatte ein kleines Paradies für sich und wusste das. Doch die Köchin und die beiden Butler wiederum wussten, dass es so nicht mehr weiter gehen könne. Es war an der Zeit, dass Findel in die Schule kam. „Das hätte ich fast vergessen!“, sagte der nun doch älter gewordene König. „Aber in welche Schule können wir Findel geben?“, fragten Jeremias und Wendelin. Tatsache war, dass die königliche Schule geschlossen wurde, kaum, dass der jetzige König erwachsen geworden war -und das war gut 40 Jahre her. Eine bürgerliche Schule gab es in Nahstadt – aber kam die in Frage? „Auf keinen Fall!“, gab Ihre Majestät mürrisch die Antwort, als Wendelin sich getraut hatte, diese Frage zu stellen. Der König begab sich zu seinem breiten Sessel im Turmzimmer und ließ sich schwarzen Tee einschenken, ohne Milch und Zucker. Das war ein Zeichen, dass eine ernste Sache überdacht wurde. „Wir benötigen einen Privatlehrer für Findel!“, sagte der König plötzlich und sein Gesicht erhellte sich.

Wendelin verbeugte sich und holte nun Milch und Zucker, denn so trank der König lieber seinen Tee. Und das Problem war ja sozusagen gelöst. Nebenbei stand Ihre Majestät auf und blickte zum Schlossgarten hinunter. Findel lief gerade einem kleinen Hund hinterher, drehte plötzlich um – und der Hund jagte hinter Findel her. Der König lächelte. „Aber wo gibt es noch einen guten Lehrer, der so gut wie alle Fächer beherrscht?“ Diese Frage war ganz gezielt an Wendelin gerichtet, denn der wurde zugleich damit beauftragt, so einen Lehrer aufzutreiben. Natürlich flogen Wendelins Gedanken sogleich in Richtung der Hexe Ullene, denn nur die konnte eine Lösung finden.

Der junge Hund war ein wuscheliges, weißes Wollknäuel mit schwarzen Knopfaugen und hatte an Findel wohl einen Narren gefressen. „Woher hast du diesen Wuschel?“, fragte Butler Jeremias, der gerade unterwegs war, die königlichen Pflanzen rund ums Schloss zu gießen. „Wuschel ja, so soll der kleine heißen!“, lachte Findel und spielte weiter mit dem Hund. „Woher….“, begann Jeremias erneut und Findel reagierte prompt. „Der Hund ist mir zugelaufen! Ich hatte im Dorf nachgefragt und eine von den Wäscherinnen hat wohl gesehen, wie eine Kutsche am Wirtshaus „Zum Königlichen Trinker“ angehalten hatte. Dann war wohl ein älterer Mann vom Kutschbock heruntergestiegen, während aus der Kutsche Hundegebell zu hören war. Die Frau Wäscherin meinte, dass sie den alten Mann irgendwie von der Schule her kenne und – ähm – Wuschel gut der Hund aus der Kutsche sein könnte!“ – Aufmerksam hatte Jeremias zugehört. Damit hatte er seinem Butler-Kollegen, so hatte er ein bestimmtes Gefühl, sicherlich etwas Wertvolles zu berichten. Das empfand auch Wendelin so, als er das hörte und nur „Hört, hört!“, darauf erwiderte, waren seine Gedanken doch immer noch bei der Dorfhexe gewesen. „Das hast du gut gemacht, Jeremias!“, betonte Wendelin und ging sogleich in das Turmzimmer, wo Ihre Majestät Schach mit sich selbst spielte. „Rochade“, schrie der König und sah den leeren Stuhl gegenüber an, „das hast du wohl nicht gedacht, was?“ – Dann wechselte Ihre Majestät den Platz und grimmig betrachtete er nun den leeren breiten Sessel. „Da wird mir schon was einfallen“, flüsterte der König mit zischender Stimme. Butler Wendelin statt grinsend im Zimmer, denn auf das Türklopfen hatte der König überhaupt nicht reagiert. Nun aber nahm er sehr wohl wahr, dass der Butler im Raum war, führte nur einen Finger an seinen Mund und sagte „Psst!“.

Mit einem Mal nahm der König seine Dame, ließ sie schräg laufen, stoppte und sagte zugleich „Schachmatt! Ha, ha, ha .!“

Damit wechselte Ihre Majestät erneut den Platz. Und nahm wieder im Sessel Platz. Knurrend befand der König dann: „Eine Schande, dass ich gegen mich verloren habe!“ – „Nur ein Spiel!“, erlaubte sich der Butler zu sagen, um dann die Hundegeschichte los zu werden. Der König lauschte und verstand: „Du meinst also, dass dieser alte Mann, der offenbar seinen Hund vergessen hat, mitzunehmen, ein Lehrer sein könnte?“ – Wendelin nickte sanft und meinte bei allem nur, daß es so ein Gefühl sei… Der König wusste aber, dass der Butler schon oft den richtigen Riecher hatte. „Ich will, dass Findel einmal mein Stellvertreter sein soll – und er soll das gut machen!“ – „Ja“, pflichtete ihm Wendelin bei, „und hierfür braucht er einen guten Lehrer!“. Majestät nahm einen Rumtrüffel, genoss den Geschmack und das Aroma, packte das königliche Schach ein, das normalerweise niemand sonst anfassen durfte, und schaute dann erneut zu seinem Butler: „Dann geh, und such die Kutsche und diesen Mann!“ – Wendelin machte sich sogleich auf den Weg und dachte nur, hoffentlich ist dieser Mann auch ein Lehrer!

Findel saß derweil im Schlossgarten, den Hund Wuschel auf seinem Schoss, und beobachtete mit einem seltsamen Gefühl, wie Butler Wendelin sehr eilig das Schloss verließ, nur kurz winkte, um dann schnell den Weg ins Dorf einzuschlagen.

Es war bereits später Nachmittag und es kam kaum vor, dass um diese Zeit ein Butler den königlichen Hof verließ. „Wuff!“, machte Wuschel. Der Königssohn streichelte dessen Rücken und sagte: „Du hast Recht, kleiner Hund, da ist irgendwas im Busch!“.

Das wusste längst schon die Hexe Ullene. Die Katze Neko saß neben der magischen Kugel und putzte sich. Ullene rührte in ihrem Teekessel umher und lächelte. Alles ging seinen Weg.

Findel und die Suche nach einem Lehrer

Es war Spätsommer und am späten Nachmittag begann es schon langsam, dunkler zu werden. Aus einigen Kaminen qualmte Rauch in verschiedenen Grau- und Schwarztönen, je nachdem, was die Dorfbewohner gerade zum Verbrennen hatten. Freilich, der meiste Qualm stieg über der größten Dorfkneipe auf, dem „Königlichen Trinker“.

Der Butler Wendelin hatte saloppe Ausgeh-Kleidung an, unauffällig grau, und wurde doch von jedem gekannt und gegrüßt. Erst Recht, als er das Wirtshaus betrat. „Das ist ja eine Freude!“, sagte der Wirt spontan und zapfte sofort ein dunkles Bier für den Butler. Wendelin blickte sich kurz in der Wirtsstube um und setzte sich dann an die Theke. Es waren nur drei Tische besetzt und der Butler war sich sicher, dass er ohne viel Aufsehen mit Jakob, dem Wirt, reden konnte. Zuerst aber trank er den cremigen Schaum vom dunklen Bier, das die Mönche des hiesigen Klosters immer zu Monatsbeginn pünktlich lieferten.

„Jakob, mein Freund“, begann Wendelin, „ich hab eine sehr vertrauliche Frage an dich!“ – Der Wirt zog seinen Schemel näher an die Schanktheke heran und blickte Wendelin neugierig direkt in dessen Augen. „Nur zu“, erwiderte Jakob, „ich weiß ja, dass du alles im Auftrag unseres Königs machst!“ Dabei grinste er und goss sich auch ein Dunkles ein. „Neulich war eine Kutsche da, in der ein alter Mann und ein – ähm – wuscheliger Hund war, oder?“

Jakob musste nicht lange nachdenken, denn zu viele Kutschen kamen nicht ins königliche Dorf. Das war Herr Senkel und sein Hund, von dem ich nicht weiß, wie er heißt“.

Wendelin stieß mit dem Wirt an, dann tranken beide einen großen Schluck, wischten sich den Schaum vom Mund und sahen sich wieder an. „Du musst mir alles über diesen Senkel erzählen!“, sagte der Butler.

„Wo willst du hin?“ Butler Jeremias richtete die Frage an Findel, der sich offenbar eine Jacke geholt hatte und nun mit dem Hund Richtung Schlosstor gehen wollte.