Fine Dying - Eva Rossmann - E-Book

Fine Dying E-Book

Eva Rossmann

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  • Herausgeber: Folio Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Stress, Alphatiere, Leidenschaft. Die Profi-Küche war immer ein gefährlicher Ort. Das bekommt auch Mira Valensky zu spüren. Im Gasthaus "Apfelbaum" scheint die Welt noch in Ordnung. Doch dann wird der syrische Hilfskoch erstochen. Die Wiener Journalistin Mira Valensky und ihre Freundin Vesna Krainer auf der Jagd durch Gourmettempel, Gastro-Klischees und die Macht der öffentlichen Meinung. Fine Dining rechnet sich nicht mehr, Luxuslokale sperren zu. Gasthäuser finden keine Arbeitskräfte. Die Gastronomie ist im Umbruch. Wer hat noch Lust, nach dem ultimativen Geschmack zu suchen? Werden Koch- und Servicebrigaden gar durch Roboter ersetzt? Der packende Insider-Krimi. Und eine Liebeserklärung an das faszinierende Küchen-Universum.

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Seitenzahl: 393

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Foto © Daniela Zedda

DIE AUTORIN

Eva Rossmann, geboren 1962, lebt im Weinviertel/Österreich und auf Sardinien. Juristin, Journalistin, Autorin.

Ihre gesellschaftspolitischen Kriminalromane rund um die Wiener Journalistin Mira Valensky und ihre bosnischstämmige Putzfrau und Freundin Vesna Krajner wurden zu Bestsellern und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Zuletzt ist bei Folio der Sardinien-Krimi „Tod einer Hundertjährigen“ (2022) erschienen.

Seit sie vor zwanzig Jahren für ihren Krimi „Ausgekocht“ recherchiert hat, arbeitet Eva Rossmann im Haubenlokal von Manfred Buchinger, dem „Gasthaus Zur Alten Schule“, mit. Staatlich geprüfte Köchin. Ihr jüngstes Kochbuch ist 2021 bei Folio erschienen: „No Stress. Mira kocht“.

EVA ROSSMANN

FINE DYING

EIN MIRA-VALENSKY-KRIMI

FOLIO VERLAG

Lektorat: Joe Rabl

© Folio Verlag Wien • Bozen 2023

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung und Umschlag: Dall’O & Freunde

Druckvorbereitung: Typoplus, Frangart

Printed in Europe

ISBN 978-3-85256-887-4

www.folioverlag.com

E-Book ISBN 978-3-99037-150-3

Für Manfred, den besten Koch.

Und alle, die nah am Feuer sind.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

GRUSS AUS DER KÜCHE

DANKE!

[ 1. ]

Schwarzer Rauch. Ich ringe nach Luft. Verkohlt, bizarr verzogen, in die Luft gereckt, das, was einmal ein Bein war. Unser Kater Vui. Prächtig, mit weißem, buschigem Fell, einem blauen und einem braunen Auge. Er ist dem Feuer zu nahe gekommen. Grau hockt er nun da, zum Katzenstandbild erstarrt, die Augen zugekniffen.

Oskar hustet. „Wir essen auswärts“, sagt er trocken.

Mag ich seine stoische Art? Meistens.

Ich wollte meinen neuen Holzherd einweihen. Gründlicher konnte das nicht schiefgehen. Es gibt einen Geschmack, einen Duft aus meiner Kindheit, von dem ich immer wieder träume: „gefülltes Hendl“. Das Sonntagsessen meiner Großmutter, wenn unsere Familie zu ihr aufs Land gefahren ist. Am Tag davor hatte sie einem ihrer Hühner den Kopf abgeschlagen. Großvater, ein musisch veranlagter Mensch, konnte das nicht. Die saftige Semmelfülle, die knusprige Haut. Unsere Erinnerungen verändern sich im Laufe der Zeit, die Wahrheit ist manchmal äußerst subjektiv. Allerdings gibt es auch objektive Voraussetzungen: Für das Gelingen dieses Gerichts ist es unter anderem die unnachahmliche Wärme eines mit Holz beheizten Backrohrs. Monatelang habe ich auf den Herd gewartet. Liebevoll habe ich ein großes Bio-Huhn ausgesucht, die Fülle so gemischt, wie meine Oma es getan hat. Und dann gleich doppeltes Versagen: Ich habe unterschätzt, wie heiß diese Öfen werden können. Ich habe die Zeit übersehen. Jetzt ist das ehemals prächtige Huhn eine verkohlte Schrumpfleiche.

Vui starrt mich an. So, als würde er mich auffordern, das Ding in etwas Essbares zurückzuverwandeln.

„Vergiss es“, sage ich und huste auch.

Oskar hat die Terrassentür aufgerissen. Frische kühle Mailuft. Ich hätte in der Nähe des Backrohrs bleiben müssen. Stattdessen bin ich nach nebenan in unsere Arbeitswohnung. Eigentlich nur, um kurz meine Mails zu checken. Da habe ich dann bemerkt, dass es Ärger gibt. Die Automobilbranche ist nicht zimperlich, wenn man Plug-in-SUVs als „dekadente Dreckschleudern“ bezeichnet. Dabei habe ich bloß eine junge Klimaschützerin zitiert. Sie haben ECCO, das Onlinemagazin, für das ich arbeite, mit Drohungen bombardiert. Sie fordern einen schriftlichen Widerruf, sonst folgt eine Klage. Sam Mayer, meine Chefredakteurin, will eine ausführliche Stellungnahme. „Erschlagen wir sie mit Fakten“, hat sie gemailt. Ich habe mit dem Kohlendioxidausstoß der Status-Schlitten begonnen. Er liegt deutlich über dem von herkömmlichen Kleinwagen. Bin dann zum Öko-Schmäh gewisser Automarken, den Vorteilen eines reinen Elektroantriebs für Modelle, die nicht übermotorisiert sind, bis … bis mir eben, mehr als eine Stunde später, bewusst geworden ist, dass gerade eine Kindheitserinnerung im Holzherd verglühen könnte. Ich hatte die, eigentlich recht kleine, Brennkammer bis oben mit Holz gefüllt. So wie in einer plausibel wirkenden Internetanleitung beschrieben.

Das eingebaute Thermometer steht immer noch auf dreihundert Grad. In unserem Ess-Wohn-Lebenszimmer herrscht gefühlte Saunatemperatur. So einen Backofen kann man nicht einfach ausschalten, auch wenn ein Großteil des Holzes inzwischen verbrannt ist. Ich kann nur hoffen, dass mein Traumherd das überleben wird. Zwei dicke Handtücher in der linken, zwei wattierte Topflappen in der rechen Hand. Vorsichtig ziehe ich den Grillrost ein Stück heraus, nehme die offenbar tatsächlich feuerfeste Form, trage das bösartig rauchende Objekt auf die Terrasse, stelle es auf den Boden. Knirschen, Knacken, eine Fliese: gesplittert.

Oskar lächelt mich an und zuckt mit den Schultern. Ist es Gleichmut? Oder doch schon Ignoranz? Andererseits: Wäre es mir lieber, er würde toben? Oder mich auslachen? Ich versuche zurückzugrinsen, hole tief Luft und stelle mich neben ihn. Von hier aus hat man einen atemberaubenden Blick über die Dächer von Wien. Daran kann keine gebrochene Fliese, kein verkohltes Huhn etwas ändern.

Vui ist langsam näher gekommen, hat dann aber offenbar eingesehen, dass aus diesem Vieh nichts Genießbares mehr wird. Jetzt sitzt er in der Tür und putzt sich.

Mein Telefon. Sam Mayer? Ein Auto-Lobbyist? Die Nachbarn? Lasst mich in Ruhe, ich werde Stoikerin. Nach der siebten Klingelton-Wiederholung werfe ich doch einen kurzen Blick aufs Display.

„Manninger“, sage ich zu Oskar. „Ich habe lange nichts von ihm gehört.“

„Ist doch ein Wink des Schicksals. Geh dran und bestell einen Tisch bei deinem alten Koch-Freund. Wir fahren ins ‚Apfelbaum‘ und gönnen uns ein feines Abendessen.“

Gute Idee. Ohnehin absurd, wie lange wir schon nicht mehr in seinem Gasthaus im Weinviertel gewesen sind. Immer war etwas anderes los: Pandemie, Sardinien, meine Arbeit, seine Arbeit – alles bloß Ausreden dafür, dass wir offenbar immer fauler werden.

„Hi Günter, wir kommen heute Abend, okay?“, sage ich anstelle einer Begrüßung.

„Würde mich freuen, aber das schaffst nicht einmal du.“

„Warum? Seid ihr abgebrannt?“

„Wie kommst du auf so etwas?“

„Erzähle ich dann.“

„Ich bin auf St. Kitts. Genau deswegen rufe ich an.“

Palmen, lauer Wind, Steeldrums – ein Hauch Paradies. Ich erinnere mich … eine kleine karibische Insel, ein nächtlicher Strand … – Stopp, Mira. Und das nicht nur, weil Oskar dabei keine Hauptrolle gespielt hat. „Schön wäre es“, sage ich.

„Ich brauche deine Hilfe. In Österreich. Khaled wurde ermordet. Er ist einer meiner beiden Köche. Eigentlich Hilfskoch.“

„Khaled?“

„Ein junger Syrer. Netter ruhiger Mann. Verlässlich, unauffällig. Drei Messerstiche. Hinter dem Gasthaus bei den Mülltonnen. Gestern früh.“

„Gibt’s eine Spur? Ich nehme an, du hast mit den anderen Mitarbeitern telefoniert.“

„Klar. So viele sind es nicht. Man kriegt kaum Personal, schon gar nicht am Land.“

„Und was sagen sie?“

„Dass sie keine Ahnung haben. Das ‚Apfelbaum‘ war gestern geschlossen. Wir haben momentan nur an drei Tagen geöffnet, mehr geht sich nicht aus.“

„Eine Fehde?“

„Du meinst, unter Flüchtlingen? Oder dass es etwas mit Ausländerfeinden zu tun hat? Kann ich mir alles nicht vorstellen. Auch Esat sagt, da war nichts. Keinerlei Anzeichen. Khaled war wie immer. Ich weiß nicht viel von ihm, auch weil er wenig Deutsch kann. Er war nicht besonders schnell, aber verlässlich. Er hat im ‚Apfelbaum‘ gewohnt. Das war praktisch. Im ersten Stock gibt’s ein Zimmer und ein Bad, so hatte er keine Mietkosten und ich jemanden, der aufs Gasthaus aufgepasst hat.“

„Einbrecher?“

„Es wurde offenbar nichts gestohlen.“

„Esat? Wer ist das?“

„Mein Küchenchef, sozusagen. Momentan.“

„Und woher stammt er?“

„Auch aus Syrien.“

„Aha.“

„Nichts aha. Die sind beide geflohen. Esat früher, Khaled später. Sie haben sich gut verstanden, auch wenn Esat natürlich dominant war.“

„Natürlich?“

„Esat Al Sayed kommt aus einer wohlhabenden Familie in Damaskus. Er hat die Filmhochschule abgeschlossen. Und dann bei mir in kürzestmöglicher Zeit die Kochlehre absolviert. Khaled kommt vom Land, aus einer Provinz, deren Name mir immer entfällt. Der Vater war Lastwagenfahrer, die Familie hat eine Art Bauernhof. Wenig Schulbildung, viel schlechtere Startchancen, um Deutsch zu lernen und einen ordentlichen Job zu finden.“

„Aber religiös.“

„Wie kommst du darauf? Khaled war religiöser als Esat, aber das war es schon. Heuer hat er sogar auf den Ramadan verzichtet. Auch wenn er geklagt hat, dass seine Mutter das nie erfahren dürfe, es würde sie umbringen.“

„Warum fragst du nicht Billy?“

„Du weißt doch, dass sie nur mehr Private Dining macht. Und Ghostwriterin ist, für Promis, die unbedingt ein Kochbuch schreiben wollen. Die könnte dir Geschichten erzählen …“

„Sie kennt den Laden. Und wohl auch deine jetzige Truppe im ‚Apfelbaum‘, oder?“

„Nicht besonders gut. Sie hat mich einige Male vertreten, aber Esat ist inzwischen sehr selbstständig. Ich möchte, dass jemand im ‚Apfelbaum‘ nachsieht, den meine Leute nicht kennen. Ihr seid schon lange nicht mehr bei uns gewesen, oder?“

„Verrückt lange, ich weiß auch nicht, wie …“

„Alles gut. Jetzt sogar sehr gut so. Mira, bitte, schau nach, was da los ist.“

„Klingt so, als würdest du deinen Leuten doch nicht ganz trauen.“

„Das ist es nicht, nur …“

„Wie stellst du dir das vor? Ganz abgesehen davon, dass das Gasthaus jetzt wohl geschlossen ist.“

„Ist es nicht. Die Polizei scheint kein besonderes Interesse an dem Fall zu haben. Ich kenne den Bürochef des Innenministers, er ist einer dieser Foodies. Er hat gemeint, man wolle verhindern, dass das ‚Ausländerthema‘ noch mehr hochkocht und einer gewissen Partei nützt. Na ja. Die Ermittler haben offenbar ihr übliches Programm abgespult und das ‚Apfelbaum‘ wieder verlassen. Ich mache mir Vorwürfe. Vielleicht hätte ich nicht wegfahren dürfen. Womöglich habe ich etwas übersehen.“

„Was machst du eigentlich in der Karibik?“

„Ich bin der sogenannte ‚Star-Chef‘ im neuen Flagship-Ressort von ZEN, du weißt, diese Fünf-Sterne-Kette … Ich soll die ersten Wochen aufgeigen, Fine Dining mit einem karibischen Touch, nichts zu Exotisches, die Truppe anlernen, Medientermine absolvieren und dann darf ich mit gutem Geld weiterziehen.“

„Dabei hätte ich dich lieber unterstützt.“

Oskar wirft mir ungeduldige Blicke zu, deutet zur Tür, dann auf seinen Magen. Ja, ich bin auch hungrig. „Sie haben seinen Koch erstochen“, erkläre ich.

„Wohin gehen wir dann?“, flüstert Oskar.

Ich sehe ihn strafend an. Das ist jetzt wirklich ignorant.

„Was ist?“, will Manninger wissen.

„Kurzerklärung für Oskar.“

„Mira, ich habe mir das so vorgestellt: Wir suchen ständig Personal, ich habe Inserate geschaltet, Zettel aufgehängt. Du kommst und bewirbst dich als Küchenhilfe. Esat wird dich mit Handkuss nehmen.“

„Ein Syrer mit Handkuss.“

„Der kann das, da bin ich mir sicher. Der ist charmanter als die meisten unserer Eingeborenen. Sein nächstes Ziel ist die Staatsbürgerschaft. Da ist er dran. Mit vollem Einsatz.“

„Als Küchenhilfe.“

„Du kennst dich aus, du hast damals bei Billy viel gelernt, aber du bist keine gelernte Köchin. Nur für ein paar Tage. Wer weiß, vielleicht schaut auch eine Reportage raus. Alltagsleben in der Gasthausküche. Oder so.“

„Dass es in der Profiküche ziemlich zur Sache gehen kann, davon hab ich schon gehört. Aber Mord als Alltag? Wäre mir zu viel. – Was hat dir die Polizei erzählt?“

„Nur die offensichtlichen Tatsachen. Mehr gibt’s nicht, meint auch der Bürochef des Innenministers. Aber der will eben beruhigen. – Was ist mit deinen Kontakten?“

„Die waren mal. Seit der Pensionierung schippert der ehemalige Chef der Abteilung Leib und Leben auf seinem Boot durch die Weltgeschichte. Jetzt beschränken sich meine guten Verbindungen auf eine lokale Größe. Aber bei Mord geht alles ans Landespolizeikommando, womöglich sogar ans Bundeskriminalamt, wenn der Fall brisant genug ist.“

„Lokale Größe? Vielleicht hat er ermittelt?“

„Unwahrscheinlich. Nemecek ist Bezirkspolizeikommandant.“

„Mira, es geht mir auch um die Mitarbeiter: Ich muss versuchen, den Schaden fürs ‚Apfelbaum‘ gering zu halten. Je weniger Gerüchte, je weniger falsche Verdächtigungen, desto besser.“

„Weil jemand, der sich mit sechzig als Küchenhilfe bewirbt, nicht auffällt.“

„Erstens, meine liebe Mira, siehst du deutlich jünger aus. Zeitlos.“

„Zeitlos?“

„Du weißt, wie ich das meine … Verdammt, es sollte ein Kompliment sein. Übrigens: Wir hatten vor kurzem einen siebenundsiebzigjährigen Bankmanager in der Küche. Die Truppen werden immer bunter, notgedrungen.“

„Der ist aber nicht mehr da, oder?“

„Nein. Er wollte zu viel Geld.“

„Im Ernst?“

„Mit so was scherze ich nicht. Bring einfach Vesna mit, dann habt ihr es lustig.“

„Du weißt, dass meine Freundin nicht eben ein Fan der Küchenarbeit ist.“

„Aber du bist es. Warst es immer. Und du würdest mir enorm helfen.“

Wenig später habe ich Oskar das Wichtigste erzählt.

„Ist doch perfekt, dann fahren wir ins ‚Apfelbaum‘, essen, und du schaust dich um.“

„Die Idee war, dass ich quasi undercover in der Küche nachsehe. Nicht als Gast. Geht wohl schlecht, dass ich zuerst mit dir zu Abend esse und mich dann als Mitarbeiterin bewerbe.“

„Du wolltest eben sehen, ob dir das Lokal zusagt. Ob alles passt, ob sie gut genug sind. Und dann entscheidest du, ob du mitarbeiten möchtest.“

„Typisch Küchenhilfe!“, höhne ich.

„Schon mal was von Arbeitskräftemangel in der Gastronomie gehört? Man arbeitet nur, wenn einem alles konveniert.“

„Wenn du mit bist, glaubt mir ohnehin keiner, dass ich den Job will.“

„Warum?“

„Weil du nicht aussiehst, als würde deine Frau einen Hilfsjob in der Küche suchen.“

„Und wie sehe ich aus?“

„Wie ein Wirtschaftsanwalt eben. Dafür brauchst du keinen dreiteiligen Anzug. Dich tarnt auch dein Polo plus Gilet nicht.“

„Du könntest meine … Geliebte sein. Mein Verhältnis, meine …“

„Noch besser, sehr spendabel bist du dann nicht.“

„Du wolltest doch nie abhängig sein. Finanziell.“

„Wir reden nicht vom echten Leben.“

„Tun wir nicht? Warum sollte die Frau eines Anwalts nicht in der Küche arbeiten wollen?“

„Weil das momentan – im echten Leben, liebster Oskar – nicht einmal Leute tun, die null gelernt haben und null Geld haben.“

„Freaks“, sagt Oskar grinsend. „Du bist ein Freak. Die tun das. Außerdem hab ich Hunger. Und Vesna, die nehmen wir mit.“

Die Straße führt vorbei an Weingärten und Äckern. Die letzten Strahlen der Abendsonne bringen das junge Grün zum Strahlen. Ein Bussard fliegt auf.

„Totgefahrener Hase“, sagt Vesna hinter mir. „Wir haben den Vogel beim Abendessen gestört.“

Ja, gut, auch das ist Weinviertel.

Dann taucht in der Kurve das alte Gasthaus mit den zwei großen Kastanienbäumen auf. An einem warmen Sommertag in ihrem Schatten zu sitzen … Es gibt Plätze, an denen fühlt man sich gleich wieder zu Hause. Das „Apfelbaum“ ist für mich einer davon.

Warum nur waren wir so lange nicht hier? Was hat sich verändert? Jetzt kochen hier zwei Syrer. Das heißt, der eine kocht nicht mehr, der ist tot. Lange ist es her, dass ich Billy Winter, der damaligen Pächterin, bei der Lösung eines anderen Falls geholfen habe. Mysteriöse Attentate: Salz und Zucker wurden vertauscht, eine Melone flog durchs Fenster, ein Koch ist verschwunden. Und dann die Sache mit der Faschiermaschine.

„Zwanzig Jahre“, sagt Vesna.

Zwanzig Jahre? Offenbar kann meine Freundin Gedanken lesen. Tatsächlich. Zwei Jahrzehnte sind seither vergangen. Natürlich waren wir auch danach hier. Als Gäste. Als Freundinnen. Bei Manninger, dem genialen Koch, der zwischen seiner Homebase und der großen weiten Welt pendelt. Bei den unterschiedlichen Menschen, denen er seine Art zu kochen beigebracht hat: bodenständig und kreativ zugleich, immer frisch, immer anders, am Augenblick orientiert. „Cuisine du moment“ hat ein Gastrokritiker es genannt.

So vieles ist in diesen zwanzig Jahren geschehen. Wie hat es uns verändert? Sind wir klüger geworden? Gar weiser oder bessere Menschen? Wir haben mehr gesehen und erlebt. Das jedenfalls. Und älter sind wir geworden, klar. Damit habe ich kein großes Problem. Zumindest noch nicht. Jetzt bin ich vor allem hungrig. Dass ich gerne esse, ist in den letzten Jahrzehnten jedenfalls gleich geblieben. Aber was, wenn das gar nicht mehr unser „Apfelbaum“ ist? Ein Mord … und eine Belegschaft im Lokal, von der ich niemanden mehr kenne. Gerade deswegen hat mich Manninger hergebeten.

„Magst du aussteigen?“ Oskar sieht mich fragend an.

Er hat unseren E-Soul eingeparkt. Zwischen Hühnern, die frei herumlaufen. Das ist immer noch so. Manningers Hühner, die niemand abstechen mag. Sie fressen die Küchenabfälle, sie legen Eier, sie leben so lange sie eben leben.

Natürlich weiß meine Freundin Vesna inzwischen, worum mich Manninger gebeten hat. Ihre Antwort war erwartbar: Sie hat keine Zeit, um in der Küche mitzuhelfen. Ihre Firma läuft hervorragend: „Sauber – Reinigungsarbeiten aller Art“. Auch in Krisen machen Leute Dreck, sagt sie gerne. Ganz abgesehen davon, dass sie den Begriff „Reinigungsarbeiten“ nach wie vor großzügig auslegt. Inklusive detektivische Nachforschung und Aufdeckung. Damals, vor zwei Jahrzehnten war sie noch Putzfrau. Unter anderem meine. So hat unsere Freundschaft begonnen. Aus ihr ist „etwas geworden“, wie man so schön sagt: vom jugoslawischen Kriegsflüchtling mit dreijährigen Zwillingen zur österreichischen Unternehmerin. Und ich? Ich bin immer noch Journalistin. Seit einigen Jahren nicht mehr für die größte Wochenzeitung des Landes, sondern für ECCO, ein Onlinemagazin, das ich für deutlich seriöser halte. Zeit, in Pension zu gehen? Ich habe zu lange frei gearbeitet, um von meiner Rente halbwegs gut leben zu können. Besser, ich hänge noch ein paar Jahre dran. Und außerdem: Ich fühle mich nicht danach.

Keine Ahnung, warum mein Herz klopft, als wir die Gaststube betreten. Weil ich so lange nicht mehr hier war? Weil vieles, was ich so gemocht habe, weg sein könnte? Oder hat es mit dem Mord an einem Syrer zu tun, von dem ich so gut wie nichts weiß?

Doch dann ist es so wie immer: Die Speisekarte besteht aus losen Blättern auf einem Klemmbrett, so kann man sie sofort wechseln, wenn etwas ausgeht oder der Jäger von nebenan mit einem halben Wildschwein samt frischer Leber vorbeischaut.

Die alten Holzbänke mit ihren bunten Kissen sind gemütlich, der weiße Gespritzte schmeckt. Und dass uns eine Frau mit eindeutig deutschem Akzent begrüßt hat: warum nicht? Sie ist freundlich, beinahe zu fröhlich. Einen Tag, nachdem ihr Kollege ermordet worden ist. Es sind bloß zwei weitere Tische besetzt. Weil sich herumgesprochen hat, was passiert ist? Oder weil es sich eben noch nicht herumgesprochen hat? Ich gebe die Frage an Vesna und Oskar weiter. Mein Mann murmelt hinter seiner Speisekarte etwas wie: Ist eben nicht gerade zentral gelegen. Er ist eindeutig auf anderes konzentriert. Vesna wiegt den Kopf. „Ich glaube nicht, dass sie wissen, was passiert ist, sonst wäre es voll. Viele Leute sind mehr neugierig als hungrig.“

„Hast du den Koch schon gesehen?“, frage ich sie.

„Wird wohl kochen, der Syrer. Auch wenn du es nicht gerne hörst: Fehde unter Ausländern ist am wahrscheinlichsten. Manninger hat gesagt, das Opfer hat sonst nicht viele Leute gekannt.“

„Wenn wir beide im Ausland kochen würden und eine von uns ist tot: Ist es dann naheliegend, dass du mich oder ich dich umgebracht habe?“

„Erstens sind das Männer. Zweitens, wenn stimmt, was Manninger sagt, sie waren keine Freunde, nur Kollegen. Drittens sie sind, sorry, anders.“

„Eben Geflüchtete?“

„Habe ich nicht gesagt. Aber wir wissen nichts, vielleicht Streit wegen einer Frau. Oder ein Motiv, das mit ihrer Religion zu tun hat. Kann auch mit Herkunft oder mit Stolz zu tun haben. Man darf das nicht ausblenden, nur weil du Flüchtlinge gerne haben willst.“

„Du warst selbst auf der Flucht, schon vergessen?“

„Neben mir ist niemand bei Arbeit gestorben. Und: Das war damals ganz anders.“

„Es ist immer anders!“

Oskar räuspert sich. „Wir … wir sollten bestellen. Und, auch wenn es mir viel zu gefährlich ist, zwischen euch zu vermitteln: Ihr seid beide keine Rassistinnen. Ihr habt bloß unterschiedliche Thesen zu dem, was passiert sein könnte.“

„Mira hat keine These, außer ich bin eben doch Rassistin.“

Ich hole tief Luft. Was habe ich mir heute, nach dem Holzherd-Desaster, geschworen? Ich werde Stoikerin. „Ich nehme den Wildhasenrücken auf Kraut & Rüben, und davor … Spinat in der Palatschinke.“

„Ich hoffe, es ist nicht der Hase, den wir auf Straße gesehen haben“, sagt Vesna und grinst.

„Du meinst, dein Syrer kommt mit einem großen Messer, tranchiert das arme Tier zwischen den Büschen und schon ist der Rücken am Teller?“

„Mein Syrer? Ist eher dein Syrer.“

„Ihr habt ihn noch nicht gesehen. Und ich nehme das getrüffelte Schnitzel vom heimischen Kalb“, wirft mein Mann ein.

„Vielleicht war es Konkurrenzneid und jemand wollte Manninger eins auswischen“, überlege ich.

„So gut geht Geschäft auch wieder nicht“, stellt Vesna fest.

„Oder es waren Ausländerfeinde? Da kochen zwei Geflüchtete, das findet vielleicht nicht nur meine beste Freundin verdächtig.“

„Mira!“, ruft Oskar empört. Beim Essen will er Frieden. Sonst auch.

„Dann sie müssten halbe Gastroszene ausrotten. So fleißig sind die neuen Nazis nicht“, antwortet Vesna ungerührt.

Ich kneife die Augen zusammen. Das Paar, das eben von der Kellnerin begrüßt wird. Er groß und schlaksig, in Jeans und einem Cordsamt-Sakko, sie zierlich und schick, an der Leine einen munteren gefleckten Hund. Es gibt Menschen, die meinen, ich bräuchte schon lange eine Brille. Bloß weil ich ein wenig kurzsichtig bin. Ich finde, man muss nicht immer alles so scharf sehen. Gibt der Fantasie mehr Spielraum. – Geht die gerade mit mir durch oder ist das wirklich Bezirkspolizeikommandant Fritz Nemecek samt Gattin und Hund? Kann das ein Zufall sein? Und: Wird er glauben, dass es ein Zufall ist, uns ausgerechnet heute hier zu begegnen?

Er deutet auf den am weitesten entfernten Tisch und sieht nahezu penetrant an uns vorbei. Seine Frau kenne ich kaum, ich habe sie vor einigen Jahren bei einem Familienfest getroffen. Seine umtriebige Nichte hat damals einen im ganzen gebackenen Karfiol beigesteuert. Warum fällt mir gerade das jetzt ein? Wäre auch ein Gericht, das sich gut für meinen neuen Holzherd eignen würde. Wenn er keinen Schaden genommen hat. Nemecek beugt sich unter die Bank und streichelt den Hund. Er deutet etwas. Gilt es dem Tier? Er wiederholt die Geste. Dann schaut er mich direkt an. Kopfbewegung, noch immer unter dem Tisch, Richtung Tür. Wenn ich richtig gesehen habe.

„Ist das nicht dein Lieblingspolizist?“, fragt Oskar.

„Psst“, mache ich. „Der hat mit den Ermittlungen nichts zu tun.“

„Ist mir klar. Aber warum ist er dann hier?“

„Weil man im ‚Apfelbaum‘ gut isst?“

„Weil er ist mindestens so neugierig wie Mira“, vermutet Vesna.

Ich zucke mit den Schultern. „Ihr entschuldigt mich?“

„Was wir sollen entschuldigen? Hast du mit Kommandant vereinbart …“

„Liebste Vesna, das sagt man so.“

„Sagst du sonst nie.“

Durch die Schwingtür, in den Gang mit den Toiletten. Zum Glück hat Manninger hier viele seiner Auszeichnungen aufgehängt. Ich kann so tun, als ob ich sie studieren würde. Chaîne des Rôtisseurs, Dîner Amical – ein Hoch dem Grand Chef! Erster Platz beim Internationalen Deinhard-Wettbewerb in der Kategorie Fischgerichte. Wahnsinn. Das war in den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts. Da bin ich noch zur Schule gegangen.

„Was machst du da?“

„Lesen?“ Ich lächle den obersten Bezirkspolizisten freundlich an.

„Ich bin nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen.“

„Schöner Ausdruck. Hört man nur mehr selten. Muss ich mir aufschreiben. Sollte bei der Instagram-Generation nicht in Vergessenheit geraten.“

Nemecek runzelt die Stirn. „Lenk nicht ab.“

„Wir wollten wieder einmal gut essen. Ich hatte … ein kleines Malheur mit meinem neuen Holzherd. Kannst du gerne nachprüfen. Und du? Beschäftigt dich das LKA als verdeckten Gast?“

Fritz Nemecek schüttelt in gespielter Verzweiflung den Kopf. „Auf solche Ideen kommt auch nur die sehr verehrte Mira Valensky.“

„Was hast du für eine Idee zum Mord?“

„Wusste ich es doch.“

„Manninger hat mich angerufen. Er ist in der Karibik, Fünf-Sterne-Ressort.“

„Er hätte lieber auf seine Köche aufpassen sollen.“

„Manninger ist dort Star-Chef, wie sie das nennen. Fine Dining zelebrieren. Um gutes Geld, damit das ‚Apfelbaum‘ auch eine Flaute wie diese überlebt. Was meinst du?“

„Ich finde so Zeug anstrengend. Ich esse lieber hier.“

„Du warst im ‚Apfelbaum‘, nachdem Esat den Mord gemeldet hat?“

„Esat. – Du kennst ihn?“

„Nein. Um ehrlich zu sein, ich kenne niemanden vom ‚Apfelbaum‘-Team. Und du?“

„Wir sind nicht zuständig. Die Kollegen vom nächsten Posten haben den Tatort gesichert, dann haben die Leute vom LKA übernommen.“

„Aber sie werden euch wohl informiert halten. Immerhin ist es dein Bezirk.“

„Ich bin nicht Kaiser, ich bin Polizist, Freund und Helfer. Und so sehen mich die in der Zentrale auch.“

„Freunden erzählt man etwas.“

„Okay, vergiss das mit dem Freund. Helfer, Handlanger. Keine Chance, Mira. Ich weiß nichts.“

„Deswegen bist du hier.“

„Ich bin hier, weil ich hungrig bin. Und offenbar habe ich einen guten Instinkt. So kann ich dir sagen, dass du dich raushalten sollst. Schlimm genug, was passiert ist.“

„Ich bin Journalistin. Ich könnte die vom LKA fragen, wie die Ermittlungen laufen. Und wie der Bezirkspolizeikommandant eingebunden ist, den ich gestern ganz zufällig im ‚Apfelbaum‘ getroffen habe.“

Nemecek zwinkert mir zu. „Kann ich da einen … zarten Beigeschmack von Erpressung spüren?“

„Ich habe Manninger versprochen, wieder mal in der Küche auszuhelfen.“

Hunderte von Lachfältchen um seine Augen. Was ist daran so witzig?

„Schau nicht so böse. Ich habe Manninger versprochen, Frau und Hund zum Essen auszuführen …“

„… und nachzusehen, was los ist, wie es läuft, ob dir irgendetwas auffällt.“

„Ist eben ein alter Freund. Und mein Lieblingskoch.“

„Er hat mir nichts davon erzählt.“

„Davon, dass ich seine Küche liebe?“

„Dass er dich angerufen hat.“

„Wenn es dich tröstet, er hat mir auch nicht erzählt, dass er dich anruft.“

„Du hast also gewusst, dass er in der Karibik ist!“

„Liebe Mira, schon mal was davon gehört, dass man nicht alles, was man weiß, gleich auf der Zunge trägt? Schon gar bei Ermittlungen?“

„Die du ja nicht führst.“

„Du noch weniger.“

„Du kennst Esat Al Sayed also?“

„Nein. Vielleicht habe ich ihn mal gesehen, ich glaube nicht, dass die Belegschaft weiß, wer ich bin. – Du willst also in der Küche herumschnüffeln. Ist dir klar, dass das brenzlig werden kann?“

„Hat Kochen so an sich. – Weißt du, was mir ein Schweizer Löwenbändiger, den ich für eine Reportage gefragt habe, wie gefährlich sein Job eigentlich ist, geantwortet hat? ‚Gefährlich? Was ist denn heutzutage nicht gefährlich?‘ – Außerdem fürchtet man sich bekanntermaßen immer vor dem Falschen.“

Nemecek nickt und zwinkert schon wieder. „Flugzeugabsturz statt Unfall auf der Brünner Straße. Impfung statt Krankheit. Blackout statt Rauchgasvergiftung durch ein Notstromaggregat.“

„Stau statt Klimakollaps. – Ich hätte heute beinahe unsere Wohnung abgefackelt. Zumindest war im Holzherd am Ende eine verkohlte Leiche.“

„Huhn oder Schwein?“

Ich lache. „Wenn es etwas gibt, das für die Ermittlungen wichtig ist, dann sage ich es dir, okay?“

„Das musst du auch.“

„Ich muss es den ermittelnden Behörden sagen.“

„Da ist er schon wieder, dieser bittere Beigeschmack von … Erpressung …“

„Manninger möchte sicher, dass wir unser Wissen zusammenlegen.“

„Deswegen hat er keinem etwas vom jeweils anderen Telefonat erzählt.“

„Er macht sich Sorgen … Kann es sein, dass er mehr weiß? Oder ahnt?“, überlege ich.

Nemecek deutet Richtung Gang. Da kommt jemand. Und wir verschwinden hinter den unserem Geschlecht zugedachten Türen.

Täusche ich mich, oder hat das Essen schon besser geschmeckt? Vielleicht liegt es bloß daran, dass ich weiß: Manninger ist nicht hier. Erinnert mich an eine seiner Lieblings-Geschichten über Bocuse. Ein Gast hat bemerkt, dass der Ausnahmekoch erst gegen Ende des Dinners seinen Sterne-Tempel betreten hat, und fragt: Maître, wer kocht, wenn Sie nicht da sind? Bocuses Antwort war: Dieselben, die sonst auch kochen!

Jedenfalls ist das Kalbsschnitzel knusprig und saftig, Vesnas Lammstelze schwimmt vielleicht in etwas zu viel Tomatensauce, ist aber aromatisch und zart. Und den Wildhasenrücken könnte man nicht besser zubereiten. Was macht ein gutes Lokal zu einem besonderen? Wohl nicht nur die Qualität des Essens. Auch wenn die jedenfalls stimmen muss.

Esat Al Sayed habe ich kurz gesehen. Er hat der Kellnerin, von der ich inzwischen weiß, dass sie Nicole heißt, beim Servieren geholfen. Er macht kein Hehl daraus, dass er in der Küche das Sagen hat. Er hat auf Küchenchefart gelächelt und gefragt, ob es schmeckt. Warum sollte er sich auch verstecken? Esat Al Sayed ist mittelgroß und schlank, mit dichten dunklen Haaren, die ihm bis über die Ohren reichen. Bartlos. Selbstbewusst. So als ob er sich hier zu Hause fühlen würde. – So als ob? Er ist hier daheim. Er hält Manninger den Rücken frei.

Vesna will ganz genau wissen, was mir Nemecek erzählt hat. Ihre Analyse danach: „Der weiß nicht mehr als wir.“

Viel weniger kann man allerdings auch nicht wissen. Klar ist, dass er trotz allem einen besseren Zugang zu den Ermittlungen hat. Dafür kann ich einfacher in die Küche. Zeit, mich als Hilfe anzudienen. Ich hole tief Luft und winke Nicole.

„Der Chef hat erzählt, aber ich habe gedacht, Sie sind nicht gekommen“, sagt Al Sayed und mustert mich unschlüssig. Begeistert scheint er über die Unterstützung nicht gerade zu sein. Wir stehen bei der Arbeitsfläche aus Edelstahl, auf der auch angerichtet wird. Das hat sich in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert, allzu viel lässt sich in einer alten Küche wie dieser nicht umbauen.

„Ich bin eine Freundin von Günter Manninger. Ich habe hier schon ausgeholfen, auch wenn das lange her ist.“

„Vielleicht ist es momentan ein bisschen … ungünstig“, murmelt er.

„Manninger hat mir erzählt, was passiert ist. Schrecklich. Aber ich fürchte mich nicht, falls Sie das meinen.“

„Nein. Nur weil man nicht weiß, wie weiter.“

„Es ist bloß Probearbeit. Und vielleicht kann ich ja auch sonst helfen.“

Al Sayed wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. „Vielen Dank, das wird nicht notwendig sein.“

Erst jetzt merke ich, dass die Kellnerin Nicole offenbar mitgehört hat. „Sei doch froh, Esi, wir können alle Hände gebrauchen.“

Er schenkt mir ein höfliches Lächeln. „Natürlich Sie sind uns willkommen. Chef weiß, was er tut.“

Ich lächle zurück, strecke ihm meine Hand entgegen, ziehe sie in der nächsten Sekunde wieder zurück. Man gibt einander nicht die Hand in arabischen Ländern. Und Berührungen zwischen Männern und fremden Frauen …

Der Syrer scheint sich zu amüsieren und streckt mir seinerseits die Hand entgegen. „Esat.“

„Ich wollte nicht unhöflich sein.“

„Wir sind hier in Österreich. Ich habe kein Problem mit anderen Gewohnheiten. Ich habe sie schon früher gelernt, da ich halbes Jahr in Paris war. Mit achtzehn, bei meiner Schwester, die lebt dort. Unsere Familie ist international.“ Der Stolz in der Stimme ist nicht zu überhören.

„Bei deinem Kollegen war das anders, nicht wahr?“, frage ich. „… soviel Günter Manninger mir erzählt hat.“

Esat Al Sayed sieht zu Boden. „Er hat anders gelebt. Er war ein guter Mann.“

Nicole nickt. „Das war er, ein anständiger Kerl. Ich kapiere total nicht, was da passiert ist. Und bei einem können Sie sicher sein: Wir waren es nicht, die unseren Khaled abgemurkst haben. Nicht mal Frau Gruber. Bei dem Mitarbeitermangel wären wir auch schön blöd. Jetzt fehlt noch einer mehr …“

[ 2. ]

Als ich am nächsten Morgen um zehn das „Apfelbaum“ betrete, wischt Nicole den Boden rund um die Schank. „Sie ist tatsächlich gekommen!“, ruft sie fröhlich.

„Gab es Zweifel?“, frage ich und wundere mich einmal mehr über ihre gute Laune.

„Tja, Sie haben es nicht gerade nötig, oder?“

„Mira.“

„Okay, Nicole.“

„Ich … brauche Abwechslung. Und ich arbeite einfach gerne in der Küche.“

„Mit Khaled hat das nichts zu tun, oder?“

„Ganz schlimmer Zufall“, murmle ich.

„Sie wissen … du weißt, dass du hier aber richtig was arbeiten musst?“

„Wo ist Esat?“

„Noch nicht hier.“

Ich sehe sie erstaunt an. Ich kann mich erinnern: Billy war üblicherweise um neun im Lokal, der Rest der Truppe je nach Arbeitsanfall, aber spätestens um zehn.

„Is’ nicht so viel los momentan“, sagt Nicole. „Und Frühaufsteher ist unser Esat keiner. Der kommt aus ziemlich guten Verhältnissen, er hat nicht gelernt, früh auf den Beinen zu sein.“

„Und du?“

„Ich komm von einem Hof in der Nähe von Bamberg, Schweine, Gänse, Hühner, sagt alles, oder?“

„Was hat dich ins Weinviertel verschlagen?“

„Das Leben? Manninger hat mich in einem Lokal in Berlin aufgegabelt. – Nich’ so, wie du meinst. Als Servierkraft. Ich hab gute Nerven. Und ich wollte weg von dort. Ich mag es nicht zu lange an einem Platz, weißt du? Schau dir meine Schwägerin an und du weißt, wozu das führt.“

„Wozu führt das?“

„Drei Kinder, ein Mann, der immer langweiliger wird, Stall und Kredite und Freundinnen, die fett werden, und …“

Ich lache. „Das hier ist auch nicht gerade der Nabel der Welt. Zumindest was Action angeht.“

„Is’ mir momentan sehr recht. Ich brauch mal eine ruhige Phase. Vielleicht hatte ich es ein wenig übertrieben und hier findet mich keiner so schnell.“

„Du … wirst gesucht?“

„Mann, doch nicht so, aber da war ein Lover und da war eine Frau und …“

„Und sie verfolgt dich mit Eifersucht.“

„Beide, meine Süße, sie tun es beide.“

„Die ist bi. Das ist jetzt ganz normal.“ Ich fahre herum. Hinter mir steht eine ältere Frau in weißer Schürze, dicke Brillengläser, knallgelbe Handschuhe. Akzent: aus der Nähe. Weinviertel.

„Frau Gruber“, sagt Nicole und verdreht die Augen. „Sie ist das Gefährlichste hier. Sie kann dich totreden. – Ich muss mal weitertun.“

So ist Khaled trotzdem nicht gestorben.

Wenig später weiß ich, dass Frau Gruber an der Abwasch steht, manchmal auch Salate anrichtet und eigentlich überhaupt alles kontrolliert. Dass sie „ganz von Anfang an“ hier gearbeitet hat, kaufe ich ihr trotzdem nicht ab.

„Wie die Zeit vergeht“, sagt sie unerschüttert. „Vor zwanzig Jahren, da bin ich gekommen, also war ich immer schon dabei.“

Besondere Logik. „Sie sind von hier?“

„Hört man das nicht?“

Ich nicke. „Und … Sie sind gerne da?“

Frau Gruber sieht mich prüfend an. „Ich sage nur so viel: Ich muss aufpassen. Das habe ich Herrn Manninger versprochen. Es ist schwer, heutzutage gute Leute zu bekommen.“

„Ich bin eine Uralt-Freundin von Manninger.“

Wieder ein prüfender Blick. „Sie haben auch schon mehr als sechzig Jahre auf dem Buckel, oder? Was haben Sie angestellt, dass Sie immer noch arbeiten müssen? Regen bringt Segen? Oder sind Sie pleite?“

„Ich … arbeite gerne in der Küche. Und auch ich will Manninger helfen. In dieser schlimmen Situation umso mehr. – Nicole ist nett, ist sie immer so fröhlich?“

„Sie meinen, weil doch der Khaled tot ist? Die ist immer so fröhlich. Meistens.“

„Immer oder meistens?“

„Was? Ich sage nur, der Glücklichen schlägt keine Stunde.“

„Kapier ich jetzt nicht ganz.“

„Die hat schon geweint, als die Polizei da war und die Sachen vom Khaled mitgenommen hat. Aber die lacht lieber. Humor ist, wenn man trotzdem lacht, oder?“

Ich helfe ihr Salat waschen und zehn Minuten später weiß ich, dass sie vier Enkel, drei verheiratete Töchter, einen unverheirateten Sohn und eine Katze namens Minki hat. Außerdem Gicht und einen Gemüsegarten, der sehr groß ist, weil sie dem lieben Chef Manninger gerne wirklich Frisches bringt. „Eine Hand wäscht die andere“, fügt sie hinzu und ich beginne zu verstehen, was Nicole mit ‚die kann dich totreden‘ gemeint hat. Schade nur, dass die Versuche, über Khaled zu sprechen, wenig gebracht haben. „Nichts Schlechtes über Tote“, hat sie abgeblockt und auf meine Frage, ob es denn Schlechtes über ihn zu erzählen gäbe, kam die Gegenfrage: „Warum? Das ist doch nur ein Sprichwort.“

Dafür wollte sie so viel wie möglich über mich wissen. Inzwischen ist es halb elf, der Salat ist gewaschen, die Karotten sind geschält. Esat ist immer noch nicht da. Wie lange kann ich warten, bevor ich Nemecek informiere?

„Sie hören mir gar nicht zu“, sagt Frau Gruber strafend.

„Doch, aber am Vormittag rede ich selten viel“, antworte ich. Der zweite Teil stimmt.

„Das Leben erzählt die besten Geschichten.“

Ich muss hier dringend raus. Und Nicole fragen, ob es normal ist, dass Esat immer noch fehlt. Was, wenn die ersten Gäste kommen? Außer mir ist nur Frau Gruber in der Küche. Zwanzig Jahre her, dass ich hier mitgearbeitet habe. Für einen ganz anderen Fall. Und weil es mich immer schon interessiert hat, wie man in einer Profiküche arbeitet. Was ich damals, unter anderem, gelernt habe: Privat kochen ist etwas anderes. Man weiß, wer wann kommt, man bestimmt das Menü. Und ist etwas nicht ganz zeitgerecht fertig, auch egal. Hier gibt’s eine Speisekarte, es geht um Logistik, um Abläufe, um die berühmte Mise en Place. Viele Grundzutaten müssen da sein, vorbereitet: Zwiebeln geschnitten, Kartoffeln gekocht, Fond fertig, Fleisch von den Sehnen befreit, Gemüse gewaschen und geputzt, und, und …

„Hat Khaled die Mise en Place gemacht?“, frage ich Frau Gruber.

„Er war brav. Er hat nicht viel verstanden, aber er hat alles getan, was gegangen ist. Und ich hab ihm gelernt, dass Sauberkeit ganz wichtig ist. ‚Sauberkeit ist das halbe Leben‘, habe ich ihm immer gesagt. Daheim haben die sicher noch mit offenem Feuer gekocht. Er hat ja nichts erzählt von daheim, leider.“

„Warum?“

Frau Gruber sieht mich an, als ob ich schwachsinnig wäre: „Na, weil er nicht gut Deutsch kann. Konnte. Schon traurig, das mit ihm.“

Wahrscheinlich um dem nächsten Sprichwort zu entgehen, sage ich: „Apropos offenes Feuer: Ich hab einen neuen Holzherd. Verrückt, wie heiß der werden kann.“

„Ein Holzherd ist das Beste zum Kochen, das sage ich Ihnen. Ich habe vor zwei Jahren eine neue Einbauküche bekommen, es gibt oft alles um fünfzig Prozent, auch die Geräte. Aber die sind dann auch danach. Da war so ein Herd mit Ceranfeld dabei, das Backrohr … eine Katastrophe. Ich habe meinem Mann gesagt, dass ich sofort unseren Holzherd zurückwill, also hat er ihn wieder aufgebaut, Platz haben wir genug, und ich koche nur darauf. Eigener Herd ist Goldes wert. Und backen geht sowieso nur mit so einem Rohr. Ich backe …“

„Wie viel Holz gibt man rein?“

Wieder ein Blick für eine Schwachsinnige. „Ich hoffe, Sie haben das Holz nicht ins Backrohr gegeben.“

„Natürlich nicht.“

„Ein paar Spanln, also Späne, dünn gehacktes Holz, wenn Sie verstehen. Darauf dann Anzünder aus Holz mit Wachs und wenn alles angebrannt ist, ein Scheitl, also ein Scheit Holz.“

„Das reicht?“

„Wenn es groß genug ist, schon. Wenn es durchglüht, legt man wieder eines nach, solange man eben backen möchte. Oder kochen. Wenn es ganz heiß sein soll, dann nehmen Sie zwei. Hat Ihr Backrohr keine Temperaturanzeige?“

„Hat es.“

„Also. Die Leute sind nur nicht mehr gewohnt, zu schauen. Für die kommt der Strom aus der Steckdose. Zu unserer Zeit …“

„Sie sind doch nicht älter als ich, Frau Gruber!“

Ein meckerndes Lachen. „Ich bin sechsundsechzig. Aber ich sehe jünger aus, ich weiß.“ Zum ersten Mal spüre ich so etwas wie Wohlgefallen auf mir ruhen. Kann es sein, dass Frau Gruber mit ihren dicken Brillen, dem weißen Kittel und den grauen, aufgesteckten Haaren eitel ist?

„Mit sechsundsechzig Jahren …“, sage ich unbedacht.

„… da fängt das Leben an!“, ruft sie. „Udo Jürgens, der war ein ganz Großer. So schade, dass auch er schon gestorben ist.“

„Apropos …“

„Wegen Khaled, die Polizei hat uns alle schon befragt. Nur dass wir so wenig wissen über ihn. Aber natürlich können wir auch im Gasthaus die Weisheit nicht mit dem Löffel essen. Ich habe Khaled gefragt, nach der Familie und nach allem. Ist nur höflich, außerdem will man Bescheid wissen. Ich habe nichts gegen Ausländer, wenn sie brav sind. Aber er hat wenig sagen können. Wegen der Sprache. Obwohl …“

Ich sehe Frau Gruber fragend an.

„Ich bin mir nicht sicher, aber … er hat vielleicht nicht alles erzählt.“

„Und Freunde? Er hat hier im Gasthaus gewohnt. Hat er nie Besuch gehabt?“

„Ab und zu ist einer gekommen, so einer mit Bart, ich habe zu Esat gesagt, der schaut aus wie ein Mufti, wie ein Radikaler, aber er hat gesagt, Muftis sind keine Radikalen und der Mann war mit Khaled auf der Flucht, mehr weiß er auch nicht. Er war höflich, auch wenn dieser dichte dunkle Bart schon ein wenig entrisch war.“

„Entrisch?“

„Gruselig. Jetzt muss ich schon für Nicole alles übersetzen, ich hab gedacht, Sie verstehen mich.“

Ich grinse. „Ich probier es. Ich mag den Weinviertler Dialekt.“

„Haben Sie eine Ahnung. Wenn ich Dialekt rede, so wie meine Mutter – Gott hab sie selig – es getan hat, dann würden Sie gar nichts verstehen. Ui-Mundart heißt das unter Kennern. Ich lese gerne Gedichte in Mundart, müssen Sie wissen. Der ‚Bua‘ ist auf Weinviertlerisch ein ‚Bui‘, das heißt, auf Österreichisch wär das an sich ein ‚Bub‘ und dann versteht mich die Nicole immer noch nicht. Da muss ich ‚Knabe‘ sagen. Und das alles ist unsere deutsche Sprache. Da braucht man sich nicht wundern, dass der Khaled nicht so viel erzählt hat. Wenn ‚Knabe‘ auch ‚Bui‘ heißt. Wichtiger war, dass er brav gearbeitet und aufs Haus aufgepasst hat. Außerdem gut, dass so einer keinen Alkohol trinkt, wenn man Tage und Nächte da ist und überall Wein und Stärkeres herumsteht.“

„Aber Esat kann gut Deutsch.“

„Der hat studiert. Der hat daheim zu den oberen Zehntausend gehört, die gibt es überall. Nur dass dort die armen Leute noch mehr sind. Nicht erst seit dem Krieg.“

„Hat er mit Khaled geredet?“

Frau Gruber schenkt mir einen zweifelnden Blick.

„Esat? Schon, aber nicht so viel. Khaled war aus einer ganz anderen Gegend. Und jünger. Und vom Land. Außerdem … Esat fühlt sich als was Besseres. Ich sage jetzt nicht hochnäsig, man weiß ja: Unter den Blinden ist der Einäugige König. Er könnte mir ruhig mehr zuhören. Stattdessen schafft er mir an, so als ob er der Chef wäre.“

„Ist er das momentan nicht auch?“

Eine wegwerfende Handbewegung, die beinahe die Karottenschalen auf den Boden gewischt hätte. „Mein Chef ist Günter Manninger. Und, damit Sie das gleich wissen: Die Karottenschalen werden nicht weggeworfen, auch die anderen Gemüsereste nicht. Daraus machen wir unseren Gemüsefond. So wie Herr Manninger es uns gelernt hat. Da wird nichts weggeworfen, aus dem was Gutes werden kann! Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“

Ich flüchte zu Nicole.

„Du hast Frau Gruber kennengelernt“, sagt sie. „Mühsam, aber ein Herz aus Gold. Was sich nicht auf ihr Schweigen bezieht, du weißt schon: Reden ist Silber, Schweigen ist …“

„Bitte!“, sage ich und lache.

„Echt, von der kannst du alles haben. Und Khaled hat sie immer Süßigkeiten mitgebracht, damit er nicht im vollen Gasthaus verhungert.“

„Ist es üblich, dass Esat so spät kommt?“

„Nein“, murmelt Nicole. „Eigentlich nicht. Man kommt auf blöde Ideen, was?“

„Kannst du ihn anrufen?“

„Hab ich schon, er ist nicht drangegangen.“

Wir hören es gleichzeitig. Die Tür. Ich atme erleichtert auf. Aber es ist bloß ein älterer Mann, der im Eingang zur Gaststube steht.

„Schönen Mittag, Herr Berger“, sagt Nicole. „Ein Stammgast“, flüstert sie mir zu. „Unproblematisch.“

„Und ich soll jetzt kochen?“

„Na ja. Siehst du noch wen hier? Ich hab in der Küche zwei linke Hände. Frau Gruber hilft dir. Üblicherweise isst er eine Gemüsesuppe und danach unser Mittagsgericht.“

„Und was ist das?“

„Kann ich nicht wissen, Esat ist ja nicht hier. Wir legen es jeden Vormittag fest.“

Ich schlucke. So, lieber Manninger, war das nicht ausgemacht. Ich starte Richtung Küche. Nicole hält mich am Ärmel zurück. „Ist nur ein alter lieber Mann, no Stress.“

Er ist ein Gast. Und ich bin mit Frau Gruber allein in der Küche. Was sie wohl sagen wird? Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein? Ich pruste los. Nicole und Herr Berger sehen mich fassungslos an.

„Wer anderen eine Gruber gräbt, fällt selbst hinein!“

Ich höre ihr lautes Lachen noch, als ich die Gasflammen am Herd zünde. „Frau Gruber, haben wir irgendwo Gemüsefond?“

Natürlich kommt heute nicht bloß Herr Berger, kurz vor zwölf sind auch drei Herren von der örtlichen Bank erschienen. Erkennt man am Anzug und am Schlips. Danach der Blumenhändler samt Frau und Tochter und dann noch zwei Mal zwei Gäste, die Nicole nicht kennt. Ich versuche mein Bestes zu geben und hoffe, es fällt nicht auf, das ich anstelle von Kalb ein Schweinsfilet paniert habe. Ich konnte das blöde Kalb einfach nicht finden. Zum Glück nehmen zwei der drei Bankleute den Wildhasen, den habe ich gestern Abend selbst gegessen und weiß daher, wie er aussehen soll. Ungefähr. Aber wo sind die Rüben? Das Kraut habe ich in einem der vielen Gastronorm-Gefäße in den gekühlten Auszugsladen entdeckt. Einfach weglassen?

„Frau Gruber, die Rüben für Kraut & Rüben – wo sind die?“

Frau Gruber steht am Gardemanger-Posten und gibt geräucherten Fisch auf ein Salatbett. „Ich glaub, die sind aus. Aber Radieschen sind da, das sind eh die besseren Rüben.“ Sie legt mir einen Bund hin. „Schon gewaschen.“

Nicht einmal sie spricht mehr viel.

Auf jeder der sechs Gasflammen steht ein Topf, eine Sauteuse. Hab ich sie unter Kontrolle? Fast. Hoffentlich. Die riesige Dunstabzugshaube aus Edelstahl brummt, sie saugt die Dämpfe nach oben. Salamander! Ich muss dieses wunderbare Gerät, mit dem man weit mehr als bloß überbacken kann, einschalten! Wenn ich mich recht erinnere, braucht er eine gewisse Zeit, um auf Temperatur zu kommen. Jedenfalls scheint er die letzten zwanzig Jahre überstanden zu haben.

Okay, einen Gemüsewok für die Tochter des Blumenhändlers krieg ich hin. Dafür hab ich vergessen, die Entenbrust für Bankmensch drei auf den Grill zu legen. Mist! Die Serviettenknödelscheiben! Die sind schon ziemlich dunkel! Runter damit und zum Warmhalten. Wie vor zwanzig Jahren. Nur dass ich damals um zwanzig Jahre jünger war. Mir rinnt der Schweiß über das Gesicht.

„Morgen bring ich Ihnen eine Küchenschürze mit“, ruft Frau Gruber. „Die zum vorne Knöpfeln sind am besten.“

So weit will ich es doch nicht kommen lassen. Irgendwo hab ich alte Kochjacken. Von damals. Ob ich noch reinpasse? Für heute hatte ich nichts Besonderes mit, es ging ja erst einmal ums Reinschnuppern. Und um … Eigentlich bin ich wegen etwas ganz anderem hier. Egal. Jetzt heißt es, Gäste zu füttern. Und nicht total zu scheitern.

Nicole steht im Kücheneingang und räuspert sich. Offenbar nicht zum ersten Mal. „Ich will dich ja nicht stören, du machst das … super, wenn man bedenkt, dass …“

„Aber?“

„Na ja, die Banker, die wollen immer alles sofort. Als ob sie dann nach dem Essen nicht stundenlang sitzen und schwatzen würden.“

Ich hetze zum Salamander und prüfe die Hasenrücken. Sie sind gerade richtig. Nach einigen Minuten Rasten innen zartrosa, aber nicht mehr blutig. Kraut & Rüben stehen in einer Sauteuse bereit, ich hab mir erlaubt, etwas Koriandersamen drüberzumahlen, das gibt einen eigenen würzigen Touch. Und so dunkel sind die gegrillten Knödelscheiben auch wieder nicht, sie passen schon. „Die Ente“, keuche ich und sehe, dass der Jus gerade dabei ist, überzukochen. Ich ziehe die kleine Stielpfanne zur Seite. Letzter Moment.

„Mach die Hasen fertig. Ich sag dem dritten, dass die Ente ein wenig später landet.“

Ich grinse. „Ich hab was für ihn!“ – Wie hat Billy das gemacht? Schnell irgendwas aus dem Hut gezaubert … zum Überbrücken … Ich nehme ein paar Löffel vom ohnehin üppig geratenen Gemüsewok. Aber ob der Bankmensch so der Gemüsefreak ist? „Frau Gruber, bitte! Können Sie mir drei Scheiben Rohschinken schneiden?“

Die Hasen noch mit einem Zweig frischen Thymian garnieren, sieht richtig hübsch aus, die Radieschenspalten im Kraut geben dem Ganzen eine fröhliche Farbe.

„Cool“, sagt Nicole. „Hätt ich dir gar nicht zugetraut.“

„Wenn das nun mal kein Kompliment ist“, will ich sagen und mache den Mund wieder zu. Im Durchgang steht Esat Al Sayed.

Gemeinsam haben wir es geschafft, auch die restlichen Bestellungen abzuwickeln. Esat hat übernommen. Er weiß, was er tut. Seine Bewegungen sind rasch und ökonomisch. Er scheint es zu genießen, die Kontrolle zu haben. „Nur ein paar Essen“, sagt er und lächelt mir zu. „Hast du gut gemacht, danke vielmals.“

Ich paniere und Frau Gruber zeigt mir, wie man Nougatpofesen zubereitet. Einen Viertelliter Obers mit einem Ei mixen. Mit etwas Nougat gefüllte Mini-Milchbrotscheiben darin eintauchen, mit einem Löffel in eine heiße befettete Pfanne geben, auf beiden Seiten langsam goldbraun werden lassen. Ich bin ja nicht so fürs Süße, aber das werde ich daheim ausprobieren. Beim nächsten Mal, wenn wir Gäste haben. Oder wenn Vesna bei uns isst. Ein rasches und doch besonderes Dessert.

„Danke“, sagt Esat noch einmal, als wir an einem Ecktisch in der Gaststube sitzen.

„Was war los?“, fragt Nicole.

„Sie wollten wieder mit mir reden“, murmelt Esat. „Die Leute von Polizei. Ich habe alles noch einmal gesagt.“

„Und du konntest nicht anrufen?“

„Sie waren nicht sehr freundlich. Ich habe gedacht, es geht mehr schnell.“

„Gibt es neue Anhaltspunkte?“, frage ich.

„Anhaltepunkte?“

„Hinweise, Ideen, was passiert sein könnte.“

„Ich verstehe. Nein. Ich glaube nicht. Sie haben nichts gesagt.“

„Na, und was hast du ihnen dann erzählen müssen?“, fragt Nicole.