Finnas Pferde - Claudia Gürtler - E-Book

Finnas Pferde E-Book

Claudia Gürtler

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Beschreibung

Pferde stehen im Mittelpunkt im Leben der Isländer. Und es ist ein großartiges Ereignis im Leben eines Kindes, wenn es reiten lernt und schließlich so weit ist, dass es sein eigenes Pferd bekommt. Seit sie ein kleines Mädchen war, kommt für Finna nur ein Pferd in Frage - Garpur, der tapfere Hengst, der eine kleine Stute in allen Situationen beschützt und verteidigt, der sich sogar gegen seinen Eigentümer Einar stellt. Und das ist etwas, was der sture Einar gar nicht vertragen kann - ein Pferd, das ihm die Stirn bietet. Er muss den Willen dieses Pferdes brechen, wider besseres Wissen und gegen alle Ratschläge. Da ist sogar Stefanja, die Weise und Heilerin, machtlos. Einar treibt sein Training so weit, dass das Pferd fast daran zugrunde geht. Aber Garpur ist stark, und im Hintergrund arbeiten die anderen Pferdezüchter und Stefanja daran, den Hengst zu retten.

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Seitenzahl: 277

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EPUB ISBN 978-3-7026-5880-9

1. Auflage 2013

Einbandgestaltung: b3k

© Copyright 2013 by Verlag Jungbrunnen Wien

Alle Rechte vorbehalten – printed in Austria

Claudia Gürtler

Finnas Pferde

Claudia Gürtler lernte in einer winzigen Dorfschule im Kanton Baselland lesen und kannte damit den Zauberspruch, um sich selbst fortzuzaubern auf die Leseinsel, wo sich abenteuerliche Gestalten umtreiben, von Feen bis Seeräuber. Lesen blieb das Wichtigste im Leben. So wurde sie nach der Matura Buchhändlerin, Radiomitarbeiterin, Rezensentin und schließlich Bibliotheksassistentin. Eine Welt ohne Geschichten kann sie sich nicht vorstellen.

Wie ein Fragezeichen schmiegte sich Spurning, die winzige Kate, zwischen die schwarzen Lavabrocken. Auf Spurning gab es nur ein einziges Zimmer. Das Dach aus Grassoden hing so niedrig, dass nur Kinder und die alte Stefanja, die selbst nicht größer war als ein junges Mädchen, aufrecht darin stehen konnten.

Stefanja prüfte an diesem Morgen ihre Vorräte an Heilkräutern. Wenig war übrig geblieben von dem, was sie im letzten Sommer und Herbst gesammelt hatte, aber es würde reichen. Der Frühling nahte mit großen Schritten. Die ersten Sonnenstrahlen stimmten die Menschen fröhlich, sodass sie gesund blieben. Im Frühling gab es wenig zu tun für eine Kräuterfrau. Stefanjas Gesichtszüge wurden weich, als sie an Finna und Bjarni und all die anderen Kinder auf den umliegenden Höfen dachte. Sie lächelte und murmelte vor sich hin, als erzähle sie den Wänden von Spurning probeweise Geschichten. Bald würde sie sie den Kindern erzählen. Stefanja trat vor die Tür und sah in die eiligen grauen Wolken hinauf, aus denen vereinzelt Flocken fielen. Frech blitzte ein Sonnenstrahl durch eine Wolkenlücke. Bald. Ja, sehr bald würde der Frühling ganz Südisland mit einem Blumenteppich überziehen.

Heftig wurde auf Hof Laug die Tür aufgestoßen. Ein Junge stolperte schwer atmend in die Küche.

„Wer fällt denn hier mit der Tür ins Haus?“, fragte Erla. Hinter ihrer strengen Stimme hockte ein Lachen.

„Es ist Bjarni, Bjarni Gunnarsson vom Hof Skagi“, neckte Finna den Jungen. „Bjarni ist acht Jahre alt und hat noch nicht gelernt, wie man geht.“

„Was bringt denn der rennende Bote für aufregende Nachrichten?“, fragte Finnas Vater Birkir freundlich.

„Ein Wollgras!“, japste Bjarni und versuchte, zu Atem zu kommen. „Ich habe das erste Wollgras gefunden. Hier!“ Er hielt die Blume hoch. Finna strich zärtlich mit den Fingern darüber. Die beiden Kinder lächelten einander verschwörerisch zu und dachten dasselbe: Ja, es würde Frühling werden, schon bald. Und mit dem Frühling würde die alte Stefanja kommen mit ihren Geschichten und ihren Spielen!

Bjarni, Finna und ihr kleiner Bruder, Nonni, drückten die Nasen am Küchenfenster platt. Die Kinder waren enttäuscht. Stefanja war nicht zu sehen. Stattdessen schwebten große Flocken vom Himmel herunter und überzuckerten Hof und Weide.

„Och“, machten Finna und Bjarni enttäuscht, und Nonnis Stimme folgte ihnen wie ein Echo: „Och, och!“

Birkir wuschelte den drei Kindern durch die Haare.

„Bald“, tröstete er, „bald bringt euch Stefanja den Frühling.“

Freudige Unruhe stieg in Finna auf und machte sie kribbelig. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Stefanja auf Laug auftauchte, und mit ihr würden die Blumen kommen und die Fohlen. Die erste Blume des Jahres lag in einer Pfütze neben Bjarnis Stiefeln. Erla, Finnas Mutter, hob sie auf und stellte sie in ein Glas mit frischem Wasser.

Birkir hatte die Hufeisen bekommen. Der Ritt von Laug nach Stormkast, wo Einar lebte, hatte sich gelohnt. Die beiden Höfe lagen mehr als zehn Kilometer auseinander, aber was waren schon zehn Kilometer, wenn es um gute Hufeisen ging? Zehn Kilometer haben in Island nichts zu bedeuten. Man legt sie meist reitend zurück, und Einar schmiedete nun mal die besten Eisen und züchtete die besten Pferde. Einar, der schweigsame, brummige Eigenbrötler. Birkir lachte in seinen Bart. Er sah in ihm trotz allem einen guten Nachbarn. In schnellem Tölt traf er nun wieder auf Laug ein, wo ihn Finna und Nonni schon sehnsüchtig erwarteten. Beide stürzten mit lautem Jubelgeschrei aus dem Haus. Erla schaute den wirbelnden, weißblonden Haarschöpfen lächelnd nach. Nonni umarmte Birkirs Beine, während Finna sich an den Hals seines Pferdes hängte. Erst wollte Erla protestieren, als Birkir die Kleine aufs Pferd hob, doch als sie Finnas glückliches Strahlen sah, ließ sie es bleiben.

„Unsere Finna“, dachte Erla zärtlich. „Sie hat ihr Herz an die Pferde verloren.“

Auf Stormkast plante Einar Magnusson währenddessen die Zucht eines ganz besonderen Fohlens. Hätte Finna davon gewusst, hätte sie ihren Vater bestürmt, mit ihr hinzureiten.

Einar betrachtete kritisch seine Lieblingsstute. Sie war nun fast achtundzwanzig und damit älter, als die hart arbeitenden Pferde in Island normalerweise wurden, und sie hatte viele Fohlen zur Welt gebracht. Die besten Fohlen, die man haben konnte, denn Stefanja war auch die beste Stute, die Einar je gehabt hatte. Man hatte ihr denselben Namen wie der Kräuterhexe gegeben, weil sich die beiden in ihrer liebenswürdigen Sturheit ähnlich waren.

Einar wusste, dass der Gedanke unvernünftig, ja sogar eines Züchters unwürdig war, aber er entschied trotz der eingefallenen Flanken und des müde gesenkten Kopfes der Stute, dass sie noch ein letztes Fohlen für ihn bekommen sollte. Er wollte sie so gut pflegen, wie er noch nie eine Stute gepflegt hatte, und sie sollte das Fohlen bekommen, das er sich immer gewünscht hatte. „Gaedingar“ sollte es heißen: „perfektes Reitpferd, das sich dem Reiter mühelos anpasst und in allen Gängen harmonisch geht“. Isländische Fohlen erhalten ihre Namen erst mit zwei oder drei Jahren, sodass man sie nach ihrem Charakter und ihren hervorstechendsten Eigenschaften benennen kann. Noch nie in seinem langen Züchterleben hatte Einar ein Pferd Gaedingar genannt, denn seine Ansprüche waren hoch, und kein Jungpferd hatte sie bis jetzt erfüllen können.

Rabenschwarz und wild und furchtlos würde er sein, sein Gaedingar, schnell und muskelbepackt und unabhängig. Gewiss, es würde nie einfach sein, ihn einzufangen, wenn man ihn reiten wollte. Hätte man ihn aber unter dem Sattel, wäre alles möglich. Mit Gaedingar würde Einar allein in die Berge reiten, um zu jagen. Er würde sich voll und ganz auf sein Pferd verlassen, würde darauf vertrauen, dass es nie scheute oder durchging. Er würde täglich von seinem Mut und seiner Ausdauer profitieren. Und noch hundert Jahre nach ihrem Tod würde man in ganz Island von ihnen reden. Einar und sein Gaedingar – ja, die waren ein unübertroffenes Gespann! Sie waren eins. So oft sah man sie zusammen, dass man am Ende nicht mehr sagen konnte, wo Gaedingar aufhörte und wo Einar begann.

Einar, der eigentlich kein Träumer war, war ins Schwärmen geraten. Jetzt aber riss er sich von den angenehmen Gedanken los, schob sich die Mütze ins Genick und zog ein Halfter aus der Tasche. Bevor sie weglaufen konnte, zog er es der alten Stute über. Er führte sie auf die Weide neben seinem Haus, und er freute sich einmal mehr darüber, wie geschickt sie sich auf dem rutschigen Lavageröll bewegte. Ja, sie sollte ein letztes Fohlen für ihn bekommen. Plötzlich war er sicher, dass das Schicksal es so bestimmt hatte.

Den Vater des Fohlens hatte er ebenfalls bereits ausgesucht. Tinni, sein bester Hengst, galoppierte einsam über die eingezäunte Weide. Er war unruhig, weil er von seiner Herde getrennt worden war, und wieherte durchdringend. Als er Einar mit der Stute kommen sah, hob er den Kopf und sog tief die Luft ein. Da die Stute nicht zu seiner Herde gehörte, war ihm ihr Geruch unbekannt, und er näherte sich interessiert.

Einar öffnete das Gatter und zog Stefanja das Halfter aus. Als Tinni neugierig herankam, legte sie drohend die Ohren an, drehte sich entschlossen um und schlug ihm die Hinterhufe auf den breiten Hals, dass es klatschte. Tinni wich erstaunt zurück, und Stefanja entfernte sich, um zu grasen.

Einar lachte. „Mach dir nichts draus, Junge“, sagte er, „es wird schon werden.“ Eine Weile noch sah er den beiden zu. Sie spielten ein uraltes Spiel, Tinni, der geschmeidige, elegante Hengst, dessen Name „so schwarz wie Feuerstein“ bedeutete, und Stefanja, die Schimmelstute, die in ihrem hohen Alter nichts von ihrem Stolz und Eigensinn eingebüßt hatte.

Einar ging ins Haus, um sich um seinen knurrenden Magen zu kümmern.

Zwei Tage später zog Einar Stefanja die Hufeisen aus, denn sie zögerte nicht, den Hengst mit aller Kraft zu schlagen, sobald er sich ihr näherte. Er tat gut daran, denn die beiden blieben noch ganze drei Wochen zusammen, ohne dass die Stute den Hengst näher kommen ließ.

„Nicht die Geduld verlieren, Junge, einfach dranbleiben“, munterte Einar Tinni auf, obwohl er selbst nicht mehr ganz daran glaubte, dass Stefanja noch ein Fohlen haben würde. Vielleicht war sie doch schon zu alt. In der Gegenwart des werbenden Hengstes hätte sie eigentlich rossig werden müssen. Einar tätschelte Tinni den glänzenden Hals und steckte ihm als Leckerbissen ein Stück Salzfisch zu.

Eine Woche später standen die beiden Pferde beieinander, als Einar aus Reykjavik zurückkam. Während er Lebensmittel und Werkzeug aus dem Transporter lud, beobachtete er die beiden aus den Augenwinkeln. Stefanja sah gelassen aus, und auf Tinnis Gesicht lag ein Ausdruck von heimlichem Triumph. Einar gönnte sich an diesem Abend ein großes Glas Schnaps, der in Island „Schwarzer Tod“ genannt wird, während er vor dem Torffeuer vor sich hin träumte. Er war immer noch ein kräftiger Mann und ritt nach wie vor seine Pferde selbst ein, aber er ging doch schon auf die sechzig zu.

Auch Gaedingar würde er einreiten, damit er ganz und gar sein Pferd wurde. Einar seufzte. Da war es allerdings noch eine ganze Weile hin. Erst im Mai nächsten Jahres würde das Fohlen geboren werden. Er würde ihm Zeit lassen. Es sollte groß und stark werden, bevor er mit seiner Ausbildung begann. Erst als Fünfjähriger würde Gaedingar lernen müssen, Gewicht zu tragen und auf den Reiter zu hören.

Einar nickte vor dem Feuer ein und erwachte früh am nächsten Morgen. Der Wind rüttelte an den Fensterläden. Stöhnend streckte er die steif gewordenen Glieder und legte Torf aufs fast heruntergebrannte Feuer im Herd, um Kaffee zu kochen.

Einar hatte es Sigrid gesagt, Sigrid hatte es Gudrun erzählt, die die Neuigkeit ihrerseits an Erla weitergegeben hatte: Stefanja war wieder unterwegs, um Kräuter zu sammeln. Die ersten zarten Pflanzen, die die erwachende Erde schenkte, waren ihr besonders wichtig. Zu keinem späteren Zeitpunkt im Jahr waren deren Heilkräfte so groß wie gleich nach dem eisigen Winter.

„Ist es wahr? Ist es wirklich wahr?“, bestürmte Bjarni seine Mutter. „Ist Stefanja unterwegs?“

„Einar hat sie gesehen“, bestätigte Gudrun lächelnd. Mit einem Satz fuhr Bjarni in seine Stiefel und war zur Tür hinaus.

„Das muss ich Finna erzählen!“

Gudrun erwischte ihn gerade noch am Ärmel.

„Nicht ohne Jacke und Mütze“, sagte sie. „Wenn dir die Ohren abfrieren, hörst du weder Finna noch Stefanja. Und wir wollten doch sowieso heute Nachmittag nach Laug. Kannst du nicht noch warten, bis …

Warten aber konnte Bjarni nicht, er musste Finna sofort erzählen, was er gehört hatte, und so hüpfte der Junge, der das Gehen noch immer nicht gelernt hatte, übermütig wie der Frühlingswind hinaus und rannte den Weidezaun entlang. Auf der anderen Seite des Zauns folgte ihm ein dunkler Schatten. Er hüpfte genauso übermütig wie der Junge.

„Djakni, Djakni“, lockte Bjarni den Rappen. Djakni, der schlanke Wallach aus der Herde seines Vaters, hatte es dem Jungen angetan. Seltsame hellblaue Augen leuchteten aus seinem dunklen Gesicht. Deswegen hatte man dem Rappen den Namen „der Geist“ gegeben. Als Bjarni das Ende des Zauns erreicht hatte, galoppierte Djakni zurück in die Herde.

Endlich kam Hof Laug in Sicht. Bjarni riss die Mütze vom Kopf und schwenkte sie heftig. Finna öffnete das Fenster und winkte zurück.

„Erla sagt, dass Gudrun ihr gesagt hat, dass Sigrid ihr gesagt hat, dass Einar Stefanja draußen gesehen hat“, platzte Finna heraus, als Bjarni in die Küche stürzte. Bjarnis Beine gaben plötzlich nach. Er ließ sich enttäuscht auf einen Stuhl fallen. Er war es doch gewesen, der Finna mit der fabelhaften Neuigkeit hatte überraschen wollen.

„Frauen schwätzen zu viel“, beschwerte er sich mit einem unwilligen Grunzen, das Erla an das Schnauben streitlustiger Hengste denken ließ. Sie lachte und bot dem Jungen zum Trost Saft und Kekse an, und Bjarni blieb in der gemütlichen Küche auf Laug sitzen, bis am frühen Nachmittag Gudrun mit Darri, Tumi und Jorun eintraf. Erla hatte gebacken und wollte gerade den Kuchen anschneiden, da ging die Tür auf, ein großer Korb schwebte, wie von Geisterhand getragen, in die Küche, gefolgt von einer winzigen Frau, die aussah wie ein knorriger alter Baum.

„Wo bleibt ihr denn, Kinder?!“, rief Stefanja mit durchdringender Stimme. „Es ist Frühling, und ihr hängt am warmen Ofen.“ Erla nahm Stefanja den Korb ab. Stefanja hob die kleine Jorun hoch, als sei sie federleicht, Darri und Tumi und Nonni umarmten ihre Beine, und „die Großen“, Bjarni und Finna, fielen ihr um den Hals. Was für ein Glück für Stefanja, dass die Kinder von Skagi gerade jetzt auf Laug zu Besuch waren.

„Das nenn ich Frühling“, sagte Stefanja strahlend, „die Kinder hängen an mir wie die Kletten!“ Es gab keinen Zweifel mehr. Es war Frühling geworden. Auch Erla und Birkir strahlten.

„Los, los, Kinder“, drängte Stefanja, „in die Stiefel, in die Jacken! Die Geschichte vom Frühling wird draußen erzählt, das wisst ihr doch.“

Birkir war den ganzen Morgen über mit dem Ausbessern von Zäunen beschäftigt gewesen. Es war schon weit nach Mittag, als ihn ein gewaltiger Hunger nach Hause trieb. Er traf in schnellem Tölt auf Hof Laug ein und sprang ab, bevor sein Pferd ganz zum Stehen gekommen war.

Die Tür flog auf und Finna und Nonni stürzten aus dem Haus.

Birkir ließ ein dumpfes Grollen hören und rief: „Ich bin ein Bär, ein hungriger Eisbär auf der Suche nach Beute!“ Er packte Nonni und wirbelte ihn durch die Luft. Nonni drückte seine warme Wange an die kalte des Vaters, während Finna nur Augen für Birkirs Pferd hatte. Sie umarmte Lagsi, den „guten Kameraden“, und ihre weißblonden Haare verloren sich in seiner struppigen Mähne.

„Heb mich hoch, heb mich hoch“, bettelte Finna. Birkir ließ sich noch ein paar Mal bitten, setzte Finna aber doch endlich auf Lagsis Rücken. Ihre Beine reichten kaum bis an den Sattelrand.

„Finna ist zu klein, zu klein“, spottete Nonni aus sicherer Entfernung, und auch Erla wiederholte halbherzig, was sie schon so oft gesagt hatte: „Sie ist noch zu klein zum Reiten!“

„Sie kommen!“, rief Bjarni auf Hof Skagi. Sonntage waren in Island Besuchstage. Nachbarn, die sich unter der Woche nur zufällig begegneten, trafen sich an Sonntagen mal hier, mal da zum Kaffee und zum ausgiebigen Austausch von Klatsch und Tratsch.

„Los, schnell, macht schon“, drängte der Junge seine jüngeren Brüder Darri und Tumi. Alle drei stürzten gleichzeitig zur Tür. Der wendige kleine Tumi war als Erster draußen, um Birkir, Erla, Finna und Nonni zu begrüßen. Finna saß hinter Erla auf dem bloßen Rücken von Erlas Stute Asta. Das Mädchen hatte die Hände um seine Mutter geschlungen. Unter sich spürte es die Bewegung des Pferdes. Finna hatte die Augen geschlossen und sich ganz auf das Schaukeln und Vorwärtsdrängen unter sich konzentriert. Kurz war ihr der Weg vorgekommen, und sie hob enttäuscht den Kopf, als Asta stehen blieb und das Schaukeln aufhörte.

Wie immer dauerte es eine ganze Weile, bis Birkir Finna überreden konnte, sich von Asta herunterheben zu lassen.

„Schicken wir sie doch mit den Pferden auf die Weide“, schlug Bjarnis Vater, Gunnar, vor. „Es ist genug Gras da für hungrige Vier- und Zweibeiner.“

Er zwinkerte Birkir zu, der in komischer Verzweiflung bestätigte: „In Island wachsen Pferde und Kinder in Herden auf!“

Kaum hatten die Erwachsenen ihre Kaffeetassen und die Kinder ihre Saftgläser vor sich, kaum war der Kuchen angeschnitten, da fragte Gunnar auch schon: „Hast du denn schon ein Pferd für dein Pferdemädchen ausgesucht, Birkir?“

„Setz meiner ungeduldigen, pferdeverrückten Prinzessin bloß keine Flausen in den Kopf“, brummte Birkir. „Es dürfte auch dir bekannt sein, dass junge Isländer, und auch junge Isländerinnen, ihr erstes eigenes Pferd bekommen, wenn sie zwölf Jahre alt sind.“

„Habt ihr Einar nicht eingeladen?“, fragte Erla nun, um vorsichtig von dem leidigen Thema abzulenken.

„Natürlich haben wir ihn eingeladen“, antwortete Gudrun. „Aber ihr kennt Einar. Er arbeitet auch an Sonntagen, und für Kaffee, Kuchen und Geschichten hat er wenig übrig.“

„Einar ist beschäftigt“, fügte Gunnar mit leisem Spott hinzu. „Er plant, einen Gaedingar zu züchten.“

Finna horchte auf. Fast wäre ihr das halbvolle Saftglas aus der Hand gerutscht. Natürlich hatte auch sie schon von Einars glücklicher Hand und von seinen einmaligen Pferden gehört. Auch was ein Gaedingar war, wusste sie. Oft genug hatte sie Birkir, auf dem Zaun sitzend, Löcher in den Bauch gefragt. Und während die anderen Kinder nun im verwinkelten Haus Verstecken spielten, machte sich Finna fast unsichtbar und blieb sitzen, um den Gesprächen der Großen zu lauschen.

Einar hatte die besten Pferde, darin waren sich alle einig, und wenn es je einem Züchter gelingen sollte, einen Gaedingar zu bekommen, so war es Einar. Finna war sicher, dass Birkir ihr irgendwann, wenn sie größer wäre, erlauben würde, Pferde aus der eigenen Herde zu reiten. Auch ihr Vater hatte wunderbare Pferde. Aber in diesem Moment rutschten Birkirs Pferde auf die hinteren Ränge, und Finna sah sich verträumt lächelnd auf dem Rücken jenes Gaedingars, den auch Einar so sehnsüchtig erwartete.

Drei Wochen lang grasten Tinni und Stefanja friedlich nebeneinander. Wenn die Mückenschwärme sie belästigten, stellten sie sich Kopf an Kruppe, und ihre langen Schweife schwangen hin und her und verscheuchten die Plagegeister aus dem Gesicht des anderen. Stefanja ließ es geschehen, dass Tinni liebevoll an ihrer Mähne knabberte. Nur wenn er ausgelassen über die Wiese raste, sah ihm Stefanja nach, ohne sich zu rühren.

„Ja, ja, die Jugend!“, seufzte Einar an ihrer Stelle. „Nun fehlt nur noch, dass du den Kopf schüttelst und ihn auslachst.“

Wiederum drei Wochen später wollte Stefanja nichts mehr von Tinni wissen. Sie legte wieder die Ohren an, wenn er sich ihr näherte, und Einar schloss daraus, dass sie trächtig geworden war. Er sattelte Tinni und brachte ihn zurück zu seiner Herde. Tinni merkte bald, wohin es ging, und er stürmte so heftig vorwärts, dass Einar vor Begeisterung laut brüllte. War sein Tinni nicht ein herrliches Pferd, das mit Sicherheit Vater eines herrlichen Fohlens wurde? Nur der kühle Wind über der Hochebene antwortete Einar. Er entließ Tinni, der schon bald zwischen den vielen dicht an dicht grasenden Pferden nicht mehr auszumachen war, und sattelte ein anderes Pferd. Mit ihm und einem Handpferd machte er sich auf den Weg nach Hause.

Auch Stefanja sollte nun zurückkehren in ihre eigene Herde. Er nagelte ihr neue Hufeisen auf und führte sie am Halfter neben dem Braunen aus Tinnis Herde her. Sie gehörte zu Lysingurs, Einars zweiter Herde. Einar würde sie den ganzen Sommer über nicht zu Gesicht bekommen. Lange würde ihre Trächtigkeit nicht auszumachen sein. Erst gegen Jahresende hin würde sich ihr Bauch runden.

Mit einem Ruck hob Stefanja den Kopf und blähte die Nüstern. Was sie wohl entdeckt hatte? Einar blickte gespannt in dieselbe Richtung. Die Hochebene mit ihrem gleichförmig grau-schwarzen Geröll erstreckte sich bis hin zu den fernen Bergen. Dazwischen waren größere Felsbrocken zu sehen und ein paar kümmerliche, windzerzauste Büsche. Einar kniff die Augen zusammen. Tatsächlich, ein Busch bewegte sich, entpuppte sich als kleine, zusammengekrümmte alte Frau. Sie sammelte die spärlich wachsenden Kräuter, Flechten und Moose in ihren Korb. Einar sah sich verstohlen um und seufzte. Es gab keinen anderen Weg. Er musste an der alten Stefanja vorbeireiten, sie grüßen, höflich ein bisschen mit ihr plaudern, und lange würde es nicht dauern, bis sie einen Grund fand, ihren Spott über ihm auszuleeren. Der scharfe Blick und die lose Zunge der Kräuterhexe waren weit herum bekannt. Andererseits konnte sich niemand im Tal oder auf der Hochebene ein Leben ohne die Alte vorstellen. Ihre seltsamen Prophezeiungen bewahrheiteten sich meist, und wer krank war, machte sich nicht die Mühe, den weiten Weg nach Reykjavik zum Doktor auf sich zu nehmen, sondern ließ sich von Stefanja Kräuter und gute Ratschläge geben.

„Nun sieh mal einer an“, sagte Einar resigniert zu seiner Stute, „gleich werden wir deiner Patin begegnen. Und mich wird diese Begegnung nicht rundum glücklich machen!“ Er ritt langsamer weiter. Es war die Idee von Einars Nachbarn und Züchterkollegen gewesen, der Stute denselben Namen zu geben wie der alten Kräuterfrau. Als das Pferd drei Jahre gezählt hatte und damit alt genug für einen passenden Namen geworden war, hatte Gunnar behauptet, die Stute habe denselben Charakter wie Stefanja. Einar hatte sich noch eine Weile gesträubt, hatte aber am Ende zugeben müssen, dass da etwas dran war. Noch nie war eine Stute so eigenwillig und so selbstbewusst gewesen wie diese Schimmelstute. Und noch nie hatten sich an einem Pferd so viele menschliche Eigenschaften entdecken lassen. Stefanja fraß nicht wie andere Pferde. Sie war niemals gierig, sondern stets wählerisch und auch im größten Hunger noch heikel. Sie konnte ein Kraut ausrupfen, es eine Weile prüfend zwischen den Lippen behalten und dann wieder ausspucken. Auch was ihre Beziehungen betraf, war Stefanja heikel. Sie ließ sich längst nicht von jedem einfangen und reiten, und es hatte Jahre gegeben, da hatte sie kein Fohlen zur Welt gebracht, weil ihr keiner der zur Auswahl stehenden Hengste gefallen hatte. Vor allem aber bewunderte Einar Stefanjas offensichtliche Fähigkeit, Unwetter und Felsstürze vorauszuahnen. Auch wusste sie mit Bestimmtheit, ob ein Weg weiterführte und ob ein Fluss sicher durchquert werden konnte. Weigerte Stefanja sich, blieb es in jedem Fall dabei, und mit ihrer Sturheit hatte sie Einar mehr als einmal auf seinen waghalsigen Ritten das Leben gerettet.

„Stefanja ist keine angenehme Schönheit, mit der man gerne Bett und Tisch teilt“, hatte Einar oft zur Erheiterung seiner Kameraden über die Stute philosophiert, „aber sie ist eine sehr brauchbare Frau und Kameradin.“

„Genau genommen sind beide Hexen, die Kräutersammlerin und die Stute“, hatte Birkir behauptet. Und einmal mehr hatten sie alle über Einar und Stefanja gelacht, ein bisschen überheblich und ein bisschen neidisch, denn Stuten wie Einars Stefanja kommen in ganz Island nur alle fünfzig Jahre zur Welt.

Einar war auf Rufweite herangekommen, und die Kräutersammlerin stellte ihren Korb ab und streckte den Rücken. Ehe er die Alte grüßen konnte, wies sie schon mit ausgestrecktem Finger auf die Stute und murrte: „Sie ist alt geworden!“

Ja, die Stute war alt geworden, aber erst jetzt ging Einar auf, dass die Kräutersammlerin immer schon alt gewesen war. Solange er sich zurückerinnern konnte, hatte man von der „alten Stefanja“ gesprochen. Die Stute hingegen war einmal jung gewesen; weich und flauschig und schmutzig grau wie ein heimtückisches Gewitterwölkchen hatte sie als Fohlen ausgesehen. Sie war kein Fohlen gewesen, das man umarmte und streichelte, sondern eins, das man scheu bewunderte. Später hatte sich das Grau in makelloses Schneeweiß verwandelt, Mähne und Schweif waren üppig geworden, und die dunklen Augen blickten so prüfend unter den Stirnfransen hervor, dass man unsicher den Blick abwandte. Lange war Stefanja die schönste Stute Südislands gewesen, dann aber war sie in kurzer Zeit alt geworden. Noch mit fünfundzwanzig war sie rund und stattlich gewesen, jetzt aber sah man die Rippen unter dem dünner werdenden Fell, und nach dem Marsch auf die Hochebene hinauf, bei dem sie sich kein bisschen geschont hatte, glänzten Schweißflecken an Hals und Flanken.

„Guten Morgen, Stefanja“, brummte Einar, ohne auf die Bemerkung der Kräuterfrau einzugehen.

„Ob es ein guter Morgen, ein guter Tag und auch ein guter Sommer werden wird, wird sich weisen“, antwortete die Alte klagend, „aber mit Sicherheit wird der nächste Frühling nicht gut werden. Die Stute ist zu alt. Du hättest sie nicht mehr zum Hengst führen sollen. Verflucht sei deine Gier! Hat sie dir denn nicht genug gute Fohlen geschenkt?“

„Ich denke nicht, dass Stefanja trächtig ist“, versuchte Einar sich herauszureden. „Du hast recht, sie ist zu alt. Wahrscheinlich hat sie gar nicht aufgenommen. Ich bin sogar sicher, dass sie nicht aufgenommen hat, stur, wie sie nun einmal ist.“

„Stur wie du, Kräuterhexe“, dachte Einar noch, sprach es aber nicht laut aus.

„Ich weiß, dass sie trächtig ist, und du weißt es auch“, sagte Stefanja böse, „aber an dem Fohlen, das sie trägt, wirst du wenig Freude haben.“ Sie kicherte listig, hob ihren Korb auf und ging ohne Gruß – nicht mit den trippelnden Schritten einer sehr alten Frau, sondern kräftig ausschreitend wie eine gute Stute.

„Sie geht wie Stefanja“, dachte Einar verdutzt. „Sie steigt mühelos über Steine und stellt ihre Füße auf die sicheren Stellen.“

„Ist das Fohlen etwa eine Stute?“, rief Einar der Alten noch nach, aber entweder hörte sie ihn nicht, oder sie wollte ihn nicht hören. Sie eilte davon, und der große Korb hing an ihrem dünnen Arm, als sei er mit Luft gefüllt.

Einar sah sich um und atmete auf. Zum Glück waren weder Birkir noch seine dicken Freunde Lars und Gunnar irgendwo zu sehen. Die hätten Stefanjas Rüge sicher als Anlass für einige spitze Bemerkungen genommen. Zu oft hatten sie schon über Einar gespottet, vor allem über sein selbst gewähltes Einsiedlerleben. So bewusst gewählt war es allerdings nicht, wie Einar sich ungern eingestand. Vielmehr war es so, dass Sigrid damals Nein gesagt hatte, weil Einar, wie sie sagte, Pferde mehr liebte als Menschen. Und Sigrid war stolz wie alle Frauen Islands. Mit einem Platz an zweiter Stelle wollte sie sich keinesfalls zufriedengeben. Andererseits, und das stimmte Einar wieder heiterer, andererseits war auch sie allein geblieben, sodass er sich einbilden konnte, sie habe lieber aufs Heiraten verzichtet, als einem anderen das Ja-Wort zu geben.

Einar zog heftig am Führstrick. Es ärgerte ihn, dass die Stute Stefanja noch immer hinterhersah wie einer lieben Bekannten.

„Hör nicht auf sie“, beschwor Einar den Schimmel, „sie weiß nicht, wovon sie redet. Sie macht den Mund auf, und es redet von selbst. So ist das manchmal bei den Frauen, weißt du!?“ Nach einer Weile fuhr er fort: „Dein Fohlen ist doch wohl keine Stute, oder? Aber trächtig bist du, nicht wahr, meine Schöne, trächtig bist du in jedem Fall.“ Freude überwältigte ihn, und er beugte sich aus dem Sattel, um Stefanja zu kraulen. Sie sah ihn fragend an. Es war nicht Einars Art, zärtlich zu sein.

Die Vorwitzigsten aus Lysingurs Herde näherten sich neugierig, als Einar mit seinen Pferden herankam. Er sprang ab und zog Stefanja das Halfter aus. Sie verschwand mit einem übermütigen Hüpfer zwischen all den Pferdeleibern und begann, mit der ihr eigenen Sorgfalt zu fressen.

„Wir sehen uns in ein paar Monaten, meine Schöne“, rief Einar ihr nach. Dann machte er sich mit dem Braunen auf den langen Rückweg. Stefanja würde den Sommer auf der Hochebene genießen. Nichts war schöner für ein Pferd, als im Schutz seiner Herde in Freiheit zu weiden, verwöhnt von der Wärme und Üppigkeit eines kurzen, nordischen Sommers.

Die zweite Junihälfte verging mit den üblichen Arbeiten. Einar fuhr nach Reykjavik, um lang haltbare Lebensmittel einzukaufen, Salz und einen guten Vorrat an Schwarzem Tod, dem Schnaps, mit dem man die Würfel vergorenen Haifischs, die er so gerne aß, hinunterspülte. Er kaufte auch neues Werkzeug und eine lange Stange Eisen, aus der er einen Vorrat an Hufeisen schmieden wollte. Fast alles, was er brauchte, machte Einar selbst, und er ging dabei so gemächlich und sorgfältig vor, als habe er alle Zeit der Welt. Außer zu Pferd hatte noch nie jemand Einar in Eile gesehen.

Mit den beiden Braunen holte Einar ein paar weitere Pferde aus Tinnis Herde, um getrocknete Torfziegel einzusammeln. Im Sommer brauchte er wenig davon, aber im Winter heizte er den Ofen den ganzen Tag damit. Nachts wickelte er ein Torfscheit in eine dicke Schicht alter Zeitungen und ließ es auf dem Feuer glimmen. So brauchte er morgens nur ein wenig zu stochern und zu blasen, und das Feuer flackerte wieder auf. Er stach eine ganze Reihe neuer Soden ab und schichtete sie kunstvoll zum Trocknen auf. Die Pferde nutzten die Pause, um eifrig zu grasen.

Ein- oder zweimal die Woche fischte Einar. Er trocknete die Fische an der salzigen Luft. So blieben sie lange haltbar. Ihm genügten auf seinen Ritten der Trockenfisch und die Wasserflasche in den Satteltaschen als Verpflegung. Er schüttelte den Kopf, als er an die Touristen dachte, die zuckersüße Kekse und Schokoriegel in großen Mengen mitschleppten.

Bald würden sie wieder in Scharen auf einem der kleinen isländischen Flughäfen ankommen, die Sommergäste. In Reykjavik, Keflavik oder Akureiri. Einar würde mit grimmigem Gesicht kontrollieren, ob ihre Stiefel und Reitjacken auch neu waren, denn das mussten sie sein, da Island keine einzige der Pferdekrankheiten kannte, die auf dem Kontinent grassierten. Seit tausend Jahren war die isländische Rasse rein und frei von Krankheiten. Einar streckte sich stolz. Er wollte das Seinige dazu beitragen, dass es auch so blieb. Für Gunnar, Lars und Birkir sah die Sache anders aus. Sie „boten sich in schamloser Weise an“, wie Einar Sigrid voller Verachtung erklärt hatte. Sie lachten und redeten viel zu viel, wenn Touristen da waren, sie machten Witze und maßen sich in verwegenen, von den Gästen bestaunten Passrennen. Auch Sigrid war immer dabei, wenn die Gäste aus Übersee versorgt und unterhalten werden wollten. Eifrig führte sie Buch über die Wünsche und Vorlieben der Touristen. Wenn Einar das schon hörte!

„Haben Ihnen die Pferde von heute zugesagt? Möchten Sie eines nochmal reiten? Oder ziehen Sie es vor, neue auszuprobieren?“ Während die Touristen die Pferde bestaunten und sich über die vielen Farben wunderten, bestaunten die isländischen Kinder die Touristen. Wie Spatzen saßen sie auf den Zäunen und genossen den Ausblick auf Hüte, Sonnenbrillen und Taschen mit lockenden Inhalten. Schokoriegel waren da drin, kostbare Äpfel und Bonbons. Bjarni hatte einmal sogar eine ganze Rolle Kekse geschenkt bekommen, die sich beim Reiten in einen Krümelhaufen verwandelt hätte. Er hatte die Kekse gerecht unter allen Kindern aufgeteilt, und Finna hatte ihr Häufchen nochmals durch zwei geteilt und Stefanja die Hälfte abgegeben. Die Köstlichkeiten waren blitzschnell in Stefanjas Mund verschwunden, und alle hatten gelacht.

Einar machte sich stöhnend an die Arbeit, die er von allen jährlich anfallenden Aufgaben am meisten hasste: Er holte Sättel und Zäume aus der modrigen Sattelkammer, in die er sie letzten Herbst achtlos geworfen hatte, reihte sie auf dem Zaun auf und wusch und fettete sie. Was für eine nutzlose Arbeit! Aber die Touristen wollten nun mal auf polierten Sätteln sitzen. Nein, Einar konnte nicht verstehen, warum Lars, Gunnar, Birkir und Sigrid die Touristensaison als willkommene Abwechslung genossen. Für ihn war sie lediglich eine Gelegenheit, schneller als sonst Geld zu verdienen. Bisweilen verliebte sich gar ein ausländischer Reiter in ein mittelmäßiges Pferd, bezahlte einen viel zu hohen Preis dafür und scheute weder Kosten noch Mühen, um es auf den Kontinent zu schaffen.

Einar brachte das Polieren der Sättel so schnell wie möglich hinter sich. Dann lud er dem einen Braunen die schwere Werkzeugtasche auf und sattelte den anderen, um einige Pferde aus Tinnis Herde zu beschlagen und zum Haus zu bringen. Auch aus Lysingurs Herde, die auf dem Hochplateau weidete, suchte er Pferde für die Trekkings aus. Genug mussten es sein, denn man trieb Reservepferde mit, sodass bei der Mittagsrast umgesattelt werden konnte. Jeder Reiter brauchte mindestens zwei Pferde pro Tag, und immer fielen auch ein paar aus, weil sie ihre Hufeisen verloren oder weil sie auf den ausgedehnten, schnellen Ritten die Kräfte verließen.

Nicht, dass die Pferde etwa bis zum Eintreffen der Touristen nichts zu tun gehabt hätten. Jetzt galt es, das Gras einzubringen, das Einar Ende Juni im Norden am Meer gemäht hatte. Inzwischen musste es trocken sein, würzig und ein bisschen salzig, ein unentbehrlicher Vorrat für den langen Winter. Einar ritt wie der Teufel, trieb mit dem unermüdlichen Tinni die kleine Herde ans Meer und schaffte den Zweitagesritt in einem einzigen Tag. Über Nacht nur ließ er die Herde grasen, dann lud er jedem Pferd zwei riesige Heuballen auf. Mit speziellen Tragegurten band er sie fest. So schwer beladen waren die Pferde natürlich langsamer, aber noch immer sicher im Schritt. Die Tage waren jetzt, mitten im Sommer, sehr lang. Nur für wenige Stunden tauchte die Sonne knapp unter den Horizont, und Einar nutzte das aus, um in zwei Tagen mit den Heuvorräten zurück zu sein. Er stapelte sie in der Scheune und schloss zufrieden das Tor.

Ein paar Tage blieben noch, in denen die Pferde grasen, dösen und Kräfte sammeln konnten. Auch Einar döste und verlor sich in wilden Tagträumen über Gaedingar, das Fohlen, das Stefanja ihm im nächsten Mai schenken würde. Manchmal nickte er ganz ein, um nach wenigen Sekunden wieder aufzufahren. Die alte Kräutersammlerin war ihm im Traum erschienen, und er stammelte halblaut: „Das Fohlen ist doch keine Stute, nicht wahr?“

Draußen, wo ihnen der Wind noch immer kalt um die Ohren pfiff, wo das Wasser gurgelte und die Schreie der großen Sturmmöwen die Luft zerrissen, setzte sich Stefanja auf einen Stein. Auch die Kinder saßen auf Steinen und lauschten mit offenen Mündern, als ihnen die Kräuterhexe die uralte Geschichte vom Kampf des Frühlings gegen den Winter erzählte. Noch war die Kraft des Winters spürbar, aber die Sonne war dabei, sie zu brechen.

Stefanjas Geschichte war zu Ende. Sie schwieg. Die Kinder blieben sitzen. Man konnte nie wissen! Vielleicht machte die Alte nur eine Pause, bevor sie weitererzählte. Aber nein, Stefanja versuchte, auf die Beine zu kommen, allerdings vergeblich. Sie saß, als sei sie mit dem Stein verwachsen.

„Nein, oh nein“, jammerte Stefanja nun, „ich werde bis in alle Ewigkeit hier sitzen bleiben müssen. Was für ein schreckliches Versehen! Ich habe mich auf Alwiss gesetzt, den versteinerten Zwerg. Nun hält er mich fest, oh, oh …“

Die Kinder sprangen alle gleichzeitig auf und warfen entsetzte Blicke auf ihre Sitzgelegenheiten. Jetzt stand auch Stefanja auf – und sie lachte, dass es nur so dröhnte.