Haustiere - Claudia Gürtler - E-Book

Haustiere E-Book

Claudia Gürtler

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Beschreibung

Sie sind gesellig, verspielt, unterhaltend – und dem Menschen wichtig: Haustiere! Allein in Deutschland sollen es 30 Millionen sein, die das Leben von Zweibeinern teilen. Und je nach Statistik sind allein den Deutschen ihre tierischen Lieblinge etwa neun Milliarden Euro pro Jahr wert. In der Schweiz leben etwas über 8 Millionen zweibeinige Einwohner – und 7,6 Millionen Haustiere! 30% aller Haushalte sollen es sein, in denen mindestens ein Haustier lebt. Die Katze ist das beliebteste Haustier, aber auch Hunde haben die feuchten Nasen vorn. Tausende Hunde werden täglich spazieren geführt. Aber auch Nager, Reptilien, Fische und Vögel teilen das Leben von Leuten, die sich ein Dasein ohne Haustier schlicht nicht vorstellen können. Nicht ganz tierisch ernst beschäftigen sich die 16 Haustiergeschichten von Claudia Gürtler mit dem Thema. Hund und Katze haben den Weg zwischen Buchdeckel gefunden. Auch Aale, Affen, Leguane, Ponys und Pferde, Enten, Ratten und weitere Protagonisten tummeln sich auf der Bühne des Lebens. Diese Geschichten sind ein Muss für jeden Haustierhalter!

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Claudia Gürtler

Haustiere

16 Kurzgeschichten; Katze, Pony, Hund, Ratte, Leguan & Co.

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Statt eines Vorworts: Der Bauer und seine Tiere

Tierische Erbschaft

Vom Hund, der sich nicht verschenken wollte

Brunst

Auf der Jagd

Borschtsch

Ein Denkmal für Leone

Die Dame des Hauses

Weihnachten mit Katzen und Engeln

Wer liest, bleibt jung

Pferd

Oklahoma

Rosalie

Ein Bär für alle Fälle

Am Kanal

Schwarztee und ein Tropfen Honig

Impressum neobooks

Statt eines Vorworts: Der Bauer und seine Tiere

Ein Bauer, nennen wir ihn Toni, hatte einen treuen Hofhund, ein kräftiges Pferd, 1einen wachsamen Esel und sieben ebenso wachsame Gänse, die miteinander um die Wette krähten, einen stolzen Hahn und fünf Hühner, ein dickes, gutmütiges Schwein, das jedes Jahr elf Ferkel warf, zwei Stallkatzen und eine uralte Küchenkatze, jede Menge Mäuse, ein Storchenpaar auf dem Dach und drei Schwalbenpaare im Tenn, die jeden Frühling wiederkamen und ihn im Herbst wieder verliessen. Sie alle teilten Haus, Stall, Felder und Weiden mit ihm. Sie teilten sein Leben mit ihm – und nahmen ihn nicht für voll.

Natürlich dachte er, er sorge gut für seine Tiere, und ohne ihn hätten sie keine Überlebenschancen. Ohne ihn würden sie hungern und hätten kein Dach über dem Kopf. Niemand würde den Tierarzt rufen, wenn sie krank wurden, und ohne sein Lob, seine Liebkosungen mit Stimme und Händen würden ihre Seelen verdorren wie zarte Pflänzchen an der Sonne.

Ja, so dachte er, und die Tiere liessen ihn denken, wie er dachte und reden, wie er eben redete. Sie stupsten einander an und lachten lautlos und schüttelten fast unmerklich die grossen und kleinen Köpfe, denn natürlich war es genau anders herum. Wenn sie nicht wären, die Tiere, die für ihn rochen, sahen, Krümel aufputzten, Lasten transportieren, das Gras ordentlich kurzhielten, wäre er vollkommen lebensuntüchtig. Wenn sie ihn nicht fütterten und tränkten und für sein leibliches und seelisches Wohl sorgten, unauffällig, nachsichtig, liebevoll – er wäre längst nicht mehr unter den Lebenden. Und falls doch, würde seine Seele verdorren wie ein zartes Pflänzchen an der Sonne. Er brauchte es, all dieses Streicheln und Kraulen. Nichts geht über dieses Gefühl von Ehrfurcht, wenn man in dichtes Fell fasst, und nichts ist so tröstlich wie der kräftige Geruch von Tieren.

Man konnte Toni, dass er war, wie er war, nicht übelnehmen. Er würde ein Leben lang ein Frischling bleiben, ein Welpe, ein Fohlen, ein blindes, tapsiges Kätzchen.

Wie oft schon hatten sie ihm geduldig zugeredet, hatten ihm dieses und jenes beizubringen versucht. Er war begriffsstutziger als jedes erst wenige Stunden alte Tier. Man konnte ihm Dinge zwanzig Mal sagen, ohne dass er etwas dazu lernte.

Sie hatten ihm das Leben gerettet, mehr als einmal, ohne einen Dank dafür zu erwarten, aber dieses Mal galt es ernst.

Es würde ein Erdbeben geben und Haus und Stall würden bis auf die Grundmauern niederbrennen.

Nur weil die Tiere in den Ställen so viel Radau machten, wie sie konnten, weil die Gänse gackernd und zischend über den Hof rannten, der Hund mit der Kette rasselte, die Katzen in sein Bett sprangen und die Mäuse die Wände hinauf und hinunterliefen, kam er rechtzeitig aus dem Bett, aus dem Haus, öffnete weit alle Stall- und Boxentüren.

Er rettete das Leben seiner Tiere, und sein eigenes nacktes Leben dazu.

Gewiss, Bauer Toni war nicht mehr der Jüngste, aber in jener Nacht wurde er schlohweiss, verzagt und zittrig. Sollte er ihn wiederaufbauen, seinen Hof? Vorerst übersiedelte er in eine Höhle, die er noch aus Kindertagen kannte. Hier wollte er gründlich darüber nachdenken, ob es sich noch lohnte, das Leben. Der Hund führte ihn, das Pferd trug ihn, Hühner und Kuh versorgten ihn und die Katzen wärmten seine Seele. Selbst die Mäuse zogen mit ihm um und hielten seinen Wohnraum sauber.

Genau genommen gab es ja nun keinen Grund mehr für Treue, denn Bauer Toni hielt seine Seite des Vertrages, Essen zu liefern und für eine trockene Bleibe zu sorgen, nicht mehr ein, aber die Tiere stiessen einander an, nickten fast unmerklich mit den Köpfen und es war also beschlossene Sache: Sie konnten ihn nicht verlassen. So menschlich wollten sie nicht sein!

Tierische Erbschaft

Damals liebten sie sich noch, und es verging kaum ein Wochenende, an dem sie nicht frühmorgens den düstergrauen Wohnblock verliessen, um sich Häuser auf dem Land anzusehen. Lust und Laune und Teds Intuition, auf die er stolz war, bestimmten die Route, die das junge Paar mit seinem rostigen Deux-chevaux abklapperte. Hand in Hand gingen sie durch die leeren Zimmer von zum Verkauf stehenden Häusern, und ihre Stimmen hallten unnatürlich laut und verzerrt von den Wänden.

Mit entzückten Freudenschreien begeisterte sich Lis für alles, was klein, schmuck, bezugsbereit und überschaubar, oder wie sie es nannte, handlich war, während Ted eine Vorliebe für Riesiges entwickelte. Weiträumige Schlösser mit meterdicken Mauern und stillgelegte Fabriken weckten seinen Enthusiasmus ebenso wie das ausgediente Gefängnis, von dem Lis sich schaudernd abwandte.

Vier Jahre später gaben Lis und Ted noch immer sonntags die Kinder bei ihren Eltern ab, um sich Häuser anzusehen, aber sie schwiegen während der Fahrten im Deux-chevaux. Ihre Hände berührten sich nicht, die Schultern rieben nicht mehr wie zufällig aneinander, und immer öfter tönten ihre Stimmen aufgebracht durch die leeren Räume von zum Verkauf stehenden Häusern.

Auf den Tag genau sieben Jahre nach ihrer ersten gemeinsamen Hausbesichtigung überraschte Ted seine Frau mit der Nachricht, er habe vor einer Stunde den Kaufvertrag für ein Haus unterschrieben. Es war Lis’ fünfunddreissigster Geburtstag, kein Samstag oder Sonntag übrigens, also genau genommen nicht der Moment für Hausbesichtigungen, und sie hatte eine beträchtliche Zeit in ihre Toilette investiert, in der festen Überzeugung, er würde sie zum Essen ausführen. Wenn sie die Wahl hatte, entschied sie sich stets für kleine, schmucke Restaurants, und sie sass gerne in Ecken, wo „das Leben“, wie sie sagte, „überschaubar blieb“.

Lis war verstimmt. Immerhin hätte er sie ja fragen, das Haus, wie sie es nun schon unzählige Male getan hatten, mit ihr zusammen besichtigen können. Mit leisem Unbehagen rief sie sich ihre unterschiedlichen Vorstellungen von der perfekten Bleibe ins Gedächtnis. Aber am Abend ihres Geburtstages wollte sie keine schlechte Stimmung aufkommen lassen, weder bei Ted noch bei sich selbst.

„Und du hast den Kaufvertrag wirklich schon – unterzeichnet?“ fragte sie. Sie bemühte sich, ihre Stimme beiläufig klingen zu lassen.

„Ich musste zugreifen“, sagte Ted und strahlte. Er packte eine Faust voll von den Appetithäppchen, die Lis zum Anstossen auf ihren Geburtstag bereitgestellt hatte, legte den Kopf weit nach hinten und liess sie, eins nach dem anderen, in seinen aufgesperrten Mund fallen.

„Du wirst sehen“, versprach er kauend, „es ist ein-ma-lig!“ Jetzt widerte er sie ein bisschen an, aber sie wagte es nicht, sich dies einzugestehen, und obwohl sie sonst kaum trank, füllte sie nun ihr Campari-Glas randvoll.

„Warte, ich muss nur noch ...“, sagte Ted. Er verschwand im Schlafzimmer, um zwei Minuten später in farb- und leimverkrusteten Überdosen wieder aufzutauchen. Lis fand, dass er darin unmöglich aussah, behielt dies aber für sich. Sie fühlte sich nicht besonders gut. In den zwei Minuten, die er im Schlafzimmer verbrachte, hatte sie das zweite Glas geleert.

„Du wirst sehen“, wiederholte Ted enthusiastisch, „es ist ein-ma-lig.“ Er küsste sie zerstreut auf den Mund, dann suchte er nach den Autoschlüsseln. Lis sah sie auf dem Fenstersims liegen, wies ihn aber nicht darauf hin.

„Da sind sie ja!“. Er packte Lis am Arm und zerrte sie mit sich, als sei sie ein Gepäckstück. Vor Jahren hatte sie seinen ungestümen Eifer und seine Begeisterungsstürme gemocht. Genau daran dachte sie jetzt. Sie hatten sie immer zum Lachen gereizt, und hin und wieder hatte sie scherzhaft nach ihm geschlagen, um ihn zur Vernunft zu bringen.

Ted drückte das Gaspedal ganz durch, ohne mehr als fünfundvierzig Stundenkilometer aus dem alten Deux-Chevaux herauszuholen. Er redete wie ein Wasserfall, aber Lis hörte kaum zu. Sie genoss es jetzt, beschwipst zu sein. Es fühlte sich an, als sei man sicher in Watte verpackt. Erst als ihr Ted mit verschwörerischer Miene verriet, er habe auch ein Geburtstagsgeschenk gekauft, wurde sie wieder wacher. Sie kurbelte das Fenster herunter. Eine Ahnung von Herbst kühlte ihre heisse Stirn. Lis liebte Geschenke, ganz kleine vor allem, die man als Glücksbringer mit sich herumtragen konnte.

„Was ist es denn?“, fragte sie und lächelte ihn an. Er nahm die Hand vom Steuer und drückte ihr Knie.

„Du wirst schon sehen!“, sagte er Ganz kurz wandte er ihr sein Gesicht mit dem jungenhaften Grinsen zu. Ihr Groll schmolz. Wegen dieser einmaligen Grimasse hatte sie sich in ihn verliebt, damals, vor Urzeiten.

„Weisst du eigentlich, dass ich mich nicht in dich, sondern in dein Grinsen verliebt habe?“, neckte sie ihn.

„Wann war das?“, fragte er zurück. „Ich kann mich nicht daran erinnern!“

„Natürlich nicht“, lachte Lis, „es ist Ewigkeiten her. Ich glaube, es war im Pleistozän.“

„Im Pleistozän gab’s noch keine Menschen“, konterte Ted sofort, und Lis versetzte sein belehrender Ton einen Stich. „Vielen Dank auch, Herr Doktor“, dachte sie mit einem Anflug von Sarkasmus, aber sie seufzte nur und schwieg. Mit zunehmender Unruhe stellte sie fest, dass sie sich immer weiter von der Stadt entfernten, in der sie nun schon so lange lebten, und dass die Dörfer kleiner und kleiner wurden.

„Du magst es doch klein“, sagte Ted, als könne er Gedanken lesen oder als habe sie ihre Befürchtungen laut ausgesprochen.

„Ich meinte die Häuser, nicht die Dörfer“, wehrte sich Lis. „Kleine Dörfer machen mir Angst. Wie du weisst, bin ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Da kennt jeder jeden, kein Schritt bleibt unbeobachtet und kein Wort ungehört.“

„Wie gut, dass unser neues Zuhause nicht in einem Dorf liegt“, suchte Ted sie zu beruhigen.

Lis atmete hörbar auf. Bis zur nächsten Stadt konnte es nicht mehr allzu weit sein.

„Ist es ein schönes, hohes Altstadthaus mit Türmchen, Terrässchen, Zinnen und Wendeltreppen?“ fragte sie, halb ernst, halb im Scherz. Bei Ted wusste man schliesslich nie.

„Lass dich überraschen“, sagte Ted nur, „wir sind gleich da.“

Die Überraschung war perfekt. Mitten auf einem Feldweg bremste Ted abrupt. Der Deux-Chevaux kam mit einem kleinen Hüpfer zum Stehen, und Lis sah hinter der Staubwolke, die sie aufgewirbelt hatten, eine hohe Mauer auftauchen, von Rissen durchzogen und mit Efeu und allerlei Gestrüpp überwachsen. Eidechsen huschten in Spalten. Ein kunstvoll geschmiedetes, aber längst verrostetes Tor stand halb offen. Ted stieg aus dem Wagen. Wie immer waren ihm dabei die langen Beine im Weg. Die alten Torflügel ächzten in den Angeln, als er sie ganz aufstiess. Langsam fuhren sie einen holprigen, von Baumriesen in tiefe Schatten getauchten Weg entlang. Wilde Kaninchen flüchteten ins Unterholz.

„Ich hätte den Campari nicht trinken sollen“, murmelte Lis und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, als hoffte sie, eine Sinnestäuschung verscheuchen zu können. Das Haus selbst war, obwohl es riesig sein musste, in der üppigen Wildheit des vernachlässigten Parks kaum zu finden. Lis kletterte aus dem Wagen. Sie fühlte sich, als sei sie hundertfünfzig Jahre alt und als laste das Gewicht aller grossen Häuser der Welt auf ihr.

„Es kann nicht sein“, sagte sie leise zu Ted. „So grosse Häuser gibt es überhaupt nicht!“

„Dann gefällt es dir also auch!?“ Auf Teds Gesicht machte sich das selbstgefällige Grinsen des Siegers breit.

„Es ist riesig“, sagte sie hilflos, und trotz seines pausenlosen Zuredens weigerte sie sich über eine Stunde lang, es auch nur zu betreten.

„Wir werden einiges ändern“, versprach Ted endlich. „Wir können ändern, was immer du geändert haben willst. Wir können es komplett umbauen - schliesslich gehört es uns!“

„Mach es kleiner“, verlangte Lis und brach in hysterisches Schluchzen aus.

„Ich hatte eher an - grösser gedacht!“ bekannte Ted.

„Was meinst du mit grösser!?“ Lis kreischte jetzt.

„Nun ja“, sagte Ted und kratzte sich am Kopf, „es hat winzige Zimmer, weisst du. Ich dachte, wir könnten grössere Zimmer haben, wenn wir ein paar Mauern einreissen... Die Kinder werden es lieben, grosse Zimmer zu haben.“

„Die Kinder!“, rief Lis aus, als erinnere sie sich erst in diesem Moment daran, dass sie Kinder hatten. „Die Kinder werden sich in diesem Haus und in diesem, diesem ... Park hoffnungslos verirren. Falls nicht, werden sie auf dem Weg in die Schule in der Wildnis verschwinden. – Warum, um Himmels willen, hast du nicht an die Kinder gedacht!?“

„Ich habe an die Kinder gedacht“, versicherte Ted. „Sie werden kutschieren lernen.“

„Sie werden – was?“ Alle Farbe wich aus Lis Gesicht. „Sie werden kutschieren lernen“, wiederholte Ted geduldig. „Zu diesem Haus gehört alles, was Kinderherzen begehren, selbst Ponys, Enten und ein Hund.“

Lis war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen. Die einzigen Tiere, die sie mochte, waren Katzen. Vor Ponys fürchtete sie sich ebenso wie vor Hunden, und von der unverbesserlichen Dummheit von Enten war sie zutiefst überzeugt.

„Es gehörte zu den Kaufbedingungen, dass man die Tiere mit übernimmt“, entschuldigte sich Ted. „Sie wohnen nun einmal hier. Sie sind, wenn du so willst, die Urbevölkerung dieses Grundstücks. Deswegen war das Haus ja auch ausserordentlich günstig. Es war ein echtes Schnäppchen – mit den Tieren!“

In diesem Augenblick sah Lis den Hund. Er war gross wie ein Kalb, rabenschwarz und zottig, und er raste mit freudigem Japsen auf sie zu. Lis schrie, der Hund liess ein tiefes, grollendes Bellen hören, von dem auch Ted nicht sagen konnte, ob es freundlich oder drohend gemeint war.

„Trampel, Platz!“ rief Ted unentschlossen. Sein Befehl verhallte ohne Wirkung, denn Trampel hatte sich in Lis verliebt. Ja, es war Liebe auf den ersten Blick. Er sprang sie an und riss sie zu Boden. Seine riesigen Pfoten drückten auf ihre Brust, heiss streifte sein Atem ihr Gesicht, und klebriger Speichel tropfte in ihre frisch gewaschenen Haare.

„Hierher, Trampel, Platz, willst du wohl ... „ rief Ted. Er sah, dass Lis vor Entsetzten unfähig war, sich zu rühren. Trampel wandte ihm kurz den mächtigen, zottigen Kopf zu. Seine Lefzen waren zurückgezogen, als grinse er. Beherzt griff Ted in das zottige Fell und befreite Lis.

„Komm, Liebes“, versuchte Ted sie abzulenken, „gehen wir erst mal hinein. Sicher willst du dir alles ansehen. Und natürlich bist du gespannt wie ein Regenschirm auf dein Geburtstagsgeschenk, nicht wahr? Ja, und stell dir vor, die Party findet hier statt. Wir müssen uns nicht in ein enges Restaurant quetschen. Ich habe an alles gedacht. Also kommt mit und lass dich überraschen.“

Tatsächlich! Es geschahen Zeichen und Wunder. Der in Haushaltsdingen sonst so unbeholfene Ted hatte einen Picknickkorb mitgebracht, der keinen Wunsch offenliess. Lis erfuhr allerdings später, dass seine Laborantin ihn gepackt hatte.

Stumm liess sie sich ins Haus führen. Nach Trampels Liebesbezeugung und ihrem Sturz brummte ihr Kopf und sie fühlte sich unendlich müde. Als Ted ihr Geburtstagsgeschenk aus einem der unendlich vielen Zimmer holte, weinte sie leise, anstatt, wie es sonst ihre Art war, laut und wütend zu protestieren. Strahlend überreichte ihr Ted zwei grosse Werkzeugkisten. Sie enthielten alles, was sein Herz begehrte, Nägel und Schrauben in grossen Packungen, Bohrer, Feilen, Sägen, Schleifpapier und Metermass.

„Damit“, versprach Ted, „werden wir aus diesem Anwesen ein Paradies machen, unser Paradies. Jeder ist, wie das Sprichwort sagt, seines eigenen Glückes Schmied.“ Er wollte ihr das gezackte Blatt der Kreissäge wie eine Opfergabe in die geöffnete Hand legen. Sie aber schloss schnell die Finger zur Faust und sagte eisig: „Ich möchte jetzt die Kinder abholen.“

Ted war verstimmt, und sie fuhren den langen Weg zurück, ohne ein Wort zu wechseln. Wenige Tage später bezogen sie das Haus, so wie es war. Ted war zuversichtlich, die nötigen Reparaturen und Änderungen im Handumdrehen ausführen zu können, und auch Lis’ Pessimismus ging zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit, dass sie annahm, sie werde den Rest ihres Lebens auf einer Baustelle verbringen.

Trampel hatte, wie sich herausstellen sollte, die Angewohnheit, nie zu gehorchen. Befehlen gegenüber war er taub. Abgesehen davon aber war er die Freundlichkeit in Person und der erkorene Liebling von Ted und den Kindern. Trampel allerdings liebte nur Lis, und es störte ihn nicht im geringsten, dass sie ihn nicht ausstehen konnte, ja ihn sogar nach Jahren noch fürchtete wie am ersten Tag. Er folgte ihr auf Schritt und Tritt, warf ihr aus dunklen, treuen Hundeaugen schmachtende Blicke zu und legte sich, sobald sie sich hinsetzte, mit behaglichem Grunzen auf ihre Füsse.

Trampel zerstörte, was immer ihm in den Weg kam, nicht aus Mutwillen, sondern weil er mit der eigenen Masse nicht zurechtkam. Er seufzte und sabberte über den Scherben, aber Lis kaufte ihm das schlechte Gewissen nicht ab. Im Gegensatz zu Trampel genossen es die beiden Ponys, wenn Lis brüllend vor Wut und mit Besen fuchtelnd hinter ihnen herjagte, um sie für die eine oder andere unglaubliche Missetat zu bestrafen. Sie hiessen Max und Moritz, obwohl nur eines von ihnen, der schneeweisse Moritz, ein Wallach war. Zusammen mit Max, der dicklichen Rappstute, frass er die Strümpfe von der Wäscheleine, wälzte sich in eben erblühten Tulpenbeeten, riss Weidezäune und Stalltüren ein und war grundsätzlich dort anzutreffen, wo man ihn bestimmt nicht haben wollte. Die beiden struppigen, staubbedeckten Ungeheuer überfielen Tee trinkende Gäste, um ihnen Kuchenstücke zu entreissen, und es versteht sich von selbst dass, wer immer die Bekanntschaft von Max und Moritz gemacht hatte, nicht wiederkam.

Natürlich liebte Ted die Ponys. Sie folgten ihm wie Hunde, und auch die Kinder hatten keine Mühe, sie einzuspannen, um im Doppelsulky zur Schule zu fahren wie die Herrschaftskinder lange vergangener Zeiten. Nur wenn sie Lis sahen, legten sie die Ohren an und signalisierten ihre Bereitschaft zu Missetaten.

Ted war so glücklich wie Lis unglücklich war. So früh wie möglich verliess er abends das Labor, um sich seinem Haus zu widmen. Kaum zu Hause entledigte er sich seines Anzugs samt Hemd und Kravatte und schlüpfte in die geliebten Hausbesitzerklamotten, die hauptsächlich aus Löchern, Rissen, Leim- und Farbklecksen bestanden, und in denen er – Lis wiederholte es wie eine Litanei – unmöglich aussah.

Das Haus, der Park und die Urbevölkerung standen zwischen Lis und ihrer Familie. Seit sie das Haus bezogen hatten, passte sie nicht mehr in die rundum glückliche Familie. Sie war das Waisenkind, das sich fehl am Platz fühlte und nicht wusste wohin mit sich und seinem Unglück. Die Jahre vergingen, und sie liess immer öfter die Hausarbeit Hausarbeit sein, um in einer Ecke des Parks, der sich nicht in einen Garten verwandeln lassen wollte, Andersens Märchen oder die traurigen Romane von Charles Dickens zu lesen. Trampel begleitete sie und wachte treu und tollpatschig über ihr. Er hielt ihr Max und Moritz und die Enten vom Leib und schnappte nach aufdringlichen Fliegen, ohne je dafür gelobt oder gestreichelt zu werden.

Dass die Kinder mit den Ponys sprachen, als seien sie ebenfalls Kinder, dass sie Trampel die unglaublichsten Kosenamen gaben und im Vorbeigehen die Enten grüssten, konnte Lis ja noch verstehen, aber als sie hörte, dass Ted mit dem Haus sprach, war sie schockiert. Es war schwer zu sagen, ob das Haus ein besonders anfälliger Patient oder ganz einfach ein Hypochonder war. Jedenfalls beanspruchte es nicht nur Teds ganzen Verdienst, sondern auch seine Freizeit. Wie gerne wäre Lis hin und wieder vor dem Haus geflohen, wenigstens für ein paar Tage. Ihr Koffer lag gepackt und griffbereit unter ihrem Bett, aber trotz Teds gutem Verdienst war nie Geld da, weder für die Kanaren noch fürs Appenzell.

Als die Kinder ihre Koffer packten, weil sie erwachsen geworden waren, ihre Ausbildung abgeschlossen hatten und keinesfalls länger auf dem Land leben wollten, begann Ted, sich zu verändern. Das glückliche und entspannte Leuchten, das die Arbeiten am Haus und die zur Gewohnheit gewordenen Gespräche mit ihm auf sein Gesicht gezaubert hatte, wich einem gehetzten Ausdruck. Seine Hände waren fahrig, seine Schläfen grau geworden, und sein einziges Gesprächsthema war die Zeit, die ihm fehlte. Waren die Reparaturen und nötigen Renovationen am Haus bis anhin nacheinander angefallen, kamen sie nun alle aufs Mal. Das Haus ächzte und stöhnte, bröckelte und lotterte und Lis hatte es im Verdacht, sich selbst zu zerstören, wie ein Neurotiker, der auf den Geschmack von ärztlichen Behandlungen gekommen ist und sich nun, da er nicht mehr ohne sie leben kann, seine Krankheiten selber erfindet.

Trampel war nicht mehr so oft schuld an anfallenden Reparaturen. Er wälzte seine Masse gemächlicher und behutsamer durchs Haus, und auch Moritz, dessen Fell wie bei vielen alten Schimmeln mit ungesunden schwarzen Sprenkeln übersät war und Max, deren grau gewordener Kopf tief zwischen ihren Knien hing, pflügten nur noch selten eine tornadohafte Schneise der Zerstörung durch den Park.

Es war das Haus, das Haus allein, das zu Ted sprach, wie er zu ihm sprach, das über seine Schmerzen jammerte und ihn anhielt, sich doch um Himmels Willen mehr Zeit für Renovationen zu nehmen. Lis hasste das Haus von ganzem Herzen, denn neuerdings liebte sie Ted wieder ein bisschen, und so sorgte sie sich auch um ihn. Er sah ungesund aus. Er sah gehetzt aus. Er war nervös, und er beunruhigte sie. Sie versuchte zu helfen, wurde aber vom Haus, das Betonbrösel auf sie hinabrieseln liess und Holzsplitter in ihre Finger trieb, zurückgewiesen. Für Lis tickte die Zeit träge vorüber, und die Langeweile drohte sie, die nichts zu tun fand, zu erdrücken, während für Ted die Wochen kürzer und kürzer wurden. Mittlerweile ass er im Stehen, und als Lis ihn deswegen schalt, stritten sie sich erbittert.