Finstermoos - Die komplette Reihe inkl. eShort - Janet Clark - E-Book
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Finstermoos - Die komplette Reihe inkl. eShort E-Book

Janet Clark

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Beschreibung

Finstermoos, die Thrillerserie von Bestseller-Autorin Janet Clark, die neben ihren Jugendbüchern auch erfolgreiche Spannung für Erwachsene schreibt (Ich sehe dich und Rachekind). Atemberaubender Nervenkitzel und Spannung für alle Fans von Krystyna Kuhns "Das Tal"!   Auf der Baustelle seines Vaters findet Valentin den Körper eines vor vielen Jahren verstorbenen Babys. Sofort strömen Journalisten in das idyllisch gelegene Bergdorf, darunter auch Armina Lindemann mit ihrer 19-jährigen Tochter Mascha. Schon bald werden Valentin und Mascha Opfer seltsamer und lebensbedrohlicher Unfälle, dann verschwindet Maschas Mutter spurlos. Mascha glaubt nicht an einen Zufall – hat die Journalistin bei der Recherche für ihren Artikel etwas herausgefunden, was sie nicht wissen soll? Gemeinsam mit Valentin und zwei weiteren Freunden sucht sie nach ihrer Mutter und rührt damit an ein lange verborgenes Geheimnis, das jemand um jeden Preis zu schützen versucht.   Mehr Infos rund um Finstermoos unter: finstermoos.de

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Seitenzahl: 1053

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Inhalt

Cover

Inhalt

Aller Frevel Anfang

Hinweis

Widmung

7. August – 15:33 Uhr

24. Juli

25. Juli

7. August – 15:39 Uhr

25. Juli

7. August – 15:48 Uhr

26. Juli

27. Juli, Berlin

27. Juli, Finstermoos

7. August – 17:24 Uhr

27. Juli

28. Juli

7. August – 19:06 Uhr

28. Juli

29. Juli

7. August – 19:37 Uhr

29. Juli

30. Juli

7. August – 19:43 Uhr

30. Juli

31. Juli

7. August – 20:05 Uhr

31. Juli

7. August – 20:10 Uhr

31. Juli

DANK

Am schmalen Grat

Hinweis

Widmung

Was bisher geschah …

31. Juli

7. August – 20:10 Uhr

31. Juli

1. August

7. August – 20:15 Uhr

1. August

7. August – 21:28 Uhr

1. August

7. August – 23:03 Uhr

1. August

2. August

DANK

Im Angesicht der Toten

Hinweis

Widmung

Was bisher geschah …

2. August

7. August – 23:03 Uhr

2. August

7. August – 23:06 Uhr

2. August

3. August

Berlin

4. August – Finstermoos

Berlin

Finstermoos

Berlin

7. August – 23:11 Uhr

4. August – Finstermoos

Berlin

Finstermoos – 5. August

8. August – 01:22 Uhr

6. August

7. August

DANK

Bedenke das Ende

Hinweis

Widmung

Was bisher geschah …

8. August

9. August

Epilog

Dank

Im Bann der Vergessenen

08. August – 8:15 Uhr

Einige Monate zuvor, ein verregneter Tag Anfang März

Am nächsten Morgen

8. August – 08:28 Uhr

Bisher von Janet Clark bei Loewe erschienen

Über die Autorin

Weitere Infos

Impressum

Für Bärbel   Danke für deinen Einsatz, wann immer es brennt.

7.August – 15:33Uhr

1

Was immer es ist, lass es keinen Toten sein!

Der süßliche Geruch setzt sich in seiner Nase fest, lässt ihn würgen. Valentin vergräbt das Gesicht im Kragen seines T-Shirts. Wie soll er bei diesem Gestank denken können? Wenn er wenigstens sehen könnte, was hier so stinkt. Verwesende Knochen? Winzige, zarte Babyknochen? Er schüttelt den Kopf, will das Bild loswerden. Vergeblich. Er sieht den verschlissenen Teddybären. Den stummen Wächter des Babys. Er hätte ihn als Warnung begreifen sollen. Werden ihre Skelette jetzt ebenso unbemerkt verwesen?

»Val, wie weit bist du?« Bastis Stimme hallt durch das undurchdringliche Schwarz des Bunkers.

»Keine Ahnung.« Er lässt seine Finger wieder über die kalte Wand gleiten. Der nächste Schritt. Und noch einer. Gleich müsste er die Tür erreichen. Seine Finger streifen etwas Weiches, Klebriges. Er zieht sie zurück. Reiß dich zusammen! Das sind nur Spinnweben. Er atmet tief ein und aus. Spürt, wie die warme Luft sich feucht in seinem T-Shirt sammelt. Zögerlich berühren seine Finger wieder die Wand.

Geh weiter.

Unter seinem Schuh knackst etwas. Valentin reißt den Fuß hoch. Was liegt da am Boden? Eine Assel? Knochenreste?

Weiter!

Tasten. Schritt. Tasten. Schritt.

Endlich. Die Tür. Er tastet den kalten Stahl ab, stemmt sich dagegen.

Nichts.

Verdammt! Was hat er sich gedacht? Dass er die Stahltür wie Superman wegschnippt? Selbst gemeinsam würden sie die Konstruktion seines Vaters keinen Millimeter bewegen können.

Zwei Wochen vorher 24.Juli2

»Im Mittelalter hätten sie dich als Hexer verbrannt.« Luzies Finger strichen über die extraglatte Haut seiner Narbe. Senkrecht nach unten, dann waagerecht von links nach rechts. Ein umgedrehtes Kreuz, etwa fünf Zentimeter groß und so nah am Herzen, dass sie sein gleichmäßiges Pochen spürte.

»Wir leben aber nicht im Mittelalter.« Ohne sich von der Stelle zu rühren, tastete Basti auf den staubigen Holzbohlen nach seinem T-Shirt.

Sie bohrte ihren Finger in seine Brust. »Schon so spät?«

»Zu spät.« Er löste ihren Finger, küsste ihn und legte ihn auf ihren Bauch. Dann stand er auf, sein Kopf verschwand in dem engen weißen T-Shirt. Er streifte es über seinen Oberkörper, streckte eine Hand nach ihr aus und zog sie hoch, zog sie an sich, als wollte er sie küssen. Sie schloss die Augen, doch seine Lippen streiften nur flüchtig ihre Wange, verharrten einen winzigen Moment an ihrem Ohr.

»Morgen um die gleiche Zeit?«

Eine Frage. Auch wenn Basti nicht einmal ihre Antwort abwartete, bevor er sich an den Abstieg machte. Wozu auch, er wusste, dass sie kommen würde. So wie gestern. Und vorgestern. Und die Tage davor. Die Wochen. Monate. Fünf, um genau zu sein.

Ein lautes Knacken, dann ein dumpfer Aufprall – er war also wieder gesprungen.

Sie stellte sich an die Fensteröffnung und sah ihm nach. Mit der Leichtigkeit einer Raubkatze sprintete er zum Waldrand, schwang sich auf sein Mountainbike und raste das gelb schimmernde Sonnenblumenfeld entlang Richtung Dorf. Schon erreichte er die Biegung und verschwand aus ihrem Sichtfeld.

Luzie seufzte und stieß sich vom Fensterrahmen ab, verharrte in der Bewegung. Warum war das Zwitschern der Vögel verstummt? Sie kniff ihre Augen zusammen, scannte das dichte Unterholz.

Nichts.

Sie drehte sich um und betrachtete das Baumhaus. Die rohen Bretterwände mit den bunten, mannshohen Blumen, die sie über alle vier Seiten gemalt hatte. Die alte Matratze mit den zusammengewürfelten Kissen und Decken.

Ihr Liebesnest.

Sie nahm die verknüllte Decke von der Matratze und schüttelte sie aus. Bastis Käppi fiel auf den Boden. Sie stippte mit dem Fuß dagegen.

Typisch. Warum sollte er mit ihrem Geburtstagsgeschenk schonender umgehen als mit ihr? Sie bückte sich, hob das Käppi auf und setzte es sich verkehrt herum auf den Kopf.

Pah! Liebesnest.

Sie legte die Decke zusammen, Ecke auf Ecke, Rand auf Rand.

Verdammt! Die Decke flog gegen die Holzwand, rutschte zu Boden und blieb gekrümmt wie ein alter Tierkadaver liegen. So lange hatte sie auf ihn gewartet. So lange gehofft und geträumt und nun? So hatte sie sich ihre Beziehung nicht vorgestellt. Sie war siebzehn, er sogar achtzehn und sie versteckten sich wie Kinder, die heimlich ein verbotenes Spiel spielten.

Warum konnten sie nicht richtig zusammen sein, so ganz offiziell? Sie liebten sich doch. Hand in Hand durchs Dorf zu laufen – war das wirklich zu viel verlangt?

Offenbar. Bestimmt litt er schon an Dauermigräne, so oft, wie sie ihm ihre Bitte an den Kopf geworfen hatte. Aber solange ihre Väter sich offen bekriegten, würde Basti sich nicht zu ihr bekennen. Egal, was sie sagte.

Luzie stupste mit dem Fuß gegen die Decke und kickte sie auf die Matratze zurück. Wenn sie sich wenigstens mit jemandem beraten könnte! Jemandem, bei dem ihr Geheimnis sicher wäre.

Valentin zum Beispiel.

Mit ihm könnte sie reden. Er würde sie verstehen. Verdammt, Val, höchste Zeit, dass du deinen Arsch von Berlin nach Finstermoos bewegst! Der Sommer hat schon angefangen!

Mit zwei Schritten war sie an der Tür und schwang sich auf die Leiter. Auf der vierten Sprosse stoppte sie. Nur Zentimeter von ihrer Nase entfernt krabbelte ein Hirschkäfer den zerfurchten Baumstamm nach oben. Ein Prachtexemplar. Was für eine Verschwendung der Natur: fünf Jahre als Larve und dann nur ein Monat Lebenszeit. Ob der Käfer sich bewusst war, wie bald er sterben musste?

Ein Knacken. Im Gehölz.

Viel zu laut für ein Kleintier. Fünfzig Kilo, mindestens. Wahrscheinlich ein Reh. Oder ein Wildschwein. Die beiden Bären würden sich nicht so weit runter ins Tal wagen. Sie sah sich um und lauschte. Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf, ein Kribbeln zog sich ihre Wirbelsäule entlang. Das war kein Tier. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

Jemand beobachtete sie.

Wer immer sie im Visier hatte, es musste ein Mensch sein. Wenn nur Basti noch hier wäre. Ihr Blick wanderte von Baum zu Baum, ihre Hände krampften sich um die Sprosse, ihr linker Fuß zitterte. Wartete dort unten jemand auf sie? Sie hob ihren Fuß, setzte ihn auf die nächsthöhere Sprosse.

Stopp!

Was war nur los mit ihr? Seit wann fürchtete sie sich im Wald? Sie war Förstertochter, verdammt, der Wald ihr zweites Zuhause! Sie waren hier in Finstermoos, nicht in der Bronx. Im Halbdunkel des dichten Unterholzes nahm sie eine jähe Bewegung wahr. Hastig setzte sie ihren Weg nach unten fort und rannte über den fast unkenntlichen Trampelpfad zum nahen Feldweg. Noch immer schlug ihr Herz viel zu schnell. Sie musste Basti davon erzählen. Das war keine Einbildung, jemand beobachtete sie. Sie beide. Jemand musste hinter ihr Geheimnis gekommen sein.

Sie schnappte ihr Fahrrad und raste los. Konnte es eine von Bastis Verehrerinnen gewesen sein? Wurde er mal wieder gestalkt und sie gleich mit dazu?

Eine von Bastis Verehrerinnen.

Und wenn der Streit ihrer Väter nur ein Vorwand war und er sich wegen seines Sonnyboy-Status’ nicht zu ihr bekennen wollte? Schließlich wäre er mit einer Freundin ziemlich uninteressant für seine Touri-Tussis.

Vielleicht schafft er es gar nicht, länger als fünf Monate treu zu sein. Ihr Fuß rutschte vom Pedal ab, sie kam ins Straucheln, fing sich und strampelte weiter, als die alte ausgediente Vogelscheuche an ihr vorbeirauschte. Sie drückte die Bremsen. Sprang vom Fahrrad und riss sich Bastis Käppi vom Kopf. Sie würde ihm gar nicht erst die Gelegenheit zum doppelten Spiel geben. Sie würde nicht hier vorbeischleichen und abends nach flackerndem Kerzenlicht Ausschau halten. Wenn er sich nicht öffentlich mit einer Freundin zeigen wollte – okay.

Aber nicht mit ihr.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und setzte der hässlichen Strohpuppe Bastis Käppi auf. Hier, bitte schön, der letzte Schrei aus Australien. Passen Sie gut darauf auf, war schweineteuer.

Unbeeindruckt starrte die Vogelscheuche weiter auf das gelbe Sonnenblumenmeer. Luzie drehte sich um und stapfte zu ihrem Fahrrad zurück. Jeder Stapfer ein trotziges Nein. Ein Nein an seine enzianblauen Sorglos-Augen, die jedes Problem einfach wegzwinkerten. An seine kräftigen Arme, in denen sie sich selbst am äußersten Rand einer Schlucht noch sicher fühlen würde. An seine warmen, weichen Lippen, auf deren ersten Kuss sie so viele Jahre gewartet hatte.

Ihr Magen zog sich zusammen. War sie wirklich bereit, Basti kampflos den Touri-Tussis zu überlassen?

Sie wollte sich gerade auf den Sattel schwingen, da stob ein Vogelschwarm aus dem Sonnenblumenfeld auf. Sie schrak zusammen, lauschte dem aufgeregten Zwitschern, das sich wie ein Warnruf über das Tal legte und ihren Puls in die Höhe katapultierte. Was hatte die Vögel in solche Aufregung versetzt?

25.Juli3

Die Sprungstelzen rasten auf ihn zu. Valentin warf sich zur Seite, spürte den dumpfen Aufprall, genau da, wo eben noch sein Kopf gelegen hatte, hörte das metallene Knirschen und sah, wie Basti erneut durch die Luft segelte. Blitzartig riss er die Kamera hoch, filmte den doppelten Salto, die Landung, genau auf dem markierten Punkt vor dem Heustadel, zoomte Basti heran, folgte dem nächsten Sprung. Doppelte Spirale, Landung in Sitzposition auf dem Dach des Stadels.

Wahnsinn!

Zoom auf Bastis Gesicht. Auf die blauen Strahleaugen. Basti blies sich eine strohblonde Strähne aus der Stirn und grinste breit.

»Yo!« Seine Daumen zeigten in die Höhe.

Perfekt. Bilderbuch-Sonnyboy in Siegerpose. Langsam wegzoomen, Hintergrund dazunehmen: Almwiese, Waldstreifen, Geröllfeld, Felsmassiv mit Schneehäubchen. Und stopp. Valentins Finger tippte auf den Touchscreen. Ohne Frage, es war das abgefahrenste Video, das sie bisher gedreht hatten, und trotzdem: »Bist du irre? Du wärst mir fast ins Gesicht gesprungen!«

Basti winkte ab. »Was denn? So viel Körpereinsatz muss drin sein. Hast du die Kamera darauf gehalten?«

»Nee, ich hab die Ameisen beim Poppen gefilmt.«

Lachend streifte Basti die Sprungstelzen von den Sneakers und warf sie aufs Gras. Dann sprang er hinterher. »Lass mal sehen.«

Gemeinsam betrachteten sie das Video. Jetzt begriff Valentin, warum Basti darauf bestanden hatte, dass er sich zum Filmen ins Gras legte. Alles wirkte noch höher, gefährlicher, spektakulärer. Ganz besonders die Szene, als Basti und die Sprungstelzen direkt ins Objektiv zu krachen drohten.

»Genial!« Basti spielte das Video noch einmal ab. »Du hast das echt besser drauf als Nic. Gut, dass du wieder da bist!«

Allerdings. Valentin überließ Basti die Kamera. Er hätte Finstermoos schon vor Wochen einen Besuch abstatten sollen, wenigstens für ein Wochenende. Natürlich nicht, um sein Leben als Bastis Kameramann aufs Spiel zu setzen, sondern um Luzie wiederzusehen. Um ihr zu sagen, dass er seit letztem Sommer an kein anderes Mädchen gedacht hatte. Um herauszufinden, ob bloß er so empfand oder ob auch sie in ihm mehr als nur einen guten Kumpel sah.

Basti schaltete die Kamera aus. »Da schneide ich nachher deinen Schwenker raus und leg Musik drunter und dann ab auf YouTube.«

Ab auf YouTube? Typisch Basti. Was bei ihm nach »dann lade ich mal schnell ein 08/15-Video hoch, das eh niemand ansieht« klang, war in Realität ein ziemlich professioneller Kanal mit Hunderten Abonnenten, Werbeeinblendungen und Zigtausend Klicks bei jedem seiner Videos. Und dabei ging es Basti weder um die Werbeeinnahmen noch um die Fangemeinde, er wollte nur die Aufmerksamkeit einer einzigen Person: die des Veranstalters der Free-Runner-Worldtour. Dem Event der Free-Runner-Szene. Fünf Länder, zehn Wochen, zwanzig Irre, die jeden Tag mit waghalsigen Stunts an den ausgefallensten Orten der Welt ihre Schutzengel auf immer härtere Proben stellten.

»Weiß dein Vater, was du vorhast?«

»Nö.« Basti sammelte die Sprungstelzen vom Boden auf und holte seinen Rucksack aus dem Heustadel. »Wozu Stress machen, bevor die Sache überhaupt sicher ist? Das mit der Worldtour weiß übrigens außer Nic niemand. Also …« Basti legte den Zeigefinger an den Mund.

Valentin nickte. Er wusste genau, was Basti mit »Stress machen« meinte: Falls er es schaffte, ins Worldtour-Team aufgenommen zu werden, konnte er seine Ausbildung zum Eventmanager knicken oder musste sie zumindest um ein Jahr verschieben. Dass das Bastis Vater garantiert keine Begeisterungsstürme entlocken würde, war ihm klar. Er musste nur an dessen krasse Abfuhr denken, als sie ihm eröffnet hatten, dass sie nach dem Abi ein Jahr um die Welt reisen wollten. Einerseits verständlich. Denn seit Nic in München studierte und bei jeder Gelegenheit raushängen ließ, wie froh er war, Finstermoos hinter sich gelassen zu haben, schob Bastis Vater Panik, dass es seinen jüngeren Sohn ebenfalls wegzog und keiner von beiden seine Eventagentur übernahm. Andererseits hätte Valentin gerade von Bastis Vater mehr Offenheit für so ein Abenteuer erwartet. Immerhin hieß seine Eventagentur Off Limits und der Name war Programm: Suchte man einen wirklich coolen Outdoor-Trip, war man bei Off Limits definitiv richtig.

Ein Knacken, gefolgt von einem Zischen und Glucken. »Du auch?« Basti hielt ihm eine giftgrüne Dose hin. Gummibärchengeruch verriet den ungefähren Geschmack des Getränks. Valentin verzog seinen Mund und schüttelte den Kopf. In Sekundenschnelle schüttete Basti den Energydrink in sich hinein. Die leere Dose zerknüllte er mit der Faust und ließ sie in den geöffneten Rucksack plumpsen. »Noch was vor heute?«

»Ich wollte an der Baustelle vorbeischauen. Die heben gerade die Baugrube von unserem Ferienhaus aus. Kommst du mit?«

Basti sah auf die Uhr. »Kann nicht, hab noch ein Date, bevor mein Kurs anfängt.«

Auch gut, dann fahr ich gleich zu Luzie.

»Date, aha.« Er zwinkerte Basti zu. »So ein Fanklub ist schon praktisch.«

»Praktisch? Ich trete ihn dir gerne ab.«

»Auch dein Date?«

»Die nicht.« Mit einem energischen Ruck an der Schnur verschloss Basti den Rucksack.

Die nicht? »Jetzt bin ich neugierig.«

Anstelle einer Antwort schob Basti sein Fahrrad aus dem Schober und schwang ein Bein über die Mittelstange. »Morgen Radtour? Ich nehm die Kamera mit, oben am Rüblistein gibt’s ein cooles Gelände.«

»Bin dabei.« Bis er sein Rad ebenfalls aus dem Stadel geholt hatte, war Basti schon losgefahren. Valentin legte die Hände wie ein Megafon um den Mund: »He! Bring dein Date morgen mit! Vielleicht komme ich auch in Begleitung.«

7.August – 15:39Uhr

4

»Wir sitzen also in der Falle?«

Valentin nickt. Er muss was sagen, Basti kann sein Nicken nicht sehen. Auch wenn er so nah bei ihm steht, dass er es spüren müsste.

Aber was soll er ihnen sagen? Die Wahrheit? Dass sie keine Chance haben, weil sie in einem längst vergessenen Bunker eingesperrt sind? Einem Bunker, dessen einziger Ausgang in sechzehn Stunden für immer zubetoniert wird?

Oder soll er sie beruhigen? Ihnen sagen, dass sie nur Geduld haben müssen? Weil man sie spätestens heute Nacht vermissen und nach ihnen suchen wird?

Als ob Basti und Nic nicht wüssten, wie unwahrscheinlich das ist.

Doch sein Schweigen hat schon alles gesagt.

»Du meinst …«, ruft Nic von der anderen Seite des Bunkers herüber. Dann bricht seine Stimme. Er räuspert sich. »Wir kommen hier nicht mehr raus? Das kann nicht sein! Es muss einen Ausweg geben!«

Gibt es nicht. Dank des Geniestreiches meines Vaters. Und wenn er was macht, dann richtig.

Valentin nimmt das feuchtgeatmete T-Shirt von seinem Gesicht. Sofort strömt ihm wieder der süßliche Gestank entgegen. Er bläht die Nasenflügel. Zieht die Luft durch den Mund ein, doch der Gestank lässt sich nicht wegatmen.

Gewöhn dich dran. Das ist das Letzte, was du riechen wirst.

Er hält sich die Nase zu.

»Scheiße, Valentin, kannst du mal was sagen?!« Nics Schuhe schaben über den Boden.

»Was soll ich denn sagen?«

Das Schaben kommt näher. Dann ist Nic neben ihm. Seine Finger klopfen gegen die Tür. Mal stärker, dann schwächer, mal oben, dann unten.

Als ob das was bringen würde. Sie werden hier sterben.

Valentin stößt sich von der Tür ab, tappt beiseite. Zum Glück ist Luzie nicht hier. Zum Glück bleibt ihr dieses Ende erspart.

Sein Hals wird eng. Wie gerne hätte er ihr noch gesagt, dass er nie aufgehört hat, sie zu lieben. Wie leid ihm alles tut.

Ein Ratschen. Dann flammt ein Streichholz auf.

»Bist du wahnsinnig?«, zischt Nic. »Das war das vorletzte!«

»Scheiß drauf!«, faucht Basti zurück. Im zittrigen Lichtschein ist von ihm nur die Hand mit dem Streichholz zu sehen. »Und, Leute? Schon eine Idee?«

Die Flamme flackert, dann schüttelt Basti hektisch die Hand.

Das Licht erlischt.

25.Juli5

»Bitte wenden Sie in fünfzig Metern.«

Valentin ignorierte die monotone Frauenstimme des Navis und drückte aufs Gas. Das Dorf hatte er hinter sich gelassen und wenn er sich nicht komplett täuschte, musste Luzies Haus nach der nächsten Wegbiegung auftauchen.

»Bitte wenden Sie jetzt.«

Als hätte die Blechdame der Bitte seines Vaters gelauscht, sich vom Förster und seiner Familie fernzuhalten, bis sich die Wogen geglättet hatten und der Förster sich mit dem Bau des Ferienhauses abgefunden hatte.

Er schaltete das Navi auf stumm. Niemand würde ihn von Luzie fernhalten. Weder sein Vater noch die Blechdame. Wo immer die ihn hinschicken wollte, sie würde es ab jetzt lautlos tun.

Er erreichte die Wegbiegung. Ha! Das Försterhaus. Genau, wie er es in seiner Erinnerung abgespeichert hatte. Der ausladende Balkon, der üppige Geranienschmuck vor den Fenstern, auf der Hauswand ein überlebensgroßes Tiermotiv.

Ein lauter Knall zerriss die Stille. Valentin fuhr zusammen, nahm reflexartig den Fuß vom Gas. Was war das gewesen? Ein Schuss? Sein Reifen? Er blickte auf das Display des Bordcomputers. Der Reifendruck war normal.

Als er wieder auf die Straße blickte, schoss etwas auf ihn zu. Riesig. Braun. Er stieg mit voller Wucht auf die Bremse. Riss das Lenkrad nach links. Der schwere Geländewagen schlingerte, drehte sich ein Stück um die eigene Achse und blieb schließlich quer zur Straße stehen.

Fuck! Wo kam das Reh so plötzlich her?

Sein Herz hämmerte so hart in seiner Brust, dass es schmerzte. Das Reh hopste nur Zentimeter an seiner Tür vorbei, sprang über die Wiese und verschwand im Wald hinter dem Forsthaus.

Verdammt. Mit zitternder Hand legte Valentin den Rückwärtsgang ein und rangierte das Auto wieder in Fahrrichtung. Doch statt weiterzufahren, blieb er mitten auf der Straße stehen und wartete darauf, dass sein Puls sich normalisierte.

Wenden.

Die Worte der Blechdame. Als hätte sie gewusst, dass gleich ein Reh sein Auto rammen würde. Das war doch ein Witz!

An Ostern war er trotz Abistress zu einem Überraschungsbesuch hierher gefahren, nur um festzustellen, dass Luzie mit ihren Eltern verreist war. Dann legte sich sein Vater wegen des blöden Ferienhauses ausgerechnet mit Luzies Vater an. Und jetzt verschworen sich selbst Rehe und Navigationsgeräte gegen ihn, damit er Luzie nicht traf.

Egal. Er musste sie sehen. Mit ihr reden. Persönlich. Nicht nur hier und da mit ihr chatten. Nicht nur ihr Foto anstarren und von ihr träumen. Das Zittern der Hände ließ nach. Er hatte schon viel zu lange gezögert. Und die Wogen, die sein Vater mit dem Bau des Ferienhauses aufgewühlt hatte, würden sich nicht so leicht glätten lassen. Vielleicht sogar nie.

Ich werde nicht mehr warten. Entschlossen griff er nach seinem Handy und löschte sicherheitshalber ihr Foto, das ihm als Hintergrundbild diente. Bei seinem Glück würde sie es nach spätestens fünf Minuten entdecken. Luzies Gesicht war ohnehin in sein Gehirn eingebrannt: die unglaublich grünen Katzenaugen, das ansteckende Lachen, die süßen Grübchen, die sich dann links und rechts in ihre Wangen bohrten. Er tippte das Gaspedal an und der Wagen setzte sich langsam in Bewegung.

Da öffnete sich die Haustür – und beinahe wäre er wieder auf die Bremse getreten.

Cool bleiben! Er zwang sich, langsam weiterzufahren. Sie drehte ihren Kopf in seine Richtung.

Sein Herzschlag beschleunigte sich erneut. Jetzt war es eindeutig zu spät, um umzukehren. Er gab Gas, fuhr näher an sie heran. Kein Lächeln. Kein Winken. Erkannte sie ihn etwa nicht?

Konnte sein. Letzten Sommer hatte er noch nicht einmal einen Führerschein gehabt und heute fuhr er in dem fetten Geländewagen seines Vaters vor. Er hielt an. Beobachtete, wie sie zögerlich auf das Auto zutrat. Ihre Haare waren länger. Statt bis zur Schulter reichten sie jetzt bis zur Brust. Das helle Braun vermischte sich mit dem wilden Muster der Hippie-Bluse, die sie über engen Jeans trug. Okay. Cool bleiben! Er atmete tief ein und stieg aus.

»Hallo, Luzie.« War seine Stimme so krächzend oder hörte sie sich nur im Rauschen seines Kopfes so an?

»Valentin!« Ihr Mund verzog sich zu diesem unvergleichlichen Lächeln und die Grübchen bohrten sich genau da in die Wangen, wo sie hingehörten. »Das ist ja eine Überraschung!«

Plötzlich spürte er ihre Hand auf seiner Schulter, ihren Oberkörper an seinem Arm, ihre Wange an seiner. Links, rechts. Und schon war die Begrüßung wieder vorbei. Viel zu kurz, um zu reagieren und die nutzlos herabhängenden Arme um sie zu legen, so wie er es Hunderte Male geträumt hatte.

Verdammt! Stell dich nicht so dämlich an!

»Warum hast du denn nicht angerufen?«

»Ich hatte deine Nummer nicht.« Lüge. Er kannte ihre Nummer auswendig. Sogar rückwärts. »Ich war eben bei Basti, aber er hat keine Zeit. Trifft sich gleich mit einer aus seinem Fanklub.« Er zwinkerte ihr grinsend zu, doch statt auch zu grinsen, runzelte sie die Stirn.

»Einer aus seinem Fanklub?«

»Na ja, du kennst ihn doch. Neue Saison, neue Jagdgründe.«

Die Falte über ihrer Nasenwurzel vertiefte sich. »Jagd?«

Was war nur mit ihr los? Letztes Jahr hatten sie noch gemeinsam über Bastis Fanklub gelacht. Darüber, wie peinlich es wäre, wenn sich all seine Verflossenen im gleichen Kurs treffen würden. »Ist er das nicht immer? Auf der Jagd? Und wenn’s der Kick beim Free-Running ist? Basti, der Unbezwingbare.«

Luzies Stirn war noch immer gerunzelt.

»Jedenfalls hat er keine Zeit.« Sein Gesicht wurde immer heißer. Hör auf mit diesem Gequatsche über Basti! »Ja, und da dachte ich, vielleicht hättest du Lust, ’ne Runde mit mir auszureiten?«

»Du kannst reiten?«

»Hab im Herbst angefangen.« Wegen dir. Damit wir was unternehmen können, worauf Basti bestimmt keine Lust hat.

»Echt?« Die Falten auf ihrer Stirn blieben. »Ich wusste gar nicht, dass du dich für Pferde interessierst.«

»Ich … auch nicht.« Er schluckte. Wenn er jetzt nicht bald die Kurve kriegte, konnte er sich den Rest seines Lebens damit begnügen, ihr Foto anzustarren. »Du … Du hast so davon geschwärmt und als Paps den Vertrag mit einer Reitschule an Land gezogen hat, hab ich die Gelegenheit am Schopf gepackt.«

»Und?« Sie sah ihn erwartungsvoll an.

Er neigte huldvoll seinen Kopf. »Erbitte untertänigst Einlass in den Klub der Pferdefreunde.«

Endlich verschwanden die Stirnfalten. Dafür machte sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht breit. »Pferdefreund? Eh?« Sie boxte spielerisch gegen seinen Arm. »Eigentlich hatte ich ja was vor, aber … Dann lass uns mal sehen, was du Stadtfuzzi so draufhast.«

Er wies mit einem eleganten Schlenker zum Auto. »Deswegen bin ich hier.«

Das verwitterte Schild war kaum zu entziffern. Moos hatte sich angesetzt und überzog die absplitternde Farbe der Schrift mit grünen Schlieren. O B HL-Ho

Hätte Luzie ihn nicht gerade darauf aufmerksam gemacht, dass dies der Zubringer zum Mosbichl-Hof, dem größten und abgelegensten Hof des Finstermoostals war, wäre er glatt vorbeigefahren. Er bog ab. Der Schotterweg führte durch einen Wald, so schattig und still, dass die Kälte im Auto spürbar war.

»Als Kind hatte ich immer Angst, wenn wir hier durchgefahren sind.« Luzie streifte mit dem Finger über das Fenster. »Ich dachte, der Wald ist verhext, aber er ist einfach nur so dicht, dass die Sonne nicht durchkommt. Deshalb ist das Licht hier so komisch.«

Das Licht war wirklich seltsam. Als hätte jemand den Dimmer auf niedrigste Stufe gestellt und dann noch hellblaues Transparentpapier vor die Glühbirne gehängt. Er gab zwar nichts auf das Geschwätz der Dörfler über die Mosbichls, aber jetzt verstand er, was sie meinten, wenn sie von dem »gottverlassenen Ort« sprachen.

»Sag mal«, fragte Valentin mit einem verstohlenen Seitenblick auf Luzie, »das mit der Brigitta Mosbichl, von wegen Hexe und so, woher kommt das?«

»Brigitta? Hexe? Wie kommst du denn darauf?« Ihr Finger löste sich von der Scheibe. Sie drehte sich zu ihm und runzelte die Stirn.

Bitte nicht schon wieder ein Fettnäpfchen. Trotz der Kühle des Waldes stieg ihm die Hitze ins Gesicht.

»Na ja, du weißt doch, was die Leute reden. Dass Brigitta nachts in den Wäldern ihr Unwesen treibt und so.«

Luzie verdrehte die Augen. »Oh Mann … Das ist so dämlich. Sie sammelt Kräuter und Wildblumen für ihre Tinkturen und manchmal führt sie Rituale durch. Ist auch nichts anderes, als wenn die Omas ihren Rosenkranz runterbeten und auf Erlösung hoffen.«

Rituale? Tinkturen? Das Bild eines alten Medizinmannes mit Kriegsbemalung und federgeschmücktem Speer flammte vor seinem inneren Auge auf.»Sie soll mit Tieren reden können.«

»Sie redet mit Tieren«, sagte Luzie spitz. »So wie Millionen andere Tierbesitzer auch.«

Ja, aber Brigitta soll die Tiere auch verstehen können, nur deshalb gewinnen die Haflinger aus ihrer Zucht angeblich besonders viele Preise. »Dann stimmt das mit dem jüngeren Mosbichlbruder wohl auch nicht?«

Luzie sah ihn fragend an.

»Na ja, also …«, druckste Valentin herum. Hätte er nur die Klappe gehalten. Die Wahrscheinlichkeit, bei Luzie schon wieder auf der Minusskala zu landen, war einfach zu groß. »Die im Dorf sagen, dass er verrückt ist.«

Luzie stöhnte auf. »Dorftratsch. Schon mal was vom Asperger-Syndrom gehört?«

Asperger. In der Dorfkneipe hatten die Geschichten über Toni Mosbichl definitiv anders geklungen. Valentin lenkte den Wagen vorsichtig über den unebenen Weg. War es gerade noch dunkler geworden? Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Er sollte nicht hier sein. Halt dich vom Mosbichl fern, hatte sein Vater gesagt und der Unterton war unmissverständlich gewesen. Er hielt Wolferl Mosbichl für einen gefährlichen Mann, einen, den man nicht zum Feind haben sollte.

»Gleich sind wir da. Da vorn beginnen schon die Koppeln. Ich bin gespannt auf deine Reitkünste!« Luzie lächelte und Grübchen bohrten sich in ihre Wangen. Valentins Bedenken zerflossen wie Schokolade im Fonduetopf. Luzie sitzt neben dir. Was interessiert dich der Mosbichl?

Sie erreichten das Ende des Waldes und die Sonnenstrahlen vertrieben nicht nur die Kälte, sondern auch die letzten Zweifel.

Der Schotterweg führte jetzt an Koppeln und eingezäunten Almwiesen vorbei. Im Vergleich zu den Koppeln des Berliner Reitstalls waren diese hier riesig. Manche reichten sogar bis zu den Ausläufern des Bergmassivs auf der rechten Seite. »Ist das alles noch Teil des Mosbichl-Hofs?«

Sie nickte. »Den Mosbichls hat mal das ganze Tal hier gehört. Lange her, so drei, vier Generationen.«

»Wenn die so viel Land haben, warum veranstaltet Wolferl Mosbichl dann so einen Terror gegen meinen Vater?«

»Deinen Vater?« Sie klang erstaunt. »Was hat Wolferl denn mit deinem Vater zu tun?«

»Wir … Er baut hier ein Ferienhaus.«

»Ihr baut das?« Sie drehte ungläubig ihren Kopf zu seiner Seite.

»Wir bauen das, ja.«

»Dann … Mist.« Sie wand sich. »Hör zu, am besten, du sagst dem Wolferl nicht, wer dein Vater ist, okay?«

In seinem Blickfeld tauchte ein riesiger Vierkanthof auf. Das schmutzige Weiß der Mauern verriet, dass sie sich von der Wetterseite näherten. Doch auch wenn das Weiß strahlend neu gewesen wäre, hätte der Hof abweisend wie eine Festung gewirkt. Alles, was die Häuser im Dorf so einladend und hübsch machte, fehlte hier. Keine Geranien, keine adrett bemalten Fensterläden und Fassaden, keine liebevoll verzierten Balkone. Und er sollte nicht hier sein. Sogar Luzie dachte so.

Dabei war das alles so albern.

»Ganz ehrlich, ich versteh die Aufregung nicht. Im Vergleich zu dem Laden hier hat unser Ferienhaus die Dimension einer Puppenstube.«

»Es geht doch nicht um Größe.« Sie schüttelte den Kopf. »Mein Vater ist auch dagegen. Wegen des Biotops.«

»Biotop?« Ungläubig wiederholte er ihre Aussage. »Entschuldige bitte, wenn sich das jetzt auch gegen deinen Vater richtet, aber Paps und ich sind inzwischen überzeugt, dass es bei der ganzen Sache vor allem darum geht, uns Städter fernzuhalten.«

Er fuhr in den Hof und hielt auf das Gebäude zu, das dem Berliner Stall am meisten ähnelte. Dort parkte er den Wagen.

»So ein Unsinn! Wir brauchen doch die Touris!«

»Ja, in den Hotels. Aber –«

Plötzlich klopfte es an der Scheibe. Er wandte den Kopf zum Fenster. Zuckte zurück. Unter dichten, zusammengewachsenen Brauen stierte ein Augenpaar feindselig auf ihn herab. Nein, falsch, es stierte an ihm vorbei auf das Display des Bordcomputers. Dann presste der Unbekannte sein Gesicht gegen das Fenster. Wieder klopfte es. Doch nicht die Knöchel des Mannes berührten die Scheibe, sondern Holz. Blutrot verschmiertes Holz. Ein Stiel. An seinem Ende sah Valentin etwas aufblitzen. Stahl. Eine Axt?

Wie gelähmt verharrte Valentin auf dem Fahrersitz, während Luzie aus dem Auto sprang. Sie lief um die Motorhaube herum, direkt auf den Mann mit der Axt zu und zupfte ihn vorsichtig am Ärmel. »Toni! Hör auf damit! Du erschreckst meinen Freund!«

Toni? Das war Toni Mosbichl? Plötzlich ergaben all die Geschichten über den verrückten Toni Sinn. Der Axtstiel klopfte erneut gegen die Scheibe.

»Toni! Schluss jetzt! Sag mir lieber, wo Brigitta ist.«

Das Gesicht löste sich von der Scheibe, wo es einen schmierigen Fleck hinterließ. Endlich richtete dieser Toni sich auf und trat vom Auto zurück. Erst jetzt bemerkte Valentin, wie groß und kräftig er war. Mindestens eins neunzig, eher größer, so zierlich wie Luzie neben ihm wirkte.

Reiß dich zusammen! Valentin atmete tief ein. Er konnte auf keinen Fall noch länger im Auto sitzen bleiben, ohne komplett sein Gesicht zu verlieren. Dieser Toni wollte wahrscheinlich nur nachsehen, welcher Eindringling sich auf seinen Hof verirrt hatte. Pech nur, dass seine Axt dabei nicht sonderlich einladend wirkte.

Hastig stieg Valentin aus. Sofort drehte der Riese sich wieder zu ihm. Sein Oberkörper wippte rhythmisch vor und zurück, während die Axt wie ein Kinderspielzeug vor seiner Brust baumelte und sein Blick unverwandt das Logo auf Valentins Shirt fixierte. Valentin wich zurück. Als er gegen das Auto stieß, sah er, wie Luzie sachte an Tonis grobem Hemd zupfte.

»Wo ist Brigitta?«

»Brigitta ist in den Wald gegangen«, sagte Toni so monoton wie die Zeitansage, ohne auch nur eine Sekunde seinen Blick von Valentins Shirt zu nehmen.

Valentin starrte auf die blutrot glitzernde Axt.

»Toni!« Der Name peitschte hart über den Hof.

Das Wippen stoppte abrupt. Die Axt hörte auf zu baumeln und hing still neben Tonis Hosenbein.

Ein zweiter Mann marschierte auf sie zu. Wohl Wolferl Mosbichl. Er war deutlich älter, kleiner und schmaler als Toni, hatte graue Haare und einen silbrigen Vollbart, der das Gesicht fast völlig verdeckte. Trotzdem war die Ähnlichkeit zu Toni unverkennbar. Die über der Nase zusammengewachsenen Brauen, vor allem aber die stechenden blauen Augen, die sich nun auf ihn hefteten. Ihn, den ungebetenen Gast.

Wolferl Mosbichl schnippte einmal mit den Fingern und streckte den Arm zur Scheune. Der Riese ließ den Kopf hängen wie ein geschlagener Hund und trottete davon.

»Servus, Luzie.« Wie Toni zuvor nahm Wolferl Mosbichl keine Sekunde seine Augen von Valentin, im Gegensatz zu seinem Bruder sah er ihn jedoch direkt an. Von Nahem wirkte er etwas jünger, Valentin schätzte ihn so um die fünfzig. »Brigitta ist nicht da.«

»Ich weiß. Wir wollten uns zwei Haflinger nehmen.«

»Kann der reiten?« Noch immer haftete Wolferl Mosbichls Blick an Valentin.

Sag was. Steh hier nicht rum wie ein Idiot, während dieser Typ dich wie einen behandelt.

Luzie ergriff seine Hand. Drückte sie, so fest, als wollte sie ihm eine stumme Botschaft zukommen lassen. Ihn zum Schweigen bringen, bevor er den Mund öffnen konnte.

»Ich pass schon auf.« Ihre Stimme glockenhell. Ihr Griff wie ein Schraubstock.

»Na dann …« Wolferl Mosbichl löste seinen Blick und marschierte zur Scheune zurück.

Luzies Griff lockerte sich, dann ließ sie ihn los. Leider.

Er wischte seine schwitzige Hand an der Jeans ab. Wenn das nicht passte: Stadtfuzzi, Biotopzerstörer, jetzt auch noch schwitzige Hände wie ein Angsthase.

So war es also, wenn ein Tagtraum zum Albtraum wurde.

Aber: Noch war der Tag nicht vorbei – jetzt würde der gute Teil kommen, der Teil, wo er Luzie endlich davon überzeugen konnte, dass er der perfekte Freund für sie wäre.

Über den Hals seines Pferdes huschte ein Schatten. Unauffällig sah Valentin sich um. Eine Krähe. Sie stieß einen rauen Schrei aus und verschwand im angrenzenden Wald.

Weißt du eigentlich, wie lächerlich du dich gerade benimmst? Als Nächstes glaubte er noch, dass diese Brigitta wirklich eine Hexe war und Toni in eine Krähe verwandelt hatte, um ihnen zu folgen. Er lachte. Doch der Laut hallte unecht in seinen Ohren nach. Schnell trieb er seinen Haflinger an und schloss zu Luzie auf.

»Das sind also die letzten Erben des größten Grundbesitzes in der Gegend?« Er nahm die Zügel und parierte seinen Haflinger zu einem gemäßigten Trab. »Ich will ja niemanden beleidigen, aber so wie die sich gerade aufgeführt haben, ist es wahrscheinlich besser, dass die Familie keine Nachkommen mehr hat.«

»Toni und Wolferl sind in Ordnung.«

»In Ordnung?« Er lachte auf. Dieses Mal klang sein Lachen echt. »Toni ist ja wohl nicht ganz dicht und Wolferl … Springt der immer so mit seinem Bruder um?«

»Unsinn, das war nur wegen dir. Bei Fremden ist Toni etwas … unberechenbar. Da kann Wolferl schon mal überreagieren, vor allem, wenn Toni eine potenzielle Waffe in der Hand hat.«

»Potenzielle Waffe? Die Axt? Willst du sagen, ich war in Gefahr?«

»Ach was! Ich war doch bei dir!« Sie zwinkerte ihm fröhlich zu und zeigte auf ein Sonnenblumenfeld. »Können wir da kurz halten? Ich möchte meiner Mutter einen Strauß pflücken. Komm, wer zuerst bei der Vogelscheuche ist!« Schon galoppierte sie davon.

Er trieb sein Pferd an, stellte sich in den Steigbügeln auf und beugte sich tief über den muskulösen Hals. Die Mähne streifte sein Gesicht, unter ihm sauste der Feldweg dahin, braun und grau, dazwischen grüne Flecken. Doch alles, was er sah, war Tonis kreisende Axt. Die blutrote Farbe. Kein Wunder, dass Wolferl Toni abschottete. Und kein Wunder, dass es im Dorf alle möglichen Geschichten über die Mosbichls gab.

Luzies Haflinger stand bereits reiterlos bei der Vogelscheuche, die Zügel um die zerfranste Strohpuppe geschlungen. Von ihr keine Spur. Valentin stieg ab und behielt die Zügel in der Hand.

»Luzie?« Ein Fluchen als Antwort. Er sah sich um. Sie kniete inmitten der Sonnenblumen und zerrte an den borstigen Stängeln.

»Tragen bei euch alle Vogelscheuchen Designerkäppis?«

»Wenn sie ihre Arbeit ordentlich machen …« Sie riss an einer weiteren Blume, richtete sich schließlich auf. »Mist, das geht so nicht. Hast du ein Taschenmesser?«

»Tut mir leid, gehört nicht zur Standardausrüstung von Stadtfuzzis.« Er stellte sich so nah neben sie, dass ihre Schultern sich berührten, und drückte ihr die Zügel in die Hand. »Warte, lass mich mal.«

Er bückte sich, zerrte an dem haarigen Stängel, bis der milchige Blütensaft seine Hand verklebte. Ein letzter, heftiger Ruck und er reichte ihr die zerquetschte Blume. »Bitte sehr. Für das schönste Mädchen von Finstermoos.«

Wurde sie gerade rot?

Er unterdrückte ein Lächeln. Sie war definitiv rot geworden. Ein gutes Zeichen? Sollte er den Moment nutzen?

Ein Rascheln in seinem Rücken schreckte ihn auf. Toni? War er ihnen tatsächlich gefolgt? Blitzschnell wandte er sich um – genau in dem Augenblick, in dem Basti sein Mountainbike quietschend zum Stehen brachte. Direkt vor ihm. So gern er ihn mochte, das war der falsche Zeitpunkt, hier aufzutauchen.

»Na, Alter, wann bist du unter die Pferdeflüsterer gegangen?«

»Basti! Was machst du denn hier? Ich dachte, du triffst dich mit einer aus –«

»Ging schneller als geplant.« Basti stieg ab.

»Bei deinem Fanklub heute nicht so angekommen?« Luzie grinste.

Na also. So kannte er Luzie. Immer gut für eine Frotzelei mit Basti.

Basti lachte spöttisch. »Neidisch?«

»Auf deinen Fanklub?«, schoss Luzie zurück. »Träum weiter!«

»Sind das nicht die Mosbichl-Gäule?« Basti nahm das Käppi vom Kopf der Vogelscheuche, klopfte den Blütenstaub ab und setzte es sich auf. »Hätte nicht gedacht, dass die es bis hierher schaffen.«

»Gut, dass du dein Geld nicht mit Denken verdienst.« Luzie blinzelte kokett.

»Aufs Denken kommt’s auch nicht immer an …« Basti drehte sich zu ihm und hielt ihm ein Schweizer Taschenmesser unter die Nase. »Für die Blumen. Kannst du mir ja nachher wiederbringen, wenn du mit dem Mädchenkram da fertig bist.« Er nickte Richtung Haflinger. »Ich muss bis sieben arbeiten. Hol mich ab, wenn du noch Bock auf echten Spaß hast.«

Es schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr davon.

»Mädchenkram … So ein Arsch!« Luzie ließ die Zügel fallen, riss ihm das Taschenmesser aus der Hand und sägte einen Stängel nach dem anderen durch. »Was muss man tun, um als Mann Spaß zu haben? Aus vier Meter Höhe springen und sich den Kopf einrennen?«

Valentin hob die Zügel auf. Dann trat er dicht hinter sie. Legte seine Hand auf ihre Schulter. »Das Ausreiten war meine Idee von Spaß. Vergessen?«

6

Das Schnauben kam aus der letzten Box im neuen Stalltrakt. Dazwischen Brigittas Singsang, beruhigend und betörend zugleich, allerdings ziemlich störend, wenn man neben dem Stall auch sein eigenes Gefühlschaos ausmisten wollte.

Als Luzie die Schubkarre vor der ersten Box abstellte, hörte sie, wie Valentin den Motor anließ. Er war wirklich enttäuscht gewesen, dass sie hierbleiben und Brigitta helfen wollte. Aber wie sollte sie mit ihm Eis essen gehen, wenn sie an nichts anderes als an Bastis Auftritt eben denken konnte?

Sie schnappte sich die Schaufel und betrat die Box. Sie liebte Basti. Und gleichzeitig hasste sie ihn. Manchmal. Jetzt zum Beispiel. Fanklub. Wie konnte er es wagen, Valentin gegenüber zu behaupten, er träfe sich mit einer aus seinem Fanklub, wenn er mit ihr verabredet war! Sie stampfte auf. Ihn zu versetzen, war die einzig richtige Antwort darauf gewesen. Auch wenn Basti das offenbar nicht verstanden hatte. Er hatte sich geärgert. Weil sie ihn versetzt hatte und dann auch noch mit Valentin genau dahin geritten war, wo er auf sie gewartet hatte. Die Schaufel schabte knirschend über den Steinboden. Luzie schob sie unter die Pferdeäpfel und lupfte sie in die Luft. Es brauchte keine detektivische Meisterleistung, um zu erkennen, dass sie ihn damit provozieren hatte wollen. Und was tat er? Anstatt darauf zu reagieren, behandelte er sie wie Luft. Nicht einmal verabschiedet hatte er sich!

Ihre Kehle schnürte sich zu, es drückte in Nase und Augen. Sie schippte die Pferdeäpfel in die Schubkarre.

Und was hatte sie jetzt von ihrer Aktion? Nun hatte sie ihn heute Nachmittag nicht gesehen und heute Abend würde sie ihn ebenfalls nicht sehen, weil er sich mit Valentin verabredet hatte. Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicher, als mit ihm im Baumhaus auf der alten Matratze zu liegen. Sie zog ihr Handy aus der Jackentasche. Keine Nachricht. In ihrem Magen rumorte es. Alles wäre so viel einfacher, wenn sie ihn zum Teufel jagen würde, anstatt auf eine SMS von ihm zu warten.

»Was ist mit dir los, mein Engel?« Brigittas knochige Finger legten sich um ihr Kinn und hoben ihren Kopf an.

Falscher Zeitpunkt. Jedes gesprochene Wort konnte den Druck, der sich die letzten Minuten in ihrer Kehle festgesetzt hatte, lösen und in Tränen verwandeln. Genau das schien Brigitta zu spüren. Behutsam nahm sie ihr die Schaufel ab, führte sie zu einem der Heuballen und setzte sich mit ihr darauf.

»Was nicht raus will, lass drin, aber was raus muss, spuck aus.«

»Ich …« Das war’s. Schon spürte sie das Jucken in der Nase und die ersten Tränen in den Augen. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg.

»Liebeskummer«, konstatierte Brigitta.

Wie immer wusste Brigitta, was sie bedrückte. Wie immer verwunderte Luzie das kein bisschen.

»Der Basti.«

Luzie sah sie überrascht an. Hinter ihren Tränen Liebeskummer zu vermuten, war eine Sache, aber wie kam sie auf Basti? Sie hatte ihr nie von ihm erzählt. Brigittas Pupillen waren im schwachen Stalllicht so groß, dass ihre Iris mehr schwarz als blau wirkte. Sie fixierte Luzie, die Augäpfel huschten von einer Seite zur anderen, als wäre Luzies Gesicht ein Buch, in dem sie all den Kummer lesen konnte, der sie zum Weinen brachte. Luzie senkte den Kopf.

»Wolferl sagt, der Basti ist ein guter Junge. Bring ihn das nächste Mal mit.«

»Basti?« Luzie lachte bitter auf. »Der findet Pferde und reiten albern. Deshalb nimmt er mich auch nicht ernst.«

»Tut er das nicht?«

»Er spielt mit mir!«

»Du bist kein Mädchen, mit dem man spielt.«

»Er verleugnet mich.«

»Du bist kein Mädchen, mit dem man spielt.« Brigitta packte erneut ihr Kinn und sah sie voller Ernst an. Luzie blinzelte die nächsten Tränen weg, stellte sich Brigittas allwissenden Augen. »Vergiss das nicht.«

Der Druck von Brigittas Fingern auf ihrem Kinn verstärkte sich kurz, dann zog sie die Hand zurück und stand auf. Wortlos verschwand sie in der Box des Haflingers, der morgen zu seinem neuen Besitzer transportiert werden sollte.

Was Brigitta wohl gemeint hatte? Dass Basti nicht mit ihr spielte, weil sie kein Mädchen war, mit dem man spielte? Oder dass sie sich von Basti nicht ausnutzen lassen sollte? Sie griff nach der Schaufel und zog eine Linie über den Boden. Es war sinnlos, Brigitta danach zu fragen. Sie würde nicht mehr dazu sagen. In Halbrätseln zu sprechen, gehörte genauso zu ihr wie der Singsang und die Kräuterelixiere für jedes Übel dieser Welt. Sie stand auf. Jedes Übel? Was für ein Pech, dass es ausgerechnet für ihr Problem keinen Kräutermix gab.

Sie hätte doch mit Valentin fahren sollen. Seit sie in Wolferls Landrover gestiegen war, schwieg er. So düster wie die fichtenbewehrten Felsmassive der Talenge, die sie gerade durchquerten. Der Landrover ruckelte, als Wolferl vor der nächsten Steigung in den zweiten Gang schaltete. Ihr Blick huschte zu ihm und zurück auf die Straße.

Er räusperte sich. »Pass mit dem Becker auf. Der bringt nur Ärger. Wie sein Vater.«

Sie drehte ruckartig ihren Kopf zu Wolferl. »Wo…woher weißt du, dass –«

»Welcher Bursche taucht sonst mit einem neuen BMW-Geländewagen und Berliner Kennzeichen hier auf?«

»Ich versteh überhaupt nicht, was die Aufregung soll.«

Er schlug mit beiden Händen so fest gegen das Lenkrad, dass sie zusammenzuckte. »Nichts wird mehr so sein, wie es war.«

»Wolferl! Jetzt aber! Du klingst ja wie Brigitta! Das Ferienhaus ist nicht mal so groß wie eure Scheune.«

»Warum baut er nicht woanders?« Wolferls Bass dröhnte durch das Auto. »Warum bringt er Unruhe ins Dorf?« Krachend schaltete er in den dritten Gang und beschleunigte.

Das Licht veränderte sich, die sanfte Frühabendsonne schien wieder warm auf Luzies Arm. Sie hatten die Talenge hinter sich gelassen und fuhren jetzt an blühenden Almwiesen vorbei. Noch zwei Kurven, dann war sie zu Hause.

Mit einem Ruckeln hielt Wolferl direkt vor ihrer Haustür. »Entschuldige, ich wollte nicht so laut werden.« Er kramte in der Jackentasche seiner speckigen Joppe und zog ein kleines braunes Fläschchen hervor.

»Das sollst du deiner Mutter geben. Drei Mal am Tag zehn Tropfen. Sag ihr, dann wächst der Knochen besser zusammen.«

Sie nahm das Fläschchen. Heute früh erst hatten sie darüber gesprochen, wie langsam der Bruch heilte. Immerhin war der Sturz schon fast einen Monat her und noch immer konnte ihre Mutter den Fuß kein bisschen belasten. Sie würde die Tropfen auf jeden Fall nehmen und sie würden schon deshalb helfen, weil sie felsenfest an Brigittas Heilkräuter glaubte.

»Danke, Mama wird sich freuen.«

Seine Hand verschwand erneut in der Jackentasche. Als sie wieder auftauchte, stahl sich eine leichte Röte auf die wenigen Gesichtspartien, die nicht von seinem Vollbart bedeckt waren. »Hier. Und das ist für dich. Du sollst es einstecken, wenn du den Basti das nächste Mal triffst.«

Sie starrte ihn an. Er war verlegen. Bedeutete das, Brigitta hatte ihm von ihr und Basti erzählt?

Er legte ihr einen tropfenförmigen, milchigweißen Halbedelstein mit grünen Einschlüssen in die Hand. Ein Glücksbringer. Ihre Faust schloss sich um den Stein und sie spürte, wie auch ihr die Röte ins Gesicht schoss. Schnell stieg sie aus, murmelte ein leises »Danke«, die Finger fest um den Stein. Sie spürte die unnatürliche Wärme, die von ihm ausging, sich in ihr Blut schlich und den Arm hochbrizzelte, als wollte der Stein von ihr Besitz ergreifen.

7

Vorsintflutliches Kuhkaff. So hatte seine Mutter es genannt. Finstermoos, der Ort, an dem man nicht begraben sein mochte. Dabei war der Blick auf die Berge wirklich sensationell. Vielleicht war das der Grund, warum sein Vater auf diesen Ort bestanden hatte. Valentin zog sein Handy heraus, schoss ein Foto und schickte es seiner Mutter. Eines Tages würde er sie dazu bringen, seinen Vater und ihn nach Finstermoos zu begleiten. Wenn alle sich ein bisschen beruhigt hatten. Wenn das Haus erst einmal stand. Spätestens dann musste sie ihre absurde Abneigung gegen Finstermoos fallen lassen. Sein Handy surrte. Er blickte auf das Display. Ein Smiley, darunter Mum.

Die Baggerschaufel fraß sich krachend in den steinigen Boden. Valentins Hände wanderten zu den Ohren. Nein, es war nicht die Aussicht, wegen der sein Vater dieses Bauprojekt gegen sie alle durchgeboxt hatte. Gegen seine Mutter, gegen ihn, gegen die Dörfler. Sie waren schon an so vielen schönen Orten gewesen. Sein Vater hätte leicht einen finden können, der auch seine Mutter begeistert hätte. Aber nein, er musste ausgerechnet dort bauen, wo man ihm lauter Hürden in den Weg stellte. Allein diese Auflagen wegen des Biotops. Nur deshalb musste er jetzt den Bau neben den alten Bunker setzen. Dabei wussten die vom Bauamt genau, dass die maroden Wände unter dem Gewicht des Baukrans zusammenbrechen würden.

Es musste mehr hinter der Entschlossenheit seines Vaters stecken, genau hier dieses Ferienhaus zu bauen, und irgendwann würde er herausfinden, was.

Er nahm die Hände von den Ohren, gerade rechtzeitig, um neben sich ein leises Knirschen zu hören, bevor sein Vater ihn antippte.

»Na, Spaß gehabt heute?«

»Hallo, Paps, ist ja irre, wie das hier vorangeht.«

Sein Vater lächelte zufrieden. »Ich will, dass der Rohbau steht, bis ich nach Berlin zurückmuss. Das Problem mit dem Bunker haben wir jetzt hoffentlich auch gelöst.«

»Wie denn?«

Siegesgewiss hielt sein Vater den Zeigefinger in die Höhe und stippte ihn an die Stirn. »Mit Köpfchen.«

»Ihr verstärkt die unter der Erde liegenden Bunkerwände mit Köpfchen? Und das reicht, damit ein Vierzigtonner darauf Fertigbauwände von A nach B hievt? Wenn du nicht schon erfolgreich wärst, das wäre der Durchbruch!«

Sie grinsten sich an.

»Beton.«

»Muss ich das verstehen?«

Sein Vater lotste ihn an der Grube entlang zum perfekt getarnten Bunkereingang. »Wir füllen den Bunker mit Beton.« Er ging in die Hocke und zog an dem verwitterten Eisenring. Quietschend hob sich die Falltür. Sein Vater hakte sie ein und steckte den Kopf in das dunkle Loch.

»Genau genommen geht es nur um die erste Kammer. Guck selbst.« Seine Stimme kroch gedämpft aus dem Loch, seine Hand winkte ihn blind zum Einstieg.

»Muss ich?« Eine rhetorische Frage. Sein Vater würde ohnehin nicht lockerlassen, bis er ihm alles im kleinsten Detail gezeigt und erklärt hatte. Also kniete er sich neben ihn und steckte den Kopf ebenfalls durch die Öffnung. Modrige Luft strömte ihm entgegen. Sein Vater holte etwas aus seiner Jackentasche, dann erhellte ein schmaler Lichtstrahl die totale Schwärze unter ihnen. Eine sehr steile Treppe führte in eine Art kleinen Vorraum, vielleicht neun oder zehn Quadratmeter groß. An der linken Seite befand sich eine Öffnung zu einem zweiten Raum. Sein Vater zeigte zur Öffnung.

»Da bauen wir eine sieben Zentimeter dicke Stahltür ein. Mit extrastarker Verankerung im Türrahmen, damit sie den Druck des einlaufenden Betons aushält.«

»Du meinst, so eine Art Bolzenschließsystem?«

»Ganz genau.« Der Taschenlampenstrahl wackelte, blieb dann bei der Öffnung hängen. »Wie bei einem riesigen Safe. Anstelle einer Klinke hat die Tür einen Drehverschluss. Damit dreht man die Bolzen in den Türrahmen. Das hält bombenfest. Und wir müssen nur zwanzig Kubikmeter mit Beton füllen statt hundertzwanzig.« Der Lichtstrahl erlosch, die Öffnung verschwand im Dunkel.

Ein neuer Schwall modrig stinkender Luft schwappte in Valentins Nase. Rasch zog er seinen Kopf aus dem Bunker.

»Keiner braucht dieses Relikt aus dem Krieg noch.« Sein Vater schloss die Falltür und presste das Moos sorgfältig über den Eisenring. »Und je weniger Leute wissen, was wir damit vorhaben, desto größer die Chance, dass keiner dieser Dorfirren uns weitere Scherereien macht. Denen fällt noch ein, dass dieser marode Bunker unter Denkmalschutz gestellt werden sollte. Komm mal mit.«

Mit verschwörerischer Miene lockte er Valentin hinter den Bauwagen. Dort zeigte er auf eine verschrammelte Metallkiste. Etwa sechzig Zentimeter lang, dreißig breit und ebenso hoch.

»Wo hast du das denn gefunden?« Valentin beugte sich über die Kiste, schnupperte. Erdiger, leicht fauliger Geruch haftete dem Metall an. Angeekelt rümpfte er die Nase. »Doch nicht … in dem Bunker?«

»Nein, die haben die Bauarbeiter beim Ausheben der Baugrube entdeckt.« Sein Vater klopfte mit den Fingerknöcheln auf die Metallkiste. »Meine erste Schatzkiste in fünfundzwanzig Jahren.«

Valentin tat es ihm nach und klopfte mit dem Fingerknöchel auf den Deckel. »Schatzkiste? Klingt ziemlich hohl. Ob da überhaupt was drin ist?«

»Das werden wir gleich herausfinden.« Mit feierlicher Miene reichte sein Vater ihm einen Bolzenschneider. »Und du darfst nachsehen, was sie für uns bereithält.«

Valentin setzte den Bolzenschneider an dem erdverkrusteten Vorhängeschloss an, packte die langen Griffe, doch bevor die scharfen Kanten den Bügel aufbrachen, ließ er ihn sinken. »Nein, Paps. Vielen Dank. Aber es ist dein erster Schatz. Mach du.«

Er drückte seinem Vater den Bolzenschneider in die Hand. Der zuckte die Schultern, dann presste er entschlossen die Arme der überlangen Zange zusammen. Es knackte und das Schloss pendelte gebrochen an den Verschlussösen.

»Tadaa!« Langsam, als zelebriere er ein königliches Ritual, entfernte sein Vater das kaputte Schloss und öffnete die Kiste. Sein Gesicht strahlte – doch dann riss er jäh die Augen auf. Sein Oberkörper fuhr zurück, der Deckel schlug krachend zu.

Valentins Lächeln verschwand.

»Oh. Mein. Gott.« Zischend sog sein Vater die Luft ein.

»Was ist denn?« Valentins Herz schlug hart und schnell. So verstört hatte er seinen Vater nur einmal erlebt. Am schrecklichsten Tag seines Lebens. Ihres Lebens. Was auch in der Kiste war, es konnte nicht so schlimm sein. Nichts konnte so schlimm sein.

»Da … Da …« Sein Vater schüttelte den Kopf, als wollte er nicht glauben, was er gerade gesehen hatte. Seine Hände pressten den Deckel der Kiste zu.

»Lass mich reinschauen.«

Wieder schüttelte sein Vater den Kopf, heftiger als zuvor. Den Blick wild entschlossen, zu allem bereit, um ihn vor dem Inhalt der Kiste zu beschützen.

»Ich bin kein Baby mehr.« Mit sanfter Gewalt löste Valentin die Hände seines Vaters von dem Deckel und hob ihn vorsichtig hoch. Schwarze Augen starrten ihn an. Nein, keine Augen. Augenhöhlen. Winzige Augenhöhlen in einem winzigen Totenschädel. Skelettierte Fingerchen, die aus einem viel zu großen, gräulich verblichenen Schneeanzug hervorlugten. Mit einem Schrei knallte er die Kiste wieder zu.

Stumm blickten sie sich an. Er hörte das schwere Atmen seines Vaters, sah das bleiche Gesicht, das seine eigene Fassungslosigkeit spiegelte.

»Dieses ganze Bauvorhaben … So was … So was habe ich noch nie erlebt.« Sein Vater sprach so leise, als dürfe das Babyskelett in der Kiste nicht hören, was er sagte. »Ich bin nicht abergläubisch, du weißt das, aber … dieses Baby hier zu finden …« Er breitete seine Arme aus. »So viel Land … Warum hier? Als läge ein Fluch auf unserem Bau.«

Valentin schluckte. So etwas geschah doch bloß in Filmen! Im wahren Leben tauchten Babyleichen nicht einfach in einer Kiste auf. Schon gar nicht in ihrem Leben.

»Wir haben das nie gesehen, hörst du?« Sein Vater fixierte ihn eindringlich und legte den Finger an den Mund. »Wenn die Arbeiter weg sind«, fuhr er noch immer leise fort, »nehmen wir eine Schaufel und vergraben das wieder.«

Wieder vergraben? Sein Vater musste verrückt geworden sein. Valentin schüttelte energisch den Kopf. »Bist du wahnsinnig? Wir müssen die Polizei informieren!«

»Weißt du, was die dann mit der Baustelle machen? Die machen hier alles dicht.«

»Paps! Das ist ein totes Baby! Das ist kein Ding, das man wieder verbuddeln kann. Scheiß auf die Baustelle! Willst du gar nicht wissen, was passiert ist? Abgesehen davon machst du dich strafbar.« Mit zitternden Fingern öffnete Valentin wieder die Kiste. Hinter dem winzigen Totenschädel saß ein bräunlicher Teddybär mit einer blau-orangen Schleife.

Als ob er über das tote Baby wacht.

Sein Vater legte ihm die Hände auf die Schultern. Er spürte seine Lippen an seinem Ohr, den warmen Atem eines lebendigen Menschen. »Wo kein Kläger, da kein Richter. Es macht das Baby nicht lebendig, wenn wir jetzt ein Fass aufmachen.«

»Du kannst nicht einfach so tun, als –«

»Warum nicht?«

Die Hände verschwanden von seinen Schultern. Schlossen die Kiste. Leise, als könnte ein lautes Klacken das Baby in seinem Totenschlaf stören, und doch so nachdrücklich, als gäbe es diesbezüglich nichts mehr zu sagen. »Schlafende Geister soll man nicht wecken. So wie das Baby aussieht, muss es mindestens zwanzig Jahre da gelegen haben. Vielleicht länger. Wir sind nicht in Berlin. Wenn das das Baby einer unverheirateten Frau war, zerstören wir mit dem Fund ihr Leben.«

»Und deswegen darf man ungestraft ein Baby umbringen? Das ist doch nicht dein Ernst!« Entrüstet blickte er zwischen der Kiste und seinem Vater hin und her. »Oder was, wenn das Baby entführt wurde? Was, wenn sich jemand fragt, was mit seinem Kind passiert ist? Was wäre, wenn mich jemand entführt hätte? Würdest du wissen wollen, was mit mir passiert ist? Oder hättest du mich nach zwanzig Jahren vergessen?«

Sein Vater schüttelte stumm den Kopf. Dann seufzte er. »Scheiße, Valentin, du kommst ganz nach deiner Mutter. Du wirst mal ein verdammt guter Anwalt.«

7.August – 15:48Uhr

8

»Ein Bolzenschließsystem?« So wie Nic das Wort dehnt, scheint er genau zu wissen, was das für sie bedeutet.

»Spuck’s schon aus«, knurrt Basti. »Was heißt das?«

»Das heißt: Die Tür ist auf beiden Seiten im Rahmen verankert.« Auf einmal klingt Nic erschöpft. »Und damit unknackbar.«

Hätte sein Vater bloß nicht diese Scheißidee gehabt!

Valentin nimmt Daumen und Zeigefinger von der Nase. »Es tut mir leid, dass ihr meinetwegen hier feststeckt.«

»Deinetwegen?«, schnaubt Basti neben ihm. »Mascha und ihre Mutter haben das losgetreten!«

»Halt die Klappe!«, braust Nic auf. »Weder Mascha noch ihre Mutter können was dafür, wenn ein Wahnsinniger sie jagt. Ihre einzige Rettung wäre gewesen, wenn sie in Berlin geblieben wären.«

Rettung? Valentin kickt gegen die Stahltür. Dumpf schießt der Schmerz durch seinen Fuß, lenkt ihn von dem süßlichen Gestank ab. Paps, ich wünschte, ich hätte dich gewarnt. Du hattest so recht: Schlafende Geister soll man nicht wecken.

Er will erneut gegen die Tür treten, doch beim Ausholen trifft er ein Bein hinter sich.

»Autsch! Hör auf!« Nics Finger tasten über seinen Arm, krallen sich in seine rechte Schulter. »Das bringt doch nichts! Wir müssen ruhig bleiben. Nachdenken. Gibt es ein Lüftungssystem, durch das wir uns bemerkbar machen können?«

Guter Punkt. Valentin stellt seinen Fuß vorsichtig auf der Erde ab. Der große Zeh pocht. »Bestimmt gibt es ein Lüftungssystem. Jeder Bunker hat eines.«

»Na, dann!« Basti klatscht in die Hände. »Los, Leute, Wände abtasten! Einer links, einer rechts, einer die Decke. Wir sind noch nicht tot!«

Nic klatscht ebenfalls in die Hände. Rhythmisch. Zweimal lang, dreimal kurz. Immer wieder.

Wir – sind – noch – nicht – tot.

Valentin steigt ein, so fest, dass seine Hände brennen. Das Klatschen knallt durch den Raum wie eine schnelle Abfolge von Miniexplosionen, vertreibt die Angst, beflügelt die Hoffnung.

Ja!

Noch sind wir nicht tot.

26.Juli9

»Sammi, bei Fuß!«

Was war nur mit Sammi los? Schon stellte sie die Ohren wieder auf, drehte ihren Kopf zum Wald und lauschte. Luzie hielt inne, sah ebenfalls zum Wald hinüber. War dort jemand? Sie kniff die Augen zusammen, suchte die Baumkulisse nach verräterischen Bewegungen ab, schüttelte dann den Kopf. Sicher nur ein Hase.

Sie ging weiter und diesmal blieb Sammi brav an ihrer Seite. Luzies Finger spielten mit dem glatten Stein in ihrer Jackentasche. Der Tag könnte so schön sein. Sie könnte Basti treffen, wie so oft auf ihrer Morgenrunde, wenn er vormittags nicht arbeiten musste. Was wohl Basti gestern noch mit Valentin unternommen hatte?

Echter Spaß … Pf!

Was immer das für die beiden sein mochte, in Finstermoos hatten sie es wahrscheinlich nicht gefunden. Was gab’s hier schon? Vierhundertachtundneunzig Einheimische und zur Hochsaison etwa doppelt so viele Gäste, verteilt auf drei Hotels und diverse Gästehäuser, einen Bäcker, einen Metzger, Gustls Lebensmittelladen, Schranners Off Limits, den Alpenwirt, den Italiener, den kleinen See mit der Freilichtbühne und die Dorfkirche. Nicht zu vergessen etwa zehntausend Geranien in Kirschrot und das riesige Naturschutzgebiet, für das ihr Vater die Wiederansiedlung von Luchsen erkämpft hatte.

Plötzlich blieb Sammi stehen, stocksteif, den Kopf aufgerichtet. Dann bellte sie und rannte los.

»Sammi!« Luzie pfiff zweimal kurz hintereinander. Sammi stemmte ihre Läufe in den Boden und raste zu ihr zurück.

»Bei Fuß heißt bei Fuß, verdammt!«

Aus dem Waldstück schoss ein Mountainbiker und hielt geradewegs auf sie zu.

Basti.

Ihre Finger umklammerten den Glücksbringer in ihrer Fleecejacke, ihr Herzschlag galoppierte davon. Gut, dass ihr Vater nicht in der Nähe war. Radfahren war in diesem Teil des Waldes strikt verboten.

Basti kam schnell näher. Sammis Schwanz wedelte wie verrückt, leises Winseln verriet die Ungeduld, endlich losrennen zu dürfen.

Bremsen quietschten, dann stand er vor ihr.

»Sag mal, hast du einen Vogel?«, blaffte er unvermittelt.

»Ich?« Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Drehte er gerade durch?

»Wir waren verabredet, vergessen?« Über seiner Nase grub sich eine tiefe Ärgerfalte in die Stirn. »Ich warte wie der Oberdepp und du tauchst mit Valentin auf und tust so, als sei das völlig normal.«

»Jetzt mach mal halblang.« Sie runzelte ihre Stirn. »Du hast doch Valentin erzählt, dass du dich mit einer aus deinem ›Fanklub‹ triffst. Bin ich vielleicht eine von diesen Touri-Tussis?«

»Das mit dem Fanklub hab ich so nicht gesagt.«

»Warum behauptet Valentin es dann?«

»Hat er eben falsch verstanden.« Eine Strähne löste sich und fiel ihm ins Auge. Er pustete sie weg und mit ihr verschwand auch die Falte über seiner Nase. Der Vorwurf in seinem Blick verpuffte, zurück blieb das Sorglosblau, so unschuldig, dass sie gar nicht anders konnte, als ihm zu glauben. Entweder er war ein begnadeter Lügner oder Valentin hatte ihn wirklich missverstanden. Immerhin war Basti am Treffpunkt gewesen. Im Gegensatz zu ihr. Er löste seine Hände von dem Lenker und zog sie zu sich, bis seine Stirn an ihrer lehnte. Seine Unterarme lagen leicht auf ihren Schultern, seine Finger spielten mit den Haaren in ihrem Nacken. Luzie stand völlig still, während seine Berührung von der Stirn bis in die Zehen kribbelte.

»Glaubst du wirklich, ich würde dich mit den Touri-Mädels in einen Topf werfen?«, sagte er leise. »Wann kapierst du endlich, dass das für mich kein Spiel ist?«

Kein Spiel? Der Stein in ihrer Faust schien zu glühen, ihre Wut von eben verebbte zu einem leisen Rauschen. »Ich … Du …«

»Ich weiß, was du willst. Und ich will es auch. Ich arbeite daran, okay?« Seine Stirn löste sich von ihrer, seine Hände schoben ihren Kopf sanft nach oben, dann spürte sie seine warmen, weichen Lippen auf ihren. Das Kribbeln verwandelte sich in eine Hitzewoge, das letzte Wutrauschen verstummte. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss, bis Sammis Winseln unüberhörbar wurde. Widerstrebend löste sie sich.

Basti lachte, streichelte Sammis Kopf. »Na, du bist ja fast so eifersüchtig wie dein Frauchen …«

»Ja, ja, mach dich nur lustig über mich.« Sie knuffte ihn. »Wie war’s gestern Abend mit Valentin? Hattet ihr beiden noch richtigen Männerspaß?«