Fiona - Sammelband Zyklus 1 (Band 1 - 6 der Fantasy-Saga) - Zsolt Majsai - E-Book

Fiona - Sammelband Zyklus 1 (Band 1 - 6 der Fantasy-Saga) E-Book

Zsolt Majsai

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Beschreibung

Band 1 bis 6 der Fantasy-Serie um die Kriegerin Fiona von der Erde. Von der Ermordung Normans, ihres Bruders, bis zum großen Showdown der ersten Staffel im Band 6. Komplexe Fantasy-Saga, größtenteils aus der Perspektive von Fiona erzählt. Ihr wurde gesagt, sie sei eine Kriegerin, ihr Auftrag: für das Gleichgewicht zu sorgen. Ihr Chef: der Statthalter der Erde. Dass es in Wirklichkeit viel komplizierter ist, erfährt sie nur nach und nach. Überhaupt, Wirklichkeit? Was ist das in einer Welt, die aus Illusion besteht? Überhaupt, Welt? Welche Welt denn? Welche von den vielen? Sehr vielen, wie Fiona feststellen muss. Die einzige Konstante scheint ihre Liebe zu Katharina, einem Halb-Dämon, zu sein. Mehr Infos zu der Kristallwelten-Saga und den Mitspielern gibt es auf buch-ist-mehr.de/shop/autoren/mein-autor/zsolt-majsai/. ==Bisher erschienen=== ***Geschichten einer Kriegerin-Reihe*** Band 1: Das hungrige Biest Band 2: Liebe und andere Unwägbarkeiten des Lebens Band 3: Der verliebte Dschinn Band 4: Der Geist von King Valley ***Fiona-Serie*** --1. Zyklus-- Band 1: Beginn Band 2: Entscheidungen Band 3: Gefühle Band 4: Wiederkehrer Band 5: Leben Band 6: Sterben --2. Zyklus-- Band 7: Reloaded Band 8: Spinnen Band 9: Liebe (in Vorbereitung) Band 10: Götter (in Planung) Band 11: Untergrund (in Planung) --3. Zyklus-- Band 12: Fiona – Todesstille (in Planung) Band 13: Fiona – Traumtanz (in Planung) Band 14: Fiona – Finsternis (in Planung) Band 15: Fiona – Morgendämmerung (in Planung) Band 16: Fiona – Erwachen (in Planung) ***Die Legende von Sarah und Thomas*** Band 1: Die Prinzessin, die ihre Eltern tötete

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Inhaltsverzeichnis
Titel
Übersicht
Impressum
Mein Name ist Fiona
Kristallwelten
Fiona - Beginn
Fiona - Entscheidungen
Fiona - Gefühle
Fiona - Wiederkehrer
Fiona - Leben
Fiona - Sterben
XXL Vorschau Band 7
Bonus

Zsolt Majsai

Fiona

Sammelband

- 2003 bis Abschaltung des Universums -

Band 1 - 6

Fiona

Zyklus 1

Fiona - Beginn (Band 1)

Fiona - Entscheidungen (Band 2)

Fiona - Gefühle (Band 3)

Fiona - Wiederkehrer (Band 4)

Fiona - Leben (Band 5)

Fiona - Sterben (Band 6)

Zyklus 2 (ab 2018)

Fiona - Reloaded (Band 7)

Fiona - Spinnen (Band 8)

Fiona - Liebe (Band 9)

Fiona - Götter (Band 10)

Fiona - Untergrund (Band 11)

Zyklus 3 (ab 2020)

Fiona - Todesstille (Band 12)

Fiona - Traumtanz (Band 13)

Fiona - Finsternis (Band 14)

Fiona - Morgendämmerung (Band 15)

Fiona - Erwachen (Band 16)

Geschichten einer Kriegerin

Was Fiona sonst noch erlebt

Liebe und andere Unwägbarkeiten

Das hungrige Biest

Der verliebte Dschinn (2018)

Der Geist von King Valley (2018)

Zsolt Majsai

Fiona - Sammelband Zyklus 1

Fantasy

ISBN-eBook: 978-3-95667-338-2

© 2018 Verlag 3.0 Zsolt Majsai,

53545 Linz am Rhein | buch-ist-mehr

Sollten Sie Fragen oder Anregungen haben, können Sie gerne eine E-Mail senden an [email protected]

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile sowie der Übersetzung in andere Sprachen.

Lektorat: Hubert Quirbach (Band 1-3)

Verlag 3.0 (Band 4-5)

Bastian Weinert (Band 6)

Umschlaggestaltung: Clara Vath (Band 1-6) | vath-art

Verlag 3.0 (Sammelband)

Umschlagillustration: Clara Vath | vath-art

Die Verwendung der Schrift Belligerent Madness erfolgte mit freundlicher Genehmigung von P. D. Magnus | fontmonkey

Printed in EU

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.ddb abrufbar.

Mein Name ist Fiona.

Ich wurde geboren und wuchs auf. Noch bevor ich richtig erwachsen wurde, erschütterten zwei Ereignisse mein Leben:

- Mein Bruder wurde geboren, als ich zehn war. Schon davor gab es oft Probleme mit meinem Vater, der sich immer einen Sohn gewünscht hatte. Nach Normans Geburt schien ich nicht mehr für meinen Vater zu existieren.

- Als ich 23 war, wurde mein Bruder getötet. Ich wurde auf einmal wieder sichtbar, auch wenn diese Tatsache, zunächst jedenfalls, mein Leben nicht unbedingt erleichtert hat.

Das zweite Ereignis markierte den Beginn meines neuen Lebens. Damals ahnte ich das noch nicht, sonst wäre ich wahrscheinlich weggelaufen. Ganz weit weg. Doch bis mir klar wurde, dass mit Normans Tod mein altes Leben aufgehört hatte zu existieren, war es schon zu spät.

Mein neues Leben hatte begonnen.

Ich bin eine Kriegerin. Meine Aufgabe ist es, für das Gleichgewicht zu sorgen. Leider wurde nie genau definiert, was das Gleichgewicht eigentlich ist. Und wie ich eine Störung desselben erkenne. Oder was ich eigentlich tun soll, wenn ich eine solche Störung feststelle. Überhaupt ist meine Jobbeschreibung sehr kurz: Achte auf das Gleichgewicht.

Heute weiß ich: Nicht alle Dämonen stören das Gleichgewicht, nicht alle Vampire wollen an mein Blut und kleine Zauberer können ziemlich impertinent sein, auch wenn sie mich nur beschützen wollen.

Die Kristallwelten-Saga

Die Kristallwelten-Saga umfasst mehrere Serien bzw. Reihen. Außer bei der "Fiona-Serie" gibt es keine zwingende Reihenfolge, doch generell ist es empfehlenswert, eine bestimmte Abfolge einzuhalten.

Sehr sinnvoll ist es, mit "Fiona - Beginn" anzufangen. Danach sollten Band 2 und Band 3 ("Entscheidungen" und "Gefühle") folgen, erst danach lassen sich die "Geschichten einer Kriegerin" so lesen, dass die darin auftauchenden Verweise auf andere Ereignisse verständlich sind. Unabhängig davon sind die "Geschichten einer Kriegerin" in sich abgeschlossene Handlungen, was für die Fiona-Serie nur bedingt gilt.

In Band 6 der Fiona-Serie ("Fiona - Sterben") werden mehrere Handlungsstränge verknüpft. Zum einen aus allen vorherigen Bänden der Serie, aber auch die Ereignisse aus "Die Legende von Sarah und Thomas - Die Prinzessin, die ihre Eltern tötete" spielen eine wichtige Rolle. Daher sollte zuvor dieses Buch gelesen werden, da ansonsten einige Handlungselemente schwer zu verstehen sind.

Spoiler-Alarm

Im Folgenden wird der Inhalt der Saga kurz angerissen. Dabei lässt es sich nicht vermeiden, auch wesentliche Ereignisse zu erwähnen. Ich bemühe mich, dadurch die Spannung und Spaß an den Büchern nicht zu nehmen. Wer sich ganz auf die Entdeckungsreise durch die Kristallwelten einlassen möchte, sollte ab hier

nicht weiterlesen!
Du willst weiterlesen?
Ganz sicher?
Also schön.
Ich habe Dich ja gewarnt.

Es ist nicht so einfach zu erklären, was die Kristallwelten sind. Und kurz geht das gar nicht. Auch Fiona lernt es nur allmählich zu begreifen.

Zunächst einmal sind die Kristallwelten ein Spiel der Götter. Jeder Kristall entspricht einem Universum. Auch unser Universum ist ein Kristall. Äußerlich sehen die Kristalle alle gleich aus, doch von innen können sie sehr, sehr unterschiedlich sein. Menschen gibt es auch nur in den wenigsten. Manche sind in ihrem Inneren so aufgebaut, dass wir Menschen uns das nicht nur nicht vorstellen können, wir können es nicht einmal in Begriffe fassen.

Üblicherweise können die Bewohner ihr Universum nicht verlassen. Allerdings gibt es von jeder Regel Ausnahmen, so ist es auch hier. Diese Ausnahmen werden zum Beispiel in "Die Prinzessin, die ihre Eltern tötete" und "Fiona - Sterben" gezeigt. Warum das so ist, soll aber hier dann doch nicht verraten werden.

Im ersten Zyklus der Fiona-Serie wird die Entwicklung Fionas von einer verwöhnten Millionärstochter zu einer mächtigen Kriegerin aufgezeigt. Letztlich erzählen auch die "Geschichten einer Kriegerin" von diesem Weg, allerdings nur lose miteinander verknüpft.

Im ersten Band, "Beginn", ahnt Fiona nichts davon, dass sie kein gewöhnlicher Mensch ist. Obwohl ihr Manches verdächtig vorkommt, zum Beispiel ihre Fähigkeiten im Nahkampf. Oder dass ihre Wunden so schnell heilen. Auch die Begegnung mit Drol Wayne am Ende passt nicht so wirklich in die Welt einer reichen Tochter. Erst ab dem zweiten Band versteht sie, wieso sie so ungewöhnlich ist. Dafür tauchen sehr viele neue Fragen auf. Zum Beispiel: Was genau ist eigentlich der Unterschied zwischen der Verborgenen Welt und der Gefrorenen Welt? Antworten darauf bekommt sie so richtig, wenn überhaupt erst nach und nach, während sich vor ihr eine ganz neue Welt öffnet.

Um genau zu sein: Eigentlich verändert sich nur ihr Blick auf die Welt im Laufe ihrer Abenteuer, die sie in den Bänden 2 bis 6 des ersten Zyklus erlebt. Sie erfährt, dass die Verborgene Welt eine ganz zentrale Bedeutung in ihrem Universum hat und mehr mit der Realität zu tun hat als die Gefrorene Welt, die sie bis zu ihrem 25. Lebensjahr ausschließlich kannte.

So nebenbei muss sie sich aber auch noch mit sich selbst auseinandersetzen. Mit ihren Gefühlen, zum Beispiel, ganz besonders im dritten Band, der ja sogar so heißt: "Gefühle". Da gibt es durchaus eine Menge zu tun, denn Fiona ist eine verletzte und eine verletzliche Frau, auch wenn sie immer so taff tut. Irgendwie weiß sie das ja auch, aber im dritten Band wird sie besonders intensiv mit ihren Gefühlen konfrontiert. 

"Die Legende von Sarah und Thomas" ist eine zweite Serie, erzählt die Geschichte von der Prinzessin Sarah und ihrem Halbbruder Thomas. Allerdings erfahren sie erst zum Ende des ersten Bandes "Die Prinzessin, die ihre Eltern tötete", dass sie Geschwister sind und dass diese Tatsache sehr viel damit zu tun hat, warum sie Sarahs Eltern töteten - denn beteiligt daran waren sie beide. Doch das ist eine eigene Geschichte, auch wenn sie, wie es sich später zeigt, viel mit dem Finale "Fiona - Sterben" des ersten Zyklus zu tun hat. Und wer die beiden liebgewinnt - sie werden zu zentralen Charakteren der Fiona - Serie ab "Fiona - Sterben". Auch wenn Sarah in mancherlei Hinsicht Fiona ähnlich ist, was gelegentlich zum Zickenkrieg zwischen den beiden führt. Aber irgendwie lieben sie sich ja auch.

So viel muss erst einmal reichen. Wenn Ihr mehr wissen wollt, könnt Ihr aber gerne an mich schreiben. Im Rahmen meiner Möglichkeiten beantworte ich die E-Mails persönlich: fiona(at)verlag30.de.

Kristallwelten: Zeittafel

1980: Fiona wird geboren 1990: Norman, Fionas Bruder, wird geboren 1992: Bernd und Michaela lernen sich kennen (Dargks Erwachen) 1992: Nomén und Kay lernen sich kennen1993: Halpha wird geboren (Dargks Erwachen) 1993: Helena und Jody werden geboren (kommt voraussichtlich (aber wer weiß? ;) ) in keinem Roman vor, aber wichtig für Band 5: Fiona - Sterben) 1994: Nidea, Tochter von Oela und Renroc wird geboren (Dargks Erwachen) 1996: Dargk kommt nach Untes, der Große Krieg findet statt (Dargks Erwachen) 1998: Dargks Erwachen - Teil 21999: Gemeinsame Tochter Dargks und Ryemas wird geboren 2001: Gemeinsamer Sohn von Ryema und Roek wird geboren 2002: Beginn von Die Legende von Sarah und Thomas - Die Prinzessin, die ihre Eltern tötete2003: Ralph, Sohn von Katharina und Dargk, wird geboren

Zyklus 1

20.06.2003: Norman stirbt (Fiona - Beginn) 2004: Klassentreffen 2005: Fiona - Entscheidungen2006: Fiona lernt "Schneewittchen" kennen und wird im Dezember schwanger (Fiona - Gefühle) 09.2006: John Summer 25.12.2006: Leslie 06.08.2007: Geburt Sandras, Tochter von James und Fiona 2007: Rückkehr von Sarah und Thomas nach Untes. Ende von Die Legende von Sarah und Thomas - Die Prinzessin, die ihre Eltern tötete10.2007: Wiederkehrer (Band 4) 2008: Band 5, Fiona - Leben 12.08.2009: Sandra, James und Danny kommen bei einem Racheanschlag ums Leben (Band 6: Fiona - Sterben) 2009: Begegnungen zwischen Sarah und Thomas aus Die Prinzessin, die ihre Eltern tötete, Fiona, Katharina und Ryema, Oela aus Dargks Erwachen und Dargk 

Zyklus 2

Fiona - ReloadedFiona - SpinnenFiona - LiebeFiona - GötterFiona - Untergrund

Zyklus 3

Fiona - TodesstilleFiona - TraumtanzFiona - FinsternisFiona - MorgendämmerungFiona - Erwachen

Millionärstochter mit 3 Promille im Blut in der Badewanne ertrunken.

‚Das wäre doch mal eine schöne Schlagzeile‘, schießt mir durch den Kopf, während ich langsam das volle Weinglas in der Hand hin und her drehe. Ich könnte es austrinken, untertauchen und einfach abwarten. Wie lange kann ich wohl die Luft anhalten?

Und was passiert beim Ertrinken? Vermutlich ist es ziemlich unangenehm. Andererseits, dann wäre wenigstens mein Tod eine nahtlose Fortsetzung meines Lebens.

Fiona, du bist dämlich.

Ich lasse vor Schreck fast das Glas fallen, als mein Vater die Tür aufreißt. Mit einem wilden Schrei setze ich mich auf, doch die Worte bleiben mir in der Kehle stecken. In seinen Augen sehe ich eine Panik wie niemals zuvor und wahrscheinlich niemals wieder. Ich stehe auf und bedecke mich mit einem Badetuch, obwohl ich mir sicher bin, dass ihm meine Nacktheit noch nicht einmal aufgefallen ist.

„Was … was ist los?“

Ich rechne damit, dass er mir etwas Schreckliches erzählt. Seine Schwester hat einen Herzinfarkt gehabt, seine Mutter ist endlich gestorben, ich weiß es nicht. Mit geschlossenen Augen warte ich auf seine Antwort.

Mit erstickter Stimme sagt er: „Norman … Norman ist tot …“

„Nor… Norman?“

Er nickt nur stumm, und in seinen Augen sehe ich die Bitte. Stummes Flehen, das möge alles nur ein Albtraum sein. Und auch ich flehe darum. Norman soll tot sein? Ausgerechnet er? Mein junger Bruder, ein Kind?

„Wie …?“

„Ich weiß … weiß es nicht genau. Ein Unfall …“

Ich atme tief durch.

„Jemand soll ihn identifizieren …“

Ich atme noch mal tief durch. „Ich fahre hin.“

„Deine Mutter lässt sich nicht davon abbringen. Ich werde sie begleiten.“

„Dann fahren wir gemeinsam hin. In fünf Minuten bin ich fertig!“

Zum Glück ist es Sommer und warm, darum sind meine nassen Haare nicht schlimm. Das T-Shirt klebt an meiner Haut, ebenso die Jeans. Doch das ist mir ziemlich egal. Ich helfe meinem Vater, meine fast erstarrte Mutter ins Auto zu setzen, dann halte ich die Hand auf. Nach kurzem Zögern reicht er mir den Wagenschlüssel. Ich fahre schnell. Der schwere Wagen hat keine Probleme, meine Fahrweise in sicheres Dahingleiten zu verwandeln. Und als ich vor dem Krankenhaus anhalte, hat die Klimaanlage den Innenraum auf Temperaturen herabgekühlt, bei denen selbst Polarbären sich wohl fühlen müssten.

Die Frau am Empfang telefoniert rum, nachdem ich ihr gesagt habe, warum wir hier sind. Kurze Zeit später holt uns eine Schwester ab und begleitet uns in ein Wartezimmer. Vater hält die in Tränen aufgelöste Mutter im Arm, während ich langsam herumspaziere.

Nichts deutet darauf hin, dass sich hinter der schweren Tür die Pathologie befindet. Mit all ihren Geheimnissen, mit all den Toten, die Anklage erheben. Anklage gegen den Tod, der sie aus dem Leben gerissen hat, manche viel zu früh, andere haben schon lange darauf gewartet. Sterben … das ist so ein grässliches Wort! Es ist das Ende, aber es ist noch viel mehr. Es bedeutet, dass alle Pläne, alles, was ich noch tun wollte, nun niemals mehr verwirklicht werden kann. Es ist das Endgültigste, was man sich vorstellen kann … nein, man kann es sich eigentlich nicht vorstellen, es ist noch endgültiger. Die Unterbrechung der Ewigkeit ist vorbei mit dem Tod …

Am liebsten würde ich jetzt eine Zigarette rauchen und bin froh, als endlich jemand kommt. Ein Mann im Anzug und eine einfach gekleidete Frau, nicht viel älter als 30. Ihr Blick fliegt durch den Raum und bleibt an mir hängen. Sie flüstert dem Mann etwas zu, dann kommt sie zu mir und zieht mich abseits.

„Sind Sie Fiona Carter?“

Als ich nicke, fährt sie fort: „Mein Name ist Carola. Ich bin Psychologin. Meine Aufgabe ist es, die Hinterbliebenen in diesen Stunden zu unterstützen, ihnen Trost zu spenden. Ich habe das Gefühl, dass Sie stärker sind als Ihre Eltern. Oder ist es nur eine dünne Wand, die kurz vor dem Durchbrechen ist?“

„Die Wand ist stark …“

„Gut. Hören Sie, ich halte es für keine gute Idee, dass Ihre Mutter durch diese Tür geht. Wissen Sie schon, was passiert ist?“

„Nein …“

„Ihr Bruder wurde von einem Auto, einem Geländewagen, mit voller Wucht angefahren. Rückwärts, wahrscheinlich mit Absicht. Sein Freund war wohl dabei, aber er steht unter Schock. Können Sie sich vorstellen, dass Ihr Bruder nicht so aussieht wie früher?“

„Carola, ich glaube, es wäre schlimmer, meine Mutter nicht zu ihm zu lassen als der Anblick selbst.“

Die Psychologin mustert mich kurz. „Also schön. Notfalls gebe ich ihr ein Beruhigungsmittel. Der Herr ist übrigens von der Mordkommission, Lieutenant Jack Siever.“

Wir gehen durch die schwere Tür, durch einen kalten, schwach beleuchteten Gang und schließlich in einen Raum, der komplett aus Metall zu bestehen scheint. Graues Licht fällt auf die Wand mit den Türen, wie Schließfächer sehen sie aus. Es sind ja auch Schließfächer, aber ihr Inhalt erfreut niemanden. Ein Assistent öffnet eine der silbernen Metalltüren und zieht die Bahre heraus. Das, was darauf liegt, ist abgedeckt.

Man kann ihn noch erkennen. Das ist das Beste, was man über diesen Fleischklumpen sagen kann. Selbst ich muss die Luft anhalten, um den Mageninhalt am Hochsteigen zu hindern. Und natürlich hat meine Mutter einen Zusammenbruch. Mit professionellen, schnellen Handgriffen zieht die Psychologin den Ärmel hoch und schiebt die Nadel der Spritze unter die Haut. Die verdrehten Augen meiner Mutter schließen sich langsam. Zwei herbeigerufene Pfleger setzen sie in einen Rollstuhl und bringen sie weg. Vater folgt ihnen.

Ich werfe einen Blick auf den nun wieder abgedeckten Leichnam.

„Absicht?“

„Es gibt leider keinen Zeugen außer Savage Norton, und der hat einen ziemlichen Schock. Aber so viel haben wir herausgefunden: Der Geländewagen hat angehalten. Es gab einen Wortwechsel. Der Fahrer fuhr dann weiter, hielt an und setzte plötzlich zurück. Norman hatte keine Chance.“

„Hat Sava den Wagen beschreiben können?“

„Leider nein. Und jetzt redet er gar nicht mehr.“

Carola legt mir die Hand auf den Arm. „Hören Sie, Fiona, Ihre Eltern behalten wir für eine Nacht hier. Fahren Sie zu Verwandten oder Freunden. Bleiben Sie auf keinen Fall allein. Ich gebe Ihnen meine Karte, wenn Sie möchten, können Sie mich anrufen. Jederzeit …“

Ich stecke die Karte ein, ohne einen Blick darauf zu werfen. „Danke. Jetzt möchte ich lieber allein sein.“

„Sind Sie sicher?“

„Absolut. Vielen Dank für Ihre Hilfe, Carola.“

Sie lässt mich nur ungern ziehen, das ist klar. Aber ich möchte wirklich allein sein. Trotzdem fröstelt es mich, als ich vor dem großen Haus aussteige. Irgendwie bin ich froh, dass Nicholas da ist. Er wartet in der Tür auf mich. Die Traurigkeit in seinen Augen sticht mitten ins Herz. Wortlos drücke ich mich an ihn, wütend, weil ich nicht weinen kann. Das kommt später, nachts, nach einem langen Abend vor dem Fernseher. Ich weiß gar nicht, was sich da abspielt. Ich sehe es, aber es dringt nicht bis zu meinem Bewusstsein vor. Auf dem Tisch die Flasche Wein, mit der ich mich besaufen wollte. Ich schaffe gerade mal ein Glas davon, und das bringt keine Erleichterung.

Nachts finde ich keinen Schlaf. Weinkrämpfe schütteln mich, und als ich endlich ruhiger werde, kommen die Bilder. Der zerschundene Körper auf der Bahre, die Umrisse unter dem Laken. Offene Augen, die mich anstarren, und die Hand, die nach mir zu greifen scheint. Mit einem Schrei setze ich mich auf. Durch das offene Fenster rauscht kühler Sommerwind und lässt Gänsehaut auf meiner schweißnassen Haut entstehen. Ich ziehe mir einen Morgenmantel an und setze mich auf die Fensterbank. Der Vollmond leuchtet mit gespenstischer Helligkeit und taucht den großen Garten in seltsam weißes Licht, in dem die Schatten zum Leben erweckt werden. Mit zitternden Händen zünde ich mir eine Zigarette an. In meinem Magen rumort es. Der Wein kann es nicht sein. Aber die Zigarette beruhigt mich etwas. Ein Blick auf die Uhr: halb vier. Bald werden die ersten Sonnenstrahlen die unheimlichen Mondschatten verjagen. Doch noch ist nichts davon zu spüren. Der Wind lässt die Blätter und das Gras leise flüstern, und irgendwo hebt ein Schmetterling ab. Die Nacht lebt.

„Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein Anfang“, flüstere ich. „Oh mein Gott, was für eine Scheiße!“

Als die Zigarette bis auf den letzten Tabakkrümel aufgeraucht ist, gehe ich wieder ins Bett und schlafe sofort ein.

Savage ist ungewöhnlich bleich. Er liegt in dem Krankenhausbett, die Arme über der Decke. Er habe sich seit Stunden nicht gerührt, sagte die Schwester. Seine Augen sind geöffnet, aber es gibt keine Reaktion, als ich das Zimmer betrete und leise „Hallo!“ sage. Aus unerfindlichen Gründen möchte ich wieder weinen. Ich schlucke hörbar die Tränen runter. Dafür bin ich nicht hier. Es ist so schon schwer genug.

Ich war gerade aufgestanden und noch im Nachthemd, als meine Eltern nach Hause kamen. Stumm umarmte ich Mama. Ihre Tränen schienen versiegt zu sein. Während die beiden sich ins Wohnzimmer setzten, machte ich einen starken Kaffee und servierte ihn selber. Nicholas kümmerte sich um das Frühstück, das wir schweigend einnahmen.

Erst danach sprach mein Vater mit schwerer Stimme: „Wer tötet ein Kind?“

Eine rhetorische Frage, trotzdem fühlte ich mich zu einer Antwort herausgefordert: „Jemand, der Kinder hasst.“

Mama schaute mich an, und ich hatte Mühe, den Blick nicht abzuwenden. „Kann man Kinder hassen?“

„Offensichtlich, denn sonst wäre Norman nicht tot.“ Es versetzte mir einen Stich, den Namen heute zum ersten Mal nicht nur auszusprechen, sondern auch an ihn zu denken.

„Norman ist nicht tot“, erwiderte Mama heftig. „Er ruht sich nur aus.“

Geräuschvoll schob ich den Stuhl zurück und stand auf.

„Wo gehst du hin?“, erkundigte sich mein Vater.

„Den Mörder finden.“

„Wirst du es schaffen?“

„Vielleicht.“

Meine Hand lag auf der Türklinke, als Mamas leiser Ruf mich verharren ließ. „Ja?“

„Wenn du ihn findest, töte ihn“, sagte sie. „Töte ihn.“

Ich blickte sie an. Sie meinte es ernst, sehr ernst. Ich ließ den Satz in mein Herz, wo er sich einnistete und es auf eisige Temperaturen schockgefror. Dann nickte ich und ging, um mich anzuziehen.

Savage reagiert auch nicht, als ich seine linke Hand berühre. Ich wünschte, ich könnte den Schalter in seinem Gehirn finden.

„Sava, du musst mit mir reden …“

Meine geheime Hoffnung auf ein Wunder wird bitter enttäuscht. Natürlich, Wunder geschehen nur in Märchen. Oh Gott, es ist ja noch gar nicht so lange her, da las ich selbst noch Märchen. Märchen von Prinzessinnen, die auf Sonnenstrahlen ritten und von schönen Rittern umschwärmt wurden. Kinderträume, aus denen wir bitter herausgerissen werden. Irgendwie ahnen wir ja, dass die Märchen zu schön sind, als dass sie wahr sein könnten. Aber niemand bereitet uns darauf vor, dass die Wirklichkeit so viel grausamer ist. Wohin sind die singenden Farben der unbeschwerten Zeit, als wir nur in den Tag hinein lebten? Als jeder Morgen der Anfang eines neuen, wunderbaren Tages auf dieser Welt war? Ein Marienkäfer auf der Blume war eine verzauberte Fee, die uns davonflatterte, nicht ohne uns zum Abschied zuzuwinken. All die vielen Märchen jener Jahre, Tage, sie sind nur noch immer mehr verblassende Erinnerungen, als wären sie Bilder aus dem Leben eines anderen Menschen. In dieser Welt gibt es keine Wunder, weil es sie nicht geben soll.

Draußen laufe ich dem Lieutenant in die Arme.

„Guten Morgen, Miss Carter“, begrüßt er mich freundlich.

Ich murmele etwas undeutlich in seine Richtung. Auf ihn habe ich jetzt wirklich absolut keine Lust.

„Wie geht es Ihrer Mutter?“, erkundigt sich der smart gekleidete Mann höflich.

„Den Umständen entsprechend schlecht. Wundert Sie das?“

„Nein. Entschuldigen Sie, Miss Carter. Kennen Sie den Jungen gut?“

„Ich habe ihn gelegentlich gesehen, wenn er meinen Bruder … besucht hat. Hören Sie, ich habe jetzt wirklich keine Lust, Ihre Fragen zu beantworten.“

„Das verstehe ich. Ich will Sie auch nicht länger aufhalten, aber ich hoffe, Sie werden mir die Gelegenheit zu einer Unterhaltung geben.“

„Vielleicht später. Ich muss jetzt los.“

Ich bin froh, als ich draußen die frische Sommerluft einatmen kann.

Es gibt Tage, deren herausragendstes Kennzeichen ist ihre Unvergänglichkeit. Sie werden einfach nicht alle. Jeder Blick auf die Uhr zeigt dieselbe Zeit. Du gehst langsamer, du isst langsamer, du denkst langsamer. Eigentlich sind alle Voraussetzungen gegeben, mehr aus deinem Tag zu machen. Aber wenn du dann um neun ins Bett gehst, weil du vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen stehen kannst, hast du nicht das Gefühl, überhaupt etwas getan zu haben. Du denkst nur: Du hast heute bestimmt zwei Kilo zugenommen!

Solche Tage gibt es auch, allerdings könntest du auf sie auch schmerzfrei verzichten.

Ich höre am nächsten Morgen als Erstes die Vögel. Das beruhigt mich. Der Albtraum ist vorbei. Ich stehe auf und gehe im Nachthemd in den Garten. Das taufeuchte Gras kitzelt meine Füße, und noch hat die Sonne nicht die Temperatur, die sie mittags haben wird. Es ist kurz nach sechs. Die Stille hat den Frieden des Todes, nur nicht so dunkel. Ich hocke mich neben den Teich und betrachte die Enten. Wie immer halten sie einen sicheren Abstand zu mir ein. Eigentlich würde ich sie gern streicheln. Aber wahrscheinlich hätte ich auch was dagegen, wenn ein 20 Meter großes Wesen mich streicheln wollte.

Ich bin keine Frühaufsteherin, vermutlich ist mein Verstand gerade deswegen besonders klar heute Morgen. Sofern mein Verstand jemals ein Stadium der Klarheit erreichen kann. Ich laufe in mein Zimmer und suche den Schlüssel für die Schatzkiste. In der Schatzkiste habe ich vor Jahren mal meine größten, wichtigsten Schätze versteckt. Alles Dinge, die mir mal viel bedeutet haben, deren Magie sich aber im Verlauf meiner Kindheit verloren hat.

Nur darum finde ich schnell, was ich suche. Die anderen Dinge, darunter die früher so wertvolle, zerschlissene Puppe, die ich von der Oma geschenkt bekommen habe, werfe ich achtlos zur Seite. Nur dieses Buch, das betrachte ich mit gemischten Gefühlen. An das, was darin beschrieben ist, glaube ich schon lange nicht mehr. Und der gestrige Tag war auch nicht gerade dazu angetan, daran etwas zu ändern.

Ich dusche und ziehe mich an. In der Küche begegne ich meinem erstaunten Vater.

„Was ist denn mit dir los? Wir haben Sonntag.“

„Ich war gestern früh im Bett. Bis später.“

Anscheinend hat sich bei Savage nicht viel geändert. Außer, dass ein ganzer Tag oder ein Jahr vergangen ist. Ich ziehe einen Stuhl zum Bett und setze mich. Dann lege ich das Buch auf den Tisch.

„Ich habe dir was mitgebracht, Sava.“

Es ist, als würde ich mit der Wand sprechen. Ich lehne mich zurück und warte. Das kann ich zur Not auch. Dabei lasse ich den Blick schweifen, sehe aber nichts. Nichts von der realen Welt. Es gab eine Zeit, da sah man Norman oft bei CSE. Das hat dann aber nachgelassen, und ich frage mich unwillkürlich, warum eigentlich. Norman liebte Computer, die Spiele, die noch in Entwicklung waren. Er war ein begeisterter Hobbytester. Gewesen. Gewesen. Gewesen. Fiona, er ist tot. Er wird nichts mehr testen. Gibt es Gott? Scheiße, Fiona, das ist eine Falle! Natürlich fragen sich in so einer Situation selbst gläubige Menschen, ob es Gott geben kann. Warum sollte Gott einen Dreizehnjährigen auf diese brutale Weise zu sich holen? Dabei lautet die richtige Frage: Ist Gott wirklich so?

„Was?“

Außer dem Mund des Jungen hat sich nichts bewegt. Ich habe Mühe, mein Erschrecken und dann meine Freude zu kaschieren. Meine Stimme klingt belegt, als ich antworte.

„Ein Buch.“

Wieder kommt eine lange Pause, aber nicht mehr so lang wie vorhin.

„Was ist drin?“

„Geschichten und Bilder.“

„Schöne Geschichten?“

„Sehr schöne. Von Engeln, die den Menschen Glück und Freude bringen.“

„Bist du auch ein Engel?“

„Ich glaube es nicht. Sehe ich wie ein Engel aus?“

„Ich glaube schon. Nur die Flügel kann ich nicht sehen.“

„Die nehme ich ab, wenn ich bei den Menschen bin.“

„Warum?“

„Na ja, ich denke, dass die meisten Menschen sonst Angst vor mir hätten. Sie sind es nicht gewohnt, dass Engel um sie herumschwirren.“

„Sind Engel denn nicht eigentlich unsichtbar?“

„Normalerweise sind sie es. Aber sie können sich den Menschen auch zeigen, wenn sie wollen. Manchmal ist es wichtig, dass die Menschen akzeptieren: Es gibt Engel.“

„Der Glaube müsste reichen.“

„Glaube ist so eine Sache. Ein Gefühl. Wenn dieses Gefühl ganz, ganz tief aus dem Herzen kommt, dann ist es Glaube. An was glaubst du denn, Nor… Sava?“

Verflucht! Ich schließe die Augen und kämpfe um meine Fassung. Als ich sie wieder öffne, merke ich, wie Savage mich anschaut.

„Engel weinen nicht“, sagt er ruhig.

„Vielleicht doch …“

„Engel weinen nicht.“

„Auch Engel können Gefühle haben. Es ist nicht verboten, etwas zu fühlen.“

„Ich bin müde, Engel. Komm morgen wieder.“

„In Ordnung, Sava. Das Buch lasse ich dir hier, okay?“

„Okay.“

Draußen werde ich vom Arzt in Begleitung einer Krankenschwester abgefangen.

„Er hat mit Ihnen geredet?“, fragt er. „Wie haben Sie das geschafft?“

„Ich habe versucht, mich in eine Kinderseele hineinzuversetzen. Und mich dabei an das erinnert, was mir vor zehn Jahren wichtig war. Ich schätze, Savage war nie weit weg, sonst hätte mein primitiver Trick nicht geholfen. Allerdings ist es noch nicht geschafft.“

„Aber es ist ein ernstzunehmender Fortschritt. Kommen Sie morgen wirklich wieder?“

„Natürlich. Ich habe es ja versprochen. Oder möchten Sie das nicht?“

„Doch, ich finde es sehr gut. Ich freue mich, dass es noch Menschen gibt, die nicht nur sich selbst und die eigenen Interessen sehen. Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie nur Bescheid, Miss Carter.“

„In Ordnung.“

Im Auto wird mir bewusst, was für ein Arschloch ich bin. Und wie ich nur mich selbst sehe! Dass dabei Sava geholfen wird, ist zwar gut, aber nur ein Nebeneffekt. Doch Rache ist mein Antrieb, nicht Altruismus. Wo sind bloß die Flügel?

Ich fahre nach Hause, hole meine Sportsachen und fahre anschließend zum Training. Nachdem ich den Sandsack verprügelt habe, bis meine Hände rot wie gekochte Krebse sind und die Schienbeine brennen, geht es mir etwas besser. Einige der anderen Trainierenden und die Trainer wissen, was mit mir los ist. Normalerweise würde mein Verhalten nicht geduldet werden, unter diesen Umständen sagen sie nichts. Kredit.

Trotz des Sommers ist es schon fast dunkel, als ich das Sportcenter verlasse. Auf dem Parkplatz begegne ich Mike, einem jungen Chinesen, dem schon einige Male ein Trainerjob angeboten wurde. Chinesen sind keine schlechten Liebhaber, aber Mike hat ein Problem damit zu verstehen, dass ich nicht in ihn verliebt bin.

„Was gibt es?“, begrüße ich ihn, in der Hoffnung, dass ihm das direkt einen Dämpfer verpasst.

„Ich wollte mich erkundigen, wie es dir geht“, erwidert er beherrscht. „Wir haben uns schon einige Tage nicht gesehen.“

„Das kann sein. Du wirst dich daran gewöhnen.“

„Einfach so? Ein, zwei tolle Ficks, erledigt?“

„Hast du ein Problem damit?“

„Irgendwie schon. Die Mentalität dahinter verstehe ich nämlich nicht. Mit jemandem ins Bett gehen nur wegen des Sex?“

„Weswegen sonst? Doch nicht wegen der Liebe. Sex und Liebe können zusammen kommen, sie müssen aber nicht. Ich war noch nie verliebt, Mike. Vielleicht kommt es irgendwann mal. Aber nicht jetzt, nicht mit dir. Sorry.“

„Du tust mir leid, Fiona. Ehrlich. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist nur eins von diesen reichen Flittchen, deren Emotionschip einen Kurzschluss hat.“

„Was bin ich dann?“

„Keine Ahnung. Einer wie dir bin ich noch nicht begegnet.“

„Immerhin. Lässt du mich jetzt fahren?“

Er geht zur Seite. „Als wenn ich dich halten könnte. Gibt es eigentlich jemanden, den du über dir akzeptierst?“

„Nur beim Vögeln. Gute Nacht, Mike. Such dir lieber ein anständiges Mädchen.“

Ich gebe Vollgas beim Anfahren. Die 6 Zylinder des BMWs lassen die Räder durchdrehen, bevor die Antischlupfregelung greift und den Wagen nach vorne schießen lässt. Wenn ich, wie jetzt, nicht richtig entspannt bin, leidet jedes Mal mein Fahrstil darunter. Das bedeutet: Fährt ein normal fahrender Mensch mit 60 durch die Kurve, nehme ich entspannterweise selbige mit 80 und in schlechter Laune mit 120. Nun hat ein tiefergelegter 3er BMW mit 3-Liter-Maschine sicherlich eine recht ordentliche Straßenlage, aber auch dieser Wagen muss sich an die Gesetze der Physik halten.

Andererseits, wer will schon ewig leben? Für ein bisschen Spaß kann man auch schon mal zwei Sätze Reifen verschleißen, während andere nur einen brauchen. Wäre ich altruistisch veranlagt, würde ich darüber nachdenken, dass ich am Steuer eines solchen Autos das Leben meiner Mitmenschen in Gefahr bringen könnte. Aber ich bin es nicht, auch wenn ich vor Schulen und Kindergärten grundsätzlich abbremse. In 5 Jahren habe ich noch keinen einzigen Unfall gebaut. Und darauf bin ich sogar stolz. Nur ob es mein Verdienst oder der meines Schutzengels ist, das konnte ich bislang noch nicht entscheiden.

Ich stelle den Wagen direkt vor dem Haus ab. Nicholas kann ihn wegfahren, wenn er stört, der Schlüssel steckt. Ich schleiche mich am Wohnzimmer vorbei und befinde mich schon halb auf der Treppe, als der Schatten meines Vaters in der mächtigen Tür erscheint.

„Du warst lange weg, Fiona.“

„Bin auch schon lange volljährig, Vater.“

„Schon gut, lass uns nicht darüber diskutieren.“

„Einverstanden, ich gehe schlafen.“

„Ich möchte aber trotzdem mit dir reden.“

„Worüber?“, erkundige ich mich misstrauisch.

„Nicht hier auf dem Flur. Komm bitte in den Salon.“

Ich denke nur kurz darüber nach, genau das nicht zu tun. Dann beschließe ich, so was wie Gehorsam vorzutäuschen und folge ihm. Er ist allein. Mama schläft wahrscheinlich schon. Von der Bar hole ich mir eine Whiskyflasche, die nicht mal halbvoll ist, und setze sie an den Mund.

„Fiona!“

„Was? Du wolltest mit mir reden, oder?“

„Was ist los mit dir? Die Ereignisse nehmen uns alle mit. Aber du verschwindest morgens aus dem Haus und kommst bei Dunkelheit wieder …“

„Ich habe trainiert!“

„Ja, immer dieses übertriebene Training! Kannst du nicht wenigstens jetzt mal darauf verzichten?“

„Gerade jetzt brauche ich es. Vater, darauf habe ich keinen Bock. War das alles, weswegen du mich sprechen wolltest? Dann gehe ich jetzt nämlich ins Bett!“

„Nein, obwohl es da einiges zu bereden gäbe. Verdreh nicht die Augen! Dein Lebensstil ist sehr unvernünftig. Auch wenn du als Alibi den Trainee spielst, vergeudest du dich und deine Lebenszeit. Aber das zählt jetzt vielleicht gar nicht mal so viel. Hör zu, wie ernst nimmst du die Bitte deiner Mutter?“

„Ich werde das Schwein töten.“

„Das habe ich befürchtet. Und dann wegen Totschlags ins Gefängnis gehen? Das ist es nicht wert. Der Mörder wird seine gerechte Strafe auch so bekommen.“

„Denkst du das wirklich?“ Ich bin sauer, darum zünde ich mir auch noch eine Zigarette an. „Auf welchem Jupitermond lebst du denn? Glaubst du ernsthaft, unsere Gerichte sind in der Lage, Gerechtigkeit zu sprechen? Als wenn sich Gerechtigkeit in von Menschen ausgesprochenen Maßstäben messen ließe! Justiz war und ist das Instrument der Mächtigen. Und dass du zu den Mächtigsten dieses Landes gehörst, macht es nicht einfacher, okay? Schon mal gar nicht für mich.“

„Du übertreibst ein wenig. Es gibt weit einflussreichere Männer in diesem Staat als mich …“

„Und wenn schon! Von der sogenannten Gerechtigkeit der Gerichte eines welchen Staates auch immer brauchst du nicht viel zu erwarten, wenn es darum geht, einen objektiven Maßstab anzulegen …“

„Und du verfügst über diesen Maßstab, ausgerechnet du, ein junges Mädchen, die Tochter von einem aus dem Establishment?“

„Ich bin kein junges Mädchen, sondern eine erwachsene Frau! Wann akzeptierst du das endlich?“

„Sobald du dich auch so benimmst.“

„Na super! Was muss ich dafür tun? Den Nobelpreis im Erwachsensein bekommen? Vergiss es. Eigentlich ist es mir sowieso scheißegal, was du über mich denkst. Was willst du überhaupt von mir?“

Mich schlagen, zumindest sieht er für einen Moment ganz danach aus. Ich weiß nicht, was ihn letztendlich davon abhält. Angst vor mir? Sicher, ich könnte ihn in wenigen Sekunden völlig schachmatt setzen. Rein technisch gesehen. Ob ich das wirklich wollte oder täte, steht auf einem gänzlich anderen Blatt. Er weiß das wahrscheinlich auch, also hält ihn etwas anderes davon ab, mir eine Ohrfeige zu verpassen. Und da er offenbar nicht so genau weiß, was er mit seinen Händen machen soll, holt er seine Pfeife hervor, stopft sie umständlich und zündet sie an.

Dies dauert etwa fünf Minuten. In dieser Zeit habe ich die Flasche geleert. Besser fühle ich mich nicht.

„Ich möchte, dass du mir versprichst, die Finger von Polizeiarbeit zu lassen“, sagt er schließlich, als ich schon längst vergessen habe, was ich ihn gefragt habe. Dass ich ihn überhaupt etwas gefragt habe …

„Du meinst, ich soll nicht versuchen, den Mörder zu finden und zu richten?“

„Wie sich das anhört!“, ruft mein Vater angewidert aus. „Du bist keine Richterin, außerdem ist es etwas vermessen zu glauben, du könntest besser sein als die Polizei.“

„Das ist nicht nur eine Frage von Bessersein. Die richtigen Informationen sind wesentlich wichtiger. Wer sie hat, ist am Drücker.“

„Welche Informationen hast du, an die die Polizei nicht auch rankommt? Hast du vielleicht ein supergeheimes Spionagesystem entwickelt? Oder hast du dich irgendwo reingehackt? Etwa beim FBI? Vielleicht kannst du ja eine Verschwörung aufdecken, in derem Rahmen Norman ermordet wurde, weil er zu viel von der geplanten Invasion der Marsmenschen wusste?“

„Okay, ich gehe jetzt ins Bett.“

„Allein, ausnahmsweise?“

„Meinst du nicht, du solltest mir wenigstens die Fotze lassen, wenn du schon Anspruch auf mein Gehirn erhebst?“

„Wie wäre es mit einer etwas zivilisierteren Ausdrucksweise?“

„Fotze ist ein Abfallprodukt der Zivilisation. Kein Naturvolk nennt das weibliche Geschlecht so, okay? Gute Nacht!“

Er hat es wieder geschafft! Ich liege heulend im Bett und wache am nächsten Morgen angezogen auf.

„Er hat nach Ihnen gefragt“, teilt mir die diensthabende Schwester ungefragt mit, als ich im Krankenhaus antanze.

„Hat er auch gesagt, warum?“

„Nein. Er hat nur gefragt, wann Sie kommen.“

„Das ist aber immerhin mehr als vorher.“

„Haben Sie ein Berufsgeheimnis? Oder teilen Sie uns mit, wie Sie das geschafft haben?“

„Es ist ein Berufsgeheimnis.“

Savage liegt scheinbar genauso da wie gestern. Das Buch neben ihm auf dem Schrank. Als ich jedoch leise „Hallo“ sage, da dreht er den Kopf und schaut mich an.

„Endlich.“

„Hast du etwa auf mich gewartet?“

„Vielleicht.“

„Vielleicht ist keine Antwort.“

„Sind Engel so? Ja oder nein? Nichts dazwischen? Ich liebe Farben. Und ich liebe Engel. Einen Engel.“

Ich verspüre den innigen Wunsch, mich irgendwo zu setzen. Es kostet Kraft weiterzumachen.

„Engel sind dazu da, um geliebt zu werden. Liebe ist etwas Schönes.“

„Engel sieht man aber erst, wenn man tot ist.“

„Das ist nicht wahr. Du siehst mich doch.“

„Ich bin tot.“

„Du bist nicht tot, Sava. Vielleicht wünscht du es dir, tot zu sein. Aber du lebst. Sonst wäre ich nicht hier.“

„Hast du Angst vor den Toten?“

„Nein, aber ich mag mehr bei den Lebenden sein. Der Tod ist ziemlich langweilig, weißt du.“

„Kennst du das Lied, in dem es heißt, dass wir noch so jung sind, aber schon daran denken, von dieser Welt zu fliehen?“

„Natürlich. Ein sehr trauriges Lied, traurig-schön. Es gibt andere, fröhlichere Lieder.“

„Ich mag dieses Lied sehr. Diese Welt ist so grausam. Oder sehe ich aus wie ein Gewinner? Wenn du ein Engel bist, besorgst du mir einen CD-Player und diese CD. Schaffst du das?“

„Natürlich …“

Ich fahre in die Stadt und kaufe einen Discman und einige CDs. Auch diese CD. Ich setze mich in ein Eiscafé und höre mir das Lied an, immer wieder. Es ist ein grausames Lied. Wie viele Teenager haben sich deswegen wohl umgebracht? Meine Gedanken schweifen ab. Können Engel wirklich fliegen, über den Wolken, die Menschen, klein wie Ameisen, unter sich beobachten, wie sie ihr kümmerliches Leben leben, an ihren Idealen hängen und nicht ahnen, wie bedeutungslos sie doch in Wirklichkeit sind? Ich wünschte, ich könnte ein Engel sein. Engel, lern fliegen …

„Signorina, ist alles in Ordnung?“

Mir wird plötzlich bewusst, dass der italienische Kellner schon mehrmals diese Frage gestellt hat. Ich nehme den Kopfhörer ab und schaue ihn seufzend an, meine Tränen abwischend. Dann nicke ich. Ich fürchte, meine Stimme habe ich nicht unter Kontrolle.

Ich laufe durch die Innenstadt, völlig orientierungslos. Mein Kopf ist leer. Was ist bloß los mit mir? Kann ein Lied einen Menschen derart durcheinanderbringen? Komm schon, Fiona, mach dir nichts vor! Es ist nicht das Lied, es ist dein Leben! Dieses scheißverfluchte Leben, das Lied bringt es dir nur in Erinnerung. 23 sinnlose Jahre liegen hinter dir, und das tut weh, verdammt weh! OK, ändere es doch!

Niemand ändert sein Leben einfach so. Will ich das wirklich, wirklich, wirklich? Brücken könnten dabei abbrennen, und das gemächliche Bächlein würde vielleicht zu einem reißenden Fluss. Von Krokodilen zerfetzt zu werden, ist bestimmt nicht so angenehm. Und doch, es ist so schön und beruhigend, im stillen Wald zu stehen, die Füße vom ruhigen Wasser umspült, Sonnenschein dringt durch das Laub und dann der Gesang der Vögel. Irgendwo sind vielleicht die Wolken, irgendwo donnert und blitzt es wahrscheinlich, aber hier, hier ist paradiesische Ruhe. Das willst du aufgeben? Diese idyllische Langeweile? Närrin …

Meine Hand zittert beim Anzünden der Zigarette. Ich fahre nach Hause, nehme eine volle Whiskyflasche mit auf mein Zimmer und mache sie innerhalb einer Stunde knochentrocken. So bleibt mir wenigstens keine Erinnerung an den Rest des Tages.

Beim Frühstück sehe ich meinen Vater wieder. Er mustert mich mit einem undefinierbaren Blick. Ich weiß schon, wieso. Genauso starrte mich das Mädchen im Spiegel an. Eine Flasche Whisky hinterlässt grausame Spuren. Da hilft auch keine kalte Dusche.

„Wird das jetzt zu deiner Angewohnheit?“, erkundigt er sich.

„Vater, lass das. Ich bin auch so schon beschissen genug drauf.“

„Das nennt man Kater.“

„Darauf kann ich wirklich verzichten! Herzlichen Dank für dein Mitgefühl!“

Arschloch! Vor Erregung schmeiße ich die Tasse mit der Milch um, aber es ist mir so egal. Ich hole den Discman und die CDs und fahre ins Krankenhaus. Zu dem Jungen, der an Engel glaubt. Der an das Schöne im Tod glaubt. Verflucht. Ästhetik des Todes, so ein Blödsinn! Tod ist immer grässlich, ich habe es gesehen. Wenn du in die gebrochenen Augen eines toten Dreizehnjährigen geschaut hast, dann wirst du nie wieder denken, der Tod hätte etwas mit Ästhetik zu tun.

Savas Augen leuchten heller als Supernovas, als ich ihm den CD-Player und die CDs auf das Bett lege. Mit freudiger Erregung legt er eine CD, die CD, in das Gerät, stülpt sich den Kopfhörer über und drückt den PLAY-Knopf. Sein Gesicht erstrahlt, während er zurückgelehnt die Musik hört. Ich trete derweil ans Fenster und schaue hinaus.

Oh ja, die Welt ist grausam. Und wie viele kommen auf die Welt, um als Verlierer geboren zu werden? Fragt sich nur, wer die größeren Verlierer sind: Diejenigen, die sterben, oder diejenigen, die überleben? Der Himmel ist wolkenverhangen. Keine dunklen Regenwolken, die in einem die verborgenen Todessehnsüchte wecken können. Leicht gräulich, fast so, als würden sie eigenes Licht abstrahlen. Jemand, vielleicht Gott, hat einen Vorhang über die Erde gelegt. Er hätte besser schwarzen Stoff genommen.

Oh ja, die Welt ist grausam.

Aber nicht grausamer als der Tod.

Ich wende mich an Sava. Er beobachtet mich.

„SEV-09-6“, sagt er.

„Bitte?“ Ich brauche einen Moment. Sava wiederholt nicht. Ich tu das für ihn. „SEV-09-6?“

Sava nickt. „Lass mich allein, Engel. Du musst fliegen.“

„Brauchst du noch etwas?“, erkundige ich mich.

„Du weißt, was ich brauche“, lautet seine geheimnisvolle Antwort, und mehr lässt er auch nicht aus sich herauskitzeln.

Ich fahre nach Hause, dabei mute ich meinem Gehirn eine ungewohnte Tätigkeit zu: Nachdenken. Eigentlich müsste ich mit meiner Information zur Polizei gehen. Doch was dann? Sie vernehmen den Mann, vielleicht gibt er einen Unfall zu und dass er den Kopf verloren hat. Er geht dafür nicht einmal ins Gefängnis. Die Alternative: Ich versuche selbst rauszufinden, wem das Auto mit diesem Kennzeichen gehört. Und dann? Da fällt mir nur noch mein Versprechen ein.

Das erste Problem ist, den Halter zu ermitteln. Meine Bekanntschaften bei der Polizei sind nicht gerade zahlreich. Und ich kenne keinen einzigen Polizisten oder einen Verwaltungsangestellten, der für mich die nötigen Informationen auf inoffiziellem Wege besorgen würde. Aber … vielleicht kenne ich doch jemanden, der zumindest die richtigen Leute ansprechen kann. Ob er dies auch tut, steht auf einem ganz anderen Blatt. Es ist zumindest einen Versuch wert.

Ich schleiche mich ins Haus, damit keiner mich sieht, auch Nicholas nicht. Meine Eltern scheinen gar nicht da zu sein, zumindest steht der große BMW nicht in der Garage. Ich ziehe mich um. Kurze Hosen, bauchfreies Top, Sportschuhe. Zumindest verbessert das meine Chancen. So hoffe ich es. Dann begebe ich mich in meine Sonnenecke. Hier pflege ich mich nackt zu bräunen. An zwei Seiten von Bäumen verdeckt, auch vom Haus her ist der Platz versteckt; die Nachbarsgrundstücke sind auch weit weg. Bis auf eins, aber das ist in diesem Fall sogar ein Vorteil. Ich schwinge mich über den Zaun und bahne mir meinen Weg durch das Gestrüpp zum Haus hin, das deutlich kleiner ist als unseres. Dafür wohnen auch nur zwei Menschen darin.

Leslie Flame ist eine alte Schulfreundin von mir. Jetzt studiert sie Wirtschaftswissenschaften, was sie in den Augen meines Vaters zu einem vollwertigen Menschen macht, im Gegensatz zu mir. Ihr Vater, James, der sie allein erzieht, war zehn Jahre beim Geheimdienst und verfügt angeblich über einige Kontakte, immer noch. Jetzt arbeitet er als Immobilienmakler, insbesondere für Geschäftsklientel. Er gehört zu den wenigen Glücklichen, die einen sauberen Ausstieg geschafft haben.

Übrigens ein Mann wie aus dem Bilderbuch. Obwohl er langsam auf die 50 zugeht, sieht er noch aus wie die Jungs aus der Marlbororeklame. Klasse! Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum er einer der ersten Männer war, mit denen ich geschlafen habe. Vor 7 Jahren. Ich war damals minderjährig, eine Tatsache, die er immer im Hinterkopf behalten musste, wenn ich ihn um kleine Gefallen bat.

Er hockt jetzt neben der Terrasse und versucht, bunten Blumen Leben einzuhauchen. Ich nähere mich ihm leise bis auf wenige Schritte und räuspere mich. Er fährt so heftig herum, dass ich unwillkürlich zurücktrete. Nachdem er mich erkannt hat, lässt er die kleine Harke sinken und atmet tief durch.

„Du bist etwas wahnsinnig, junge Dame“, sagt er mit seiner tiefen, leicht vibrierenden Stimme. Vielleicht vibriert aber auch nur mein Gehirn.

„Ähm … ich hatte eigentlich nicht vor, dich zu erschrecken. Deine heftige Reaktion hat mich überrascht…“

„Na schön. Wenn du zu Leslie willst, sie ist an der Uni.“

„Ich wollte aber nicht zu Leslie.“

„Aha.“ Er mustert mich gründlich, und ich überlege, vielleicht doch lieber zur Polizei zu gehen. „Meinst du nicht, es ist doch irgendwann mal verjährt?“

„Äh … irgendwie schon … ich meine … hör zu, dieses eine Mal noch, danach lasse ich dich in Ruhe. Aber es ist sehr wichtig für mich. Und ich brauche nur eine Information von dir.“

„Soso … und deswegen läufst du rum wie eine Nutte?“

Vermutlich werde ich tatsächlich rot, entgegen meinen sonstigen Angewohnheiten.

„Wir haben Sommer …“

„Dreh dich mal um.“

„Wieso?“

„Ich vermute, deine Arschbacken hängen raus …“

„Die Hose ist etwas knapp geschnitten“, gebe ich zu. „Schau nur in meine Augen.“

Jetzt schmunzelt er doch. „Damit du mich hypnotisieren kannst?“

„Komm schon, du musst zugeben, dass ich eigentlich nie irgendwie unverschämt in meinen Forderungen war. Es waren eher Gefälligkeiten, um die ich dich gebeten habe.“

„Ja, aber mit sehr viel Nachdruck.“

„Na ja. Ich habe mich aber auch immer erkenntlich gezeigt.“

„Wie man es nimmt.“

„Hat dir mein Kuchen nicht geschmeckt?“

„Lassen wir das Thema. Was soll ich für dich tun?“

„Ich habe ein Kennzeichen und weiß nicht, wer der Halter des zugehörigen Autos ist. Das möchte ich ändern.“

„Wie kommst du darauf, dass ich dir dabei helfen kann?“

„Ich hoffe es. Es ist mir wirklich sehr wichtig.“

„Was ist das für ein Auto? Wurde Norman damit getötet?“

„Ja.“

„Dann kann die Polizei dir sagen, wem es gehört.“

„Die wissen nicht, dass ich das Kennzeichen habe.“

„Fiona, das ist kein gutes Spiel. Du bringst dich in eine Situation, aus der du nicht mehr ohne Blessuren rauskommst. Was genau hast du vor, wenn ich dir die Information gebe?“

„Ist das wichtig?“

„Vielleicht ist es besser, wenn ich es nicht weiß. Warte hier!“

Er geht ins Haus, zum Telefonieren. Ich schaue mir die Blumen an. Der geborene Gärtner ist er nicht. Am liebsten würde ich mich hinhocken und selbst Hand anlegen. Aber es ist sein Garten. Ich sollte einfach nicht mehr herkommen. Er ist wütend auf mich, und eigentlich ist das auch gerechtfertigt. Seit sieben Jahren komme ich gelegentlich vorbei und will was von ihm, dafür, dass er damals einmal ran und rein durfte. Ausgeglichen ist das wirklich nicht. Okay, das ist das letzte Mal. Aber auf diese Information kann ich nicht verzichten.

Als er zurückkommt, drückt er mir meinen Zettel mit dem Kennzeichen in die Hand. „Hier. Von mir hast du das nicht.“

„Danke. Ich verspreche, ich werde dich nicht mehr belästigen.“

„Wir werden sehen.“

Ich nehme denselben Weg zurück, den ich gekommen bin. In unserem Garten angekommen, werfe ich endlich einen Blick auf den Zettel. Charles Brodwich. Den Namen wird es nicht allzu oft geben. Ich werde im Internet auch schnell fündig. Die Adresse ist allerdings nicht gerade vertrauenserweckend. Anderson Road geht quer durch Center Village, das schon lange nicht mehr das blühende Zentrum von Skyline ist. Im Gegenteil. Dorthin ziehen zu müssen bedeutet einen echten sozialen Abstieg.

Ich fahre also nach Center Village, voller Hoffnung, dass ich auch mit meinem eigenen Wagen wieder da rausfahren werde. Die Adresse von Brodwich sieht gar nicht mal heruntergekommen aus. Den Wagen sehe ich allerdings nirgendwo, was aber nichts bedeuten muss. Er wohnt im dritten Stock eines Mietshauses, dessen Glanzzeit schon lange vorbei ist. Im Flur riecht es nach verbranntem Essen und Moder. Hinter der Nachbarstür schreien Kinder.

Auf mein Klingeln hin geht Hundegebell los, aber niemand öffnet. Nach dem zweiten Klingeln und wildem Gebell in höchster Lautstärke und wechselnden Frequenzen, reißt jemand die Tür der Nachbarswohnung auf und eine Frau, die ihre Glanzjahre ebenfalls schon hinter sich hat, schreit mich an, ob ich nicht mal langsam kapieren würde, dass das dämliche Arschloch nicht da ist.

„Wo könnte ich ihn denn finden?“

Sie mustert mich. Mir wird bewusst, dass es wohl besser gewesen wäre, wenn ich mich umgezogen hätte.

„Wenn er sich ein Flittchen bestellt, könnte er wenigstens da sein“, meint sie schließlich. „Versuch es bei Derek. Da treibt er sich oft rum.“

„Wo ist das?“

„Du kennst dich hier wohl überhaupt nicht aus? Die Straße nach rechts, an der dritten Ecke auf der linken Seite. Ich würde da allerdings an deiner Stelle nicht hingehen. Nicht so.“

„Danke.“ Auf der Straße atme ich erst mal tief durch. In Filmen sieht so was immer viel einfacher aus. Ich fahre die kurze Strecke zur Kneipe. Davor steht auch ein Geländewagen. Ich betrachte seine Rückfront. Wenn Blut daran geklebt hat, dann wurde es sorgfältig wieder entfernt. Überhaupt sieht der Wagen wie neu poliert aus. Ich kann mir schon denken, warum.

Mein Herz klopft wie wild, als ich die Kneipe betrete, die nach dem gleißenden Sonnenlicht wie eine Dunkelkammer wirkt. Ich bleibe ein paar Sekunden stehen, um mich daran zu gewöhnen.

Es sind mit dem Wirt etwa neun Männer in der Kneipe, auf zwei Gruppen verteilt. Kein einziger davon sieht so aus wie mein Traummann. Sie sind sogar meilenweit davon entfernt. Neun Augenpaare starren mich unverhohlen an. Am liebsten würde ich umkehren und davonlaufen. Wahrscheinlich können sie gegen das Licht jedes einzelne meiner Schamhaare sehen.

Ich gehe betont unaufregend zur Theke. „Ein helles Bier!“

„Bier?“, fragt der Wirt nach.

„Ja. Hast du keins?“

Statt einer Antwort greift er nach einem Glas und zapft. Links und rechts von mir sitzt jeweils eine Gruppe, und in einer davon Charles Brodwich. Ich widerstehe der Versuchung, erraten zu wollen, wer es ist. Als der Wirt mir das Bier vor die Nase stellt, trinke ich die Hälfte auf einen Zug. Trotz Klimaanlage im Auto habe ich einen höllischen Durst.

„Ich dachte immer, um diese Zeit schlafen sich Nutten aus“, bemerkt einer der Männer und erntet damit großes Gelächter. „Aber vielleicht wurde sie letzte Nacht nicht so gefordert!“

Scheiße. Darauf muss ich reagieren, und zwar richtig.

Ich drehe den Kopf, bis ich ihn direkt anschauen kann. „Halt die Schnauze.“ Ganz sicher bin ich mir zwar nicht, ob das die richtige Reaktion war, aber … mal schauen.

Dass es doch die falsche Reaktion war, zeigen mir die Gesichtsausdrücke der anderen Männer. Auch der Sprecher, der nicht eben klein und schwächlich wirkt, zeigt Anzeichen von Gewaltbereitschaft. Als Mann wäre ich schon mitten in einer Prügelei, einer Hure geht ‚Mann‘ wohl nicht ganz so schnell an die Kehle. Aber ich bin ja Großmeisterin im Provozieren, selbst wenn ich es gar nicht möchte.

„Kleine, ich würde mich an deiner Stelle verpissen“, sagt der Wirt jovial.

„Danke der Fürsorge, ich kann selbst auf mich aufpassen.“

„Ach, wirklich?“ Der große Mann kommt näher. „Und wie machst du das? Mit deinen beiden Waffen? Sie sind ein bisschen zu klein geraten, um als Totschläger benutzt zu werden.“

„Machst du dich über meine Titten lustig, Arschloch?“ Ein Teil meines Ichs beobachtet mit wachsender Sorge, wie ein anderer Teil zunehmend Gefallen an der Situation gewinnt.

„Sagtest du Arschloch?“

„Laut und vernehmlich …“

Arme wie Schraubstöcke packen mich an den Schultern und heben mich mühelos in die Höhe, bis meine Füße den Boden nicht mehr berühren.

„Sei froh, dass du nur eine armselige Nutte bist. Nur darum kriegst du eine Chance. Verpiss dich aus der Gegend, okay? Ich will dich hier nie wieder sehen.“

Als er mich fallen lässt, zupfe ich mein Top zurecht. Am liebsten würde ich der Aufforderung Folge leisten, aber der vorsichtige Teil in mir ahnt, dass es nicht so leicht sein kann.

„Ich bin hier noch nicht fertig“, hört dieser Teil aus meinem Mund. „Ich suche Charles Brodwich.“

„Was willst du von ihm? Das Einzige, was er mit Weibern macht, ist durchficken!“ Natürlich erntet er herzhaftes Lachen.

„Er hat meinen Bruder mit seinem Auto getötet. Dafür kommt auch er nicht ungestraft davon.“

„Was habe ich getan?“ Brodwich ist also in der anderen Gruppe. Ein glatzköpfiger, sehniger Mann mit tätowierten Armen. Er trägt eine Jeansweste und eine schwarze Armeehose. „Du spinnst wohl völlig!“

„Dein Auto wurde eindeutig erkannt“, erwidere ich.

„Bist du ein Cop? Wo ist deine Verstärkung?“

„Ich brauche keine Verstärkung. Leute, das hat mit euch nichts zu tun. Lasst mich das in Ruhe mit diesem Mistkerl ausdiskutieren …“

„Schmeißt sie raus“, sagt Brodwich verächtlich und wendet sich ab.

Der große Mann kommt wieder auf mich zu. Ich sorge mit einem Seitwärtskick dafür, dass er in einem Bogen zurückfliegt und bei der Landung Stühle und einen Tisch zerdeppert. Nach einer Schrecksekunde versuchen gleich zwei andere Jungs, mich zu packen. Ich weiche dem Ersten aus, den anderen stoppt ein Fußtritt in die Magengrube nachhaltig. Dann kümmere ich mich um den Ersten, der erneut meine Kreise stört. Sprung, zwei Tritte in schneller Folge, einer gegen die Nase, der zweite gegen das Kinn. Er wird von der Theke unsanft aufgehalten, doch sein Schwung sorgt dafür, dass er einen Purzelbaum rückwärts schlägt.

Der Rest ist allerdings auch nicht untätig geblieben. Ein Tischbein trifft mich mit einem klatschenden Geräusch am nackten Bauch, ein zweiter Schlag erwischt meine Backe und sorgt für einen Flug mit harter Landung. Das kostet wohl Zähne. Ich bleibe benommen liegen. Immerhin, drei von den Kerlen haben Tuchfühlung mit mir gehabt. Das ist gar keine schlechte Bilanz.

Jemand zieht mich von hinten hoch und hält mich fest, die Arme auf den Rücken gedreht. Vor meinem verschleierten Blick erscheint Brodwich.

„Das war beeindruckend“, sagt er grinsend. „Wir haben also Karate gelernt. Dann wollen wir mal sehen, welche sonstigen Qualitäten du hast!“

Seine Hände bewegen sich in Richtung meiner Brüste, mein Fuß in Richtung seiner Eier, nur wesentlich schneller. Er klappt förmlich zusammen. Mein anderer Fuß schnellt hoch, an meinem Kopf vorbei. Er wird von der Nase des Jungen gestoppt, der mich festhält. Mit einem Aufschrei taumelt er zurück und lässt mich dabei los. Ich fahre herum und lasse aus diesem Schwung heraus einen Tritt gegen seine Rippen los. Das setzt ihn endgültig außer Gefecht.

Bleiben nur vier Weitere.

Ich mache einen Satz zur Seite, rolle mich ab und lande neben dem zertrümmerten Tisch. Mit einem Tischbein in der Hand richte ich mich auf, alle potenziellen Gegner im Blickfeld. Sie kommen gleichzeitig, fächerartig verteilt auf mich zu. Tausendmal geübt, allerdings ohne Gegner. Die Wirklichkeit ist immer etwas anders. Also ist Improvisation angesagt.

Ich weiche zurück. Registriere die Wand hinter mir. Dann drehe ich mich um, mache die letzten zwei Schritte zur Wand mit voller Beschleunigung. Der Schwung trägt mich die Wand hoch, so dass ich, mich von der Wand abstoßend, über die Köpfe der Jungs fliegen und nach einem Salto federnd auf dem Boden landen kann. Zwei nebeneinander stehende Kerle erwische ich mit einem Halbkreistritt, aus dem Schwung des Aufrichtens heraus. Einen allerdings nur mehr gestreift. Zumindest ist er kurzzeitig benommen. Ich setze das Tischbein ein. Das verschafft mir etwas Luft.

Ich sprinte zu Brodwich, der immer noch ziemlich grün im Gesicht ist, und nehme ihn in den Schwitzkasten.

„Hör zu, du Stück Scheiße, ich kann nicht beweisen, dass du ihn ermordet hast. Noch nicht. Aber als Andenken werde ich dir die Ellbogen brechen. Was hältst du davon?“

Die Antwort bleibt er mir schuldig, denn jemand packt meine Haare und reißt mich von ihm weg. Es ist der Wirt, und er hat einen Schlagring. Ich reiße den Kopf zur Seite, das Metallding streift trotzdem mein Kinn. Es brennt tierisch. Mein Knie landet in seinen Weichteilen, dann packe ich sein Handgelenk und drehe ihm den Arm auf den Rücken, die Hand nach oben drückend. Das ist äußerst schmerzhaft und zwingt jeden in die Knie. Als Strafe für mein blutendes Kinn lasse ich mein Knie Bekanntschaft mit seiner Nase machen.

Dann kümmere ich mich wieder um Charles Brodwich und mache mein Versprechen wahr. Das hässliche Geräusch brechender Knochen und sein Schreien erfüllen den Raum. Mir wird übel und schwindlig. Leicht gekrümmt und keuchend betrachte ich mein Werk. Neun Männer, mehr oder weniger kampfunfähig, die Inneneinrichtung auch. In der Ferne registriere ich Sirenengeheul. Wütend werfe ich das Stuhlbein in den Raum hinein und laufe nach draußen. Mein Auto steht noch da, wo ich es abgestellt habe. Ich springe rein und fahre wild los.

Erst Kilometer später habe ich mich so weit unter Kontrolle, dass ich auf einen Parkplatz fahren und den Motor abstellen kann. Es ist die hinterste Ecke des Parkplatzes von einem Shopping-Center. Ich betrachte die grauen Augen, die mich aus dem Innenrückspiegel anstarren. Aus einer Platzwunde an der rechten Wange sickert Blut, ebenfalls aus der Wunde am Kinn.

Ich habe mich noch nicht oft ernsthaft geprügelt, von den eher harmlosen Raufereien in der Schule abgesehen. Schon mal gar nicht mit Leuten, die mit Sicherheit ihre Akte bei der Polizei haben. Zuhälter, Drogenhändler, was auch immer. Kriminelle. Es ist ein Wunder, dass ich nicht mehr abgekriegt habe.

Das sind die Augen eines Monsters.

Ich lege die Stirn auf das Lenkrad und heule mich aus.

Der Specht soll verschwinden. Seit wann können Spechte reden? Der Wald zerfließt, stattdessen finde ich mich sitzend in meinem Bett wieder. Als Nächstes wird mir der Schmerz am Bauch bewusst. Ich krieche aus dem Bett und wanke zur Tür, die Krach macht und mit der Stimme von Nicholas redet. Dieser steht tatsächlich dahinter, und ich starre ihn blinzelnd an.

„Wie viel Uhr ist es?“

„Wir haben elf Uhr vormittags, Fiona“, sagt er höflich. „Es tut mir leid, Sie geweckt zu haben. Möchten Sie sich etwas überziehen?“

Ich schaue an mir herunter, in Erwartung völliger Nacktheit. Stattdessen sehe ich ein T-Shirt, das immerhin bis zu den Oberschenkeln reicht.

„Ich habe doch was an, Nicholas.“

„Wie Sie meinen, Fiona. Da sind zwei Herren von der Polizei, die Sie gern gesprochen hätten und sich nicht abwimmeln ließen. Sie sagten, dass sie Sie notfalls vorladen würden.“

Erst jetzt bemerke ich Jack Siever und einen anderen, mir unbekannten Mann. Sie nicken knapp. Ich winke ihnen unsicher zu.

„Dann sprechen Sie, Lieutenant …“

„Wollen Sie sich nicht lieber was anziehen, Miss Carter?“

„Sind meine Beine so hässlich? Kommt in mein Reich.“

Ich gehe in mein Zimmer zurück, suche mir eine Zigarette und setze mich mit unterschlagenen Beinen auf das Bett. Die Polizisten suchen sich zwei freie Stühle.

„Haben Sie Basic Instinct gesehen?“ erkundigt sich der andere Polizist.

„Ich glaube schon“, brummele ich, wobei ich gegen meine Müdigkeit ankämpfe, die trotz Zigarette nicht von mir weichen will.

„Ist ziemlich unrealistisch.“

Ich begreife allmählich, was er meint und ziehe die Decke über meine Beine, in der Hoffnung, dass ich nicht rot geworden bin.

„Danke“, sagt er.

„Haben Sie Drogen genommen, Miss Carter?“, erkundigt sich der Lieutenant.

„Nur Alkohol.“

„Das ist leider legal. Trinken Sie oft?“

„Erst seit ein paar Tagen.“

„Der Tod Ihres Bruders scheint Sie doch mehr mitgenommen zu haben, als Sie gegenüber der Psychologin zugeben wollten.“

„Das ist meine Privatangelegenheit. Oder ist so was strafbar?“

„Nein, das ist es nicht. Aber es ist strafbar, die Einrichtung einer Kneipe kurz und klein zu schlagen und die Gäste auch.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.“

„Gestern Nachmittag hat jemand in der Kneipe namens Derek neun Männer zusammengeschlagen und einiges an Einrichtungsgegenständen zu Bruch gehen lassen.“

„Prima. Ich bin aber nicht Supergirl.“

„Die Personenbeschreibung von den Zeugen, welche die betreffende Person reingehen sahen, trifft ganz genau auf Sie zu. Was ist eigentlich mit Ihrem Gesicht passiert?“

„Ich bin gestolpert und unglücklich gefallen.“

„Miss Carter, wir wissen, dass Sie seit mindestens zehn Jahren Kampfsport betreiben. Und zwar sehr intensiv. Und dass Sie locker an internationalen Wettkämpfen mit Erfolg teilnehmen könnten, wenn Sie wollten. Soviel wir wissen, nehmen Sie aber an überhaupt keinem Wettkampf teil. Warum lernen Sie dann Karate?“

„Es hilft, die Einheit von Körper, Geist und Seele herzustellen. Und ich kann mich wehren, wenn es nötig ist. Außerdem: Mein Vater hat ziemlich viel Geld. Also bin ich permanent gefährdet, entführt zu werden.“

„Okay, Miss Carter, hören Sie bitte gut zu. Wir wissen, und Sie noch viel besser, dass die Person aus der Kneipe Ihnen viel zu ähnlich sieht. Niemand von den Herren dort hat Anzeige erstattet, nicht einmal der Herr, dem die unbekannte Dame beide Ellbogen zertrümmert hat. Jeder dieser Herren ist der Polizei wohlbekannt. Es sind einige sehr gefährliche Männer darunter. Wenn Sie etwas wissen, was Sie uns nicht erzählt haben, aber für die Ermittlungen hinsichtlich der Ermordung Ihres Bruders wichtig ist, dann erzählen Sie es uns jetzt bitte.“

„Da gibt es nichts zu erzählen.“

„Auch nicht, wenn Sie ein wenig nachdenken?“

„Halten Sie mich für so blöd, dass ich von einer Sekunde auf die andere mich an Dinge plötzlich erinnere, oder was? Ich hasse es, beleidigt zu werden!“