Firebird - Glühende Dämmerung - Cynthia Eden - E-Book

Firebird - Glühende Dämmerung E-Book

Cynthia Eden

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Beschreibung

Der Auftakt der neuen Romantic Fantasy-Reihe von Bestseller-Autorin Cynthia Eden! Journalistin Eve Bradley schleust sich undercover in das Labor des berüchtigten Dr. Richard Wyatt ein, der dort Versuche an Übernatürlichen durchführt, um einen Überkrieger erschaffen zu können. Dort erregt besonders Caine, Versuchsobjekt Nr. 13, ihre Aufmerksamkeit. Er berührt sie wie niemand zuvor. Als Caine vor ihren Augen getötet wird, jedoch wie ein Phoenix aus der Asche wieder aufersteht, weiß sie augenblicklich, dass Dr. Wyatt diese Gabe niemals für seine Zwecke missbrauchen darf. Gemeinsam gelingt es ihnen aus dem Labor zu flüchten, doch die Häscher des Labors setzen alles daran, sie zurück in ihre Gewalt zu bekommen ...

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Cynthia Eden bei LYX

Impressum

CYNTHIA EDEN

Firebird

Glühende Dämmerung

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Antje Engelmann

Zu diesem Buch

Die Journalistin Eve Bradley schleust sich undercover in das Labor des berüchtigten Dr. Richard Wyatt ein, der dort Versuche an Übernatürlichen durchführt, um einen Überkrieger erschaffen zu können. Dort erregt besonders Caine, Versuchsobjekt Dreizehn, ihre Aufmerksamkeit. Er berührt sie wie niemand zuvor. Als Caine vor ihren Augen getötet wird, jedoch wie ein Phoenix aus der Asche wieder aufersteht, weiß sie augenblicklich, dass Dr. Wyatt diese Gabe niemals für seine Zwecke missbrauchen darf. Gemeinsam gelingt es ihnen aus dem Labor zu flüchten, doch die Häscher des Labors setzen alles daran, sie zurück in ihre Gewalt zu bekommen …

1

Dreizehn lag in Ketten, als Eve Bradley ihn zum ersten Mal sah.

Sie erstarrte vor der Trennscheibe, die für Versuchsperson Dreizehn auf der anderen Seite des Glases wie ein Spiegel aussah. Halb durchlässig erlaubte er Ärzten und Beobachtern, jede Bewegung der Testperson mit anzusehen. Wobei der Mann sich kaum bewegen konnte, weil er an die Wand gekettet war.

»Ich … ich dachte …« Eve bemühte sich, nicht zittrig zu klingen. Sie sollte wirken, als gehörte sie hierher. Als passte sie zu all den Forschern, die ganz heiß darauf waren, an den Versuchspersonen herumzuexperimentieren. »Ich dachte, jeder ist freiwillig hier.«

Dr. Richard Wyatt wandte sich ihr zu, und sein weißer Laborkittel streifte sie. »Die Ketten sind zu seiner Sicherheit.« Sein Ton vermittelte ihr, dass sie diese offenkundige Tatsache hätte erkennen müssen.

Ja, richtig.

Ob sie ihm diese Behauptung wirklich abkaufen sollte? Angekettet zu sein – in welcher durcheinandergeratenen Welt bedeutete das denn Sicherheit?

»Dr. Bradley …« Wyatts dunkle Brauen hoben sich, als er sie prüfend musterte. »Ihnen ist doch wohl klar, dass alle Versuchspersonen hier ganz und gar keine Menschen sind?«

Sie kannte dieses Gerede. »Selbstverständlich. Es sind Übernatürliche, die an Experimenten teilnehmen, die dem US-Militär zugutekommen.« Das hatten all die schicken Anzugträger den Medien erzählt, als die Genesis-Gruppe im Herbst mit der Anwerbung von Mitarbeitern begonnen hatte.

Deren Geschichte allerdings glaubte sie nicht. Es hatte Eve Monate - Monate - gekostet, sich eine falsche Identität zuzulegen und in die Forschungseinrichtung zu gelangen.

Wäre sie dabei auf sich allein gestellt gewesen, hätte sie die Sicherheitsüberprüfung nie bestanden. Aber zum Glück hatte Eve sich im Laufe der Jahre mit einigen mächtigen Leuten anfreunden können.

Mit Leuten, die die Wahrheit über diese Einrichtung so dringend erfahren wollten wie Eve. Sie alle hatten ein Interesse an Genesis.

Manche Journalisten konnten eine Story einfach riechen. Und in diesem Moment zuckten Eves Nasenflügel.

Sie betrachtete wieder Versuchsperson Dreizehn. Jeder wusste, dass Paranormale mitten unter den Menschen lebten. Vor etwa zehn Jahren hatten die ersten Übernatürlichen sich zu erkennen gegeben und ihr Coming-out in der Welt der Normalsterblichen gehabt. Und warum auch nicht? Warum hätten sie gezwungen sein sollen, sich weiter zu verbergen? Sich immer im Dunkeln herumzudrücken musste ja ätzend sein. Vielleicht waren sie es einfach leid gewesen, eine Lüge zu leben, und hatten beschlossen, die Menschen dazu zu zwingen, wahrzunehmen, was sich unmittelbar vor ihren Augen abspielte – oder direkt rechts und links von ihnen lebte.

Seit der großen Enthüllung war für die Paranormalen vieles anders geworden. Manche wurden gejagt, andere über Nacht berühmt. Und auch die Reaktionen der Menschen hätten unterschiedlicher nicht sein können.

Manche Menschen hassten die Übernatürlichen. Andere fürchteten sie. Und wieder andere schliefen rasend gern mit ihnen.

Eve gehörte nicht unbedingt zu einer dieser Gruppen.

Versuchsperson Dreizehn musterte sie unverwandt. Eve fröstelte ein wenig.

Dreizehns Augen waren dunkel und wirkten fast schwarz – so schwarz wie sein volles Haar, das etwas zu lang war und ihm über die breiten Schultern strich. Er war ein gut aussehender Mann, stark, muskulös – unübersehbar muskulös –, und sein herrlicher Knochenbau hatte bei Frauen sicher schon viel Aufmerksamkeit erregt.

Hohe Wangenknochen. Ein kantiger Unterkiefer. Feste, etwas dünne Lippen, die aber dennoch sexy waren … obwohl Eve hätte schwören können, dass sein Mund einen Zug ins Grausame besaß.

Ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Dreizehns Blick glitt über ihren Leib. Langsam und bedacht. »Kann er … kann er durch den Spiegel sehen?« Sein Blick fühlte sich an, als berührte etwas Heißes Eve.

»Natürlich nicht«, erwiderte Doktor Wyatt sofort. Der Arzt klang verärgert über sie.

Ihre Schultern entspannten sich.

Versuchsperson Dreizehn lächelte.

Mist! Gleich verspannten sich ihre Muskeln wieder.

Wyatt sah in seine Aufzeichnungen und sagte: »Gehen Sie rein, und überprüfen Sie seine lebenswichtigen Organe, bevor wir mit der Prozedur beginnen.«

Richtig. Prüfung der lebenswichtigen Organe. Das war ihre Aufgabe. Eve nickte. Zwei Jahre war sie auf eine medizinische Hochschule gegangen, ehe sie begriffen hatte, dass dieses Studium nichts für sie war. Deshalb genügte sie den Anforderungen dieser Leute problemlos. Ihr Lebenslauf war nur zum Teil erfunden.

Der gute Teil war ausgedacht.

Eve näherte sich langsam der Metalltür, dem einzigen Zugang zu dem Zimmer, in dem Dreizehn festgehalten wurde. Ein Wächter öffnete ihr. Ein bewaffneter Wächter, was die nächste Frage aufwarf: Warum mussten Freiwillige bewacht werden?

Dieser Ort machte ihr wirklich Angst. Freiwillige? Gute Güte!

Natürlich hatte Eve während ihrer Zeit bei Genesis einige weitere Probanden gesehen. Aber nicht viele. Eve war lediglich zur Arbeit in Sicherheitszone eins berechtigt gewesen. Erst an diesem Tag hatte sich das geändert.

Als man ihr nämlich gesagt hatte, Dr. Wyatt brauche bei diesem letzten Experiment ihre Hilfe. Dr. Richard Wyatt warGenesis. Als ehemaliges Wunderkind besaß er eine ganze Handvoll Studienabschlüsse und war der führende Experte in paranormaler Genetik.

Außerdem war er ein Mistkerl, der Eve Angst einjagte, wenn seine kalten grünen Augen sie musterten. Er mochte ja ziemlich attraktiv sein, aber etwas an ihm ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.

Der Wächter gab ihr per Handzeichen zu verstehen, sie könne gefahrlos eintreten. Als Eve in Dreizehns Zelle kam, blähten sich dessen Nüstern ein wenig. Dann wandte er ihr langsam den Kopf zu und fasste sie mit fast schlangenhafter Bewegung des Halses von oben bis unten ins Auge.

Er sagte nichts, doch seine kräftigen Hände ballten sich zu Fäusten.

Eve öffnete ihre kleine schwarze Tasche. »Hallo.« Ihre Stimme klang zu hell. Sie holte Luft, um sich zu sammeln. Der Mann war angekettet. Ihr konnte gar nichts passieren. Sie musste sich nur zusammenreißen und ihre Arbeit machen. »Ich bin bloß hier, um Sie schnell zu untersuchen.« Er war an keine Apparate oder Monitore angeschlossen. Wyatt wollte, dass diese Untersuchungen auf altmodische Weise erledigt wurden – warum auch immer. Eve zog ihr Stethoskop heraus und blieb einen halben Schritt vor Dreizehn stehen. »Ich … ich muss Ihr Herz abhören und ihren Puls messen.«

Noch immer nichts. Gut. Eve schluckte und warf ihm ein schwaches Lächeln zu. Offenbar war er nicht der geschwätzige Typ.

Eve schob sich näher an ihn heran. Ihr Blick sprang zu den Ketten, die seine Arme an den Seiten gefesselt hielten. Selbst wenn er sie hätte packen wollen – tu das bloß nicht! -, hätte er sich nicht bewegen können.

Und falls Wyatt ihr eine Falle stellte? Der Typ war schließlich angekettet, musste also gefährlich sein, oder? Und es waren wirklich enorm dicke Ketten. Sie schienen direkt aus einer Folterkammer des Mittelalters zu stammen.

»Ich tue Ihnen schon nicht weh.«

Seine Stimme ließ sie zusammenfahren. Wie dunkel und knurrend sie klang! Der große böse Wolf im Märchen hatte sich bestimmt genauso angehört wie Versuchsperson Dreizehn.

Sie atmete aus und hoffte, nicht verunsichert zu wirken. »Das hatte ich auch nicht erwartet.«

Sein Mund verzog sich zu der kaum sichtbaren Andeutung eines Lächelns, das sie der Lüge bezichtigte.

Eve setzte ihm das Stethoskop aufs Herz, horchte und betrachtete ihn erstaunt. »Schlägt es immer so schnell?« Sie nahm sein Krankenblatt und überflog die Einträge. Sein Puls war normalerweise hoch, aber nicht so hoch. Jetzt dagegen galoppierte sein Herz wie ein Rennpferd.

Eve legte ihm die Hand auf die Stirn und atmete vernehmlich aus. Er glühte. Seine Haut war nicht warm, nicht fieberheiß, sondern glühend.

Und sie war ihm so nah, dass ihre Brüste seinen Arm streiften.

Der Puls von Versuchsperson Dreizehn nahm noch mehr Fahrt auf.

Oh … auweia … oh. Verdammt! Sie wich eilig ein wenig zurück.

»Ich muss Ihnen etwas Blut abnehmen.« Eve wollte auch seine Temperatur messen, denn er musste ja förmlich brennen. Worum mochte es sich bei ihm wohl handeln? Sicher nicht um einen Vampir, denn die konnten solche Temperaturen nicht erreichen. Um einen Gestaltwandler? Vielleicht. Am ersten Tag hier hatte sie einen gesehen. Aber der hatte sich in einem behaglichen Schlafzimmer aufgehalten.

Und war nicht angekettet gewesen.

Eve packte das Stethoskop ein, nahm eine Spritze, schob sich erneut vorsichtig an Dreizehn heran und stellte sich auf die Zehen. Er war groß, sicher eins siebenundachtzig, vielleicht sogar eins neunzig, und so reichte sie ihm nicht ganz bis ans Ohr, als sie flüsterte: »Sind Sie freiwillig hier?«

Dann zapfte sie ihm Blut ab. Dreizehn zuckte nicht mal, als die Nadel in seinen Arm glitt.

Doch er schüttelte kurz den Kopf.

Mist! Sie ließ sich wieder auf die Fußsohlen sinken und überlegte, wie sie ihm helfen konnte.

»Ich bin Eve.« Sie leckte sich die Lippen, und sein Blick folgte dieser Bewegung. Die Dunkelheit in seinen Augen schien sich zu erhitzen. Alles an diesem Mann war glühend. »Ich … ich kann Ihnen helfen.«

Er lachte nur, und das Geräusch ließ sie erschauern. »Nein«, sagte er mit seiner tiefen knurrenden Stimme, »das können Sie nicht.«

Eve merkte, dass sie zwischen seinen Beinen stand. Zwischen seinen unangeketteten Beinen. Seine Oberschenkel streiften ihre, und sie schrak zusammen.

Sein Lächeln war so kalt wie sein Lachen. Sie hatte sich nicht getäuscht, als sie etwas Grausames um seine Lippen bemerkt zu haben glaubte. Jetzt lag diese Härte klar zutage. »Sie sollten Angst haben«, sagte er.

Ja, diese Ahnung machte sich tatsächlich in ihr breit.

Eve zog die Spritze aus seinem Arm und tupfte etwas Alkohol auf eine Wunde, die sie nicht mal sehen konnte. Dann trat sie von ihm zurück, so rasch es ging.

»Kommen Sie nicht wieder hier rein«, sagte er, und seine Augen wurden schmal. Eine Warnung.

Oder eine Drohung?

Eve wandte sich ab.

»Sie riechen wie Naschwerk …«

Sie hielt inne. Jetzt war es ihr Herz, das zu schnell schlug.

»Sie machen mich …« Er senkte die Stimme, doch sie vernahm ein geknurrtes »hungrig«.

Und er machte ihr Angst. Eve schlug energisch gegen die Metalltür. »Wächter!« Wieder war ihre Stimme zu hoch. »Wir sind fertig!«

Die Tür wurde geöffnet, und sie stürzte fast aus der Zelle. Trotz ihrer Angst wagte sie noch einen letzten Blick zurück. Dreizehn starrte ihr mit zusammengebissenen Zähnen nach. Er sah wirklich hungrig aus, aber um etwas zu essen schien es ihm nicht zu gehen.

Es geht ihm um mich.

Die Tür glitt zu, und Eve fiel wieder ein, wie man atmete. Sie holte tief Luft und blickte auf – geradewegs in die stechenden und allzu grünen Augen Dr. Wyatts.

»Probleme?«, fragte er leise und mit schwachem Südstaatenakzent. Obwohl das Genesis-Labor abgelegen in den Blue Ridge Mountains im Osten der USA lag, zeugte der Akzent vieler Mitarbeiter davon, dass sie ihre Wurzeln im Süden hatten.

Die Wächter jedenfalls. An Dreizehn hatte sie keinen Akzent bemerkt.

Sie riss sich zusammen, schüttelte den Kopf und schob Wyatt Dreizehns Krankenblatt zu. »Ganz und gar nicht, Sir.«

Lügnerin, Lügnerin.

Sie spürte noch immer diesen Blick auf ihrem Leib. Schlimmer: Sie spürte ihn selbst.

»Gut«, sagte Wyatt, »denn wir fangen jetzt an.«

Anfangen? Sie hatte gedacht, ihre Arbeit wäre erledigt.

Er gab dem Wächter ein Zeichen. Den Namen des Mannes kannte sie schon. Mitchell. Barnes Mitchell. Vor Eves Augen zog er seinen Revolver und prüfte die Trommel.

»Der erste Schuss darf nicht ins Herz gehen«, wies Wyatt ihn an, neigte den Kopf zur Seite und schürzte die Lippen. »Wir wollen einen Vergleichsschuss. Verwunden Sie ihn zunächst, und dann schießen Sie ihm ins Herz.«

Was?

Doch Barnes nickte bloß und begab sich mit entsichertem Revolver in Dreizehns Zelle.

Obwohl sie gerade Luft geholt hatte, wäre Eve beinahe erstickt, so sehr raubte der Schreck ihr den Atem.

Cain O’Connor atmete tief ein. Die Luft roch nach ihr. Ein leichter süßer Geruch. Er konnte die Frau beinahe spüren – und er wollte mehr von ihr. Sehr viel mehr.

Was dachten sich diese Kerle dabei, einen Leckerbissen wie sie zu ihm in die Zelle zu schicken? Wussten sie nicht, was er ihr antun konnte? Was er tun wollte? Nach all den Monaten …

Vielleicht hatten sie ihn in Versuchung führen wollen? Er zerrte an den Ketten, um ihre Stärke zu testen. Solches Metall war ihm nie begegnet. Sie mussten verstärkt worden sein. Die Genesis-Leute hielten sich mit ihren Erfindungen ja für besonders clever. »Auch von Geschöpfen mit übernatürlichen Fähigkeiten nicht zu knacken«, hatte dieser Wyatt hämisch verkündet, als er wegen der Ketten gefragt hatte.

Die Ketten würden ihn nicht für alle Zeiten fesseln. Diese Haft würde enden. Und der Albtraum dieses Monsters und seiner Folterknechte würde beginnen.

Bald.

Seine Zellentür öffnete sich. Er nahm sie – Eve - kurz wahr, als sie sich noch einmal zu ihm umsah. Ihre blauen Augen waren vor Angst geweitet. Und Angst sollte sie auch haben. Und möglichst schnell von hier fliehen. Bevor es zu spät für sie sein würde.

Für die anderen war es schon zu spät. Er hatte sie zum Sterben ausersehen. Vor allem Wyatt. Diesem Arzt verschaffte Folter doch erst den ersehnten Kick.

Wie wird es dir gefallen, wenn du erst brüllst, Wyatt? Ob es dir dann immer noch so viel Spaß macht?

Der Wächter trat ein. Er roch nach Schweiß und Zigaretten. Die Tür schloss sich hinter ihm. Keine Eve mehr.

Doch Cain hörte ihre Schritte. Ihre und die Wyatts. Seine Sinne waren viel schärfer, als er merken ließ. Warum sollte er seinen Feinden einen Vorteil verschaffen?

Warum sollte er ihnen das Geringste geben?

Der Wächter, ein untersetzter Kerl mit durchtriebenem Blick und entschiedenem Behagen an Folterungen, hatte seine Waffe gezogen. Cain biss die Zähne zusammen. Er wusste, was der Revolver bedeutete. Diesmal würden sie es mit altmodischen Kugeln versuchen.

Ob sie ihm ins Herz schießen würden? Oder in den Kopf? Vielleicht würde der Wächter zwischen die Augen zielen und ihm das Hirn wegpusten.

»Was machen Sie da?« Das war Eves Stimme. Sie erreichte seine Ohren wie ein Flüstern. Dabei hielten sie diese Zelle für schalldicht.

Da täuschten sie sich. Er konnte die Stimmen zwar nicht laut hören, doch sie erreichten ihn als Flüstern. Er wusste sehr viel mehr, als dieser zweifelhafte Arzt ahnte.

Cain sah zum Spiegel und blickte mühelos in das dahinterliegende Zimmer. Dazu brauchte er sich nur etwas zu konzentrieren und ein wenig von seiner Energie zu mobilisieren …

Da ist sie.

Sie hatte sich das dunkle Haar mit Nadeln hochgesteckt. Ihr Gesicht war … wirklich sehr schön. Scharf konturierte Wangenknochen und rote volle Lippen, die ihn an sinnliche Freuden im Bett denken ließen.

Und ihre Augen hatten etwas … unfassbar Tödliches.

Vielleicht gehörten sie zu den wenigen Dingen, die wirklich tödlich für ihn sein konnten.

»Warum hat der Wächter den Revolver gezogen?«, wollte Eve wissen, und er hörte, wie Angst ihre Stimme beben ließ.

Das gefiel ihm nicht, weder der Klang der Furcht noch deren Geruch. Als Eve ihm sehr nah gekommen war, war sie ängstlich gewesen.

Arme Eve. Wahrscheinlich wusste sie nicht, wen sie mehr fürchten sollte - ihn oder Wyatt.

Cain schaute auf den Revolver in Barnes’ Hand. »Ziemlich unfair, oder?«, brummte er. »Auf mich zu schießen, wenn ich angekettet bin?«

»Sie lassen es zu, dass der Wächter ihn erschießt?«, rief Eve nun.

Nein, sie war wirklich nicht wie die anderen. Das mochte ein Problem werden. Wenn hier die Hölle losbrach – und gleich war es so weit -, musste er dafür sorgen, dass sie keine Verbrennungen erlitt.

Nicht allzu viele Verbrennungen jedenfalls.

Der Lautsprecher an der Zellenwand knackte. »Test fortsetzen«, befahl Wyatt mit seinem nervtötenden Akzent.

Verdammt! Cain spannte alle Muskeln an. Es passte ihm nicht, dass die Frau dies miterleben musste, aber vielleicht musste sie sehen, wozu diese Kerle imstande waren. Sie hatte bei diesem Projekt angeheuert und sollte ruhig erkennen, wie wahnsinnig ihr Chef tatsächlich war.

»Das darf er nicht«, rief Eve mit sich überschlagender Stimme …

Doch da feuerte der Wächter schon.

Die Kugel traf Cain seitlich in den Leib und zerriss Fleisch und Muskeln. Blut spritzte. Furchtbare Schmerzen ließen ihn zittern.

Doch er gab keinen Laut von sich. Dieses Vergnügen gönnte er dem Sadisten, der ihn beobachtete, nicht.

»Silberkugeln können in die Versuchsperson eindringen«, bemerkte Wyatt ungerührt, als spräche er über das Wetter.

Cain ballte die Hände zu Fäusten. Der nächste Schuss würde ein lebenswichtiges Organ treffen. Er wusste, wie das lief. Wyatt gefiel es, mit seinen Opfern zunächst zu spielen. Foltergeiler Hurensohn …

»Aufhören!«

Cain sah auf. Eve hämmerte an die Glaswand, und der Spiegel erzitterte unter der Wucht ihrer Faustschläge. »Wächter, lassen Sie ihn in Ruhe!«, rief sie, und ihre verzweifelten Worte dröhnten aus dem Lautsprecher. »Werfen Sie die Waffe weg!«

Nicht wie die anderen.

Wyatt packte sie an den Schultern und zog sie zurück. Wut pulsierte durch Cains Adern. Der Arzt hatte kein Recht, sie anzufassen.

»Weitermachen«, befahl Wyatt.

Eve kreischte und wand sich in seinen Armen.

Cain sah, wie sie sich von dem Arzt befreite. Sie rannte zur Zellentür und riss sie auf.

»Weitermachen!« Wyatt klang jetzt wirklich verärgert.

Eve hetzte in die Zelle. »Lassen Sie ihn in Ruhe!«, fuhr sie den Wächter an. »Werfen Sie die Waffe weg und …«

Der Wächter feuerte.

Die Kugel traf Cain direkt ins Herz. Er hörte das Geräusch, mit dem sie ihm in den Leib drang. Spürte, wie sie ihm durchs Herz fuhr. Ein Moment. Zwei.

Er sah Eve in die Augen. Ihre ach so blauen Augen weiteten sich, und ihre Lippen öffneten sich zu einem Schrei, den er nicht hörte.

Es war zu spät. Cain war bereits tot.

Glühend rot breitete sich Blut auf Dreizehns Brust aus. Die Kugel hatte ihn direkt ins Herz getroffen.

Eve stürzte zu ihm und kümmerte sich nicht um den Revolver, den der Wächter langsam sinken ließ. VerdammterKiller! Einen angeketteten Mann zu erschießen!

Dreizehns Beine hatten unter ihm nachgegeben, aber die Ketten verhinderten, dass er auf den Boden krachte. Sein Kopf war nach vorn gesackt und hing schlaff herab.

Sie schob ihm die Hände unters Kinn und hob es an. Oh weh! Seine Lider waren geschlossen, und die Wimpern warfen schwere Schatten auf seine Wangen. »Tut mir leid«, flüsterte sie ihm zu. Sie hätte schneller sein müssen. Hätte den Wächter k. o. schlagen sollen, irgendwas tun sollen, um diesen Mann zu retten.

Stattdessen hatte sie zugesehen, wie er gestorben war.

»Sie müssen sich von der Versuchsperson entfernen, Dr. Bradley«, sagte Wyatt, und diesmal kam seine Stimme nicht aus dem Lautsprecher an der Wand, sondern von irgendwo hinter Eve.

Sie erstarrte. »Sie haben gerade einen Mann kaltblütig ermordet.« Sie hatte nicht erwartet, je so etwas erleben zu müssen. Experimente waren eine Sache. Mord dagegen war eine Sünde von ganz anderem Gewicht.

Eine Sünde, für die es keine Vergebung gab.

Mit der Hand strich sie durch Dreizehns Haar. Sie hatte gesagt, sie würde ihm helfen.

»Er ist kein Mensch.« Wyatt klang belustigt. »Und das wissen Sie. In diesem Labor finden keine Menschenversuche statt. Genesis befasst sich nur mit Paranormalen.«

Eve zitterte vor Wut. »Egal, ob er ein Mensch ist oder ein Übernatürlicher … Sie haben ihn umgebracht.« Sie drehte sich zu Wyatt und dem Wächter um. Beide standen gut drei Meter von ihr entfernt.

Wyatt zuckte mit den Schultern. »Das gehört zum Experiment.«

Was?

Er stöhnte verärgert auf. »Sie sollten jetzt wirklich beiseitetreten. Wenn nicht, kann ich für Ihre Sicherheit leider nicht garantieren.«

Verrückt. Dieser Arzt war ein Fall für die Psychiatrie, und sobald sie das Labor verlassen hätte, würde sie allen Medien des Landes ihre Geschichte laut und stolz verkünden. Sie würde dafür sorgen, dass dieses Loch geschlossen wurde – und wenn es das Letzte war, was sie tun würde.

Sicher, manche hatten den Übernatürlichen gegenüber Bedenken, aber niemand würde eine Todesfabrik akzeptieren. Niemand würde …

Dreizehn bewegte sich unter ihren Fingern, wenn auch nur ein klein wenig.

»Treten Sie beiseite, Dr. Bradley!«

Hörte sie Angst in Wyatts Stimme? Eve war sich nicht sicher, und da sie ihm den Rücken zuwandte, konnte sie seine Miene nicht auf Gefühle hin mustern. Ihre Aufmerksamkeit war auf Dreizehn gerichtet, weil … sie hätte schwören können, dass sie gerade gespürt hatte, wie er einatmete.

Unmöglich.

Sicher, Vampire konnten die verschiedensten Angriffe überleben, aber Dreizehn war kein Vampir. Darauf hätte Eve ihr Leben verwettet. Sie hatte ihn sterben sehen. Es war …

Seine Wimpern hoben sich. Er blickte sie an. Nur waren seine Augen nicht mehr schwarz. Sie waren rot und brannten wie Flammen. Sie loderten geradezu - loderten, loderten …

Brutale Hände zerrten Eve zurück. Sie stürzte zu Boden, brachte dabei aber auch Wyatt und den Wächter zu Fall. Die beiden hatten nach ihr gegriffen und zogen sie aus Dreizehns Nähe.

Doch schon waren Wyatt und der Wächter wieder auf den Beinen und schleiften sie quer durch die Zelle hinaus.

Eve widersetzte sich nicht, konnte den Blick aber nicht von Dreizehn abwenden. Rauch stieg von ihm auf, als würde er von innen brennen. Dieser Blick – sie meinte, direkt in die Hölle zu schauen. In den Augen eines Mannes sollte kein Feuer flackern.

Doch in seinen Augen standen lodernde Flammen.

Der Rauch, der von ihm aufstieg, wurde immer dichter.

»Raus!«, bellte Wyatt. Der Wächter packte sie bei einer Hand, Wyatt bei der anderen. Zu dritt taumelten sie auf den Flur. Wyatt schloss die Tür und gab hastig einen Sicherheitscode ein, der das Zellenschloss zuschnappen ließ.

Eve merkte sich die Zahlenfolge. Denn was einen Mann einschloss … konnte ihn womöglich auch befreien.

Dann hetzten sie zu dritt zum halb durchlässigen Spiegel zurück. Denn nun stieg nicht mehr nur Rauch von Dreizehn auf: Der Mann stand lichterloh in Flammen!

»Oh Gott«, entfuhr es ihr, und sie flüsterte vor Staunen.

Dreizehn wandte den Kopf. Durch die Flammen hindurch musterte er sie.

All ihre Muskeln verspannten sich in blankem Entsetzen. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Wie war das möglich? Wie konnte er stehen? Denn inzwischen stand er. Er lag nicht mehr auf den Knien. Er hing nicht mehr in den Ketten. Er stand.

Die Flammen erstarben langsam. Sie hatten seine Kleidung verzehrt. Asche umschwebte ihn. Dreizehn stand da – nackt, stark und mit einem wirklich vollkommenen Körper.

Von der Schusswunde, die ihn getötet hatte, war nicht mehr das Geringste zu sehen.

Nur dass … ihn die Kugel gar nicht getötet hatte und er sie noch immer ansah.

»W… was ist das denn für einer?«, brachte Eve mühsam hervor.

Dreizehn zerrte an den Ketten, die ihn nach wie vor fesselten. Ketten, die feuerfest sein mussten.

»Das weiß ich nicht …«, erwiderte Wyatt, und die Aufregung in seinen Worten war unüberhörbar, »aber ich werde es herausfinden.«

Dreizehns Blick sprang zum Arzt hinüber.

Er sieht uns. Sie wusste nicht, wie er das machte, doch der Mann, der tot hätte sein sollen, konnte mühelos durch das Schutzglas blicken.

»Wieder ein erfolgreiches Experiment.« Wyatt wandte sich vom Beobachtungsspiegel ab und trat auf den Flur zu seinem Büro. »Morgen probieren wir es mit Ertränken. Ich bin gespannt, ob auch Wasser die Flammen der Versuchsperson nicht zu löschen vermag …«

Eve blieb völlig reglos. Sie konnte sich nicht rühren.

Morgen probieren wir es mit Ertränken.

Dr. Richard Wyatt war ein schwer gestörter Wissenschaftler vom Schlage eines Frankenstein. Sie legte die Hand an die Scheibe. Worum es sich bei Dreizehn handelte, wusste sie nicht, aber sie durfte nicht zulassen, dass Wyatt ihn weiter folterte.

»Ich halte ihn auf«, flüsterte sie.

Doch Dreizehn schüttelte den Kopf und formte die Lippen zu einer kurzen stummen Mitteilung: Ich erledige das.

Richard Wyatt hatte sich noch rechtzeitig umgeschaut, um zu sehen, wie Eve die Hand an die Scheibe legte – als versuchte sie, die Testperson zu berühren. Sie hätte aufgrund dessen, was sie gerade mit angesehen hatte, tief verängstigt und verzweifelt darum bemüht sein müssen, diesen Ort zu verlassen.

Genau wie die anderen.

Aber nein, sie war noch immer da und betrachtete Dreizehn fasziniert. Und der musterte sie genauso bezaubert.

Perfekt, wirklich. Das Experiment war noch ergiebiger, als Wyatt zu hoffen gewagt hatte. Diese neue Entwicklung konnte eine ganze Welt unerwarteter Möglichkeiten eröffnen.

Eine vollkommene Tötungsmaschine. Ein unsterblicher Attentäter.

Einer, den nur er zu beherrschen vermochte.

Das Experiment war ein entschiedener Erfolg gewesen. Er konnte den Beginn der morgigen Vorstellung kaum erwarten.

Wie wunderschön die Flammen gewesen waren! Ob sie Eves zarte Haut verbrennen würden? Oder würde Dreizehn endlich beginnen, seine wahre Stärke zu zeigen?

Um ihretwillen täte er gut daran, sich zu beherrschen. Denn die schöne Eve würde bei den morgigen Ereignissen nicht bloß Beobachterin sein.

Sie würde an dem Experiment teilnehmen.

2

Eve glitt lautlos den Flur entlang zu dem Zimmer, in dem Versuchsperson Dreizehn gefangen gehalten wurde. In der Forschungseinrichtung war es totenstill – fast alle hatten sich schon schlafen gelegt, und die Ein- und Ausgänge waren verriegelt.

Auch Eve hatte getan, als wollte sie sich hinlegen, war in den Gebäudeflügel mit den Schlafräumen gegangen und hatte dafür gesorgt, dass Kollegen mitbekamen, wie sie sich bettfertig machte. Um zwei Uhr nachts war ihr dann klar, dass sie handeln musste.

Schlafräume - alle Forscher hier hatten ein eigenes Zimmer: Wer die Arbeitsstelle angenommen hatte, verließ das Haus bis auf Weiteres nicht mehr.

Und das war ausgesprochen unheimlich …

Wyatt hatte gesagt, die Unterkünfte sollten dafür sorgen, dass seine Forschung geschützt blieb. Und alle Mitarbeiter würden vollauf für die Zeit entschädigt, die sie ausschließlich bei Genesis zubrachten. Aber …

Aber Eve hatte in ihrem Zimmer eine versteckte Kamera gefunden. Seit wann war es statthaft, Mitarbeiter in ihren Privaträumen zu filmen?

Sie schlich um die Ecke. Dreizehns Zimmer war nur noch zwei, drei Meter entfernt. Kein Wächter vor der Tür. Bestens. Sie würde eintreten, ihm aber nicht zu nahe kommen – schließlich will ich mir keine Verbrennungen einhandeln – und sich die Geschichte aus seinem Blickwinkel erzählen lassen.

Und dann würde sie versuchen, mit ihm die Einrichtung zu verlassen, ehe jemand davon Wind bekam.

Sie hatten ihn erschossen. Tatsächlich erschossen! Warum? Nur um ihn sterben zu sehen?

Wyatt war ein Irrer, und sie würde diese Geschichte schnellstmöglich an die Öffentlichkeit bringen.

Mit zitternden Fingern tippte sie hastig Wyatts Sicherheitscode ein. Sie hatte sich Zahlenfolgen und Buchstabenkombinationen immer gut merken können - eine ihrer kleinen Eigenarten.

Das Schloss öffnete sich mit einem leisen Zischen, und mit bebender Hand drückte Eve die schwere Metalltür auf. Dreizehns Zelle war pechschwarz und ließ sie an ein Grab denken – und Eve verabscheute Gräber.

Kein Geräusch drang an ihr Ohr, und in der lastenden Stille empfand sie ihr Atmen als viel zu abgehackt. Dennoch schlich Eve auf Zehenspitzen hinein und schloss die Tür sorgsam hinter sich.

»Äh … hallo?«, flüsterte sie und schob sich weiter vor. »Können Sie …?«

Raue Hände packten sie – die eine griff sie an der Taille, die andere schloss sich um ihre Kehle – und rissen sie gegen einen steinharten Leib.

Einen Leib, der nicht mehr an die Wand gekettet war …

Sie griff nach der Hand um ihren Hals und kämpfte darum, wieder atmen zu können. »B… bitte …«

»Naschwerk.« Sein Knurren. Im nächsten Moment hatte er sie schon herumgewirbelt und schob sie gegen die Wand. Ihre Augen versuchten verzweifelt, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, und schließlich tauchte Dreizehns schwarzer Umriss vor ihr auf. Ein großer massiger Schatten, der sie zu umgeben schien, während seine Arme sie wie ein Käfig an Ort und Stelle hielten.

Moment – er war noch immer angekettet. Nur dass seine Fesseln sich nun sehr viel weiter erstreckten. Weit genug, dass er im Zimmer auf und ab gehen und sich Leute greifen konnte, die ihm doch nur helfen wollten.

Und seine Hand lag noch immer an ihrer Kehle. Wenigstens versuchte er nicht länger, sie zu erwürgen. Seine Finger schienen sie beinahe zu … streicheln.

»Lassen Sie mich los!« Besser, er berührte sie gar nicht. Wenn jemand einfach so Flammen aufzüngeln lassen konnte, hatten seine Hände Abstand von ihr zu halten.

Aber er ließ sie nicht los. Mist! Eve blieb vollkommen reglos. »Bitte. Ich bin gekommen, um Ihnen zu helfen.«

»Wenn Sie zu denen gehören …«, seine Stimme war nur ein schrilles Flüstern und klang in der Dunkelheit ungemein bedrohlich, »… dann sind Sie in Wirklichkeit hier, um den letzten Akt des Folterspiels zu eröffnen.«

Eve schüttelte den Kopf. Moment. Das konnte er doch erkennen? Immerhin hatte er auch durch den halb durchlässigen Spiegel geblickt. Bestimmt konnte er im Dunkeln sehen.

»Ich hab versucht … sie aufzuhalten.« Das hatte sie. Aber bewirkt hatte es nichts. Und ihre Stimme klang schwach. Ich hätte mir mehr Mühe geben sollen.

Er ächzte. Gut, sie konnte ja verstehen, dass er ihr nicht dankbar war, zumal man ihm ins Herz geschossen hatte und ihre Hilfe wirkungslos geblieben war.

»Wer sind Sie?«, entfuhr es ihr unwillkürlich. Neugier war immer eine ihrer Schwachstellen gewesen – und ein Grund, warum sie Journalistin geworden war.

Dreizehn ließ die Hand sinken. Die Kette glitt über seine Haut und klirrte leise. »Ich bin jemand, mit dem Sie es sich nicht verderben wollen.«

Das hatte sie bereits mitbekommen. Und zwar in dem Moment, als der Kerl in Flammen gestanden hatte. »Sie sagten … Sie sagten, Sie seien nicht freiwillig hier.«

Er trat einen Schritt zurück und löste sich ganz von ihr. »Wissen die, dass Sie hier sind?«

»Nein.« Allerdings wusste sie nicht, wie lange es dabei bleiben würde, und so mussten sie das Geplauder deutlich abkürzen. »Bis sie das gemerkt haben, sind wir bereits verschwunden.«

Daraufhin stieß er ein raues bellendes Gelächter aus.

Mit ihm in der Dunkelheit allein zu sein war einfach zu intim. Ihre Sinne waren extrem geschärft und nahmen jede seiner Bewegungen wahr. Und immer, wenn die Ketten klirrten, verspannte ihr Körper sich aufs Neue.

»Und wohin wollen Sie mit mir fliehen?«, fragte Dreizehn. »Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist: Die haben mich an die Leine gelegt.«

An eine Leine, die sie offenbar verlängerten, wenn sie nicht gerade vorhatten, ihn zu erschießen. Interessant. Sie vermutete, die Kette ließ sich dort, wo sie aus der Wand kam, weiter auslassen oder verkürzen. Eve atmete langsam aus und versuchte, sich zu beruhigen. Keine Chance. »Wyatt will Sie morgen … ertränken.« Dies auch nur auszusprechen krampfte ihr schon den Magen zusammen.

Er ächzte nur. »Erzählen Sie mir lieber etwas, das ich noch nicht weiß.«

Ah. Na gut. »Vielleicht, dass ich sehr gut darin bin, Schlösser zu knacken?« Sie zog ihre Stiftlampe aus der Tasche und knipste sie an. Der Strahl beleuchtete seine Brust. Eine nackte Brust, deren herrliche Muskeln leise wogten. Wer oder was immer Dreizehn sein mochte: Er war prächtig gebaut.

Sie richtete das Licht auf die Kette um sein rechtes Handgelenk. »Ich kann Sie von diesen Fesseln befreien.«

Stille.

»Wollen Sie hier etwa nicht raus?«, drängte Eve, denn mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet. »Oder liege ich falsch? Sagten Sie nicht, Sie seien nicht freiwillig hier?«

»Ich wurde in dieses Programm verkauft.«

Diese Worte ließen sie kurz innehalten. »Verkauft? Was meinen Sie mit …?«

»Ein Gestaltwandler namens Jimmy Vance, der bald tot sein wird, macht Geschäfte mit Wyatt. Er stellt Paranormalen Fallen, und Wyatt braucht sie nur noch einzusammeln und Vance den fälligen Geldbetrag zu zahlen, wenn wir in seine Käfige wandern.«

Ihr Herz schlug noch rascher. »Heißt das, es gibt noch andere Versuchspersonen, die nicht freiwillig hier sind?« Genau das hatte sie geargwöhnt, und deshalb hatte sie so viel gewagt, um ins Forschungsprojekt Genesis aufgenommen zu werden.

»Es heißt, dass die eigentlichen Experimente, die Wyatt vor der Öffentlichkeit verbirgt, alle an denen durchgeführt werden, die gegen ihren Willen hier festgehalten werden.« Er zerrte an den Ketten, und das Metall knirschte. »Sehe ich so aus, als wäre ich freiwillig hier?«

»Sie sind sehr stark …« Damit meinte sie nicht bloß seine prächtigen Muskeln. Auch seine Feuerschau am Abend war beeindruckend gewesen. »Warum brechen Sie nicht einfach aus?«

»Weil diese Ketten feuerbeständig sind«, knurrte er. »Die Wände sind mit Stahl, Titan und einer Legierung verstärkt, die Wyatt entwickelt hat, damit meine Privathölle jeder Hitze widersteht, die ich gegen sie einsetze.«

Ihrer Beobachtung zufolge konnte er jede Menge Hitze erzeugen.

Eve näherte sich ihm vorsichtig und zog ihre Dietriche aus der Tasche. Sie war auf alle Eventualitäten vorbereitet, obwohl sie nie bei den Pfadfindern gewesen war, sondern als Jugendliche beinahe straffällig geworden wäre. »Sie müssen mir versprechen, mir nichts zuleide zu tun.« Sie ging ein Wagnis ein, das war ihr klar. Ihm zu trauen mochte verrückt sein.

Aber ich werde nicht zulassen, dass Wyatt ihn ertränkt. Auf keinen Fall. Sie würden jetzt türmen; Stunden, ehe Wyatt wieder Gelegenheit hätte, ihm wehzutun.

Dreizehn streckte die Hand nach ihr aus, und Eve wäre beinahe zurückgezuckt. Beinahe.

Doch sie hatte gelernt, den Ungeheuern im Dunkeln tapfer entgegenzutreten. Die Welt der Monster war ihr nicht neu. Sicher, die meisten Leute hatte es schockiert, als etwa vor zehn Jahren die ersten Vampire aufgetaucht waren, doch Eve war nicht erstaunt gewesen. Schon als sie noch nicht einmal hatte laufen können, hatte sie bereits von der Existenz von Ungeheuern gewusst …

Wider Erwarten waren seine Finger nun gar nicht mehr rau. Die Sanftheit vermittelte ihr ein … seltsames Gefühl. Er berührte ihre Wange. Ihre Lippen. »Würden Sie meinen Worten denn glauben?«, fragte er leise.

Hatte sie denn eine Wahl? »Sagen Sie mir Ihren Namen«, hauchte sie in seine Handfläche.

Im Licht der Taschenlampe verdunkelten sich die Schatten in seinem Gesicht unvermittelt. »Cain.« Wieder berührte er ihre Lippen und zog die Hand dann zurück. »Cain O’Connor.«

Ich bin hungrig. Warum, warum nur musste sie sich ausgerechnet jetzt an diese Worte erinnern?

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. »Cain, ich denke, wir müssen einander in dieser Sache vertrauen.« Sie sank neben ihm auf die Knie und richtete die Taschenlampe auf die Metallglieder an seinem Handgelenk. Dort gab es ein Schloss. Ihre Finger strichen über den weichen Stoff seiner Jogginghose. Wenigstens war er nicht mehr nackt.

Doch kaum hatte sie ihn berührt, regte sich schon etwas an ihm.

»Es dauert nur zwei, drei Minuten«, sagte Eve und legte ihr Einbruchsbesteck zurecht. »Das …«

»Wir haben keine zwei, drei Minuten.«

Mehr Warnung gab es nicht. Im nächsten Moment sprangen die Lampen in Cains Zimmer an und tauchten es in grelles Licht. Er packte sie, zerrte sie hoch, hielt sie sich vor den Leib und wandte sich dem halb durchlässigen Spiegel zu.

»Dr. Bradley …«, sagte Wyatt mit seinem etwas schleppenden Südstaatenakzent, »ich erinnere mich nicht, Ihnen erlaubt zu haben, Versuchsperson Dreizehn heute Nacht zu besuchen.«

Mist, Mist, Mist!

Und warum hatte Cain ihr die Hand erneut um die Kehle gelegt? »Ich … ich hab mir Sorgen um ihn gemacht.« Das stimmte. »Nach dem, was geschehen ist …« Sie ließ den Satz unvollendet und gab sich Mühe, hübsch bemitleidenswert und verloren zu wirken. Das fiel ihr in diesem Moment nicht sonderlich schwer. »Ich wollte nur … nach ihm sehen.«

Sie hatte die Dietriche wieder zurück in die Tasche geschoben. Ihre Stablampe war auf den Boden gefallen.

Und Cain presste sie sich noch immer vor den Leib.

»Nehmen Sie mir die Ketten ab!«, rief er, und sein Knurren ließ Eve um ihr Leben fürchten. »Oder ich bringe sie um.«

Moment! Das war nicht Teil der Abmachung gewesen! Eve versuchte, sich von ihm loszureißen, doch er rührte sich kein bisschen. Seine rechte Hand allerdings strich leicht über ihre Flanke. Als wollte er sie beschwichtigen.

Da er gerade gedroht hatte, sie umzubringen, fühlte Eve sich nicht sonderlich beschwichtigt.

»Nehmen Sie mir die Ketten ab!«, verlangte Cain erneut. »Oder Sie müssen zusehen, wie sie stirbt.«

Es kam keine Antwort, und die nächsten Worte schnitten in Eve ein wie ein Messer. »Ich garantiere Ihnen, Wyatt: Sie kommt nicht wieder.«

Allerdings nicht.

»Sie ist ersetzbar«, erwiderte Wyatt nur unendlich gelassen. »Und Sie sind es nicht.«

Eve keilte nach hinten aus und traf Cain voll an den Schienbeinen, doch er stöhnte nicht mal.

»Nehmen Sie mir die Ketten ab!« Cains Finger schlossen sich enger um ihre Kehle.

So viel zum Thema Vertrauen. Und zu der Vorstellung, sie würden gemeinsam gegen Wyatt kämpfen. Und zu …

Ein leises Zischen erfüllte den Raum.

»Mist!«, knurrte Cain.

Sie schaute hoch, um festzustellen, woher das Geräusch kam. Knapp unter der Decke befanden sich schmale Schlitze. Drang da Luft ein? Nein, das war keine Luft – sondern Gas.

»Sie erinnern sich noch an unser zweites Experiment?«, fragte Wyatt über den Lautsprecher. Seine Stimme klang ganz sanft, doch bar jeden Gefühls. »Ich wollte sehen, ob Sie Giftgas überleben.«

Eve begann zu würgen. Sie schob die Hände in die Taschen, zog sie wieder raus und zerrte an der Pranke, die sich um ihre Kehle gelegt hatte. Zugleich stocherte sie in dem festen Schloss um Cains Handgelenk.

»Je länger Sie sie festhalten, desto wahrscheinlicher sorgen Sie dafür, dass sie stirbt«, verhieß Wyatt ihm. »Denn Sie zwingen sie dazu, das Gift einzuatmen.«

Cain wirbelte Eve herum, und sie klammerte sich weiter an die Kette. Obwohl von »klammern« eigentlich keine Rede sein konnte. Sie gab sich größte Mühe, das Schloss zu knacken, ohne Wyatt merken zu lassen, was sie im Schilde führte.

Leider verlor sie langsam die Beherrschung über ihre Finger. Sie nestelte nur noch hektisch herum, und ihre Koordinationsfähigkeit ließ immer stärker nach, je mehr Gas sie einatmete. Sie mühte sich, nicht Luft zu holen, aber …

Ihre Knie wurden allmählich weich.

Cain fing sie auf und nahm sie in die Arme.

»Wollen Sie, dass sie stirbt?«, fragte Wyatt ihn.

Cain starrte mit versteinerter Miene auf sie herab. Sie hatte ihm helfen wollen. Helfen müssen.

Auf ihrem Gewissen lasteten schon mehr als genug Sünden. Eine gute Tat, die Rettung eines Geschöpfs – das wäre nicht genug, um die Waage zu ihren Gunsten ausschlagen zu lassen, aber es hätte immerhin etwas gezählt.

Cain küsste sie.

Es war das Letzte, womit Eve gerechnet hätte, aber seine warmen festen Lippen senkten sich herab, und er blies ihr sanft in den Mund. Nur ein kleines bisschen Atemluft, doch sofort schienen sich die wuchernden Spinnweben in ihrem Verstand zu verziehen.

Ihre Finger arbeiteten wieder konzentrierter am Schloss.

Er küsste sie weiter und bewegte den Mund leicht auf ihren Lippen, um seine Atemluft besser mit ihr zu teilen.

Sie spürte, wie das Schloss nachgab. Ein Handgelenk war also frei. Eines …

Das Zischen wurde lauter.

Noch mehr Gas.

Cain hob den Kopf. »Ich wusste doch, dass mir Ihr Geschmack gefallen würde.«

Sie hielt sich nur noch aufrecht, weil er sie stützte.

Seine Augen wurden schmal. »Davon will ich später mehr.«

Er griff nach ihren Fingern. Das sah aus, als hielte er sie. Doch in Wirklichkeit … nahm er ihr den Dietrich aus der Hand.

Dann hob er sie an die Brust und schob ihr einen Arm unter die Kniekehlen, den anderen unter den Kopf.

»Stirb mir nicht weg!« Das war ein Befehl. Er erreichte sie so leise, dass sie sich ihn womöglich nur eingebildet hatte. Cain näherte sich der Tür so weit wie möglich. Die Kette spannte sich und verhinderte noch einen Schritt. »Holen Sie sie raus!«

Die Tür öffnete sich nicht.

»Holen Sie sie raus!«

Eves Lunge brannte, und sie hatte Schmerzen am ganzen Leib.

»Ich denke, jetzt verstehen wir uns besser …«, meinte Wyatt, und obwohl sie sich immer benommener fühlte, entging ihr seine selbstgefällige Genugtuung nicht.

Die Tür glitt auf, und Hände packten Eve und zerrten sie aus der Zelle. Sie warf einen Blick zurück und konnte zu Cain Augenkontakt herstellen.

Sie sah die Wut in seinem Gesicht. Den wilden Zorn.

Dann schloss sich die Tür.

Eve mühte sich, schnellstens möglichst tief einzuatmen. Sie war benebelt, und ihre Bewegungen waren zu langsam, aber sie musste es sagen: »G… Gas … abdrehen.« Es drang noch immer durch die Schlitze in Dreizehns Zelle. Dabei war das jetzt doch nicht mehr nötig, nein …

Wyatt hockte sich vor ihr nieder. »Tut mir leid, aber das geht nicht.« Das schwache Grinsen auf seinen Lippen strafte seine mitleidig klingenden Worte Lügen. »Sobald das System sich eingeschaltet hat, besteht keine Möglichkeit mehr, das Gas abzudrehen.«

Das durfte nicht sein! Sie packte ihn und zerknüllte sein weißes, tadellos gestärktes Hemd. »Helfen … Sie … ihm …« Sie würgte ein wenig, atmete die gute Atemluft dann aber weiter tief ein.

Zwei Wächter trennten sie von Wyatt.

Er rückte sein Hemd zurecht. »Keine Sorge – wir wissen bereits, dass Gas Dreizehn nur für kurze Zeit tötet.«

Sie zuckte unter dem Griff der Wächter zusammen. Ihr Verstand wurde langsam wieder klar, und ihr Körper gewann an Kraft, doch die Hände, die sie festhielten, packten umso energischer zu. Die beiden Männer führten sie zurück in den Beobachtungsraum. Zurück vor den halb durchlässigen Spiegel.

Noch immer strömte Gas in die Zelle. Cain stand mit gestrafften Schultern mitten im Zimmer, und sein Blick – sein Blick war allein auf sie gerichtet.

Tut mir leid. Diesmal war sie es, die ihm diese Worte still zusandte. Ihre Lippen bewegten sich, doch sie brachte keinen Ton hervor.

Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte.

»Er widersteht dem Gas länger als beim letzten Mal. Eigentlich sollte er inzwischen auf den Knien sein.« Wyatt klang entsetzlich zynisch.

»Sie sind … ein kranker Kopf …«, brachte sie hervor. Sie war noch nicht wieder recht auf dem Damm, und zu reden strengte sie sehr an.

Er lächelte. »Und Sie sind nicht, wer Sie zu sein behaupten, Doktor Bradley.«

Als müsste sie sich ihm gegenüber rechtfertigen!

»Aber schon als Sie diese Einrichtung betraten, war mir klar, dass Sie nicht die sind, für die Sie sich ausgeben.«

Woher hatte er das gewusst? Ihre Tarnung war doch perfekt gewesen … Sie hatte Blut geschwitzt, als sie sich die falsche Identität zugelegt hatte.

Eve löste den Blick von Cain und funkelte den Arzt wütend an. »Warum haben Sie mich dann … bleiben lassen? Warum haben Sie ihn mir gezeigt?«

»Dreizehn?«

»Er heißt … Cain!« Er ist keine bloße Nummer!

»Weil ich wusste, dass Sie Genesis nicht mehr verlassen würden.« Er wies mit dem Kopf auf die beiden Wächter. »Und weil ich hoffte, ich könnte Sie benutzen.«

Benutzen?

»Und Sie scheinen nützlicher zu sein, als ich zu hoffen gewagt hatte.«

Die Wächter zogen sie langsam von der Scheibe des Beobachtungsraumes weg.

Sie stemmte die Füße auf den Boden und widersetzte sich. Cain sank unterdessen auf die Knie, und sein Kopf sackte herab.

»Erstaunlich, dass er Sie nicht getötet hat.« Der wahnsinnige Arzt wirkte verblüfft. »Zumal so kurz nach einer Verwandlung.«

Cain stürzte der Länge nach zu Boden.

Nein.

Erst als Wyatt einen Seufzer ausstieß, merkte Eve, dass sie geschrien hatte. »Seien Sie nicht so theatralisch! Ich habe Ihnen doch gesagt, Gas tötet ihn nur für kurze Zeit.«

Aber es hatte ihn getötet.

Die Wächter zerrten sie weg, und Eves Schreie schienen von den Wänden ihrer neuen Hölle widerzuhallen.

Das Feuer verzehrte sein Fleisch und verbrannte ihn von innen nach außen. Cain holte tief Luft und schmeckte die Asche auf der Zunge. Die Verwandlungen ereigneten sich nun schneller, heftiger, hitziger – und mit jeder Verwandlung …

Er spürte, wie die Dunkelheit in ihm wuchs.

Töte! Zerstöre!

Das Flüstern war da – es kam von dem Tier, das er seit vielen Jahren mit aller Kraft zurückzuhalten versuchte.

Der Tod ließ die Finsternis näher rücken. Ließ ihn noch mehr von dem Menschen verlieren, der er einst gewesen war.

Verwandelte ihn in das Tier, das zu werden das Schicksal für ihn bestimmt hatte.

Er legte die Hände auf den Boden, drückte sich hoch und sah das Feuer über die Mauern seiner Zelle züngeln und ersterben.

Cain rappelte sich auf und atmete dabei mehrmals tief ein. Er wollte nicht Asche auf der Zunge schmecken, sondern sie – Eve.

Das Tier knurrte, und erneut loderten Flammen empor. Er sah durch den Spiegel. Sie beobachteten ihn. Wie immer.

Ihnen war nicht klar, was sie von der Leine gelassen hatten. Ihre dämlichen Spielchen. Mit jedem Tod wurde er noch stärker. Noch gefährlicher.

Je schwächer der Mensch in ihm wurde und je mächtiger das Tier … desto gefährlicher wurde er. Brandgefährlich.

Schrille Schreie stachen ihm in die Ohren. Diese Frau hatte versucht, ihm zu helfen.

Warum?

»Sie ist sicher verwahrt.« Wieder diese Stimme, die ihn in den Wahnsinn trieb. Wyatt. »Keine Sorge«, tönte es weiter, »wir kümmern uns gut um sie.«

Die Flammen erstarben allmählich. Wieder und wieder musste er das Feuer runterschlucken, bevor er zu sprechen vermochte. »Es ist mir egal, was Sie mit ihr machen.«

Leises Lachen. »Von wegen.«

Er bewegte sich nicht. Ihm war klar, dass in seinen Augen noch immer Feuer glühte, und einer dieser Kerle sollte zu ihm in die Zelle kommen. Nur eben nahe genug, um ihn zu berühren …

»Sie erinnern sich noch an sie.« Wyatt klang zufrieden. »Und Sie wissen, wer Sie sind … Dabei konnten Sie sich nach unserem letzten Gas-Experiment tagelang auf nichts besinnen.«

Weil das Tier Besitz von ihm ergriffen hatte. Zu viel Dunkelheit. Wyatt und seine Laborkittelarmee begriffen das einfach nicht. Was ihn betraf, spielten sie nicht bloß mit dem Feuer. Sondern mit der Hölle.

Würde das Tier sich befreien – und er konnte es nicht mehr lange beherrschen -, vermochte nichts, es aufzuhalten. Es würde alles und jeden ringsum vernichten.

Sogar sie.

Manchmal waren die Auferstehungen schlimmer als sonst. Mitunter entglitt ihm das bisschen Menschlichkeit, das er besaß, weil er diese Dunkelheit und dieses Feuer wollte. Er wollte töten und zerstören.

Diesmal … diesmal war es anders gewesen. Er hatte sich beherrscht …

Warum?

Etwa … ihretwegen?

Cain schüttelte den Kopf. Er war ratlos und hatte Kopfschmerzen, und das Tier zerrte innerlich mit seinen Klauen an ihm. »Wyatt, das ist Ihre letzte Chance …« Denn jetzt war es vorbei mit der Selbstbeherrschung. Sie war nicht stark genug, um einen weiteren Tod zu überstehen. Das schaffte er nicht. Er hatte einfach nicht mehr genug Kraft dafür. Ich kann das Tier nicht länger unterdrücken. »Lassen Sie mich frei, oder sehen Sie zu, wie alle hier verbrennen!«

Der Arzt trat von der Scheibe zurück. Weil er Angst hatte. Darum versteckte er sich hinter seinen Experimenten und tat, als empfände er keine Lust dabei, anderen Schmerz zuzufügen.

Eve. Ihr Name geisterte Cain als ein Flüstern durch den Kopf.

Wyatt hob das Kinn. »Wenn Sie uns verbrennen, verbrennen Sie auch sie.«

Selbstgefälliger Hanswurst. »Sie ist mir egal.« Cain war ihr gerade erst begegnet. Warum sollte er …?

»Dann hätten Sie sie am Gas ersticken lassen. Oder ihr das Genick gebrochen.« Wyatts Stimme triefte geradezu vor Befriedigung. »Aber Sie haben sie leben lassen.«

Fehler. Der Arzt beobachtete ihn ständig genau. Das hätte ihm klar sein müssen … Eve war nur ein Experiment mehr für ihn.

»Tja.« Cain wandte sich von dem halb durchlässigen Spiegel ab. »Vielleicht wollte ich bloß vögeln, und sie war die erste gut aussehende Frau, die ich in diesem Gefängnis gesehen habe.« Wie lange saß er schon hier fest? Er konnte sich nicht erinnern.

Hätte er in einem normalen Stahlkäfig gesessen, hätte er leicht fliehen können.

Doch an seiner Haft war nichts normal. Die Ketten waren aus einer neuen Legierung, und trotz seiner enormen Stärke hatte Cain sie nicht sprengen können. Doch Eve hatte eins der Schlösser für ihn aufbekommen.

Er sah zu Boden. Das Feuer hatte den Dietrich verbrannt.

Doch ein Schloss war offen …

Damit konnte er arbeiten.

Cain lächelte unmerklich; er wusste, dass der Arzt dieses Lächeln nicht sah. Gut … Wyatt sollte ruhig überrascht sein, wenn die Hölle über ihn hereinbrach.

Ob er noch lächeln würde, wenn die Flammen sein Fleisch langsam verzehrten?

Erst zwölf Stunden später öffnete sich die Tür zu Cains Zelle wieder. Kurz zuvor war sein Aktionsradius einmal mehr verkleinert worden, wie es stets geschah, bevor ein Wächter eintrat.

Sie legten ihn fester an die Kette, damit er nicht angriff.

Cain rechnete damit, dass zuerst ein Wächter reinkommen würde. Oder Wyatt.

Stattdessen betrat Eve die Zelle.

Sie war bleich, bleicher als zuvor, und trug noch immer das weite Top und die enge Jeans, die sie bei ihrem Besuch in der Nacht angehabt hatte. Sie musterte ihn von oben bis unten, und ihr Blick verweilte kurz auf den Schlössern an seinen Handgelenken.

Wyatt gab ihr einen Schubs, und sie trat weiter in die Zelle hinein. »Ich habe Ihnen ein Geschenk mitgebracht«, verkündete er.

Eves Augen wurden schmal. »Ich bin kein Geschenk!«

Wyatt lachte nur. Warum merkten seine Auftraggeber nicht, dass er wahnsinnig war? Oder war es ihnen egal? Solange er seine Arbeit erledigte, war es womöglich gleichgültig, wie verrückt er war.

Und was das Fertigmachen der Übernatürlichen anging, leistete Wyatt mörderisch gute Arbeit. Er führte Experimente an ihnen durch und schnitt sie auf, um genau herauszufinden, was in ihnen vorging.

Um ihren Genbestand schließlich aufteilen und eine neue Gattung Ungeheuer erschaffen zu können. Unaufhaltbare Soldaten, die sich nur von Blut und Angst nährten. Cain war lange genug gefangen gewesen, um sich ausmalen zu können, was hier vorging. Und Wyatt hatte nicht mal versucht, diese Dinge vor ihm geheim zu halten. Anfangs hatte der Arzt sogar gedacht, Cain müsste die verfluchte Genialität seiner Pläne bewundern.

Die Genialität?

Den Wahnsinn!

Wyatts Gelächter verebbte, und er sah sich wieder zu Eve um. »Sie, Miss Bradley, sind eine Journalistin, und allein das ist schon … ärgerlich.«

Eine Journalistin? Mit ausdrucksloser Miene wartete Cain ab, welches Spiel der Arzt nun spielen würde.

Doch Eve straffte die Schultern. »Allerdings, ich bin Journalistin, kann also nicht einfach so verschwinden. Einige Leute wissen, dass ich hier bin. Sie werden nach mir suchen.«

»Gut möglich, dass es nichts mehr zu finden gibt«, erwiderte Wyatt schulterzuckend und wirkte ganz und gar nicht beunruhigt. »Wäre das nicht eine Affenschande?«

»Dreckskerl!«, fuhr Eve ihn an.

In diesem Moment bemerkte Cain die Schusswaffe. Der Wächter – wieder Barnes, der offenbar liebend gern Wyatts Lakai war – hielt den Revolver genau auf Eve gerichtet.

Wyatt lachte nur hämisch.

Eve blinzelte.

»Ich denke, Dreizehn …«, setzte Wyatt schließlich an.

»Cain«, fuhr sie ihn an. Eve hatte Temperament. Cain mochte das. »Der Mann hat einen Namen - verwenden Sie den gefälligst!«

Wyatt winkte ab. »Ich denke, Dreizehn möchte mit Ihnen vögeln.«

Ihr fiel die Kinnlade runter.

Cain rührte sich nicht. Stimmt. Doch er hatte sich unter Kontrolle. Er hatte …

»Wut entfacht sein Feuer.« Wyatt ging in der Zelle auf und ab, beobachtete Cain dabei mit zur Seite geneigtem Kopf und trommelte sich mit den Fingern ans Kinn. »Deshalb bin ich gespannt, ob Leidenschaft die gleiche Wirkung hat.«

Komm näher, Dreckskerl! Nur ein wenig näher …

Eine Berührung, und das alles hier könnte vorbei sein.

Wyatt zeigte auf Cain. »Ich werde Sie schon noch durchschauen.«

Wohl kaum.

»Ich glaube, ich weiß sogar schon, was Sie sind.«

Sollte er sich etwa Sorgen machen?

»All diese Macht …« Wyatt schüttelte den Kopf und ließ den Arm sinken. »Wir werden die Welt verändern.«

Na bravo. »Wenn ich von hier fliehe, bringe ich Sie um.« Das war ein Versprechen.

Eve schob sich vorsichtig Richtung Tür, doch der Wächter hielt sie auf.

»Sie werden uns nicht verlassen, Miss Bradley. Immerhin haben Sie mich angefleht, das Experiment mit dem Ertränken vorerst zu verschieben.« Wyatt strich seinen Laborkittel glatt. Als säße der nicht perfekt! Dieser Kerl und sein Kontrollwahn – ständig war er die Selbstbeherrschung in Person. »Weil ich großzügig gestimmt bin, entspreche ich diesmal Ihrem Wunsch.«

Dieser Lügner. All das war Teil seines Plans, eins seiner kranken Spiele.

»Weil ich das Experiment des Ertränkens nicht genießen kann«, fuhr Wyatt fort, »muss ich es durch ein anderes ersetzen.«

»Ich bin ein Mensch«, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor, »und nicht Teil eines Experiments, das Sie …«

»Heute sind Sie das Experiment.«

Cain freute sich schon darauf, ihn sich vorzunehmen.

Wyatt fasste ihn nun prüfend ins Auge. »Ich hatte Ihnen gesagt, dass ich Ihnen heute ein Geschenk mache.« Er hielt kurz inne. »Sie haben sie gewollt. Sie gehört Ihnen … die nächste Stunde lang.«

»Was?«, kreischte Eve. »Ich bin doch keine …«

»Bleiben Sie bei ihm … sonst verbringen Sie die nächste Stunde in der Zelle des Vampirs, dem ich seit sechs Wochen kein Blut mehr gegeben habe.«

Cain sah, wie sie zusammenzuckte.

Ein ausgehungerter Vampir? An ihrem zarten Hals? Um Himmels willen!

Eve räusperte sich. »Ich denke … ich denke, ich wähle die erste Alternative, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Vampire und ich, wir kommen einfach nicht miteinander klar.«

Das hätte sie dem Arzt nicht sagen sollen. Wyatt würde dieses Wissen später gegen sie verwenden. Er erfuhr liebend gern, was seine Probanden fürchteten und begehrten.

Der Arzt drehte sich um und wollte an Eve vorbeigehen und die Zelle verlassen.

Sie warf sich so energisch gegen ihn, dass sie fast gestürzt wären. »Nicht!«, rief Eve schrill. »Lassen Sie mich nicht mit ihm allein! Sie wissen, was er vermag. Er wird mich verbrennen.«

Cain rührte sich nicht.

Der Wächter und Wyatt zerrten an Eves Händen. Als sie den Arzt nicht loslassen wollte, stieß Barnes ihr den Griff seines Revolvers in die Seite.

Cain knurrte.

Barnes erstarrte und wandte ihm dann sehr langsam den Kopf zu.

Du bist tot.

Eve lag am Boden und flehte nicht mehr. Sie war reglos.

Wyatt lächelte. »Viel Spaß.« Dann ging er. Barnes folgte ihm und zog die Tür hinter sich zu. Cain hörte sie ins Schloss fallen, und die Zelle war wieder verriegelt. Eve blieb am Boden hocken, einen Arm zum Schutz um den Leib geschlungen.

Ihr Geruch erfüllte die Luft. Sie roch wirklich wie Naschwerk … und er hätte sich über diese Süßigkeit liebend gern hergemacht. Noch immer spürte er ihre Lippen auf seinem Mund.

Er spürte aber auch die Augen des anderen, Wyatts Blick, der beobachtend auf ihnen lag. Und dieser Irre freute sich an einem weiteren verrückten Experiment.

»Ich … ich habe einen Freund.« Eve klang verängstigt, wohl weil sie grässliche Furcht hatte. »Egal also, was Sie sich ausmalen mögen«, sie blickte in den halb durchlässigen Spiegel, »es wird nicht geschehen. Mein Freund, der bei der Polizei ist, wird mich aufspüren und Ihnen beiden Feuer unterm Hintern machen!«

Ah, jetzt klang sie nicht länger ängstlich. Der Biss in ihren Worten hätte ihn beinahe lächeln lassen.

»Seien Sie entgegenkommender …«, befahl Wyatt ihr über den Lautsprecher, »oder Sie enden als Vampirnahrung.«

Sie stand auf, behielt den Arm aber um den Oberkörper geschlungen. »Sie machen mich also zu einer Prostituierten … Nette Geste, Doktor Wyatt. Das hat Klasse.«

Cain rührte sich nicht, sondern beobachtete sie nur. Und wartete. Wyatt hatte ihn durchschaut. Er wollte sie tatsächlich, doch er musste vorsichtig sein.

Er wollte sie nicht verletzen.

Aber jetzt näherte sie sich ihm mit ihrem herrlichen Geruch und ihrer … Nein, in ihrem Blick lag ganz und gar keine Angst. Sie hatte dem Spiegel den Rücken zugewandt, und auf ihren Lippen lag ein schwaches Lächeln.

Diese Frau wirkte nicht furchtsam. Und auch nicht wütend. Sie schien ausgesprochen zufrieden mit sich zu sein.

»Aber ich schätze«, sagte sie sehr vernehmlich, »wenn es keine andere Wahl gibt …«

Sie schlang ihm die Arme um den Leib. Obwohl ihre Umarmung etwas kühl ausfiel, ging ihre Berührung ihm durch und durch. »Wenn es keine andere Wahl gibt«, wiederholte sie nun leise und nur für ihn bestimmt, »müssen wir wohl das zum Überleben Notwendige tun.«

Und sie drückte ihm die Lippen auf den Mund.

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