Firefly Creek - Lilian Kaliner - E-Book
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Firefly Creek E-Book

Lilian Kaliner

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Beschreibung

Der dritte Band der wunderbaren Australien-Serie von Lilian Kaliner: Die unwiderstehliche Bennett-Familie ist zurück und alle müssen zusammenstehen, um ihre Farm zu retten – und die Liebe. Die taffe Erin ist mit Herzblut Farmerin, da bleibt wenig Zeit zum Ausgehen in Firefly Creek, dem malerischen Städtchen in Südaustralien. Doch dann trifft sie den smarten Banker Will. Sie genießt die Aufmerksamkeit, die er ihr entgegenbringt. Aber soll sie sich ernsthaft auf ihn einlassen? Als ihr Vater plötzlich stirbt, steht die Zukunft der Farm auf dem Spiel. Zum Glück findet Erin Unterstützung bei John, von der Nachbarsfarm der Bennetts. Ist er wirklich nur ihr bester Freund – oder mehr? Und welche Absichten hat Will wirklich? Als alle Gewissheiten ins Wanken geraten, muss Erin auf ihr Herz hören und erkennen, was wirklich zählt. Band 1 »Sehnsucht in deinem Herzen« Band 2 »Das Glück findet dich« Band 3 »Du in meiner Nähe«

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Seitenzahl: 456

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Lilian Kaliner

FIREFLY CREEK

Du in meiner Nähe

Roman

 

 

Über dieses Buch

 

 

John Bennett glaubt eigentlich nicht an die Liebe, sie bringt nur Kummer und Scherereien. Da ist die Freundschaft mit Erin von der Nachbarsfarm viel beständiger und unkomplizierter. Seit ihrer Kindheit halten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Aber was findet Erin nur auf einmal an dem geschniegelten Banker Will? Die beiden passen doch gar nicht zusammen, außerdem ist der Typ John nicht geheuer. Eines Nachts steht die Nachbarsfarm in Flammen und John setzt alles daran, Erin zu retten. Als er fürchtet, seine Freundin zu verlieren, erkennt John, dass er sein Herz schon vor langer Zeit an sie verloren hat. Endlich kommen die beiden sich näher, doch dann macht John einen folgenschweren Fehler. Erin will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Dabei müssen sie jetzt, nach dem Tod von Erins Vater, unbedingt zusammenarbeiten, um das Überleben ihrer beiden Farmen zu sichern. Bekommt John eine zweite Chance bei seiner großen Liebe?  

 

Weitere Romane von Lilian Kaliner:

»Sehnsucht in deinem Herzen«

»Das Glück findet dich« 

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Lilian Kaliner (*1984) lebt mit ihrem Mann, zwei Kindern, einem Hund und vielen Hühnern in der Nähe von Freiburg. Mit ihrem Mann reiste sie früher in einem uralten Campingbus durch Australien, übernachtete an einsamen Stränden, erntete Kirschen und verliebte sich in das Land. Kein Wunder, dass ihre Romanreihe um eine turbulente Großfamilie in Australien spielt. Nach »Sehnsucht in deinem Herzen« und »Das Glück findet dich« treffen wir die Bennetts aus Firefly Creek mit »Du in meiner Nähe« wieder.

 

Die Autorin ist auf Instagram und Facebook zu finden.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Impressum

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2021 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Redaktion: Ilona Jaeger

 

Covergestaltung: www.favoritbuero.de

Coverabbildung: www.favoritbuero.de unter Verwendung von Motiven von Shutterstock

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-491332-2

 

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Prolog

27 Jahre zuvor

In das Geräusch der Hammerschläge mischte sich das Kreischen und Gelächter der Kinder. Harry, der dabei war, die neuen Latten an der Scheunenseite zu befestigen, hielt einen Moment lang inne und beobachtete, wie John auf dem Heuspeicher Anlauf nahm, absprang und auf den Heuballen landete, die Harry heute noch unter das Dach schaffen wollte.

Sein Blick wanderte zu Erin, die mit leuchtenden Augen und Stroh im Haar die Leiter hochkletterte und Samuel einen Stoß verpasste, woraufhin dieser glucksend neben seinem Bruder landete. Ein Lächeln zuckte in Harrys Mundwinkeln, als er nach einem weiteren Nagel griff und diesen mit einem gezielten Schlag im Holz versenkte. Aus den Augenwinkeln sah er das Mädchen von der Nachbarfarm abspringen und hörte gleich darauf einen Schrei, der anders als die vorherigen klang. Er ließ den Hammer fallen und stürzte auf das am Boden hockende Kind zu, das sich das Bein hielt. Auf ihrem Knie war eine Schürfwunde zu erkennen, aus der Blut sickerte.

»Geht’s?«, fragte er nach, kniete sich neben sie und betrachtete die Verletzung.

»Bin nur von einem Ballen abgerutscht und auf dem Boden aufgekommen«, erklärte Erin nach Luft schnappend. Schmal und blass pressten sich ihre Lippen aufeinander.

Sein ältester Sohn John rutschte ebenfalls an Erin heran und betrachtete die Wunde. »Du brauchst ein Pflaster«, stellte er fest.

Das Mädchen schüttelte energisch den Kopf, und die dunklen, dichten Locken hüpften dabei um ihr Gesicht. »Es geht schon«, murmelte sie und zog geräuschvoll die Nase hoch.

Natürlich wusste Harry von Erins Abneigung gegen Pflaster. Oft genug hatte sich ihre Mutter bei ihm über diese Eigenheit ihrer dickköpfigen Tochter beschwert, die es beeindruckend häufig fertigbrachte, sich die Knie aufzuschürfen.

»Doch, du brauchst eins«, entschied John, sprang auf und rannte zum Haus.

»Ich hole dir ein Glas Wasser«, rief Samuel und folgte seinem Bruder.

Es war zu erkennen, dass Erin Schmerzen hatte, doch sie hielt die Tränen tapfer zurück.

Seufzend hockte Harry sich auf den staubigen Boden. »Was genau hast du eigentlich gegen Pflaster?«, bemühte er sich, sie abzulenken.

»Man braucht sie nicht«, sagte Erin. »Entweder man muss genäht werden, oder man hat nichts.«

Ein dröhnendes Lachen ließ Harrys Brust erbeben. Er legte seine Hand auf ihre schmale Schulter. »Dieser Spruch könnte auch von mir stammen«, brummte er. »Hattest du denn überhaupt schon mal ein Pflaster?«

Wieder schüttelte sie den Kopf, und Heureste rieselten aus ihren Haaren. »Ich hasse diese Dinger«, rief sie und schob die Unterlippe vor.

Die Brüder kehrten keuchend zurück in die geräumige Scheune, und während Samuel Erin das Wasser reichte, kniete John sich vor sie hin. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er die Wunde und hob eine kleine Sprühflasche. »Das muss desinfiziert werden.« John lächelte sie an. »Keine Sorge, das brennt nicht«, setzte er hinzu und sprühte die Schürfstelle ein.

Harry lehnte sich abwartend gegen die Heuballen und beobachtete, wie John ein Stück von der Pflasterrolle abschnitt. Sorgfältig klebte er es auf das Knie und zupfte Erin dann mehrere Halme aus den Haaren.

»Ihr könnt das Heu nach oben bringen, für heute reicht’s mit Springen«, brummte Harry seinen Söhnen zu.

Beide schnappten sich je einen Ballen und kletterten damit geschickt die Leiter hoch. In ihren kurzen Leben hatten sie diese Arbeit sicherlich schon Hunderte Male verrichtet.

»Warum lässt du dir ausgerechnet heute ein Pflaster aufkleben?«, fragte Harry leise und beugte sich zu der Neunjährigen herab.

Ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. »Weil Johnny es aufgeklebt hat.« Sie kicherte und zwinkerte ihm zu. »Sobald ich zu Hause bin, werde ich es natürlich abreißen.«

Harry schmunzelte und half ihr aufzustehen. Ehe er sich’s versah, wuchtete das zierliche Mädchen einen Heuballen auf ihren Rücken und schleppte ihn zur Leiter, wo sie ihn John übergab.

Harry stapfte zurück zur Wand und steckte sich mehrere Nägel zwischen die Lippen. Er sah noch einmal zu Erin und seinem Sohn. Seit dem Tag, an dem die Holts von der Nachbarfarm ihre neugeborene Tochter zum ersten Mal nach Silverwood gebracht und der damals einjährige John einen prüfenden Blick auf das Mädchen geworfen hatte, verband die beiden eine Freundschaft, die durch nichts zu erschüttern war. Erin hatte John dabei geholfen, über den Tod seiner Mutter hinwegzukommen, als er sieben Jahre alt war, und ihn wieder zum Lachen gebracht. Es war, als wären die Kinder durch ein unsichtbares Band verbunden. Sein Sohn liebte das eigensinnige Mädchen über alles, und auch sie schien ihm zu vertrauen wie niemandem sonst. Harry setzte einen Nagel an und schlug zu. Wenn er mit Erins Vater Graham zusammensaß, hatten sie schon mehrfach darüber spekuliert, ob Erin und John irgendwann einmal heiraten und die Farmen beider Familien vereinen würden. Vielleicht sollte es tatsächlich eines Tages so kommen. Heute zumindest glaubte Harry daran.

Kapitel 1

Heute

Erin zog die Vorhänge zur Seite und öffnete das Fenster. Genüsslich sog sie die frische Morgenluft ein und lauschte dem Gezeter der Vögel, die über das Blechdach des Farmhauses hüpften und mit den Krallen ein Geräusch erzeugten, das an prasselnden Regen erinnerte. Seit Monaten hatte es keinen Niederschlag gegeben, und allmählich sehnte sie sich nach einem anständigen Schauer. Das Gras wurde täglich gelber, und jedes noch so kleine Lüftchen trug den Staub des ausgetrockneten Bodens geradewegs ins Haus. Dagegen half nur, Fenster oder Türen tagsüber geschlossen zu halten. Sie nahm eine Arbeitshose und ein Shirt aus dem Schrank und zog sich an. Dann schloss sie Fenster und Vorhänge, um die Hitze, die in spätestens einer Stunde gnadenlos auf die Elderberry Farm hinabbrennen würde, auszusperren, und lief die Treppe runter ins Erdgeschoss.

Ihr Vater saß am Küchentisch und blätterte in der Zeitung, während ihre Mutter ihr ein Lächeln zuwarf und die Spiegeleier in die Pfanne schlug. Erin gähnte und verteilte Teller und Besteck auf dem Tisch, dann setzte sie sich ihrem Dad gegenüber. Erin schätzte die ruhigen Minuten beim Frühstück, ehe der Farmalltag begann und kaum eine Verschnaufpause zuließ.

»Die Rinderpreise sinken weiter«, murmelte ihr Vater, faltete die Zeitung zusammen und ließ sie neben sich auf den Tisch fallen.

»Die steigen schon wieder, das Spiel kennen wir doch nur zu gut.« Erin schenkte sich Kaffee ein.

Er nickte und legte die Hände um seine Tasse.

Gerade als ihre Mum sich ebenfalls gesetzt hatte und Erin sich von den Eiern nehmen wollte, war ein Klopfen an der Haustür zu hören. Sie sah auf die Wanduhr.

»Es ist halb sechs, wer taucht denn schon um diese Zeit hier auf?« Ihre Mutter fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und überprüfte, ob ihr Morgenmantel ordentlich zugeknöpft war.

»Ich sehe nach.« Erin stand auf und trat in den Flur. Als sie die Tür öffnete, sah sie in ein lachendes kleines Gesicht. »Was machst du denn hier, Ollie?«

Der Junge ließ einen scheinbar randvoll gepackten Rucksack geräuschvoll neben sich fallen. »Ich bin abgehauen, um jetzt bei dir zu wohnen«, verkündete er und strahlte noch breiter.

»Du bist abgehauen?« Erin schielte zu dem Pferd, das der Junge am Balken vor der Scheune angebunden hatte. Der lockere Knoten in den Zügeln löste sich, und das Tier begann vereinzelte Grashalme abzuknabbern. »Und du hast Nero mitgenommen?«

»Grandpa gibt mir auf ihm Reitunterricht. Er ist zwar schon alt und langsam, aber bis hierher hat er es geschafft.« Ollie schnappte sich den Rucksack und schleifte ihn an ihr vorbei in den Flur.

Ihre Eltern tauchten in der Küchentür auf und ihre Mum stürzte sofort auf das Kind zu und beugte sich zu ihm hinunter. »Ollie Bennett, sag nicht, dass du ausgerissen bist!«

»Doch, Ma’am.« Der Bursche streckte den Rücken durch. »Ich wohne jetzt bei Erin, weil sie kein Kind hat. Ich bin schon groß und kann ihr bei der Farmarbeit helfen.« Zum Beweis winkelte Ollie einen Arm an und betrachtete zufrieden seine Muskeln.

»Deine Mum wird sich schrecklich sorgen, wenn sie dich nicht findet«, redete ihre Mutter auf ihn ein.

Ollie schüttelte den Kopf. »Die merkt das gar nicht, weil sie immerzu mit dem Baby beschäftigt ist.«

»So ist das also.« Auf dem Gesicht ihrer Mum erschien ein mitfühlendes Lächeln. »Ich bin mir ganz sicher, dass sie dich sehr vermissen wird. Ich ziehe mich rasch an und dann fahre ich dich zurück nach Silverwood.«

»Nein!« Ollie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bleibe hier. Mein Grandpa hat mir alles beigebracht, was ein Farmer wissen muss. Erin hat doch keinen Mann, sie kann mich hier brauchen.«

Nur mit Mühe unterdrückte Erin ein Lachen. Ollies trotziger Ausdruck war einfach zu niedlich. Sie trat auf den Jungen zu. »Ich mache das, Mum, frühstückt ihr ruhig zu Ende.«

Ihre Mutter richtete sich auf und strich Ollie über die Haare.

»Er hat recht, noch ein Mann könnte hier wirklich nicht schaden«, brummte ihr Vater. »Aber er sollte etwas älter als fünf Jahre sein.«

Erin warf ihm einen strafenden Blick zu und zog Ollie am Arm ins Wohnzimmer. Der Kleine setzte sich auf das Sofa und platzierte den Rucksack neben sich.

»Wie lange willst du denn hierbleiben?«

»Für immer.« Ollies Ton ließ keinen Raum für Zweifel.

»Und was hast du alles eingepackt?«

Ollie öffnete den Reißverschluss und zog mehrere Schwerter hervor. »Damit ich dich beschützen kann«, sagte er. Es folgten ein paar Spielsachen, dann einige Schokoriegel, eine Ritterfigur, und zuletzt legte er sorgfältig eine Unterhose oben auf den Haufen.

Erin lachte. »Du willst für immer hier wohnen und packst nur eine Unterhose ein?«

»Die kann man umdrehen. So hält sie für zwei Tage. Dann musst du halt waschen.«

»Du hast das gut durchdacht.«

»Ich bin auch schon groß.«

»Trotzdem musst du noch bei deiner Familie leben, Ollie. Du hast es doch auch gut auf Silverwood.«

»Die brauchen mich nicht mehr.« Der Junge zog eine Schnute. »Seit Charlie auf der Welt ist, muss Mum sich immer um sie kümmern, weil sie ständig schreit. Und Dad hat auch viel zu tun. Gestern Abend ist er sogar eingeschlafen, als er mir vorgelesen hat.«

Ganz bestimmt war so ein Baby ziemlich anstrengend, und wie Erin gehört hatte, machte die kleine Charlie gerne die Nächte durch. Kein Wunder, dass Ollies Ziehvater Ethan bei der Gutenachtgeschichte selbst einschlief. »Deine Eltern lieben dich sehr, das weißt du, oder?«, wagte Erin einen erneuten Vorstoß.

Der Junge kniff die Augen zusammen.

»Ich muss sie anrufen, Ollie. Nicht, dass sie ganz Silverwood nach dir absuchen und Angst um dich haben.«

»Sag ihnen, dass ich jetzt bei dir wohne.«

Erin linste auf die Armbanduhr. Sie musste dringend mit der Arbeit beginnen. Die Tage waren auch so schon stets zu kurz. Und sie hatte nicht den blassesten Schimmer, wie man mit Kindern umging. Ollies Auftauchen kam ihr mehr als ungelegen. »Ich gehe jetzt in die Küche und rufe deine Mum an«, sagte sie und stand auf.

»Ich lege meine Sachen schon mal ordentlich hin.« Ollie sah sich im Raum um und sprang dann auf die Couch. »Und hier werde ich schlafen!«

Erin rollte mit den Augen und trat in die Küche.

»Ist er bereit, wieder nach Hause zu gehen?«, fragte ihre Mutter.

Erin griff nach dem Telefon und schnaubte. »Ollie richtet sich gerade häuslich ein. Sollen Liz und Ethan zusehen, wie sie das wieder hinbiegen.«

»Du bist auch mal ausgebüxt«, sagte ihr Dad.

»Ach ja?«

»Ja. Du warst etwa in Ollies Alter und wolltest bei den Bennetts wohnen, weil es da viele Kinder gab.«

Erin nickte. Als Einzelkind hatte sie sich stets Geschwister gewünscht und war manchmal neidisch auf ihre Freunde von der Nachbarfarm gewesen. »Ihr habt mich sicher sofort zurückgeholt«, lachte sie.

»Nein.« Ihr Vater schmunzelte. »Ich habe mit Harry telefoniert, und er meinte, wir sollen dich einfach auf Silverwood lassen. Er würde dich mit anpacken lassen, bis du merkst, dass es dir bei uns eigentlich doch ganz gut geht.«

»Am nächsten Tag warst du schon vor dem Frühstück wieder hier.« Ihre Mum lachte, stand auf und holte einen weiteren Teller aus dem Schrank. »Ollie wird hungrig sein«, sagte sie und legte Brot und Eier darauf.

»Wir sollen ihn hierbehalten?« Erin stöhnte theatralisch.

»Er ist immerhin der Sohn deines Freundes.« Über die Schulter sah ihre Mutter zu ihr.

»Das ist ein gemeiner Trick«, murmelte Erin. Samuel war einer ihrer besten Freunde gewesen und leider vor Ollies Geburt gestorben. Und der Bursche glich seinem Vater nicht nur im Aussehen, sondern hatte auch seine freche Art geerbt.

»Du wirst es wohl einen Tag lang schaffen, dich um ein Kind zu kümmern. Bestimmt will er bald nach Hause zurück.«

»Ollie ist ja auch schon groß und stark, du kannst seine Hilfe sicher gebrauchen.« Ihr Dad grummelte und aß weiter.

»Schon gut.« Erin wählte die Nummer von Silverwood. »Ich werde sehen, was seine Mum dazu sagt.« Mit etwas Glück würde Liz Bennett nicht auf diese Schnapsidee eingehen und ihren Erstgeborenen umgehend zurückbeordern.

* * *

John stapfte durch die Seitentür in die Küche und hängte seinen Hut an den Wandhaken. »Nero ist weg«, brummte er und setzte sich zu Harry an den Tisch.

Sein Vater runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«

»Na, dass er nicht auf der Koppel steht.« John schüttelte den Kopf. »Es ist mir ein Rätsel: Das Gatter ist fest verschlossen, und der alte Bock wird wohl kaum über den Zaun gesprungen sein. Nach dem Frühstück werde ich ihn suchen.«

»Hast du gestern Abend nicht nach den Pferden gesehen?«, fragte Harry.

John zog die Augenbrauen zusammen. »Natürlich habe ich das, so wie immer.«

»Vielleicht will er auf seine alten Tage noch etwas Spaß haben.« Jim ließ die Zeitung sinken und blickte zwischen ihm und Harry hin und her. »Der kommt schon wieder.«

John nickte seinem Bruder zu. »Ich sehe mich zur Sicherheit trotzdem um. Man weiß ja nie.«

»Dir ist auch jede Ausrede recht, damit du ausreiten kannst«, scherzte Jim.

Der Tag konnte in der Tat schlechter beginnen als mit einem Ausritt. Doch es irritierte John wirklich, dass ausgerechnet das Rentnerpferd es irgendwie von der Koppel geschafft hatte.

Auf der Treppe waren Schritte zu hören, und Liz rauschte mit Charlie auf dem Arm in die große Küche. Sie sah sich um. »Habt ihr Ollie gesehen?«

Alle drei schüttelten den Kopf und Liz’ Augen verengten sich. »Wo steckt der Lümmel nur?«, murmelte sie. Dann reckte sie den Kopf in den Flur. »Hier ist er auch nicht, hast du ihn gefunden?«

»Hab alle Räume durchgesehen, oben ist keine Spur von ihm«, schallte Ethans Stimme zurück.

»Erst Nero und jetzt Ollie«, brummte Harry. »Irgendwas ist in diesem Haus doch immer los.«

»Was soll das heißen?« Liz starrte ihren Schwiegervater an. »Was ist denn mit Nero?«

»Er ist auch weg«, erklärte John.

Liz’ Blick wanderte zu den Hüten, die an der Wand in einer Reihe hingen, und sie schnappte nach Luft. Ehe John es sich versah, hatte sie ihm schon das Baby in die Arme gedrückt. Sofort lief Charlies Gesicht rot an, und John seufzte. Er wusste, was nun folgen würde. Der kleine Körper in seinen Händen erzitterte, und dann schallte lautes Gebrüll durch die Küche. John stand auf und wiegte das Mädchen hin und her, während Liz Ethan nach unten rief.

»Was ist denn los?«, fragte John und machte einen Schritt auf seine Schwägerin zu, um ihr das krähende Kind zurückzugeben.

Liz scheuchte ihn mit einer Geste davon und zog sich Schuhe an. »Ollies Hut fehlt. Nero, Ollie und der Hut.« Sie stemmte die Hände an die Hüften. »Er ist abgehauen, John.«

»Glaubst du das wirklich?« Jim stand ebenfalls auf und sah sie besorgt an.

»Ich fürchte, ja.« Liz schüttelte den Kopf und schluckte. »Er kommt etwas zu kurz, seit das Baby da ist, und meinte vor ein paar Tagen, dass ich ihn gar nicht mehr bräuchte. Natürlich habe ich ihm erklärt, dass Babys furchtbar fordernd sind und ich ihn ganz doll lieb habe. Aber vielleicht hat er es mir nicht geglaubt.« Sie hob die Hände und ließ sie wieder sinken.

»Weit wird er noch nicht gekommen sein, wir suchen ihn«, brummte Harry, rollte die Zunge und ließ einen markerschütternden Pfiff ertönen.

John betrachtete das Baby, das ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte, erneut erbebte und noch lauter schrie. Seufzend legte er Charlie an seine Schulter, während Ethan in die Küche trat.

»Hast du ihn gefunden?«

»Er ist wohl ausgerissen«, sagte Liz und reichte ihrem Mann seine Schuhe.

»Mist.« Ethan beugte sich hinunter, um sich die Schnürsenkel zuzubinden.

Alarmiert von Harrys Pfiff, polterten die Zwillinge die Treppe herunter und stürzten in die Küche.

»Ihr hättet längst aufstehen sollen«, ermahnte Harry seine jüngsten Söhne. »Frühstück gibt’s später, euer Neffe ist ausgerissen und wir müssen ihn finden.«

»Ollie ist weg?« Quentin fuhr sich durch die verstrubbelten dunklen Locken. »Seid ihr sicher?«

Liz warf ihm einen stechenden Blick zu. »Ich werde wohl noch mitbekommen, wenn mein Sohn fehlt.«

River boxte Quentin in die Seite und schob ihn zur Seitentür. »Wir nehmen die Bikes und sehen uns nördlich von hier um.«

Harry nickte. »Ich fahre mit dem Pick-up zur Landstraße, Jim sieht sich bei der großen Weide um, John im Westen, und Liz und Ethan machen sich wohl am besten mit den Pferden auf den Weg zum Stausee. Ich wette, Ollie ist dort und badet fröhlich, während hier alles Kopf steht.«

»Reiten am frühen Morgen«, stöhnte Ethan, der im Gegensatz zum Rest der Familie kein Händchen für Pferde hatte.

»Und was ist mit ihr?« John hob Charlie hoch und alle starrten auf das plärrende Kind, das in der vergangenen Nacht wieder einmal die ganze Familie um den Schlaf gebracht hatte.

»Sie hat gerade erst getrunken«, sagte Liz und sah zu ihrem Schwiegervater. »Kannst du sie mit der Babyschale im Auto mitnehmen? Mit etwas Glück schläft sie ein.«

»Natürlich.« Harry griff nach seiner Enkelin. Kaum lag das Kind in seinen Armen, verstummte es und blickte aus wachen Augen in das Gesicht seines Großvaters.

»Verdammter Babyflüsterer«, zischte John. Warum nur war Charlie ausgerechnet auf Harrys Arm immer so zufrieden? Von jedem anderen wollte sie sich einfach nicht beruhigen lassen. Und dabei hatte John eine Schwäche für seine Nichte. Wenn sie ausnahmsweise einmal zufrieden war, dann war sie bezaubernd.

Harry grummelte, und John glaubte unter seinem dicken Schnauzbart ein Grinsen zu sehen.

»Also gut, dann geht’s jetzt los!«, trieb Liz sie an. Just in dem Moment klingelte das Telefon, und sie griff murrend nach dem Hörer. »Bennett.«

John nahm seinen Hut vom Haken und wollte zum Pferdestall eilen, als Liz ihn zurückrief.

Alle starrten auf die zierliche blonde Frau, die in den Hörer lauschte und immer wieder den Kopf schüttelte.

John lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme.

»Und du meinst, das funktioniert?«, fragte Liz. Sie nickte und schluckte. »In Ordnung. Sag ihm bitte, dass ich ihn ganz arg lieb habe und ihn sofort holen komme, wenn er nach Hause möchte, ja?« Sie lächelte traurig. »Danke dir.« Dann legte sie auf.

Alle Augen waren fragend auf sie gerichtet.

»Ollie ist bei Erin.« Liz schlüpfte aus den Schuhen und warf sie in die Ecke.

»Gott sei Dank ist ihm nichts passiert.« Ethan legte die Arme um sie und zog sie an sich. »Was will er denn dort?«

»Bei ihr einziehen. Anscheinend meint Ollie, dass wir ihn nicht mehr brauchen, und da Erin keinen Mann hat, möchte er diese Rolle nun ausfüllen.«

»Wir sollten Ollie mal erklären, dass eine Frau wie Erin keinen Mann braucht, um zurechtzukommen«, brummte John.

»Zumindest nicht, was die Arbeit angeht«, sagte Jim grinsend.

John sah seinen Bruder an. »Was ist denn heute mit dir los, so viele Witze reißt du sonst im ganzen Jahr nicht.«

»Ich habe wohl gute Laune.« Jim zuckte mit den Schultern.

»Ist ja nicht zum Aushalten, gewöhn dir das bloß wieder ab.«

Ethan küsste Liz auf die Haare. »Das wird schon wieder.«

Liz blickte zu Boden. »Habe ich mich zu wenig um ihn gekümmert?«, fragte sie leise.

»Nein.« John sah Ethan und Liz mit festem Blick an. »Ihr macht das beide gut. Ollie muss sich nur noch daran gewöhnen, eine Schwester zu haben. Wir alle sollten mehr auf ihn achten, wenn ihr im Stress seid.« Er hatte das ungute Gefühl, an dieser Situation mit schuld zu sein. Immerhin war er Ollies Taufpate und Onkel. Doch seit Ethan mit Liz zusammengekommen und Ollies Stiefvater geworden war, hatte John sich etwas zurückgezogen. Er wollte Ethan und Ollie den nötigen Freiraum lassen, um ihr Verhältnis zu festigen, damit die junge Familie zusammenwuchs. Zuvor hatte sich John jahrelang um den Kleinen gekümmert und versucht, ihm den fehlenden Vater zu ersetzen. »Ich war in letzter Zeit zu sehr mit der Farmarbeit beschäftigt«, gab er zu.

»Das waren wir wohl alle.« Harry hielt noch immer Charlie im Arm und zog die Augenbrauen zusammen. »Wenn sich hier einer von uns unwohl fühlt, dann geht uns das alle etwas an.«

Liz zog geräuschvoll die Nase hoch und lächelte. »Erin hat vorgeschlagen, dass sie ihn jetzt erst einmal bei sich behält und ihn kräftig mitarbeiten lässt. Dann will er hoffentlich ganz schnell wieder zu uns.«

»Gute Taktik«, brummte Harry. »So habe ich das damals mit ihr auch gemacht.«

John schmunzelte. Es stimmte, Erin war eines Tages in ihrer Küche aufgetaucht und hatte verkündet, ab nun auf Silverwood leben zu wollen. Er erinnerte sich noch daran, wie sie die Nacht gemeinsam in seinem Zimmer verbracht hatten, auf einem Lager aus Bettdecken und Handtüchern. Trotzdem war es auf dem Boden ziemlich unbequem gewesen. »Ich reite heute Nachmittag nach Elderberry und sehe nach Ollie.«

»Das ist lieb.« Liz wischte sich mit dem Handrücken über die Wange. »Dann frühstücken wir jetzt erst mal und verdauen den Schreck.«

»Ich sollte die Zwillinge anfunken und ihnen Bescheid geben«, sagte Jim.

»Oder wir essen in Ruhe und ohne dass sie uns die Ohren abquatschen.« John zwinkerte seinem Bruder zu.

»Wir lassen sie noch ein Stück fahren, dann kommen sie erst hier an, wenn wir fertig sind.« Zufrieden ließ Jim sich auf seinen Stuhl fallen und begann, seinen Teller zu füllen.

»Ihr seid unmöglich«, knurrte Harry und setzte sich ebenfalls mit Charlie. »Aber dass der Bursche es alleine geschafft hat, mit dem Pferd nach Elderberry zu finden, ist schon eine Leistung.«

»Das ist unser Junge«, sagte Ethan und zog Liz erneut an sich.

»Ein waschechter Bennett«, lachte sie und schmiegte sich an ihn. »Hoffentlich sieht Ollie schnell ein, dass er nach Silverwood gehört.«

* * *

»Fertig!« Ollie lehnte die Mistgabel an die Wand der Box und deutete stolz auf die randvolle Schubkarre.

»Kannst du sie schon bis zum Misthaufen schieben?«, fragte Erin und verteilte frisches Stroh auf dem Boden.

»Natürlich kann ich das.« Ollie machte ein ernstes Gesicht, legte seine Hände an die Griffe und bugsierte das Gefährt in den Gang der Scheune.

Als er außer Sichtweite war, blickte Erin auf die Uhr. Es war bereits Nachmittag, und bisher schien der Bursche nicht daran zu denken, den Heimweg anzutreten. Sie musste sich dringend etwas einfallen lassen. Den ganzen Tag schon folgte Ollie ihr auf Schritt und Tritt und redete dabei ununterbrochen: von Rittern, davon, was er einmal werden wollte – nämlich Rinderzüchter auf Elderberry –, und dass sie nach der Arbeit endlich mit seinen Schwertern kämpfen würden. Seufzend warf sie eine weitere Ladung in die nächste Pferdebox. Plötzlich war ein Schrei zu hören, und Erin stürzte aus der Scheune.

»Ist mir umgekippt«, sagte Ollie kleinlaut.

»Das sehe ich.« Erin schüttelte den Kopf und trat auf ihn zu. Inmitten der Pferdeäpfel hockte er auf dem staubigen Boden und grinste sie an. »Jetzt musst du mich baden.«

»Auch das noch«, murmelte sie und stellte die Schubkarre wieder hin.

Ollie sprang auf und sammelte die Äpfel mit den Händen ein.

»Aber doch nicht so! Lauf und hol die Schaufel.«

»Bin eh schon schmutzig.« Lachend griff er nach einem weiteren und warf ihn in die Schubkarre.

»Wo er recht hat …«, brummte es hinter ihr.

Erin fuhr herum. »Wird ja Zeit, dass sich einer von euch hier blicken lässt!«

»Hattest du nicht angeboten, auf ihn aufzupassen?«, antwortete John amüsiert.

Erin ging ein paar Schritte von dem Jungen weg, und John folgte ihr. »Ich dachte, wenn ich ihn so richtig rannehme, dann will er noch vor dem Mittagessen nach Hause«, flüsterte sie.

»Du wolltest ihn müde machen.« John nickte. »Mein Neffe ist nicht kleinzukriegen, das hätte ich dir gleich sagen können.«

Erin schnaufte. »Hast du aber nicht.«

»Dafür siehst du allerdings ziemlich geschafft aus.« Grinsend sah er sie an.

»Der Junge macht mich fertig«, klagte sie. »Plappert unablässig und schwänzelt um mich herum.« Sie machte eine Pause. »Er ist ja wirklich süß, aber du glaubst nicht, wie froh ich bin, dass du hier bist und ihn wieder mitnimmst.«

John zog die Augenbrauen hoch. »Will er denn mitkommen?«

»Das hoffe ich doch!« Sie drehte sich um und betrachtete das Kind, das weiterhin Pferdeäpfel in die Schubkarre schleuderte. Mehr als die Hälfte ging daneben und kullerte über den Boden. »Zeit, deinen Rucksack zu packen, Ollie!«, rief sie ihm zu.

Ollie sah erst zu ihr, dann zu John. »Ich bleibe hier«, sagte er im Brustton der Überzeugung und wandte sich wieder dem Mist zu.

»Mach was!« Sie versetzte John einen Stoß in die Seite.

Dieser schmunzelte und verschränkte die Arme. »Und was bekomme ich dafür?«

Das war doch nicht zum Aushalten! Natürlich fand ihr bester Freund es mehr als unterhaltsam, sie zappeln zu lassen. »Ich muss morgen früh nach Dunham zur Bank. Daher habe ich heute echt viel zu tun, weil dafür der ganze Vormittag draufgehen wird.« Sie schielte zu ihm hinauf. »Bitte«, murmelte sie.

»Du willst zur Bank?« John musterte sie. »Ist alles in Ordnung?«

»Natürlich. Also bis auf die Tatsache, dass dein Neffe von mir erwartet, ihn zu baden.«

John lachte schallend und schlug ihr auf die Schulter. »Du hast echt keine Ahnung von Kindern.«

»Du doch auch nicht«, gab sie bissig zurück.

»Ich habe jahrelange Erfahrung. Sieh zu und lerne.« John zog den Hut ab und ging zu Ollie hinüber.

Der Kleine sah zu seinem Onkel auf und drehte sich dann demonstrativ weg.

»Kommst du jetzt mit?«, fragte John.

»Du siehst doch, dass ich Erin helfen muss«, sagte Ollie und klaubte den letzten Pferdemist auf.

Erin grinste John an.

»Dann eben nicht.« John setzte sich den Hut wieder auf. »Bleibt mehr von dem Brathähnchen für uns andere.« Er stapfte zum Balken vor der Scheune, an den sein Hengst angebunden war.

Ollie fuhr herum. »Mum hat Brathähnchen gemacht?«

John löste die Zügel. »Zwei sogar.«

Erin beobachtete, wie Ollie zögerte. Dann sah er sie an. »Was gibt es heute bei euch zu essen, Erin?«

»Spinat«, log sie eilig.

Der Junge verzog das Gesicht und wischte sich die Hände an der Hose ab. Dann kam er auf sie zu. »Es tut mir sehr leid, ich muss nun leider ganz schnell nach Hause.«

»Jetzt schon?« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn es wirklich sein muss, dann hol geschwind deine Sachen.«

Ollie machte auf dem Absatz kehrt und stürmte zum Haus.

Lachend stellte sie sich neben John. »Danke.«

»Hab den Burschen schon vermisst«, gab er zu. »Ist Nero im Stall?«

Erin nickte. »Du solltest Ollie dringend zeigen, wie man die Trense richtig aufsetzt. Als er hier ankam, waren die Schnallen nicht ganz zu. Falls er sich noch mal entschließt zu mir zu ziehen, sollte er heil ankommen.«

»Werde ich tun.« Johns Mundwinkel zuckten. »Noch ein Bennett, der sein Herz an dich verloren hat.«

»Einer von der Sorte reicht mir«, sagte sie grinsend. Seit sie denken konnte, ging John hier ein und aus. Als Kind war er beinahe täglich hergekommen, andernfalls war sie nach Silverwood hinübergeritten. Doch inzwischen mussten sich beide um die Farmen kümmern und sahen sich seltener. Trotzdem war John noch immer ihr engster Vertrauter, auch wenn er nicht gerade der Redseligste und berüchtigt für sein aufbrausendes Temperament war.

»Dann hole ich jetzt Nero.« John stapfte davon und drehte sich noch einmal um. »Und lass dich mal wieder blicken.«

»Werde sehen, ob ich es einrichten kann.« Sie grinste ihm zu und griff nach der Schubkarre. Auf dem Weg zum Misthaufen flitzte Ollie an ihr vorbei und winkte. Dann wurde er von John auf Nero gehoben, und die beiden ritten davon. Schmunzelnd kippte sie die Pferdeäpfel aus. Eigentlich war ein wenig Unterhaltung während der Arbeit gar nicht so schlecht gewesen, manchmal konnte es auf Elderberry etwas zu ruhig sein. Ganz im Gegensatz zu Silverwood.

Kapitel 2

»Das ist der falsche Zeitpunkt«, sagte John entschieden.

»Der Termin steht. Nächste Woche kommt der Transporter«, gab sein Vater brummend zurück.

John nahm den Hut ab und fuhr sich mit dem Arm über die Stirn. Seit Wochen schon brannte die Sonne unerbittlich auf sie nieder, und es war kein Wetterumschwung in Sicht. Das Fell der grasenden Rinder glänzte in der Nachmittagssonne, und es war kaum ein Laut zu vernehmen. Selbst die Vögel verzichteten bei diesen Temperaturen auf ihr übliches Gezeter. »Jetzt zu verkaufen wäre ein Fehler. Wegen der Trockenheit sind viele Farmer gezwungen, ihre Rinder dieses Jahr früher anzubieten. Ich bin mir sicher, wenn wir noch ein paar Wochen abwarten, werden wir einen höheren Preis erzielen«, erklärte er und bemühte sich, ruhig zu bleiben.

»Wenn der Preis weiter sinkt, reicht unser Gewinn nicht, um uns durch das Jahr zu bringen.« Mit zusammengekniffenen Augen starrte Harry auf die Tiere.

»Er wird nicht sinken, das habe ich im Gefühl.« Jedes Jahr hatten sie die gleiche Diskussion, und jedes Jahr setzte Harry seinen Sturkopf durch. Doch es war ein Fehler. John atmete tief durch und setzte erneut an. »Lass uns einmal was riskieren. Denk an den Gewinn, den wir machen könnten«, beschwor er seinen Vater. »Der Stausee hat noch genug Wasser, und in der Scheune ist genug Heu. Wir halten noch eine Weile durch und passen den richtigen Moment zum Verkaufen ab. Nächstes Jahr können wir die ersten Bio-Jungrinder auf den Markt bringen. Das wird unsere Einnahmen erhöhen.« Nach anfänglicher Skepsis hatte John inzwischen eingesehen, dass die Umstellung auf ökologische Haltung, die sein Bruder Ethan im vergangenen Jahr vorgeschlagen hatte, eine ausgezeichnete Idee war. Silverwood war die einzige Farm in der Gegend, die auf Bio-Aufzucht setzte. Doch nun stand erst einmal der Verkauf der letzten Rinder aus konventioneller Haltung an. Und wie es aussah, hatte sein Vater vor, diesen zu vermasseln.

»Wir verkaufen jetzt.« Donnernd grollte Harrys Stimme durch die Luft.

»Verdammt, Harry. Dann wenigstens nur die halbe Herde. Und den Rest verkaufen wir, wenn sich der Markt etwas stabilisiert hat.« John presste die Zähne aufeinander und zog die Augenbrauen zusammen.

»Manchmal ist der Spatz in der Hand besser als die Taube auf dem Dach. Silverwood muss zu viele Menschen ernähren, als dass ich so ein Risiko eingehen könnte.« Energisch wandte Harry sich ab, um zurück zum Haus zu gehen.

»Wir, Harry. Wir!« John folgte ihm. »Wir sollten die Entscheidung gemeinsam treffen. Wir arbeiten hier zusammen, und du kannst nicht einfach immer über unsere Köpfe hinweg entscheiden. Frag Jim und Quentin, was sie dazu sagen. Wir alle tragen die Konsequenzen, nicht nur du.« John war sich sicher, dass seine Brüder die Sache ähnlich sahen wie er.

»Das kannst du gerne so machen, wenn du hier irgendwann der Chef bist. Noch habe ich das Sagen«, knurrte Harry.

»Und wann soll das sein?« Wie sehr John das alles frustrierte. Seit Jahren trug er die Verantwortung für die Arbeit auf der Farm, und sein Vater konnte längst nicht mehr mit anpacken wie früher. Und dennoch kommandierte Harry ihn herum, wie es ihm passte. »Wann ziehst du dich denn aus dem Geschäft zurück?«, sprach John die Frage aus, die er und seine Brüder sich nie zu stellen getraut hatten.

Harry blieb abrupt stehen. Seine wachen dunkelbraunen Augen, die in der Sonne beinahe schwarz wirkten, ruhten auf ihm. »Wenn es so weit ist, werde ich es dir mitteilen.«

»Du wirst die Farm nicht übergeben, bevor du tot umfällst, oder?« Fest hielt John seinem Blick stand.

»Das ist meine Farm. Ich habe Silverwood zu dem gemacht, was es heute ist. Du entscheidest nicht, wann es für mich Zeit ist aufzuhören!«, donnerte Harry.

Aus den Augenwinkeln sah John, wie Jim mit alarmiertem Ausdruck auf sie zukam. »Wer hat dir denn geholfen, Silverwood zu dem zu machen, was es ist? Ohne uns wärst du untergegangen. Seit wir Kinder waren, arbeiten wir uns den Hintern für dieses Land ab. Es wird Zeit, dass du uns wie Erwachsene behandelst«, presste John hervor.

»Du wirst warten müssen, bis deine Zeit gekommen ist. Ob es dir passt oder nicht.«

Sie maßen sich einen langen Moment mit Blicken.

»In Ordnung, was ist hier los?« Jim schob sich zwischen sie.

»Er will die Herde verkaufen, und ich möchte noch abwarten, um den Gewinn zu erhöhen«, fasste John zusammen.

»Ich rufe den Händler an und bestätige das Angebot«, sagte Harry und stapfte davon.

John fluchte vor sich hin und wollte seinem Vater folgen, doch Jim hielt ihn am Arm zurück. »Lass es. Du kennst ihn doch. Es hat keinen Sinn.«

»Er ist stur wie ein Esel. Wir haben so hart gearbeitet, und die Rinder sind von bester Qualität. Harry verkauft weit unter Wert.« Frustriert warf John seinen Hut auf den staubigen Boden und schüttelte den Kopf. »Er macht, was er will. So wie immer.«

»Und Harry wird es tun, egal was du sagst. Also spar dir den Atem.«

»Das geht so nicht mehr weiter. Er macht mich wahnsinnig.« Finster schaute John seinem Vater hinterher.

»Ihr seid euch zu ähnlich, das ist das Problem. Silverwood ist zu klein für zwei von eurer Sorte.« Jim grinste ihn an. »Schau, dass du den Kopf freibekommst. Wenn ihr beiden einen Kleinkrieg führt, leiden am Ende wir alle darunter. Schluck es runter. So wie immer.«

»Ich bin’s leid, immer alles runterzuschlucken.« Resigniert bückte John sich, hob den Hut auf und klopfte den Staub ab. »Er hat sich nicht mal darauf eingelassen, nur die halbe Herde zu verkaufen.«

Jim schlug ihm aufmunternd auf die Schulter. »Ich hätte auch später verkauft. Aber unser Vater sorgt sich darum, was passiert, wenn der Preis weiter fällt. Einen Verlust können wir uns nicht leisten.«

»Harry hat seinen Biss verloren«, zischte John und drehte sich um. Mit schnellen Schritten ging er zum Stall und nahm den Sattel von der Halterung an der Wand. Fahrig griff er nach dem Zaumzeug und ging auf den Auslauf seines Hengstes zu. Jim hatte recht: Er musste den Kopf freikriegen.

Buster blinzelte nervös in seine Richtung. John blieb stehen und schloss einen Moment lang die Augen. Wenn der Hengst seine Anspannung spürte, würde er sich nicht einmal den Sattel auflegen lassen. »Alles gut«, flüsterte er dem großen dunkelbraunen Pferd zu und öffnete die Paddocktür. Buster kam grummelnd auf ihn zu und drückte seine Nüstern an Johns Brust. »Lass uns trainieren. Wir müssen beide eine Weile hier raus.«

Als er vom Hof ritt, machte er Harry hinter der Fensterscheibe des Büros aus. John ignorierte ihn, zog sich den Hut ein Stück tiefer ins Gesicht und hielt Buster dazu an, schneller zu laufen. Leichtfüßig trabte das Pferd über den ausgedorrten Boden des schmalen Wirtschaftswegs in Richtung des weitläufigen Weidelands der Farm. Die Blätter der wenigen knorrigen Bäume hingen vertrocknet an den Ästen. John hoffte inständig, dass der Kontinent nicht erneut von heftigen Buschbränden heimgesucht werden würde wie im vergangenen Sommer. Doch noch deutete nichts darauf hin, und die Hälfte der heißesten Jahreszeit war immerhin schon vorüber. Natürlich brannte es wie beinahe jedes Jahr hier und da, allerdings blieb seine südaustralische Heimat meist davon verschont.

Eigentlich war die Januarhitze bei weitem zu heftig, um auszureiten, doch seit er Buster für das große Querfeldeinrennen Ende des nächsten Monats in Dunham angemeldet hatte, trainierten sie jeden Tag. Die anderen hielten es für ein aussichtsloses Unterfangen, ausgerechnet mit Buster am größten Rennen der Region teilzunehmen. Doch mit seinen zwölf Jahren wäre der Hengst bald zu alt, um bei solch einem Wettkampf eine Chance zu haben. Wenn John es jetzt nicht in Angriff nahm, würde sich keine Möglichkeit mehr bieten. Und wenigstens einmal wollte er beweisen, was in seinem Pferd steckte, das vor vielen Jahren bereits auf dem Hof des Abdeckers gestanden hatte. Als er von dem unbändigen Junghengst gehört hatte, den nur der Metzger hatte haben wollen, kratzte er seine Ersparnisse zusammen, um Buster zu kaufen. John hatte kein Interesse daran gehabt, das Temperament des Pferdes zu zügeln, sein Ziel war es gewesen, sich Busters Vertrauen zu verdienen. Es hatte lange gedauert, sogar noch viel länger als angenommen, doch mit der Zeit hatten sie sich zusammengerauft. Seitdem erwies sein Hengst ihm gute Dienste bei der Farmarbeit, und John akzeptierte im Gegenzug Busters Eigenheiten.

Er betrachtete die gewaltige Rinderherde hinter dem ausgeblichenen Holzzaun und zog die Augenbrauen zusammen. »Verfluchter Sturkopf«, brummte er und verlagerte kaum spürbar das Gewicht. Buster galoppierte augenblicklich mit weiten Sätzen los. John lehnte sich weiter nach vorne und genoss den Rausch der Geschwindigkeit. Die dumpfen, schnellen Schläge der Hufe in seinen Ohren, lenkte er das Pferd in die Richtung, die er immer einschlug, wenn er es auf Silverwood nicht mehr aushielt. Buster hatte längst erkannt, wohin es ging, und beschleunigte weiter, begierig, sich auszupowern.

Als der Grenzzaun in Sicht kam, nahm John die Zügel auf, um die Geschwindigkeit anzupassen, und wie üblich sprang Buster mit Leichtigkeit über das Hindernis und galoppierte dann grummelnd den kleinen Hügel hinauf. Am höchsten Punkt ließ John ihn anhalten und sah über die Weiden und Felder der Elderberry Farm. Das kleine Holzhaus lag in einiger Entfernung geschützt an dem auslaufenden Hang. Ungeduldig suchte sein Blick die Grasflächen ab, doch außer der Stammherde waren keine Rinder zu erkennen. Hatte Graham Holt die Jungrinder bereits verkauft? Mit einem unzufriedenen Brummen schüttelte John den Kopf. Ausgerechnet Graham, der durch die Quelle auf seinem Grundstück den fruchtbarsten Boden und das beste Weideland in der Gegend besaß. Die Farm war zwar nicht so groß wie die meisten anderen, dennoch war es hier möglich, beneidenswert fette Rinder aufzuziehen. Vielleicht zwei oder drei Monate mehr, und die Herde hätte einen stattlichen Profit abgeworfen. Vermutlich hatten Graham und Harry sich gemeinsam entschieden, zu diesem denkbar schlechten Zeitpunkt zu verkaufen. Zwei alte Männer, die lieber auf Nummer sicher gingen, anstatt Geschäftssinn zu beweisen.

Johns Augen richteten sich auf den Stall und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, als er Erin an der Scheunenwand erkannte. Seitdem Ollie vor rund drei Wochen ausgerissen war, hatten sie sich nicht mehr gesehen. Das war für sie ungewohnt lange, doch John hatte möglichst viel Zeit mit seinem Neffen verbringen wollen. Gerade als er Buster antreiben wollte, zog ein weißer Mercedes seinen Blick auf sich, der schnell auf das Haus zufuhr und eine gewaltige Staubwolke hinterließ. Was wollte jemand, der so eine schicke Karre fuhr, von den Holts? Wieder zogen sich seine Augenbrauen zusammen. Er lehnte sich nach vorne auf das Sattelhorn und ließ die Zügel locker, damit Buster das verführerische Grün erreichen konnte.

* * *

Der Akkuschrauber trieb knatternd die Schraube ins Holz. Erin unterdrückte ein Fluchen und ließ ihn neben die Scheunenwand fallen.

»Schon wieder leer, wir brauchen dringend einen weiteren Akku.« Sie versuchte, sich mit den festen Arbeitshandschuhen die juckende Nase zu reiben. Ihre Kleidung war über und über von Holzspänen bedeckt, die sie andauernd zum Niesen brachten. Sie sah sich nach ihrem Vater um. »Ich nehme an, es reicht für heute. Du siehst müde aus, Dad.« Die Schweißperlen im grauen Haaransatz ihres Vaters waren ihr nicht entgangen.

»Ich mache Schluss, wenn du es tust«, gab er zwinkernd zurück.

»Dann ist jetzt Feierabend«, verkündete Erin bestimmt. Sobald ihr Vater sich ins Haus zurückgezogen hätte, würde sie den Akku aufladen und derweil die nächsten Bretter zurechtsägen. Seit Tagen schon bewegte sich ihr Dad langsamer als üblich. Die Hitze machte ihm zu schaffen, das war nicht zu übersehen.

»Du bekommst Besuch«, brummte er und stützte sich an einem Balken ab.

Erin sah die Schotterstraße hinauf zu dem glänzenden weißen Wagen, der schnell näher kam. Eilig zog sie die Lederhandschuhe aus und steckte sie in den Gürtel, dann nahm sie den Hut ab und versuchte, mit den Fingern notdürftig ihre Locken durchzukämmen, doch vermutlich war das aussichtslos. Sie setzte ihn wieder auf und klopfte die Sägespäne von ihrem Shirt.

Das Auto parkte neben der Scheune, und mit einem Lächeln, das seine strahlenden Zähne entblößte, stieg William aus. Trotz der Hitze trug er ein langärmeliges weißes Hemd und eine dunkelblaue Krawatte.

»Mir bricht alleine bei dem Anblick schon der Schweiß aus«, kommentierte ihr Vater.

»Sei still«, zischte Erin und lächelte Will an, während dieser auf sie zukam.

»Mr. Holt, gut sehen Sie aus«, begrüßte er ihren Vater.

»Das ist eine glatte Lüge. Aber sei’s drum. Ich gehe ins Haus. Erin wollte auch gerade Feierabend machen.«

Sie beobachtete, wie ihr Dad langsam zum Haus hinüberschlurfte, dann blickte sie zu Will. »Was tust du denn hier? Ich habe angenommen, wir sehen uns erst in ein paar Tagen wieder?«

»Ich war in der Nähe und dachte, ich schaue rasch vorbei. Aber ich muss gleich weiterfahren.«

Erin nickte und betrachtete sein glatt rasiertes Gesicht. Wie schaffte Will es nur, bei diesen Temperaturen ohne Schweißflecken auf dem Hemd durch die Gegend zu laufen? Sie sah zu seinem Wagen. Natürlich half eine Klimaanlage dabei und auch, dass er die meiste Zeit im kühlen Büro verbrachte. »Was bedeutet, in der Nähe?«, hakte sie nach.

»High Valley.« Er drehte sich von ihr weg und schaute auf die Scheune. »Du kommst gut voran, wie ich sehe.«

Erin ignorierte seine Feststellung. »Was willst du auf der Farm von Richard Smith?« Es ging sie nichts an, aber dennoch konnte sie sich die Frage nicht verkneifen.

»Ich habe investiert«, sagte Will mit einem breiten Grinsen.

»Du machst Geschäfte mit diesem …« Sie hielt inne und schüttelte den Kopf. »In was hast du investiert?«

»In ein Pferd«, sagte er beiläufig und lief auf den Paddock zu, in dem einige ihrer Stuten standen.

»Ein Pferd?« Mit schnellen Schritten folgte sie ihm. »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«

»Es war ein gutes Angebot, daher habe ich schnell zugeschlagen. Ein Quarter-Horse-Deckhengst, und ich habe vor, mir mit den Decktaxen eine goldene Nase zu verdienen«, erklärte er und wirkte außerordentlich zufrieden mit sich.

»Du reitest nicht einmal.« Erin sah ihn zweifelnd an.

»Es war eine Gelegenheit, und ich habe sie ergriffen. Richard hat mir das Tier vermittelt, und es steht jetzt bei ihm im Stall. Er kann es für seine Zucht einsetzen, und ich muss mich nicht um das Vieh kümmern.«

»Ich würde den Hengst gerne sehen.« Dass ausgerechnet Will sich ein Pferd gekauft hatte, konnte sie noch immer nicht recht glauben. »Aber das Land von Richard Smith werde ich nicht betreten«, fügte sie bitter hinzu.

»Was habt ihr Farmer nur mit euren Fehden? Der Kerl ist ein Geschäftsmann durch und durch. Wer kann es ihm verübeln, dass er Gewinn machen möchte?«

»Richard Smith geht über Leichen«, stieß Erin hervor. »Reißt sich jedes Grundstück im Umkreis unter den Nagel, das angeboten wird, und überbietet alle bei den Auktionen. Noch dazu drückt er mit seinen günstigen Angeboten die Rinderpreise in der Gegend und macht uns kleinen Farmern damit das Geschäft kaputt.« Sie schüttelte den Kopf. »Der Mann ist einfach mies.«

»Er kann es sich leisten.« Fast glaubte Erin, Anerkennung in Wills Stimme zu hören. »Jedenfalls kannst du Red Thunder beim Rennen in Dunham sehen. Ich dachte, das ist die perfekte Gelegenheit, um Werbung für ihn zu machen.«

»Und wer wird ihn reiten?«

»Irgend so ein Vorarbeiter von ihm, meinte Richard.«

»Sicher Ted.« Erin nickte. »Ted ist einer der besten Reiter, die ich kenne.«

»Und er wird das beste Pferd unter sich haben. Du solltest auf es wetten.«

»Ich setze kein Geld beim Rennen. Wie du weißt, muss ich einen Kredit abzahlen.« Sie griff nach seinem Arm. »Willst du sehen, wie weit ich mit den Boxen bin? Die neuen Stuten musst du dir auch unbedingt anschauen.«

Will hob die Hand. »So gerne ich das tun würde, aber ich habe noch einen Termin und muss dringend los. Wollen wir heute Abend essen gehen, wenn ich schon in der Nähe bin?« Charmant lächelte er sie an.

»Ich wollte noch etwas an der Scheune arbeiten und habe einige weitere Kleinigkeiten zu erledigen.« Sie sah auf die Armbanduhr, die kurz nach vier anzeigte. Auf jeden Fall musste sie auch zumindest für eine halbe Stunde auf Silverwood vorbeischauen, das durfte sie nicht vergessen. »Passt es dir um acht? Vorher schaffe ich es vermutlich nicht.«

»Wunderbar.« Er beugte sich vor und drückte seine Lippen auf ihre. Dann ging er zum Wagen, ließ erneut sein perfektes Lächeln sehen und stieg ein.

Mit verschränkten Armen beobachtete Erin, wie das Auto vom Hof fuhr. Red Thunder. Alleine der Name versprach schon Geschwindigkeit. Die perfekte Gelegenheit, um Werbung zu machen. Sie musterte ihre Stuten. Zwischen all den anderen Pferden beim Rennen wäre eine ihrer zierlichen und flinken Araberstuten ein echter Hingucker. Vielleicht war es an der Zeit, ebenfalls etwas Werbung zu machen?

»Also deshalb bist du seit Wochen nicht bei uns aufgeschlagen«, riss sie eine raue Stimme aus ihren Überlegungen. Ein Grinsen zog sich über ihre Lippen, als sie sich umdrehte.

»Johnny.« Sie ging einen Schritt auf ihn zu. »Nein, das hatte andere Gründe«, beeilte sie sich zu sagen.

Missmutig wich er ihrem Blick aus. »Einer im gebügelten Hemd? Ausgerechnet du?«

»Halte dich zurück, es sei denn, du bist auf Ärger aus.«

»Schon gut.« Versöhnlich schielte er sie an.

»Willst du es sehen?«

»Was?«

»Na den Grund, aus dem ich so lange nicht bei euch vorbeigekommen bin?« Sie versetzte John einen Stoß und ging rasch um die Scheune herum.

»Du baust an?« Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete er den Rohbau der zusätzlichen Boxen am hinteren Teil der Scheune.

»Ich brauche mehr Platz.« Stolz deutete sie zum Paddock hinüber. »Fällt dir was auf?«

»Neue Stuten«, stellte er fest. »Sehen gut aus. Und teuer.«

Ein Seufzer entwich ihr. »Waren sie auch. Aber wenn ich es mit der Zucht ernst meine, muss ich investieren. Deshalb habe ich einen Kredit aufgenommen.« Erin verschränkte die Arme vor der Brust. Sie wusste genau, was nun kommen würde.

»Einen Kredit?« John sah sie tadelnd aus seinen dunklen Augen an. »Musste das sein?«

»Mach dir keine Gedanken. Will hat sich um alles gekümmert und er sagt, es seien die besten Konditionen, die man auf dem Markt kriegen kann.«

»So ist das also.« John nickte wissend und lehnte sich gegen die Scheunenwand.

»Was ist so?«

»Na man bekommt bessere Konditionen, wenn man …?« Seine Mundwinkel zuckten verräterisch.

»Du brauchst gar nicht so zu schauen. Nicht, dass es dich was angehen würde, aber es war andersherum. Ich war bei seiner Bank, um einen Kredit zu beantragen, und als alles durch war, hat Will mich zum Essen eingeladen.« Warum verteidigte sie sich überhaupt? Sollte John doch denken, was er wollte – so wie er es immer tat.

»Du in einem Restaurant? Etwa so ein schickes?« Skeptisch sah er an ihr hinab.

»Hüte lieber deine Zunge, Bennett.« Erin runzelte die Stirn. »Was machst du überhaupt hier?«

Ein unzufriedener Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Ärger mit Harry«, sagte er gepresst. »Er will die Rinder jetzt verkaufen und ich nicht.«

Erin seufzte, ließ sich auf den Boden plumpsen und lehnte sich gegen die Holzbretter. »Ich hatte die gleiche Diskussion mit Dad.«

»Ich habe schon bemerkt, dass eure Rinder weg sind.« Er ließ sich neben sie fallen und nahm den Hut vom Kopf. Die Haare klebten an seinem Kopf, und sein Gesicht glänzte.

»Ich konnte Dad nicht überzeugen abzuwarten. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es steckt mehr dahinter. Er hat mir nicht gesagt, warum er unbedingt sofort verkaufen wollte. Dabei sehen die Weiden noch gut aus und es wäre kein Problem gewesen, noch etwas abzuwarten.« Seit die Rinder in der Woche zuvor abgeholt worden waren, hatte sie mehr und mehr das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ihr Vater wirkte abwesend, und vielleicht war es nicht nur die Hitze, die ihm zu schaffen machte.

»Harry treibt mich in den Wahnsinn«, brach es aus John heraus.

Mitfühlend lächelte sie ihm zu. Harry Bennett war für sie wie ein Onkel. Ein übellauniger, eigensinniger Onkel, aber sie wusste genau, dass er tief in seinem Innern ein Herz aus Gold hatte. Und John war ihm manchmal unglaublich ähnlich. Ähnlicher, als er selbst annahm. »Wir können es nicht ändern. Sollen wir trinken, um bessere Laune zu bekommen?«, schlug sie lachend vor.

»Ich muss Buster trainieren und dachte, du hättest vielleicht Lust, uns zu begleiten?«

»Stimmt, das Rennen«, murmelte Erin und sah erneut zu den Stuten. »Bekommst du Buster inzwischen in den Anhänger?«

John stöhnte auf. »Ich arbeite daran, und Kat hilft mir dabei. Sie hat einige merkwürdige Ideen, um den sturen Bock zu überzeugen, in den Hänger zu steigen. Ich hoffe, eine davon wird funktionieren. Sonst kann ich das Rennen vergessen.«

»Sie wäre nicht Kat, wenn sie keine verrückten Einfälle hätte.« Erin musste schmunzeln. Die Tierärztin, die im letzten Jahr nach Firefly Creek gezogen und inzwischen mit Jim Bennett zusammen war, unterstützte sie nicht nur mit Leidenschaft bei der Zucht, sondern war auch zu einer guten Freundin für Erin geworden.

»Also was ist nun? Kommst du mit?« Er stand auf und hielt ihr die Hand hin.

Erin ergriff sie und ließ sich von John hochziehen. Eigentlich hatte sie anderes zu tun, doch ein Ausritt klang zu verlockend, um abzulehnen. »Ich habe mich gerade dazu entschlossen, ebenfalls beim Rennen teilzunehmen.« Sie überlegte einen Augenblick lang. »Ich denke, ich melde Molly an. Sie ist die Schnellste und momentan nicht gedeckt.«

»Du weißt, dass du mit ihr keine Chance gegen Buster oder einige der anderen Pferde haben wirst?« Sein Blick sprach Bände.

»Araber sind zäher, als sie aussehen. Aber ja, ich rechne mir keine Chancen aus. Ich nutze es als Werbung für meine Zucht.«

»Werbung?« Er ließ ein amüsiertes Grummeln hören.

»Wenn Molly neben all den anderen Pferden läuft, sieht sie aus wie eine kleine Fee.« Erin sah ihn triumphierend an. »Da werden die Frauenherzen höherschlagen. Die ein oder andere pferdeverrückte Zuschauerin wird sich sicher überlegen, ob eines meiner Tiere nicht was für sie wäre.«

»Das könnte in der Tat funktionieren«, brummte John. »Dann hol deine Fee mal schnell.«

 

Es war, als würde sie fliegen. Leicht und geschmeidig fegte Molly hinter Buster durch das hohe Gras. Noch immer beschäftigte sie die Frage, warum ihr Vater auf dem frühen Verkauf der Rinder bestanden hatte.

»Springen wir?«, hörte sie John vor sich rufen.

Erin sah zum Zaun. »Natürlich!« Erwartungsvoll lehnte sie sich nach vorne und genoss den eleganten Sprung ihrer Stute. Molly folgte Buster, und Erin schloss die Augen. Wie lang waren sie und John nicht mehr ausgeritten? Zu sehr waren sie in der letzten Zeit von ihren jeweiligen Projekten und der Farmarbeit vereinnahmt worden.

John galoppierte vor ihr über die Weideflächen und schlug schließlich den Weg zu dem kleinen Stausee von Silverwood ein. Vorsichtig ließen sie die Pferde den Damm zur Wasserstelle hinunterlaufen und stiegen ab. Mollys und Busters Fell glänzte vom Schweiß. Gierig senkten sie die Köpfe und tranken in langen Zügen.

»Ich glaube, wir haben uns alle eine Abkühlung verdient.« John lächelte und löste den Gurt von Busters Sattel.

»Das ist eine ganz ausgezeichnete Idee, Johnny.« Erin betrachtete prüfend den Wasserstand. Zwar war er deutlich abgesunken, vermutlich war der See in der Mitte aber noch immer gut zwei Meter tief.

»Ich habe nur ausgezeichnete Ideen.« Er zog sich das schwarze T-Shirt aus.

Erin sah sich um. »Aber wenn sich die Zwillinge hier rumtreiben, mache ich nicht mit. Sollten sie mich in Unterhose sehen, darf ich mir für alle Zeiten die dummen Sprüche deiner Brüder anhören.«

John lachte rau auf. »Quentin und River sind unterwegs. Haben ganz geheimnisvoll getan und wollten nicht sagen, was sie vorhaben.« Er öffnete den Gürtel und zog seine Hose aus. »Nur du und ich.«

»Was soll’s?« Sie lachte und spürte Aufregung in sich aufsteigen. Vielleicht war das hier genau das, was John und ihr gefehlt hatte. Erin zog die schweren Stiefel und die dreckige Arbeitshose aus. Dann nahm sie Molly den Sattel ab, griff in die weiße Mähne des Schimmels und schwang sich hinauf.

»Du willst das Shirt anlassen?« Aus den Augenwinkeln sah John zu ihr hinüber.

»Ich werde nicht im BH vor dir herumhampeln, auch wenn du vielleicht darauf hoffst«, gab Erin lachend zurück.

»Ich würde gar nicht hinsehen«, murmelte er. »Höchstens für den Bruchteil einer Sekunde.«

»Und das ist schon zu lang.«

»Spielverderberin.«