First Day of Rock 'n' Roll - Rüdiger Schneider - E-Book

First Day of Rock 'n' Roll E-Book

Rüdiger Schneider

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Beschreibung

Peter Biber lebt mit seiner Frau in einer ruhigen, aber monotonen Ehe. Sein größtes Hobby besteht darin, von seinem Balkon die Umgebung zu beobachten. Eines Abends passiert auf dem Balkon seines Nachbarn etwas, das sein Leben völlig verändert.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

1

Hallo! Mein Name ist Peter Biber. Biber nicht mit ‚ie‘, sondern genau so wie man das bekannte Nagetier schreibt. Als Erzähler dieser Geschichte will ich mich, wie die Höflichkeit es gebietet, kurz vorstellen. Zunächst nur kurz, denn ich bin nicht unbedingt die Hauptperson. Die ist vielleicht eher ein Mann, der im Februar 2021 in das Haus nebenan eingezogen ist.

Für meinen Nachnamen kann ich nichts. Er stammt von meinen Vorfahren, Urvorfahren, die, wie ich in Erfahrung gebracht habe, wie der tierische Biber als Holzfäller gearbeitet haben. Ich bin 68 Jahre, Pensionär, habe also viel Zeit, mich auf meinem Balkon aufzuhalten. Der Balkon befindet sich in Bad Breisig, einem Städtchen am Rhein zwischen Bonn und Koblenz. Bad Breisig gliedert sich in Ober-und Niederbreisig. Ich wohne in der Parkstraße auf mittlerer Höhe, so etwa hundert Meter über dem Meeresspiegel. Die Gegend, auf die ich von meinem Balkon aus blicke, ist weder schön noch hässlich, angenehm ruhig, vielleicht auch zu ruhig. Früher war sie etwas schöner, aber dann wurden mehr und mehr Bäume gefällt, um Baugelände zu schaffen. Jetzt schießen die Häuser wie Pilze aus dem Boden und der Baulärm nimmt zu. Wenn ich von einer angenehmen Ruhe gesprochen habe, ist das also eher die Vergangenheit.

Mit meiner Frau, die zwei Jahre jünger ist als ich und seit einem Jahr ebenfalls pensioniert, lebe ich in einer geräumigen Fünfzimmerwohnung, die wir uns als Eigentum geleistet haben. Über die Ehe kann ich nicht viel sagen. Wir leben in einer milden Angepasstheit (ich mehr als sie), in der altersgemäß nicht viel passiert. Man hat sich halt kennengelernt. Das Abenteuer der ersten Jahre ist vorbei. Ich will damit sagen: Wir hoppeln nicht mehr wie die Kaninchen herum. Wir hoppeln überhaupt nicht mehr. Wozu auch!? Was das Trinken betrifft, bin ich sehr mäßig, halte Maß, halte den Verstand beisammen. Die Gefahr über das niedrige Balkongeländer zu kippen besteht bei mir nicht. Ein Glas Wein am Abend oder ein Döschen Bier, das war’s. Allerdings rauche ich, was mir auch im Winter den Aufenthalt auf dem Balkon beschert. Gerda, meine Frau, mag keinen Qualm in der Wohnung. Im Gegensatz zu mir ist sie Vegetarierin. Sie trinkt auch keinen Alkohol. Ihr Lieblingsgetränk ist grüner Tee aus China. So weit zu meiner bescheidenen Vorstellung als Erzähler.

Jetzt aber rückt zunächst der Balkon in den Mittelpunkt und damit mein Nachbar. Er wohnt, wie gesagt, im Haus nebenan, hat auf gleicher Höhe auch einen Balkon. Die Distanz zwischen den Balkonen beträgt etwa zwanzig Meter. Es ist für mich leicht mitzubekommen, was sich dort abspielt. Ich sehe alles. Zunächst spielte sich dort nichts ab. Es war ja auch ein scheußliches Wetter. Kälteeinbruch im Februar, Regen und ein bisschen Sonne im März, viel Regen im April, viel Regen auch im Mai, aber da war es gegen Ende des Monats immerhin etwas wärmer geworden. Im Februar hatte ich nur beobachtet, wie nebenan ein weißer Transporter hielt. Umzugkartons wurden ins Haus getragen, ein paar in Plastikfolie eingeschlagene hochwüchsige Pflanzen. Den neuen Nachbar bekam ich da erstmals zu Gesicht, einen Mann von etwa 1.90 Größe, schlank, mit dichtem schwarzen Haarwuchs, einem ebenso dichten Bart. Das Alter war schwer zu schätzen. Aber es mochte ungefähr meinem entsprechen. Der Mann trug einen blauen Overall, an den Füßen steckten knallrote Schuhe. Er war nicht alleine, war in Begleitung einer recht hübschen, südländisch aussehenden Frau, die ihm größenmäßig bis an die Schulter reichte. Ich tippte auf eine Spanierin. In den folgenden Wochen sah ich beide manchmal auf dem Balkon. Aber immer nur kurz. Denn das Wetter war scheußlich. Nicht nur das Wetter war mies, sondern die ganzen Lebensumstände. Es war Corona-Zeit mit Lockdown, Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Testorgien, Impfzwang durch die Hintertür und jeder Menge Ängstlichkeit. Das ganze Land war neurotisch geworden. Ich will hier aber nicht weiter über Corona reden. Das Thema hängt mir, salopp gesagt, zum Hals heraus.

Was, den Nachbarbalkon betreffend, zuerst meine Neugierde weckte, war eine Reihe von Pflanzen, die Mitte Mai auf den Balkon gestellt wurden und mit ihrem hohen Wuchs mehr als einen Meter über das Geländer ragten. Ich erkannte die fünffingrigen Blätter, nahm für die Diagnose ein Opernglas zu Hilfe. Es gab keinen Zweifel. Der neue Nachbar baute Cannabis an. Ich schüttelte den Kopf. Denn unsere Balkone liegen straßenwärts. Jeder, der unten vorbeikommt, kann mit einem Blick nach oben sehen, dass auf diesem Balkon keine Geranien wachsen. Was für ein leichtfertiger Kerl, dachte ich. Täglich fuhr das Ordnungsamt mit einem blauweißen Smart die Parkstraße entlang. Manchmal patrouillierte auch ein Polizeiwagen, um zu prüfen, ob unerlaubte Partys stattfanden.

Ich überlegte, ob ich Gerda davon berichten sollte. Aber da war sie schon selbst auf den Balkon gekommen. „Peter, es ist Zeit, dass du in die Küche gehst. Du wolltest doch Mittagessen machen. Drück die verdammte Zigarette aus!“

Sie warf einen Blick auf den Balkon des Nachbarn. „Oh, da zeigen sich ja die ersten Pflanzen. Und ein Tisch und zwei Stühle stehen auch da. Weißt du, was das für Pflanzen sind? Du kennst dich doch damit aus.“

Es lag mir auf der Zunge zu antworten: „Grüner Tee aus China.“ Aber ich zuckte nur mit der Schulter, entgegnete: „Keine Ahnung. Vielleicht irgendein exotischer Farn.“

Später wurde mir bewusst, warum ich Gerda nicht aufgeklärt habe. Sie liebt homöopathische Mittel. Arnika, Meteoreisen, Cardiodoron Aurum, also eine extrem verdünnte Goldlösung, und erst neulich hat sie sich aus der Apotheke Cannabis-Öl besorgt. Cannabis ganz ohne Rausch. Das Öl war aus Cannabissamen hergestellt, sollte viel Vitamin E enthalten und das Immunsystem stärken, was ihr in der Corona-Zeit besonders wichtig war. Ich wollte einfach nicht, dass sie sich für den neuen Nachbar interessierte, wollte meine Entdeckung für mich behalten.

Am darauf folgenden Tag, einem frühen Morgen, an dem ausnahmsweise die Sonne schien, geschah noch etwas. Der Typ von nebenan saß auf dem Balkon, rauchte und trank Dosenbier. Auf dem Tisch stand auch eine Flasche mit etwas Klarem. Ich tippte auf Wodka. Ich tat so, als interessiere mich das nicht, sah stoisch nach unten auf die Straße, warf nur ab und zu einen heimlichen Blick nach nebenan, ging wieder in die Wohnung, kam nach einer Stunde zurück auf den Balkon. Der neue Nachbar saß immer noch da. Jetzt standen auf dem Tisch fünf gewiss leere Dosen, die er zu einer kleinen Pyramide aufgebaut hatte. Die sechste Dose hielt er in der Hand. Ob die Flasche mit der klaren Flüssigkeit inzwischen auch geleert war, konnte ich nicht erkennen.

„Herrje, da ist ein Säufer eingezogen“, dachte ich. „Ein zügelloser Mensch, der kein Maß halten kann. Vielleicht hat er auch irgendeinen Kummer. Eine Ursache für so viel Trinken muss es ja geben.“

Kummervoll wirkte er jedoch nicht. Er saß eher lächelnd am Tisch, rauchte, trank, sah sich die Umgebung an, schien seine private Orgie zu genießen. Einmal, als er mich erblickte, winkte er mir zu. Ich nickte, hob die Hand zum Gruß, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und verschwand wieder in der Wohnung.

Zwei Tage später, es war an einem Abend und es war schon dunkel, geschah etwas Absurdes, das ich als Beobachter nur verschämt berichten kann. Für dieses Ereignis nehme ich ein neues Kapitel.

2

Bevor ich jenes sonderbare Ereignis erzähle, muss ich beschreiben, wie unsere Vorgärten aussehen. Bei beiden Häusern sind sie ziemlich gleich. Vom Gehstreifen an wuchert ein sogenannter Bodendecker bis unter die Balkone. Es ist ein dicht gewebter Teppich von Ysop, volksläufig auch Dickmännchen genannt. In den vielen Jahren, wo das Dickmännchen wachsen durfte, hat es eine Höhe von fast einem Meter erreicht. Eine bunte, blühende Sensation ist es nicht. Es erfüllt nur seinen Zweck als Laubschlucker und Verhinderer von Unkraut. Nur einige wenige Efeuranken haben sich dazwischen vorwitzig hochgewagt.

Es war an jenem Abend gegen 22 Uhr, als ich auf den Balkon ging, um vor dem Gang ins Schlafzimmer eine letzte Zigarette zu rauchen. Der Himmel war leicht bewölkt. Zwischen den Wolkenfetzen warf ein voller Mond ein mildes Licht. Eine Straßenlaterne sorgte für weitere dezente Beleuchtung. Ich sah zu dem Nachbarbalkon hinüber und blickte auf einen nackten Hintern. Die Hose hing auf den Knien. Auf dem Tisch hatte sich eine Frau ausgestreckt. Vor ihr mein neuer Nachbar. Er vögelte im Stehen, wobei er nahe am hüfthohen Geländer stand. Die Umgebung und dass man Einsicht in das Geschehen hatte, war ihm völlig egal. Oder aber er glaubte sich durch eine allerdings unvollkommene Dunkelheit geschützt. Anscheinend hatte er auch wieder getrunken, denn er wankte bedenklich hin und her. Und dann war es plötzlich passiert. Er hatte sich zu eng gegen das Geländer gedrückt, verlor das Gleichgewicht und purzelte mit einem Schrei fünf Meter nach unten. Mein erster Impuls war in die Wohnung zu laufen, das Handy zu holen und den Notarzt zu rufen. Fünf Meter, wenn man aus dieser Höhe fällt, können tödlich sein. Aber da sah ich, wie er sich aufrappelte, die Hose hochzog und sich durch das Dickmännchen zur Haustür kämpfte.

„Alles gut?“ rief ich ihm zu. „Soll ich den Notdienst rufen?“

Er blickte überrascht zu mir hoch, schüttelte den Kopf.

„Nicht nötig. Hab‘ Glück gehabt.“

Kaum hatte er das gerufen, da ging unten auch schon die Haustür auf. Die Frau erschien, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: „Paulo, was machst du nur für Sachen! Hast du dich verletzt?“

„Glaub‘ nicht“, antwortete er. „Aber ich hätte mir ein besseres Ende gewünscht.“

Beide verschwanden nun im Haus. Ich blieb noch eine Weile auf dem Balkon, überlegte, ob ich entrüstet sein sollte. Dann aber entschied ich mich für die Dankbarkeit. Endlich war mal was los in dieser toten Gegend.

3

Als ich am nächsten Morgen auf den Balkon ging, sah ich ihn an dem Tisch sitzen. Er hatte eine Dose Bier in der Hand, hob sie mir winkend entgegen und rief:

„Kommen Sie rüber! Wir sind doch Nachbarn.“

Ich zögerte einen Moment, antwortete dann: „Ja, warum nicht!? Aber ich muss erst meiner Frau Bescheid sagen.“

„Okay“, meinte er. „Klingeln Sie bei Souza.“

Zu Gerda sagte ich: „Unser neuer Nachbar hat mich zu einem Kaffee eingeladen. Wir sehen uns ja dauernd, wenn wir auf dem Balkon sind.“

„Kaffee? Meinst du mir ist entgangen, was der da immer trinkt?“

„Nein, nein, doch nicht am Vormittag! Ich trinke wirklich nur Kaffee. Mach dir keine Sorgen. Ich bleibe nicht lange. Ist ein erstes Kennenlernen.“

„Zieh die Maske auf! Man weiß ja nicht, wo der herkommt und wo sich der rumtreibt. Und nachher erzählst du mir, was da drüben los ist. Gestern Abend habe ich einen Schrei gehört.“

Ich setzte eine erstaunte Miene auf. „Einen Schrei? Habe ich nicht mitbekommen.“

„Du bist ja auch schon halbtaub. Aber geh in Gottes Namen.“

Ich setzte die Maske auf, verließ das Haus, Gerda stand oben auf dem Balkon. Ich ging die paar Meter nach nebenan, studierte die Klingelschilder, fand ‚Souza‘, drückte den Knopf. Der Summer ertönte. Ich stieß die Tür auf, nahm die Maske ab, steckte sie in die Hosentasche, ging durch den Hausflur, dann die Treppe hoch. Paulo Souza stand oben im ersten Stock, erwartete mich. Die Bierdose hielt er in der linken Hand.

„Willkommen!“ grüßte er. „Treten Sie ein!“

Er nahm meine Hand, schüttelte sie.

„Peter, Peter Biber“, sagte ich.

„Paulo“, stellte er sich vor. „Als Nachbarn könnten wir uns doch duzen. Oder?“

„Aber ja!“ antwortete ich. „Gerne.“

Durch den Flur führte er mich ins Wohnzimmer, das zu meiner Überraschung komplett eingerichtet war. Mit einer bequemen Couchecke, einem runden Tisch davor, mit einem Bücherschrank und Buchregalen, die die Wand entlangliefen, einer Getränkebar, einem antiken Schreibtisch, auf dem ein Computer mit Monitor stand. Im straßenwärtigen Zimmerwinkel stand ein bordeauxroter Kaminofen, der mit Pellets befeuert wurde. Über der Couch hing ein großformatiges Foto, das ich vielleicht später genauer betrachten würde. Überrascht war ich, weil ich bei dem Einzug im Februar kein einziges Möbelstück gesehen hatte, das aus dem Transporter getragen wurde. Ein Möbelwagen hatte vor dem Haus nie gehalten. Das hätte ich von meinem Balkon aus mitbekommen.

„Sehr schön eingerichtet“, sagte ich. „Gemütlich.“

„Ja, danke. Aber ist nur möbliert gemietet.“

Paulo Souza bat mich, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Er selbst blieb stehen.

Da ich meine Neugierde nicht zügeln konnte, fragte ich: „Du bist Spanier?“

„Nein. Deutscher und Brasilianer. Ich habe zwei Staatsangehörigkeiten. Ich will es kurz erklären. Mein Vater ist Deutscher, die Mutter Brasilianerin. Der Vater hat im deutschen Konsulat in Rio gearbeitet. Dort hat er meine Mutter kennengelernt. In Rio bin ich geboren und hatte da zunächst einen sehr langen Nachnamen. Das ist in Brasilien so. Man führt an erster Stelle den Familiennamen der Mutter, dann den des Vaters. Mein Vater hatte aber schon einen Doppelnamen, nämlich Meier-Solingen. Ich hieß also zuerst Souza-Meier-Solingen. Das ist viel zu lang und verwirrend. Ich habe es umändern lassen, Meier-Solingen gestrichen.“

„Meier-Solingen?“ fragte ich erstaunt. „Das ist ungewöhnlich.“