Flarrow, der Chief – Teil 2 – Technischer Wachoffizier 1963 - Lothar Rüdiger - E-Book

Flarrow, der Chief – Teil 2 – Technischer Wachoffizier 1963 E-Book

Lothar Rüdiger

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Autor – Seefahrer aus Berufung, erzählt in diesem Band 45 in Romanform meisterhaft und kompetent über seinen beruflichen Werdegang als Wachingenieur auf "CAP VALIENTE" und "CAP SAN LORENZO" bei der Hamburg-Süd in weltweiter Fahrt. . In Band 44 berichtete er bereits über den Beginn seiner Seefahrt 1956 als Maschinen-Assistent auf dem Logger "RUDOLF BREITSCHEID" des Fischkombinats Rostock. 1957 war er als Ing.-Assi auf dem Nordatlantikliner BERLIN des Norddeutschen Lloyd und später auf dem Tanker "CAPERATA" der Deutschen Shell tätig. Danach folgte das Studium zum Schiffsingenieur II in Flensburg. Über seine weitere Entwicklung und seine Fahrzeit als Leitender Ingenieur (Chief) auf KMS "HILDEGARD" und anderen Schiffen berichtet er im Band 46 dieser maritimen gelben Buchreihe.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 427

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lothar Rüdiger

Flarrow, der Chief – Teil 2 – Technischer Wachoffizier 1963

Ein Schiffsingenieur erzählt – Band 45 in der maritimen gelben Buchreihe

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Trilogie Flarrow

Wachingenieur bei der Hamburg-Süd auf CAP VALIENTE

Neue Order: Bananen von Guayaquil nach Japan

Beförderung – Zweiter Ing. auf CAP SAN LORENZO…

Weiter mit Kartoffeln für Argentinien

Wieder auf CAP VALIENTE

Studium in Flensburg 1966 (C6)…

Zwischenjob auf „GISELA VENNMANN“

Fortsetzung des Studiums in Flensburg – Prüfung bestanden

Weitere Informationen

Maritime gelbe Buchreihe „Zeitzeugen des Alltags“

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 begann ich, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“: Seemannsschicksale.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften zu meinem Buch. Diese positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Diese Zeitzeugen-Buchreihe umfasst inzwischen zwei Dutzend maritime Bände.

In den Bänden 44 bis 46 können Sie wieder Erlebnisberichte, Erinnerungen und Reflexionen eines Seemanns in Romanform kennen lernen. Im Band 44 lasen Sie zunächst seine Erlebnisse als Assi, der ab 1956 zunächst als Maschinen-Assistent auf einem Kombi-Logger von Rostock aus in Nord- und Ostsee fischte und später in großer Fahrt auf dem Atlantikliner „BERLIN“ nach Nordamerika und auf einem Tanker unterwegs war, sowie über seine Studienzeit in Flensburg. In diesem Band 45 erzählt der Autor von seinen weltweiten Reisen als Technischer Wachoffizier und seinem zweiten Studiengang in Flensburg. Band 46 bringt die Fortsetzung seiner Erzählungen über seine Tätigkeit als Chief.

Hamburg, im März 2010 / 2014 Jürgen Ruszkowski

Trilogie Flarrow

Sie lasen im Band44 dieser maritimen gelben Buchreihe:

…Flarrow setzte den schweren Koffer ab. Schweißperlen tropften von seiner Stirn, brannten in seinen Augen und liefen von seinem Kinn den Hals hinunter in den offenen Hemdkragen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er zu dem Logger am Eispier hinüber. An seinem Heck stand in großen weißen Buchstaben:

RUDOLF BREITSCHEID – ROSTOCK

Er wischte sich den Schweiß ab und atmete auf. Dort lag es – sein Schiff. Nach all den Tagen des Wartens, war er vor einer Stunde ins Heuerbüro gerufen worden. Man hatte ihm Seefahrtsbuch und Heuerschein in die Hand gedrückt, er war damit angemustert. Der Logger sei klar zum Auslaufen, er solle sich gefälligst beeilen…

…„Sie sollen sich sofort beim Lloyd in der Personalabteilung melden. Man will Sie einstellen, und es wäre sehr eilig.“

Und nun ging alles ganz schnell. Tauglichkeitsuntersuchung bei der Seeberufsgenossenschaft, Seefahrtbuch beim Seemannsamt und aus seiner Pension die Sachen holen. Nirgends brauchte er zu warten. Das lag an dem Fahrer vom Lloyd, der ihn von einer Station zur anderen fuhr und in den Vorzimmern bekannt war.

Zurück in der Personalabteilung, besah sich der Personalchef noch einmal Flarrows Unterlagen. „Ach Sie haben ja gar nicht auf der Lloydwerft gelernt. Na dann muss es eben dieses Mal so gehen.“ Flarrow unterschrieb den Heuerschein und bekam eine Fahrkarte nach Bremerhaven in die Hand gedrückt…

…Nach zehn Tagen kam sein Patent per Einschreiben. Der Empfang war zu bestätigen. Er betrachtete es lange, denn das war nun die Eintrittskarte in seinen Traumberuf. Zwei Jahre musste er mit C4 als Wachingenieur fahren, dann konnte er C5 bekommen. Und damit konnte er auf den C6–Lehrgang gehen! Es war doch eine Lust zu leben…

Wachingenieur bei der Hamburg-Süd auf CAP VALIENTE

Fahrenszeit (1) – Ausreise…

Der Bus zum Flughafen Fuhlsbüttel setzte sich in Bewegung, während der Inspektor noch einmal die Gruppe durchzählte. Sie waren auf dem Weg nach Amerika, Offiziere und Mannschaften der Hamburg-Süd, zur Ablösung nach New York und San Franzisko.

Die Besetzung der im Pazifik fahrenden Einheiten der Hamburg-Süd war schon früher problematisch geworden. Pazifik, das hieß zwölf bis fünfzehn Monate fern von der Familie. Außerdem hatte man sich ja auf den Liniendienst Hamburg – Südamerika eingestellt. Da dauerte eine Rundreise maximal drei Monate. „Never Come Back Line“ hieß es, vor allem bei den Verheirateten, weil die im Pazifik fahrenden Schiffe nicht nach Deutschland zurückkamen. Abgelöst wurde beispielsweise in New York oder San Francisco.

Die Zeiten hatten sich geändert. Es gab Limitierungen der Ladungsmenge. Länder wie Argentinien, Brasilien und Uruquay wollten eigene Handelsflotten besitzen und entsprechend beschäftigen. Die Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft, auf der Route Europa – Südamerika federführend, bekam deshalb Probleme. Neue Märkte mussten gesucht werden, und die lagen beispielsweise im Großen Ozean, der auch der Pazifische genannt wurde. West Coast Pacific Division, East Coast Pacific Division wurde der Service genannt, der von San Francisco oder New York aus Neuseeland, Australien, Hawaii und Kanada bediente. Personal musste gefunden werden, das bereit war, auf den Schiffen, die in diesem Dienst liefen, zu arbeiten. Das war alles andere als einfach. Gute Leute konnten ja wählen, hatten eher die Auswahl, auch die, bei anderen Reedereien zu fahren. Aber besetzen musste die Hamburg-Süd ihre Schiffe, wenn sie weiter am Ball bleiben wollte.

Flarrow hatte einen solchen Job im Pazifik–Dienst gesucht. Ihn trieb es hinaus in die Welt. Irgendwelche Bindungen, die ihn zurückhalten konnten, gab es nicht. Und so verwirklichte er die heimliche Sehnsucht aus seinen Kindertagen, die mit „Mein Feld ist die Welt“ durchaus zu überschreiben war.

Das Bewerbungsgespräch bei der Reederei geriet ins Stocken, als er aufgefordert wurde, sich zu seiner zukünftigen Tätigkeit zu äußern, eventuelle Wünsche bekannt zu geben. Flarrow hatte gesagt, dass er im Pazifikdienst und dort auf einem mit Schweröl betriebenem Kühlschiff eingesetzt werden wollte. Die Reederei suchte genau solche Leute, leider mit sehr geringem Erfolg. In der Regel wurde ein bisschen Druck ausgeübt, Versprechungen hinsichtlich späterem Einsatz und schnellerer Beförderung gemacht. Man setzte alle Überredungskünste ein, war unter Umständen zu Sonderkonditionen bereit, und nun kam einer daher, der die Pazifikfahrt zur Einstellungsbedingung machte. Da musste doch etwas faul sein. Unter dem Vorwand, sich vorzustellen, schickte man Flarrow zum Leiter der Nautisch–Technischen Abteilung (NTA), der aber nicht viel sagte, eher mürrisch nickte und ihm gute Reise wünschte.

Sie hatten ihn angenommen. Weil er aber offensichtlich willig war, versuchten sie, ihn als Vierten Ingenieur einzustellen. Da machte nun allerdings Flarrow nicht mit, der ahnungsvoll die Situation zu durchschauen begann. „Entweder als Dritter oder gar nicht“, sagte er, was dann schließlich akzeptiert wurde. Das waren anstatt 740 DM nun 870 DM Grundheuer.

Man teilte ihm schriftlich mit, dass er „… für unser MS „CAP VALIENTE“ als Dritter Ingenieur vorgesehen“ sei. Doch zunächst wurde er auf MS „GUSTAV PISTOR“ geschickt, das in Hamburg bei der Deutschen Werft im Dock lag und seine Klasse erneuern sollte. Dort wäre viel zu tun. In Wahrheit hielt man so die Leute bis zu ihrem Einsatz bei der Stange und schützte sich vor Abwerbung. Personalmangel. -

Flarrow meldete sich auf GUSTAV PISTOR beim Zweiten Ingenieur, der mit vier oder fünf so genannten Hafeningenieuren in der Offiziersmesse saß. Bei Kaffee, Zigaretten und viel blauem Dunst quatschte die fröhliche Runde lustig durcheinander. Der Zweite, ein etwas gesetzterer älterer Herr, war sehr freundlich: „Neu bei der Kompanie. Na dann herzlich willkommen, Herr Kollege.“

Via Messesteward bekam Flarrow eine Passagierkabine, das Schiff fuhr auch zwölf Passagiere. So hat es damals auf der BERLIN auch begonnen, dachte er und zog seine neue Uniform an. Auf den Schulterstücken blitze ein dicker goldener Streifen. Flarrow war stolz darauf, aber heute würde man das uniformgeil nennen.

In der O-Messe machte man dem Neuen bereitwillig Platz, der sich an die Back setzte und den Gesprächen zuhörte. Schon bald kam das Thema Bordwache auf den Tisch, denn es war Freitagnachmittag. Nun schauten alle auf Flarrow, und der Zweite sagte: „Sie sind neu bei der Kompanie und können sich sogleich einmal gut einführen. Nicht wahr?“

Dann verschwanden sie alle. Der Zweite hatte ihm noch gesagt, es wäre nicht viel los. Wahrscheinlich würde die Werft den Propeller montieren. Es dauerte dann auch gar nicht lange, bis ein Werftarbeiter erschien und Flarrow bat, bei der Montage der Schiffsschraube dabei zu sein. Flarrow nickte, setzte seine Offiziersmütze mit der goldenen Kokarde auf, die manche auch „Parteihut“ nannten und folgte dem Werftmann ins Dock.

Der Achtersteven des Schiffes war eingerüstet. Auf dem Gerüst stehend verfolgte Flarrow nun, wie der Propeller langsam auf den Wellenkonus gezogen wurde. Als er fest saß, machte der Vormann mit einem kleinen Hammer eine Klangprobe an allen Flügeln. Dann sicherten sie die Mutter, die den Propeller auf dem Konus festhalten sollte. „Wir setzen noch die Haube auf, aber ausgießen können wir erst Montag früh. Ich habe das im Abnahmeprotokoll vermerkt.“ Flarrow unterschrieb das Abnahmeprotokoll mit dem Zusatz „III. Ing.“. Dann wünschte er der Werftgang ein schönes Wochenende, denn sie arbeitete ja an diesem Sonntag nicht. Sonntags frei, das kam damals eher selten vor. GUSTAV PISTOR hatte offenbar Zeit, er war ja auch nur ein schon etwas betagter Trockenfrachter, der weltweit eingesetzt wurde. Flarrow stieg seiner neuen Stellung entsprechend, würdevoll vom Gerüst herunter, machte eine Runde um das Schiff und dann ins Wohndeck hinauf. Dabei erinnerte er sich an früher. Als er das letzte Mal in einem Dock gewesen war, hatte er mit anderen Assistenten an einem Seekasten gearbeitet. Ein Bedampfungsrohr war vergessen worden und musste nun schnellstens ausgebaut werden. Sein blaues Kesselpäckchen war total verdreckt und der Gestank von verwesenden Seepocken stieg ihm in die Nase. Eine Drecksarbeit war das, und sein Wachingenieur stand in Khakiuniform daneben und trieb zur Eile an. Heute hatte er die Khakiuniform an!

Seit Beginn seiner Fahrenszeit war es heute zum ersten Mal geschehen, dass ihn jemand um etwas gebeten hatte, ohne dass diese Bitte ein verkappter Befehl eines Vorgesetzten gewesen war. Heute hatte man ihn respektiert, war von seiner Unterschrift abhängig! Diese neue Rolle gefiel ihm gut; wenn die zu Hause ihn so sehen könnten, lächelte er still in sich hinein.

Der Messesteward an der Stelling sagte ihm, dass noch ein Ingenieur an Bord gekommen sei, der ihn zu sprechen wünschte. In der Offiziersmesse saß strahlend Oldie, ein Semesterkollege. „Wo willst du denn hin, Oldie?“ - „Ich gehe auf die CAP VALIENTE und steige in San Francisco ein.“ - „Du auch? Dann sind wir die beiden Dritten für die VALIENTE?“ - „So ist es.“ - „Na dann gute Reise, mein Lieber. Bleibst du heute Abend an Bord?“ - „Nee, ich gehe zu einer Freundin, und da kann es spät werden.“ Nach dem Abendessen verschwand Oldie, und Flarrow verzog sich in seine Kabine. Vor gut einem Monat hatten sie noch gemeinsam die Schulbank gedrückt und für die Prüfung gebüffelt. Nun hatten sie das begehrte Patent und durften als Wachingenieure auf Schiffen mit einer Antriebsleistung von bis zu 6.000 PS fahren. In zwei Jahren konnten sie weiter studieren und die Prüfung zum Schiffsingenieur I ablegen.

Zunächst aber kam eine andere Prüfung auf sie zu. Erstmalig würden sie verantwortlich Wache gehen und - Vorgesetzte sein, die sich zu bewähren hatten.

Flarrows Gedanken wanderten weiter zurück. Damals vor sechs Jahren, als er auf ROS 107 aufstieg, hatten sie ihm auch gleich die Bordwache verpasst. Damals war er die halbe Nacht wach geblieben. Ein blutiger Anfänger, der keinen Fehler machen wollte. Heute, mit den Erfahrungen einer zweijährigen Fahrzeit regte ihn das gar nicht mehr auf. Das Schiff lag im Trockendock. Es konnte also kaum etwas passieren. Aber selbst, wenn dem nicht so gewesen wäre, würde sein Puls keinen Tick schneller geschlagen haben.

Genau wie damals schrieb er einen Brief nach Hause. Die Eltern sollten Bescheid wissen. Am Montag würde es losgehen. Mit dem Flugzeug nach San Francisco. Das konnte er noch gar nicht richtig fassen, denn Flugreisen waren 1963 noch etwas ganz Besonderes; selten, weil vor allem sehr teuer.

Flughafen Fuhlsbüttel. Der Bus hielt. Bis auf das Handgepäck verschwanden die Koffer hinter dem Abfertigungsschalter. Insgesamt waren fünfzehn Kilogramm im Flugpreis enthalten. Weiteres Gepäck wurde mit einem Kompanieschiff nachgeschickt. Später sollten die Fluggesellschaften einmal dreißig Kilogramm Begleitgepäck zulassen, nur für seefahrendes Personal wohlgemerkt.

Die Gruppe wurde in die Lounge gebeten. Die Maschine würde verspätet abfliegen, und das vergütete SAS mit einem guten Tuborg-Pils vom Fass.

Dann war es soweit. „Guten Flug, meine Herren!“ Sie stiegen in eine zweimotorige Turbopropmaschine vom Typ Convair CV-440, Metropolitian. Sie wurde noch betankt, während die Passagiere an Bord gingen. Eine betrunkene Frau wankte auf die Gangway zu und stolperte. Die Stewardessen hievten sie in das Flugzeug hinauf.

Flarrow saß neben Oldie. Die Maschine war voll besetzt, rund vierzig Passagiere.

FASTEN YOUR SEATBELT – NO SMOKING

Die Motoren sprangen an, und die Stewardessen kontrollierten die Sicherheitsgurte. Das Flugzeug begann zu rollen, schwenkte auf die Startbahn ein und stoppte. Die Motoren dröhnten, das voll abgebremste Flugzeug begann zu vibrieren, ein letzter Test der Triebwerke und Bremsen vor dem Start.

Vollgas, das Flugzeug begann zu rollen, es beschleunigte, donnerte die Startbahn hinunter und hob ab, verschwand schließlich in den tief hängenden Wolken. Auf viertausend Fuß, schien die Sonne. Die Motoren wurden auf Reiseflugleistung gedrosselt.

Flarrow registrierte jedes Detail dieses Fluges, es war ja schließlich sein erster.

Ein hastig serviertes skandinavisches Frühstück war da nicht so interessant. Dann schon eher die Stewardessen, da sind sich die beiden einig – Danske. Pike!!!

Eine Stunde Flugzeit war herum. Das Flugzeug tauchte in die Wolken ein. Der Landeanflug auf Kopenhagen begann. Als die Erde wieder sichtbar wurde, fiel sein Blick auf die Ostsee. „Es ist der Sund“, sagte er, „Kopenhagen liegt doch am Sund“, und Oldie nickte: „Sicher, es ist der Sund und nicht der Belt.“

Der Erdboden kam nun schnell näher. Ein kurzes Quietschen, das Flugzeug hatte aufgesetzt, bremste ab und rollte, langsamer werdend, auf die Empfangshalle zu. SAS bedankte sich und wünschte noch einen schönen Tag in Kopenhagen, aber die Passagiere hörten schon nicht mehr zu, die Gedanken der Seeleute bewegten sich eh schon mehr in Richtung Neue Welt.

Glitzernde Fassaden beeindruckten, besonders, wenn man vorher noch nie so etwas gesehen hatte. Zum ersten Mal auf einem internationalen Flughafen! Er, Flarrow, war mitten drin, in dieser großen, weiten, internationalen Welt. Sie war real, greifbar, zum Anfassen gewissermaßen. Das machte schon stolz, und er pflegte seinen Narzissmus!

Dann eine klare Stimme über Lautsprecher; SAS rief den Flug SK 915 nach New York auf. Das Boarding begann: Abfertigung, Passkontrolle; eine Treppe abwärts führte zum Flugfeld und zur wartenden DC8. Ein Riesenvogel, vier Triebwerke mit je 8.000 Kilogramm Schub, Reisegeschwindigkeit 970 km/h, bis zu 180 Sitze, Startgewicht 160 Tonnen. Das waren Dimensionen, an die man sich erst einmal gewöhnen musste. Eine Gangway führte hinauf zur Entrance, wo ihn das maskenhafte Lächeln der Stewardessen willkommen hieß. Das ist eben ein ganz vornehmer Laden hier, dachte er, und sie wurden freundlich eingewiesen.

Von seinem Sitz am Fenster aus konnte er den Sund sehen. Die Ostsee döste ruhig vor sich hin, Sonnenstrahlen gleißten auf dem Wasser.

„Als ich in der DDR auf einem Fischdampfer fuhr, sind wir hier oft vorbei gekommen. Da haben wir immer hinüber geschaut zu den Silbervögeln und Sehnsucht nach der großen Freiheit gehabt, verstehst du?“ Oldie verstand nicht: „Auf einem Fischdampfer? Das muss doch ein Scheißleben sein. Ob ich das machen würde, weiß ich nicht.“

Das dumpfe Plopp, mit dem die Einstiege geschlossen wurden, lenkte ab. Die Maschine begann zu rollen, weit hinaus auf das Flugfeld. Dann heulten die Turbinen auf, und sie wurden von der Beschleunigung in die Sitze gepresst. Schon fast am Ende der langen Startbahn, ging die Nase fünfzehn bis zwanzig Grad nach oben und hob ab. Die Maschine schoss förmlich in den Himmel, viel steiler als die Metropolitian in Hamburg. Mit klick, klick, klack fuhr das Fahrwerk ein. Ein Gefühl des Schwebens stellte sich ein, während die Erde in der Tiefe verschwand. Nach zwanzig Minuten erloschen die Signallampen unter der Rumpfdecke. Das Klicken der Gurtschlösser ging mit einem Aufatmen einher. Feuerzeuge zündeten die ersten Zigaretten an. Entspannung, obwohl das Flugzeug weiter stieg. Mit Erreichen der Reiseflughöhe von 11.800 Metern gab es ein zweites skandinavisches Frühstück. Danach wurden Zigaretten (DM 1,26), Bier (DM 1,20), Whisky Soda (DM 2,80) sowie Kaffee, Tee und Softdrinks angeboten.

Der Druckausgleich ließ die Trommelfelle knistern, der Kabinendruck wurde abgesenkt.

Der Himmel über dem Flugzeug war tiefblau bis schwarz. „Das Weltall, gar nicht mehr weit weg“, meinte Oldie. Unter dem Flugzeug atemberaubendes, strahlendes intensives Weiß der Wolkentürme. Eine bisher nie gesehene Landschaft nahm das Auge des Betrachters gefangen. Die Sonne war langsamer geworden, weil das Flugzeug mit rund 900 km/h hinter ihr her war.

Die Schwimmwesten wurden vorgeführt und Hinweise zum Verhalten bei Notlandung und bei einem Abfall des Kabinendruckes gegeben. Danach wieder Angebote von Kaffee, Tee oder Softdrinks. Nach eine guten Stunde waren sie über Aberdeen, vermeldete eine Stewardess über den Bordlautsprecher. Es ging nach Norden auf einem Großkreis, der die kürzeste Verbindung nach New York darstellte. Eine Stunde später rollte das Abendessen an: Steak, junge Erbsen, Kartoffeln und als Nachtisch irgendein Pudding. Sie ließen es sich schmecken, bei einer Außentemperatur von -50°C, mitten im Himmel sozusagen. Danach Kaffee und die unvermeidliche Zigarette. Tief unten zog, deutlich erkennbar, ein Frachter seine Bahn. Flarrow rechnete. Bei dieser Reisegeschwindigkeit legten sie in einer Flugstunde mehr als die Tagesdistanz eines Fünfzehn-Knoten-Schiffes zurück! Das Etmal der BERLIN wurde hier an Bord zum „Stunden–Etmal“!

Irgendwann begann die Sonne zu sinken. Das Flugzeug hatte längst Kap Race passiert, südöstlich davon liegt die „TITANIC“ irgendwo auf dem Grund des Atlantiks. Über Nova Scotia erreichten sie das Festland, die Neue Welt. Alles am Boden machte den Eindruck eines Spielzeuglandes. Gulliver kam ihm in den Sinn. Dann begann der Sinkflug, später kamen die Zeichen für das Anschnallen und No Smoking. Der Kabinendruck stieg, man muss schlucken. Schlucken, Sinken, Schlucken, Sinken. - Das Flugzeug ging in eine Warteschleife über New York. Oldie staunte und Flarrow erklärte. Manhattan, das Empire State Building, die lange Reihe der Piers am Hudson mit ein paar Musikdampfern im Abendsonnenschein.

Landeanflug auf den Flughafen IDLEWID, der schon bald in „JOHN FITZGERALD KENNEDY AIR PORT“ umbenannt werden würde. Flarrows Uhr zeigte eine Stunde vor Mitternacht, als die Triebwerke abgestellt wurden und die Maschine zum Stillstand kam. In New York war es 18:00 Uhr.

Leicht benommen und müde bewegten sie sich zum Ausgang, der hier EXIT hieß. Beim Betreten der großen Empfangshalle waren sie in Amerika und ließen das grelle zermürbende Fauchen eines startenden Düsenjets hinter sich.

Abfertigung - Zoll, Visa, Seefahrtbuch werden kontrolliert. Die Leute für die „CAP DELGADO“ stiegen in New York aus. Ein Bus brachte sie zum Schiff.

Nach San Franzisko waren es nun nur noch vier Personen, zwei nautische Offiziere, Steuerleute und zwei technische Offiziere, Schiffsingenieure, für CAP VALIENTE. Sie mussten noch einige Stunden auf ihren Weiterflug nach San Francisco warten, durften aber den Flughafen nicht verlassen.

Der Shuttlebus benötigte eine Viertelstunde zum Schalter von AMERICANE AIRLINES. Ein Flughafen mit für deutsche Verhältnisse unbekannten Dimensionen. Inzwischen war es Nacht geworden. Der Agent hatte sie bei AA abgeliefert und sich verabschiedet. AA hatte die Kontrolle übernommen. Sie durften den Sicherheitsbereich nicht mehr verlassen. Angst vor einer dann illegalen Einreise in God’s own Country!

Der Zweite Offizier schlug vor, etwas gegen die Müdigkeit zu unternehmen. Und so räkelten sie sich in den Polstersesseln bei einem Whisky Soda. Welch ein Feeling !

23:00 Uhr Ortszeit. AA rief den Flug nach San Franzisko auf. Dieses Mal ist es eine Boeing 707, nur mäßig besetzt. Kaum dreißig Passagiere suchten sich ihre Plätze. Flarrow wurde aus ihm nicht bekanntem Grund einer Stewardess anvertraut, die ihn ganz nach achtern bat und die letzte Sitzreihe anwies. Die Begründung verstand er nicht, weil in Englisch. Es hatte aber irgendetwas mit „Immigration“ zu tun.

Startprocedere - Abheben, Steigflug, New York bei Nacht. Sie waren jedoch alle viel zu müde, um von der Schönheit dieses Bildes beeindruckt zu sein.

Das schaffte allerdings die Stewardess bei Flarrow, die bei Erreichen der Reiseflughöhe lächelnd erschien und auf der gegenüberliegenden Sitzreihe Platz nahm. Für die Nacht hat sie sich ihrer Uniform entledigt, und das Überkleid aus Nylon ließ tiefe Einblicke so lange zu, bis die Kabinenbeleuchtung verlosch.

Flarrow schaute die Sitzreihe entlang. Es waren überwiegend Soldaten, Marineoffiziere, Geschäftsleute und Studenten, die in dieser Nacht nach „SF“ unterwegs waren. Westward Ho!

Im Einschlafen nahm Flarrow ein schräg gegenüber sitzendes Liebespaar war, eng umschlungen und offenbar selig. Friedliche Ruhe im abgedunkelten Rumpf einer 707 bei 850 km/h.

Ein ungewöhnliches Schütteln und Rütteln weckte ihn. Draußen zuckten Blitze durch die sonst rabenschwarze Nacht. Sturmböen zerrten am Flugzeug, ließen seine Tragflächen vibrieren, es in Luftlöcher fallen. Erhebliche Turbulenzen, Gewitter, Fasten Your Seat Belt! Dann wurde es recht plötzlich ruhig. Die Gewitterfront lag hinter ihnen. Der Mond kam heraus, und tief unter ihm waren gewaltige Felsmassive zu erahnen, die Sierra Nevada. Und dann, ein erhabenes, silbriges Glitzern voraus. Der Stille Ozean im Mondlicht, scheinbar in majestätischer Ruhe.

Da lag er vor ihm, der Pazifik, den er befahren würde, vielleicht für lange Zeit.

Das Geräusch der Triebwerke wurde leiser, der Sinkflug hatte begonnen. Die Lichter von Oakland und San Francisco kamen in Sicht. Anschnallen. Der Pilot flog eine große Schleife. Landeklappen und Fahrwerk fuhren aus, Aufsetzen, Umkehrschub und Ausrollen bis vor die Empfangshalle.

Der Morgen dämmerte, als sie ihr Gepäck im Buick des Agenten verstauen und in der frischen kalifornischen Luft tief durchatmen.

Der Buik, ein Caravan, fuhr los. Leise, kaum hörbar der Motor.

„Sehr geräumig“, sagte Flarrow. „Amischlitten“, meinte Oldie.

Auf dem Highway 101 rauschten sie dem Hafen entgegen, immer am Ufer der San Franzisco Bay entlang. Eine große Stahlbrücke beeindruckte, und der Agent sagte irgendetwas von Oakland Bay Bridge.

Sie kamen in die Stadt, es ging auf The Embarcadero zum Liegeplatz der CAP VALIENTE. Berth 9; der Buick fuhr direkt bis zur Gangway.

Gepäck ausladen, Oldie schaute zum Schornstein der VALIENTE, der den Reedereifarben entsprechend weiß mit rotem Topp gemalt war.

„Fällt dir dazu was ein? - Die Nillenkoppreederei!“ Oldie liebte die kleine Reederei Komrowski, die ihn aber im Moment nicht einstellen konnte, mangels Bedarf. Deshalb war er auf die Hamburg-Süd ausgewichen. Alles, was zu dieser Reederei gehörte betrachtete er mit Skepsis.

Flarrow hatte sich die Hamburg-Süd ausgesucht, wollte hier Karriere machen und sah das alles natürlich positiv. Außerdem war er ein Shiplover. Sein Schiff musste sympathisch sein, nach dem Motto, das Auge liebt mit.

„CAP VALIENTE“

Ihm gefielen die Linien der VALIENTE auf Anhieb. „Ist sie nicht wie eine Yacht, Oldie?“, fragte er. „Nur dass sie 120 Meter lang ist, deine Yacht“, antwortete der eher abwertend.

Dann kamen zwei Matrosen von Bord, die sich um das Gepäck kümmerten, und der wachhabende Offizier sagte: „Willkommen an Bord!“ Der Zweite Ingenieur erschien und lud sie ohne viel Worte zum Frühstück in die Offiziersmesse ein. Er erzählte, dass alle Leute hier schon mindestens fünfzehn Monate an Bord wären. Urlaubgesuche seien aus verschiedenen Gründen abgelehnt worden, die Realität sei aber der bestehende Personalmangel. „Sie können sich denken, wie groß die Begeisterung hier an Bord ist. Jeder hat die Schnauze gründlich voll.“ Oldie sah Flarrow mit einem viel sagendem Blick an. Der hatte auf den Tonfall des Zweiten geachtet; wie er das gesagt hatte war ihm aufgefallen. Gehörte der auch zu den Lustlosen?

Der Chief tauchte auf: „Berger, herzlich willkommen an Bord. Sie haben sich schon mit den anderen Herren der Messe bekannt gemacht? - Na, dann kommen Sie doch bitte gleich mit, damit wir das geregelt kriegen.“ Nun wurde vorgestellt. Die Ablösenden den Abzulösenden, die schon für den Landgang umgezogen waren.

Grundsätzliches wurde gefragt, wie: „Ach da kommen Sie beide direkt von der Schule? Sie waren im gleichen Semester und kennen sich gut.“ - „Motorerfahrungen?“ - „Aber wir sind hier ein Vollkühlschiff, da läuft es nicht so wie bei den einfachen Trockenfrachtern, bedenken Sie das immer, meine Herren.“ Schließlich kam er zum Schluss: „Bueno, da werde ich doch gleich einmal die Stationen einteilen.“

Oldie bekam die Hilfsdieselstation, Flarrow die Hauptmaschine und die Null-Vier-Wache. Oldie würde demnach Acht-Zwölf gehen.

„Ja, meine Herren, dann machen Sie doch bitte gleich die Übergabe mit ihren Kollegen.“ Damit waren sie entlassen und gingen nun in Ihre Kabinen, wo die Übergabe stattfinden sollte.

In der Kabine griff sich Flarrows Vorgänger sein Handgepäck und sagte: „Also, hier ist alles ok, und die Unterbringung ist ja auch recht hübsch, es gibt kaum Vibrationen. Da haben Sie es gut getroffen. Ich muss nun los, das Flugzeug wartet ja bekanntlich nicht.“

Damit verschwand er und ließ einen völlig sprachlosen Flarrow zurück. Dann klopfte es, der Messesteward brachte den Koffer, stellte sich vor und wurde nach einem kurzen Gespräch gleich plump vertraulich: „Also, wenn Sie mal irgendwelche Probleme haben sollten, da können Sie sich ganz auf mich verlassen, ich helfe Ihnen gern.“ Während Flarrow noch stutzig war, trat Oldie ein: „Was ist mit Deiner Übergabe?“ - „So gut wie keine, er ist einfach abgehauen, alles wäre hier ok.“ - „Wie bei mir auch.“ Und nachdem der Steward verschwunden war: „Hier ist vielleicht was los, darüber müssen wir mit dem Chief sprechen.“ - „Vielleicht ist es besser, erst einmal den Zweiten anzusprechen?“ - „Richten wir uns erst einmal ein, aber darüber reden müssen wir. Möglichst noch heute.“

Der Zweite trat ein und fragte nach dem Betriebshandbuch für die Hauptmaschine, das müsste in der Backskiste unter der Koje liegen. Dort lag es aber nicht. Der Chief kam dazu, wurde gleich nervös und ließ alles auf den Kopf stellen. Das Betriebshandbuch war unauffindbar. „Wieso haben Sie sich das Betriebshandbuch nicht zeigen lassen?“ - „Die Übergabe bestand nur aus dem einem Satz, dass hier alles ok wäre.“ - „Ist der Dritte etwa schon von Bord?“ - „Er hat gesagt, dass sein Flugzeug nicht warten würde.“

Da stürzte der Chief davon, über die Gangway an Land. Er stieg mit dem Agenten in den Buick, der in schneller Fahrt in Richtung Highway 101 verschwand. Der Zweite murmelte ein paar unfeine Sätze und verschwand in seiner Kabine. Oldie, der die Geschichte miterlebt hatte, sagte: „Na, haben wir es nicht gut getroffen? Tolle Leute haben die bei der Nillenkoppreederei!“ - Na ja, meinte Flarrow, das Betriebshandbuch mitnehmen oder wegschmeißen, was für einen Sinn soll das denn machen?

Sie standen auf dem Achterdeck, als der Chief zurückkehrte. Wild gestikulierend schwang er das Betriebshandbuch und noch auf der Gangway schrie er: „Ich hab’ es, ich hab’ es!“ Und dann gab er Flarrow das Buch mit den Worten: „Der Kerl hatte das Buch im Handgepäck, er wollte es doch tatsächlich mitnehmen!“

Flarrow hielt das Buch in den Händen. Es war mindestens drei Kilogramm schwer. Da fragte er sich schon nach dem Sinn dieser Aktion. War es vielleicht ein Diebstahl? Ohne das Betriebshandbuch konnten sie keine Ersatzteile bestellen, da waren sie aufgeschmissen. Gegen wen ging das Spiel, und was für eine Bordkameradschaft war das hier?

Er gab das Handbuch dem Zweiten, der es ja nachgefragt hatte und ging dann zu Oldie. Sie beschlossen, nun misstrauisch zu sein und zusammenzuhalten. Irgendetwas stimmte hier an Bord einfach nicht.

Flarrow grübelte noch immer, während er in seine Kabine einzog und alles einräumte. Klein aber kuschelig war sie, geradezu komfortabel gegenüber der auf der CAPERATA. Keine Stahlmöbel, sondern Vollholz. Eine Sitzbank querschiffs, die Koje längsschiffs eingebaut, ein Sessel, ein Tisch. Großzügiger Schrank und ausreichend Stauraum in den Backskisten unter der Koje und ein großzügiges Waschbecken mit warmem und kaltem Wasser.

Dusche und Toilette im Waschraum für Ingenieure, Elektriker und Assistenten, gleich gegenüber, bequem zu erreichen, und nur ein Sprung zum Maschinenraum.

Nach dem Mittagessen machte sich Müdigkeit bemerkbar, denn sie waren ja über dreißig Stunden auf den Beinen gewesen. Der Brief nach Hause konnte warten, und deshalb verschwand Flarrow erst einmal in der Koje.

Der Messesteward weckte zum Abendbrot, aber Flarrow wurde nur schwer wach. Das war kein Wunder, denn seine biologische Uhr zeigte auf drei Uhr. Das Abendessen wurde aufgetragen, als Flarrow die Messe betrat. Der Kapitän war anwesend, und Flarrow stellte sich vor. Es folgte ein bisschen Palaver, ein paar Begrüßungsfloskeln, und mit dem Wunsch auf eine gute Zeit hier an Bord verließ er die Messe, um im Salon zusammen mit dem Chief und dem Ersten Offizier zu Abend zu essen.

Es gab auf der VALIENTE drei Messen, den Salon, die Offiziersmesse und die Mannschaftsmesse, wo Mannschaftsdienstgrade und Unteroffiziere (Bootsmann, Storekeeper, Koch, Chiefsteward) die Mahlzeiten einnahmen. Alle drei Messen bekamen die gleiche Verpflegung. Im Salon gab es allerdings das bessere Geschirr. Das lag daran, dass die VALIENTE auch fünf Passagiere befördern konnte, die gegebenenfalls auch im Salon verpflegt wurden.

Beim Dessert sagte der Zweite Offizier, dass man einen Messevorstand bestimmen müsste. Der Zweite Ingenieur antwortete: „Wenn Sie so etwas brauchen, dann machen Sie das doch, oder hat jemand etwas dagegen?“ - „Wat soll dat denn?“ ließ sich der Funker vernehmen, und der Elektriker schüttelte den Kopf. Die Assistenten sagten gar nichts, so als gehörten sie gar nicht dazu. Die Dritten Ingenieure schwiegen sich aus, nur der Dritte Offizier stimmte diensteifrig dem Zweiten Offizier zu. Der stellte keine Gegenstimme fest und sagte: „Na gut, dann mache ich das.“ Flarrow konnte mit der ganzen Geschichte nichts anfangen. Sie konnten einfach den Zweiten Offizier nicht begreifen, warum wollte er das? Es war doch bisher wahrscheinlich auch ohne Messevorstand gegangen. Flarrow blickte in die Runde. Alle Offiziere trugen sauberes Khakizeug und einen schwarzen Schlips, nur die Assistenten, die ihren eigenen Tisch hatten, trugen entweder nur Hemd und Hose oder aber Teile ihrer Uniform. Einer hatte ein buntes Sporthemd unter der Khakijacke, der die Hälfte aller Knöpfe fehlte. Keiner trug einen Schlips. Sie sahen also gegenüber den Offizieren, welche sie manchmal abwertend Streifenträger nannten, ziemlich unangezogen aus. Offensichtlich störte das aber niemand.

Der Zweite Offizier begann ein Gespräch mit dem Dritten. Der sollte doch gleich eine Kleiderordnung erarbeiten, damit jeder wüsste, welche Uniform zu welchen Anlässen zu tragen wäre.

Oldie meinte zu Flarrow: „Mal einen Blick in die Maschine werfen.“ Draußen im Gang aber sagte er: „Ist der noch ganz dicht? Kleiderordnung, sind wir hier im Kindergarten?“ Flarrow verwies auf die Assistenten und die Kleidung, die sie trugen. „Stimmt“, sagte Oldie, „aber das ist Sache unseres Zweiten oder des Chiefs.“

Sie betraten den Maschinenraum. Vom Maschinenraumeingang blickten sie auf neun weiß lackierte Zylinderdeckel des Hauptmotors, die von den Flurplatten der Zylinderstation eingerahmt waren. Ein Niedergang führte über zwei Decks hinunter zum Fahrstand. Seitlich des Hauptmotors standen vier Hilfsdiesel, über denen ölgeschwängerter Dunst lag. Die querschiffs am vorderen Maschinenraumschott befindliche Schalttafel war durch den Dunst hindurch nur undeutlich zu erkennen. Es stank nach verbranntem Schmieröl, alles war verölt, schmutzig und ungepflegt. Der wachhabende Schmierer lief in Handschuhen herum. Er sah sie sehr wohl, schenkte ihnen aber keine Beachtung. Er nahm eine der Drei-Liter-Ölkannen, ging zu den Hilfsdieseln und goss einen dicken Strahl Schmieröl über alle Zylinder der laufenden Motoren. Sofort verdichtete sich der Öldunst, und auf dem Abgaskanal verbrannte Öl, was widerlich stank. Dort, wo für die Kipphebel und Ventile einige Tropfen mit einer Spritzkanne genügt hätten, wurde hier an Bord eine solche Sauerei angerichtet. Auf der BERLIN hätte der Erste wahrscheinlich einen Tobsuchtsanfall bekommen.

Sie stiegen nach oben, und kaum, dass sie in Oldies Kabine waren, legte der los: „Wie kann so etwas passieren, bei einer so großen und bekannten Reederei? Rudolf August Oetker ist doch wer, sogar in Hamburg.“ Flarrow schwieg dazu. Er wusste nur eines, es würde jede Menge Arbeit geben, und das nicht nur an den Maschinen, sondern auch mit dem Maschinenpersonal.

Abends kam der Chief zu Flarrow. „Sie machen morgen Triebwerkskontrolle. Ich möchte, dass Sie auch die Fundamentbolzen kontrollieren. Sie haben ja gesehen, was mit Ihrem Vorgänger los war. Wir sollten deshalb alles genau prüfen und kontrollieren. Wissen Sie mit diesen Arbeiten Bescheid?“ - „Natürlich“, sagte Flarrow, dem so langsam klar wurde, was hier an Bord lief. Die Stimmung war weit unter Null, weil die Leute nicht abgelöst wurden. Und da die Führung dem nichts entgegen zu setzen hatte, blubberte alles vor sich hin. Hier wurde nicht geführt, sonder die Leute machten, was sie wollten! CAP VALIENTE war ein schönes Schiff, vor allem äußerlich. Aber wie sah es innen aus?

Am nächsten Morgen verteilte der Zweite die Arbeit und verschwand danach sofort nach oben. Flarrow stieg in das Triebwerk der Hauptmaschine. Alles sah gut aus, auch in der Kurbelwanne war alles sauber. Genauso verlief die Fundamentbolzenkontrolle. Ein paar lose Fundamentbolzen musste er nachziehen, das war alles.

Oldie hatte sich inzwischen die Hilfsdiesel vorgenommen. Diese modernen Viertaktmotoren hatten Zentralschmierung, an die natürlich auch Ventile und Kipphebel angeschlossen waren. Deshalb konnte man mit Abdeckhauben aus Aluminium die Ventilsteuerung und die Brennstoffventile abdecken. Die Abdeckhauben waren aber nicht vorhanden, denn es wurde ja von Hand geschmiert. Oldie fand sie schließlich nach intensiver Suche in einer Schmuddelecke des Maschinenraums. Warum waren sie nicht montiert? Ein Achselzucken des Storekeepers war die Antwort auf Oldies Frage. Irgendwann war eine der dünnen Leitungen, die das Öl an die Schmierstellen transportierte, verstopft gewesen. Da war es einfacher, auf Schmierung mit der Ölkanne umzustellen, als die Leitungen zu reinigen.

Am Nachmittag wurden die Spülluftventile der Kolbenunterseiten der Hauptmaschine gewechselt. Auffallend, mit welcher Lustlosigkeit diese Arbeit ausgeführt wurde. Der Zweite ließ sich überhaupt nicht sehen. Auf Flarrows Frage hieß es: „Der hält Mittagsschlaf.“ Die Spülluftventile waren völlig verschmiert. Eine Teer ähnliche Substanz hatte die Ventilfedern verklebt, was ihre Funktionsfähigkeit sehr in Frage stellte. Zur Reinigung wurden sie nun in ein Ölfass getan, das mit einem chemischen Reiniger gefüllt war. Flarrow sah sich das an, sagte aber nichts dazu. Ihm fehlte die Erfahrung mit solchen Zweitaktmotoren und dem Schwerölbetrieb.

Der Tag ging zu Ende, der Löschbetrieb ging weiter bis spät in die Nacht. Oldie hatte Bordwache, und Flarrow studierte das Betriebshandbuch der Hauptmaschine. Das Schiff war wie tot, weil fast alle Leute an Land waren.

Am nächsten Morgen sagte der Storekeeper, dass in der Werkstatt noch Brennstoffventile lägen, die überholt werden müssten. Der andere Dritte hätte nichts daran getan. Es zeigte sich, dass der ganze Reservesatz zwar in den Halterungen an der Wand hing, aber nicht überholt war. Der Zweite wusste davon nichts. Als es ihm gesagt wurde, zuckte er nur die Achseln: „Dann muss es eben jetzt gemacht werden.“ Nun hatte Flarrow zu tun und stellte fest, dass es mit Ersatzteilen sehr schlecht aussah. Verschleißteile, die aufgearbeitet werden mussten, wurden nach Deutschland geschickt, weil es in den Staaten entweder keine Möglichkeit gab oder die Arbeit zu teuer war. Angeblich waren Ersatzteile für das Schiff mit der Halbjahresausrüstung unterwegs, aber niemand wusste genau, wann und wo sie die VALIENTE erreichen würden. Der Zustand der Brennstoffventile war mehr als mäßig. Die Maschine hatte ja neun Zylinder und neun Brennstoffventile mit neun Düsenelementen. Neben dem Reservesatz, der vorgeschrieben war, gab es als eigentliche Ersatzteile nur fünf Düsenelemente, zwei davon gebraucht!

Flarrow protestierte, aber der Zweite lachte nur und verwies auf die ausbleibende Halbjahresausrüstung, die der Chief seiner Meinung nach nicht energisch genug anforderte.

Flarrow fand bei der Überholung der Brennstoffventile eine pastenartige Substanz mit salzhaltigen Ausscheidungen in den Düsenelementen, die eine ausreichende Kühlung behinderten. Die chemische Behandlung der Kühlwasserkreisläufe besorgte der Zweite. Aber der konnte sich diese Ausscheidungen aus dem Düsenkühlwasser auch nicht erklären. Das wäre schon länger so, und man müsste wahrscheinlich damit leben. Schließlich baute Flarrow die gereinigten Brennstoffventile wieder zusammen, prüfte die Funktionsweise, stellte den Abspritzdruck ein und hängte sie an den dafür vorgesehenen Platz an der Schottwand. Sie funktionierten recht und schlecht, man würde also sehen.

Am späten Nachmittag waren sie seeklar und liefen aus. Nächster Hafen war Long Beach, etwa zwei Tagereisen entfernt. Flarrow hatte Manöverwache, blieb aber noch unten, bis die Hauptmaschine hochgefahren war. Er schlich um die Maschine wie der Fuchs um die Gans. Misstrauisch verfolgte er jedes Geräusch, hörte seine Maschine ab wie ein Arzt den kranken Patienten, und langsam gewöhnte er sich an alle ihre Geräusche.

Mitternacht. Flarrow löste Oldie ab, und während der ihn über dies und das informierte, verschwanden die beiden Assistenten nach oben, später auch Oldie. Flarrow war allein im Maschinenraum, seine erste Seewache als Ingenieur hatte begonnen, und ihm wurde bewusst, dass er nun Verantwortung zu tragen hatte.

Dann kam Flarrows Assistent mit zwei Tellern voller Rührei wieder herunter. Flarrow dankte für das unerwartete Frühstück. Sie waren zu Zweit auf Wache. Die Kühlanlage war außer Betrieb, weil die Kühlladung in San Francisco gelöscht worden war. Bei einer Muck heißen Kaffee teilte der Assistent mit, wie die Wachen bisher gegangen worden waren. „Also, wir wechselten uns nachts immer ab. Es genügt ja, wenn nur einer von uns hier unten ist. Sie fangen an und können sich jetzt in die Koje hauen. Ich wecke Sie dann rechtzeitig, bevor der Zweite auf Wache kommt.“ Flarrow fiel die Kinnlade herunter. Sprachlos blickte er seinen Assistenten an. Konnte das wahr sein oder nutzte der Assistent nur seine Unwissenheit aus? Wenn ein Wachingenieur auf See während seiner Wache einfach schlafen ging, dann war das eine schwere Verfehlung seiner Dienstpflicht, die bestraft wurde und das Patent kosten konnte. Man hatte sich an ein bequemes Leben gewöhnt, weil es keine Kontrolle gab. Die Wachingenieure hatten sich von den Assistenten einwickeln lassen. Das war verkehrte Welt, und kriminell war das dazu! Flarrow begriff, dass es nun um Sein oder Nichtsein für seine Stellung an Bord ging. Entweder, er setzte sich sofort durch, was auf jeden Fall Ärger bedeutete, oder er war zukünftig der Knecht der übrigen Mannschaft.

„Wie viel Fahrzeit haben Sie?“ fragte er den Assistenten. - „Wieso ist das wichtig?“ - „Ist das Ihr erstes Schiff?“ - „Ich habe, ungefähr zwei und ein halbes Jahr Fahrzeit, und das ist mein zweites Schiff. Aber warum fragen Sie das?“ - „Wie lange sind Sie hier an Bord?“ - „Zwölf Monate.“ - „So, dann werden Sie sich ab sofort etwas umgewöhnen müssen. Wir gehen die Wachen zusammen und zwar im Maschinenraum. Wenn hier jemand nach oben geht, tut er das auf meine Order hin. Ich bestimme, erlaube oder verbiete das. Alles klar?“ Nun war der Assistent sprachlos, und ehe er zu Wort kam, setzte Flarrow noch einen drauf. „Glauben Sie nicht, dass ich Sie brauche, bloß weil ich neu an Bord bin. Wenn Sie bisher hier allein Seewache gegangen sind, werde ich das doch wohl auch können, das ist doch logisch. So, und jetzt gehen Sie Ihre Wache vernünftig, wie sich das gehört. Das werden Sie doch wohl noch können.“ Darauf sprachen Sie die ganze Wache über kein Wort mehr mit einander.

Der Assistent meldete sich ordnungsgemäß zum Wecken ab, und überhaupt merkte Flarrow sehr schnell, dass er im Grunde ein guter Mann war. Allerdings interessierte er sich nicht für die Schule. Er hielt Flarrow für einen, der nur mit seinem Patent prahlte. Von Ausbildung hielt er gar nichts, vor allem, weil er seinen Job ausgezeichnet beherrschte. Was er nicht fertig brachte, war die Unterordnung unter den Wachingenieur. Er kannte sich aus. Da brauchte er kein Studium und schon gar kein Patent. Damit gaben ja die Inhaber immer nur gewaltig an, liefen in Uniform herum und schwätzten dummes Zeug, weil sie sonst nichts weiter konnten. Diese Einstellung verhinderte das Entstehen von gegenseitigem Vertrauen. Flarrow war immer auf der Hut, kontrollierte jede Tätigkeit des Assistenten, der es nicht wagte, sich über Flarrows Anweisungen hinweg zu setzen, aber gleichwohl jedes bisschen Freiraum demonstrativ für sich zu nutzten verstand. Man respektierte sich, zu einer vertraulichen Zusammenarbeit reichte es nicht. Da auch auf der Acht-Zwölf-Wache ein anderer Wind wehte, hieß es sehr bald: „Neue Besen kehren gut. Aber warten wir mal ab, wie lange die das durchhalten.“

Der Zweite verhielt sich völlig neutral und so mussten sich die beiden Neuen allein durchbeißen. Ab und zu tauchte der Chief auf, hatte diese und jene Wünsche, die so oder so erfüllt wurden. Eine klare Führung gab es nicht. Es lief alles so vor sich hin. Auch der Chief lebte mehr oder weniger in seiner Kammer und zeigte sich seinen Leuten kaum.

Sie liefen pünktlich in Long Beach ein, wo sofort mit dem Laden für Australien und Neuseeland begonnen wurde. Long Beach war ein riesiger Hafen und man lag weit weg von der City. Da blieben Oldie und Flarrow lieber an Bord. Beide hatten inzwischen eine Bestandsaufnahme ihres Ressorts gemacht und eine Aufstellung dringend benötigter Ersatzteile dem Chief vorgelegt. Der sah sich das kaum an und lächelte etwas schief. Es würde ja alles mit der, allerdings bereits überfälligen, Halbjahresausrüstung kommen. So lange müssten sie sich schon gedulden. Außerdem müssten auf dieser Ausreise zwei Hilfsdiesel überholt werden und nicht alle vier. Und für zwei Hilfsdiesel hätten sie noch genug Ersatzteile an Bord. Die Hauptmaschine mache ja keine Probleme. Natürlich wäre die Ersatzteilsituation nicht gerade gut, aber immerhin doch ausreichend. Damit war die Audienz beendet.

Am nächsten Nachmittag gingen sie in See. Der Große Ozean empfing sie freundlich. Ruhige See und ein blauer, wolkenloser Himmel. Das Reiseziel war Auckland auf Neuseeland. Um das zu erreichen brauchten sie ungefähr siebzehn Tage, je nach den Wetterbedingungen, die der Pazifik für sie bereithalten würde.

CAP VALIENTE war ein Vollkühlschiff, welches im Zuge des Ausbaus der Kühlschiff–Kapazitäten der Hamburg-Süd in den Jahren 1958/60 zusammen mit den Schwesterschiffen „CAP DOMINGO“ und „CAP CORRIENTES“ bei Howald in Kiel gebaut worden waren.

Die Daten dieser Klasse waren: 4.113 BRT / 4.340 tdw / 6.230 m³ / 230.000 cbf; Länge ü. A.: 125,6 m; Breite: 15.6 m; Antriebsanlage: 9-Zylinder-Zweitakt, 6.000 PSe, MAN 9K 700/1200 A; Dienstgeschwindigkeit: 18 Knoten; Elektrische Anlage: 1.000 kVA / 380/220 V; Besatzung: 40; Passagiere 5.

Die Schiffe waren keine reinen Fruchtschiffe, sondern für weltweite Kühlschifffahrt ausgerüstet. Deshalb waren die Laderäume so konstruiert, dass auch schwere Teile oder Kisten, wie beispielsweise Maschinenteile oder LKW geladen und transportiert werden konnten. Es gab vier Laderäume und zwei kleine Kühlräume, manche Ladungsoffiziere nannten sie Luke fünf und sechs, weil nach deren Meinung ein Sechslukenschiff mehr her machte als ein Vierlukenschiff. Die Kühlräume waren jedoch für kleinere Partien Kühlladung, für die die Laderäume zu groß waren, bestimmt. Die Geschwindigkeit entsprach der von modernen Fruchtschiffen, die beispielsweise Bananen im Liniendienst zwischen Mittelamerika und Bremerhaven beförderten.

Aus Sicht der Maschinencrew, die eher nach dem Arbeitsumfang urteilte, waren es neun Kolben und die angehängte Spülluftpumpe der Hauptmaschine. Vier Sechszylinder Hilfsdiesel für die Stromerzeugung. Vier Kühlkompressoren, davon zwei Achtzylinder-V-Maschinen. Die zugehörigen Verflüssiger und eine ganze Reihe Hilfsaggregate, wie Frischkühl- und Seekühlwasserpumpen, Separatoren für die Brennstoff- und Schmierölaufbereitung, Abgas- und Hilfskessel sowie ein zusätzliches Heizschlangensystem für die Beheizung von sechs Süßöltanks. Die Frischwasserversorgung erfolgte durch einen Seewasserverdampfer. Das von ihm erzeugte Destillat, wurde durch Zusatz von Mineralien in genießbares Trinkwasser verwandelt. In der Werkstatt standen Dreh-, Hobel-, Bohr- und Fräsmaschinen sowie entsprechende Werkbänke, ausgelegt für alle möglichen Instandsetzungsarbeiten. An Deck gab es im Wesentlichen noch zehn Ladewinden, die Ankerwinde, das Heckspill und die Rudermaschine.

Wenn die erforderliche Versorgung mit Ersatzteilen und Material gewährleistet war, konnte die Besatzung den Schiffsbetrieb aufrechterhalten. Lediglich die Arbeiten am Schiffsrumpf, dem Ruderblatt und dem Propeller wurden immer von einer Werft erledigt, weil das nur möglich war, wenn das Schiff dockte.

In der Maschine fuhren neben dem Leitenden Ingenieur (Chief) drei Wachingenieure, ein Elektriker, vier Assistenten, ein Storekeeper, zwei Schmierer und zwei Reiniger. Mit diesem Personal hatte der Chief den technischen Schiffsbetrieb durchzuführen.

Sie waren nun auf See, und Oldie begann sofort mit der Grundüberholung der Hilfsdiesel. Deshalb änderten sie das Wachsystem. Oldie wollte von acht bis sechzehn Uhr gehen, weil das dem Arbeitstag der Tageswache entsprach. Flarrow ging deshalb von zwanzig bis vier Uhr. Der Chief bekam das Ganze erst am zweiten Tag mit und bat freundlich, solches doch bitteschön vorher mit ihm abzusprechen. Der Zweite hatte das also nicht getan. Der nahm den Chief sowieso nicht ernst, was verschiedene Gründe hatte.

Flarrow, der mittags zu Beginn seiner Wache mit dem Indikator Zünddrücke und Verbrennungsablauf der neun Zylinder der Hauptmaschine prüfte, stellte recht große Unterschiede zwischen den einzelnen Zylindern fest, was aber den Chief nicht beunruhigte. Das wäre so bei dieser Maschine. Das leichte Qualmen des Schornsteins regte ihn auch nicht auf, denn das Schiff lief gute siebzehn Knoten, wie immer. Die Dienstgeschwindigkeit von achtzehn Knoten schaffte die VALIENTE nicht.

Die Grundüberholung der Hilfsdiesel wurde damals nach etwa dreitausend Betriebsstunden fällig. Die wichtigsten Verschleißteile, wie Kolbenringe, sowie Ein- und Auslassventile mussten dann ausgetauscht oder nachbearbeitet werden. Die Berichte über die Grundüberholungen wurden von der Inspektion angefordert, lagen aber natürlich auch bei den Unterlagen für die einzelnen Hilfsdiesel. Umfangreiche Aufmessungen einzelner Motorteile gaben Auskunft über das Verschleißwachstum, so dass man recht gut erkennen konnte, ob ein Teil ausgetauscht oder nur nachgearbeitet werden musste. Im ersteren Fall mussten natürlich die erforderlichen Ersatzteile an Bord sein. So waren solche Grundüberholungen immer recht umfangreiche und unter Umständen aufwendige und teuere Arbeiten, die geplant werden mussten.

Oldie konnte aus seinen Messergebnissen sehr schnell ersehen, dass man frühere Überholungen nicht unbedingt fachmännisch durchgeführt hatte. Er ließ alle Laufbuchsen ziehen und sah, dass die Konservierung kühlwasserseitig völlig fehlte. Die Kühlräume im Zylinderblock selbst waren stark verdreckt, und die Lagerspiele waren rasant gewachsen. An einigen Kolben waren die Ringnuten stark ausgeschlagen, weil offensichtlich Reserveringe mit Übermaß gefehlt hatten. Als er die dann im Store fand, war klar, dass hier Faulheit, Bequemlichkeit und Leichtsinn regiert hatten.

Die Leute schimpften auf Oldie, weil der sich nach ihrer Meinung an jeder Kleinigkeit festhielt. Da würden sie ja nie fertig, murrten die einen, Korinthenkacker murrten die anderen. Oldie war jedoch nicht zu bremsen und ließ sich nicht irre machen. Ganz besonders schlimm waren die verstopften dünnen Ölleitungen zu den Schmierstellen der Ventile, die nur schwer zu reinigen waren, weil gute Lösungsmittel für Ölkoks nicht an Bord waren.

Am dritten Tag der Reise war bei zwei Zylindern der Hauptmaschine der Zünddruck erheblich gesunken, der Schornstein begann schwarz zu qualmen, was schlechte Brennstoffzerstäubung bedeutete. Die Drehzahl fiel ab. Der Chief sah sich die Sache an und sagte: „Wir stoppen bei Wachwechsel um sechzehn Uhr. Bereiten Sie alles vor.“ Das war weiter kein großes Problem, denn um sechzehn Uhr waren beide Wachen im Maschinenraum. Sein Assistent wollte zunächst nicht mitmachen. Um sechzehn Uhr wäre seine Wache zu Ende. Für Reparaturen wären außerdem auch noch die Tageswächter da, die die Überstunden ja bezahlt bekämen. Flarrow machte es kurz, sagte ihm, was diesbezüglich in der Seemannsordnung steht und verwies auf wichtige schiffsicherheitstechnische Arbeiten. Das half offenbar. Als der Assistent merkte, dass Flarrow sehr früh die Drehzahl der Hauptmaschine reduzierte, um den Motor langsam zu entlasten, ging er hin und legte die Füllung wieder auf voll. Flarrow bekam das zufällig mit und stellte ihn zur Rede. Er konnte solche Eingriffe nicht dulden, wenn er Respekt und Ansehen gegenüber der Crew nicht verlieren wollte. Das Gespräch endete mit einer Drohung Flarrows. Es würde ein Unglück geschehen, wenn er noch einmal derart gegen ihn arbeiten würde.

Das Stoppen und der Brennstoffventilwechsel gingen glatt über die Bühne. Die Maschine stand gerade einmal sieben Minuten. Flarrow kümmerte sich sofort um die ausgewechselten Ventile. Beide hatten zwei bis drei Zentimeter lange Kokstrompeten an den Zerstäuberplatten. Die Düsenelemente waren schwergängig und ihre Kühlräume mit den bekannten salzähnlichen Ausscheidungen gefüllt. Flarrow zeigte das dem Zweiten, weil diese Ausscheidungen eigentlich nur vom Korrosionsschutzmittel, welches dem Düsenkühlwasser zugesetzt wurde, kommen konnten. Der Zweite war unsicher und erhöhte den Zusatz, ohne Flarrow darüber zu informieren. Flarrow glaubte, auf dem richtigen Weg zu sein, lag aber hinsichtlich der Kokstrompeten an den Düsen ziemlich falsch. Er hatte keine Ahnung von der Aufbereitung des Schweröls. Der Separator war eingestellt und funktionierte. Also wurde nichts daran geändert. Der Chief nahm das alles hin, für ihn war das Geschehen normal. Er freute sich über den Diensteifer der Dritten, traute ihnen aber nicht so recht. Traute er überhaupt jemandem? Der Zweite verneinte das sofort. Man konnte von Leuten, die müde und enttäuscht waren, weil zu lange an Bord und ohne eine Aussicht auf baldige Änderung, keine vernünftige Motivation verlangen. Wenn dann noch der Sparfimmel des Chiefs zu einem Mangel an Ersatzteilen und Verbrauchsstoffen führte, gab es Probleme. Oldie machte jedoch nicht viel Federlesen und trieb die Leute an, so wie er das als Assistent am eigenen Leib erfahren hatte. In der Mannschaftsmesse wurde deshalb darüber geschimpft. Flarrows Assistent saß oft dabei, weil er sich dort wohler fühlte als in der O–Messe, gab aber zu, dass die beiden neuen Ingenieure nicht ganz so blöd wären, wie ihre Vorgänger. Doch auch sie würden bald in den üblichen Trott fallen, wie der Zweite. „Wir schaffen das schon, spätestens bis Neuseeland!“ Der Storekeeper, der die meiste Erfahrung hatte, warnte alle. Die Neuen wären irgendwie aus einem anderen Holz. Und die Hilfsdiesel hätten es doch wirklich verdammt nötig, das wäre doch einzusehen. Aber damit kam er bei den Leuten, die das bequeme Leben liebten, kaum an.

Nach einer knappen Woche war der Hilfsdiesel I fertig. Oldie prüfte noch einmal alles, dann ließ er ihn eine halbe Stunde lang laufen. Nachdem er sicher war, dass die Zentralschmierung einwandfrei funktionierte, wurden die Abdeckhauben aufgesetzt, und alle staunten, weil nun kein Öldunst mehr über der Maschine schwebte. Nachdem der Elektriker den Generator durchgemessen hatte, ging HD I, an das Bordnetz. Der Diesel lief nun viel weicher als vorher. „Wie Butter“, sagte man dazu, und das sahen sogar die faulsten Brüder ein.

Erstmalig war auch der Ölumlauftank geöffnet und gereinigt worden, und die erste Neufüllung hatte Oldie nach zwei Tagen Betrieb komplett gewechselt und über Bord gepumpt. Das verursachte beim Chief einen Tobsuchtsanfall, den ein lächelnder Oldie glatt überstand. Der Zweite meinte, das sei nur aufgefallen, weil es im Maschinentagebuch vermerkt worden sei. Aber das brachte nun wiederum Oldie auf die Palme. Das wäre wichtig und im Maschinentagebuch zu vermerken. Und dabei schwärmte er von seiner Reederei Komrowski, wo alles so gut gelaufen hatte und er schon als Diensttuender Vierter die Wache allein gegangen war.

Der Fall war typisch. Für den Chief galt nur eines: Ja nicht aus dem Rahmen fallen, die Sparappelle der Reederei befolgen und keine Extrakosten verursachen. Existenzangst, die völlig überflüssig und unangebracht war, beherrschte ihn. Er war nur ein „Dreistreifen-Chief“ mit C5-Patent. Bei der Hamburg-Süd trugen die Leitenden Ingenieure vier Streifen, wenn sie Inhaber des C6-Patentes waren. Die VALIENTE hatte 6.000 PSe. Dafür genügte ein Leitender mit C5. Absehbar war jedoch, dass die nächste Generation von Kühlschiffen schneller und größer sein würde. Dann waren Maschinenleistungen von zehntausend PS und mehr erforderlich, und da wurde C6 verlangt! Warum hatte Chief Berger kein C6-Patent? Sein Schiff, auf dem er als Dritter Ingenieur fuhr, war Anfang 1940 von einem britischen U-Boot versenkt worden. Weil er zu dem Zeitpunkt Freiwache hatte, lebte er noch und geriet in britische Gefangenschaft. In Kanada war er in einem Gefangenenlager mit über zehntausend Insassen. Die gefangenen Soldaten organisierten alles Mögliche. Ein oder mehrere Gefangene, die im Zivilberuf Hochschullehrer waren, ermöglichten mit dem Einverständnis der Bewacher, den jüngeren Leuten ein Studium des klassischen Maschinenbaus während der Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung legte Herr Berger in Deutschland eine Prüfung ab und bekam so ein Ingenieur–Diplom. Er hatte also seine Zeit während der Gefangenschaft gut genutzt. Er arbeitete zunächst bei einer Landfirma, die dringend Ingenieure suchte. Nach einem Jahr wusste Berger, dass Kranbau nicht sein Ding war. Er ging zurück zur Handelsmarine, die gerade wieder zugelassen wurde und fuhr als Wachingenieur, bis er seine Fahrzeit für C5 erfüllt hatte. Mit diesem Patent bekam er schnell eine Stelle als Leitender Ingenieur. Er heiratete, die Zeit verging, und niemand fragte nach dem großen Patent, auch weil die Maschinenleistungen der Neubauten kaum die 6.000 PS–Grenze überstiegen. Die Alliierten hatten die Geschwindigkeit der Neubauten auf zwölf Knoten begrenzt. Der Krieg hatte seinen Lebenslauf und seine berufliche Karriere erheblich gestört. Irgendwann war es zu spät, sich noch einmal auf die Schulbank für C6 zu setzen. Außerdem hatte er ja noch seine Familie zu versorgen. Andererseits war erst 55 Jahre alt und hatte noch zehn lange Jahre bis zur Rente!