Fluch oder Segen - Ellen Heinzelmann - E-Book

Fluch oder Segen E-Book

Ellen Heinzelmann

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Beschreibung

Auf der Heimfahrt von einer Hochzeit entgehen Franziska und Oliver ganz knapp einem Unfall. Franziska sagte, sie habe gewusst, dass dieser Unfall passieren würde und habe deshalb auch rechtzeitig bremsen können. Aber warum wusste sie, dass der Unfall passieren würde? Sie sagte dazu, dass sie gewarnt worden sei, eine junge Frau namens Klara habe neben ihr auf dem Beifahrersitz gesessen. Nun glaubte sie, dass diese Frau eine Botschaft für sie hatte und geht auf die Suche nach dem Inhalt dieser Botschaft. Dabei kommt Franziska einem Verbrechen auf die Spur und hat das Gefühl, dieses auflösen zu müssen.

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Zum Inhalt

Auf der Heimfahrt von einer Hochzeit entgehen Franziska und Oliver ganz knapp einem Unfall. Franziska sagte, sie habe gewusst, dass dieser Unfall passieren würde, und habe deshalb auch rechtzeitig bremsen können. Aber woher wusste sie es? Franziska sagte, sie sei gewarnt worden; eine junge Frau namens Klara habe plötzlich neben ihr auf dem Beifahrersitz gesessen. Nun glaubt sie, dass diese Frau eine Botschaft für sie hat und geht auf die Suche, nach dem Inhalt dieser Botschaft. Dabei kommt sie einem Verbrechen auf die Spur und hat das Gefühl, dieses auflösen zu müssen.

Die Autorin

Ellen Heinzelmann, Fachfrau für Marketing und Kommunikation, wurde 1951 im Kreis Waldshut geboren. Während ihrer langjährigen beruflichen Tätigkeit – zuletzt als Marketing- und PR-Verantwortliche in einer Organisation des öffentlichen Rechts in Basel – übersetzte sie Texte vom Deutschen ins Französische und Englische, wirkte als Dolmetscherin bei Vertragsverhandlungen in Paris. Auch wirkte sie als Lektorin und als Ghostwriterin. Die geschriebene Sprache hatte schon in früher Kindheit große Faszination auf sie ausgeübt. Nach dem Ausstieg aus dem Berufsleben, ist sie ihrer Berufung schließlich gefolgt. Mit ihrem Debütroman »Der Sohn der Kellnerin«, eine nicht alltägliche Geschichte um ein Wunderkind, startete sie 2011 ihre Schriftstellerlaufbahn und nahm ihre Leser gleich mit auf eine emotionale Reise

www.ellen-heinzelmann.de

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Kapitel 1

Die Sonne stand schon ziemlich tief, als sie die Landstraße entlangfuhren. Franziska saß am Steuer, denn Oliver hatte beim Sektempfang vor der Kirche ein Glas zu viel getrunken, und da wollte er nicht riskieren, dass ihm deswegen womöglich sein Führerschein abgenommen würde. Das wäre für einen Mann im Außendienst fatal gewesen. Seine Freundin Franziska war eine gute Fahrerin und ihr überließ er, er der sonst niemandem sein heiliges Blechle anvertraute, unbedenklich das Steuer, während er es sich auf der Rückbank bequem machte: »Ein herrlicher Tag heute, nicht wahr?«, resümierte Oliver leicht schläfrig, schloss die Augen, um ein kleines Nickerchen zu machen.

»Ja, in der Tat. Wenn Engel heiraten, dann lacht die Sonne«, schwelgte sie in der Erinnerung der letzten zwei Stunden. »Und sie waren ein so schönes Paar«, seufzte sie schwärmerisch. Oliver nahm Franziskas Antwort nur noch schummrig durch den Nebel seines kleinen Schwipses wahr.

Franziska klappte die Sonnenblende herunter, denn die tief stehende Sonne verschluckte förmlich die Landstraße vor ihr. Plötzlich trat sie abrupt aufs Bremspedal, so dass Oliver mit Wucht gegen die Rückenlehnen der Vordersitze geschleudert wurde.

»Spinnst du«, schrie er, »wieso bremst du denn, wie ne Verrückte, was ist denn los?«, motzte er ziemlich barsch in vorwurfsvollem Ton … Der Schreck saß ihm in den Knochen. Er rappelte sich auf, um zu sehen, was auf der Straße los war, das eine solche Vollbremsung gerechtfertigt hätte. Aber er sah nichts.

»Da schau, auf der Kuppe.«

»Was soll da sein? Ich sehe nichts, außer einem Auto?«, schnauzte er, denn er war ziemlich verärgert.

Aber dann ging alles blitzschnell. Das Auto, das fast auf der Kuppe fuhr, scherte plötzlich nach links aus, schlingerte wieder nach rechts und wieder nach links und krachte in einen entgegenkommenden LKW, der wie aus dem Nichts zu kommen schien. Der PKW schob sich halb unter den Lastwagen. Ein Fahrradfahrer schaffte es nicht, rechtzeitig abzuspringen und schlitterte über den Asphalt und blieb regungslos liegen.

Oliver blickte zu Franziska, die leichenblass krampfhaft das Lenkrad umfasste.

Er verstand nichts mehr. Ein Klos steckte ihm im Hals, die Stimme versagte ihm fast als er fragte: »Sag mal Franziska, wie konntest du das wissen?«. Seine Stimme war nur noch ein Krächzen; es war unfassbar, er konnte fast nicht glauben, was er eben sah. Franziska gab keine Antwort, sie war wie paralysiert.

»Sorry Liebes, dass ich dich gerade eben so angeschnauzt habe … ich konnte doch nicht wissen, dass … oh mein Gott«, er stammelte nur, konnte keinen Satz richtig zu Ende bringen, denn er begriff das Ganze nicht. Es war gespenstisch.

Franziska saß nur stumm da, schien verzweifelt. Wie hatte sie das alles in den letzten Jahren verdrängt … und nun? … es war wieder da … das Ganze ging wieder von vorne los.

»Ganz ruhig, Liebes, ganz ruhig!«, sagte Oliver; seine Stimme klang jetzt wieder entspannter, »Ja, es ist fürchterlich, aber wir müssen nun kühlen Kopf bewahren. Die da vorne brauchen unsere Hilfe.«

»Der … der PKW-Fahrer … der ist tot … er ist tot«, stammelte Franziska wie von weit her.

Oliver, der schlagartig wieder nüchtern war, wurde es immer unheimlicher.

Wie in Trance mit tonloser Stimme fuhr Franziska fort: »ja … wir müssen helfen … wir müssen uns … um den … um den Radfahrer kümmern. Sein Leben hängt am seidenen Faden. Noch lebt er.«

»Also, ich rufe jetzt erst mal die Polizei an und die sollen sich um einen Krankenwagen kümmern«, versuchte Oliver trotz seines Schocks, ruhig zu bleiben, was ihm nur schwer gelang, denn die Bilder dieses Unfalls liefen wie ein Film in der Endlosschleife vor seinen Augen ab. Was ihn jedoch am meisten bewegte, nein es wirkte auf ihn furchterregend, das ist die Tatsache, dass Franziska den Unfall vorhergesehen hatte, so schien es auf jeden Fall, und nicht nur das, sondern auch, was mit den Unfallbeteiligten los war. Sie schien über deren Zustand Bescheid zu wissen, bevor sie sich der Stelle genähert hatten. Wie war das möglich?

Inzwischen hatte er auch sein Handy aus seinem Jackett herausgeklaubt und wählte die Nummer der Polizei.

»Komm, lass uns ein Stück vorfahren, um zu sehen, wie wir helfen können«, sagte er, nachdem er der Polizei kurz den Hergang des Unfalls geschildert hatte und den Unfallort beschrieb. Er öffnete die rückwärtige Wagentür und stieg aus: »Setz du dich auf den Beifahrersitz, das kurze Stück bis da vorne hin kann ich schon fahren. So betrunken bin ich nicht, außerdem hat sich der Alkohol bei dem Schock von alleine verflüchtigt«, sagte er. Er wirkte jetzt schon etwas ruhiger. Franziska stieg ebenfalls aus. Als sie sich neben dem Auto befanden, legte Oliver kurz einen Arm um Franziskas Schultern und zog sie zu sich heran. Mit der anderen Hand streichelte er sanft ihr Gesicht: »Es tut mir so leid Schatz … bitte verzeih mir!«

Kurz vor dem Fahrrad, das auf der Fahrbahn lag, hielt Oliver sein Auto an. Zuerst sicherte er die Unfallstelle von beiden Seiten ab, dann wandte Oliver sich dem Radfahrer zu und sah die klaffende Kopfwunde. Die rechte Gesichtshälfte war total blutig, sie schien wie weggeschürft. Bei diesem Anblick wich aus Olivers Gesicht jede Farbe. Seine dunklen Augen stachen aus dem blassen Gesicht buchstäblich hervor, als er zu Franziska blickte, um ihr mit den Augen anzudeuten: ›Es sieht schlimm aus, Franziska. Bleib zurück‹, was er mit einer eindeutigen wegweisenden Kopfbewegung unterstrich.

Franziska, die gar nicht hinzugehen brauchte, um sich ein Bild des Ausmaßes zu machen, denn sie wusste auch so schon, was sie erwartet hätte … sie fühlte Übelkeit aufsteigen. Ihr Magen krampfte sich zusammen und sie merkte wie alles nach oben drückte. Sie setzte sich am Straßenrand auf die Leitplanke und versuchte durch Schlucken zu vermeiden, dass sie sich übergab. Doch es gelang ihr nicht.

»Hallo, hören Sie mich?«, hörte sie Oliver rufen, der sich aus der Distanz wie gedämpft anhörte. Nach der gewaltsamen Magenentleerung und immer noch gegen die Übelkeit ankämpfend, beobachtete Franziska Oliver und bewunderte ihn gleichzeitig, wie er in dieser Situation einen solch kühlen Kopf bewahren konnte. Und schon drehte sie sich wieder zur Seite, um sich erneut schmerzhaft zu entleeren.

Der Radfahrer gab keine Antwort. Oliver versuchte den Puls zu ertasten. Er fühlte sich so hilflos. Wann hatte er das letzte Mal einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert? Das ist doch schon eine Ewigkeit her. ›Vielleicht sollte ich wieder mal einen belegen‹, dachte er angesichts seiner hilflosen Lage. Der Puls war schwach aber immer noch fühlbar. Der Verletzte atmete nur ganz flach. Soweit Oliver sich an seinen letzten Kurs erinnerte, war das ja schon mal ein gutes Zeichen. Und die Sache mit der stabilen Seitenlage konnte er in diesem Fall vernachlässigen, denn der Verunfallte lag schon seitlich. Oliver holte aus seinem Auto eine Decke und ein Sitzkissen. Die Decke legte er über den Verunglückten, das Kissen platzierte er vorsichtig unter dessen Kopf.

»Geht's wieder?«, fragte er Franziska, die sich nach dem zweiten Entleerungsgewaltakt gerade ihren Mund abwischte, während er zum Lastwagen ging. Der LKW-Fahrer saß wie versteinert hinter seinem Steuer. Oliver stieg das Trittbrett hoch und öffnete die Tür zum Cockpit. »Sind Sie verletzt?«, fragte er den Fahrer.

Der schüttelte ganz verstört den Kopf und stammelte nur: »es … es ging alles so … so blitzschnell. Plötzlich das Auto. Es war da … ganz plötzlich war es da … auf meiner Seite. Ich versuchte zu bremsen, aber …«

»Beruhigen Sie sich«, versuchte Oliver ihn zu trösten.

»Ist er tot?«, fragte der LKW-Fahrer panisch.

»Ich weiß es nicht«, log Oliver, denn es war ganz offensichtlich, dass beim PKW-Fahrer nichts mehr zu machen war, außerdem hatte Franziska es zuvor schon gesagt. Offensichtlich hatte sie das zweite Gesicht. Doch er konnte es dem unter Schock stehenden Mann nicht sagen. Er wollte ihn nicht noch zusätzlich belasten.

Ein Auto kam langsam hergefahren. »Kann man helfen?«, fragte der Fahrer, während sein Blick über die Unfallstelle schweifte.

»Ich denke, mehr können wir hier nicht tun, als das, was wir schon gemacht haben. Wir warten jetzt nur noch auf die Polizei und den Krankenwagen«, antwortete Oliver.

»Nun, dann werde ich mal weiterfahren«, sagte der Mann mittleren Alters erleichtert und dankbar, dass niemand seine Hilfe benötigte, denn, was er hier sah, war nichts für schwache Nerven. Es reichte ihm zu Genüge, was er aus der Distanz sah, ja, und es sah ziemlich übel aus. Er war nicht wirklich darauf erpicht, sich sein Wochenende, das so schön begann, verderben zu lassen. Dieses schreckliche Bild würde ihn eh schon, auch wenn er nicht so nah dran war, im Geist verfolgen. Er verabschiedete sich, wendete sein Auto, da es an der Unfallstelle kein Durchkommen gab und fuhr zurück in die Richtung, von wo er herkam.

Schon hörte man von weitem das schrille Heulen der Martinshörner. Der Krankenwagen, zwei Streifenwagen und ein Feuerwehrauto kamen fast zeitgleich bei der Unfallstelle an. Oliver hatte dem Beamten am Telefon erklärt, dass sich ein Auto unter einem LKW verkeilt hatte, deswegen hatte dieser seinerseits gleich die Feuerwehr alarmiert. Ebenso hatte er die Straßenmeisterei angewiesen, die Straße mit Umleitungsschildern abzusperren.

*

Franziska saß verloren auf der Leitplanke – leichenblass – apathisch stierte sie vor sich hin.

Oliver indessen erwartete die Polizisten, damit er Rede und Antwort stehen konnte.

Während die Polizisten sich daran machten, die Lage in Augenschein zu nehmen, versuchte Oliver dem ältesten der Beamten – nach seinen Sternen auf der Schulterklappe zu urteilen, schien er einen höheren Dienstgrad zu haben, ein Polizeihauptmeister oder sowas ähnliches – den Unfallverlauf zu erklären. Der Beamte stand dicht neben ihm. Das erste, das er feststellte, denn er roch Olivers Atem, war: »Haben Sie getrunken?«

»Häh …?«, war Olivers spontane Reaktion auf diese Frage, denn sie kam für ihn total überraschend. Er schaute den Beamten nur verdutzt an. Das stand hier doch gar nicht zur Debatte. Er selbst hatte doch keinen Unfall.

»Ich fragte Sie, ob Sie getrunken haben?«

»Ähm, ja … wir kommen gerade von einer Hochzeitsfeier. Vor der Kirche gab es einen Sektempfang. Aber, was hat das mit dem Unfall zu tun?«

»Ich weiß es noch nicht, wir werden sehen. Sind Sie denn gefahren, mit der Fahne?«

»Natürlich nicht. Ich fahre nie Auto, wenn ich etwas getrunken habe.«

»Und wie kommt Ihr Auto dann hierher?«, wollte der Beamte wissen. Offensichtlich hatte er Franziska, die weiter entfernt am Straßenrand saß, noch gar nicht wahrgenommen.

»Ganz einfach. Meine Freundin ist gefahren«, erklärte Oliver und wies mit einer Kopfbewegung in Richtung Franziska, die wie ein Häufchen Elend am Straßenrand auf der Leitplanke saß.

»Ah, da ist ja noch jemand!«, stellte der Polizist überrascht fest.

»Wenn Sie gut aufgepasst hätten, hätten Sie gehört, dass ich davon sprach, dass WIR von einer Hochzeitsfeier kamen«, sagte Oliver pampig, denn er hatte sich über die Reaktion des Beamten ziemlich geärgert. Hier gab es einen Toten und einen Schwerverletzten, und der Depp fing erst mal an, sie beide, die als erstes helfend am Unfallort waren, mit blöden Fragen zu belästigen … er empfand es gar als Beleidigung.

Jetzt setzte der Beamte eine strengere Miene auf, um Oliver zu signalisieren, dass er es mit seiner pampigen Art nicht auf die Spitze treiben sollte. »Vorsicht junger Mann, sagte er drohend mit scharfer Stimme. Dann fuhr er wieder etwas ruhiger weiter: »Und die junge Dame hat nichts getrunken?«

»Warum fragen Sie denn das alles? Hier ist ein schwerer Unfall passiert, darum geht es doch.« Oliver fühlte sich von der Fragerei des Beamten ziemlich genervt. »Nein, Franziska hat nichts getrunken. Wenn wir ausgehen, sprechen wir uns immer vorher ab, wer fährt, so kann der andere auch mal was trinken. Obwohl … die Franziska, die trinkt eh nie viel, auch wenn sie nicht fährt. Sie steht nicht so auf Alkohol. Ich glaub, sie könnte immer fahren. Den Unfall haben wir einfach nur gesehen, das ist alles, Herr … Herr …«, Olivers Stimme klang immer aufgeregter.

Der Beamte ließ sich nicht provozieren, »Zimmermann«, sagte er, »Polizeihauptmeister, Bruno Zimmermann. Und Sie? … Wie heißen Sie?«

Oliver griff in seine Gesäßtasche und reichte dem Beamten seine Identitätskarte, und beendete seinen zuvor begonnenen Satz: »Wir haben den Unfall einfach nur gesehen, das ist alles, Herr Zimmermann ... und das ist doch schlimm genug, oder nicht?«,

»Oliver Vollmer, aha«, brummelte der Beamte vor sich hin, den Blick auf die ID-Karte gerichtet, »okay, Herr Vollmer, dann ist also Ihre Freundin gefahren.«

Jetzt erst blickte der Beamte zu Franziska hinüber. Sie war hübsch, bildhübsch. Ihr sonnenblondes Haar fiel in leichten Locken über ihre Schultern. Der Blick ihrer rehbraunen Augen wirkte starr, es war ein Blick ins Leere.

Der Beamte zuckte für einen Moment zusammen. Damals, vor siebenundzwanzig Jahren, begegnete der heute 45jährige Bruno Zimmermann schon einmal einem ähnlichen Gesicht. Es gehörte Klara, in die er sich Hals über Kopf verliebt hatte … Klara war für ihn die schönste, liebste und intelligenteste Frau auf dem Planeten. Nachdem sie sich zwei Jahre kannten, wollten sie heiraten. Sie waren beide noch so jung, beide 20 Jahre alt, so unbeschwert, so verliebt. Klaras Großeltern, bei denen sie aufwuchs, waren über das neue Glück ihrer Enkelin so froh, denn Klara hatte genug in ihrem jungen Leben durchgemacht. Sie sollte endlich glücklich sein. Sie gaben ihr zwar alle Liebe, versuchten alles, dass das Kind glücklich war. Aber Klara litt. Ihre Mutter, die mit ihrer Familie auf Fuerteventura lebte, wollte Klara nicht haben und vermutlich wusste nicht einmal ihr Mann etwas von Klaras Existenz. Wer ihr Vater war, wusste Klara nicht. Das war so schwer zu ertragen für das heranwachsende Mädchen.

Klar, fanden die Großeltern, dass Klara und Bruno mit zwanzig Jahren noch sehr jung waren, aber das störte sie nicht, wenn’s dem Glück diente … weder Klaras Großeltern noch Brunos Eltern hatten etwas gegen diese frühe Heirat einzuwenden. Im Gegenteil, Brunos Eltern wollten das junge Paar sogar so lange finanziell unterstützen, bis Bruno sein Studium abgeschlossen hätte. Klaras Großeltern, die ja auch nicht mehr die jüngsten waren, sie waren mittlerweile in den Sechzigern, wollten ihr kleines Mädel versorgt wissen, bevor sie dann irgendwann, sie hofften zwar nicht allzu schnell, diese Welt verließen, denn mit der Mama war nicht zu rechnen. Außerdem hätten sie noch gerne ihre Urenkel kennengelernt. So waren sie also zufrieden, dass Klara einen so sympathischen tüchtigen jungen Mann kennengelernt hatte.

Tja, und dann kam der große Schock. Eine Woche vor der Hochzeit, verunglückte Klara – genau an dieser Kuppe. Sie war ebenfalls mit dem Fahrrad unterwegs und ein Autofahrer, der zu viel getrunken hatte, hatte sie angefahren und noch mindestens hundert Meter über den Asphalt geschleift. Sie starb an der Unfallstelle, noch bevor ein Rettungswagen eintraf.

Bruno Zimmermann hatte damals sein Studium ›Betriebswirtshaft‹ abgebrochen – es hatte ihm plötzlich nichts mehr bedeutet – und begann eine neue Ausbildung bei der Polizei. Er wollte in Zukunft solche Menschen, die andere wegen Alkohols auf dem Gewissen haben, jagen. Wollte ihnen in Zukunft endgültig das Handwerk legen. Deswegen reagierte er auch so allergisch auf Alkohol.

Jetzt, beim Anblick dieser jungen, schönen Frau kamen diese schrecklichen Erinnerungen wieder hoch.

Sie wirkte wie eine zu Stein erstarrte Säule, unbeweglich saß sie da.

»Was hat sie?«, fragte er Oliver, der ihm folgte und nun neben ihm stand, denn er hatte das Gefühl, dass die junge Frau nicht ansprechbar war. Normalerweise würde er es vermeiden, zu jemandem in der dritten Person über jemanden, der ebenfalls zugegen war, zu sprechen. Aber in diesem Fall, schien eine Ansprache wirklich sinnlos.

»Sie steht unter Schock. Das sehen Sie doch«, zeigte Oliver sich immer noch verschnupft, wegen des ersten Auftretens des Polizeihauptmeisters. Der ließ sich auch diesmal nicht aus der Ruhe bringen, sondern blickte Oliver versöhnlich an. Vielleicht wollte er damit sein Verständnis für Olivers Unmut demonstrieren, so dass auch Oliver sich wieder beruhigte und sachlich weiterfuhr. »Sie hatte diesen Unfall vorausgesehen«, sagte er und deutete in die Richtung, wo Franziska in die Bremsen trat. »Sehen Sie, dort, etwa 300 Meter von hier, trat sie heftig in die Bremse. Ich schnauzte sie noch an, denn mich warf es vom Rücksitz, wo ich ein bisschen eingenickt war nach vorne. ›Die spinnt‹, dachte ich, denn weit und breit war nichts zu sehen. ›Schau doch dort, auf der Kuppe …‹, sagte sie nur … ja und dann ging alles blitzschnell …«

»Also sie waren dort hinten, als es passierte?«, hakte Zimmermann nach.

»Ja.« Jetzt passte Oliver der Verlauf des Gesprächs. Endlich konnte er genau erzählen, wie sich alles zugetragen hatte. Bruno Zimmermann hörte schweigsam zu und schaute währenddessen immer wieder zu Franziska. Diese junge Frau hatte es ihm angetan. Wie alt mochte sie wohl sein. Wahrscheinlich, so alt wie Klara, damals, als sie auf dieser Straße ihr Leben ließ. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, bei der Erinnerung an diese schreckliche Nacht, als man ihm diese Nachricht überbracht hatte. Mitfühlende Liebe für diese Frau nahm Besitz von ihm. Am liebsten hätte er Franziska in die Arme genommen und sie getröstet. Er nickte und, ganz abwesend, wie aus einer anderen Welt kommend, sagte er, ganz leise nur: »Klara?«

Oliver verstand nun gar nichts mehr und auch Franziska schien plötzlich aus ihrer Passivität erwacht zu sein. Sie blickte von einem zum anderen. Es war ein überraschter Blick, weil dieser Name von diesem Polizisten genannt wurde, gleichzeitig war es ein wissender Blick, weil ihr dieser Name etwas sagte. Alles kam ihr so seltsam vor … sie hatte wieder ein Bild und diese Bilder, die immer wieder kamen konnte sie nicht beeinflussen. Sie konnte nicht sagen ›Ich will euch nicht … verschwindet‹. Sie waren einfach da, noch intensiver als damals, bevor sie sich in psychotherapeutische Behandlung begab, weil sie, so jung wie sie damals war, schier verrückt wurde.

»Wie bitte?«, fragte Oliver, »meine Freundin heißt Franziska … Franziska Schnyder.«

»Ja, ja … natürlich!«, antwortete Zimmermann … nun schien er verstört zu sein, »natürlich!«

*

Franziska ging es ziemlich schlecht. Bei der Befragung durch die Polizei gab sie nur zögernd Antwort … alles, was sie sagte, wirkte abgehackt.

»Ihr Freund sagte, Sie haben den Unfall zuvor schon gesehen oder gespürt, bevor er passierte. Stimmt das?“

Franziska nickte stumm.

»Wie geht denn das? Können Sie mir das erklären? Ich kann es nicht verstehen«, bohrte Bruno Zimmermann.

Franziska schüttelte nur den Kopf.

»Ähm … nein?«

»Nein?«, sagte Franziska kleinlaut.

»Also, Sie können es mir nicht erklären?«, wiederholte er, »aber, vielleicht erklären Sie mir, warum, Sie es nicht erklären können?«

»Sie … Sie … Sie werden es nicht verstehen«, sagte Franziska ziemlich leise und senkte ihren Blick vor sich auf die Tischplatte. Sie fühlte sich nicht gut. Sie wollte nach Hause, nach Hause, wo sie endlich weinen konnte, wo sie ihren Tränen freien Lauf lassen konnte.

»Ist es denn so kompliziert?«, fragte Zimmermann. Er versuchte krampfhaft, das Bild von Klara möglichst zu verdrängen. Es würde ihn nur behindern bei der Befragung sachlich zu bleiben.

»Ja«

»Was ist denn daran so kompliziert?«, wollte er wissen.

»Dass ich es … ich verstehe es selbst nicht, das ist das Komplizierte«, versuchte Franziska es dem Polizisten klar zu machen.

Zimmermann war mit dem Verlauf des Gesprächs absolut nicht zufrieden. Er hatte das Gefühl, dass das Ganze irgendwie mit Klara zu tun hatte … er wusste zwar nicht in welcher Form und warum, aber es war da und es war sonderbar. Vielleicht irrte er sich. Vielleicht führte ihn die Ähnlichkeit dieser jungen Frau mit Klara an der Nase herum. Auf der anderen Seite, was wollte er eigentlich. Klara, seine Klara war tot … seit 25 Jahren tot. Aber da war dieser Blick von Franziska … dieser seltsame Blick, als er den Namen Klara erwähnte. Es war ein Blick, der signalisierte, sie würde Klara kennen. Aber das war nicht möglich. Sie war einfach zu jung dafür.

Er fühlte sich zu dieser jungen Frau hier hingezogen, spürte tiefe Zuneigung. Er schalt sich selbst in Gedanken. ›Bruno, du alter Sack. Hör auf damit. Hör endlich auf. Klara ist tot, tot … diese Frau sieht ihr nur ähnlich … die Gefühle, die du zu spüren glaubst, gehören Klara, nicht dieser jungen Frau … Klara hast du geliebt … AUS! … du bist längst verheiratet mit Rita.‹

Ob er glücklich war? Er konnte es nicht sagen. Zu lange hatte er damals gebraucht, den Tod seiner geliebten Klara zu verdauen. Und danach hatte er immer nach Frauen Ausschau gehalten, die Klara nur ansatzweise ähnlich sahen. Als hätte er so seine Liebe wieder zurückgewinnen wollen. Irgendwann lernte er dann Rita kennen. Sie war zwar nicht so bildhübsch wie Klara, aber sie war nett … einfach nett … konnte verständnisvoll und behutsam mit seiner Trauer umgehen. Er war so dankbar damals, denn sie hatte es mit ihrer burschikosen und dennoch warmen Art geschafft, ihn aus seiner Niedergeschlagenheit herauszuholen. Rita konnte lachen, fröhlich sein, und doch verstand sie es, im richtigen Moment ernst und einfühlsam zu sein … ja, Rita war okay … er mochte sie und er konnte sich wirklich nicht beklagen. Doch, so wie damals verliebt, war er seither nie mehr. Manchmal hatte er deswegen ein schlechtes Gewissen Rita gegenüber, denn ihr hatte er viel zu verdanken, und sie hatte es verdient, uneingeschränkt aus tiefsten Herzen geliebt zu werden.

Die folgenden Tage ging es Franziska ziemlich mies. Erst recht, nachdem man ihr gesagt hatte, dass der Radfahrer den Unfall nicht überlebt hatte. Dieser Information hätte es zwar gar nicht bedurft, denn sie hatte dessen Sterben körperlich wahrgenommen, ein tiefgehender beinahe unerträglicher Schmerz. Aber dennoch traf es sie wie ein Schock, weil sich ihr Gefühl bewahrheitet hatte.

Die Tage vergingen, und die Bilder des Unfalls verfolgten sie des Nachts in ihren Träumen … und da war diese Frau … diese junge schöne Frau, die neben ihr auf dem Beifahrersitz saß. Franziska war erschöpft, ging nicht mehr aus dem Haus und vor allen Dingen konnte sie nicht mehr zur Arbeit. Sie war in Basel, in einem Betrieb für medizinische und biologische Forschung als Biologielaborantin angestellt. Ihr Arzt hatte sie für unbestimmte Zeit krankgeschrieben. Weder Franziskas Mutter noch Oliver kamen in der Zeit an sie heran. Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein. Was die Leute in ihrer Umgebung auch versuchten, Franziska war nicht ansprechbar, grübelte nur noch vor sich hin.

Oliver war verzweifelt. Dieser Unfall veränderte schlagartig ihrer beider Leben. Das Ganze war ihm unheimlich, er konnte es nicht verstehen. So suchte er zwei Wochen danach endlich das Gespräch mit Franziskas Mutter.

Er rief von unterwegs an: »Frau Schnyder, bitte erklären sie es mir. Was ist los mit Franziska? Was hat sie so aus der Bahn geworfen. Ich meine, ich habe ja auch daran zu knabbern … der Unfallhergang, das Sterben zu sehen, ist ja schon schwer verdaulich, es beschäftigt auch mich. Aber das Voraussehen des Unfalls, das ist eine andere Sache. Was ist da geschehen? Ich verstehe das Ganze nicht, grüble ständig darüber nach und erhalte keine Antwort auf meine Fragen. Doch wenigstens kann ich darüber sprechen als Teil meiner Verarbeitung. Aber welche Probleme, hat Franziska denn? Ich meine, das ist doch ungewöhnlich, nicht normal, dass sie sich so verschließt, oder? Können wenigstens Sie es mir erklären, Frau Schnyder? Immerhin sagten Sie doch, nachdem es passierte, ›geht das denn jetzt schon wieder los?‹ Ich möchte es verstehen, bitte!«, drängte er.

»Oliver, ich kann am Telefon nicht darüber sprechen. S’ist ja auch eine längere Sache. Möchten Sie vorbeikommen?«

»Klar! Gerne«, sagte er erleichtert, »kann ich jetzt gleich vorbeikommen?« Es war noch früh am Abend, so dass er hätte Skrupel haben müssen, zu ungewöhnlicher Zeit den Schnyders einen Besuch abzustatten. Er wollte schließlich nicht unhöflich sein.

»Natürlich, ich bin da. Mein Mann ist geschäftlich noch unterwegs und Franziska ist in ihrem Zimmer. Ich glaube sie schläft. Also, kommen Sie nur! Aber bitte klingeln Sie nicht. Ich werde am Fenster stehen und sehen, wenn Sie kommen.«

Zehn Minuten später, saßen sie sich in der Küche gegenüber. Iris Schnyder machte ein ernstes Gesicht, dann begann sie zu erzählen, was damals vor sieben Jahren geschah. Oliver lauschte aufmerksam der dramatischen Geschichte.

»Franziska war vierzehn Jahre alt, als es passierte, damals vor sieben Jahren … die Mädels hatten an jenem Tag ihr Leichtathletik-Training auf dem Sportplatz … es war ein Blitz, ein einziger Blitz, obwohl das Gewitter eigentlich schon abgezogen war …«

»Die haben trainiert, obwohl es ein Gewitter gab?«, wunderte sich Oliver.

»Ich sagte doch, dass das Gewitter schon abgezogen war, und die Gruppe befand sich im Sportlerheim, um das Gewitter abzuwarten. Dann fragte die Trainerin, ob sie noch weitermachen wollen … die Luft sei doch jetzt, nach dem Gewitter, klar und kühl, wie frisch gewaschen. Und die Mädels, die sich auf eine Meisterschaft vorbereiteten, wollten dann auch nochmals raus auf den Platz. Kaum waren sie draußen, kam dieser Blitz zurück … es gab einen Riesenknall. Niemand konnte sich erklären, warum der Blitz wieder zurückkam … nach dem Gewitter.«

*

Kapitel 2

Vor sieben Jahren im August

1997

»Mädels, das Gewitter ist vorüber. Wollen wir nochmals auf den Platz? Nach einem Gewitter ist die Luft besonders angenehm frisch, wie rein gewaschen. Wir könnten noch eine Stunde also bis 19 Uhr trainieren«, fragte Petra Mertens, die 23jährige hochgewachsene Trainerin. Sie war bei den jungen Mädchen sehr beliebt, sie konnte sie gut motivieren und zu guter Leistung anspornen.

Es gab keinen Widerspruch. Die Mädchen wollten richtig fit sein für die Meisterschaft Anfang September und so folgten sie Petra hinaus auf den Platz. Kaum, dass sie draußen waren, kam er mit einem Riesenknall aus dem abgezogenen Gewitter ganz unerwartet nochmal zurück … der Blitz.

Er suchte sich keinen Baum oder andere Dinge aus, die weit größer als Petra waren. Nein, der Blitz teilte sich dicht über Petra. Die Mädchen in Petras Umgebung, einschließlich Franziska, wurden von der Druckwelle zu Boden geschleudert. Franziska, die zuvor unmittelbar bei Petra stand, lag auch nicht weit von ihr entfernt. Die anderen sechs Mädchen, die weiter entfernt waren, sind schnell wieder aufgestanden, außer Franziska und Petra. Sie beide blieben bewegungslos liegen.

»Wow, das war vielleicht ein Knall«, die anderen lachten noch, weil das ganze Spektakel für sie so glimpflich abging. »Hej, kommt ihr beiden … aufstehen, es ist vorbei. Das war nur ein Ausläufer«, wandten sie sich an die beiden am Boden Liegenden.

Franziska kam allmählich wieder zu sich, aber sie wirkte benommen. Nur Petra blieb liegen, rührte sich nicht. Sie riefen Petras Namen, drehten sie um mit dem Gesicht nach oben. Es tat sich nichts und sie bekamen es mit der Angst zu tun. »Wir müssen einen Arzt rufen«, schrie Lisa, die mit über 18 Jahren die älteste der Sportlerinnen war. Sie unterstützte Petra beim Training. Während Lisa versuchte, Petra zu beatmen liefen zwei Mädchen ins Sportlerheim, um einen Arzt anzurufen.

Dr. Burger – er war der Notarzt – kam auch ziemlich schnell im Rettungswagen, denn er wusste, was es bedeutete, wenn jemand vom Blitz getroffen wurde.

Petra wurde sofort versorgt und in den Rettungswagen gebracht. Bevor Dr. Burger auch einstieg, fragte er noch: »Wie lange ist es her?«

»Na ja, ich würde sagen nicht ganz zehn Minuten. Wir sind ja schnell gelaufen, um Sie zu rufen«, berichtete Lisa, »und Sie waren ja auch innerhalb weniger Minuten da.«

Dr. Burger machte ein ernstes Gesicht. »Hm, knapp zehn Minuten ohne Sauerstoff … hm … das ist viel … zu viel«, sagte er, bevor er dann auch in den Rettungswagen stieg, der mit Blaulicht und Sirene davonfuhr … Franziska hatte er vorsichtshalber auch mitgenommen, denn sie benötigte ebenfalls Hilfe. Es hatte ihr die Stimme genommen, sie konnte sich nicht artikulieren und sie wusste auch nicht, was geschah. Es war, als wäre ihr das Kurzzeitgedächtnis ausgeschaltet worden.

Die Stimmung bei den Mädchen war auf dem Nullpunkt. Traurig begaben sie sich ins Sportlerheim zurück, um sich anzukleiden.

»Was hatte der Arzt gemeint, als er sagte, dass knapp zehn Minuten ohne Sauerstoff zu viel seien? Was bedeutet das?«, fragte Nicole.

»Na ja, ich denke, dass er damit die Sauerstoffversorgung des Gehirns meinte«, vermutete Lisa, die vor dem Abschluss ihres ersten Lehrjahres als Krankenschwester stand.

»Was passiert denn dann?«, wollte Nicole voller Besorgnis wissen.

»Das bedeutet, dass das Gehirn geschädigt sein könnte«, erklärte Lisa.

Ja, Lisa sollte leider recht behalten. Petra überlebte zwar, aber sie behielt einen Hirnschaden zurück.

Franziska wurde ins Krankenhaus gebracht. Es ging ihr nicht gut. Dieser unheimliche Knall, sie stellte sich vor, dass so der Urknall gewesen sein musste, verursachten bei ihr ein Ohrenpfeifen, den so genannten Tinnitus, und sie hatte extreme Schmerzen im Hinterkopf und im Nacken. Immer wieder verspürte sie Herzrasen. Und das Schlimmste, sie konnte nicht erklären, was passiert war. Die Ereignisse waren einfach weg … sie konnte sich nicht erinnern … sie wusste von einem Urknall, aber der Rest, der war weg. Sie löcherte die Freundinnen, die sie im Krankenhaus besuchten, was denn passiert sei. Und die Erklärungen, so schien es ihr, hörte sie zum ersten Mal. Ihr Kurzzeitgedächtnis war offensichtlich gestört. Sie konnte sich nicht erinnern, was der Arzt, die Eltern oder die Freundinnen, die zu Besuch kamen, erzählten.

Allmählich besserte sich ihr Zustand und nach zwei Wochen konnte sie entlassen werden und wieder mit ihren Schulkameraden in der, seit Anfang September, neunten Klasse teilnehmen.