Bis dass der Tod uns scheidet - Ellen Heinzelmann - E-Book

Bis dass der Tod uns scheidet E-Book

Ellen Heinzelmann

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Beschreibung

Daniela Crohn, eine erfolgreiche Schriftstellerin, ist nicht wirklich glücklich in ihrer Ehe. Sie und ihr Mann Philipp stritten sich zu viel und lebten sich auseinander. Und genau in einem solchen Moment der Unzufriedenheit tritt der drei Jahre jüngere Andreas in ihr Leben. Schon die Unterhaltungen über Facebook mit ihm, die ganz banal über Gott und die Zeit begannen, empfand sie als wohltuend. So wie mit Andreas konnte sie sich mit Philipp nicht unterhalten. Sie hatten das Heu eben nicht mehr auf derselben Bühne, wie man es im alemannischen Sprachgebrauch nennt, wenn man nicht mehr dieselben Interessen hat. Philipp kommt jedoch dahinter, dass seine Frau ihn betrügt und beginnt seinerseits ebenso ein Verhältnis mit einer Arbeitskollegin. Eines Tages verschwindet Philipp spurlos und Daniela gerät in den Verdacht, ihren Mann ermordet zu haben. In einem Aufsehen erregenden Indizienprozess wird sie zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt.

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Über den Inhalt

Daniela Crohn, eine erfolgreiche Schriftstellerin, ist nicht wirklich glücklich in ihrer Ehe. Sie und ihr Mann Philipp stritten sich zu viel und lebten sich auseinander. Und genau in einem solchen Moment der Unzufriedenheit tritt der drei Jahre jüngere Andreas in ihr Leben. Schon die Unterhaltungen über Facebook mit ihm, die ganz banal über Gott und die Zeit begannen, empfand sie als wohltuend. So wie mit Andreas konnte sie sich mit Philipp nicht unterhalten. Sie hatten das Heu eben nicht mehr auf derselben Bühne, wie man es im alemannischen Sprachgebrauch nennt, wenn man nicht mehr dieselben Interessen hat. Philipp kommt jedoch dahinter, dass seine Frau ihn betrügt und beginnt seinerseits ebenso ein Verhältnis mit einer Arbeitskollegin. Eines Tages verschwindet Philipp spurlos und Daniela gerät in den Verdacht, ihren Mann ermordet zu haben.

Die Autorin

Ellen Heinzelmann, Fachfrau für Marketing und Kommunikation, wurde 1951 im Kreis Waldshut geboren. Während ihrer langjährigen beruflichen Tätigkeit – zuletzt als Marketing- und PR-Verantwortliche in einer Organisation des öffentlichen Rechts in Basel – übersetzte sie Texte vom Deutschen ins Französische und Englische, wirkte als Dolmetscherin bei Vertragsverhandlungen in Paris. Auch wirkte sie als Lektorin und als Ghostwriterin. Die geschriebene Sprache hatte schon in früher Kindheit große Faszination auf sie ausgeübt. Nach dem Ausstieg aus dem Berufsleben, ist sie ihrer Berufung schließlich gefolgt. Mit ihrem Debütroman »Der Sohn der Kellnerin«, eine nicht alltägliche Geschichte, startete sie 2011 ihre Schriftstellerlaufbahn und nahm ihre Leser gleich mit auf eine emotionale Reise.

www.ellen-heinzelmann.de

Vorbemerkung der Autorin

Dieses Buch ist ein fiktives Werk, das sich jedoch zu Beginn – d.h. die Vermisstenanzeige von Daniela Crohn, deren Mann eines Tages spurlos verschwand, und ihre Verurteilung im Indizienprozess – auf tatsächliche Vorkommnisse stützt. Beamten, die den Fall damals bearbeiteten, werden sich bei der Lektüre wiedererkennen, wenn auch die Umstände die zu diesem Fall führten andere waren. Ein Oberkommissar im Ruhestand lieferte mir dankenswerterweise die Informationen zu diesem Fall, wie folgt:

›Die Gattin und die Schwester eines Mannes, der plötzlich verschwand, erstatteten eine Vermisstenanzeige. Diverse Aussagen aus dem Umfeld des Vermissten ließen die Polizei auf ein Verbrechen schließen. So stellte der Staatsanwalt einen Antrag auf Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung für die gemeinsame Wohnung des Paares. Die Untersuchung förderte Blutspuren, Haare und Hautschuppen zutage, die dem Vermissten zugeordnet werden konnten. Der Verdacht fiel auf die Ehefrau und sie wurde schließlich in einem Indizienprozess des Mordes für schuldig befunden und verurteilt.‹

Ich betone, dass alles, was die Geschichte im Zusammenhang mit diesem echten Fall umschreibt, von mir frei erfunden ist, so auch die Personen, Orte und alle Begleitumstände.

In der vorliegenden Geschichte ist die Beschuldigte, Daniela Crohn, eine bekannte Romanautorin, die im Moment einen Roman in Arbeit hat, der den nicht gerade zu ihrer Entlastung beitragenden Titel ›Bis dass der Tod uns scheidet‹ trägt. Die Ermittler fanden darin einen Bezug zu Daniela und ihrem Ehemann.

Die wichtigsten Personen

Daniela Crohn und Philipp Crohn

Andreas Schubert, Liebhaber von Daniela

Gisela Mahler-Crohn, Schwester von Philipp

Evelyn König, beste Freundin von Daniela

Angelina Donati, eine Tessinerin Arbeitskollegin von Philipp Crohn

Massimo Carlucci, Italiener, Bekannter von Angelina

Emma Sartori, Massimos Assistentin

Antonio Donati, Italiener, Cousin von Angelina, er machte Angelina mit Massimo bekannt.

Paolo Frattini, Italiener, Neffe von Franco Frattini, Kolumbien

Francesco Giordano, Italiener, der Pate in Neapel

Giulia Bianchi, Italienerin

Matteo Di Pasquale und Roberto, Freunde von Giulia

Wolfgang Bonhoff, ein Kollege des gemeinsamen Sportvereins der Crohns und Ehefrau Barbara Bonhoff

Nebenpersonen

Peter Fleischmann, Ressortleiter in der FerroForm

Günter Bonhoff, Bruder von Wolfgang Bonhoff

Rechtsbeistand und privater Ermittler

Celine Endress, Rechtsanwältin

Friedhelm Kulau, Detektiv

Xaver Gresslin, Sohn von Friedhelms Frau, Helga

Ermittler / Polizei

Hauptkommissar Björn Albrecht, Dienststellenleiter

Kommissar Klaus Reiff

Polizeipsychologin Silke Brenneis

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

1

ab Samstag, 23. April 2011

Daniela Crohn drehte sich noch einmal um. Eigentlich hätte sie gerne noch eine Runde geschlafen, es war noch ziemlich dunkel. Doch sie war einfach zu munter. Sie nahm ihr Handy vom Nachttisch, um die Uhrzeit zu sehen. Es war erst kurz vor sechs Uhr. Dabei hätten sie und Philipp heute ausschlafen können, denn es war Samstag. Sie blickte zu ihrem Mann hinüber. Philipp schlief noch tief und fest, sein Atem ging ruhig, sein Körper war entspannt. Ganz vorsichtig bewegte sie sich, denn sie wollte Philipp nicht wecken. Sie setzte sich an die Bettkannte, griff nach ihrem Satinmorgenmantel, schlüpfte in ihre Hausschuhe und, den Morgenmantel noch in der Hand, machte sie sich auf leisen Sohlen auf zur Schlafzimmertüre, während sie nochmals einen Blick auf ihren schlafenden Mann warf. Mucksmäuschenstill schloss sie hinter sich die Türe. Im Bad fuhr sie auf die Schnelle durch ihr schulterlanges, leicht gewelltes blondes Haar. Sie blickte kritisch in den Spiegel. ›Na ja, eigentlich hast du dich doch ganz gut gehalten‹, dachte sie, denn heute war ihr 40ster Geburtstag. Ihre Gesichtszüge waren glatt, keine Falten, keine hängenden Augenlider verunstalteten ihr hübsches Gesicht … Ja, Daniela konnte zufrieden sein.

›So, aber zuerst mal brauche ich einen Kaffee‹, dachte sie und ging als erstes in die Küche. Das Mahlwerk der Kaffeemaschine schien ihr jetzt zur morgendlichen Stille besonders laut. Bald roch es herrlich nach frischem Kaffee. Ein bisschen Zucker, ein paar Tropfen Kaffeesahne und dann ging sie mit der Tasse in der Hand ins Arbeitszimmer. Sie schaltete den Computer ein und während sie wartete, bis der Computer hochgefahren war, betrachtete sie das Foto auf dem Schreibtisch, das sie und Philipp während ihres Aufenthalts auf Gran Canaria vor zwei Jahren zeigte. Die Reise gönnten sie sich zu ihrem zehnten Hochzeitstag. Es war ein schöner Urlaub, mit dem sie schöne Erinnerungen verband, wenngleich sie im Moment ihre Ehe allmählich als fade und schal empfand.

Dabei wurden sie beide zumindest von der Familie, Bekannten und Geschäftskollegen regelmäßig beneidet. ›Ihr seid DAS Ehepaar‹, hieß es immer, während Daniela empfand, dass ihre Ehe einer forteresse assiégée, einer belagerten Festung, glich. Sie musste schmunzeln, weil sie nämlich im Zusammenhang mit ihrer Ehe an den Roman von Qian Zhongshu ›Die umzingelte Festung‹ dachte. Ja, sie fand, dass es ein guter Vergleich war; Sie lebten in einer Festung, die von außen so schön und erstrebenswert aussah, so dass die Belagerer gerne eingedrungen wären und die Eingeschlossenen, in diesem Falle Daniela, hinausdrängten. Enge Freunde hatten hin und wieder ein Gespür dafür und ließen sich von der demonstrierten heilen Welt nicht blenden. Doch waren es nur ganz wenige, meist waren es die Zeugen von lautstarken Auseinandersetzungen.

Sicher, Philipp war, zumindest lange Zeit, ein aufmerksamer, zärtlicher, anhänglicher Ehemann. Ein charismatischer Mann, der viel Empathie für Menschen zeigte, Ruhe und Gelassenheit waren seine herausragenden Charaktereigenschaften. Und er passte auch optisch bestens zu ihr … das Prickeln indessen war weg. Doch, es war nicht alleine das fehlende Prickeln, warum Daniela sich in ihrer Ehe so unerfüllt, manchmal gar alleine fühlte, das wäre nicht fair, sagte sie sich, sondern es war schlicht normal, denn alle Paare gingen früher oder später durch dieses Tal. Es war einfach so, dass sie sich im Laufe ihrer Ehe auseinanderentwickelt und -gelebt hatten. Die Empathie, die er für andere zeigte, fehlte irgendwann im Umgang mit ihr. Auch hatten sie keine gemeinsamen Themen oder Interessen mehr. Dazu kam die Tatsache, dass sie sich in letzter Zeit immer öfter stritten. Er warf ihr vor, dass sie zu viel rummotze, dass sie ihn zu oft kritisiere, obwohl ihre Kommentare oft gar nicht böse gemeint waren, meist ging es um ganz harmlose Dinge oder auch nur um Spaß, was sie als Komik und er immer als Angriff verstand. Daniela hingegen warf ihm vor, dass er sich als Reaktion lautstark schimpfend im Ton vergreife, ohne Rücksicht darauf, ob sie sich in Gesellschaft befanden oder nicht. Und das empfand sie als noch schlimmer, als jeden Streit innerhalb der eigenen vier Wände. Dass solche Szenen vor Zeugen passierten, verletzte sie sehr. Sie fühlte sich in solchen Fällen gedemütigt und schämte sich dann, zumal sie wusste, dass sie als das Paar galten, das einen gepflegten Umgangston hegte und sie dann so tun musste, als wäre nichts geschehen. Ja, und just, in einem solchen Moment ihres unerfüllten Daseins, ihrer tiefen Kränkung, lief Andreas Schubert ihr über den Weg … sie lernte ihn über Facebook kennen. Es begann ganz unschuldig und wurde erst allmählich romantisch. Und sie ließ es zu, auch wenn ihr bewusst war, dass jede Beziehung, egal wie romantisch sie einmal begann, irgendwann eine Durststrecke durchmachen würde. Doch sie sagte sich: ›ich lebe heute, und ich genieße jetzt‹. Natürlich war ihr bewusst, dass es Philipp gegenüber nicht anständig war, denn wenn sie auch im Moment von Zweifeln über ihre Ehe geplagt wurde, wusste sie, dass er sie liebte, dass er sie wegen ihres Erfolgs als Schriftstellerin sehr bewunderte. Er war wirklich stolz auf seine Frau. Und deswegen schloss sie nicht aus, dass vielleicht gerade durch ein neues Abenteuer, durch eine Romanze, ihre Ehe irgendwann mal einen Vorschub, oder neue Würze erhalten würde. Vielleicht wollte sie damit auch nur ihr Gewissen beruhigen. Aufgeben wollte sie Philipp auf gar keinen Fall, zumindest im Moment nicht … sie wusste aber, dass sich auch das noch ändern konnte.

Sie öffnete Facebook und sah, dass Andreas noch nicht online war, also öffnete sie erst einmal ihr Arbeitsdokument. Sie arbeitete nämlich an einem neuen Roman ›Bis dass der Tod uns scheidet‹. Daniela, die an der Uni Freiburg Literaturwissenschaften studierte, war mittlerweile eine bekannte Autorin. Wenn sie nicht schrieb, arbeitete sie in der Stadtbibliothek in Lörrach.

Sie blieb aber nicht in ihrem Dokument, sondern wechselte gleich wieder zu Facebook. Sie liebte es im privaten Chat mit Andreas zum Anfang, wie alles begann, zurückzukehren, um nachzulesen … wie harmlos und unscheinbar ihre Beziehung sich doch anbahnte. Erst waren es ganz gewöhnlich ausgedrückte Wünsche zum Geburtstag – das war genau vor einem Jahr, bis es im Laufe der Zeit immer romantischer, intimer wurde. Es fühlte sich einfach gut an. Alleine, wenn sie es las kribbelte es, brachte ihren Körper ins Vibrieren:

Andreas: 23.04.2010

“Leben ist das, was passiert, während du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen.“ John Lennon … Guten Tag liebe Daniela! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Beste Grüße von Andreas

Daniela: Herzlichen Dank lieber Andreas, habe mich sehr über Deine Geburtstagsgrüße gefreut ... der Spruch von John Lennon gefällt mir ... könnte doch glatt von mir sein ...

Andreas: Sehr gern, liebe Daniela. Alles Liebe und Gute mit Gruß aus Freiburg, Andreas.

Daniela: danke, von Lörrach nach Freiburg. Übrigens, ich habe in Freiburg studiert. Eigentlich schade, dass wir uns nicht schon damals begegnet sind.

Andreas: Wenn Du von damals sprichst, ist es kein Wunder, dass wir uns nie begegnet sind. Ich bin nämlich ein Zugereister … ein waschechter Berliner.

Daniela: Und, was zog den waschechten Berliner von einer Großstadt in das beschauliche Schwarzwaldstädtchen?

Andreas: Na, die Schwarzwälder Kirschtorte. Sie hat es mir angetan, denn Dich kannte ich ja noch nicht. Das heißt, zumindest daran bist Du unschuldig. Alles, was aber jetzt folgt, schreibe ich Deiner Existenz zu.

Daniela: hahaha … okay … bleiben wir bei der Kirschtorte. Ja, sie ist eine viel geliebte Köstlichkeit unserer Region. Und, was unser Kennenlernen anbelangt, da denke ich, dass uns wohl noch etwas Interessantes bevorstehen könnte.

Andreas: Schöne Aussichten. Danke. Mir wird ganz warm ums Herz. Übrigens, ich habe gesehen, dass Du Schriftstellerin bist. Führst Du auch gelegentlich Lesungen durch?

Daniela: Na sicher. Demnächst hier in Lörrach im Kulturzentrum Nellie Nashorn. Kommst Du?

Andreas: Na, dann bitte ich doch sehr um eine persönliche Einladung … ich liebe Lesungen, aber noch lieber esse ich Schwarzwälder.

Daniela: Du bringst mich zum Weinen, Andreas …

Andreas: Warum?

Daniela: weil Du die Kirschtorte meiner Lesung vorziehst? Diese Bemerkung war schließlich keine Hommage an mich. Aber gut, ich schicke Dir trotzdem eine persönliche Einladung zur Lesung ... und, wenn Du dann schon mal da bist, dann können wir Schwarzwälder Kirschtorte essen, so viel Du möchtest.

Andreas: Dafür bringst Du mich zum Lachen. Ja, das ist ein Angebot. Und, ähm … stört es jemanden, wenn wir beide uns zur Kirschtorte abseilen?

Daniela: War das eben eine Frage nach meinem Zivilstand?

Andreas: Kluges Mädchen

Daniela: Ooops, wunden Punkt getroffen, Andreas!! ›Mädchen‹ habe ich nicht so gerne.

Andreas: Okay, sorry meine Liebe.

Daniela: Schon verziehen; Du konntest es ja nicht wissen.

Andreas: Uff, Glück gehabt … Ich rätsle im Moment darüber, wie ich es anstellen soll, mich nicht in Dich zu verlieben… ich bin höchst gefährdet.

Daniela: oh ... es ist nicht meine Absicht, Dich in Gefahr zu bringen ... hilft es Dir, wenn ich Dir sage, dass ich eine ganz schreckliche Person bin ... eigenwillig, ehrgeizig, manchmal ungeduldig, oder eher oft ... ich kann ganz schrecklich ausrasten und die Arbeit habe ich auch nicht erfunden ... oder sagen wir es mal so, die Arbeit, die ich als solches empfinde ... ja, und ich bin freiheitsliebend ... diese Freiheitsliebe schließt ein, dass ich nicht gerne an die Leine genommen oder in einem Bunker eingeschlossen werden möchte und dass ich nicht arbeiten möchte, bis ich einen Buckel bekomme.

Andreas: Tja Daniela - und ich, der ich so ähnlich gestrickt bin, soll nun abgeschreckt sein von Deiner Personenbeschreibung?

Daniela: Ich schätze, dass Dir nach dem ersten Gebot christlicher Nächstenliebe, “Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“, nichts anderes übrig bleibt, als Dich diesem Gefühl hinzugeben *grins* ... Aber wenn ich ehrlich bin, auch ich bin höchst gefährdet, also absolut nicht gefeit davor, mich in einen Mann namens Andreas zu verlieben, obwohl … ähm, ich bin Dir noch eine Antwort schuldig … obwohl … ich verheiratet bin. Ich mag Dich. Schön, dass es Dich gibt.

Andreas: Aufklärung: Ich bin Agnostiker … habe mit solchem Krimskrams wie ‘christliche Konfession‘ nichts am Hut, will heißen, ich stehe zwischen den Religionen und den Ungläubigen … Für mich gibt es nur eine Göttlichkeit – die ZEIT – Was den Teil Deiner Personenbeschreibung betrifft, sprich Freiheitsliebe; bedeutet es, dass Du Dich mal so einfach mit mir abseilen würdest, obwohl Du verheiratet bist?

Daniela: Aha, Du bist Agnostiker; aber da wird doch etwas aus Deiner Kindheit hängen geblieben sein, oder nicht? Also, ich erinnere mich noch an meine zarte Kindheit, als ich noch gläubig war und Nonne werden wollte. Heute gibt es für mich nur einen Gott: MICH SELBST, das heißt mein Inneres; für streng Gläubige vielleicht schlimmste Blasphemie, aber ich bin überzeugt, dass der Gott, den die Leute anbeten, auch ein Konstrukt des Menschen ist, sozusagen eine Projektion. Nicht Gott hat den Menschen nach seinem Vorbild erschaffen, sondern umgekehrt: der Mensch schuf Gott nach seinem Vorbild … Ach ja, und was Deine Göttlichkeit anbelangt: ZEIT ist für mich nur Illusion; sie ist ein Konstrukt, das den Blick auf das Heute verwehrt – und zu Deiner letzten Anmerkung betreffend Freiheitsliebe: vielleicht hast Du recht.

Andreas: In der ZEIT bewegt sich alles, sie ermöglicht alles, sie überdauert auch die Projektion des Menschen namens Gott …

Und, zu guter Letzt: ja, ich hoffte, dass ich recht hatte mit meiner Vermutung.

Daniela: ich erkläre das Konstrukt Zeit so: Zeit ist wie eine Wohnung ... das Zimmer, aus dem ich komme, existiert nicht mehr ... denn es ist vorbei ... ich sehe es nicht mehr ... Das nächste Zimmer existiert noch nicht, ich sehe es nicht, ergo IST es auch noch nicht ... es gibt nur das Zimmer in dem ich jetzt stehe ... es ist das HIER und JETZT ... und wenn ich morgen in das nächste Zimmer gehe, ist allein dieses existent; alles andere gibt es nicht mehr, oder noch nicht.

Andreas: Das Zimmer, in dem Du jetzt stehst, musste gebaut werden - und hierfür brauchte es ZEIT. Nicht die ZEIT bewegt sich im Raum - der Raum bewegt sich in der ZEIT.

Bei diesem Kommentar dachte sie an Philipp. Wenn sie zu ihm gesagt hätte, dass er eine lange Leitung habe, hätte er sich beleidigt gefühlt und wäre richtig ausgerastet.

Andreas: Die Zeit ermöglicht uns, alt und schrumpelig zu werden - die ZEIT ist nicht messbar (außer in Zeiteinheiten, die der Mensch entwickelt hat, um sich zu strukturieren).

Andreas: Nicht die ZEIT als SOLCHE — es sind die erbärmlich kleinen Zeiteinheiten, die der Mensch nach und nach eingeführt hat, um seinen Alltag zu bewältigen, seinen Drang nach Erkenntnissen/ Wissenschaften zu befrieden. Versuche mal Zeit optisch darzustellen oder sie anzuhalten oder sie – wie andere Stoffe – chemisch in andere Stofflichkeit umzuwandeln … nicht möglich.

Daniela: Jetzt drehen wir uns im Kreis Andreas. Aber die Erklärung “es sind die erbärmlich kleinen Zeiteinheiten, […]“ gefällt mir. Das ist richtig gut formuliert. Ich halte zum Abschluss einfach mal fest, dass wir dieses konstruierte Phänomen vielleicht nicht ZEIT nennen sollten ... Ich weiß, Du nennst es Göttlichkeit.

Andreas: Aber Du wirst doch nicht bestreiten können, dass ZEIT real vorhanden ist (wenn sie auch nicht zu greifen ist und schon gar nicht manipuliert werden kann). Ich für mich benenne ZEIT als GEIST … GOTT kommt bei mir nicht vor. Er ist nichts weiter als eine Projektion der Menschen, wie Du oben richtigerweise gesagt hast. Gäbe es GOTT - er müsste an der ZEIT verzweifeln…

Daniela: für mich gibt es den Begriff Gott ebenso wenig, aber Du warst es schließlich, der oben schrieb, dass es für Dich nur eine GÖTTLICHKEIT gibt – die ZEIT …“ … deshalb sprach ich nicht von Gott, sondern von Göttlichkeit ... etwas Göttliches ist ja auch etwas Mensch gemachtes ... der Mensch betrachtet das Göttliche, als das Perfekte, das Unfehlbare ... er braucht etwas, woran er sich festhalten kann, und zu dem er hinaufschauen kann; aber eines weiß ICH jetzt, es macht Spaß mit Dir zu diskutieren.

Andreas: Stimmt, Du hast recht. Ich habe nochmals nachgeschaut; ich sprach tatsächlich von GÖTTLICHKEIT. Ich möchte diese Aussage ändern: ZEIT ist für mich GEIST, der mich beseelt. Ich finde auch, dass wir beide öfter diskutieren sollten. DANKE.

Daniela: diskutieren über die ZEIT, die wir nicht so nennen sollten? ... weil unter Zeit der Mensch eine Vorstellung hat ... nämlich Zeit ... und das ist genau das, was wir nicht meinen ... das Konstrukt Zeit.

Als nächsten Kommentar sandte Andreas einen Herz- und Blumenstrauß-Sticker. Daniela lächelte. Sie liebte die Lektüre ihres Austausches mit Andreas. Sie konnte es immer und immer wieder lesen. Er war so erfrischend. Sie überlegte sich, wann sie zuletzt tiefsinnige Diskussionen mit Philipp führte. Philipp war für solche Themen nicht offen. Er nannte alles, was nicht schwarz oder weiß war, Kokolores.

Sie las weiter.

Daniela: Andreas, ich habe nach einem anderen Namen für den menschgemachten Begriff “ZEIT“ gesucht und nannte es: das SEIENDE. Was hältst Du davon...?

Andreas: Sehr gut, liebe Daniela … oder ZEIT als das BLEIBENDE wäre auch nicht schlecht, was meinst Du?

Daniela: nicht schlecht, aber das BLEIBENDE ist für mich eher die ENERGIE des SEIENDEN:

Ach nee, Quatsch, andersrum: das SEIENDE ist die ENERGIE des BLEIBENDEN, klingt logischer.

Ich danke Dir, dass Du Dir die ZEIT haha, schon wieder Zeit) genommen hast, so ausführlich mit mir über nicht Alltägliches zu diskutieren...

Andreas: Danken wir dem GEIST, der mir die Möglichkeit gab zur ausführlichen, nicht alltäglichen Diskussion. Ich verspreche Dir hoch und heilig, auf Dauer und im Alltag nicht als Pedant aufzutreten

Daniela: es war interessant und es wird wohl nicht das letzte Mal gewesen sein ... Und, auch wenn ich mich wiederhole, schön dass es Dich gibt, Andreas.

Als nächstes folgte ein Kuss-Sticker von ihr zu Andreas.

Sie wollte gerade wieder zurück zu ihrem Arbeitsdokument, als ein Sound ihr ankündigte, dass Andreas inzwischen online war und sie angeschrieben hatte:

Andreas: 23.04.2011

Guten Morgen liebste Daniela. Schon so früh wach? Ich war grad froh, als ich sah, dass Du “on“ bist. Ist es denn wahr? Ist wirklich schon ein Jahr vergangen, dass wir uns fanden? Herzlichen Glückwunsch Liebste zu Deinem runden Geburtstag. Ich hab von Dir geträumt. Das letzte Treffen war zu prickelnd, um nicht dauernd daran zu denken. Du bist eine wunderbare Frau. Hätte mir nicht träumen lassen, dass es mir noch einmal so sehr den Ärmel reinziehen würde. Ach und dann wünsche ich Dir gleich noch frohe Ostern.

Daniela: Guten Morgen Liebster, Danke für die Geburtstagsgrüße. ‘Ärmel reinziehen‘, hört sich irgendwie drollig an. Auch ich kann an fast nichts anderes mehr denken. Unsere Beziehung ist zu schön, um wahr zu sein. Ich frage mich immer wieder, ob so etwas überhaupt möglich ist? “Ja“, sagt dann eine Stimme aus mir heraus “es ist.“ Und dann habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich wünsche Dir auch frohe Ostern. Das Wetter passt ja bestens. Diese sommerlichen Temperaturen versprechen ein schönes Osterfest.

Philipp ist inzwischen aufgewacht. Der Blick auf die Uhr zeigte ihm ›halb acht‹. Er drehte sich um und blickte zu Daniela hinüber. Doch das Bett war leer. Er vermutete, dass sie schon wieder in ihrem Arbeitszimmer sitzt, wie schon so oft, wenn er morgens aufwachte und sie nicht mehr neben ihm lag. Leise stand er auf und ging ins Erdgeschoss in Richtung Küche. Vor Danielas Arbeitszimmer blieb er stehen. Er kannte den berühmten Sound des Computers, wenn er eine Nachricht empfing. Er hatte ihn seit dem letzten Jahr schon des Öfteren aus Danielas Arbeitszimmer vernommen, und jetzt, da es im Hause noch sehr still war, ist es noch deutlicher. Früher noch gab es ihm einen Stich ins Herz. Heute jedoch konnte er leichter damit leben.

Damals nämlich, als Daniela ganz plötzlich weg musste – ihre frühere Schulfreundin Regina hatte sie angerufen und sie um Hilfe gebeten – konnte er es sich nicht verkneifen, an ihren Computer zu gehen, um zu sehen, mit wem sie da in Kontakt stand. Da sie so unerwartet aufbrechen musste, hatte sie sich natürlich nicht aus Facebook abgemeldet, sondern hatte nur die Seite geschlossen. Er konnte nicht vergessen, was er damals gelesen hatte: ›Ich rätsle im Moment darüber, wie ich es anstellen soll, mich nicht in Dich zu verlieben … ich bin höchst gefährdet.‹ Und dann Danielas Antwort, die diese Gefühle eindeutig erwiderte.

Und dieser Scheißkerl sah auch noch blendend aus. Ein richtiger Sonnyboy. Doch Philipp nahm sich vor, sich vor Daniela nichts anmerken zu lassen.

Er klopfte kurz an, trat aber sofort ein, ohne ein ›Komm rein‹ abzuwarten. Er entschuldigte diesen Überfall vor sich selbst damit, dass er schließlich allen Grund dafür hatte, denn immerhin war heute Danielas 40ster Geburtstag, und Gratulation meldete man ja nicht erst lange im Voraus an.

Daniela zuckte vor Schreck zusammen. Alarmiert schloss sie sofort Facebook und blickte auf ihr zuvor geöffnetes Word-Dokument. »Huch«, sagte sie.

Philipp trat zu ihr: »Habe ich dich erschreckt?«

»Ja, schon. Du kamst so plötzlich, unerwartet herein … und das in die Stille, dieses noch jungfräulichen Morgens.«

Er umarmte sie von hinten, küsste sie auf die Wange: »Sorry, Liebling. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute zum Geburtstag.«

»Danke Schatz.«

»Bist du an einem neuen Roman?«

Daniela nickte. »Ja.«

»Und wie ist der Titel?«

»Bis dass der Tod uns scheidet«

Philipp zog die Auenbrauen hoch: »Oh, das hört sich so endgültig an … interessant. Liege ich richtig, wenn ich annehme, dass es sich um ein Ehepaar mit Problemen handelt?«

»Na klar. Es geht um eine Frau, die ihren Mann über eine geraume Zeit hinweg betrügt. Die Geschichte geschieht so ein bisschen in Anlehnung an die Novelle ›Angst‹ von Stefan Zweig, denn sie beschreibt die Angst der Ehebrecherin, dass ihr Gatte dahinterkommen könnte.«

›Ist die Geschichte nicht eher in Anlehnung an unsere Ehe?‹, fragte er sich gedanklich, konzentrierte sich dann aber gleich wieder auf Danielas Ausführungen.

»Ja, und natürlich kommt der Gatte ihr irgendwann auf die Schliche. Dieser versetzt seine Frau auch tatsächlich in Angst. Es ist für ihn ein bisschen wie eine Sportübung und er genießt es auf sadistische Weise … er greift dabei ziemlich tief in seine Trickkiste und ist dabei auch richtig perfide; er bedient sich dabei der Erfolg versprechenden Methode ›Emotionale Erpressung‹. Als er des Spiels dann endlich überdrüssig ist, ersticht er seine Frau mit einem Küchenmesser. Das Ende wird dann so aussehen, dass er der Sterbenden in deren aufgerissene, leiderfüllte Augen sieht und sagt: ›Bis dass der Tod uns scheidet‹«, erklärte Daniela auf die Schnelle den geplanten Inhalt ihres Romans und beendete ihre Ausführungen mit dem Finale: »Mit diesem Satz erinnert er seine Frau im Tode auf sadistische Weise an ihr Eheversprechen vor 20 Jahren.«

Wieder wurde Philipps schwarzer Humor gedanklich aktiv. ›Ist das nun eine Aufforderung an mich?‹ Laut sagte er: »Na, dann bin ich aber froh, dass es sich nicht um unsere Ehe handelt.«

Daniela zuckte bei dieser Bemerkung kaum merkbar zusammen. Der süffisante Tonfall klang für sie wie eine Anspielung. Hinter ihrer Stirn begann es zu arbeiten. Was wusste Philipp? Oder ahnte er nur etwas. Ihr Gewissen plagte sie … ein wenig nur … denn auf der anderen Seite dachte sie, ›hättest du dich etwas mehr um mich bemüht‹. Und so antwortete sie nur mit einem Lächeln.

»Hast du schon gefrühstückt?«, fragte Philipp, nachdem sein Magen sich lautstark zu Wort meldete.

»Was für eine Frage? Du weißt doch, dass ich nicht gerne alleine frühstücke, wenn wir Zeit haben und nicht zur Arbeit müssen«, konterte sie verständnislos, »außerdem ist heute mein Geburtstag, und da will ich schließlich so, wie es sich gehört, richtig und ausgiebig frühstücken.«

»Und heute Nachmittag gehen wir fein aus. Ich lade dich ein. So ganz ohne Geburtstagsgeschenk wollte ich es nicht belassen, auch wenn du mir verboten hast, etwas zu kaufen. Eine Einladung zum Essen kannst du mir schließlich nicht verbieten«, verkündete Philipp.

»Ich freue mich darauf«, war Danielas Reaktion auf diese Ankündigung. Sie liebte es, auszugehen und gut zu essen. »Wohin geht‘s? Ich denke, dass du sicher irgendwo einen Tisch reserviert hast.«

»Aber hallo, du kennst mich doch«, spielte Philipp den Empörten, während er schmunzelte. »Ich überlasse nichts dem Zufall.«

Ja, so war Philipp ... ›Philipp, wie er leibt und lebt‹ … Durchplanen bis ins Detail.

Punkt halb drei trafen Daniela und Philipp beim Landgasthof Engemühle, an der Engemühle 1 in Efringen-Kirchen ein. Dieser Karsamstag war ein herrlicher Frühlingstag mit eigentlich sommerlicher Temperatur um die 28°C. Es roch so wunderbar und ein mildes Lüftchen spielte mit Danielas blondem Haar. Sie hätte glücklich sein können, denn es war genau die herrliche Sommer-Atmosphäre, die sie so liebte. Doch etwas trübte ihre Stimmung. Es waren die vielen Autos, die hier den Parkplatz gefüllt hatten und die Aussicht auf einen gemütlichen ›Geburtstag zu zweit‹ zunichte zu machen versprachen. »Hier hast du reserviert?«, fragte Daniela ungläubig.

»Ja, warum denn nicht? Gefällt dir dieser Vorschlag denn nicht? Wir haben hier doch schon hervorragend gegessen«, verteidigte Philipp sein Angebot.

»Ja schon, aber erstens ist jetzt nicht Essenszeit, sondern Nachmittagskaffeezeit, wobei ich, wenn ich ehrlich bin, lieber etwas Deftiges zwischen die Zähne bekommen würde. Und dann, hast du die vielen Autos gesehen, hier auf dem Parkplatz? Das Restaurant platzt doch sicher aus allen Nähten mit so vielen Leuten«, hielt sie gegen Philipps Vorschlag. »Mir wäre ein entspanntes Tête-à-Tête jetzt lieber gewesen.«

Philipp ging aber gar nicht darauf ein, sondern erklärte Daniela seinen Plan. »Wir hatten ja ausgiebig gefrühstückt, so dass wir ja nicht so bald zu Mittag essen müssen. Ich plante, dass es zuerst Kaffee und Kuchen gibt, und dann machen wir einen Spaziergang. Das Wetter lädt doch förmlich dazu ein, ja, und gegen späten Nachmittag haben wir wieder so richtig Hunger, und da bekommst du dann etwas Deftiges zwischen die Zähne, habe nämlich ein wunderbares Menü vorbestellt. Ja, und mach dir der Leute wegen keine Sorgen. Ich weiß ja, dass du es für deinen speziellen Tag lieber etwas ruhiger hättest, und nicht von viel Lärm umgeben sein möchtest. Dafür habe ich aber auch vorgesorgt, denn ich weiß schließlich, dass sie hier samstags immer viele Gäste haben, erst recht bei einem verlängerten Osterwochenende und dann noch bei diesem Wetter. Wir bekommen ein Nebenzimmer. Vielleicht lichtet sich der Parkplatz ja auch bis wir von unserer kleinen Wanderung zurückkommen.«

Daniela verzog skeptisch ihr Gesicht. ›Jetzt muss ich mir auch noch Hunger anwandern, und das an meinem Geburtstag‹, dachte sie wenig begeistert, denn sie hatte sich ihren runden Ehrentag etwas anders vorgestellt. »Na ja, wenn du meinst«, gab sie nach, »dann machen wir es so, wie du es geplant hast, s’ist ja dein Geschenk an mich.« Sie klang nicht gerade begeistert.

Sie betraten schließlich den Landgasthof, und Daniela war etwas überrascht. »Wo sind denn die ganzen Leute? Das verstehe ich nicht, draußen steht der Parkplatz voller Autos und hier in der Gaststube ist fast nichts los.«

»Die Leute machen es wohl wie wir nachher. Die sind sicher auf dem Verdauungsspaziergang«, folgerte Philipp logisch. Dann steuerte er schnurstracks auf die Türe zum Nebenzimmer zu. Kaum, dass er die Türe geöffnet hatte und sie beide eintraten, erklang ein lautes Happy Birthday. Das Nebenzimmer, oder besser der Nebensaal war voller Leute.

Mit vor Staunen weit geöffnetem Mund stand Daniela da und schaute auf die Gästeschar. »Oh mein Gott flüsterte sie. Wow.« Sie blickte in die Runde der singenden Freunde, da waren Evelyn, ihre beste Freundin aus der Schulzeit, mit Mann, Philipps Schwester, Gisela und Schwager, Schriftstellerkollegen, gemeinsame gute Freunde, mit denen sie früher immer viel unternahmen, die Freunde aus dem Skiclub, diverse Cousinen und Cousins. Alles was Rang und Namen hatte. Wow. Wenn sie mit allem gerechnet hätte, aber nicht damit. Und plötzlich wurden ihr so manche Reaktion von Philipp klar.

2

Am Sonntagmorgen war Daniela natürlich nicht so früh wach, wie am Vortag. Die Geburtstagsparty zog sich nämlich bis zur ersten Morgenstunde des Tages hin, so dass sie erst gegen zwei Uhr im Bett lag.

Es war acht Uhr, Philipp schlief noch selig, und sie ließ diese tolle Party des Vortags gedanklich Revue passieren. Es war so ein wunderschöner Tag. Philipp hatte sich da ziemlich ins Zeug gelegt. Sie hatte es richtig genossen. Endlich konnte sie sich mal wieder ausgiebig austauschen mit Freunden. Teilweise waren es Freunde, die eigens zu ihrem runden Geburtstag von weit angereist kamen. Und der Tisch war voller Geschenke. Die Gäste hatten sehr viel Phantasie beim Beschenken. Daniela empfand ihren vierzigsten Geburtstag als den schönsten überhaupt. Sie schwelgte für diesen Moment so richtig im Glück.

Und wieder plagte sie dabei ihr Gewissen wegen Andreas. Sie hatte das Gefühl, dass Philipp es nicht verdient habe, dass sie sich außerhalb einen Geliebten hielt. Sie kam mit sich selbst in Zwiespalt, versuchte ihr Handeln dann jedoch vor sich selbst zu rechtfertigen, dass sie ja nicht gesucht habe, sondern dass sie gefunden wurde, gefunden in einer Zeit, als sie sich nicht wirklich glücklich fühlte, weil Philipp und sie sich auseinandergelebt hatten. Und Daniela wollte keinen von beiden aufgeben. Andreas war ein so herrlicher Ausgleich zu Philipp. Ihre Themen waren immer sehr geistreich, würzig, manchmal war der Austausch witzig. Und sie muss zugeben, dass ihre intimen Treffen richtige Highlights waren, die sie förmlich berauschten; sie genoss es. Ja, es waren zwei diametrale Welten, wovon sie keine aufgeben wollte.

Und, angesichts der Tatsache, dass Philipp noch so tief schlief, konnte sie es sich nicht verkneifen, doch noch schnell in ihr Arbeitszimmer zu gehen, um zu sehen, ob Andreas ihr geschrieben hatte. Wieder schlich sie sich aus dem Schlafzimmer.

Andreas: 24.04.2011

*traurigbin* … Daniela leider noch nicht “on“ … okay Gemach, Andreas, Gemach.

Andreas: Hallo Du Langschläferin heute … ich vermisse Dich.

Daniela las die ersten beiden Nachrichten und spürte schon wieder das bekannte Kribbeln.

Daniela: Moin lieber Andreas … ja, Deine Daniela hat heute länger geschlafen. Sie hatte einen wunderschönen Geburtstag gefeiert. Es ging bis zum frühen Morgen. Philipp hatte mich so wunderbar überrascht … hinter meinem Rücken lud er alle Freunde und Bekannte ein. Ich stand mit offenem Mund da, war einfach nur baff. Es war der schönste Geburtstag ever.

Andreas: Schade

Daniela: Häh, gönnst es mir nicht? Oder was ist schade?

Andreas: Schade, dass ich nicht derjenige war, der Dir diesen schönen Tag bescheren konnte.

Daniela: Darling, Du weißt, dass ich verheiratet bin.

Andreas: Wieder schade.

Oh, habe ich richtig gelesen? Hast Du eben Darling geschrieben? Wow, das tut gut. Ich möchte Dich gerne wiedersehen. Habe einfach Entzugserscheinungen. Die Erinnerungen halten nicht so lange vor.

Daniela: Sorry, Andreas, ich muss schnell “off“ gehen. Ich glaube ich habe die Toilettenspülung vom oberen Stockwerk gehört.

Schnell meldete sie sich von der Facebook-Plattform ab und schaute konzentriert auf ihr Word-Dokument mit dem inzwischen auf 120 Seiten angewachsenen Roman. Es ging auch gar nicht lange bis Philipp zu ihr hereinkam. Diesmal musste sie nicht, wie am Vortag überstürzt Facebook schließen. Sie konnte sich also ganz entspannt geben.

Dann gönnten sie sich ein wunderbares Frühstück, sprachen über die gelungene Party vom Vortag und schwelgten ein bisschen nach. Daniela stand plötzlich auf, setzte sich am Esstisch auf Philipps Schoß, küsste ihn auf die Wange und streichelte ihm zärtlich das Gesicht, während sie hauchte: »Dankeschön für alles. Es war wunderschön … eine gelungene Überraschung. Sogar das Wetter hatte mitgespielt, als hättest du einen besonderen Draht nach oben. Das lässt sich kaum toppen. Da werde ich mich richtig ins Zeug legen müssen, wenn du in fünf Jahren deinen fünfzigsten feierst.«

Philipp lächelte: »Wir hatten doch vereinbart: keine Geschenke, bitte! Wenn du dir jetzt den Kopf zerbrichst, was du mir als Gegenleistung bieten könntest, wäre es doch nichts anderes, als ›wie du mir so ich dir, oder besser‹, will heißen ein Geschenk, als Kompensation für eine Idee, oder Tauschhandel.«

Daniela schmunzelte, wiegte mit dem Kopf und ein vielsagendes ›Hm‹, war das einzige, was sie als Kommentar brachte. Er kannte Daniela zu gut, um nicht zu wissen, dass dieses ›hm‹ mehr bedeutete, als nur zwei Buchstaben. Es war das typische ›Daniela-hm‹. »Lass uns nachher noch ein bisschen rausgehen. Ab morgen soll das Wetter nämlich schlechter werden, habe ich im Internet gelesen. Wechselhaftes und kühles Wetter stand da geschrieben.« Daniela gluckste förmlich vor Freude … sie wirkte richtig zufrieden.

Philipp fand, dass es jetzt gerade ziemlich harmonisch zwischen ihnen lief … ›na ja‹, dachte er, ›zumindest bis zum nächsten Streit… und der kommt gewiss, wie das Amen in der Kirche‹, davon war er überzeugt. Es würde nämlich wieder der Zeitpunkt kommen, da sie ihm erneut Vorwürfe wegen Nichtigkeiten machen würde. Zumindest sah er Danielas Kritik immer als Nichtigkeiten an, jedoch bei weitem nicht seine, denn für seine hatte er immer gute Gründe, da war er sich sicher… hundert pro.

Wenn Daniela seine Gedanken hätte lesen können, wäre sie wahrscheinlich jetzt schon wieder ausgeflippt, denn Philipps stures Rechthaben-Wollen konnte sie auf den Tod nicht ausstehen. Diese Gedanken, wenn sie sie gelesen hätte, hätten nämlich die Erinnerung an den Streit der vorletzten Woche vermutlich hochbeschworen.

*

Sie hatte zu einem Konzertbesuch Regina, eine frühere Schulkollegin, eingeladen. Regina war im Leben halt nicht so erfolgreich wie sie selbst, hatte auch nicht viel Geld. Deshalb wollte Daniela der Kollegin einfach eine Freude machen; diese besaß auch kein Auto, kam also nirgendwo so einfach hin, wenn sie nicht mitgenommen wurde. Da, wo sie wohnte, gab es nämlich keinen Anschluss ans öffentliche Verkehrsnetz.

Philipp wehrte sich vehement gegen diesen Fahrgast.

›Warum?‹, hatte Daniela verständnislos gefragt.

›Ich mag sie halt nicht besonders‹, war sein nicht gerade überzeugender Kommentar, denn er hatte bis jetzt noch nie etwas mit Regina zu tun gehabt, ergo konnte er sich auch keine Meinung über sie bilden. Aber vermutlich war sie ihm nur nicht erfolgreich genug.

›Aber ICH mag sie‹, widersprach Daniela, ›außerdem, du kennst sie doch gar nicht‹.

›Ich brauche sie nicht zu kennen, um zu wissen, dass ich sie nicht mag‹, begründete er ziemlich unlogisch. Das war ja wohl das Allerletzte, das er Daniela als Grund angeben konnte. Ein solcher hochgradiger Mist regte in ihr den Kampfgeist. Sie kotzte Philipp an und sie stritten sich heftig. Dieser Streit hielt drei Tage an.

Ungeachtet von Philipps Einwand, sagte sie der Freundin dann zu und erhielt gleich harsche Schelte von Philipp. ›Du hast Regina ohne meine Zustimmung zugesagt?‹, fragte er empört.

›Klar‹, sagte Daniela trocken und ergänzte trotzig: ›bin selbst schon groß und treffe eigene Entscheidungen. Ich muss dazu nicht erst Papi fragen‹, denn sie empfand Philipps Reaktion als Machogehabe.

Das war dann der Beginn eines Streits, der nochmals etwa drei Tage andauerte. Unsinnig, einfach blöd … Streit wegen nichts. Es war dann wieder die Zeit, als Daniela vermehrt zum Computer flüchtete und den Kontakt zu Andreas suchte.

Dieser Krieg fand vorletzte Woche statt; im Moment lief es gerade mal wieder gut.

*

Philipp indessen fand es nur bedauerlich, dass sie sich gerade jetzt so gut verstanden, da beide quasi ihre eigenen Wege gingen. Es verstand sich von selbst, dass Philipp im vergangenen Jahr wegen Danielas Kontakt zu Andreas nicht nur still vor sich hin gelitten hatte. Auch er fand Trost außerhalb des Ehebettes, was ihn nicht davon abhielt, dass es ihn immer noch wurmte, wenn er Daniela im Chat mit diesem Eindringling wusste, oder wenn sie nicht da war und er sie bei diesem Hallodri vermutete. Da hatte ihm einfach ein anderer sein Spielzeug weggenommen. Wahrscheinlich war es eher das, was seine Gefühle bewegte, als tiefe Zuneigung, nach langjähriger inzwischen monoton gewordener Ehe.

Sein Trost hieß nämlich Angelina. Nicht, dass er wegen Danielas Fehltritt auf der Suche gewesen wäre, nein auch er wurde gefunden. Es ergab sich einfach auch so, wie bei Daniela.

Er war bei der Firma FerroForm GmbH & Co. KG in Lörrach beschäftigt. Dieses historische Werk wurde 1910 in Deutschland gegründet und war mit mehr als 1500 Mitarbeitern an drei Standorten vertreten. Der Hauptsitz befand sich in Lörrach an der Teichstraße, wo auch Philipp tätig war. Das dortige Werk war hauptsächlich auf die Entwicklung von Metallteilen mit Stanz- und Biegeautomaten ausgerichtet. Es fertigte auf einer Reihe von High-Tech-Maschinen: Stanz- und Biegeautomaten, Spritzgussmaschinen, Maschinen für Schnellkupplungen oder Anlagen zur Oberflächenbehandlung. Zusätzlich bot es Workshops für Firmenkunden an.

Der Standort Haltingen bei Weil am Rhein produzierte sowohl Kunststoff- als auch Metallteile. Das Werk sollte in naher Zukunft insofern erweitert werden, als dass sich die gesamte Metallteilproduktion an einem Ort befinden sollte. Mit diesem Projekt war Philipp als Projektleiter beauftragt worden.

Er fühlte sich sehr wohl in dieser Firma, zumal die Bedingungen äußerst mitarbeiterfreundlich waren.

Im Herbst 2010 dann lernte er bei einem großen Festanlass zum 100jährigen Firmenjubiläum Angelina Donati kennen, eine gebürtige Tessinerin, mit italienischen Wurzeln väterlicherseits. Er unterhielt sich mit ihr einen ganzen Abend lang und zwar in deren Muttersprache. Endlich konnte er sein Italienisch anwenden, das er akzentfrei beherrschte, dank der von seinem damaligen ersten Arbeitgeber nach dem Studium, gebotenen Möglichkeit, eines sechsjährigen beruflichen Italienaufenthaltes.

Angelina war seit einem guten Jahr im Werk in Bremgarten tätig, wollte aber gerne nach Lörrach wechseln, damit sie näher an der Schweizer Grenze war, denn ihren Wohnsitz in Basel wollte sie wegen der unverschämt hohen Einkommenssteuern in Deutschland nicht an ihren Arbeitsort verlegen, nur um einen kürzeren Arbeitsweg zu haben. In der Schweiz zahlte sie vergleichsweise nur einen Bruchteil an Steuern.

Philipp konnte ihr aufgrund seiner Position für dieses Anliegen behilflich sein. Schon zum Jahresbeginn 2011 begann Angelina, eine ziemlich pfiffige Businessfrau, die überdurchschnittliche Kenntnisse im Umgang mit Computern und im Bereich der Informatik besaß, in Lörrach ihre Arbeit. Sie hatte sich innerhalb des Jahres ihrer Mitwirkung schon ein großes Wissen, insbesondere umfangreiche Kenntnis der Branche angeeignet, war äußerst tüchtig und voller Energie, kurz: sie war ein produktiver Wirbelwind. In ihrer neuen Position unterstützte sie Philipp bei seinem Projekt der Firmenerweiterung ›Konzentration der gesamten Metallteilproduktion an einen Ort‹. Die Zusammenarbeit machte beiden viel Spaß. Sie arbeiteten oft bis spät zusammen. Und so kamen sie sich auch sehr bald näher, denn nicht nur Philipp hatte Gefallen gefunden an der brünetten Angelina, mit den großen dunklen Augen, sondern auch er gefiel Angelina auf Anhieb.

Es verstand sich von selbst, dass Philipp, aufgrund seiner momentanen familiären Situation und dem damit gekränkten Ego auch empfänglich war für ein außereheliches Abenteuer. Sie kamen sich näher und allmählich begann, sich mehr anzubahnen, als nur ein Abenteuer. Und, es war nichts Oberflächliches oder nur Trost suchendes, sondern es ging so richtig tief.

Angelina und Philipp verbrachten im Geschäft und auch außerhalb viel Zeit miteinander, und, wie auch seine Frau Daniela mit Andreas, hatte er mit Angelina viele Gemeinsamkeiten, über die sie sich gut und gerne unterhielten.

Während ihrer Zusammenarbeit hatte Philipp Angelina aufmerksam beobachtet, und er hegte den Verdacht, dass diese zierliche Powerfrau zusätzlich ihrem Job in der Firma wohl ein lukratives eigenes Business nebenher betrieb. Es war aber nur eine Vermutung. Doch er wollte es genau wissen, und so sprach er sie eines Tages auch prompt daraufhin an.

»Weißt du Philipp, ich kann darüber nicht sprechen, es ist …«, Angelina hörte abrupt mit der Erklärung auf.

»… es ist … illegal?«, beendete er den begonnenen Satz.

Bei Angelina veränderte sich subito der Gesichtsausdruck. Eine Farbe der Verlegenheit stieg vom Hals hoch in ihr Gesicht. Sie senkte betroffen ihren Blick.

»Könnte es sich zum Schaden der FerroForm entwickeln«, fragte er geradeheraus. Denn das könnte er nicht dulden.

Angelina schüttelte energisch den Kopf, »nein, um Gottes willen, nein. Ich würde nie meinem Noch-Brötchengeber Schaden zufügen.«

Hatte er richtig gehört? Noch-Brötchengeber?

»Hast du vor, die Firma zu verlassen?«, fragte er und konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.

Angelina schüttelte wieder den Kopf und ergänzte dann: »zumindest im Moment noch nicht.«

Philipp konnte sich damit natürlich nicht zufrieden geben und so bohrte er immer wieder weiter, bis Angelina zumindest mal ganz vorsichtig mit der Sprache herausrückte. Die Informationen, die er dann Anfang Juni erhielt, waren zuerst mehr als dürftig. Es dauerte dann noch eine ganze Weile, bis er dann mal eine Kleinigkeit erfuhr, und dennoch immer noch nicht konkret genug. Der Zeitpunkt für mehr war einfach noch nicht gekommen.

Sie machte zwar ganz vorsichtig diffuse Andeutungen, die ihm immer noch nicht erlaubten, sich ein genaues Bild davon machen zu können, dennoch fühlte er sich schon danach, nach dem Motto ›ich will auch‹, angestachelt: »Es ist ein richtig lukratives Geschäft«, begann sie, »ich habe da Partner, über die ich dazukam. Mein Ziel ist es, irgendwann einmal so viel Geld verdient zu haben, dass ich nicht mehr malochen muss«, sie schmunzelte spitzbübisch, als sie ergänzte: »und wer will das schon, malochen bis man tot umfällt, noch bevor man überhaupt die Früchte seiner Arbeit genießen kann? Du weißt doch wie missbräuchlich die Politiker mit dem Geld des Volkes umgehen, bei euch in Deutschland noch extremer als bei uns in der Schweiz. Dass in Deutschland überhaupt noch jemand einer ehrlichen Arbeit nachgeht ist eigentlich verwunderlich, wo diese Leute für ihren Leistungswillen doch regelrecht bestraft, während die Faulenzer belohnt werden. Und außerdem, die Geier – so heißen bei mir die Politiker – sorgen sich doch hauptsächlich um ihr eigenes Wohl und für den Wasserkopf ›Beamtentum‹ – man könnte es auch ›Schmarotzertum‹ nennen – die alle Vorteile für sich gepachtet haben. Ich hatte in der freien Wirtschaft noch nie einen Job, bei dem ich mein Gehalt selbst bestimmen konnte, außer bei meinem hübschen Nebenjob. Aber die Politiker, die können das, die sind ja privilegiert. Und sie sind dabei verdammt großzügig. Man muss da nur mal wieder ihre Diätenerhöhungen anschauen. Da sind sie sich nämlich immer einig. Ich weiß schon, warum ich in der Schweiz wohnhaft geblieben bin. In der Schweiz ist zwar auch nicht gerade das Honigkuchenland, aber besser als in Deutschland ist es allemal.«

Da hatte sie bei Philipp gleich den neuralgischen Punkt getroffen. Der Punkt, über den er sich schon seit jeher nervte und den er auch ganz offen kritisierte. Ihm passte das System, Selbstbedienungsladen für Staatsangestellte, schon lange nicht mehr. Für ihn klang es verlockend … viel Geld zu verdienen, um aus dem System aussteigen zu können. Er wollte mehr darüber erfahren. Dass es illegal sein könnte, schob er vorerst einmal beiseite. Man durfte nicht blauäugig sein … die Welt war doch korrupt, durch und durch, einschließlich der Politiker. Warum sollte sich das Leben der Normalbürger strenger an den Gesetzen orientieren, als das der Gesetzeshüter? Wie bemerkte Angelina doch richtigerweise: ›Dass in Deutschland überhaupt noch jemand einer EHRLICHEN Arbeit nachgeht ist eigentlich verwunderlich‹

»Du musst mir unbedingt mehr darüber erzählen, Angelina«, bat Philipp. »Das interessiert mich. Vielleicht mache ich mit beim Geschäft«, zog er eine mögliche Zusammenarbeit in Betracht.

Angelinas Gesicht wurde ziemlich ernst. »Philipp, ich muss sehr vorsichtig sein. Ich kann keine Details bekanntgeben. Es ist mir zu heikel. Ich könnte große Probleme bekommen, wenn du mit jemandem darüber sprichst«, sagte sie, und man spürte ihre Sorge.

»Mit wem sollte ich denn darüber sprechen? Wenn mir das Geschäft zusagt und ich wirklich profitieren kann, dann würde ich auf jeden Fall gerne dabei sein. Wenn nicht, dann kommt es für mich nicht in Frage, und dann gibt es für mich auch keinen Grund, mit irgendjemandem darüber zu sprechen. So einfach ist das. Niemals jedoch würde ich dir in den Rücken fallen. Das weißt du doch Liebste.«

»Mit deiner Frau zum Beispiel, könntest du sprechen«, meinte Angelina.

»Du weißt doch, dass meine Frau ein Eigenleben führt. Das hatte ich dir doch erzählt. Daniela geht ihre Wege und ich mittlerweile meine. Aber darüber hatten wir beide uns schon oft genug ausgesprochen, da brauche ich nichts mehr zu erklären, außer dies eine noch: durch diese wenigen Berührungspunkte haben meine Frau und ich jetzt kaum mehr Grund, uns zu streiten. Somit sind alle zufrieden, außerhalb und innerhalb der eigenen vier Wände.«

»Weiß sie von deinen Eskapaden? Oder konntest du unsere Beziehung bis jetzt geheim halten?«, wollte Angelina wissen.

»Du weißt doch, nicht einmal hier in der Firma hat jemand etwas gemerkt, so gut konnten wir uns verstecken. Und Daniela weiß zweimal nichts. Ich war nicht so dumm, mein Verhältnis so öffentlich in den eigenen vier Wänden zu praktizieren, wie sie es tut. Facebook ist ja nicht gerade das ideale diskrete Medium für heimliches Liebesgeplänkel. Da waren die beiden nicht besonders phantasievoll. Und sollte sie von meinen Eskapaden, wenn nicht gewusst, so doch etwas gespürt haben, so hat sie keinen Grund mir Vorwürfe zu machen. Sie sitzt nämlich mit einem Sack voller Steine im Glashaus.«

»Das meinte ich nicht … wegen der Vorwürfe. Es ging mir nur darum, wieviel sie mitbekommen könnte«, erklärte Angelina, »und wie gefährlich sie mir … ähm … uns werden könnte.«