Forschung in der Filterblase - Urs Hafner - E-Book

Forschung in der Filterblase E-Book

Urs Hafner

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Beschreibung

Die Schweizer Hochschulen bauten in den letzten Jahren ihre Kommunikationsstellen massiv aus, insbesondere im Bereich Social Media. Sie erhoffen sich davon die zielgenaue Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Die Bürgerinnen und Bürger sollen besser über die Leistungen der von ihnen finanzierten Forschung informiert werden. Denn unbestritten gilt: In der demokratischen Wissensgesellschaft muss zwischen Forschung und Publikum ein offener Dialog geführt werden, in beiderseitigem Interesse. Doch die Kommunikationsstellen wenden sich von der breiten Öffentlichkeit ab. Sie betreiben primär Reputationsmanagement und Community-Building der aktuellen und künftigen Studierenden, also ihrer "Kunden". Sie kommunizieren wie Unternehmen und vernachlässigen den Diskurs zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Und die Medien übernehmen die professionell aufbereiteten Erfolgsmeldungen dankbar. Wer springt in die Bresche?

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IMPRESSUM

Der Verlag Hier und Jetzt wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.

Mit weiteren Beiträgen haben das Buchprojekt unterstützt:

Dieses Buch ist nach den aktuellen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate werden jedoch in originaler Schreibweise wiedergegeben. Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit […] gekennzeichnet.

Lektorat: Stephanie Mohler, Hier und Jetzt Gestaltung und Satz: Diane Fleury, Freiburg / Miriam Koban, Zürich

ISBN Druckausgabe 978-3-03919-500-8ISBN E-Book 978-3-03919-964-8

E-Book-Herstellung und Auslieferung:Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

© 2020 Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Baden, Schweizwww.hierundjetzt.ch

INHALT

Vorwort von Caspar Hirschi

PROLOG: DIE REALITÄT DES VIRTUELLEN

WISSENSCHAFT KOMMUNIZIEREN: VON DER DEMONSTRATION ZUR PARTIZIPATION

Vergessene Anfänge

Public Understanding of Science

Dialog, Partizipation und Citizen Science

DEMOKRATIE SCHAFFEN: DIE ÖFFENTLICHKEIT UND DIE WISSENSCHAFTEN

Kommunikativ handeln

Helvetischer Pragmatismus

Digitalisierte Granulate

IN DER OFFENSIVE: DIE KOMMUNIKATION DER SCHWEIZER HOCHSCHULEN

Privilegierte: ETH Zürich und ETH Lausanne

Drei symptomatische Fälle: St. Gallen, Tessin, Basel

Das System Westschweiz

Die Fachhochschulen

IM DIENSTLEISTUNGSMODUS: DIE WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION

Der Nutzen der Organisation

Social Media: Keine Wunderwaffe

Reputation vor Öffentlichkeit

Der Spielraum des Monopolisten

UNTER DRUCK: DER WISSENSCHAFTSJOURNALISMUS

Die vierte Gewalt – subjektiv

Macher, Auftragnehmer, Freischaffender

Copy and paste

AUF EIGENE FAUST: FORSCHENDE UND IHRE FOLLOWER

It’s the economy, stupid!

Geschichte der Gegenwart

Jenseits von Twitter

GUT ERZÄHLEN: VIER THESEN

EPILOG: MIT BILDUNG BESSER LEBEN

Anmerkungen

Literatur

Interviews

Umfrage

Autor

VORWORT

Caspar Hirschi

Noch nie haben Schweizer Hochschulen so viel für ihre Reputation getan, und noch nie war ihre Reputation so fragil wie heute. Jede Forschungs- und Lehrstätte, von den ETH über die Universitäten bis zu den Fachhochschulen, beschäftigt einen Trupp von Kommunikationsprofis, die über zahlreiche Kanäle alter und neuer Medien gute Nachrichten aus dem eigenen Haus in die Welt setzen. Zu den bevorzugten Themen gehören: prestigeträchtige Publikationen, erfreuliche Rankingplatzierungen, erhaltene Preise, Spenden und Qualitätszertifikate, eingeworbene Forschungsmillionen, Inbetriebnahmen neuer Gebäude, Laboreinrichtungen oder Supercomputer, Vorträge bekannter Persönlichkeiten. So ergiesst sich aus den Kommunikationsabteilungen eine Good-News-Lawine, die den Eindruck erwecken könnte, alle Hochschulen unseres Landes befänden sich dank der harten Arbeit und hohen Intelligenz ihres Forschungspersonals in einer beständigen Aufwärtsspirale und seien dabei allein dem Ziel verpflichtet, die Gesellschaft mit dem Segen des wissenschaftlichen Fortschritts zu beglücken.

Wenn sich dieser Eindruck trotz aller Bemühungen nur selten einstellt, so hat dies damit zu tun, dass die gleichen Kommunikationsabteilungen immer öfter mit einer zweiten Aufgabe der konträren Art beschäftigt sind. Sie trägt den euphemistischen Namen «Issue Management» und besteht darin, schlechte Nachrichten über die Hochschule kommunikativ zu bewältigen. Es sind Nachrichten, die oft auf verschlungenen Wegen an die Öffentlichkeit gelangt sind, sei es, weil sie von offizieller Stelle zurückgehalten oder aus rechtlichen Gründen nicht kommuniziert werden konnten. Sind sie einmal bekannt, fällt es den Kommunikationsabteilungen schwer, die mediale Diskussion über ihre Hochschule unter Kontrolle zu bringen. Mal für Mal steigert sich eine punktuelle Kritik an einzelnen Akteuren oder Abteilungen zur Skandalisierung der gesamten Institution. In jüngerer Zeit waren davon vor allem prominente Lehr- und Forschungsanstalten wie die Universität Zürich, die HSG oder die ETH betroffen. Sie gerieten wegen Vorwürfen professoralen Fehlverhaltens in den Strudel öffentlicher Skandale, die sich monatelang hinzogen und sich dabei sukzessive ausweiteten, sodass in mehr als einem Fall nicht nur die kritisierten Professorinnen und Professoren, sondern selbst die Rektoren zum Rücktritt gezwungen wurden. Hat sich eine Hochschule eine hohe Reputation aufgebaut, fällt der Schaden durch Skandale umso grösser aus.

Angesichts der schroffen Gegensätze, die das Bild der Schweizer Hochschulen in der heutigen Medienlandschaft prägen, könnte man meinen, die Arbeit in akademischen Kommunikationsabteilungen sei ideal zugeschnitten auf Menschen mit manisch-depressiver Veranlagung. Tatsächlich legen die meisten Kommunikationsprofis aber einen professionellen Pragmatismus an den Tag, als sei die parallele Verbreitung von guten und die Verarbeitung von schlechten Nachrichten die einzig mögliche Normalität der Wissenschaftskommunikation. Vielleicht haben sie damit sogar recht, nur stellt sich dann umso mehr die Frage, warum die institutionelle Wissenschaftskommunikation in Extremen operiert und dabei den grössten Teil des Hochschulalltags, der sich wie in jeder anderen öffentlichen Institution zwischen diesen Extremen abspielt, kaum darstellen kann.

Wer dieser Frage nachgehen möchte, kommt um Urs Hafners Buch über die Wissenschaftskommunikation von Schweizer Hochschulen nicht herum. Liest man es, versteht man, dass die beiden Bilder der segensreichen und der skandalträchtigen Universität zwei Seiten derselben Medaille sind und sowohl mit den neoliberalen Reformen an Hochschulen als auch mit dem digitalen Wandel der Medien zusammenhängen.

Hafner nimmt in der hiesigen Forschungslandschaft eine Position ein, die ihn für eine Untersuchung dieses Themas geradezu prädestiniert. Erstens war er von 2007 bis 2014 Chefredaktor des Magazins Horizonte und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit für Sozial- und Geisteswissenschaften des Schweizerischen Nationalfonds. Er kennt damit die Bedingungen der institutionellen Wissenschaftskommunikation aus eigener Erfahrung. Zweitens hat er als Autor für den Wissensbund der WOZ und für das Feuilleton der NZZ auch die journalistische Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Geschehen miterlebt und mitgestaltet. Drittens besitzt er als Historiker und freischaffender Wissenschaftsjournalist die nötige Distanz und Unabhängigkeit für eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Untersuchungsgegenstand.

Tatsächlich ist dieses Buch von einem intellektuellen Engagement getragen, mit dem Hafner die gegenwärtige Situation der Wissenschaftskommunikation erst geschichtlich einbettet und dann einer systematischen Kritik unterzieht. Er diagnostiziert ein Ungleichgewicht, dem zwei konträre Entwicklungen zugrunde liegen. Zum einen werden Kommunikationsabteilungen von Hochschulen in Nachahmung der privatwirtschaftlichen Corporate Communication stark aufgerüstet, zum anderen die Wissenschaftsressorts unabhängiger Medien im Zuge der Digitalisierung sukzessive ausgedünnt. In der Westschweiz ist dieser Prozess am weitesten fortgeschritten. Während die ETH Lausanne fast zwei Dutzend Vollzeitstellen in ihrer Kommunikationsabteilung hat, beschäftigen die französischsprachigen Tages- und Wochenzeitungen kaum noch Wissenschaftsjournalisten. Dadurch fliessen sowohl die Selbstanpreisungen der Hochschulen als auch die Skandalisierungen universitätsinterner Vorgänge im Internet fast ungefiltert in die Medien. Das polarisierte Meinungsbild hat auch strukturelle Ursachen.

Urs Hafner legt mit diesem Buch keine abschliessende Bestandsaufnahme, sondern eine anregende Diskussionsvorlage für die künftige Gestaltung der Wissenschaftskommunikation und des Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz vor. Zu diesem Zweck stellt er abschliessend mehrere Forderungen auf, wie sich die Forschung aus der «Filterblase» der aktuellen Wissenschaftskommunikation befreien kann. Sie verdienen eine fundierte Prüfung. Es ist zu hoffen, dass Wissenschaftlerinnen und Praktiker auf dem Gebiet der Wissenschaftskommunikation die von Hafner beklagte Ängstlichkeit ablegen und sich auf eine offene Diskussion seiner Befunde und Korrekturvorschläge einlassen.

«Caspar Hirschi ist Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität St. Gallen und forscht unter anderem zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik.»

Prolog: Die Realität des Virtuellen

Wie wird heute, im digitalen Zeitalter mit seinen Social Media und den kriselnden Massenmedien, Wissenschaft öffentlich? Auf welchen Wegen gelangen in der Schweiz die Forschungsergebnisse zum Publikum, und welche? Erreichen wissenschaftliche Inhalte nun via soziale Netzwerke fast alle Bürgerinnen und Bürger? Kann man Wissen twittern – und wenn ja, welches? Nur das positivistische? Und wieso gilt die Vermittlung akademischen Wissens überhaupt als wichtig? Wenigstens daran besteht kein Zweifel: Mit der sogenannten Wissenschaftskommunikation, die hauptsächlich von den Hochschulen betrieben wird, kümmert sich eine wachsende Branche um den Wissenstransfer in die Öffentlichkeit. Und daneben sind weitere Akteure aktiv: Wissenschaftsjournalistinnen und Forschende. Einige haben sich auf Twitter eine beachtliche Gefolgschaft aufgebaut.

Auf die sozialen Netzwerke möchte ich hier besonders eingehen, weil sie unsere Kommunikationsgewohnheiten und Mediennutzung verändern. Ich meine vor allem Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, LinkedIn und Blogs – und davon nicht zu trennen die Webseiten, zu denen die Kanäle und ihre mit Bewegtbildern animierten Nachrichten meist führen, ob sie nun von einer Hochschule, einem Medienunternehmen oder von Privatpersonen betrieben werden. Fast jede Nachricht im Web zirkuliert heute zunächst als Tweet, als Post oder vielleicht auch als E-Mail – und fast immer kostenfrei. Das Internet und die Gratisökonomie pflügen den Nachrichtenverkehr um: immer mehr, immer schneller, immer kürzer. Die Bezahlschranken, welche die Medienunternehmen im Netz errichten, haben an der Beschleunigung nichts geändert. Wohin diese uns führen wird, darüber rätseln die Medienauguren. Lange hatten die Optimisten die Oberhand: Das Netz habe jegliche Kommunikation demokratisiert, alle könnten sich nun frei äussern und miteinander austauschen. Mittlerweile überwiegt die Skepsis: Die berüchtigten digitalen Filterblasen führten zur Isolierung der Bürgerinnen und Bürger. Indem sich jeder in seinem eigenen virtuellen Spiegelkabinett einrichte, schotte er sich von der realen Welt ab.

Es gibt kein Zurück, aber gibt es ein Vorwärts? Manche wollen das Reale ausgerechnet mit dem Virtuellen zurückgewinnen. 2018 präsentierte das Historische Museum Basel aus Anlass von Jacob Burckhardts 200. Geburtstag zusammen mit der Universität die wissenschaftskommunikative 3-D-Installation «Desktop». Indem sich die Besucherin ein klobiges Brillengestell aufsetzte, verband sie sich mit dem Internet, wo sie in eine virtuelle Welt eintauchte. Das Gerät heisst VR-Brille (VR für Virtual Reality) oder auch Artificial-Reality- oder Mixed-Reality-Brille. Jacob Burckhardt, der so originelle wie reaktionäre Historiker des 19. Jahrhunderts, der fast nur mehr Fachhistorikern bekannt ist, bildet die VR-Ausnahme. Die Regel heisst: Sex und Gewalt, vielleicht auch Design und Kunst. Auch wenn heute global nur rund zwanzig Millionen VR-Brillen in Umlauf sind: Gemäss ihren enthusiastischen Promotoren sind sie «the next big thing». Die VR werde Smartphones und Laptops verdrängen, denen sie haushoch überlegen sei. Bald würden wir nur noch mit solchen – natürlich viel angenehmer zu tragenden – Geräten kommunizieren, Musik hören, arbeiten, uns zerstreuen, einkaufen und Massenmedien konsumieren.

Kann man Burckhardt mit VR in die Gegenwart holen, die Massenmedien für den entlegenen Gegenstand erwärmen, ein junges Publikum für geschichtstheoretische Überlegungen begeistern? Das war der Plan. Sicher ist: Hätte man Burckhardt wie bei seinen letzten Jubiläen eine klassische Museumsausstellung gewidmet, die seinen Schreibtisch, Bilder aus seinem Leben und seine Manuskripte gezeigt hätte, wären die bildungsbürgerlich Interessierten unter sich geblieben. «Desktop» wollte genau das nicht, sondern mithilfe der neuen Medien die Grenzen zum wissenschaftsfernen Publikum überschreiten und diesem die Wissenschaft des Jacob Burckhardt und seiner Historiografie kommunizieren.

Das Resultat ist zwiespältig. Unverkennbar ist einerseits der Mut, mit der Installation Leute zu erreichen, die zwar nicht mit Burckhardt, aber mit Virtual Reality vertraut sind – also ein jüngeres und technikaffines, vermutlich überwiegend männliches Publikum. Allerdings bezwang das mit Wissenschaften und Bürgerkultur nicht vertraute Publikum die hohe Hürde «Museum» kaum. Und selbst wenn es sich in den künstlerisch gestalteten Burckhardt-Raum begeben hätte: Es hätte zur Figur Jacob Burckhardt, zum Historismus, zu Burckhardts Renaissance, zur Historiografie, zum Sinn des Historischen, zum Rassismus des 19. Jahrhunderts nicht viel erfahren.

Zugegeben: Der Kommunikation und Vermittlung von Wissenschaft geht es nicht mehr darum, das unwissende Publikum mit Wissen zu versorgen und sein Bildungsdefizit zu beheben. Die Wissenschaftskommunikation sowie der Wissenschaftsjournalismus sollten weder nach dem Modell des Lexikons noch des Wissensquiz funktionieren. Aber: Was könnten dann das Ziel und der Effekt der Vermittlung von Wissenschaft, einer Ausstellung oder Installation zum Beispiel zu Jacob Burckhardt sein? Wird VR die Wissenschaftskommunikation erobern? Ich riskiere keine Prognose. Mein Buch hält den Stand der Wissenschaftskommunikation in der Schweiz fest. Die Zukunft wird weisen, was die Analyse taugt.

Zuerst wird Definitionsarbeit geleistet: Da die Begriffe Wissenschaftskommunikation, Wissenschaftspopularisierung und Wissenschaftsjournalismus nicht trennscharf benutzt werden, versuche ich zu klären. Das Kapitel öffnet zudem den historischen Raum: Wissenschaftskommunikation ist nicht neu. Ihre Anfänge datieren ins 19. Jahrhundert, als es noch keine Kommunikationsabteilungen gab, als aber prominente Professoren insbesondere die Naturwissenschaften popularisierten. Danach wende ich mich dem Verhältnis von Wissenschaften und Öffentlichkeit in Wissensgesellschaften zu. Die Bestimmung des Verhältnisses ist grundlegend für dieses Buch: Wenn die Entstehung der Demokratie und der Wissenschaften miteinander verknüpft sind, wie der Sozialphilosoph Jürgen Habermas behauptet, dann ist die Kommunikation der Wissenschaften mit der Res publica bedeutsam. In diesem Kapitel wird diskutiert, ob die beiden Systeme – Wissenschaft und Politik – überhaupt miteinander kommunizieren können und wozu diese Kommunikation gut sein soll. In der Schweiz ist in der politischen Sphäre eine ganz besondere Vorstellung von Bildung, Wissenschaft und Forschung dominant. Es regiert der Pragmatismus.

Weiter werden die Hochschulen beziehungsweise ihre Kommunikationsabteilungen ins Visier genommen. Sie sind in der Schweiz die wichtigsten Produzentinnen von Wissenschaftsnews. In den letzten zwanzig Jahren haben sie einen rasanten Aufstieg erlebt. Manche besitzen gar eine Videoabteilung und ein Fernsehstudio. Ich präsentiere drei für meine Fragen aufschlussreiche Fälle: die Universitäten St. Gallen, Tessin und Basel. St. Gallen ist eine Vorreiterin der multimedial-digitalen Kommunikation; viele Abteilungen würden gerne so produzieren. Die kleine Università della Svizzera italiana (USI) arbeitet nach einem neuen Konzept, das die Kommunikation nahtlos in die Wettbewerbsstrategie der Universität einbindet; auch dies schwebt nicht wenigen Hochschulen als Ideal vor. Basel schliesslich, eine mittelgrosse Volluniversität, setzt mit breiter Themenpalette pragmatisch auf den digitalen Wandel. Ihre Wissenschaftskommunikation steht für die der meisten Universitäten: Sie präferiert einen journalistischen Ansatz, der seine Grenzen am Ruf der Institution findet, der keinen Schaden nehmen darf. Zudem werfe ich einen Blick auf das «System Westschweiz» und die Fachhochschulen. Nicht zuletzt präsentiere ich Zahlen zur Social-Media-Kommunikation der universitären Hochschulen.

Es zeigt sich: Die Reputation der Hochschulen steht über allem. Hat die Studentin noch vor zwanzig Jahren ihr Fach an einer Universität belegt, so studiert sie heute bei einem «UZH-Forscher». Das Branding der Hochschulen – UZH steht natürlich für Universität Zürich – und die Hervorhebung ihrer Forschungserfolge gehen einher mit ihrer unternehmerischen Profilierung und dem verschärften Bildungswettbewerb. Auf kommunikativer Ebene stechen die Institutionen des Bundes, die Eidgenössischen Technischen Hochschulen, hervor. Die neuen Möglichkeiten werden von den Wissenschaftskommunikatoren nicht nur als Chance und Bereicherung, sondern auch als Überforderung wahrgenommen. Eine mögliche Antwort darauf ist: Masse. Es sieht so aus, als ob der Bann der Quantität heraufzöge: «Post it or perish!» – um die berüchtigte, mittlerweile selbst von Forschungsförderungsorganisationen unter Beschuss geratene Wissenschaftlerdevise «publish or perish» zu paraphrasieren.

Heute ist die Wissenschaftskommunikation in der Öffentlichkeit viel stärker präsent als der üblicherweise auf die Naturwissenschaften ausgerichtete Wissenschaftsjournalismus. Diesem widmet sich das Kapitel «Unter Druck: Der Wissenschaftsjournalismus»: Wie ist er in der Schweiz aufgestellt, wie geht er den Umbruch in den Medien an? Dass der Wissenschaftsjournalismus mit Existenznöten kämpft, ist kein neuer Befund, macht diesen deswegen aber nicht weniger akut. In der Demokratietheorie der Gewaltenteilung kommt dem Wissenschaftsjournalismus eine wichtige Funktion zu: Er soll den Bürgerinnen und Bürgern dabei helfen, darüber zu diskutieren, welche Forschung die Gesellschaft braucht. Und er sollte das Forschungsmanagement aufmerksam beobachten.

Schliesslich werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die selbst Wissenschaft unter die Leute bringen, porträtiert. Ihre Tätigkeit wird vom Aufstieg der sozialen Netzwerke begünstigt. Manche Professorinnen setzen auf Twitter, andere auf Blogs und Webportale. Die Forschenden erzielen zum Teil erstaunliche Reichweiten, und sie kommen direkt mit den Medien in Kontakt, ohne die Vermittlung von Kommunikationsprofis. Allerdings zeigt sich, dass sie die nichtakademische Öffentlichkeit in der Regel kaum erreichen.

Das Fazit ziehe ich in Form von vier Thesen: Die konstatierten Sachverhalte sowie die Lösungsvorschläge werden provokativ zugespitzt. Sie sollen die Realität transzendieren. Drei Begriffe sind zentral: Reputationsmanagement, Erwartungsüberschuss, Reflexionswissen. Sie verdichten die Mängel wie auch das Potenzial der Wissenschaftskommunikation und des Wissenschaftsjournalismus. Wahrscheinlich stärkt die intensivierte Nutzung der sozialen Netzwerke das Erscheinungsbild der Hochschulen. Für das vertiefte Verständnis der Wissenschaften in der Öffentlichkeit leisten die Social Media aber wenig. Dafür bräuchte es einen radikalen Wissenschaftsjournalismus.

Wozu soll die Kommunikation der Ergebnisse der Wissenschaften, also die an die Öffentlichkeit gerichteten Mitteilungen zur Praxis der Forschung, gut sein, wenn nicht für die Gestaltung einer für alle lebenswerten Gesellschaft? Zu glauben, dieses Ziel erreichten die Wissenschaften und ihre Verwalter von sich aus, hiesse einmal mehr, einer technokratischen Fantasie aufzusitzen – wie es die Apostel der Digitaltechnik tun, wenn sie verkünden, die «Science» werde mit «Big Data» die Demokratie retten. Plato schwebte ähnliches vor, einfach ohne Netz. Es ist komplizierter. Der Historiker Walter Scheidel hat kürzlich zu bedenken gegeben, dass vielleicht bald eine «biomechatronisch» optimierte Elite über die Normalsterblichen herrschen werde.1 Die Segnungen der Technik kommen nicht allen zugute. Es ist umgekehrt: Wenn schon, müssen die Bürgerinnen und Bürger die Demokratie retten. Die Wissenschaften können ihnen dabei nur helfen, wenn sie sich ihrerseits helfen lassen von den Kommunikatorinnen und Journalisten.

Dieses Buch hat den Anspruch, eine dichte Beschreibung der wissenschaftskommunikativen Landschaft der Schweiz zu liefern. Zum einen schöpfe ich aus meiner langjährigen Erfahrung als Wissenschaftsjournalist und Wissenschaftskommunikator (so habe ich von 2007 bis 2014 für den Schweizerischen Nationalfonds die Öffentlichkeitsarbeit für die Sozial- und Geisteswissenschaften verantwortet). Zum anderen habe ich für diese Studie über dreissig Interviews geführt, überwiegend mit den Kommunikationschefs von Schweizer Hochschulen, dazu mit Wissenschaftsjournalisten und kommunikationsaffinen Professorinnen. Ergänzend habe ich unter den Hochschulen eine Umfrage zum Social-Media-Gebrauch gemacht sowie ihre Webseiten, sozialen Netzwerke und Wissenschaftsmagazine analysiert (siehe Anhang). Vier der Interviews habe ich in San Francisco, Berkeley und Stanford geführt. Die letzten Recherchen und der Abschluss des Buches erfolgten in San Francisco.

Dank der Unterstützung von Swissnex San Francisco, einer Einrichtung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation, haben viele Kommunikationsstellen von Schweizer Hochschulen den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft. Ich meinerseits bin Swissnex dankbar für die Benutzung seiner Online-Umfragen sowie die freundliche Betreuung vor Ort und die Begleichung meiner Mietkosten. Apropos Geld: Dieses Buch ist grosszügig von der Gebert Rüf Stiftung finanziert worden. Für die Druckkosten ist unkompliziert die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften aufgekommen. Namentlich geht mein herzlicher Dank an: Michael Bürgi, Jon Mathieu, Marco Vencato und Mirjam Janett für das Gegenlesen und Kommentieren des Manuskripts, Philipp Dubach für Hinweise auf die US-Ökonomen-Blogszene, Sheila Fakurnejad für die Vermittlung der Kontakte in San Francisco und schliesslich alle Interviewpartnerinnen und -partner für die Zeit, die sie sich genommen haben.

Wissenschaft kommunizieren: Von der Demonstration zur Partizipation

Wenn eine Professorin einen Tweet mit Link zu einem ihrer Paper oder in einer Zeitung einen Artikel veröffentlicht, wenn die Kommunikationsstelle einer Universität eine Medienmitteilung publiziert oder den Kurzfilm zu einem neuen Labor auf YouTube hochlädt, wenn ein Massenmedium über ein neues Forschungsresultat oder die Verleihung eines Wissenschaftspreises berichtet, wenn schliesslich Forschende sich mit anderen Forschenden oder mit Laien über ihre Arbeit unterhalten: Dann werden in der einen oder anderen Weise Wissenschaft und Wissen vermittelt und – kommuniziert. Die Wissenschaftskommunikation ist in vieler Munde, der Begriff deckt ein weites Feld ab. Er ist also unscharf. Wer sich mit anderen über Wissenschaftskommunikation unterhält, kommt nicht umhin, den Begriff zu klären. Zuweilen wird er gar mit Kommunikationswissenschaft verwechselt: Dann ist die babylonische Verwirrung garantiert. Der Begriff fordert von seinen Benutzerinnen und Benutzern also definitorische Klärung ein, mithin kommunikatives Handeln im Sinne des Sozialphilosophen Jürgen Habermas: Was meinen wir und warum, wenn wir zu anderen von Wissenschaftskommunikation reden?2

Der Kommunikationswissenschaftler Mike S. Schäfer, eine der führenden Stimmen an der Forschungsfront zur Wissenschaftskommunikation, hat folgende Definition aufgestellt: «Wir verstehen Wissenschaftskommunikation als alle Formen von auf wissenschaftliches Wissen oder wissenschaftliche Arbeit fokussierter Kommunikation, sowohl innerhalb als auch ausserhalb der institutionalisierten Wissenschaft, inklusive ihrer Produktion, Inhalte, Nutzung und Wirkungen.»3 Die Definition besagt, dass sowohl interne und externe, also nach aussen gerichtete Wissenschaftskommunikation, als auch Wissenschaftsjournalismus, Wissenschafts-PR und schliesslich auch Wissenstransfer und Wissenskommunikation zur Wissenschaftskommunikation zählen. Kurzum: Alles, was kommunikativ irgendwie mit Wissenschaft zu tun hat, fällt unter Wissenschaftskommunikation, selbst die Versuche der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ihr Wissen nicht nur einem breiteren Publikum, sondern auch fachfremden Kollegen näherzubringen.

Diese Definition geht zu weit. Wenn fast alles Wissenschaftskommunikation ist, verschwinden die Grenzen und ist am Ende fast nichts mehr Wissenschaftskommunikation. Der Makel der Definition besteht nicht zuletzt darin, die Unterschiede zwischen erstens den Texten und Produkten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, zweitens der Public Relations und drittens des Wissenschaftsjournalismus zu verwischen. Die drei Felder unterscheiden sich kategorial. Die verschiedenen Akteure, nämlich die Wissenschaftlerin, der für ein Massenmedium arbeitende Wissenschaftsjournalist und die Wissenschaftsjournalistin, die in einer Hochschulkommunikationsabteilung angestellt ist, haben je unterschiedliche Kommunikationsmotive und -interessen. Daher sind ihre Äusserungen voneinander abzugrenzen. Als Wissenschaftskommunikation bezeichne ich nur die Anstrengungen öffentlicher – theoretisch: auch privater –, sich mit Wissenschaft und Forschung beschäftigender Institutionen, die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeiten und Resultate zu informieren, die klassische PR eben.

Die Wissenschaftskommunikation ist mit den PR und dem Marketing Teil der Corporate Communication, der Unternehmenskommunikation einer Institution. Während Letztere sich mit der internen und externen Kommunikation von allem Möglichen beschäftigt, etwa dem Budget, der Strategie, Personalia und Kooperationen – und diese Kommunikation erfolgt selbstredend im Interesse der Institution –, kümmert sich die Wissenschaftskommunikation nur um die Wissenschaft und Forschung der Institution, traditionell um deren Resultate. Dem Begriff eignet ein Moment neutraler Vermittlung und Übersetzung: Die Wissenschaftskommunikation informiert die Öffentlichkeit zwar nicht unabhängig, aber sachlich korrekt über das Tun der Forschenden. Sie sagt wertfrei, was Sache ist, und gilt als das Gegenteil von Fake News. Dass sie Teil der PR ist, der beispielsweise auch das Marketing unterstellt ist, geht oft vergessen.

Die Grenzen zwischen Wissenschaftskommunikation, PR und Marketing sind fliessend. Wenn etwa die Kommunikationsabteilung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) Studierende, oder wenn eine Hochschule Maturanden mittels der Berichterstattung über Wissenschaften dafür begeistern will, künftig vom Angebot der Institution Gebrauch zu machen, also sich um finanzielle Unterstützung zu bewerben oder ein Studium aufzunehmen, dann geht Wissenschaftskommunikation in das Marketing über und umgekehrt. Bezeichnenderweise ist in diesem Fall die Rede von «Kunden». Wenn aber die Hochschule mit passgenauen Aktivitäten in den sozialen Netzwerken, etwa mit hübschen Stimmungsbildern vom Hauptgebäude der Institution, möglichst talentierte und wohlhabende Studierende aus dem Ausland akquiriert, um so ihre Stellung im Konkurrenzkampf zu verbessern, ist das nicht weniger Marketing, als wenn die Weiterbildungsabteilung mit Inseraten um zahlungskräftige Absolventen ihrer MAS-Kurse buhlt. Der Unterschied zwischen Marketing und Wissenschaftskommunikation ist den meisten Hochschulen bewusst: Ersteres ist Werbung und Reklame, Letztere vermittelt quasi objektiv Resultate. Selbst wenn die beiden Bereiche auf dem Organigramm der gleichen Einheit angehören, sind sie räumlich und organisatorisch getrennt – was natürlich nicht ausschliesst, dass die Wissenschaftskommunikation dennoch im Dienst des Marketings erfolgt.

Ebenfalls keine Wissenschaftskommunikation liegt vor, wenn etwa der SNF die Mitarbeiterinnen seines Generalsekretariats über seinen Betriebsausflug orientiert oder seine Beitragsbezüger über ein neues Gesuchsformular – nur schon aus dem simplen Grund, weil es nicht um wissenschaftliche Inhalte geht. Das rechtzeitige und korrekte Ausfüllen des richtigen Formulars mag, falls die Handlung eine finanzielle Unterstützung zur Folge hat, die wissenschaftliche Arbeit überhaupt erst ermöglichen oder erleichtern, hat aber mit Forschung nichts zu tun. Die Wissenschaftskommunikation der Kommunikationsabteilung adressiert traditionell die breite Öffentlichkeit, während die institutionelle Kommunikation sich oft nur an die interne Belegschaft richtet oder beispielsweise an den Auftrag- oder Finanzgeber. Die Ausdifferenzierung der Zielpublika der Kommunikation ist eine neuere Erscheinung; in ihren ebenfalls noch nicht weit zurückliegenden Anfängen hiess die «Communication» oder «Com» oft einfach Presseabteilung oder Pressedienst, weil die Massenmedien der mit Abstand wichtigste Adressat waren.

Die adressierte Öffentlichkeit der Wissenschaftskommunikation sind im Sinne Habermas’ die Bürgerinnen und Bürger, die sinnierend und diskutierend, also kommunikativ handelnd an der Demokratie teilhaben, ob sie nun die Staatsbürgerschaft besitzen oder nicht. Auch wenn die Wissenschaftskommunikation aus der breiten Öffentlichkeit Teilöffentlichkeiten und Zielpublika herauspickt, die sie erreichen will – seien es die Jungen, die Alten oder die Wissenschaftsfernen –, wird sie die Allgemeinheit, die Res publica, nicht ausschliessen, im Gegenteil. In diesem Punkt treffen sich Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus. Stets hat die Wissenschaftskommunikation ihren Informationsauftrag vor Augen: Sie soll die Bürgerinnen und Bürger befähigen, informiert über die Belange des Gemeinwesens zu streiten und fundierte Entscheide zu treffen. Öffentliche Hochschulen oder Forschungsförderungsinstitutionen sind in der Regel gesetzlich verpflichtet, die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeiten zu informieren.

Das Universitätsgesetz des Kantons Neuenburg etwa legt fest, dass die Universität durch die Vermittlung ihrer Forschungsresultate dazu beitrage, den Wissensstand der Gesellschaft zu vergrössern (Art. 2, Abs. 3). Der SNF verpflichtet sich in seinen Statuten, dass seine Geschäftsstelle «für die Valorisierung der Förderungstätigkeit […] und für eine wirkungsvolle Kommunikation mit der Öffentlichkeit» sorgt (Art. 27 d).4 Doch selbst wenn die Institutionen gesetzlich nicht dazu verpflichtet wären, würden sie die Informationstätigkeiten ohnehin unterhalten – im Eigeninteresse. Heute betreibt jede Wissenschafts- und Forschungsinstitution eine mehr oder weniger ausgefeilte Kommunikation und Wissenschaftskommunikation. Und auch wenn diese anders als das Marketing nichts verkauft und um keine Kundinnen wirbt, läuft sie letztlich und implizit auf Imagepflege, Reputationsaufbau und mehr oder weniger erfolgreiche Werbung in eigener Sache hinaus.

Die Wissenschaftskommunikation der Institutionen kann unterschiedlich ausfallen: Sie kann übertrieben sein, sachlich, marktschreierisch, akademisch, poppig, angemessen und so weiter – aber immer wird sie darauf bedacht sein, ihre Institution nicht in einem nachteiligen Licht erscheinen zu lassen. Dies ist das Grundgesetz der Wissenschaftskommunikation, die Teil der PR ist. Sie ist Wissenschaftspromotion. Und sie wird nie dem Willen, den Absichten und Resultaten der Forschenden widersprechen: Sie steht in deren Diensten, sie ist deren Dienstleisterin. In diesem Punkt unterscheiden sich Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus. Wenn der Wissenschaftler findet, dass die Wissenschaftskommunikatoren seine Forschung falsch oder trivial darstellen, werden diese die Darstellung den Wünschen des Wissenschaftlers anpassen – selbst wenn sie überzeugt sind, dass ihre Darstellung verständlicher, adäquater, publikumsgerechter sei. Die Wissenschaftskommunikation ist abhängig nicht nur von der Institution, sondern auch von der Wissenschaft – anders als der Wissenschaftsjournalismus. Wissenschaftskommunikation erfolgt durch Wissenschaftskommunikatoren. Studiengänge in Wissenschaftskommunikation bestehen bis heute allerdings kaum. Sie ist also historisch nicht verwandt mit der Ausbildung in Corporate Communication oder PR. Meist wird die Wissenschaftskommunikation von Leuten betrieben, die aus dem Journalismus oder dem Wissenschaftsjournalismus kommen und idealerweise wissen, wie Forschung funktioniert, also ein Hochschulstudium absolviert oder sogar selbst geforscht haben.

Wenn eine Wissenschaftlerin an ihrer Universität eine Vorlesung hält, ist das noch keine Wissenschaftskommunikation, sondern wissenschaftlicher Diskurs, egal wie verständlich, unverständlich oder exzellent diese Vorlesung auch sein mag. Wenn aber die Wissenschaftlerin ihre Vorlesung in einem Text verdichtet, der auf der Webseite der Kommunikationsabteilung erscheint, ist dies Wissenschaftskommunikation, weil der wissenschaftliche Diskurs den Filter der Kommunikationsabteilung passiert hat. Selbst wenn der Text in der Kommunikationsabteilung nicht verändert wurde: In den Augen des Wissenschaftssystems hat er an wissenschaftlicher Qualität verloren. Man rezipiert die verschriftlichte Vorlesung nicht mehr als reine Wissenschaft, da sie nun im Dienst der PR steht. Und das tut sie tatsächlich. Ein auf der Webseite der Universität publizierter Text eines Wissenschaftlers wird weder Kritik an der Universität noch an Fachkollegen enthalten, auch nicht an solchen einer anderen Schweizer Hochschule. Denkbar hingegen ist, dass eine solche Kritik im Seminar geäussert wird. Die PR schränkt die Äusserungsmöglichkeiten des Wissenschaftlers ein.

Wenn eine Professorin sich nicht an ihre Fachkollegen wendet, sondern mit einem Vortrag an ein nicht wissenschaftliches Publikum, handelt es sich nicht um Wissenschaftskommunikation, weil erstens keine Wissenschaftskommunikatorinnen und zweitens die Institution nicht involviert sind. Wenn Wissenschaftler die Öffentlichkeitsarbeit selbst übernehmen, also sich explizit an ein breites, nicht wissenschaftliches Publikum wenden, spreche ich von Wissenschaftspopularisierung. Als Beispiel ist die Kinderuniversität zu nennen: Wissenschaftler lassen sich möglicherweise von den Wissenschaftskommunikatorinnen ihrer Hochschule oder von Experten für Social Media schulen, treten aber selbst in Kontakt mit den kleinen Kundinnen. Das heisst: Der Wissenschaftler will seine Arbeit aus einem letztlich aufklärerischen Impetus unter das Volk bringen, auch wenn Eigeninteresse oder narzisstische Motive ausschlaggebend sein können. Er will sein Wissen mitteilen; welche Rolle dabei seine Institution spielt, ist ihm egal. Er will sie nicht legitimieren und denkt dabei nicht an ihren Ruf. Und er denkt wohl auch nicht an seine Fachkollegen.

Die Wissenschaftspopularisierung ist mit der Wissenschaftskommunikation und dem Wissenschaftsjournalismus verwandt. Wenn der Wissenschaftskommunikator Wissenschaft kommuniziert, popularisiert er auch, aber der Unterschied bleibt bestehen: Er berichtet über etwas, das er nicht selbst produziert hat, und er berichtet im Interesse der Institution. Die Tätigkeit der Wissenschaftsjournalistin hat auch einen kommunikativen Aspekt, aber sie ist keine PR, sondern eben: Journalismus. Und das heisst definitionsgemäss: subjektiv, investigativ, provokativ, kritisch. Historisch betrachtet geht die Wissenschaftspopularisierung dem Wissenschaftsjournalismus und der Wissenschaftskommunikation voraus. Angesichts des beeindruckenden Aufstiegs der Wissenschaftskommunikation in den letzten beiden Jahrzehnten geht oft vergessen, dass nicht sie die Erfinderin der Vermittlung akademischen Wissens an ein nicht wissenschaftliches Publikum ist. Die Wissenschaftspopularisierung existierte bereits im 18. und 19. Jahrhundert, als es noch keine Kommunikationsexperten gab.

VERGESSENE ANFÄNGE

Schon die Naturforscher des 17. Jahrhunderts wandten sich nicht nur an ihresgleichen, sondern auch an ein interessiertes Publikum. Man unterschied kaum zwischen Wissenschaftlern und Laien – die Trennung bestand noch nicht, weil es weder ein ausdifferenziertes Wissenschaftssystem noch eine eigentlich bürgerliche Öffentlichkeit gab. Die ersten Zuschauer der Demonstrationen der Wissenschaftler waren die höfische Gesellschaft und der Adel. Die Forscher suchten dieses Publikum, weil dessen Status ihren Experimenten Glaubwürdigkeit verlieh. So wohnten den Versuchen des englischen Naturforschers Robert Boyle «Gentlemen» bei, und auch «Galileis Erkenntnisse [bedurften] der Patronage des Grossherzogs der Toskana, um ‹epistemologische Würde› zu erlangen», wie der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart schreibt.5

Im 18. Jahrhundert weitete sich das Publikum aus, zumal zahllose Amateurwissenschaftler die Bühne betraten. Öffentliche Demonstrationen von Experimenten mit Überraschungseffekten und Unterhaltungswert bezogen das Publikum mit ein: im vornehmen Salon, in der Akademie (die der Universität vorausging), im Hörsaal der Universität, im Kaffeehaus, vor der Jahrmarktsbude und zunehmend auch in den Zeitschriften. Eine bürgerliche Öffentlichkeit entstand. Sie liess sich von den Wissenschaften verblüffen und war für diese eine Garantin der Wissenschaftlichkeit. Ohne Publikum hätten die Wissenschaften keine Gewähr gehabt, dass sie valide waren. Und sie wollten ihr Publikum nicht nur belehren oder aufklären, sondern auch amüsieren und unterhalten. Diese zwei Aspekte einer wissenschaftskommunikativen Beziehung sollten bis zur Jahrtausendwende fast vollständig verschwinden.

Im 19. Jahrhundert veränderte sich das Feld der Wissenschaften: Mit neuen Akademien, Universitäten, technischen Hochschulen, Experimentierräumen und Labors entstanden spezielle Orte, an denen wissenschaftliches Wissen gelehrt und produziert wurde. Sie waren nicht für ein Publikum gedacht. Die neuen naturwissenschaftlichen Präzisionsinstrumente mussten von ihm abgeschottet werden, da seine Anwesenheit die Messresultate verfälscht hätte. Das Forschungsphänomen wurde nicht mehr unmittelbar demonstriert, sondern nachträglich mit mittelbaren Darstellungen bezeugt, insbesondere mit Texten. Auszunehmen von dieser Entwicklung sind die Geisteswissenschaften: Ihre Spezialisierung hat sie nie im gleichen Masse von der Öffentlichkeit entfernt wie die Naturwissenschaften. Viele prominente Historiker, Philosophen und Literaturwissenschaftler waren immer in Kontakt mit einer zumindest bildungsbürgerlichen Öffentlichkeit, die ihre Werke rezipierte. Insbesondere die Historiker standen Staat und Gesellschaft nahe, indem sie diese mit Nationalgeschichten versorgten.

Die Kommunikation der Wissenschaft spaltete sich laut Weingart im 19. Jahrhundert auf: Die primäre Kommunikation richtete sich via Fachjournale an die Fachkollegen und die «Scientific Community». Allmählich bildeten sich disziplinäre Fachsprachen aus. Daneben entstand die Wissenschaftspopularisierung hauptsächlich der Naturwissenschaften: der Biologie, Zoologie, Botanik, Geologie und Astronomie. Die «Popularisierer» oder «Popularisatoren», wie sie hiessen – Naturwissenschaftler, Schriftstellerinnen, zunehmend Journalisten –, wandten sich zunächst an das gebildete Bürgertum, das sich in Lesegesellschaften und Vereinen organisierte. In der Schweiz nahm die Zahl der Vereine fast explosionsartig zu, wie der Historiker Hans Ulrich Jost gezeigt hat: Sind für das Jahr 1810 etwa fünfzig Vereine bekannt, rechnet er für das Jahr 1910 mit knapp 1200.6 Wie viele davon sich mit Wissenschaften beschäftigten, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich hatte aber jeder Kanton seine eigene Naturforschende, Antiquarische oder Historische Gesellschaft und ähnliches mehr.

Man besuchte Sternwarten, botanische Gärten und Museen, man las populäre Zeitschriften und Magazine. Wissenschaftliches Wissen galt als nützlich, unterhaltsam und spannend, wobei die Aufklärung der Laien stets ein Vermittlungsmotiv blieb. Es ist paradox: Das bürgerliche Publikum, das sich für Wissenschaften interessierte, trug zu deren Verselbstständigung in einer autonomen Sphäre bei, schreibt der Historiker Andreas W. Daum.7 Doch die beiden Sphären, die wissenschaftliche und die gesellschaftliche, waren nie ganz getrennt. In den Vereinen etablierte sich zum Beispiel der populärwissenschaftliche Vortrag, der ein breites Publikum adressierte. Vorträge wurden nicht nur von enthusiastischen Amateurwissenschaftlern gehalten, sondern auch von Professoren, die für ihre Ausführungen ein Honorar erhielten. Die Ausrichtung am Publikumsgeschmack war erwünscht, wie Daum zeigt. In Hamburg etwa bat man den deutschen Physiologen Emil du Bois-Reymond, damals einer der prominentesten Wissenschaftler überhaupt, seinen Vortrag etwas zu «colorieren», worauf er ihm einen neuen Titel verlieh: «Warum müssen wir für unser tägliches Brot beten, und was versteht die Physiologie unter täglichem Brote?»8 1899 schrieb der ebenfalls prominente Zoologe und Darwinist Ernst Haeckel im Vorwort der siebten Auflage seines populärsten Buches «Die Welträthsel»: «Die vorliegenden Studien sind […] für die denkenden, ehrlich die Wahrheit suchenden Gebildeten aller Stände bestimmt.»9

Die lebhafte Wissenschaftspopularisierung im Deutschland des 19. Jahrhunderts widerlegt das Klischee der traditionell abgehobenen Professorenschaft im Elfenbeinturm.10 Natürlich bezeichneten manche Akademiker die Popularisierung als Wissenschaftstrivialisierung. Wenn der kollegiale Druck zu gross wurde, griffen die Popularisierer aber auch selbst auf das Argument zurück: Ihre Popularisierung sei seriös im Gegensatz zu den unseriös-trivialen Popularisierungen. Doch namhafte Professoren waren sich nicht zu schade, die Integration der Wissenschaften in die bildungsbürgerliche Kultur voranzutreiben. Der Markt für populärwissenschaftliche Medien expandierte massiv: von Zeitschriften und Büchern über Vorträge bis hin zu Ausstellungen in Museen. In Deutschland wurden um 1700 rund 60 solcher Zeitschriften herausgegeben; 1790 waren es bereits über 700, 1875 fast 2000, 1914 schliesslich knapp 6500. Ging es in den populärwissenschaftlichen Periodika zunächst noch um den «ästhetischen, aufklärerischen und philosophischen Genuss der ‹Einheit der Natur›», wie die Historikerin Barbara Orland schreibt, wurden Naturwissenschaft und Technik «als entscheidender Motor für den Fortschritt präsentiert», der sich in beeindruckenden Errungenschaften manifestierte: Eisenbahn, elektrischer Antrieb und Beleuchtung, Telegraf. Das heisst: Der Nutzen gewann an Bedeutung.11

Für die Schweiz hat der Historiker Jon Mathieu die medizinischen Periodika des 19. Jahrhunderts untersucht, die sich um die «Volksgesundheitspflege» kümmerten.12 Ein Arzt und Politiker schrieb in den 1880er-Jahren: «Eine grosse Aufgabe in der hygienischen Aus- und Fortbildung des Volkes fällt der Presse zu, die durch eine derartige eingreifende Thätigkeit mehr Nutzen stiften könnte als durch politische und confessionelle Zänkereien.»13