Subversion im Satz - Urs Hafner - E-Book

Subversion im Satz E-Book

Urs Hafner

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Beschreibung

Sie waren jung und rebellisch, auf der Flucht und im Gefängnis. Sie trotzten der Zensur, legten sich mit kirchlichen und weltli-chen Autoritäten an und hofften auf eine freie und gerechte, auf eine 'aufgeklärte' Welt. Sie waren belesen und schrieben Bücher, sie lebten in Not und zweifelten an Gott, sie waren verfemt und zäh. Und sie immigrierten fast alle aus dem katholischen Süddeutschland – die ersten Redaktoren der NZZ. Heute steht der Zeitungsjournalismus auf dem Prüfstand. Wie er die Herausforderungen der Digitalisierung und der veränderten Lesegewohnheiten der Digital Natives meistern wird, ist offen. In diesem für den Journalismus prekären Moment ist der Blick in seine Anfänge erhellend. Die Entstehungsgeschichte der 1780 gegründeten 'Zürcher Zeitung', der ältesten Zeitung der Schweiz und einer der ältesten politischen Zeitungen weltweit, zeigt beispielhaft, wie sich der moderne liberale Journalismus formiert hat: mutig, kämpferisch, aufklärerisch.

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Urs Hafner

Subversion im Satz

Die turbulenten

Anfänge derNeuen

Zürcher Zeitung

(1780–1798)

Die Entstehung dieses Buchs wurde von der UBS Kulturstiftung unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek   Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

©2015 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich   Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2015 (ISBN 978-3-03810-093-5). Lektorat: Ingrid Kunz Graf, Schaffhausen Titelgestaltung: TGG Hafen Senn Stieger, St.Gallen Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck   Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.  

Inhalt

Zum Geleit

Von Hugo Bütler

Vorwort

Eine neue Zeitung im alten Zürich

I.

Zornige junge Männer: Die ersten Redaktoren der Neuen Zürcher Zeitung

II.

Das Lachen als Waffe: Aufklärung und Zensur

III.

Mit Geist und Kleister: Wie man eine Zeitung macht

IV.

Glaube als Privatsache:

Wider die «Religionsstupidität»

V.

Im Reich der Bücher:

Die Zeitung und ihr Verlag

VI.

Die Macht des Wissens:

Energien, Mystik und Maschinen

VII.

Eine Bühne für das Theater:

Die Faszination des Spiels

VIII.

Schön, klug und gefährlich:

Der Auftritt der Weiber

Bildteil

IX.

Das Leben der anderen:

Sklaven, Muslime, Neger

X.

Revolutionsgewitter:

Wenn das Volk rebelliert

XI.

«Neu, freymüthig, wahr»:

Der Kampf um die Pressefreiheit

Nachwort

Zur Erinnerung an eine bessere Zukunft

Anmerkungen

Zeittafel

Bibliografie

Bildnachweis

Dank

Autorenbiografie

Zum Geleit

Im Herbst 1784 beschäftigte sich der Königsberger Philosoph Immanuel Kant in der Berlinischen Monatsschrift mit der Frage «Was ist Aufklärung?». Seine Antwort begann mit einer kurzen Formel, die inzwischen längst zum Klassiker für die Definition eines neuen Denkzeitalters geworden ist:

«Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. […] ‹Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!› ist also der Wahlspruch der Aufklärung.»

Die Zürcher Zeitung war vier Jahre zuvor, Anfang 1780, von Salomon Gessner, Dichter, Maler, Verleger und Mitglied des Kleinen Rats der Stadt, gegründet worden. Das neue Informationsblatt, das an die Stelle der früheren, lange von Gessner redigierten Montags- und der mit ihr konkurrierenden Freitags-Zeitung trat, wurde von Beginn weg im Zeichen des aufklärerischen Denkens auf den Weg gebracht. Dazu verfügte Gessner über beste Voraussetzungen. Er war dank seiner in viele Sprachen übersetzten Idyllen europaweit berühmt, war von Vater und Sohn Mozart besucht worden, stand mit Goethe, der ihm den ersten NZZ-Redaktor Johann Kaspar Riesbeck empfahl, in Beziehung, war mit dem Schriftsteller und Kritiker Johann Joachim Winckelmann eng befreundet und besuchte in Paris den «Enzyklopädisten» Diderot, von dem er in Zürich Texte veröffentlichte. Vom Verlag Orell, Gessner, Füssli & Comp. sagte Goethe, er habe durch seine «guten und vortrefflichen Verlagsartikel bisher der wahren Literatur mehr Dienste getan als der halbe Buchhandel Deutschlands».1

Das Hauptproblem für eine Zeitung mit freiheitlichem Denkanspruch war um 1780 in Zürich wie fast überall unter dem Ancien Régime auf dem europäischen Kontinent die hoheitliche Zensur. Diese wirkte im zwinglianischen Zürich, das noch keine Trennung von Kirche und Staat kannte, sehr einengend. Freie Berichterstattung über lokale oder eidgenössische Angelegenheiten war in der Praxis weitgehend unmöglich, wenn man über obrigkeitliche Verlautbarungen hinausgehen wollte. Für eine kritische Bemerkung drohten die Zensoren einem NZZ-Redaktor in diesen Jahren für den Wiederholungsfall 100Peitschenhiebe oder gar Deportation an. England mit einer schon weiter gehenden Pressefreiheit und alte freie italienische und auch holländische Handelsstädte mit ihren Zeitungen bildeten da in gewissem Mass Ausnahmen und hatten attraktive Vorbildwirkung. Bereits 100Jahre früher zeigen das die internationalen Quellen von Lesegesellschaften und Debattierclubs, etwa der Insulaner, in Zürich.2 In ihnen ging es wie dann ab 1761 in der Helvetischen Gesellschaft, in der Salomon Gessner seinerseits aktiv war, vorab um Erneuerung des Denkens, um die Behebung grosser Mängel im ausgehenden Ancien Régime, um einen neuen Geist der Zusammenarbeit in der Eidgenossenschaft.

Das vorliegende Werk von Urs Hafner, der sich schon aus Anlass des NZZ-Jubiläums 2005 mit den Anfängen der NZZ beschäftigte, bietet eine einlässliche Analyse der ersten zwei Jahrzehnte der Zürcher Zeitung, umfasst also auch die ersten zehn Jahre der Französischen Revolution bis zum Einmarsch von Napoleons Truppen und ihrer Besetzung von Zürich. Die Berichterstattung des Blattes zum Geschehen in Paris und auch die kommentierende Meinungsbildung in einer ersten kurzen Phase von Zürcher Pressefreiheit im Jahre 1798 wurden in der Schweiz, aber auch bei gelehrten, aufklärerischen Köpfen in Deutschland hoch geschätzt. Aber mit den französischen Truppen kehrte bald die Zensur zurück. Erst der Arzt und Politiker Paul Usteri, ein starker liberaler Kopf von aussergewöhnlicher Begabung, der die NZZ ab 1821 führte, vermochte nach geschicktem, hartnäckigem und unermüdlichem Einsatz den Grundsatz der Pressefreiheit in der Zürcher Verfassung von 1831 durchzusetzen. Dafür war eine liberale Konzeption des Staates mit Gewaltentrennung, Öffentlichkeitsprinzip und Rechenschaftspflicht der Regierenden gegenüber den Regierten unerlässlich. Dieser neue, liberale Staat wurde in Zürich 1831, in der Schweiz mit dem freisinnig geprägten, föderalistischen Bundesstaat 1848 Realität.

Der Autor dieses Bands bietet aufgrund genauer Lektüre spannende Einblicke in die Denkweisen und Methoden, mit welchen die vier ersten Redaktoren des Zürcher Blattes das internationale Geschehen, geistige Leistungen, religiöse Debatten sowie wissenschaftlich-technische Fortschritte und Erfindungen im ausgehenden 18.Jahrhundert für ihre Leserschaft behandelten. Was die Zensur an lokalen Vorgängen zu beschweigen gebot, wurde häufig anhand des Geschehens in der Fremde thematisiert und in aufklärerischem Sinne beleuchtet. Trotz des hohen sprachlichen Könnens und der «subcutanen» Meisterung vieler heikler Aussagen blieben Zusammenstösse mit Zensurbehörden nicht aus. Umsiedlung in andere Kantone und in teils prekäre Tätigkeiten oder Rückkehr nach Deutschland, woher die vier ersten Nachfolger von Gessner in der NZZ-Redaktion stammten, zeigen, dass die berufliche Existenz im frühen Journalismus auch für hoch begabte Köpfe kein Zuckerlecken war.

Aber Johann Kaspar Riesbeck, Johann Michael Armbruster, Peter Philipp Wolf und Franz Xaver Bronner nötigen uns bis heute Respekt ab für das, was sie unter schwierigen Voraussetzungen mit präziser Sprache, mit politischem Scharfsinn, ohne Verbissenheit, mit heiterem und witzigem Gemüt an aufschlussreicher Lektüre in Zeiten grosser Umbrüche zustande gebracht haben. Sie und die frühe NZZ verdienen dieses interessante Denkmal in Buchform. Denn es gilt, über die Freiheit eines Landes und seiner Bewohner immer wieder neu von ihren Ursprüngen her nachzudenken.

Hugo Bütler, im Juli 2015

Dr.Hugo Bütler war ab 1968 Redaktor, von 1985 bis 2006 Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung.

Vorwort Eine neue Zeitung im alten Zürich

Eine Zeitung, die von nur einem Mann hergestellt wird, der die Texte zugleich redigiert, übersetzt, schreibt und korrigiert und vielleicht auch noch beim Setzen der Bleibuchstaben und beim Druck des Papiers an der Handpresse mithilft? Und das alles ohne einen Funken Strom? So wird die Zürcher Zeitung, wie sie damals heisst, in ihren ersten Jahrzehnten produziert. Gegründet wurde sie im Zürich des Ancien Régime, im Jahr 1780, zur Zeit der Spätaufklärung, noch vor der Entstehung der modernen Schweiz und dem Ausbruch der Französischen Revolution.

Die Zürcher Stadtrepublik, führendes Mitglied der Eidgenossenschaft, war damals stark vom Protestantismus geprägt. Regiert wurde der Stadtstaat von Ratsherren, welche die Ideologie der Kirche vertraten, die Hochschule war ein theologisches, während der Reformation von Ulrich Zwingli gegründetes Institut, in der mächtigen Zensurbehörde hatten die Geistlichen die Oberhand. Die damaligen Zeitungen durften weder über das politische Geschehen Zürichs noch der Eidgenossenschaft berichten. Das war bis zur Helvetischen Revolution von 1798 tabu. So berichtete die Zürcher Zeitung zwar amtlich knapp über die Festnahme, nicht aber über die europaweit aufsehenerregende Enthauptung der «Hexe» Anna Göldi.3 Die Helvetik brachte für kurze Zeit die Pressefreiheit. Dauerhaft eingeführt wurde sie in Zürich erst um 1830.

Die vier Redaktoren, welche die Zeitung nacheinander von 1780 bis 1798 produzierten (das Blatt erschien zweimal die Woche und zählte vier Seiten Umfang), führten meist prekäre Existenzen. Sie waren alle junge deutsche Intellektuelle, die vor Katholizismus und Fürstengewalt in die Republik an der Limmat geflohen waren. Hier allerdings war die Situation nicht viel besser, wie die freiheitsliebenden und wissenshungrigen Männer bald merkten. Sie mussten sich mit der Zensur herumschlagen und ihren Mäzenen Dankbarkeit erweisen. Nur einer der Redaktoren blieb länger auf seinem Posten, zwei wurden inhaftiert, zwei setzten später ihrem Leben selbst ein Ende. Der Journalist war damals ein Aussenseiter, nicht nur in Zürich, sondern auch in Paris und London. Die gute und habliche Gesellschaft blickte mit Herablassung auf die Schreiberlinge, deren Finger mit Tinte und Druckerschwärze verschmiert waren.4

Ihr Leben war nicht einfach, und doch machten die jungen und wilden Redaktoren eine erstaunlich gute Zeitung. Die Qualitäten des Blatts springen uns Heutigen, deren Lesegewohnheiten vom bunten, schnellen Internet geprägt sind, nicht gleich ins Auge. Eng und oft etwas schief ist der Text gesetzt, den man kaum rasch überfliegen und «scannen» kann, Bilder zum Bestaunen gibt es keine (etwelche in den Text zu integrieren, wäre drucktechnisch zu aufwendig gewesen), die grafische Gestaltung und die «Leserführung» sind rudimentär, aus heutiger «Nutzersicht» katastrophal. Inhaltlich dominieren die offiziösen Haupt- und Staatsaktionen grosser Monarchen und Monarchinnen und die Kriegsverläufe zwischen verfeindeten Nationen; diese Themen wurden von der Zensur nicht beanstandet.

Die junge Zürcher Zeitung weist wie andere Blätter jener Zeit noch deutlich Züge des traditionellen, im 17.Jahrhundert entwickelten «Nachrichtenjournalismus» auf. Berichtet werden hauptsächlich aus einer überschaubaren Anzahl Quellen kompilierte Ereignisse. Das Faktum steht quasi für sich, es scheint keiner Erläuterung zu bedürfen, Kommentare und Analysen kommen nicht vor. Die Zeitungen dienen meist als Anzeiger für Inserate – sofern ein mehr oder weniger freier Handel zugelassen ist – und als Sprachrohr der Obrigkeit, etwa für Polizeimandate, Warnungen vor Seuchen oder Werbung für neue Anbaumethoden und Hygienemassnahmen.

Doch bei näherem Hinsehen stösst man in der Bleiwüste der Zürcher Zeitung auf überraschende Welten. Die Redaktoren scheuen den Konflikt mit den Obrigkeiten nicht, führen allerdings – gezwungenermassen – eine feine Klinge. Humor, Witz und Satire heissen ihre Waffen, die Religionen und die Kirchen – allen voran der Papst – sind ihre bevorzugte Zielscheibe. Die Redaktoren geben Kunde von Revolten und Revolutionen, von verbotenen Büchern und ebenso verrückten wie nützlichen Erfindungen, sie berichten aus Afrika, Amerika und Konstantinopel, der Zentrale des Osmanischen Reichs, sie schreiben über Gewürztransporte und Piratenüberfälle, über das Leben der Mohren, die Gebräuche der Muslime, Aufstände auf Haiti und misshandelte Sklaven, sie lassen das Publikum an Naturkatastrophen und Verbrechensfällen teilhaben. Die Frauen, seien sie Königinnen oder Bettlerinnen, treten selbstverständlich in den Zeitungsspalten auf; noch hat das Bürgertum sie nicht aus der Öffentlichkeit verbannt. Und selbstverständlich tauchen auch die künstlerischen und Geistesgrössen des ausgehenden Aufklärungsjahrhunderts auf: Lessing, Mozart, Diderot, Voltaire, Kant, Rousseau, Schiller und andere mehr, allerdings meist nur kurz. Die junge Zürcher Zeitung ist keine gelehrte, sondern vorab eine politische Publikation.

Die ersten Redaktoren waren Aufklärer. Fast nichts war ihnen heilig, fast alles interessierte sie. Neben der Zeitungsschreiberei und -kompilation betrieben sie Studien oder verfassten Gedichte. Vielleicht weil sie fast nichts zu verlieren hatten, fassten sie den Mut, unter schwierigen Bedingungen eine gute Zeitung zu machen. Das Blatt wurde in Zürich, aber auch in anderen Gegenden der Eidgenossenschaft von nicht wenigen Bürgern und Bürgerinnen gekauft und gelesen. Man holte es, auch wenn man es abonniert hatte, beim Postbüro ab, bezog es beim Verlag oder in der Buchhandlung; ausserdem lag es in Wirtshäusern aus und zirkulierte in Lesegesellschaften.

Man las die Zeitung selbst und las sich im geselligen Kreis daraus vor. Man dachte nach und lachte über die Pointen, erzählte sie weiter, verglich die Zustände im revolutionären Paris oder im parlamentarischen London mit denen im zwinglianischen Zürich, man versuchte, sich ein von der Zeitung erwähntes Buch zu besorgen. Indem die Zürcher Zeitung mit ihren Texten die Menschen miteinander ins Gespräch über Gott und die Welt und zum Lachen über den Popanz der Macht brachte, indem sie die Leserschaft ermunterte, die Welt, in der sie lebten, nicht einfach als gegeben hinzunehmen, sondern zu kommentieren, trug sie dazu bei, dass eine kritische Öffentlichkeit entstand, eine Gemeinschaft kritisch denkender Männer und Frauen. Das ist Aufklärung, keine rechthaberische und dogmatische, sondern eine Aufklärung mit Augenzwinkern.

In ihren ersten Jahrzehnten vertritt die Zeitung noch nicht den klassischen Liberalismus, auch wenn dessen Entstehung mit der Aufklärung zusammengebracht wird. Beide, Liberalismus wie Aufklärung, legen die Emphase auf Gleichheit und Demokratie und auf das Recht des Einzelnen, seine Meinung frei zu bilden, ungeachtet obrigkeitlicher Doktrinen. Als politische Bewegung formiert sich der Liberalismus in der Schweiz erst in den 1830er-Jahren; das politische Spektrum mit den ideologischen Richtungen «links» und «rechts» entsteht nach der Französischen Revolution 1789 (abgeleitet von der Sitzordnung in der Nationalversammlung). Nur 1798, im Jahr der Helvetischen Revolution, blitzt in der Zeitung ein Frühliberalismus auf. Ansonsten agiert sie, auch wenn sie dies politisch tut, in einer noch nicht im heutigen Sinn politisierten Sphäre.

Die Subversion der Zürcher Zeitung tritt in ihren ersten Jahren kaum im politischen Gewand auf. Sie ist gezwungenermassen vielgestaltig, amorph. Subversiv gefärbt ist natürlich die Berichterstattung über die Französische und die Helvetische Revolution, die beide der alten, ständischen, kirchlich durchdrungenen Welt ein Ende setzen wollen, oder die Verurteilung der Sklaverei, die damals oft als gottgegeben hingestellt wird. Subversiv sind – auf den zweiten Blick – aber auch die vielen, vor Ein- und Ausfällen sprühenden Artikel zu Theater- und Opernaufführungen in den europäischen Hauptstädten, die im puritanischen Zürich verboten sind, die überraschend ernsthafte Auseinandersetzung mit der Modeströmung des Mesmerismus oder die rätselhaften Berichte über Frauen, die verstörend klug, aber auch gefährlich sein können.

Unter dem listigen Blick der jungen Zeitung erschrickt die alte Welt. Im Spiegel des heute rissigen Papiers sieht sie, dass ihre Kostüme schäbig und unpassend geworden sind. Die forschen Redaktoren entsorgen sie in der Mottenkiste.

I. Zornige junge MännerDie ersten Redaktoren derNeuen Zürcher Zeitung

Sie waren jung und rebellisch, auf der Flucht und im Gefängnis. Sie trotzten der Zensur, legten sich mit Autoritäten an und hofften auf eine freie und gerechte, auf eine «aufgeklärte» Welt. Sie waren belesen und schrieben Bücher, sie lebten in Not und zweifelten an Gott, sie waren verfemt und zäh. Und sie wanderten fast alle aus Süddeutschland ein, die ersten Redaktoren der Neuen Zürcher Zeitung: Johann Kaspar Riesbeck, Johann Michael Armbruster, Peter Philipp Wolf, Franz Xaver Bronner.5

In den ersten knapp 20Jahren ihres Bestehens wurde die 1780 gegründete Neue Zürcher Zeitung – die Zürcher Zeitung, wie sie damals hiess – fast ausnahmslos von Redaktoren gemacht, die politische Flüchtlinge, regimekritische Migranten und wissensdurstige Abenteurer waren. Die jungen, bestens gebildeten Männer, die im katholisch-fürstlichen Südwesten Deutschlands aufgewachsen waren, gerieten mit den geistlichen und weltlichen Autoritäten in Konflikt und erhofften sich im Ausland mehr Freiheiten. Das nahe gelegene Zürich schien ihnen diese zu bieten.

Nannte man die Stadt mit ihren rund 5000 Einwohnerinnen und Einwohnern nicht das «Athen an der Limmat», in dem schon um die Mitte des 18.Jahrhunderts die beiden europaweit bekannten Aufklärer, die Literaten Johann Jakob Bodmer, Professor für Geschichte an der Hohen Schule, und Johann Jakob Breitinger, daselbst Professor für Hebräisch und Griechisch, gewirkt hatten? Kehrten in Zürich nicht Berühmtheiten wie Christoph Martin Wieland, Friedrich Gottlieb Klopstock und Goethe ein?6 War der Stadtstaat nicht eine demokratische Republik, in dem nicht ein Fürst oder ein Bischof, sondern ein mehrköpfiger, sich aus Zunftmitgliedern zusammensetzender Rat das Sagen hatte? Und war die Religion der Republik nicht der Protestantismus, eine vergleichsweise rationale, sich auf das Schriftprinzip berufende Konfession, die, anders als der Katholizismus, jedem Pomp und Aberglauben abhold war?

Der Redaktorenposten der jungen Zürcher Zeitung, der ältesten Zeitung der deutschen Schweiz und einer der ältesten Tageszeitungen überhaupt, versprach Sicherheit und intellektuell anregende Arbeit. Sie war die erste schweizerische Zeitung, die von einem eigens angestellten Redaktor betreut wurde,7 und sie war, wie sie in ihrer ersten Ausgabe vom 12.Januar 1780 schrieb, eine «politische Zeitung». Sie wollte ihre Leserschaft – zunächst zweimal wöchentlich – über die «Weltbegebenheiten» auf dem Laufenden halten, über das Geschehen an den grossen Höfen und in den europäischen Kolonien. Die Beschaffung schwierig zu erhaltender Informationen war das eine, das Ökonomische das andere: Die Besitzer der Zeitung wollten mit ihr Geld verdienen. Die Aufklärung des Publikums diente der Veredelung der Menschheit, aber sie musste sich auszahlen. Verhiess der Realitätssinn der Zeitungsgründer nicht Stabilität?

Stabilität verhiess der Verlag. Herausgegeben wurde die Zeitung durch Orell, Gessner, Füssli & Comp. Der Verlag trat mit hochwertigen und freiheitlichen Büchern prominenter Aufklärer und Literaten in Erscheinung. Zu seinen Autoren zählten etwa Christoph Martin Wieland, Isaak Iselin, Johann Caspar Lavater, Sophie von La Roche sowie, in Übersetzungen, Shakespeare, Jean-Jacques Rousseau, Jonathan Swift und Denis Diderot.8

Doch der Schein war trügerisch. Im viel besungenen Limmat-Athen herrschte gegen Ende des 18.Jahrhunderts, wie die jungen deutschen Redaktoren, die im Haus zum Elsässer an der Münstergasse arbeiteten,9 alsbald realisierten, eine gestrenge Zensur, die hauptsächlich von den Geistlichen der reformierten Kirche ausgeübt wurde. Ihr kam die Stellung einer Staatskirche zu. Die in ganz Europa viel gepriesene «Aufklärung» fand in Zürich allenfalls im privaten Kreis oder in den «Gelehrten Gesellschaften» und «Sozietäten» statt; in der Öffentlichkeit und in den Zeitungen hatte sie offiziell nichts zu suchen. Es war der Zürcher Zeitung wie den anderen Blättern verboten, über Geschehnisse in Zürich oder der Eidgenossenschaft zu berichten; verboten waren auch Artikel, die der Lehre der Kirche widersprachen oder befreundete und alliierte Mächte kritisierten. Die Ausgangslage für die neue politische Zeitung war also alles andere als ideal.

War dies der Grund, dass Salomon Gessner, der Initiator und Mitbesitzer des Blatts, nur dessen erste zwei Ausgaben redaktionell betreute und dann, bis zu seinem Tod 1788, in den Hintergrund trat? Gessner war einer der im damaligen Europa bekanntesten Schriftsteller und Maler; seine Idyllen-Dichtungen wurden in rund ein Dutzend Sprachen übersetzt, seine arkadischen Landschaften waren begehrte Schmuckstücke. Oder fehlte dem 50-Jährigen der Elan für das schwierige Tagesgeschäft des Unternehmens – oder die Geduld? Gessner war ein kluger, europaweit vernetzter Kopf. Er kam aus einem etablierten Bürgergeschlecht, das zu den wichtigsten Buchdruckerfamilien Zürichs gehörte. Die Familie war politisch und sozial ins Machtgefüge der Republik integriert: Ihre Mitglieder sassen sogar im Kleinen Rat ein. Allerdings waren die Gessners, weil sie sich beruflich mit der Herstellung, der Publikation und dem Verkauf von Büchern befassten, potenzielle Aussenseiter. Der Buchstabe kann der der Heiligen Schrift und des Gesetzes sein, aber auch der des Pamphlets.

Das Zwiespältige tritt in Salomon Gessners Biografie früh hervor. Eigentlich hätte er nach dem Willen des Vaters Buchhändler werden sollen, doch viel lieber dichtete und malte er. Nachdem er die Lehre abgebrochen und auch noch eine Frau geheiratet hatte, die dem Vater nicht genehm war, kam es zum Bruch. In den jugendlichen Schriften betätigte er sich als Kulturkritiker und prangerte das soziale Gefälle zwischen Reich und Arm an. Als Erwachsener liess er zwar das Stürmen und Drängen seiner Jugend hinter sich; er übernahm das Geschäft des Vaters und machte politische Karriere als Rat und Obervogt. Dennoch bewahrte er sich die Distanz des Intellektuellen. Die Empörung und der Protest von früher wichen der Satire, dem Sarkasmus und dem Spott, mit dem er seine Zeit bedachte. Zu Gessners Lieblingsautoren gehörten Miguel de Cervantes mit seinem Don Quijote und Jonathan Swift, der auf seine Veranlassung hin ins Deutsche übersetzt wurde. Christoph Martin Wieland soll er zur Verfassung des satirischen Romans Geschichte der Abderiten (1774) angeregt haben.10

Der Gessnersche Geist sollte die neue Zeitung prägen. Gessner sorgte dafür, dass sein Nachfolger in die gleiche Kerbe hieb – wobei diesem wie auch den anderen frühen Redaktoren wegen der Zensur oft kein anderes Mittel als der Humor blieb, auch wenn sie oft wenig zu lachen hatten. Erschwerend kam hinzu, dass jeweils einer allein für das schmale Blatt verantwortlich war. Als Aussenseiter und arme Schreiberlinge waren Johann Kaspar Riesbeck, Johann Michael Armbruster, Peter Philipp Wolf und Franz Xaver Bronner nach Zürich gekommen, und als solche zogen sie fast alle weiter, manche krank und lebensmüde. Nur einer der vier ersten Redaktoren wurde in der Schweiz sesshaft.

Johann Kaspar Riesbeck bekleidete den Redaktorenposten während rund dreier Jahre, von 1780 bis Anfang 1783. Voller Hoffnung war er 1779 von Salzburg nach Zürich gereist, um für den Verlag Orell, Gessner, Füssli & Comp. zu arbeiten; Goethe soll ihn als Redaktor empfohlen haben. 1754 in Höchst am Main zur Welt gekommen, war der sprachgewandte Riesbeck ein Freigeist, der wie Gessner mit seinem Vater in Konflikt geriet. Der wohlhabende Weber und Leinwandhändler hatte bestimmt, dass aus seinem Sohn ein Geistlicher werden solle, doch diesem missfiel das Leben in der Klosterschule, in der er sich allerdings gründlich bildete. In Mainz studierte er Rechtswissenschaften, führte aber ein Boheme-Leben, das ihn in Kontakt mit Vertretern der Sturm-und-Drang-Bewegung brachte. Nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Domherrn flüchtete er nach Salzburg und Wien, wo er sich als Schauspieler, Journalist und Übersetzer durchschlug.

Über die Theorien der Physiokraten, die sich gegen den fürstenstaatlichen Protektionismus des Merkantilismus wandten, begann Riesbeck sich für Politik und Ökonomie zu interessieren. Das grösste Hemmnis für die Entfaltung der Wirtschaft wie des Denkens sah er in der katholischen Kirche. 1780 erschienen bei Orell, Gessner, Füssli & Comp. seine anonymen, bissigen Briefe über das Mönchswesen von einem katholischen Pfarrer an einen Freund, in denen er Mönche und Fürsten auf die Schippe nahm. Während er für das Zürcher Blatt als Redaktor arbeitete, schrieb er an der Fortsetzung.

1783 publizierte Orell, Gessner, Füssli & Comp. seine Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris, aus Vorsicht wiederum anonym. Das Werk wurde zum Grosserfolg. Ins Französische, Italienische, Holländische und Schwedische übersetzt, avancierte der deutsche Titel in der entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit gar zum geflügelten Wort. Auch wenn sich die Briefe eines reisenden Franzosen auf die vielen Staatsgebilde des Heiligen Römischen Reichs beschränkten, standen sie für die gewitzte und furchtlose Diskussion der politischen, ökonomischen und kulturellen Zustände der Zeit.11 Radikal forderte Riesbeck das Selbstbestimmungsrecht der Bürger sowie Handels- und Gewerbefreiheiten, resolut führte er den Obrigkeiten ihre Pflichten vor Augen. Seine Leuchtgestalten waren die aufgeklärten Absolutisten Friedrich II. von Preussen, Katharina II. von Russland und Joseph II. von Österreich.

Der Autor profitierte vom Erfolg der Briefe eines reisenden Franzosen kaum mehr, schon gar nicht kommerziell. 1783, im gleichen Jahr, in dem das Buch erschien, wurde er auf Druck des Zürcher Rats von den Herausgebern der Zeitung entlassen. Er hatte wiederholt zu despektierlich über die mit der Eidgenossenschaft alliierte französische Monarchie berichtet. Besonderes Missfallen soll folgender Satz erregt haben, den er in den Bericht über den Besuch eines russischen Fürsten bei der Gräfin von Chartres eingeflochten hatte: «Da es aber hier in der grossen Welt bekanntlich bis gegen Mittag Nacht ist, so musste ihn die Frau Herzogin im Bette empfangen.»12 Die Tendenz des Satzes war klar: Der Adel liegt auf der faulen Haut und legt sich gern mit seinesgleichen ins Bett.

Nach der Entlassung liess Riesbeck sich in Aarau nieder, wo er sich mit Sprachunterricht, Übersetzungsarbeiten für deutsche Blätter, den Zürcher Verlag und die Zürcher Zeitung mehr schlecht als recht über Wasser hielt. Auf Gessners Wunsch übertrug er Jonathan Swift ins Deutsche. Ab 1785 verliess der lungenkranke Riesbeck kaum mehr das Bett, vereinsamt, verlassen und verschuldet, ohne Geld für die nötigen Arzneien. Unablässig arbeitete er weiter an seiner Deutschen Geschichte. In den ersten Januartagen 1786 bat er Obmann Johann Heinrich Füssli, seinen Verleger (nicht zu verwechseln mit dem heute noch immer bekannten, in London wirkenden Maler Johann Heinrich Füssli, auch Henry Fuseli genannt), brieflich um einen Vorschuss:

Ich schreibe Ihnen in einer Lage, die nicht schrecklicher sein kann. Nun stehn mir ohne Ihre Hilfe nur zwey Wege offen. Entweder muss ich in das hiesige Spital gehen, in einem finstern, finstern Dorf, ohne Pflege und Nahrung verhungern, mein bissgen Kleidung öffentlich versteigern; oder ich muss mich selbst umbringen – Sagen Sie mir einen Mittelweg, oder rathen Sie mir, welchen von beyden ich wählen soll!13

Der Brief, in dem Verzweiflung und Galgenhumor sich mischen, blieb unbeantwortet. Am 8.Februar 1786 starb der 32-jährige Riesbeck an Tuberkulose. In der Zürcher Zeitung erschien kein Nachruf.14

Der Schultheiss und der Rat der Stadt Aarau liessen jedoch dreieinhalb Monate später im Blatt eine Richtigstellung publizieren: Es stimme nicht, wie in deutschen Zeitungen vermeldet, dass Riesbeck «schimpflich an einem ehrlosen Ort» verscharrt worden sei. Vielmehr habe er in Aarau freiwillig, vergnügt und zufrieden gewohnt, sei geachtet und beliebt gewesen. Unter der Begleitung von über hundert Herren, Bürgern und Fremden sei er auf dem Gottesacker ehrenvoll begraben worden.15 Diese Darstellung dürfte stark geschönt sein. Die Stadt wollte nicht im zweifelhaften Ruf stehen, einen Toten unziemlich behandelt zu haben. Riesbecks Ende jedenfalls war mehr als traurig. Sein Freund Johann Pezzl behielt ihn, wie er in seinen noch im gleichen Jahr publizierten Erinnerungen schrieb, als einen lebensfrohen Menschen im Gedächtnis:

In seinem Umgang war er ausserordentlich lebhaft, gesprächig und witzig. Er war im Stande, eine ganze Gesellschaft aufzumuntern und bey guter Laune zu halten. Er liebte Scherz, Schmauss und Freude; und war, wie jeder Mann von Geist, ein eifriger Verehrer des schönen Geschlechtes.16

Auch Riesbecks Nachfolger, der Württemberger Johann Michael Armbruster, liebte den Scherz, wie an den von ihm redigierten Zeitungsausgaben ersichtlich ist. Er besetzte den Redaktorenposten von 1783 bis im Juni 1785. Der 19-Jährige hatte sich um 1780 bereits einen Namen als Dichter gemacht; zuvor hatte er, zusammen mit Friedrich Schiller, die Militärakademie in Stuttgart absolviert. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Beamter der Hofgärtnerei und Forstverwaltung in Hohenheim. Nachdem Armbruster die aufsehenerregenden Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe (1775–1778) des eigenwilligen Zürcher Pfarrers und Philosophen Johann Caspar Lavater in Auszügen ediert hatte, holte ihn dieser 1782 als seinen Sekretär an die Limmat. Bald schon aber soll Armbruster sich mit Lavater zerstritten haben, worauf ihm Salomon Gessner – ein Gegner Lavaters – den Redaktorenposten angeboten habe.

Armbruster war wie Riesbeck ein heller Kopf, schien aber politisch ungefährlicher zu sein als dieser. Er war zwar auch reformerisch gesinnt, forderte jedoch von den Bürgern Treue und Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Damit versprach er als Redaktor grössere Kontinuität als Riesbeck. Doch es kam anders: Ohne dass Armbruster es beabsichtigt hätte, geriet er dermassen mit der Obrigkeit in Konflikt, dass er eingekerkert wurde. In der von ihm gegründeten Zeitschrift Schwäbisches Museum, die sich wissenschaftlich-kritisch mit der Kulturgeschichte Schwabens beschäftigte, machte er 1785 nochmals die Affäre publik, in deren Verlauf Graubünden die Verhaftung Friedrich Schillers veranlasst hatte, weil dieser sich in seinen Räubern despektierlich über das «Graubündner Land» äusserte («das Athen der heutigen Gauner»). Nachdem Graubünden auf Armbrusters Artikel aufmerksam geworden war, beschwerte es sich beim Zürcher Rat, worauf der Redaktor von den Zensoren verhört wurde.

Weil zudem in der gleichen Nummer des Schwäbischen Museums auch noch eine Kritik am Stand Solothurn erschien, worauf dieser Armbrusters Verhaftung verlangte, wurde der Redaktor vom Zürcher Rat ins Gefängnis gesteckt. Damit war seine Laufbahn abrupt beendet. Im Ausland sollte ihm vorerst mehr Glück beschieden sein: Nachdem ihn Lavater gegen das Versprechen, die Eidgenossenschaft für immer zu verlassen, hatte freisetzen lassen können, zog Armbruster zuerst nach Konstanz und dann nach Wien. Dort machte er eine politische und publizistische Karriere, unter anderem als Zensor und Hofsekretär. Über die Schweiz äusserte er sich nur noch abschätzig. Doch auch sein Ende entbehrt, wie dasjenige Riesbecks, nicht der Tragik: 1814 brachte er sich um, gebrochen von Krankheit und Liebeskummer.17

Auch Armbrusters Nachfolger, der Oberbayer Peter Philipp Wolf, setzte seinem Leben «gemüthskrank» selbst ein Ende (1808 in München), nachdem er als Publizist, Verleger und Historiker hervorgetreten war. Zehn Jahre lang bekleidete er den Redaktorenposten, von 1785 bis 1795. Er überstand sogar die ersten Phasen der von ihm enthusiastisch begrüssten «grossen französischen Revolution», wie er schrieb – der konservativen Zürcher Stadtaristokratie galt er denn auch als ein «Sanscülotte», also als ein plebejischer Linksradikaler.18 Allerdings musste er sich in der Zeitung zurückhalten; oft tarnte er seine Texte als Pariser Meldungen. Dennoch wünschten revolutionäre Kreise aus dem Piemont und der Lombardei 1794 eine italienische Ausgabe der Zürcher Zeitung, die bis 1797, bis zum Einmarsch Napoleons in Italien, zuerst als Corriere di Zurigo und dann als CorriereTransalpino erschien.19 Unter Wolf galt die Zürcher Zeitung als die beste deutschsprachige Quelle zu den revolutionären Ereignissen in Frankreich.20

Der 1761 zur Welt gekommene Sohn eines Schlossermeisters lebte bereits seit 1780 in Zürich, nachdem er aus seinem Elternhaus geflohen war, weil er sich nicht zum Priester berufen fühlte. In der Folge trat er dem Illuminatenbund bei, der Teil der im frühen 18.Jahrhundert aufgekommenen Freimaurerbewegung war. Adlige, Patrizier und Bürger sowie Pfarrer und Priester trafen sich im Verborgenen, um neue weltanschauliche und politische Ideen zu diskutieren. Sie überwanden dabei die sozialen Schranken der ständischen Gesellschaft und negierten die Dogmen der religiösen Orthodoxie. Die Verschwiegenheit, zu der sich die Freimaurer verpflichteten, schützte sie vor Obrigkeit und Kirche, welche die Geheimgesellschaften verboten.

Der Illuminatenbund wurde 1776 von einem jungen Professor der juristischen Fakultät der Universität Ingolstadt ins Leben gerufen.21 Der Bund wollte die Ideale der Aufklärung – Tugend und Weisheit – im privaten wie im öffentlichen Leben mittels sittlicher und geistiger Bildung sowie der Mystik verwirklichen, verfolgte aber auch den «Sturz der Despoten» und die Entlarvung der katholischen Religion als «abergläubische Lehre, die dem Menschen seine natürliche Freiheit und Gott seine höchste Stellung» raube.22

Der antijesuitische Bund unterschied sich dadurch von den Freimaurern, dass er an seine Mitglieder rigorose Anforderungen stellte. Diese mussten verborgenen Oberen gehorchen, sich gegenseitig genau beobachten und das eigene Gewissen resolut erforschen. Zunächst zählte der Bund nur rund 50