Franz Marc. In fünf Jahren zur Unsterblichkeit - Reinhard Lindenhahn - E-Book

Franz Marc. In fünf Jahren zur Unsterblichkeit E-Book

Reinhard Lindenhahn

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Beschreibung

- Ikone der Moderne: der auf tragische Weise früh aus dem Leben gerissene Ausnahmekünstler Franz Marc, der mit Kandinsky zusammen als "Blauer Reiter" unsterblich wurde. - Spannende Einblicke in die deutsche Kunst- und Literaturszene des Expressionismus am Vorabend des Ersten Weltkrieges. - Sorgfältig recherchiert und lebendig erzählt, mit hintergrundreichem Anhang. Neujahrsmorgen 1910: Franz Marc zerstört ein Gemälde, an dem er monatelang gearbeitet hat, das seinem kritischen Blick aber nicht standhält. Wie sehr er darum ringt, das Pferd nicht bloß abzubilden, sondern über eine neuartige Farbgebung die Welt gleichsam aus den Augen des Tieres zu zeigen! Doch Marcs Kunst ist dem Publikum unverständlich, sein unverwechselbarer Stil zu modern. Kaum einer versteht, dass es dem begnadeten Maler darum geht, hinter die Fassade zu schauen, um dort das Wahrhaftige zu erblicken. So sind die erhofften Erfolge bislang ausgeblieben, es steht nicht gut um Marc. Da lernt er August Macke kennen und über ihn einen zahlungskräftigen Mäzen. Zudem findet Marc Anschluss an den Künstlerkreis um Wassily Kandinsky. Mit dem Russen begründet er den "Blauen Reiter", mit dem die beiden die Kunst erneuern. Ein wichtiger Weggefährte Marcs wird Paul Klee, eine besondere Verbindung entsteht mit der Dichterin Else Lasker-Schüler. In der freien Landschaft Oberbayerns findet der naturverbundene Marc seine bevorzugten Sujets. Immer häufiger sind seine blauen Pferde, roten Rehe und gelben Kühe in namhaften Ausstellungen zu sehen. Ein Lebenstraum erfüllt sich gar, als der Maler und seine Frau Maria eine Villa südlich von München erstehen. Doch ihr Glück währt nicht lange: Im August 1914 wird Marc zum Kriegsdienst eingezogen ...

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Franz Marc. Foto, um 1913/14.

Reinhard Lindenhahn

Franz Marc

In fünf Jahren zur Unsterblichkeit

* Romanbiografie

Contents

Prolog

Ried, Mai 1914

I.

Kunst, Natur und die Neue Künstlervereinigung München

München und Murnau, Januar bis Ende 1909

II.

Eine Begegnung bringt den Wendepunkt: August Macke

München, Tegernseer Tal und Sindelsdorf, Januar bis Ende 1910

III.

Der Freundeskreis erweitert sich: Wassily Kandinsky

München und Sindelsdorf, Januar bis Ende Februar 1911

IV.

Neues Leben aus Ruinen: Die Entstehung des »Blauen Reiters«

Oberbayern, Sindelsdorf und München, April bis Ende 1911

V.

Feuerzeichen von Wegsuchenden: Der Almanach

Berlin und Sindelsdorf, Januar bis Mai 1912

VI.

Der Dritte im Bunde: Paul Klee

Sindelsdorf, Köln, Sindelsdorf, Paris, Juni bis Oktober 1912

VII.

Die »wunderherrlichen Karten«: Else Lasker-Schüler

Berlin, Sindelsdorf und München, Dezember 1912 bis Januar 1913

VIII.

Kunst in Vollendung im Vorfeld der Apokalypse

Sindelsdorf, Südtirol, Sindelsdorf, Berlin, Februar bis Ende 1913

IX.

Ankunft und Abschied

Sindelsdorf und Ried, Januar bis 6. August 1914

Epilog

Braquis bei Verdun, März 1916

Nekrologisches

Nachrufe auf Franz Marc

Abbildungen (mit Bezügen zum Text)

Anhang

Anmerkungen zu Personen und Inhalten

Zeittafel »Lebensdaten«

Zeittafel »Werkgeschichte« (Auswahl)

Literaturhinweise

Werke und Briefe

Biografisches

Ausstellungskataloge

Zeitgeschichtliches

Quellennachweise

Bildnachweise

Landmarks

Cover

Für Donate

Prolog

Ried, Mai 1914

Franz Marc stand am Fenster des Ateliers im obersten Stockwerk seines neuen Hauses und blickte in den Garten hinunter. Auf dem weitläufigen Gelände, das zu dem Anwesen gehörte, grasten friedlich seine beiden Rehe; unweit davon lag Russi, sein großer Kaukasischer Schäferhund, dessen schneeweißes Fell einen ­sehr schönen Kontrast zum bunten Grün der Blumenwiese und dem Rotbraun der Rehe bildete. Marcs Katze saß, auf eine Maus hoffend, bewegungslos konzentriert unter dem blühenden Apfelbaum.

Weiter unten im Haus hörte er seine Frau Klavier spielen. Maria übte schon seit einer Stunde Franz Schuberts »Impromptu« in As-Dur, das ihr Lily Klee empfohlen hatte, weil es für eine gute Pianistin relativ einfach zu spielen sei. Sie hatte es Maria einige Male vorgespielt, und Marc hatte sich derweil mit seinem Freund Paul Klee über die Gemälde unterhalten, an denen die beiden Maler gerade arbeiteten.

Marc war glücklich. Vor etwas mehr als drei Wochen erst war er mit seiner Maria in dieses Traumhaus in Ried eingezogen. Lange hatten sie nach einer neuen Bleibe gesucht. Die letzten Jahre waren, weiß Gott, schwer genug gewesen, und nie hatte es danach ausgesehen, als würden sie sich je ein Haus kaufen können – schon gar nicht eines, das ihre kühnsten Träume übertraf.

Eigentlich sollte er an die Arbeit gehen, aber er konnte sich nicht vom dem Blick aus seinem »Turmfenster«, wie er es nannte, losreißen. Er war einfach zu glücklich, um jetzt zu malen.

In stiller Freude und Dankbarkeit dachte er an die vergangenen vier bis fünf Jahre zurück, die zwar nicht einfach gewesen waren, die für ihn aber den Durchbruch gebracht hatten. Wie viel hatte er dabei all den lieben Menschen zu verdanken, die durch glückliche Umstände seine Freunde geworden waren! Er wusste, dass er ohne sie noch immer der unbekannte Tiermaler in dem kleinen bayrischen Ort Sindelsdorf wäre, als der er angefangen hatte.

Maria hatte inzwischen aufgehört zu spielen, nun hörte er sie die Treppe hochkommen. Als sie sein Atelier betrat, lächelten sich beide an und Maria eilte zu ihm.

Eng umschlungen schauten sie gemeinsam in den Garten. Sie schwiegen, schwelgten in Erinnerungen und hofften darauf, in ihrem neuen Heim eine gute und gesicherte Zukunft zu haben …

II.

Eine Begegnung bringt den Wendepunkt: August Macke

München, Tegernseer Tal und Sindelsdorf, Januar bis Ende 1910

Die vier riesigen roten Pferde standen in sich versunken auf einer gelben Wiese, die begrenzt war von schroffen violetten Felsblöcken und blauen Sträuchern, von denen sie aber keine Notiz zu nehmen schienen. Zwei von ihnen grasten friedlich in einiger Entfernung, wo das Gelb der Wiese in ein tiefes Orange überging. Das vorderste und größte der Tiere wandte seinen Kopf zwar dem Betrachter zu, blickte ihn aber nicht direkt an, sondern schaute zu Boden, als ob es dort Interessanteres wahrnehmen würde, und die schmale Blesse, die sich von der Stirn bis zu den Nüstern erstreckte, stellte einen scharfen Kontrast zu der karminroten Färbung des Tieres dar. Ein weiteres Pferd war von schräg hinten zu sehen. Es stand unmittelbar links neben dem ersten und betrachtete die ­beiden anderen mit verhaltenem Interesse. Das Ensemble bildete eine harmonische Struktur, die sich in die hügelige Landschaft einfügte.

Marc betrachtete das Werk aus einiger Distanz. Mehrere Wochen hatte er daran gearbeitet. Monumental war es geworden. Wieder und wieder hatte er sich mit der Komposition der vier Körper beschäftigt. Vier Individuen sollten in einer Gruppe aufgehen, Teile eines unauflösbaren Ganzen sein. Die Körper sollten sich überschneiden, sollten vielleicht sogar vom Bildrand angeschnitten werden und so scheinbar über den Rahmen hinausdrängen. Die Farben sollten miteinander kommunizieren, die geometrische Grundstruktur aufgreifen und sichtbar machen.

Die Komposition war ihm eigentlich gelungen, und doch konnte ihn das riesige Gemälde nicht überzeugen. Irgendetwas war daran falsch; irgendetwas, gegen das sich sein künstlerisches Feingefühl sträubte. Er stand ratlos, fast verzweifelt vor seinem fertigen Werk. Zu verändern war jetzt nichts mehr. Zu oft schon hatte er übermalt, ergänzt, getilgt, nie war er ganz zufrieden damit gewesen. Monatelang hatte sich Marc darum bemüht, mit dem Motiv eines Pferdes nicht nur und nicht in erster Linie dessen äußere Erscheinungsform nachzubilden, sondern mittels einer völlig neuartigen farblichen Gestaltung die Welt gleichsam aus den Augen des Tieres dargestellt zu zeigen.

Marc ging hart mit sich ins Gericht. In der Nacht zuvor, der Silvesternacht, hatte er mit seinem Bruder Paul und einigen Malerfreunden im Münchener Ratskeller »unsinnig gesoffen«, wie er später in einem Brief an Maria schrieb. Nur zu gerne hätte er sie zum Jahresbeginn bei sich gehabt, aber sie war für ein paar Wochen zu ihren Eltern nach Berlin gereist und würde erst Mitte Januar zurück sein.

Seine Kopfschmerzen an diesem Neujahrsmorgen ließen Marc das Gemälde noch kritischer betrachten als bisher. Wieder und wieder tastete er es mit seinen Augen ab, untersuchte jeden Zentimeter. Dann trat er einige Schritte zurück und beurteilte den Gesamteindruck, aber seine Skepsis wuchs nur noch, ohne dass er sich erklären konnte, warum. Die vielen Korrekturen hatten dem Bild nicht gutgetan. Vielleicht war es genau das, was ihm geschadet hatte, es war stumpf geworden. Fast um sich selbst zu strafen, griff Marc in einer spontanen Aufwallung zu einem spitzen, frisch geschliffenen Fleischermesser und zog zuerst langsam und dann immer schneller mehrere lange Schnitte quer durch seine Arbeit. Danach trennte er die Fetzen vom hölzernen Rahmen und warf alles zusammen in den Ofen. Knisternde Flammen fraßen das Werk von mehr als zwei Monaten …

Marc saß bewegungslos mit geschlossenen Augen vor dem Ofen, lauschte auf das Prasseln und Zischen und überlegte, was ihm das neue Jahr 1910 außer seinem 30. Geburtstag und finanziellen Schwierigkeiten wohl bringen würde. Für Februar stand eine Einzelausstellung an, aber von dem Gedanken, einmal mit seinen Bildern viel Geld zu verdienen, hatte er sich längst verabschiedet, zu abgehoben waren sie im Vergleich zu allen gängigen zeitgenössischen Formen der Malerei und zu den Ansprüchen des Kunstmarktes. Er fragte sich, was sich die Betrachter seiner Bilder wohl denken mochten. Seine Absichten erraten würden sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht können. Das Geistige darin, seinen Wunsch nach einer Religion, die es nicht gab – vielleicht nie geben konnte –, würden sie nicht entdecken. Aber er konnte doch nicht aufhören zu malen, nur weil er ein paar Jahrzehnte zu früh auf der Welt war! Er wünschte sich, er könnte den Kopf für einhundert Jahre unter eine Decke stecken und dann neu anfangen.

Anfang Dezember 1909 hatte Marc wegen einer schweren Erkältung im Bett gelegen, und so war es ihm nicht möglich gewesen, gleich nach ihrer Eröffnung eine Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München zu besuchen, die gerade in der eben erst gegründeten Galerie Thannhauser gezeigt wurde. Er hatte deshalb Maria gebeten, für ihn hinzugehen und einen Katalog zu besorgen. Begeistert hatte sie bei ihrer Rückkehr von den völlig unerhörten, andersartigen Exponaten von erstaunlicher Farbigkeit und Leuchtkraft erzählt, und Marc hatte sich mit wachsendem Interesse in die Betrachtung des Ausstellungskatalogs gestürzt und die Galerie besucht, sobald er wieder einigermaßen hergestellt war. Die Werkschau hatte seine kühnsten Erwartungen übertroffen: Gemälde von Kandinsky, Münter, Werefkin, Jaw­lensky – alle fremdartig und neu, aber begeisternd und unglaublich anregend.

Wieder zurück in Sindelsdorf, hatte er seine Gedanken in einer Erklärung festgehalten, die er an den Galeristen Thannhauser mit der Bitte um Weiterleitung übermittelte.

Und nun saß er da und überlegte, was das faszinierende Ge­­heimnis dieser Bilder gewesen war. Ihre Betrachtung hatte ihm ein weites Feld künstlerischer Möglichkeiten eröffnet, aber er wusste noch nicht, wie er dieses Feld beackern sollte. Klar war nur, dass ihn diese Frage im neuen Jahr beschäftigen würde. Seufzend nahm er – wie schon so oft – den Ausstellungskatalog in die Hand und studierte einmal mehr die Abbildungen. Lag ihr Zauber in der Verbindung aus Form und Farbe begründet?

Ein kräftiges, sonores Bellen riss ihn aus seinen trüben Ge­­danken. Russi, sein weißer Kaukasischer Schäferhund, erinnerte Marc lautstark daran, dass er es verabsäumt hatte, dem Tier sein morgendliches Futter hinzustellen.

»Entschuldige, mein Alter«, sagte Marc freundlich und kraulte das wuschelige Fell des Tieres, das sich eng an ihn drängte und ihn mit seiner starken Schnauze anstieß, als wollte es ihn auffordern, sich zu beeilen. Umgehend stellte er dem Hund das Futter hin, und als dieser satt war, schlüpfte Marc in seinen Mantel, legte einen warmen Schal um und zog den Hut tief ins Gesicht. Dann griff er zu seinem geliebten Spazierstock mit dem silbernen Knauf und machte sich mit Russi auf zum obligatorischen Morgenspaziergang.

Russi war ein besonderer Hund, der auf einzigartige Weise Teil der Hausgemeinschaft geworden war. Erst im vergangenen April hatte Marc ihn zu sich in die Münchener Schellingstraße geholt, als seine Mutter nach dem Tod ihres Mannes das Haus in Pasing aufgegeben hatte und in einen Alterswohnsitz umgezogen war. Schon am ersten Tag in seinem neuen Zuhause hatte Russi eine Unaufmerksamkeit Marcs genutzt und war nach draußen gerannt – Marc war ihm nachgelaufen, aber umsonst; der Hund war schneller gewesen. Marcs anschließende verzweifelte Suche war erfolglos geblieben.

»Der ist sicher fortgelaufen, um zurück zu deiner Mutter nach Pasing zu gehen«, hatte Maria vermutet.

»Gut möglich«, hatte Marc erwidert, »aber den Weg dorthin kann er nie und nimmer finden, wir sind mit ihm doch im Zug hierher gefahren.«

Dennoch hatte Marc auf Marias wiederholtes Drängen hin in der Nachbarschaft angerufen und ein paar Zettel mit seiner Adresse ausgehängt. Und tatsächlich: Einige Tage später war Russi beobachtet worden, wie er um das Haus von Marcs Mutter streunte. Dann war er wieder verschwunden. Man sah ihn kurze Zeit später auf dem Friedhof vor dem Grab von Marcs Vater sitzen, wo Russi oft mit seinem Frauchen gewesen war – offenbar hatte er erwartet, hier irgendwann Marcs Mutter anzutreffen, wenn sie schon nicht zu Hause war … Marc eilte dorthin, verbrachte viele Stunden mit Warten und endlich erblickte er den Hund und konnte ihn anleinen.

Dieses Erlebnis rührte Marc und Maria zutiefst, seither waren sie und das Tier unzertrennlich, zumal sich Russi zur Verwunderung aller auch mit den beiden Katzen sehr gut verstand. Die ­Tiere sollten später häufig Gegenstand von Gemälden, Studien und Skizzen Marcs werden.

An diesem Samstag nun, dem ersten Tag des neuen Jahres 1910, dehnte Marc den Spaziergang zu Russis großer Freude besonders lange aus. Sie gingen in den nahe gelegenen Englischen Garten. Die Sonne schien und der hellblaue Himmel verlieh der Kälte ­Farbe. Hier und da zeigten sich noch Reste von Schnee, die Bäume waren überzogen mit Raureif. Immer wieder blieb Marc stehen, nahm seinen Skizzenblock und hielt einen Eindruck fest – sei es nun ein Rotkehlchen, dessen rote Brustfedern mit dem weißen Strauch vor dem blauen Himmel kontrastierten, sei es das grau-braune Eis, das den Lehmgrund einer Pfütze verfremdete. Marc folgte dem Verlauf des Schwabinger Bachs nach Norden, genoss das sanfte Murmeln des Wassers und betrachtete interessiert die ­Strudel, die sich um einen großen Ast bildeten, der abgebrochen und von Eiskristallen überzogen im Wasser lag. Als er entlang des Oberstjägermeisterbachs den Rückweg einschlug, scheuchte ­Russi mit lautem Bellen einige Krähen auf, die sich an etwas zu schaffen gemacht hatten. Stolz präsentierte der Hund dann die Reste eines toten Eichelhähers, dessen rechter, blau-schwarz gebänderter ­Fittich grotesk nach unten hing, was die Wölbung des fuchsfarbenen Rückens und der schwarzbraunen Schwanzfedern zu konterkarieren schien. Marc prägte sich die Szenerie ein und lobte den Hund gebührend, hielt ihn aber an, sein Opfer fallen zu lassen. Dann nahm er einen Stock und warf ihn, so weit er konnte, denn er wusste, dass Russi diesem Angebot nicht widerstehen würde.

Gegen Mittag war Marc zurück und es ging ihm besser, zumindest körperlich, denn das zerstörte Gemälde belastete ihn noch immer sehr. Sofort machte er sich daran, seine Skizzen auszuwerten und Entwürfe für neue Gemälde anzufertigen, die er dringend bis zu seiner Ausstellung in wenigen Wochen fertig haben musste.

Die nächsten Tage verbrachte Marc an seiner Leinwand. Donnerstag, der 6. Januar 1910, brachte eine Abwechslung, die für Marcs weitere künstlerische und wirtschaftliche Entwicklung von einschneidender Bedeutung sein sollte.

Es war am späten Vormittag. Russi lag auf seiner Wolldecke im Atelier und bearbeitete einen großen Knochen – jedoch ohne die geringste Aussicht, auch nur ein paar Fetzen Fleisch noch ablösen zu können, denn der Knochen war schon einige Tage alt, aber daran war Russi gewohnt und so nahm er es eben als Zeitvertreib. Marc war gerade dabei, neue Farben zu mischen, wobei er mit besonderer Sorgfalt vorging, um nicht zu viel von einer Farbe zu nehmen und dann mit allen anderen nachbessern zu müssen, sodass er schließlich Farbe übrig hatte. Die Farbtuben waren teuer und Marc musste ohnehin schon einen guten Teil seines Einkommens in seine Malutensilien investieren. Plötzlich klopfte es laut. Marc schrak zusammen. Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wer ihn zu dieser Jahreszeit und bei dieser Kälte in seinem Atelier besuchen konnte. Er ging zur Tür und öffnete.

Draußen standen drei sehr junge, elegante Herren.

»Haben wir die Freude mit Herrn Marc, seines Zeichens Maler?«, fragte einer von ihnen. Und ohne eine Antwort abzuwarten, denn das Aussehen Marcs ließ diese Frage obsolet erscheinen, fuhr er fort: »Wir haben im Kunsthaus Brakl zwei Lithografien stehen sehen, die ›Pferde‹ und die ›badenden Frauen‹. Stellen Sie sich vor: Die Blätter standen unter dem Tisch, obwohl sie das Beste der ganzen Galerie waren.«

Marc war erfreut: »Wie schön, ich kann Zuspruch gebrauchen wie jeder Maler, der heutzutage nicht dem Zeitgeschmack entsprechend malt. Womit kann ich Ihnen dienen, meine Herren?«

»Nun, das ist nicht ganz einfach zu sagen«, fuhr der erste fort, der der Älteste zu sein schien. »Mein Name ist August Macke, auch ich bin Kunstmaler, ebenso wie mein Vetter Helmuth, hier an meiner Seite.« Helmuth Macke machte eine leichte Verbeugung. »Und der dritte im Bunde ist Herr Bernhard Koehler junior aus Berlin. Sein Vater ist ein bedeutender Kunstsammler.«

Marc konnte die Situation nicht so recht einordnen und wartete ab, was aus alledem werden würde.