Frauen, an die ich nachts denke - Mia Kankimäki - E-Book
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Frauen, an die ich nachts denke E-Book

Mia Kankimäki

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Beschreibung

Besondere Autor*innen, besondere Geschichten: btb SELECTION – Ausgezeichnet. Ungewöhnlich. Erstklassig.

Mia, Anfang vierzig, hat den Job gekündigt, die Wohnung verkauft, und während andere Familien haben und Sommerhäuser kaufen, denkt sie während zahlloser schlafloser Nächte an Frauen – und das hat nichts mit Sex zu tun, sondern mit der Suche nach dem Sinn des Lebens! Ihres Lebens! Ihre Nachtfrauen – furchtlose Entdeckerinnen, begabte Schriftstellerinnen und leidenschaftliche Künstlerinnen – sind Schutzheilige, die sie um sich versammelt, um sich den Weg weisen zu lassen. Und eines Tages beschließt sie, Ernst zu machen, die Welt zu bereisen und den Spuren ihrer Nachtfrauen wirklich zu folgen – Karen Blixen nach Tansania, Sei Shōnagon nach Japan, vergessenen Renaissance-Malerinnen nach Florenz. Denn wenn diese Frauen es vor Hunderten von Jahren in die Welt geschafft haben, warum sollte Mia das dann nicht auch können?

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Seitenzahl: 655

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Zum Buch

Mia, Anfang vierzig, hat den Job gekündigt, die Wohnung verkauft, und während andere Familien haben und Sommerhäuser kaufen, denkt sie in zahllosen schlaflosen Nächten über den Sinn des Lebens nach, ihres Lebens. Während dieser Wolfsstunden wird Mia von Frauen besucht. Ihre Nachtfrauen – furchtlose Entdeckerinnen, begabte Schriftstellerinnen und leidenschaftliche Künstlerinnen – sind Schutzheilige, die sie um sich versammelt, um sich den Weg weisen zu lassen. Und eines Tages beschließt sie, Ernst zu machen, die Welt zu bereisen und den Spuren der Nachtfrauen wirklich zu folgen – Karen Blixen nach Tansania, Sei Shōnagon nach Japan, vergessener Renaissance-Malerinnen nach Florenz. Denn wenn diese Frauen es vor Hunderten von Jahren in die Welt geschafft haben, warum sollte Mia das dann nicht auch können?

Zur Autorin

MIA KANKIMÄKI, 1971 in Helsinki geboren, hat an der Universität Helsinki Allgemeine Literatur studiert und in verschiedenen Verlagen gearbeitet. Für ihr Buch »Dinge, die das Herz höher schlagen lassen« über die japanische Hofdame und Schriftstellerin Sei Shōnagon, hat sie ihren Job und ihr Zuhause zum ersten Mal verlassen, um sich auf die Spur einer faszinierenden Frau zu begeben. Als die Besuche ihrer »Nachtfrauen« immer intensiver wurden und die Frage nach dem echten Leben immer dringlicher, folgte sie dem Mut und dem Vorbild ihrer nächtlichen Besucherinnen und machte sich wieder auf Reisen, um von den inspirierenden »Frauen, an die ich nachts denke« zu erzählen und deren faszinierenden Leben etwas näher zu kommen.

MIA KANKIMÄKI

FRAUEN, AN DIE ICH NACHTS DENKE

Auf den Spuren meiner Heldinnen

Aus dem Finnischen von Stefan Moster

Die finnische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Naiset joita ajattelen öisin« bei Otava, Helsinki. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data- Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe Mai 2022

by btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright der Originalausgabe © 2018 by Mia Kankimäki und Kustannusosakeyhtiö Otava

Covergestaltung: semper smile, München nach einem Entwurf von gursliberg unter Verwendung eines Motivs von © Trine & Kim

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

mr · Herstellung: sc

ISBN 978-3-641-25243-4V003

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

INHALT

I DIE NACHTFRAUEN: EIN GESTÄNDNIS

TEIL I – AFRIKA

II DER WEISSE NEBEL, WINTER – FRÜHLING

III AFRIKA, MAI

TEIL II – DIE FORSCHUNGSREISENDEN

IV KALLIO – VIHTI, SOMMER

V KYŌTO, SEPTEMBER

TEIL III – DIE KÜNSTLERINNEN

VI FLORENZ, NOVEMBER

VII KALLIO – MAZZANO, WINTER-FRÜHLING

VIII ROM – BOLOGNA – FLORENZ REVISITED

IX NORMANDIE, SEPTEMBER

X DER ZAUBERBERG

DANK

LITERATUR

BILDNACHWEIS

BILDTEIL

Du glaubst zu wissen, was die Reise bieten kann, aber eigentlich weißt du gerade das nicht.

Karen Blixen in einem Brief aus Afrika vom 18.1.1917.

Kommt nun herbei, Grazien zart, Musen mit schönen Haaren.

Sappho, 7. Jh. v. Chr.

I DIE NACHTFRAUEN: EIN GESTÄNDNIS

Ich heiße M. Ich bin 43 Jahre alt. Im Lauf der Jahre habe ich in zahllosen Nächten an Frauen gedacht – und das hat nichts mit Sex zu tun.

Ich denke in meinen schlaflosen Nächten an Frauen, weil mein Leben/meine Männerangelegenheiten/meine Einstellung aus den Fugen geraten sind und ich das Gefühl habe, dass diese entsetzliche Wolfsstunde niemals enden wird. In solchen Nächten versammle ich eine unsichtbare Leibgarde historischer Frauen um mich, Schutzheilige, die mir den Weg weisen.

Das Leben dieser inspirierenden Nachtfrauen ist nicht in traditionellen Bahnen verlaufen. Sie haben Grenzen überschritten und Dinge getan, die man nicht von ihnen erwartet hätte. Viele von ihnen gehen als Künstlerinnen und Schriftstellerinnen einer einsamen, nach innen gerichteten Arbeit nach. Die meisten hatten keine Familie oder Kinder, und ihre Beziehungen zu Männern waren unkonventionell. Viele sind gereist oder in eine fremde Kultur gezogen und haben noch im reifen Alter ihr Leben geändert. Manche haben ihr Leben lang mit ihren Müttern zusammengewohnt, viele unter Krankheiten und psychischen Problemen gelitten, aber alle sind sie ihrer Leidenschaft gefolgt und haben ihre eigenen Entscheidungen getroffen, ohne sich um die Erwartungen ihrer Zeit zu scheren. Diese vorbildhaften Frauen sollten mein Plan B sein – der Plan, auf den ich zurückgreifen würde, falls alles andere schiefginge.

Eine der Frauen ist die Hofdame und Schriftstellerin Sei Shōnagon, die vor tausend Jahren in Kyōto gelebt hat und über die ich mein erstes Buch schrieb. Aber es gibt noch mehr. Ich denke nachts an Frida Kahlo, deren Biografie ich als Achtzehnjährige las und die meine Vorstellung von Weiblichkeit veränderte. Ich denke an Georgia O’Keeffe, die allein in der Wüste von New Mexiko landete, um Büffelschädel zu malen, und mit über 70 ihre erste Weltreise unternahm. Ich denke an die Japanerin Yayoi Kusama, die beschloss, Künstlerin zu werden und an Georgia O’Keeffe schrieb, um sie um Rat zu fragen, und die später, nachdem sie die Kunstwelt von New York aufgerüttelt hatte, nach Tokio zurückkehrte und darum bat, in der Psychiatrie wohnen zu dürfen. Ich denke an Karen Blixen, die ihrem Mann nach Afrika folgte und dort plötzlich allein eine Farm verwalten musste. Ich denke an Jane Austen, die den Roman neu erfand, obwohl sie unverheiratet in der Dachkammer ihrer Eltern in der englischen Provinz lebte. Ich denke an die Dichterin und Künstlerin Ema Saikō, die in der Edo-Zeit in Japan gelebt hat und deren Gelassenheit mir in der Wolfsstunde schließlich den Schlaf bringt.

Ich frage mich, woraus diese Frauen ihren Mut schöpften. Was würden sie mir raten, wenn wir uns begegneten? Und vor allem: Könnte ich auf ihren Spuren auf Entdeckungsreise gehen?

Inzwischen befinde ich mich bereits eine Zeitlang auf dieser Reise. Dabei entdecke ich immer mehr aufregende, vergessene Nachtfrauen, und in meinem Kopf bildet sich ein immer größer werdendes Netz aus Frauen, die in verschiedenen Jahrhunderten und Weltgegenden gelebt haben. Sie heißen Mary, Karen, Ida, Nellie, Martha, Alexandra, Sofonisba, Battista, sie sind Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Forschungsreisende, deprimierte Singles, Kriegsberichterstatterinnen, Ehefrauen von Renaissancegenies.

Es sind Frauen, an die ich nachts denke. Ursprünglich dachte ich in meinen schlaflosen Nächten an sie, um Kraft, Inspiration und einen Sinn für mein Leben zu gewinnen. Inzwischen bleibe ich wegen ihnen wach, weil sie mich in Aufregung versetzen. Warum sind sie mir erschienen, warum sind sie bei mir geblieben, warum ziehen sie mich mit? Warum habe ich rings um meinen Schreibtisch Bilder von ihnen aufgehängt, warum werden die schwankenden Stapel von Büchern auf dem Fußboden, die von ihnen erzählen, immer höher, warum sammle ich Einzelheiten über sie wie Talismane?

Ich will von vorne anfangen, Bild für Bild.

Aber zuerst packe ich meinen Koffer, denn bald geht mein Flug.

TEIL I AFRIKA

. . .

[Brief auf einer Serviette]

Liebe Karen,

ich schreibe dir hier eine rasche Mitteilung auf eine Serviette von KLM. Ich sitze im Flugzeug auf dem Weg zum Kilimandscharo und habe Angst. Ich habe solche Angst, dass ich zittere. Ich frage mich, wie ich mich wieder in so eine Situation hineinmanövrieren konnte: Warum muss ich nach Afrika fliegen, obwohl ich doch so große Angst habe? Hätte ich nicht zu Hause bleiben und mir Tierfilme anschauen können?

Das Schlimmste ist, dass ich nicht einmal weiß, wohin ich unterwegs bin. Ich habe mich per Brief an einen in Tansania lebenden finnischen Mann gewandt, den ich überhaupt nicht kenne, und dieser Mann hat mich eingeladen, ihn jederzeit zu besuchen. Jetzt bin ich also auf dem Weg dorthin. Ich hoffe, er holt mich am Flughafen Kilimandscharo ab, denn ich weiß nicht einmal, wo er wohnt.

Karen, das ist deine Schuld. Würdest du mir freundlicherweise ein bisschen von deinem berühmten Mut schicken? Ich könnte ihn gut gebrauchen.

Deine M.

. . .

II DER WEISSE NEBEL, WINTER – FRÜHLING

Ausführlicher erzählt ist meine Situation folgende:

Es ist November, ein Jahr zuvor. Ich liege in Kyōto in meinem kalten, mit Tatamifußboden ausgestatteten Zimmer und habe nicht das geringste Interesse daran, mich vom Futon zu erheben. Vor zwei Monaten ist mein erstes Buch erschienen, und ich bin nach Kyōto gekommen, um darüber nachzudenken, was ich als Nächstes tun soll. Ich bin durch die engen Gassen dieser Stadt, die mir so lieb ist, gestreunt, habe mich mit Freundinnen und Freunden getroffen, in Teehäusern gesessen und bin durch orange leuchtende Herbsttempel gewandert, aber das Denken bleibt zäh.

Ich glaube, dies ist der absolute Nullpunkt.

Ich bin 42 Jahre alt. Ohne Mann, ohne Kind, ohne Arbeit. Ich habe meine Wohnung verkauft, mein erstes Buch zu Ende geschrieben und meine frühere Arbeitsstelle endgültig gekündigt. Ich bin in weißen Nebel hineingetreten. Ich bin frei und vollkommen ungebunden.

Aber der Nebel scheint von der schlimmen Sorte zu sein, und ich weiß absolut nicht, was ich als Nächstes tun soll. Wohin soll ich gehen? Wem soll ich folgen? Was kann eine Frau über vierzig, die keine Familie und ihre Arbeit und ihre Wohnung aufgegeben hat, mit ihrem Leben anfangen?

Andererseits sind die letzten Jahre die großartigste Zeit meines Lebens gewesen. Ich habe aus dem Koffer gelebt, viel Zeit in Kyōto, London, Thailand und Berlin verbracht, und wenn ich in Finnland war, habe ich entweder als Haushüterin bei Freunden oder im Dachzimmer meiner Eltern gewohnt. Ich habe ein Buch geschrieben und bin in der Freiheit geschwebt, mit dem unfassbaren Gefühl, meine Zeit so nutzen zu können, wie ich es will.

Wenn ich meine Freundinnen und Freunde sehe, die an der Grenze zum Burnout entlangtaumeln, überkommt mich ein diffuses Schuldgefühl. Keine Versklavung durch Arbeitszeiten, keine drohende Entlassung, zu Hause niemand, der darauf wartet, versorgt zu werden – es kommt mir vor, als wäre es mir gelungen, aus Alcatraz zu fliehen, und als würde ich jetzt aus den falschen Gründen auf einer Luftmatratze treiben und zuschauen, wie die anderen schuften. Es kommt mir geradezu unverschämt vor, selbst darüber zu entscheiden, was ich tun will. So darf das Leben doch nicht sein, oder?

Im Prinzip ist alles prima, aber etwas bedrückt mich.

Mein Leben scheint in die entgegengesetzte Richtung zu laufen, als das meiner Freunde. Sie richten ihr Zuhause ein, backen Kuchen für den Schulbasar ihrer Kinder, laufen Marathon, kaufen sich Sommerhäuser und verbringen Verwöhnwochenenden in Mitteleuropa. Ich hingegen bin als Vierzigjährige in die Lebenslage einer Zwanzigjährigen zurückgekehrt. Ich habe keine Zeitpläne, keine Verpflichtungen, keinen Job und schon gar kein Geld und bin in ein winziges Ein-Zimmer-Apartment gezogen. Nicht einmal während des Studiums habe ich in so einer Hundehütte gewohnt. Ich bin frei, aber ich bin auch eine Außenseiterin.

In schlechten Momenten habe ich das Gefühl, innerhalb von zwanzig Jahren nichts erreicht zu haben.

In guten Momenten habe ich das Gefühl, dass ich es geschafft habe, mich von allem zu befreien.

Und jetzt müsste ich für diese Expedition – für das Leben einer Frau über vierzig – eine neue Richtung und Bedeutung finden. Während ich in Kyōto wach auf dem Futon liege, schleicht sich allmählich ein größenwahnsinniger Gedanke in meinen Kopf: Vielleicht sollte ich den vorbildhaften Frauen folgen, an die ich nachts denke. Ich könnte eine schreibende Forschungsreisende werden und die Landschaften dieser Frauen in Afrika, Mexiko, Polynesien, China, in der Wüste Neu-Mexikos, auf der ganzen Welt bereisen. Aber wie soll ich das machen?

Dann trinke ich eines Abends in einem magischen Teehaus, das ich entdeckt habe, zu spät noch eine Tasse starken hellgrünen Matcha, und mein Gehirn läuft auf Hochtouren. Ich denke, dass ich mich derzeit am meisten für Afrika interessiere. Und dass Afrika verdammt beängstigend ist. Aber dass ich genau deswegen hinmuss.

Als ich von Kyōto nach Finnland zurückkehre, beschließe ich, Sei Shōnagon mit der Post nach Tansania zu schicken. Auf das Päckchen schreibe ich eine Adresse, die ich im Internet gefunden habe: Box 10, Arusha, Tanzania. Ich schicke mein erstes Buch an einen finnischen Wildtierforscher, unter dem Vorwand, dass er auf Seite 26 erwähnt wird, und lege einen Zettel dazu, auf dem ich ihm mitteile, dass ich von einer Fahrt in die Savanne träume. Ich stelle mir träumerisch (und vollkommen absurderweise) vor, wie Sei, meine Botschafterin, meine Späherin, mein exotischer Lockvogel, mich mitzieht auf die Reise.

Und das tut sie auch.

Zu Silvester bekomme ich eine SMS vom Wildtierforscher: »Danke für das Buch! Ich schreibe später noch eine E-Mail, aber wenn dir danach ist, bist du jederzeit willkommen.«

Falls ich auf irgendein Zeichen gewartet haben sollte – hier ist es. In meinem Bauch rumort das Entsetzen, aber verflixt noch mal, wenn ich mich nicht traue zu fahren, werde ich mir das nie verzeihen. Ich kenne diesen Olli überhaupt nicht, wir sind uns nie begegnet, aber aus seinen Büchern über die Natur in Tansania und aus einem drei Jahre zurückliegenden Telefonat habe ich den Eindruck gewonnen, dass er ein aufrichtiger (und äußerst gesprächiger) Mann ist. Im Internet lese ich, dass er ein Haus auf dem Land hat, irgendwo in der Nähe von Arusha. Lädt er mich dorthin ein? (Vor meinem inneren Auge sehe ich Jakaranda-Alleen, Köche und Gärtner, aber es kann sich auch um wer weiß was für eine Lehmhütte handeln.) Und er glaubt doch wohl nicht, dass ich irgendwelche romantischen Absichten hege, weil ich mich so aufdränge? (Mein Ex: »Also weißt du, wenn ein weißer Mann in Afrika lebt, dann ist eine finnische Frau über vierzig für ihn nicht unbedingt eine wahnsinnige Attraktion.«)

Vielleicht wäre jetzt der Zeitpunkt, das Karen-Blixen-Konto anzutasten – das Sparkonto, auf das ich seit Jahren Geld für meine Traumreisen einzahle. Für solche, die ich mich traue, und für solche, die ich mich nicht traue.

Für mich steht Karen Blixen nicht nur für unbekannte Kontinente und die wilde Natur Afrikas, sondern auch für vorbildlichen Mut.

Ich bin zweimal in Afrika gewesen. Beide Male habe ich mir einen Traum erfüllt, und beide Male habe ich mich zu Tode geängstigt. Auch wenn ich nicht weiß, wie ein Mensch auf einer organisierten Gruppenreise Angst haben kann, denn auf einer solchen wird man ja geradezu hospitalisiert. Auf der Südafrika-Reise saßen wir so lange in Kleinbussen (manchmal fuhren wir 700 Kilometer am Tag), dass ich nicht einmal Lust hatte, mein aufblasbares Nackenkissen abzunehmen, wenn ich mitten in Swasiland ausstieg, um mir die Beine zu vertreten. Dennoch hatte ich Angst. Als ich in meiner ersten Safari-Nacht in der Savanne schlief und zum ersten Mal einen Löwen brüllen hörte, hatte ich solche Angst, dass mir die Zähne klapperten. (Bis dahin hatte ich nicht gewusst, dass man vor Angst mit den Zähnen klappern kann.)

Karen Blixen hingegen hatte garantiert keine Angst. Sie verwaltete eine Farm im ostafrikanischen Hochland und unternahm Jagdsafaris, die Wochen und Monate dauerten. Dabei wurden am Lagerfeuer von Dienern zubereitete Mahlzeiten verspeist, Champagner aus Kristallgläsern getrunken und Schubert auf dem Grammophon gehört. Hinter Karen Blixen, die in meiner Vorstellung einen langen Rock, eine weiße Bluse und geschnürte Schuhe mit Schaft trägt, sieht man, so weit das Auge reicht, gelbgrasige Savanne, regenschirmartige Akazienbäume, Zebras, Giraffen und eine Schreibmaschine. Wer den Film Jenseits von Afrika gesehen hat, sieht auf dem Bild eventuell noch einen gutaussehenden Mann mit Safarituch um den Hals, der sich auf den Ellenbogen stützt.

Liest man Karen Blixens Erinnerungen Jenseits von Afrika, wird deutlich, dass Karen mutig, wach, gewandt und klug war und dass sie über beneidenswerte Überlebenskünste verfügte. Manchmal wirkt sie geradezu wie eine unüberwindbare Superfrau, fast wie ein Mann. Schon wenn man aufgrund des Buches eine grobe Liste ihrer Meriten zusammenstellt, kommt etwas Beeindruckendes heraus:

Karen baut Kaffee in Afrika an.Karen ist eine geschickte Jägerin. Einmal wird sie von Massai gebeten, einen Löwen zu erschießen, der es auf ihr Vieh abgesehen hat, manchmal schießt sie ein oder zwei Zebras als Sonntagsmahlzeit für die Leute auf der Farm.Karen unternimmt Touren in die Wildnis. Sie zieht mit Kikuyu und Somali los und reitet mit ihren Hunden in Antilopenherden hinein. Karen ist eine angesehene Ärztin, die jeden Morgen Patienten empfängt. Die Patienten haben Pest, Pocken, Typhus, Malaria, Wunden, Prellungen, gebrochene Gliedmaßen, Verbrennungen und Schlangenbisse. Die schlimmsten Fälle bringt Karen nach Nairobi ins Krankenhaus oder in eine Missionsstation. Einmal nimmt sie selbst eine Überdosis Arsen, kommt aber auf die Idee, in Alexandre Dumas’ Roman nachzuschlagen, worauf es ihr gelingt, das Arsen mit Milch und Eiweiß zu neutralisieren.Karen ist außerdem Lehrerin, Richterin und Wohltäterin. Sie hat auf ihrer Farm eine Schule gegründet und fungiert bei Streitigkeiten der Einheimischen als Richterin. Morgens pflückt sie mit ihren Arbeitern, die sie liebt, Kaffee. Sonntags gibt sie Kautabak an alte Frauen aus.Einmal findet Karen den alten Knudsen tot auf einem Pfad und trägt den Toten zusammen mit einem Jungen aus der Gegend in die Hütte. Sie fürchtet sich nicht vor Toten, wie die Einheimischen (und wie ich). Sie fürchtet sich auch vor sonst nichts.Karen ist eine ausgezeichnete Köchin. Sie hat es von dem französischen Küchenchef eines vornehmen dänischen Restaurants gelernt, und ihre Dinner sind im ganzen östlichen Afrika berühmt.Wenn die Regenzeit ausbleibt, schreibt Karen abends Erzählungen. Es muss nicht eigens erwähnt werden, dass sie schreiben kann. Ihr Ton ist gelassen, klar und warm. Diese Frau ist stark, sie weiß, wer sie ist. Sie versteht alles, kann alles, und nichts bringt sie aus dem Gleichgewicht.

Wäre ich nur Karen!

Aber ich bin es eindeutig nicht. Ich sitze am Rand der Panik auf meinem Sitz in der KLM-Maschine. Ich werde am Abend um neun am Flughafen Kilimandscharo ankommen, mitten in der afrikanischen Dunkelheit. Wird mich dieser »Olli« wenigstens abholen?

Ich habe Olli per E-Mail nach Moskitonetzen und nach »der gründlichen Permethrinbehandlung der Kleidung« gefragt, die von den Reiseführern zum Schutz vor Malaria empfohlen wird, aber Olli hat mich gebeten, mich zu beruhigen: Ich könne das alles vergessen, wenn ich eine Prophylaxe einnähme. Dennoch könnte ich schwören, dass die Ärztin im Gesundheitszentrum besorgt wirkte, als sie mir das Malaria-Rezept ausstellte.

Ich komme um den Gedanken nicht herum, dass die gesamte westliche Auffassung von Afrika tatsächlich genauso einseitig und verzerrt ist, wie es der chilenische Künstler Alfredo Jaar behauptet, von dem ich gerade eine Ausstellung im Kunstmuseum Kiasma in Helsinki gesehen habe. Die Titelbilder der Zeitschrift Time, die er zusammengestellt hat, zeigen mit bestürzender Deutlichkeit, was für Vorstellungen von Afrika uns angeboten werden: wilde Tiere, Hungersnot, Krankheit und Krieg. Dafür werden Städte, kulturelles Leben und Universitäten – das ganze gewöhnliche Leben der gebildeten afrikanischen Mittelschicht – effektiv aus dem Bewusstsein getilgt. Und in genau dieser Tinte sitze ich jetzt: Denke ich an Afrika, denke ich an Krankheiten, Hygieneprobleme und Terroranschläge. An Raub, Vergewaltigung, Entführungen, Verkehrsunfälle. An Moskitos, Schlangen, Tsetsefliegen. An Amöben, Bilharziose, Hirnmalaria. An Durchfall, Hyperthermie, Gelbfieber, Cholera, HIV und Ebola.

Oder noch schlimmer: Ich denke an etwas, das es nicht einmal gibt. Als ich zwei Freunde von Freunden, die in Nairobi gearbeitet haben, nach Reisetipps frage, begreife ich, dass ich in einem vollkommen verzerrten Traum lebe. Sie reden von den Großslums von Kibera und von den Aktivitäten der Flüchtlingsorganisationen, denn für sie ist klar, dass man nach Kenia geht, um in der Entwicklungshilfe, in Flüchtlingslagern und mit Straßenkindern zu arbeiten. Ich wage es kaum, ihnen zu sagen, wovon ich träume: von Safaris im Kolonialstil und vom Zauber einer versunkenen Welt, davon, dass ich mit einem Kleinflugzeug über die Savanne fliege, die Sprache der Elefanten lerne und einem Löwen in die Augen schaue, dass ich abends vor dem Zelt auf einem Campingstuhl sitze und auf einer altmodischen Schreibmaschine tippe oder mit einem Kristallglas in Reichweite in einem ledergebundenen Buch lese.

Abgesehen von den Reisevorbereitungen und der Karen-Forschungen ist das Frühjahr auch sonst ausgesprochen sonderbar. Im Februar muss ich zu einer komplizierten Weisheitszahnoperation, nach der ich drei Wochen lang den Mund nicht aufmachen kann. Ich liege im Dachzimmer meiner Eltern im Medikamentennebel, nehme mit dem Strohhalm passiertes Essen, das meine Mutter zubereitet hat, zu mir, lese Akseli Gallen-Kallelas Buch über Afrika und bin neidisch auf die Nilpferde im Fernsehen, die ihr Maul bis in einem Winkel von 180 Grad aufmachen können. Im März bin ich dann wegen Halsproblemen in Stimmtherapie, wo ich die absonderlichsten Stimmübungen machen und unter anderem mit der Therapeutin zweistimmig die finnische Nationalhymne singen muss, während ich gleichzeitig in ein Glasrohr blase, das in einem Wasserglas steckt. Das Absurdeste ist allerdings die Stimmlagenkartierung, deren Resultat lautet, dass ich mit der tiefst möglichen Stimme spreche, obwohl ich in Wirklichkeit Sopran bin. Sopran! Lächerlich. Mein gesamtes Selbstbild beruht darauf, dass ich ein düsterer, phlegmatischer, tiefer Alt bin, aber jetzt soll ich eine ganz andere sein: ein fröhlicher, euphorischer Mensch voller Energie, der 42 Jahre lang mit der falschen Stimme gesprochen hat!

Die Symbolik ist penetrant, schließlich bin ich kurz davor, mich auf eine Reise zu begeben, um eine neue Stimme zu finden: die Stimme einer mutigen Frau, die entspannt lächelnd durchs Leben geht.

Noch habe ich sie nicht gefunden.

Ich schreibe eine Nachricht an Karen auf die Serviette. Da weiß ich noch nicht, dass mein Verhältnis zu ihr überraschend widersprüchliche Züge annehmen wird.

KAREN

RATSCHLÄGE DER NACHTFRAUEN 1GEH NACH AFRIKA!

NACHTFRAUNR. 1:Karen Blixen, geb. Dinesen.

BERUF:Kaffeefarmerin, später auch Schriftstellerin. Kam im Januar 1914 im Alter von 28 Jahren in Afrika an. Verbrachte dort zwölf Jahre als Verwalterin einer Kaffeeplantage. Verließ Afrika im Juli 1931 im Alter von 46 Jahren als mittellose, deprimierte, an Syphilis erkrankte Frau, die alles verloren hatte. Zog in ihr Elternhaus zu ihrer Mutter und fing an, ihr erstes Buch zu schreiben.

Als Karen 1913 im Alter von 28 Jahren nach Afrika aufbrach, hatte auch sie eine Sache im Sinn: eine Lebensveränderung. Sie war all dessen, was ihr in ihrer Welt als junger Frau zur Verfügung stand, restlos überdrüssig, und als Siedlerin nach Afrika zu gehen, war ihr Plan B.

Karen Dinesen wurde 1885 in eine wohlhabende dänische Familie hineingeboren und verbrachte ihre Kindheit in einem alten Gutshaus in dem Küstendorf Rungsted in der Nähe von Kopenhagen. Karen, im Familienkreis Tanne genannt, war ein Papakind, und das wundert mich nicht, denn ihr Vater war ein Freidenker, der durch Amerika gereist war und unter Ureinwohnern gelebt hatte, und mit dieser Welt der Leidenschaften, Pioniertaten und fernen Wildnissen identifizierte sich Karen. Kurz bevor sie zehn wurde, beging ihr Vater allerdings Selbstmord, und das war für Karen ein Schlag, der ihr ganzes Leben lang nachwirkte.

Die Welt der Frauen, wie sie ihre Mutter und ihre Tanten repräsentierten, hasste sie. Das Leben dieser Frauen schien zu stagnieren, sie saßen in den eigenen vier Wänden und erörterten endlos Fragen der Sittlichkeit und der Geschlechtermoral. In dieser Welt wurden Frauen nicht darauf vorbereitet, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern zu heiraten. So erhielt auch Karen den für Mädchen der Oberschicht angemessenen Privatunterricht, bei dem man Gedichte las, lernte, schön zu schreiben und Englisch und Französisch zu sprechen. Für Frauen unnütze Fächer wie Mathematik wurden links liegen gelassen. Das Leben auf Gut Rungstedlund war so behütet und fast klaustrophobisch, dass Karen später sagte, immer wenn sie dorthin zurückkehre, nehme sie eine Muffigkeit wahr, wie sie einem entgegenschlage, wenn man einen vollbesetzten Eisenbahnwaggon betrete: Die Luft ist verbraucht. In diesem Waggon mochte Karen nicht bleiben, und sie hatte auf keinen Fall die Absicht, ein »standesgemäßes«, tatenloses, der Familie und der Wohltätigkeit gewidmetes Leben zu führen.

Mit zwanzig beschloss sie, Künstlerin zu werden, und fing an, an der Königlichen Akademie in Kopenhagen Malerei zu studieren. In der übrigen Zeit amüsierte sie sich in aristokratischen Kreisen, in denen man sich mit Rennpferden beschäftigte, Vögel schoss, Golf spielte, Whisky trank, Bälle veranstaltete, sich Autos und Flugzeuge kaufte und in leidenschaftliche Beziehungen verstrickte. In denselben Kreisen verkehrten auch Karens Großneffen, die adligen schwedischen Brüder Bror und Hans von Blixen-Finecke. Bror war ein gutgelaunter, verschwenderischer und verantwortungsloser Hedonist, dessen Hauptanliegen im Leben darin bestand, Spaß zu haben. Für seine Intelligenz oder seine Feinfühligkeit war er nicht sonderlich berühmt. Karen verliebte sich auch nicht in ihn, sondern in seinen Bruder Hans.

Hans interessierte sich jedoch nicht für sie, und 1910 floh Karen vor ihrem Liebeskummer nach Paris. Dort feilte sie an ihren gesellschaftlichen Fähigkeiten und wurde zu einer gewandten, scharfzüngigen und in ihrer Intensität etwas beängstigenden jungen Frau, die Zigaretten rauchte, mit tiefer Stimme sprach und dazu überging, ihren Namen Tanne in russischer Manier als Tania auszusprechen. Und als Bror von Blixen dann zwei Jahre später um ihre Hand anhielt, reagierte sie mit Zustimmung. Mit Bror bestand nämlich die Chance, etwas ganz anderes zu machen: nach Afrika zu gehen. Karen war 27.

Als im Dezember 1912 Karens und Brors Verlobung bekannt gegeben wurde, war Karens Umfeld von der Neuigkeit nicht erfreut. Bror hatte keinen besonders guten Ruf, und das Paar wirkte auch nicht verliebt. Aber Brors Onkel ermunterte sie, nach Afrika zu gehen: Angeblich sei das Land ungeheuer schön, außerdem gäbe es dort »fantastisches wirtschaftliches Potential«. 1895 war Britisch-Ostafrika gegründet worden, und europäische Siedler strömten auf das fruchtbare Hochland, das ihnen die britische Verwaltung zu einem lächerlich niedrigen Preis verkaufte. Die Einheimischen – Kikuyu, Massai und andere Stämme – waren aus ihren Wohngebieten vertrieben worden.

Das Geld für den Grunderwerb kam von Karens Verwandten, und Bror reiste allein voraus, um Geschäfte zu machen und das Haus einzurichten. Sie wollten heiraten, wenn Karen im Januar 1914 nach Mombasa kam. In Afrika verbrachte Bror jedoch die meiste Zeit auf Safaris und beschloss, den ursprünglichen Plan, Vieh zu züchten, aufzugeben. Er verkaufte die erworbene Farm und kaufte stattdessen eine wesentlich größere Kaffeeplantage, denn er war davon überzeugt, dass im Kaffee die Zukunft lag.

Währenddessen bereitete sich Karen auf die Reise vor und packte: die Möbel reichten für etwa eine Essgruppe und zwei Paar Schlafzimmereinrichtungen, dazu kamen kistenweise Tafelsilber, Kristallgläser, Porzellan, Tischwäsche, Gemälde, gerahmte Fotografien, Edelsteine, Teppiche, eine französische Standuhr, die gesamte Bibliothek ihres Großvaters, eine Truhe mit Medikamenten sowie ihr Lieblingshochzeitsgeschenk, den schottischen Deerhound Dusk. Anfang Dezember 1913 reiste sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester mit dem Zug von Kopenhagen nach Neapel, wo sie einige Wochen später an Bord des Dampfschiffes Admiral ging, das sie nach Afrika bringen sollte. Das Schiff fuhr von Neapel aus über das Mittelmeer und durch den Suezkanal ins Rote Meer und weiter auf den Indischen Ozean, wobei es der Küste Somalias in südlicher Richtung bis nach Mombasa folgte. Die Schiffspassage dauerte neunzehn Tage.

Was mochte Karen über ihr Reiseziel gewusst haben? Natürlich hatte sie Drucke schlechter Qualität von Afrika gesehen und Schilderungen in Büchern, Zeitungen und Brors Briefen gelesen, aber sie reiste auf vollkommen andere Art ins Unbekannte als ich. Wie stellte sie sich in jenen einsamen Nächten ihre Zukunft vor? Obwohl: Woher will ich wissen, dass sie einsam war? Das Schiff war voller Emigranten auf dem Weg an die ostafrikanische Küste, Südafrikaner, Briten und Deutsche, die im Salon des Schiffes ihre Champagnergläser erhoben, tanzten und Bridge spielten.

Die Admiral lief am 13. Januar 1914 in Mombasa ein, und am nächsten Morgen wurden Karen und Bror getraut. Die Zeremonie dauerte zehn Minuten, danach hieß Karen offiziell Baronin von Blixen-Finecke. Dann traten sie die Zugfahrt von der heißen und feuchten Küstenregion Mombasas in Richtung Nairobi und des weiten, fruchtbaren und milden Hochlandes an, wo ihr zukünftiges Leben lag.

Ich komme hundert Jahre und vier Monate später in Afrika an, im Mai 2014. Als ich auf dem Flughafen Kilimandscharo lande, trennen uns nur der Vulkan Kilimandscharo, die schnurgerade Grenze zwischen Tansania und Kenia, knapp 300 Kilometer und die bereits genannten hundert Jahre. Ich weiß, dass sich seitdem zumindest eines geändert hat: Von der Eisdecke auf dem Gipfel des Kilimandscharo sind 82 Prozent verschwunden.

Natürlich wäre es ideal, wenn ich jemanden heiraten könnte, bevor ich zu meiner Unterkunft fahre, aber es ist äußerst unwahrscheinlich, dass es so kommen wird.

III AFRIKA, MAI

Der erste Tag in Afrika. Es ist Vormittag, ich sitze an einem Gartentisch und esse tansanischen Brei, den mir Ollis Lebensgefährtin Flotea gebracht hat. Der Himmel ist bewölkt und die Luft frisch; zwar feucht, aber angenehm. Vögel in exotischen Farben singen, und die Bananenbäume rascheln im Wind – beim Aufwachen hielt ich ihr Rascheln für das Geräusch des Regens. Irgendwo jenseits des Zauns muht eine Kuh, vermutlich dieselbe, bei der Flotea die Morgenmilch für Michell holte (Flotea fragte, ob ich auch welche wolle, aber ich lehnte höflich ab). Unglaublich: Ich bin tatsächlich hier.

Spät am Vorabend kam ich an, ängstlich und todmüde. Ich hatte schlecht gegessen und Migräne. Mich empfing feuchte Hitze, die Dunkelheit des Abends, der leicht rauchige und würzige Duft Afrikas, an den ich mich vom vorigen Mal her gleich wieder erinnerte. Der Flughafen Kilimandscharo war lediglich ein winziges, heruntergekommenes Gebäude, beim Anstehen für das Visum lief mir der Schweiß, Nachtfalter flatterten um die sirrenden Deckenlampen herum. In der Schlange standen resolute amerikanische Studierende, die fröhlich we’re gonna see some li-i-ons johlten, sowie die schöne junge Somalierin mit Kopftuch, die neben mir im Flugzeug gesessen hatte. Auch sie war nicht in Plauderstimmung gewesen, sondern entnahm ihrer mit einem YSL-Tuch umwickelten Vuitton-Tasche ein iPad mit Lederhülle und hörte während des gesamten Flugs mit Ohrstöpseln die Muslim-Pro-App.

Olli wartete am Flughafeneingang auf mich. Er sagte gleich, ich sehe gar nicht aus wie auf dem Foto auf der Umschlagklappe meines Buches (garantiert nicht), und das Gleiche kann ich über ihn sagen. Aber dafür wird sofort deutlich, dass mich meine Erinnerung an das Telefonat von vor zwei Jahren nicht trügt: Der Mann redet wie ein Wasserfall, pausenlos, über alle möglichen Themen. Ich bekomme so viele Informationen, dass ich ein Aufnahmegerät bräuchte.

Wir stopfen meine Koffer in einen grünen Land Rover, der laut Olli kein »Auto« ist, sondern ein »Werkzeug«, und so sieht er auch aus. (Später erfahre ich, dass ihn Olli eigens für mich gewaschen hatte.) Vom Flughafen bis zu Ollis Haus seien es fünfzig Kilometer, dafür bräuchten wir eine Stunde, denn es sei stockfinster und der Land Rover habe schlechte Lichter, aber es gelang Olli, sich an einem vorausfahrenden Auto zu orientieren, wobei er zwischendurch immer wieder mit der Taschenlampe die Anzeige für die Motorwärme kontrollierte, die angeblich zu sehr anstieg. Durch die offenen Fenster strömte der üppige Duft des nächtlichen Afrikas herein, wir kamen an kleinen Dörfern und Straßenbasaren vorbei. Es war dunkel wie in einem Sack, Straßenbeleuchtung gibt es hier nicht, und die Mondsichel, die am Himmel zuvor auf dem Rücken geschaukelt hatte, war verschwunden. Schließlich erreichten wir eine winzige Weggabelung (»die müsste es sein«, murmelte Olli in der Dunkelheit, als erkennte er seine eigene Straße nicht wieder) und bogen in einen unglaublich holprigen und schlammigen Feldweg ein, der mit keinem anderen Auto befahrbar gewesen wäre, und zwischendurch war ich sicher, auch nicht mit diesem. Wir befanden uns außerhalb von Arusha auf dem Land, und alles wirkte sehr, sehr arm. Zum Glück hatte mir Olli in einer Mail ein Foto von seinem Haus geschickt, denn in der Finsternis sah man nur karge Lehm- und Wellblechhütten, und ich hätte mit Sicherheit hyperventiliert, wenn ich das Foto nicht im Kopf gehabt hätte. Am Ende der hüpfenden Fahrt erreichten wir endlich das von Mauern und Elektrozaun eingefasste Haus im Bungalow-Stil. Im Hof erwarteten uns Ollis tansanische Frau Flotea und die fast zweijährige Tochter Michell.

Und hier bin ich nun also, in einem tansanischen Dorf. Mein eigentlicher afrikanischer Karen-Blixen-Traum – die unendlichen Savannen der Reservate – liegt noch irgendwo weit weg, aber ich will natürlich auch sehen, wie die normalen Menschen hier leben. Ich weiß, dass Tansania ein armes Land ist, viel ärmer als Kenia. Ich weiß, dass das Tanganjika genannte Gebiet in der Kolonialzeit zuerst zu Deutsch-Ostafrika und später zum britischen Imperium gehörte, 1961 selbstständig wurde und bis in die letzten Jahre nach kommunistischen Prinzipien funktionierte. Es gibt mehr als 120 Stämme, und 30 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.

Und das sieht man. Ollis Haus ist sehr bequem, mit der Sitzgruppe und dem Fernseher im Wohnzimmer, dem gefliesten Hof, den Topfpalmen und den Spiegelfenstern, durch die man nicht hineinsehen kann. Aber jenseits der Mauer und des verschlossenen Tors liegt eine andere Welt: schlammige Straßen, Blechverschläge und Lehmhäuser ohne Fensterglas, Strom und fließendes Wasser. Die Umgebung ist so arm, dass es mir peinlich ist, meine vielen Kleider, meinen Föhn meinen Morgenrock im Kimonostil, meine Energieriegel und meine Kosmetikdöschen in den Schrank zu räumen, also all das, was scheinbar so wichtig, aber hier nur too much ist. Immerhin habe ich keine Kristallgläser und Standuhren dabei. Aber ich hatte wirklich nicht gewusst, wo ich hinkomme. Ich hätte ebenso gut in einem vornehmen Wohnviertel weißer Siedler landen können, wo man an Nachmittagsdrinks nippt und Barbecues besucht. (Später erfahre ich von Olli, dass es solche Viertel hier nicht gibt, in Kenia aber schon.)

Und auch dieses Haus hat nach westlichen Maßstäben nichts mit Luxus zu tun, auch wenn es hierzulande noch so vornehm erscheint. Es ist erst vor wenigen Jahren erbaut worden, aber von den Wänden und Decken blättert bereits die Farbe ab, und an vielen Stellen sieht man Rost und Schimmel. Das Problem sind die qualitativ minderwertigen Materialien, die in diesem Klima nur einige Monate halten. Ständig kommt es zu Stromausfällen, der Stromfluss ist schwach, wenn es ihn überhaupt gibt, weshalb zum Beispiel die Waschmaschine schon seit einem halben Jahr lang nicht mehr benutzt werden kann. Aus der kommunalen Wasserleitung kommt das Wasser nur tropfenweise. »Wir sind auf Tragewasser angewiesen«, sagt Olli, und am nächsten Morgen sehe ich, was das bedeutet, als ein Housegirl aus der Nachbarschaft mit einer Kinderschar kommt. Alle tragen ein breites Lächeln und schmutzige Plastiksandalen, und auf dem Kopf bringen sie uns das Duschwasser für diesen Tag. Der Inhalt der Eimer wird in einen Tank auf dem Dach gepumpt. Aber derzeit ist das Wasser aus dem Hahn nicht einmal zum Kochen geeignet; das Kochwasser befindet sich in einem eigenen Eimer in der Küche. Irgendwo habe ich gelesen, dass man sich hier auch die Zähne mit Wasser aus der Flasche putzen soll, und das habe ich auch vor zu tun.

Um zehn vor neun am Morgen sagt Olli, der Strom falle üblicherweise um neun Uhr aus, ich solle also jetzt mein Handy aufladen und unter die Dusche gehen, bevor kein warmes Wasser mehr komme. Ich stürme ins Bad. Dann versuche ich, meine Mails zu lesen, aber Ollis USB-Modem funktioniert wechselhaft, und ich gebe schließlich auf. Das ist Afrika, wie es so schön heißt.

Ein weiteres Housegirl kommt herein, sie ist bereits die achte. Alle sind ungebeten gekommen und haben einfach angefangen, etwas zu tun. Ich weiß nicht, ob Mama Junis bezahlt wird, aber ich merke, dass Flotea die Reste des Mchanyato über Nacht auf dem Tisch stehen lässt und dass Mama Junis den Topf am nächsten Morgen mitnimmt. Sie putzt und wäscht und leistet Flotea Gesellschaft, die oft tagelang mit Michell allein zu Hause ist. Mama Junis wohnt in direkter Nachbarschaft in wesentlich primitiveren Verhältnissen. Ihr Lehmhaus hat einen gestampften Boden und kein Wasser und keinen Strom, weshalb es für sie vielleicht ganz angenehm ist, den Tag in einem Haus zu verbringen, in dem man sich zwischendurch zum Fernsehen aufs Sofa werfen kann. Außerdem kann man hier sein Handy aufladen. Das wissen auch die anderen Nachbarn, die alle ein Handy haben, aber keinen Strom und auch nicht unbedingt Geld, um sich Sprechzeit zu kaufen. Mama Junis ist in Floteas Gesellschaft fröhlich und lebhaft, aber mich lächelt sie nie an. Ich frage mich, ob ich für sie bloß eine weitere ätzende reiche Weiße bin.

Am Nachmittag fahre ich mit Olli nach Arusha. Unmittelbar vor unserem Haus gäbe es ein Restaurant, also einen Blechverhau, vor dem ein Grill steht, sowie eine Art Kiosk, an dem man Wasser und Chips kaufen kann. An der holperigen Straße befindet sich ein Fleischstand, an dem Olli zu meinem Entsetzen die Zutaten fürs Abendessen einkaufen will. Von der Decke der offenen Baracke hängen diverse Fleischklumpen an Haken – ohne jede Kühlung. Am nächsten Stand kauft sich Olli Sprechzeit für sein Prepaidhandy. Er steigt dafür nicht einmal aus dem Wagen, ruft nur dem Besitzer der Bude die Bestellung zu, und ein kleines Mädchen reicht die Sachen durchs Fenster. Es ist Sonntag, weshalb nur wenige Menschen unterwegs sind. In Moshono Stand, einer Ecke des Dorfes, warten Toyos, also Mopedtaxis, und auf der schlammigen Dorfstraße tragen alle ihre besten Kleider. Ich sehe bunte tansanische Gewänder, kompliziert gebundene Kopftücher und bei den Männern Anzüge: Hier ist es wichtig, elegant zu sein, wenn man unter Leute geht, auch wenn man kein Geld hat.

Der Verkehr ist heute ruhig, angeblich sei üblicherweise alles entsetzlich verstopft. Arusha war mal ein kleines Dorf, das in den letzten Jahren explosionsartig zu einem Zentrum mit anderthalb Millionen Einwohnern angewachsen ist. Dabei haben sich aber weder die Verkehrsinfrastrukturen noch sonst etwas mit der gleichen Geschwindigkeit entwickelt. Die Straße in die Innenstadt wird von Jacaranda und Afrikanischen Tulpenbäumen gesäumt, deren Blüten orangerot leuchten. Wir kommen an einem Restaurant vorbei, in dem sich Olli und Flotea gelegentlich eine Ziegenkeule zum Mitnehmen holen, dann an einem Glockenturm, dem Mittelpunkt Afrikas, von dem aus es genauso weit nach Kairo wie nach Kapstadt ist. In Arusha herrscht Chaos, man spürt nicht den Drang, aussteigen und durch die Straßen spazieren zu wollen. Wir erledigen unsere Einkäufe in einem Supermarkt (in dem Nahrungsmittel im europäischen Stil unverschämt teuer sind) und kaufen anschließend Avocados an einem Straßenstand, wo Olli auf Swahili feilscht. (Ich komme nicht darüber hinweg, wie unverhältnismäßig die Preise hier zu sein scheinen: So kostet es zum Beispiel 6000 Schilling, also weniger als drei Euro, das Auto von innen und von außen waschen zu lassen, während viele Sachen, wie etwa Babywindeln so irrsinnig teuer sind, dass die meisten Einheimischen sie sich nicht leisten können.) Wir vereinbaren, dass ich während meines Aufenthalts mit der Familie esse und Olli mir irgendwann das Essen, die Fahrten und alles andere in Rechnung stellt. Dann fahren wir noch zu dem Grundstück, auf dem Olli gerade ein eigenes Haus baut. Im jetzigen Haus wohnen sie nur zur Miete. Die Räume sind innen schon fast so weit, aber um die Außenwände fertig zu machen, fehlen derzeit die Mittel, wie Olli sagt. Im Juni soll umgezogen werden – ich weiß nicht, ob ich dann noch hier bin, aber Olli hat, falls nötig, eine Ersatzunterkunft für mich im Auge.

Olli und Flotea sind beide furchtbar nett und gastfreundlich, und Michell ist natürlich zum Fressen süß, auch wenn sie noch fremdelt. Die 36-jährige Flotea gehört zum Volk der Chagga und stammt vom Kilimandscharo (ihr Vater ist der ehemalige Leiter des Kilimandscharo-Nationalparks). Sie ist groß, ruhig und von freundlicher Stille und lächelt ein bisschen schüchtern. Olli wiederum ist ein unglaubliches Informationsbüro, das ständig aus vollem Rohr Auskünfte ausstößt, so dass ich unmöglich alles verarbeiten kann. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden habe ich ungefähr alles erfahren über: die tansanische Verkehrskultur, über nationale Charakterzüge, Kindererziehung, Hausbau, Bohrbrunnen, das Abwassersystem, das explosionsartige Bevölkerungswachstum (das größte Problem hier), das hoffnungslose Postwesen (es ist das reinste Wunder, dass die von mir geschickte Sei Shōnagon ihren Adressaten erreichte), die Wichtigkeit des Handys (nichts ist wichtiger als der Kontakt zu Freunden und Verwandten), die unglaubliche Natur Tansanias, über die Nationalparks, über Afrika als Vorposten des Klimawandels (innerhalb kürzester Zeit haben sich Regenmengen und Wetterlagen radikal verändert) sowie natürlich über seine eigene persönliche Geschichte. Olli sagt offen, das Leben eines weißen Mannes in Tansania sei kein Zuckerschlecken und erzählt bereitwillig von seinen vielen Schwierigkeiten. Am meisten stresst ihn sein Hausbauprojekt, das bei all den Kämpfen mit Widerständen, Kommunikationsproblemen und Kulturunterschieden gelinde gesagt wie ein Albtraum wirkt.

Während wir durch die Umgebung von Arusha fahren, möchte ich ständig Fotos machen, aber aus irgendeinem Grund kommt mir das unpassend vor. Also schreibe ich die Bilder, die ich hätte machen wollen, in mein Notizbuch:

Die rotbraunen, lehmigen Straßen.

Die Bananenbäume, ihr frisches Grün, ihr überbordendes Grün.

Die bunten Reihen der Blechhütten entlang der Straßen: Läden, Bars.

Die Lehmhäuser. Die halb fertigen Häuser. Die Betonmauern um Häusergerippe herum.

Die Wäsche auf der Leine.

Die qualmenden Feuer in den Gärten.

Der Müll, die Müllhaufen überall.

Die Kinder, die hinter den Hütten hervorlugen.

Die Männer, die mit ihren Singer-Nähmaschinen vor dem Markt Dienst tun.

Im Labyrinth des Marktes die Obststände, die Gewürzberge, die Tilapias, die riesigen Nilbarsche, die fantasievoll aussehenden Trockenfische, die geflochtenen Körbe, die Chemikalienkanister, die als Wasserbehälter verkauft werden.

Die Verkehrspolizisten, auf der Brust ein Namensschild, auf dem Livingstone steht.

Die Männer in der Autowerkstatt.

Die Ziegenherden auf der Straße.

Die Mopedfahrer, die Berge von Eierschachteln auf dem Rücken transportieren.

Die barfuß durch den Schlamm wandernden Frauen.

Die weißen Männer in ihren großen Geländewagen.

Die Mamas, die vor den Wellblechbars sitzen.

Die braunen Zähne der schönen jungen Mädchen.

Am Abend fällt der Strom aus, und wir sitzen mit Taschenlampen im dunklen Haus. Wir essen einen Fleischtopf, den Flotea gemacht hat, aus dem Fleisch, das wir an dem Stand im Dorf gekauft haben. Es schmeckt gut. Flotea lässt in der dunklen Küche das batteriebetriebene Radio laufen und singt mit. Olli macht sich ein Serengeti-Bier auf, dessen Etikett ein Leopard ziert. Michell hopst hin und her, ich notiere mir mit qualmendem Stift Stichwörter wie Ziegenbein zum Mitnehmen. Es herrscht eine wunderbare, gemütliche Atmosphäre – wovor, um Himmels Willen, hatte ich nur Angst?

Ach ja: vor Malaria. Gleich nach der Dämmerung lassen sich Mücken im Haus blicken, und trotz meiner Prophylaxe merke ich, dass ich an das Grauen denken muss, das sie mitbringen. Ich scanne die Mücken hysterisch, denn normalerweise bin ich ihr Liebling Nummer eins, weshalb sie sich selbstverständlich auch hier auf mich stürzen würden. Also staffiere ich mich, wie es die Reiseführer empfehlen, nach Einbruch der Dunkelheit um Punkt sechs Uhr mit weißen, langärmligen und -beinigen Kleidern und weißen, knielangen engen Flugstrümpfen aus, auch wenn mir der Schweiß das Rückgrat herunterläuft, und lege als Abendparfüm Mückenspray auf. Olli hat Shorts an, wie immer, und ich hoffe, dass er meiner seltsamen Aufmachung keine Beachtung schenkt.

Als ich schlafen gehe, merke ich, dass eine Mücke in das Moskitonetz über meinem Bett gelangt ist. Ich könnte nie und nimmer einschlafen, bevor ich sie aufgespürt und geschlachtet habe. Es hilft auch nichts, dass Olli mir erklärt hat, die Mücken, die Malaria übertragen, sähen ganz anders aus, ihre Stechhaltung sei auch ganz anders als bei üblichen Mücken, aber woher soll ich wissen, wie. Außerdem ist es dann sowieso zu spät. Ich krieche mit Stirnlampe unters Moskitonetz, ein Film aus Schweiß bedeckt meinen Körper, aber der blutrünstige Teufel zeigt sich nicht. Schließlich fehlt mir die Kraft, der theoretischen Mücke länger aufzulauern. Ich schlafe wie ein Stein.

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[Karen schreibt]

20.1.1914. Meine liebe kleine Mutter. –

Ich hätte längst schon schreiben sollen, aber Du ahnst ja nicht, wie knapp die Zeit war (…). Aber jetzt schicke ich diesen Brief mit einem Läufer und Ihr müsst selbst sehen, wir Ihr Euch aus meiner ungeordneten Darstellung ein Bild von dem großen neuen Leben und allem, was hier draußen geschieht, machen könnt. – Ich liege im Bett, nicht weil ich krank bin, sondern weil wir auf Nachtjagd sind, in einem kleinen Blockhaus (…) und ringsum nach allen Seiten die herrlichste, wunderbarste Natur, die man sich vorstellen kann, in der Ferne mächtige blaue Berge und die Grasfläche davor voller Zebras und Gazellen; in den Nächten höre ich die Löwen brüllen wie Geschützdonner im Dunkeln. (…) Hier draußen ist es keineswegs zu warm, die Luft ist so leicht und herrlich, und man fühlt sich ganz leicht und froh und glücklich.

1.4.1914. Geliebte Tante Bess. –

Beim Betrachten der verschiedenen Rassen hier gewinne ich den Eindruck, dass die Überlegenheit unserer weißen Rasse illusorisch ist. (…) Wenn ich bedenke, dass wir hier auf der Farm tausendzweihundert junge Männer haben, die zu zehnt oder zwölft in elenden kleinen Grashütten wohnen, und dass ich nie ein zorniges Gesicht gesehen oder Streit gehört habe, dass alle Arbeit mit Gesang und einem Lächeln verrichtet wird. (…) Ich reite fast täglich in das Massai-Reservat und versuche oft, mit den großen, ansehnlichen Massai ins Gespräch zu kommen.

14.7.1914. Meine geliebte Mutter, (…) es ist einfach fantastisch gewesen, noch nie in meinem ganzen Leben habe ich etwas so genossen. (…) Die Safari war ein Riesenerfolg (…), ich schoss einen Löwen und einen großen Leoparden. Bror hat mir das Schießen beigebracht und ist der Meinung, dass ich gut schieße …

3.12.1914. … Ich habe viel damit zu tun, einen gänzlich unwissenden Koch anzulernen. Da ich ja selbst nichts kann und alles auf Suaheli vor sich gehen muss, ist das nicht leicht. (…) Mein Koch und ich sind nun schon perfekt in jeder Form von Blätterteig, gefüllten Tartelettes, Meringen, Eierkuchen, Torten, verschiedenen Soufflés, Waffeltüten, Apfelpfannkuchen, Schokoladencrèmes, Windbeuteln – außerdem kann er schon allein alle möglichen Suppen zubereiten, gutes Brot und Brötchen backen …

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Als Karen im Januar 1914 in ihrem neuen Zuhause eintraf, einem kleinen Backsteinbungalow zwanzig Kilometer außerhalb von Nairobi, wurde sie von allen 1200 afrikanischen Arbeitskräften der Farm empfangen. In der Ferne sah man als blauen Wellenkamm die Ngong-Berge. Um diese herum besaß die Swedo-African Coffee Company nun 1800 Hektar Land. Auf dem ersten Foto, das Karen nach Europa schickte, posiert sie ganz in Weiß auf der Veranda ihres Hauses: langer weißer Rock, weiße Bluse, weiße Schuhe mit Absätzen, lange weiße Strümpfe und Hut mit breiter Krempe. Auf dem Foto ist Karen die Einzige, die lächelt, alle acht afrikanische Bedienstete schauen ernst in die Kamera.

Karen hatte das Gefühl, »in ein stilles Land« gekommen zu sein. Nairobi war damals eine primitive, graue und heruntergekommene Kleinstadt und wirkte mit ihrem Wellblech wie eine Anchoviskonserve, aber das Hochland war ein Paradies. Die Landschaft bestand aus einer kargen, trocken-gelben Ebene, und wellige Hügel sprenkelten die dunkelgrünen Kaffeepflanzungen. Tiere gab es in enormen Mengen: An den Bergseen brüteten Flamingos, über die Hügel zogen Büffel, Nashörner und Elenantilopen, in den Wäldern gab es Elefanten, Giraffen und Affen und in der Savanne herdenweise Zebras, Gnuantilopen, Gazellen und Großkatzen. Ja: ein Paradies. Auch die Luft war auf dem Hochland so rein und klar, dass es heißt, die Weißen seien dort in eine Art Euphorie geraten, so dass sie sich in nicht ganz zurechnungsfähigem Zustand befanden – auch leidenschaftliche Beziehungen führten die Siedler so frei, dass die Frauen in den Bars der Dampfschiffe gefragt wurden, ob sie verheiratet seien oder in Kenia lebten.

Als Karen und Bror kurze Flitterwochen in einer primitiven Blockhütte in der Savanne verbrachten (Wild gab es reichlich, die Löwen brüllten die ganze Nacht hindurch, nur Fliegen und Flöhe störten), war Karen bereits der Meinung, ein großartiges neues Leben gefunden zu haben. »Hier bin ich, wo ich sein sollte«, schrieb sie. Es gab hier tatsächlich die Offenheit, Freiheit und Leidenschaft, von der sie in Dänemark geträumt hatte.

Aber im Februar, einen Monat nach ihrer Ankunft, erkrankte Karen an Malaria und lag wochenlang im Bett. Es ging ihr schlecht, und sie war deprimiert. Bror befand sich auf Safari oder im von Siedlern bevorzugten Muthaiga-Klub in Nairobi, um »Geschäfte zu machen«, und Karen schrieb nach Hause, »es ist ein bisschen langweilig, weil Bror viel weg ist«. Tatsächlich lag Karen den ganzen Frühling krank danieder. Immer wenn sie sich etwas besser fühlte, plante sie eine umfangreiche Renovierung des Hauses (das Haus war schlecht gebaut, und die Veranda ging unpraktischerweise in Richtung Sonne), unternahm Reitausflüge, beteiligte sich an der Pflanzung von Kaffeesträuchern (drei bis fünf Jahre würden vergehen, bis sie Ernte einbrachten) und brachte ihrem somalischen Koch bei, Mahlzeiten zuzubereiten. Ihre Mutter bat sie, aus Dänemark ein Kochbuch aus dem Jahr 1830 zu schicken, denn dieses entsprach ungefähr der zur Verfügung stehenden Ausstattung.

Als der Arzt ihr zur Behandlung ihrer Krankheit einen Klimawechsel verordnete, brach sie mit Bror zu einer einmonatigen Jagdsafari in ein Massaireservat auf. Sie nahmen einen von drei Mulis gezogenen Planwagen und neun Diener mit: Mit einem so kleinen Gefolge kam man leichter voran. Es wurde eine unvergessliche Safari. Karen hatte nie zuvor in einem Zelt geschlafen, in einem Boma, also einer schützenden Umzäunung aus Dornenhecken gesessen, sie hatte noch nie ein Gewehr in der Hand gehabt und schon gar nicht auf Wild geschossen. Bror brachte ihr das Schießen bei, zum Abendessen verzehrten sie selbst erlegte Antilope, und Karen packte geradezu das Jagdfieber. Sie erlegten sechs große Löwen, vier Leoparden, einen Gepard sowie eine riesige Menge an Elenantilopen, Impalas, Gnus, Dikdiks, Zebras, Wildschweinen, Schakalen und Marabus. Sie posierten auf zahllosen Fotos mit ihrer Beute, und für Karen bestand der Höhepunkt der Safari darin, zum ersten Mal einem Löwen begegnet zu sein und gesehen zu haben, wie in den Augen des stolzen Tieres das Leben erlosch.

Als sie von der Safari nach Hause zurückkehrten, hatte der Erste Weltkrieg begonnen. Bror fuhr mit dem Fahrrad nach Nairobi, um sich von der Armee anwerben zu lassen, und Karen zog zur Sicherheit in die Bergstation Kijabe und trieb zwischendurch Nachschubkarawanen durchs Massaireservat. Dann kehrte sie nach Ngong zurück, um sich um die Farm zu kümmern.

Ende des Jahres war sie noch immer etwas krank. Es stellte sich heraus, dass es sich gar nicht um Malaria handelte. Sie hatte von Bror die Syphilis bekommen.

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[Karen schreibt]

Paris, 28.5.1915. Bitte nicht erschrecken. Alles in Ordnung. Meine liebe, kleine, süße Mutter. – [Ich bin] hier in Paris (…) auf dem Weg nach London, wo ich einen Spezialisten für Tropenkrankheiten aufsuchen möchte. Es ist mir nämlich wieder ziemlich schlecht gegangen, und der Arzt in Nairobi hat mir geraten, zum Zwecke der Luftveränderung nach Hause zu fahren. (…) Es scheint so, dass sie in London eine Art Injektionen gegen Malaria geben, die einen vollständig heilen …

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Karen belog ihre Eltern. Die Syphilis war Anfang des Jahres diagnostiziert worden und dem Arzt in Nairobi zufolge so heftig wie bei einem Seemann. Bror hatte in Nairobi mutmaßlich eine Menge Frauengeschichten gehabt, und als das herauskam, wäre Karen beinahe gestorben, nachdem sie in ihrer Verzweiflung zu viel Schlafmittel genommen hatte. »Es gibt zwei Dinge, die man in einer solchen Situation tun kann«, sagte sie später. »Man kann den Mann erschießen oder die Situation akzeptieren.« Karen akzeptierte die Situation.

So reiste sie im Frühling 1915 nach Paris, um ihre Erkrankung behandeln zu lassen. Die Ärzte meinten, sie benötige eine lange und schmerzhafte Quecksilber- und Arsenkur, ohne dass eine Garantie auf Besserung bestand. Wegen des Krieges konnte Karen nicht allein in Paris bleiben, weshalb sie nach Dänemark reiste, wo sie drei Monate im Krankenhaus verbrachte, diskret auf einer normalen Station. »Nun habe ich auch das überstanden, jetzt bin ich noch näher an der Erfahrung wirklich großer Dinge«, schrieb sie später.

Ich füge Karens vorbildhafter Mut-Liste noch Folgendes hinzu:

Erkrankt an Malaria und Syphilis. In Afrika. Vor hundert Jahren.Reist mitten im Ersten Weltkrieg allein nach Europa, um sich behandeln zu lassen.Nimmt als Medikamente Quecksilber und Arsen. Erträgt den Zustand der Vergiftung, den sie bewirken.Akzeptiert die Situation.Kehrt danach wieder zurück.

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[Karen schreibt]

24.3.1917. Liebe, geliebte Mutter. Dies ist mein erster Brief aus Frydenlund, wohin wir nun umgezogen sind und in dem ich furchtbar gern wohne – obwohl es vorläufig noch ein Chaos ist. Die Handwerker haben nicht das Mindeste getan in den zwei Monaten, seit ich ihnen den Auftrag gab (…), aber trotzdem ist es herrlich, hier zu leben.

27.3.1918. Liebe Ea (…) Wir haben hier leider zur Zeit eine Trockenheit, die alles übertrifft, was man sich zu Hause vorstellen kann. Wenn sie noch lange anhält, verdorrt das ganze Land (…). Wir bekommen nun auch einen Teil der Entbehrungen zu spüren, unter denen Ihr zu Hause schon lange leidet; Butter, Milch, Sahne, Gemüse, Eier existieren fast nur noch in der Erinnerung. Alle Pflanzen welken, die Grasflächen brennen jeden Tag, sie liegen schwarz und verkohlt da, und wenn man nach Nairobi fährt und sich der Stadt nähert, sieht es aus, also ob dort eine riesige Feuersbrunst herrsche – so steht der Staub Tag und Nacht in dicken gelben Wolken über der Stadt –, und wenn der Wind gerade von der Somalistadt und dem Bazar herweht, hat man das Gefühl, die Pest- und Cholera-Bazillen wirbeln einem munter entgegen. Die Sterblichkeit unter den weißen Kleinkindern in Nairobi ist so hoch wie noch nie, und den Erwachsenen geht dieser dauernde, glühend heiße Wind (…) auf die Nerven …

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Als Karen nach anderthalbjährigem Aufenthalt in Europa im Januar 1917 nach Afrika zurückkehrte, hätte die Kaffeefarm zum ersten Mal eine Ernte erbringen müssen, aber die für die Jahreszeit außergewöhnlich heftigen Regenfälle und die anschließende lange Dürre führten dazu, dass es überhaupt keine Ernte gab. Die Gesellschaft, die inzwischen The Karen Coffee Company hieß und von Karens Onkel Aage Westenholz finanziert wurde, machte Verlust. Karen und Bror befanden sich in akuter Geldnot, und Karen schrieb an ihre Verwandten in Dänemark, um sie um eine Lohnerhöhung zu bitten, denn alles sei so teuer, dass sämtliche Mittel fürs Leben aufgewendet werden müssten, außerdem »müssen wir ständig auch noch Gäste bewirten«. Auch das nächste Jahr war, was die Ernte betraf, katastrophal: Die Dürre hielt an, die Afrikaner hungerten, auf die Hungersnot folgten Pest, Spanische Grippe und Pocken, dann eine sonderbare feuchte und eisige Dürre, auf der Farm fehlte es an allem, und sie erbrachte keinen einzigen Pfennig. Es handelte sich nicht einmal um eine Ausnahmesituation. Karen wusste das noch nicht, aber damit begannen endlose Finanzprobleme und ein Strom von Briefen mit verzweifelten Bitten um Geld, die sie während ihrer gesamten Zeit in Afrika nach Dänemark schicken würde, bis ins Jahr 1931 und zum endgültigen Bankrott. Die Kaffeefarm würde nie einen anständigen Ertrag bringen, denn sie wurde in zu kaltem und trockenem Klima errichtet.

Karen und Bror bezogen trotzdem ein neues, größeres Haus, das den Namen Mbogani erhielt, und dort gründete Karen die »Oase der Zivilisation«, von der sie schon bei der Abreise in Dänemark geträumt hatte. Auch wenn es natürlich keine perfekte Oase war, so stimmte immerhin der Rahmen, samt geblümten Sofas, Frisiertischen im gustavianischen Stil, Lampenschirmen mit Spitzenrändern und Kristallkaraffen. Ansonsten glich das Leben aber demjenigen im Dänemark des 18. Jahrhunderts: Bei Regen war die Straße nach Nairobi unpassierbar, das Essen musste man sich erjagen, die Vergnügungen waren improvisiert, und es herrschte ständig Mangel an guten Büchern und niveauvoller Gesellschaft.

1917 lernte Karen Auto fahren und empfahl dies später allen Frauen. Sie sehnte sich heftig nach Büchern, Musik und Kunst und befürchtete, zur Idiotin zu werden, weil sie all das entbehren musste. Sie träumte vom Malen und von Kunstunterricht, und ab und zu malte sie auch die trockenen Farben und das helle Licht des Hochlands oder afrikanische Porträts (sie klagte, die »Eingeborenen« seien miserable Modelle; als sie einmal einen jungen Kikuyu malte, musste sie den Jungen die gesamte Sitzung über mit der Pistole bedrohen, damit er still hielt). War Bror lange weg (was oft vorkam), war Karen einsam, niedergeschlagen und sehnte sich nach Hause. Sie konnte eine ganze Woche im Bett liegen, belog ihre Mutter aber in einem Brief munter, sie habe nur einen kleinen Sonnenstich abbekommen. Sie schrieb ihrer Mutter auch, sie habe die Hoffnung auf ein Kind noch nicht aufgegeben, sondern sei sicher, dass es noch passieren werde. Eines Tages bekam sie von ihrem Nachbarn Sjögren eine Waffe und brannte vor Verlangen, wieder schießen zu dürfen. In Ermangelung etwas Besseren zielte sie auf Tauben im Garten (»gestern Nachmittag schoss ich einundzwanzig«). An einem anderen Tag schoss Bror eine fünf Meter lange Python, und Karen plante, die Schlangenhaut an Hellstern in Paris zu schicken und sich Schuhe daraus machen zu lassen. Sie verbrachte Zeit mit Somali und schrieb nach Hause, ihre besten Freunde seien Mohammedaner, und Farah, ihr somalischer Haushofmeister und ihre rechte Hand, sei »ein wahrhafter Engel«, so klug und feinfühlig. (Genau genommen hatte Karen über diese faszinierende Religion so viel gelesen, dass Bror sich »weigerte, zwischen zwölf und vier auch nur ein Wort über Mohammed zu hören«.) Mit den anderen Siedlern kam Karen nicht gut aus, sie verabscheute deren selbstgefällige und überhebliche Haltung gegenüber den Afrikanern. Stattdessen empfand sie eine Stammesverwandtschaft mit ihren »schwarzen Brüdern«, die ihr im Lauf der Jahre immer wichtiger wurden. Sie plante den Bau einer Schule für die Kinder der Farm.

Jeden Sonntag saß sie am Küchentisch und schrieb einen langen Brief an ihre Mutter oder an ihren Bruder Thomas oder an ihre Schwestern oder an Tante Bess, die lange Erörterungen über aktuelle Fragen der Ehe, der Geschlechtermoral, der Geburtenregelung und der Frauenbewegung über sich ergehen lassen musste. (»Liebe Tante Bess«, schrieb Karen einmal, »was für ein entsetzlicher Gedanke von dir, meine Briefe zu veröffentlichen. Wüsste ich, dass dies geschehen würde, könnte ich unmöglich schreiben.«)

Und als nach zwei Jahren Trockenheit und zehrender Qual endlich der Regen einsetzte, schrieb Karen: »Hier ist das Paradies auf Erden. Mir ist, als würde ich, wo ich in der Zukunft auch sein sollte, mich immer fragen, ob es bei den Ngong-Bergen wohl regnet.«

Afrikanisches Wörterbuch

Asante sana. Danke.

Karibu. Willkommen, bitte.

Maji. Wasser.

Ndizi. Banane.

Nyama. Fleisch.

Samahani. Entschuldigung.

Usiku wema. Gute Nacht.

Na wewe pia. Danke gleichfalls.

Peaceful life.

Ich hatte geplant, Flotea zu allen möglichen Dingen, die mit dem Leben einer Frau zu tun haben, zu interviewen, zu ihren Träumen und ihren weiblichen Vorbildern, aber ich merke, dass das nicht so einfach ist. Zunächst gibt es das Sprachproblem – ich verstehe von Floteas Englisch mit Swahili-Akzent nicht annähernd alles –, aber ich kann offenbar auch nicht die richtigen Fragen stellen. Meine eigene Perspektive kommt mir plötzlich vollkommen irrelevant vor (von einer gewissen Karen Blixen hat hier noch niemand etwas gehört), und viele meiner Probleme erscheinen buchstäblich wie Probleme aus der ersten Welt. Mich beschämt allein der Gedanke, in welche Panik ich geriet, als Olli auf meine Frage nach Mitbringseln geantwortet hatte, ich könne Flotea vielleicht irgendein Parfüm mitbringen. »Irgendein Parfüm!« Ich sagte, ich könne niemals einer anderen Frau ein Parfüm kaufen, es sei eine zu intime Entscheidung, ein Ausdruck der Identität einer Frau, ich hätte die letzten zehn Jahre für mich selbst nach einem passenden gesucht, ohne fündig geworden zu sein. Lächerlich. Ich weiß nicht, ob Flotea den Duft mag, den ich ihr dann doch mitgebracht habe, aber ich vermute, dass es nicht darum geht, wie perfekt es zu einem passt, wenn man ein Parfüm bekommt, das so viel kostet wie ein doppelter Monatslohn.

Etwas habe ich trotzdem herausgefunden, zum Beispiel dass Flotea in ihrem Leben gern noch etwas anderes tun möchte, als Hausfrau zu sein. Es ist für Frauen hier nur schwer, anders als durch Beziehungen oder übers Bett eine anständige Arbeit zu finden. Einmal hatte Flotea sich bei einer großen internationalen Organisation auf eine Bürostelle beworben, hätte sich aber zuerst mit dem Chef beim »Abendessen« unterhalten sollen. Viele Frauen möchten, wie Flotea sagt, ein kleines Geschäft gründen, und auch sie träumt von einem Laden für Kinderkleider, aber oft müssen die Frauen sich ihren Chefs als Geliebte zur Verfügung stellen, wenn sie ihre Kinder ernähren wollen. Ich erkundige mich nach dem Heiraten, nach dem Verhältnis von Männern und Frauen (angeblich haben vor allem früher die Männer ihre Frauen sehr schlecht behandelt), nach Polygamie (so haben zum Beispiel die Männer des Arusha-Stamms traditionell drei Frauen, die alle im selben Hof wohnen) und nach der Scheidungsrate. Flotea ist der Meinung, dass eine Trennung nicht in Frage kommt, wenn man einmal geheiratet hat, auch wenn man sich in einen anderen verliebt. Allerdings scheint sie das Verlieben nicht für etwas besonders Wichtiges im Leben zu halten – wichtiger sind ihr a peaceful life, eigenes Geld und Freiheit.

Mzungu.

Ich gehe mit Flotea bei einer Frau im Dorf Lebensmittel kaufen, die vor ihrem Haus Obst und Gemüse zum Verkauf hingestellt hat. Die Kinder starren mich neugierig an und winken, als wir gehen, bye bye, mzungu, Bleichgesicht. Und daran muss ich mich gewöhnen: Wenn ich mit Olli im Auto unterwegs bin, deutet jeder einzelne Passant mit dem Finger auf uns oder ruft mzungu, mzungu, als handelte es sich um eine Gefahrensituation, die gemeldet werden müsse, und ich weiß nicht immer, ob das Rufen wohlwollende Neugier ist oder irgendwie feindselig. Olli wird im Dorf allerdings auch Papa Michell genannt und Flotea entsprechend Mama Michell, denn es ist höflich, diejenigen beim Namen des ältesten Kindes zu nennen, die das Glück des Kinderkriegens erfahren haben.

Michell selbst erholt sich allmählich von ihrem mzungu-Schock. Als ich ankam, lief sie bestürzt und stumm an den Wänden entlang, aber jetzt ist es uns gelungen, mit Hilfe des Muminbuchs, das ich ihr mitgebracht habe, Freundinnen zu werden. Wir haben auch die gleichen Essgewohnheiten: Zum Frühstück esse ich nach Spiegeleiern und Wurst noch eine Schale von Michells Brei, den Flotea jeden Morgen kocht.

Kanga.

Ich bekomme von Flotea einen schönen Kanga mit orangem Blumenmuster auf blauem Grund. Es sind zwei rechteckige Baumwollstoffe, den einen benutzt man als Rock, und den anderen kann man sich als Oberteil umbinden, aber bei der alltäglichen Arbeit ist das unbequem. Mama Junis trägt zu ihrem Kanga