Freileitungen und Kabel in Hoch- und Höchstspannungsnetzen - Markus Palic - E-Book

Freileitungen und Kabel in Hoch- und Höchstspannungsnetzen E-Book

Markus Palic

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Beschreibung

Das Nachschlagewerk umfasst alle wesentlichen Grundlagen der Netzbau- und Leitungstechnik im Mittel-, Hoch- und Höchstspannungsleitungsbau. Es werden neben den technischen Erläuterungen auch die planungsrechtlichen und die umwelttechnischen Belange sowohl für Freileitungen als auch für Kabel in den genannten Spannungsebenen behandelt.

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Markus Palic / Konstantin O. Papailiou / Guntram Schultz

Freileitungen und Kabel in Hoch- und Höchstspannungsnetzen

Umschlagabbildung: © Maria Hören

 

Unter folgendem Link sind ggf. Zusatzmaterialien und Errata abgelegt: https://files.narr.digital/9783816935360

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783816985365

 

© expert verlag 2022

‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.expertverlag.deeMail: [email protected]

 

ISBN 978-3-8169-3536-0 (Print)

ISBN 978-3-8169-0103-7 (ePub)

Inhalt

GrußwortGeleitwortVorwort1 Grundlagen der elektrischen Energieübertragung1.1 Transformation und Blindleistung1.1.1 Trafoprinzip1.1.2 Blindleistung1.2 Historie der Stromübertragung1.2.1 Freileitungsentwicklung1.2.2 Kabelentwicklung1.3 Gleich- und Drehstrom in der Energieübertragung1.4 Aufgaben und Strukturen elektrischer Energienetze1.4.1 Verbundnetze und Netzverbünde1.4.2 Netzstrukturen1.4.3 Schalt- und Umspannanlagen1.5 Einführung in die Netzplanung1.5.1 Planungsgrundsätze1.5.2 Das (n-1)-Kriterium1.5.3 Planungsarten1.6 Einführung in den Netzbetrieb1.6.1 Leistungsgleichgewicht1.6.2 Bedeutung der Frequenz1.6.3 Regelleistung1.6.4 Automatische Frequenzentlastung1.6.5 Netzzustände1.7 Literatur2 Trassengestaltung2.1 Freileitungstrassen2.1.1 Mastformen und Landschaft2.2 Schutzbereiche von Freileitungen2.2.1 Beschränkungen innerhalb einer Freileitungstrasse2.2.2 Schutzstreifen2.2.3 Trassenführung und Raumnutzung2.2.4 Bereiche mit Höhenbeschränkungen2.2.5 Siedlungsbereiche2.3 Kabeltrassen2.3.1 Drehstrom-Kabeltrassen2.3.2 Gleichstrom-Kabeltrassen2.4 Legetechniken2.4.1 Offene Bauweise2.4.2 Einpflügen2.4.3 Legung in Mantelrohren und Infrastrukturröhren2.4.4 Legung im Infrastrukturkanal2.5 Muffen und Übergangsanlagen2.5.1 Muffenlegung2.5.2 Übergangsanlagen Kabel-Freileitung2.6 Trassenausnutzung2.7 Kreuzungen2.8 Trassen mit temporären Gestängen2.9 Nachtrassierung2.10 Literatur3 Genehmigungsverfahren und Umweltverträglichkeit3.1 Verfahren für Hochspannungsleitungen3.2 Verfahren für nicht vordringliche Höchstspannungsleitungen3.3 Verfahren und Gesetze für vordringliche Höchstspannungsleitungen3.3.1 Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG)3.3.2 Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG)3.3.3 Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG)3.3.4 Entwicklung des Europäischen Netzverbundes3.4 Raumordnungsverfahren (ROV)3.4.1 Aufgabe der Raumordnung3.4.2 Ablauf eines Raumordnungsverfahrens3.4.3 Raumordnerische Beurteilung3.5 Bundesfachplanung (BFP)3.6 Planfeststellungsverfahren (PFV)3.6.1 Ablauf des Planfeststellungsverfahrens3.6.2 Der Planfeststellungsbeschluss3.7 Das NOVA-PrinzipNetz-OptimierungNetz-Verstärkung und ErsatzneubauNetz-Ausbau3.8 Umweltverträglichkeit von Freileitungen und Kabeln3.8.1 Strategische Umweltprüfung (SUP)3.8.2 Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)3.8.3 Beeinträchtigungen der Avifauna3.8.4 Landschaftspflegerischer Begleitplan und Eingriffsausgleich3.9 Entschädigungen3.10 Literatur4 Freileitungstechnik4.1 EinleitungMeilensteine4.2 Bemessung von Freileitungen4.2.1 Lastannahmen4.2.2 Bemessung der Komponenten4.3 Leiterseile4.3.1 Typen und grundlegende Eigenschaften von Leiterseilen4.3.2 Mechanisches Verhalten von Al/St-Seilen4.3.3 Seildurchhang4.3.4 Zustandsgleichung4.3.5 Strombelastbarkeit4.3.6 Korona4.3.7 Bündelleiter4.3.8 Erdseile4.3.9 Hochtemperatur-Leiterseile4.3.10 Monitoring4.3.11 Seilschwingungen4.4 Isolatoren4.4.1 Klassifizierung4.4.2 Porzellanisolatoren4.4.3 Glasisolatoren4.4.4 Verbundisolatoren4.5 Armaturen4.5.1 Seilarmaturen4.5.2 Isolatorkettenarmaturen4.5.3 Bemessung von Seil- und Kettenarmaturen4.6 Tragwerke4.6.1 Materialien und Gestaltung4.6.2 Mastarten4.6.3 Bemessung4.6.4 Mastkopfgeometrie4.6.5 Belastungen4.6.6 Ermittlung der Stabkräfte4.6.7 Festigkeitsberechnung4.6.8 Kompaktleitungen4.6.9 Blitzschutz4.6.10 Erdung4.6.11 Gründungen4.7 Leitungsbau4.7.1 Vermessung und Mastaufteilung4.7.2 Vorbereitung der Baustelle4.7.3 Gründungen4.7.4 Mastbau4.7.5 Seilzug4.8 Inspektion und Wartung von Freileitungen4.8.1 Häufige Defekte4.9 Aufwertung und Ertüchtigung von Freileitungen4.9.1 Aufwertung4.9.2 Ertüchtigung4.10 Hybridleitungen4.11 Literatur5 Kabeltechnik5.1 Kabelaufbau5.2 Konstruktionen5.3 Kabel für Mittel-, Hoch- und Höchstspannung5.3.1 Mittelspannungskabel5.3.2 Hochspannungskabel5.3.3 Höchstspannungskabel5.4 Gasisolierte Leitungen5.5 VPE-Kabel zur Hochspannungs-Gleichstromübertragung5.6 Kabel-Garnituren5.6.1 Muffen5.6.2 Endverschlüsse5.6.3 Garnituren für Hochspannungs-Gleichstromkabel (HVDC)5.6.4 Steckbare Anschlusssysteme5.7 Legung und Inbetriebnahme5.7.1 Legearten5.7.2 Kabel- und Bodenerwärmung5.7.3 Inbetriebnahme von Hochspannungskabeln5.8 Erdung bei Hochspannungskabelsystemen5.8.1 Einseitige Erdung5.8.2 Erdung mit Cross-Bonding an den Muffen5.9 Monitoring und Diagnose von Kabelsystemen5.9.1 Monitoring von Kabelsystemen5.9.2 Diagnose von Kabelsystemen5.10 Einsatzgebiete5.11 LiteraturWeiterführende Literatur6 Freileitungen und Kabel im Versorgungsnetz6.1 Elektrotechnische Aspekte6.1.1 Vergleich der technischen Eigenschaften6.1.2 Vergleich der elektrischen Eigenschaften6.1.3 Betriebsverhalten6.1.4 Strombelastbarkeit6.1.5 Verluste6.1.6 Blindleistungsverhalten und übertragbare Leistung6.1.7 Zuverlässigkeit und Lebensdauer6.1.8 Elektrische und magnetische Felder (EMF)6.2 Sternpunktbeschaltung6.2.1 Starre Sternpunkterdung6.2.2 Isolierter Sternpunkt6.2.3 Induktive Sternpunkterdung6.3 Lastfluss- und Kurzschlussverhältnisse im Netz6.4 ZwischenverkabelungBeispiel:6.5 Integration von Gleichstromleitungen in ein bestehendes Drehstromnetz6.6 Vergleich von Freileitungen und Kabeln während Bau und Betrieb6.6.1 Freileitungen während der Bauzeit6.6.2 Erdkabel während der Bauzeit6.6.3 Freileitungen im Betrieb6.6.4 Erdkabel im Betrieb6.7 Kostenvergleich6.7.1 Kostenvergleich in der Hochspannungsebene6.7.2 Kostenvergleich in der Höchstspannungsebene6.8 LiteraturWeiterführende Literatur7 Entwicklungstendenzen und Ausblick7.1 Übertragungsnetz7.2 Verteilnetze7.3 Sektorenkopplung7.4 Technische Entwicklungen im Netzbau7.4.1 Hochtemperaturseile7.4.2 Kompaktleitungen mit Verbundisolatoren7.4.3 GIL für AC und DC7.4.4 Supraleiterkabel7.4.5 HGÜ-Kabel – Overlay-Netz7.5 LiteraturWeiterführende LiteraturDankeFür das technische Lektorat und das Geleitwort:Für das Grußwort und für Informationen zu künftigen Entwicklungen im Leitungsbau:Für zahlreiche Anregungen, Unterlagen, Hinweise und Bildfreigaben:Register

Grußwort

Freileitung und Kabel sind beides Möglichkeiten zur Übertragung von elektrischer Energie. Beide Techniken haben ihre Vorteile und Nachteile, beide habe ihre optimalen Anwendungsbereiche. Auch das unmittelbare, das überregionale und manchmal auch das angrenzende ausländische Umfeld eines Projektes beeinflusst die Entscheidung für die Freileitung oder für das Kabel ebenso wie die technische und kaufmännische Sicht. Deshalb ist jedes Vorhaben für sich und aufs Neue zu betrachten, allgemeine Aussagen sind nicht sinnvoll und nicht hilfreich. Das wird oft übersehen.

Über Freileitungen und Kabel gibt es eine große Anzahl technischer Publikationen und Informationsbroschüren von Anwendern und Herstellern, Studien und Untersuchungen von Wissenschaftseinrichtungen, Vorgaben von nationalen und internationalen Normungsgremien wie IEC und DIN, Ausarbeitungen, Symposien und Kongresse von Fachorganisationen wie zum Beispiel der CIGRE (International Council on Large Electric Systems), und das Internet ist voll mit Beiträgen zum Thema. Die Übersicht ist nicht leicht. Genau hier setzt das Buch an. Die Autoren stellen Aspekte der Freileitungen und Kabel dar. Das Buch hilft den Lesern zu einer neutralen Sichtweise dieses oft heftig diskutierten Themas.

Die Autoren greifen dabei auf Erfahrungen ihrer Tätigkeiten über Jahrzehnte im Bereich der Stromübertagung und elektrischer Netze zu, auf ihre universitären Lehrtätigkeiten und Kurse, ihre zahlreichen Veröffentlichungen und Diskussionsbeiträge nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern weit darüber hinaus.

Um über das Thema zu sprechen, benötigt man ein Grundwissen über die allgemeine Hochspannungstechnik und auch über Freileitungen und Kabel. Das Besondere dieses Buches ist eben, dass beide Techniken in einem Buch behandelt werden. Es vermittelt auch aktuelles Wissen über die Netzsituation und Rechtslage mit dem Schwerpunkt auf Deutschland.

Wie in vielen Bereichen unseres Lebens hat auch unsere heutige Technik einen historischen Hintergrund, der für das Verständnis ihrer Anwendung wichtig ist. Ich danke den Autoren, dass sie diesen Aspekt für ihr Thema aufgegriffen haben.

Ich möchte die Leser einladen, bei der Lektüre ihr Wissen zu vertiefen, ihre bisherige Betrachtungsweise zu festigen oder zu kalibrieren – das alles auch als Ergänzung zu bereits bestehenden Publikationen und Darstellungen. Vielleicht ergibt sich eine neue Betrachtungsweise, und manche Leser werden in eine für sie neue Welt unseres alltäglichen Technikumfeldes eintauchen.

Ich danke den Autoren für dieses Buch. Es ist ein wichtiger Beitrag in der öffentlichen, aber auch in der fachspezifischen Diskussion.

 

Wien, Mai 2022    Herbert Lugschitz

Vorsitzender des Studienkomitees B2 „Freileitungen“ der CIGRE

Geleitwort

Die weltweiten Veränderungen in der Energiewirtschaft, getrieben durch die rasant wachsende Weltbevölkerung bei stark steigendem Pro-Kopf-Energieverbrauch versus endliche Ressourcen fossiler Brennstoffe, die notwendigen Anforderungen an die Umweltverträglichkeit und Akzeptanz von Energiewandlungs-, -transport- und -verteilungsanlagen, Forderungen an die Klimaneutralität und durch den liberalisierten Strommarkt, gehen auch an Europa und Deutschland nicht vorbei. Außerdem stehen die Anforderungen hochtechnologischer und digitalisierter Industriegesellschaften an die Versorgungszuverlässigkeit und Sicherheit der Energieversorgung nicht immer im Einklang mit der politischen Stabilität von Ländern, aus denen Primärenergieträger bezogen werden, was einen deutlichen Trend zur weitgehenden Unabhängigkeit bei der Bereitstellung von Elektroenergie aus regenerativen Energiequellen erkennen lässt. Die damit verbundene räumliche Trennung von Erzeuger- und Verbraucherstandorten sowie die volatile Verfügbarkeit von Wind und Sonne stellen die Branche vor große Herausforderungen an das Elektroenergieversorgungssystem, seine Netze, Anlagen und Komponenten. Genau an diesem Punkt setzt das vorliegende Buch an. Es konzentriert sich dabei auf Kabel und Freileitungen zur Übertragung und zur Verteilung elektrischer Energie in Mittel-, Hoch- und Höchstspannungsnetzen. Dabei gelingt es den Autoren sehr gut, zum einen die Dreifaltigkeit von Historie, bewährter Tradition und ingenieurtechnischer Erfahrung, zum anderen wissenschaftlich-technisches Grundlagen- und Fachwissen sowie aktuelle Herausforderungen für Hersteller, Planer, Errichter und Betreiber aufzuzeigen.

Das Buch richtet sich an Lernende und Studierende ebenso wie an gestandene Fachleute, die sich weiterbilden und auf neue Aufgabenstellungen vorbereiten wollen. Es setzt im fachlichen Teil elektrotechnische Grundlagenkenntnisse des Lesers voraus, holt ihn dort ab und führt ihn auf verständliche Weise zu den aktuellen Fachthemen und Fragen. Dabei werden auch gesellschaftliche, juristische, verwaltungstechnische, wirtschaftliche, ökologische und Akzeptanzfragen nicht ausgelassen, was die Interdisziplinarität der Thematik deutlich macht. Eine Vielzahl von Beispielen mit konkreten Werten ist sehr hilfreich, nicht nur, um Zusammenhänge zu vertiefen, sondern insbesondere auch, um Größenordnungen einschätzen und damit Entscheidungen aus ingenieurtechnischer Sicht treffen zu können. Sehr nützlich erscheint die Einführung wichtiger englischer Fachbegriffe.

Inhaltlich widmet sich das Buch logisch zunächst den Grundlagen von Strukturen und Netzen, um ein Verständnis zu entwickeln, warum und in welchem Umfang elektrische Verbindungen zwischen den Knotenpunkten eines Netzes erforderlich sind und welche Randbedingungen dazu zu beachten sind. Daraus leitet sich die Frage ab, welche Art der Verbindung zu wählen ist, Freileitung oder Kabel, und wie die Trasse aus technischen, wirtschaftlichen, ökologischen und genehmigungsrechtlichen Aspekten verlaufen sollte. Die dabei zu beachtenden Genehmigungsverfahren werden verständlich erläutert. Einen Schwerpunkt bilden die nachfolgenden Kapitel mit technischen Erläuterungen zu Funktion, Aufbau, Komponenten und Errichtung von Freileitungen und Kabelanlagen. In gebotener Kürze erhält der Leser einen weitreichenden Überblick, während Quellenangaben auf weiterführende Literatur verweisen. Mit dem vergleichenden Kapitel Freileitungen und Kabel in Übertragungs- und Verteilnetzen schließen die Autoren eine wichtige Lücke in der Diskussion um diese Thematik. Aus neutraler Sicht werden Vor- und Nachteile beider Arten elektroenergietechnischer Verbindungen wertfrei zusammengestellt. Ein letztes Kapitel gibt einen fundierten Ausblick auf technische Entwicklungen in der Freileitungs- und Kabeltechnik, denen wir uns zeitnah stellen müssen.

Aufbau, Inhalt und Darstellung des Buches lassen unschwer erkennen, dass die drei Autoren, Markus Palic, Konstantin O. Papailiou und Guntram Schultz, Ingenieure mit jahrzehntelangen praktischen Erfahrungen, aber auch soliden Grundlagenkenntnissen sind, die dankenswerter Weise ihr Wissen an interessierte, auch jüngere Fachpersonen anschaulich weitergeben.

 

Dresden, im Mai 2022    Prof. Dr.-Ing. Steffen Großmann

Vorwort

Die Frage nach der Gestaltung und dem Verlauf von überregionalen elektrischen Versorgungsleitungen im Hoch- und Höchstspannungsbereich steht seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Mal mehr, mal weniger. Einerseits führen ein steigendes Umweltbewusstsein in der Bevölkerung und andererseits die Pflicht der Netzbetreiber, die Netze durch deren Ausbau den wachsenden Erfordernissen anzupassen, in vielen Fällen zu teilweise erheblichen Konflikten. Durch die beschleunigte Verschiebung der Erzeugungsschwerpunkte im Zuge der Energiewende, weg von den traditionellen, meist nuklear und fossil betriebenen Kraftwerken in der Nähe der Lastschwerpunkte, hin zur regenerativen Stromerzeugung aus Windkraft in der Nord- und Ostsee, muss der erzeugte Strom über mehrere leistungsstarke Leitungsverbindungen über viele hundert Kilometer in die Mitte und den Süden Deutschlands transportiert werden. Unabhängig davon muss das bestehende Drehstromnetz in allen Spannungsebenen verstärkt und ausgebaut werden. Die anfängliche Absicht, den nötigen Ausbau des Höchstspannungs-Drehstromnetzes in Form von Freileitungen zu realisieren, scheiterte am Widerstand der Bevölkerung. Durch die inzwischen etablierten Beurteilungs- und Genehmigungsverfahren, mit zum Teil exzessiver Öffentlichkeitsbeteiligung, befassen sich inzwischen neben den Planern, den Genehmigungsbehörden und den Trägern öffentlicher Belange auch Heerscharen von Bürgerinnen und Bürger, die sich zu Bürgerinitiativen zusammenschließen, mit diesem Thema.

Im Mittelpunkt der Diskussion stand und steht neben der grundsätzlichen Frage nach der Notwendigkeit von Leitungsprojekten stets der dringende Wunsch nach deren vollständigen Verkabelung. Die damit verbundenen technischen und wirtschaftlichen Auswirkungen, insbesondere im Hoch- und Höchstspannungs-Drehstromnetz, sind vielschichtig und komplex. Deshalb werden sie meist ignoriert. Die in den vergangenen rund 40 Jahren hinzugekommenen verfahrenstechnischen Rahmenbedingungen und ihre fortwährende Novellierung verlangen von allen Verfahrensbeteiligten neben einem soliden Grundwissen über die technische Ausgestaltung ein stetes Hinzulernen und gleichzeitig ein Höchstmaß an Flexibilität.

Das vorliegende Buch führt umfassend und dennoch leicht verständlich in das Thema ein und soll sowohl den Planern als auch den Verfahrensbeteiligten helfen, die jeweils anderen Themengebiete kennenzulernen. Hierzu ist es in einen ausführlichen technischen und einen verfahrenstechnischen Teil gegliedert. Im technischen Teil werden die beiden Betriebsmittel Kabel und Freileitung beschrieben, in ihrer Funktionsweisen miteinander verglichen und ihr Zusammenwirken im Netz beschrieben. Der an den Anfang gestellte verfahrenstechnische und umweltrechtliche Teil gibt einen Überblick über die durchzuführenden Planungs- und Genehmigungsverfahren, die in Deutschland inzwischen durch die Bundesnetzagentur detailliert vorgegeben werden.

Das Manuskript entstand aus der engen Zusammenarbeit der Autoren im Rahmen von Lehr- und Informationsveranstaltungen bei der Aus- und Weiterbildung des Ingenieurnachwuchses in Form von Seminaren sowie in den seit drei Jahrzehnten alljährlich stattfindenden Leitungsbautagungen, an denen sie sich aktiv beteiligen.

 

Karlsruhe, im Mai 2022    Markus Palic

Konstantin O. Papailiou

Guntram Schultz

1Grundlagen der elektrischen Energieübertragung

1.1Transformation und Blindleistung

Möglicherweise fragen Sie sich, weshalb dieses Kapitel am Anfang des Buches steht, wo es doch in den einschlägigen Fachbüchern zu ähnlichen Themen erst in der Mitte oder gar am Ende behandelt wird. Weshalb also? Weil allein schon die Historie der ElektrizitätsübertragungElektrizitätsübertragung, und erst recht die heutige Netztechnik, ohne die Kenntnis der wichtigsten physikalischen Phänomene unverstanden bliebe. Alle übrigen, und sicher auch sehr wichtigen Effekte und Phänomene werden an anderer Stelle erklärt. Die grundlegende Darstellung dieser elementaren elektrischen bzw. elektromagnetischen Grundphänomene wird auch von Lesern verstanden, die sich bisher mit Elektrotechnik nur sehr wenig oder gar nicht beschäftigt haben.

1.1.1 TrafoprinzipTrafoprinzip

Zunächst zum Trafoprinzip: Die Entdeckung der ElektrodynamikElektrodynamik reicht in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Seither wurden deren Anwendungen weiterentwickelt und perfektioniert. Jeder, der in der Schule die Mittelstufe durchlief, kennt den Versuch, bei dem die Lehrerin oder der Lehrer einen Dauermagneten in eine mit Kupferdrähten umwickelte Spule tauchte. Der an den beiden Enden der Kupferwicklung angeschlossene Spannungsmesser schlug aus. D. h., eine Spannung wurde erzeugt. Sobald der Dauermagnet zur Ruhe kam, zeigte der Spannungsmesser keine Spannung mehr an. Das bedeutet, dass eine Spannung nur dann erzeugt wird, wenn der Dauermagnet im Ringspalt der Spule ständig hin und her bewegt wird. Hier handelt es sich um das Dynamo-Prinzip als eine der Möglichkeiten der Stromerzeugung, wie sie beispielsweise im Fahrrad-Dynamo genutzt wird. Taucht man in die Spule einen Eisenkern und legt eine Spannung an, entwickelt sich der Eisenkern zu einem Magneten, der wie ein Permanentmagnet eiserne Gegenstände anzieht. Das Prinzip ist also umkehrbar. Einerseits lässt sich durch Bewegung mit einem Permanentmagneten in einer Spule eine Spannung erzeugen, und andererseits erzeugt eine stromdurchflossene Spule in einem Eisenkern ein Magnetfeld. Der nächste Gedankenschritt führt uns zu einer Anordnung, bei der eine Spule mit einem Eisenkern an eine Wechselspannung angeschlossen wird, die die Bewegung des Permanentmagneten aus der ersten Betrachtung ersetzt. Führt man den Eisenkern so weit aus der Spule heraus, dass eine zweite Spule aufgeschoben werden kann, so erzeugt die Wechselspannung in der ersten Spule über die magnetische Kopplung in der zweiten Spule ebenfalls eine Wechselspannung mit derselben Frequenz. Dies ist die Grundlage der Transformation. Entsprechend dem Verhältnis der Windungsanzahl in der einen Spule zur Windungsanzahl in der zweiten ergeben sich nämlich die jeweiligen Höhen der Wechselspannungen in den Spulen. So induziert man beispielsweise (Abb. 1.1) von einer Spule mit der Windungszahl von N1U1N2U2I1I2≈ 100 A erzeugt wird. Annähernd deshalb, weil diese Anordnung, wie die allermeisten in der Technik, nicht verlustfrei arbeitet. Zur Optimierung des magnetischen Flusses innerhalb des Eisenkerns werden die Spulen wie in Abb. 1.1 gezeigt angebracht. In dieser Anordnung erreichen die Wirkungsgrade von TransformatorenTransformatoren immerhin 95–98 %. Bei dem als Drehstrom bezeichneten Dreiphasenwechselstrom werden alle drei Phasen in den drei Leitern über denselben Mechanismus transformiert. Über dieses physikalische Prinzip konnte in den Wechsel- bzw. Drehstromnetzen zwischen den Übertragungsspannungen und den Strömen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimiert werden.

Abb. 1.1:

Das TrafoprinzipTrafoprinzip

1.1.2 BlindleistungBlindleistung

Mit der Erläuterung des „induktiven“ Trafoprinzips sind wir bereits auf den Spuren der induktiven Blindleistung. Bevor durch eine Spule ein Strom fließt, muss an beiden Enden bereits die volle Spannung anliegen. Erst dann beginnt ein Strom zu fließen. Im Fachjargon heißt das, der Strom eilt der Spannung nach. Bei einer Wechselspannung bedeutet das, dass der Strom, kaum dass er zu fließen begonnen hat, durch die Umpolung schon wieder in die andere Richtung fließen muss. Und das bei der Frequenz von 50 Hertz (Hz) 100-mal pro Sekunde. Damit ergibt sich ein geringerer Wirkanteil des Stromflusses, weil ein Teil träge zurückbleibt. Diesen ständig umkehrenden Anteil nennt man Blindstrom, da er zum tatsächlich wirksamen Stromtransport nicht beiträgt, den Leiterquerschnitt aber mit nutzt. Er wird als induktiver Blindstrom bezeichnet, der in Verbindung mit der anliegenden Wechselspannung die unerwünschte sogenannte Blindleistung erzeugt. Alle elektrotechnischen Bauelemente, die eine Spule besitzen, wie Transformatoren und Motoren sind potenzielle Erzeuger von induktivem BlindstromBlindstrom. Das ist die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite wirkt entgegengesetzt. Dieses Phänomen lässt sich anhand eines mit Wechselspannung betriebenen Kabels sehr anschaulich erklären. Betrachten wir anstelle einer Spule einen sogenannten Kondensator. Dieser besteht aus zwei ausgedehnten Platten, die durch ein isolierendes Dielektrikum getrennt sind. Legt man an die Platten eine Gleichspannung an, so verteilen sich die Ladungsträger auf den beiden Platten und es entsteht im Dielektrikum ein gleichmäßiges, elektrisches Feld.

Abb. 1.2:

Das Hochspannungskabel als langgestreckter Kondensator

Wird aber an die beiden Platten eine Wechselspannung angelegt, müssen die Ladungsträger im Takt der Frequenz ständig von einer Platte zur anderen eilen und wieder zurück. Eine weitere Besonderheit bei dieser Anordnung ist, dass sich die Ladungsträger erst auf den beiden Platten verteilen müssen, bevor eine Spannung dazwischen entstehen kann. D. h., der Strom muss erst fließen, bevor sich die Spannung aufbaut. Hier eilt also der Strom der Spannung voraus.

Hoch- und Höchstspannungskabel entsprechen in ihrer Bauform und ihren Wesenseigenschaften einem langgestreckten, konzentrischen Kondensator. Die Leiteroberfläche wirkt als eine Platte und die Außenhülle, der Schirm, als die andere (Abb. 1.2, linker Bildteil). Stellen wir uns hierzu zwischen dem Leiter des Kabels und dessen Mantel eine Vielzahl kleiner Kondensatoren vor. Wird nun eine Wechselspannung U zwischen dem Leiter und den in der Regel geerdeten Außenmantel angelegt, wandern die Ladungsträger, wie schon angedeutet, durch die ständige Umpolung von einer Platte zur anderen hin und her. Auf diese Weise erzeugen sie einen Strom, der nur dem Ladungsaustausch zwischen dem Platten dient, das Kabel belastet, aber zu dem eigentlichen Stromtransport nichts beiträgt. Der Gesamtstrom durch den Leiter, der als Scheinstrom bezeichnet wird, setzt sich also aus dem wirksam übertragenen Strom, dem Wirkstrom und dem kapazitiven Blindstrom zusammen. Allerdings nicht summarisch, sondern in Form zweier Vektoren, die einen Winkel von 90° einschließen. Mit zunehmender Länge des Kabels steigt dessen sogenannte Kapazität und somit auch der kapazitive Blindstrom. Bei Höchstspannungskabeln führt dieses Phänomen zu Längenbeschränkungen. Wird nämlich für den Transport des Blindstroms der gesamte Leiterquerschnitt benötigt, kann kein Wirkstrom mehr übertragen werden. Dies ist der Grund dafür, dass in der Hoch- und Höchstspannungsebene die Integration von Kabeln in das mit Wechselstrom betriebene Leitungsnetz bei den Legelängen beschränkt ist.

Nun haben wir zwei Arten von Blindstrom kennengelernt, die trotz ihres unerwünschten Erscheinens segensreiche Eigenschaften besitzen. Sie lassen sich nämlich gegenseitig kompensieren. Da bei Kapazitäten der Strom der Spannung voraus- und bei Induktivitäten nacheilt, können sie sich gegenseitig mit Blindstrom versorgen und so den Blindstromanteil reduzieren oder gänzlich kompensieren. Damit kann über die Versorgungsleitungen ein hoher Anteil an Wirkstrom und damit verbunden an Wirkleistung übertragen werden. Im Hinblick auf die rechnerische Behandlung versieht man die beiden Blindleistungsarten mit einem Vorzeichen, und zwar die induktive mit einem positiven und die kapazitive mit einem negativen.

Abb. 1.3:

KapazitätenKapazitäten und InduktivitätenInduktivitäten im Wechselstromnetz

Zum besseren Verständnis dieser Verhältnisse bedient man sich in der Elektrotechnik sogenannter Zeigerdiagramme, die die Zusammenhänge zwischen den Strömen, den Spannungen und den Leistungen veranschaulichen. Hierzu wird in der Regel ein Vier-Quadranten-System genutzt, in dem auf der Abszisse die realen Teile, also die Wirkanteile und auf der Ordinate die sogenannten imaginären, also die Blindleistungsanteile abgetragen werden. So lässt sich durch geometrische Addition jeder Zustand darstellen. Im linken Teil der Abb. 1.3 sehen wir wie Strom und Spannung zueinander stehen. Die Erfinder des Zeigerdiagramms in der Elektrotechnik entschieden sich für ein linksdrehendes (d. h. im Gegenuhrzeigersinn rotierendes) System. So sehen wir die Spannung U parallel zur Abszisse, der nacheilende induktive Blindstrom zeigt nach unten und spannt zwischen Schein- und Wirkstrom den Winkel φ auf. Umgekehrt ist der Zeiger des kapazitiven Blindstroms nach oben gerichtet, da dieser der Spannung vorauseilt. In beiden Fällen bilden sich rechtwinklige Dreiecke, die die Größenverhältnisse der einzelnen Ströme zeigen. Der Scheinstrom, der dem fließenden Strom entspricht, teilt sich geometrisch in den Wirkstrom und den kapazitiven bzw. induktiven Blindstrom auf. Multipliziert man die jeweiligen Ströme mit der dazugehörigen Spannung, so ergibt sich das Zeigerdiagramm in der Mitte der Abb. 1.3. Dort, wo zuvor der Wirkstrom abgetragen war, steht nun die Wirkleistung. Die jeweiligen Blindleistungsanteile spannen wie zuvor nach unten und nach oben den Winkel φ auf. Die Scheinleistung S ergibt sich somit aus dem Produkt der angelegten Spannung und dem Scheinstrom. Nach der Multiplikation der Scheinleistung mit dem Leistungsfaktor Kosinus φ erhalten wir die übertragbare Wirkleistung P. In den Übertragungsnetzen wird stets ein Leistungsfaktor nahe eins angestrebt. In diesem Fall steht nahezu der volle Leitungsquerschnitt der Kabel und der Freileitungen zum Transport der Wirkleistung zur Verfügung.

1.2Historie der Stromübertragung

Abb. 1.4:

Nikola Tesla (links) und Thomas Alva Edison (rechts) – zwei Protagonisten im Stromkrieg [1.1]

Wie so oft in der Geschichte beginnen bedeutende Entwicklungen mit einem Streit unter Experten. So auch bei der grundlegenden Entscheidung über die Spannungsart bei der Fernübertragung elektrischer Energie. Die beiden Protagonisten Thomas Alva EdisonEdison und Nikola TeslaTesla (Abb. 1.4) stritten im ausgehenden 19. Jahrhundert unerbittlich über diese Frage. Während sich Edison als Verfechter des Gleichstroms (DC, aus dem Englischen: direct currentdirect current) vehement für die Gleichstromübertragung einsetzte, bewies Tesla den größeren Weitblick, indem er eine Wechsel- bzw. Drehstromübertragung (AC, aus dem Englischen: alternating currentalternating current) forderte, die wir heute auf unterschiedlichen Spannungsebenen in der öffentlichen Elektrizitätsversorgung europaweit mit einer Frequenz von 50 Hz einsetzen. Dass wir uns heute erneut mit der Gleichstromübertragung in der Höchstspannungsebene befassen, hat mit dieser Entscheidung erst einmal nichts zu tun. Davon später.

Nicola Tesla war ein serbischer Ingenieur, der sein Studium an der technischen Hochschule in Graz unvollendet abbrach. Danach folgten mehreren Stationen als Konstrukteur und Erfinder. Schließlich landete er 1882 bei „Continental Edison“ in Paris und arbeitete an der elektrischen Straßenbeleuchtung der Stadt. Der dortige Vorsteher Edisons kontinentaler Zweigstelle ermunterte ihn, der besseren Karrierechancen wegen, an den Hauptsitz der Firma nach New York zu wechseln. Dem Vernehmen nach begann dessen Empfehlungsschreiben an den Chef in den USA mit folgendem Wortlaut:

„Mein lieber Edison: ich kenne zwei großartige Männer und sie sind einer von ihnen. Der andere ist der junge Mann.“

Damit begann für den 28-jährigen Tesla die Arbeit im Unternehmen des neun Jahre älteren Genies, der zu dieser Zeit mit einer Vielzahl von Erfindungen rund um die Elektrizitätsanwendung bereits berühmt und ein erfolgreicher Geschäftsmann war.

 

Der Autodidakt Edison begann seine Karriere ohne eine besondere Ausbildung bei der mit Gleichstrom betriebenen Telegrafie und war der festen Überzeugung, dass auch die Starkstromübertragung mit Gleichstrom erfolgen sollte. Er erkannte Teslas Genialität und beauftragte ihn, mit Aussicht auf eine erkleckliche Prämie, seine Gleichstrommotoren zu verbessern, um sich nicht weiter mit der vermeintlich untauglichen Wechselstromtechnik zu befassen. Als die versprochene Prämie trotz erfolgreicher Bewältigung der Aufgabe ausblieb, kündigte er.

Anschließend entwickelte Tesla gemeinsam mit dem Großindustriellen George Westinghouse die Wechselstromtechnik weiter und begann, sie auch zur Fernübertragung von Elektrizität einzusetzen. So gerieten Edison und Westinghouse, der Teslas Wechselstromforschung unterstützte und deren Ergebnisse vermarktete, heftig aneinander.

In dem Streit beschwor Edison stets die Gefahr, die von Wechselstrom ausgehe und verwies immer wieder auf den mit Wechselstrom betriebenen elektrischen Stuhl, der 1890 im Bundesstaat New York erstmals zum Einsatz kam. Edison unternahm einige Versuche, Wechselstrom wegen seiner Gefährlichkeit behördlich verbieten zu lassen. Ohne Erfolg.

Da es damals weder Gleich- noch Wechselrichter gab, waren die Anwendungen immer dann von der Art der Transportspannung abhängig, wenn die Stromerzeugung und die Nutzung räumlich auseinanderfielen. Der Gleichstrommotor war ein eingeführtes und auch schon einigermaßen ausgereiftes Antriebsaggregat mit vielen Vorzügen. Er konnte mit Gleichstromgeneratoren und mit Batterien gleichermaßen betrieben werden. Seine Erfindung reichte in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Für Beleuchtungszwecke, der damaligen Hauptanwendung der Elektrizität, war die Art der Spannung einerlei. Die Glühlampen leuchteten mit Gleichstrom ebenso gut, wie mit Wechselstrom. Den Wechselstrom- bzw. Drehstrommotor hatte Tesla aber gerade erst erfunden. Dessen kommerzieller Einsatz ließ noch auf sich warten.

Es half nichts. Für die Elektrizitätsübertragung über weite Strecken erwies sich Gleichstrom als weniger geeignet. Die erste Gleichstrom-Überland-Freileitung, die Oskar von Miller (Abb. 1.5), der spätere Gründer des Deutschen Museums, anlässlich der „Münchner Elektrizitätsausstellung“ 1881 bauen ließ, zeigte es überdeutlich. Der von einer 1,5-PS-Dampfmaschine angetriebene Gleichstromgenerator im 57 km entfernten Miesbach erzeugte die nötige elektrische Energie mit einer Anfangsspannung von etwa 2 kV. Am Leitungsende, auf dem Münchner Ausstellungsgelände, wo sie eine Pumpe für einen kleinen Wasserfall antrieb, betrug sie lediglich noch rund 1,5 kV. Die zur Hochspannungsleitung missbrauchte Telegraphenleitung hatte einen Leitungswiderstand von 3.000 Ohm (Ω) und brachte es gerade mal auf einen Wirkungsgrad von rund 25 % [1.2]. Die Wahl eines größeren Querschnitts hätte das Ergebnis sicher verbessert, zufriedenstellend wäre es allerdings auch nicht gewesen. Höhere Leistungen über längere Strecken mit Gleichstrom zu übertragen, bedeutete damals, wegen der begrenzten Spannungshöhe, große Querschnitte aus teurem Kupfer. Obendrein führte das Schalten hoher Gleichströme durch Lichtbögen an den Schaltkontakten fortwährend zu einem unerwünschten Abbrand.

Abb. 1.5:

Oskar von Miller [1.3]

 

Abb. 1.6:

Internationale Frankfurter Elektrizitätsausstellung 1891 [1.4]

Rund zehn Jahre später war es erneut Oskar von MillerOskar von Miller, der sich als Pionier hervortat. Für die in Frankfurt am Main stattfindende „Internationale Elektrotechnische Ausstellung“ 1891 (Abb. 1.6), die er organisierte, ließ er wieder eine Überlandleitung bauen. Diesmal mit hochgespanntem Drehstrom betrieben, und in einem Design, das sich für spätere Hochspannungs-Freileitungen als maßstäblich erweisen sollte. Die Einspeisung erfolgte in Lauffen am Neckar und die Leitungslänge betrug stattliche 175 km. Der Clou war diesmal die niedrige Generator-Spannung von 55 V, die über einen Dreiphasen-Transformator auf 15 kV hochtransformiert und über die Freileitung nach Frankfurt weitergeleitet wurde. In der Ausstellung präsentierten die Pioniere der Elektrizitätsübertragung das Projekt als „Kraftübertragung Lauffen-Frankfurt“. Die ankommende Hochspannung wurde anschließend auf 100 V heruntertransformiert und betrieb neben rund 1.000 Glühlampen einen 74 kW starken Drehstrom-Synchronmotor, der auf dem Ausstellungsgelände eine Pumpe für einen mehrere Meter hohen künstlichen Wasserfall antrieb. Und das alles mit einem Übertragungswirkungsgrad von immerhin 75 %. Der mit Wasserkraft angetriebene Synchrongenerator am anderen Ende der Leitung hatte eine Leistung von 221 kW und erzeugte eine Wechselspannung mit einer Frequenz von 40 Hz [1.5].

Mit diesem Projekt zeigte die Ausstellung eindrücklich die Leistungsfähigkeit der Elektrizität und deren vielfältige Nutzungsmöglichkeiten. Vor allem aber zeigte sie eins: Für eine wirtschaftliche Fernübertragung elektrischer Energie eignete sich die Wechselstromtechnik weitaus besser als ihr gleichmäßig fließender Gegenpart. In der einschlägigen Literatur wird dieses Ereignis häufig als die „Geburtsstunde“ der elektrischen Energieübertragung und -versorgung bezeichnet [1.6]. Man könnte auch ohne Übertreibung sagen, dass sie hier ihren Siegeszug antrat. Durch die auf dem elektromagnetischen Prinzip beruhende Transformation von niedrigen auf hohe und höchste Spannungen und umgekehrt, verbunden mit außerordentlich hohen Transformations-Wirkungsgraden, konnten große elektrische Leistungen in einer höheren Spannungsebene mit geringen Verlusten über weite Strecken übertragen werden. Obendrein konnte der Stromfluss nahezu lichtbogenfrei unterbrochen werden, da sowohl der Strom als auch die Spannung in ihrem zeitlichen Verlauf Null-Durchgänge hatten. Das war der Durchbruch für die Übertragungstechnik mit Wechselstrom und für den Ausbau von Stromnetzen.

In den folgenden Jahren und Jahrzehnten stieg der Bedarf an Elektrizität rasant. Die Glühlampen verdrängten die Öl- und Gaslichter, und Elektromotoren der verschiedensten Gattungen übernahmen die individuellen Antriebe von Maschinen und verdrängten ebenso rasch die Dampfmaschinen mit ihren störungsanfälligen und unfallträchtigen Transmissionen, die sich an den Decken der Fabrikhallen entlangzogen. Die lokalen Erzeuger, die in der Nähe liegende Verbraucher versorgten, wichen großen, effizienteren Erzeugungseinheiten, die in größerer Entfernung zu den Lastzentren lagen und so Transportleitungen und später Transport- und Verteilnetze benötigten, um diese zu erreichen.

Da sich die Leistung aus dem Produkt von Spannung und Strom errechnet, konnten über Transformatoren beliebig hohe Spannungen erzeugt werden, die bei den Leitungen lediglich längere Isolatoren benötigten, die deutlich billiger herzustellen waren als die dicken Kupferleitungen für hohe Ströme. So entstanden wirtschaftliche, an die Transportentfernung angepasste und optimierte Höhen von Strömen und Spannungen. Die Transportentfernungen wurden immer größer und zogen steigende Übertragungsspannungen nach sich. Bald gab es die noch heute gern benutzte Faustformel, wonach die Übertragungsspannung je Kilometer Entfernung zwischen den Kraftwerken, Umspann- bzw. Schaltanlagen ungefähr 1 kV betragen sollte.

Damit wurde es möglich, die immer größer und effizienter werdenden Erzeugungseinheiten, die sich rasch zu Großkraftwerken auswuchsen, dort zu platzieren, wo die Primärenergie zur Verfügung stand. Dies galt und gilt für die Wasserkraft und die fossilen Rohstoffe, im Fall von Braunkohle im Tagebau gefördert oder bei der Steinkohle, die auf See- und Flusswegen leicht hin transportiert werden konnte. So wurden die Kraftwerke immer weiter ausgebaut und die erzeugte elektrische Energie über immer weitere Strecken zu den Lastzentren, den großen Industrieanlagen und Großstädten transportiert. Auf diese Weise ließ sich auch der Transport der Energieträger optimieren. Die Rohstoffe für die Stromproduktion, die schwer waren und in großen physischen Mengen benötigt wurden, hatten so kurze bzw. bequeme Wege und die Elektrizität konnte an jedem Netzknoten in nahezu beliebiger Menge ein- und ausgespeist werden.

1.2.1 FreileitungsentwicklungFreileitungsentwicklung

Bereits 1912 wurde die erste 110-kV-Doppelfreileitung Europas zwischen dem Brandenburgischen Lauchhammer und dem Sächsischen Riesa mit einer Länge von rund 50 km und einer Übertragungsleistung von 20 MW in Betrieb genommen. 1929 folgte die Spannungsstufe 220 kV. Die sogenannte „Nord-Süd-Leitung“ zog sich über insgesamt 600 km hin, von Brauweiler in der Nähe von Köln bis nach Tiengen, in Südbaden, unweit der deutsch-schweizerischen Grenze. In sechsjähriger Planungs- und Bauzeit errichtete das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) die Leitung über mehrere Regionen hinweg. Sie verband insgesamt sieben Umspannanlagen und diente dem Energieaustausch zwischen Kohlekraft aus dem Rheinischen Revier und der Wasserkraft im Süden Deutschlands und der Schweiz. Sie gilt als die erste Verbundleitung Deutschlands. Zunächst war die Leitung für den Betrieb mit 380 kV konzipiert worden, ging aber dann mit 220 kV in Betrieb. Die erste 380-kV-Drehstrom-Freileitung in Deutschland nahm erst 1957 ihren Dienst auf, nachdem die Schweden bereits fünf Jahre zuvor eine Leitung in dieser Spannungsebene mit einer Übertragungsleistung von 1.000 MW in Betrieb genommen hatten. Die 800 km lange Verbindung führte vom nordschwedischen Wasserkraftwerk Harsprånget über Midskog nach Hallsberg.

Die über 340 km lange erste deutsche 380-kV-Leitung baute das RWE nach umfassenden Versuchen auf einem Testgelände in Mannheim zwischen den Umspannwerken Rommerskirchen bei Köln und Hoheneck bei Stuttgart. Diese Leitung bildete den Ursprung des deutschen Höchstspannungs-Übertragungsnetzes in dieser Spannungsebene. Der Griff auf die bisher in Europa höchste Übertragungsspannung wurde nötig, weil die Braunkohlekraftwerke im rheinischen Revier stetig ausgebaut wurden, und die Übertragungskapazitäten der darunterliegenden Spannungsebenen nicht mehr ausreichten [1.7]. Die als Donaumast bezeichnete Mastform, die bei dieser Leitung zum Einsatz kam, sollte später in Deutschland für Doppelfreileitungen im freien Gelände zum Standard werden (Abb. 1.7).

Das Europäische Verbundnetz wird bis heute in dieser Spannungsebene und mit einer Frequenz von 50 Hz betrieben. Dass sich hieran in Zukunft etwas ändert, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Hinzukommen wird allerdings die geplante Höchstspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) über Erdkabel, die künftig integrierter Bestandteil des bestehenden Übertragungsnetzes für die Übertragung hoher Leistungen zwischen weit voneinander entfernt liegenden Punkten vorgesehen ist. Die moderne Leistungselektronik und eine fortschrittliche Kabeltechnik ermöglichen, was in den Anfängen der Stromübertragung undenkbar war.

Abb. 1.7:

Abspannmast im Leitungszug der 380-kV-Leitung Rommerskirchen-Hoheneck [1.7]

In dünnbesiedelten Flächenstaaten wie Russland und Kanada kamen zur Überbrückung größerer Distanzen bald Drehstrom-Freileitungen mit noch höheren Übertragungsspannungen zum Einsatz. So baute die Kanadische Hydro-Quebec 1965 die erste 735-kV-Freileitung über 500 km mit einer Übertragungsleistung von 5.300 MVA, die von den Stauseen um Manicouagan nach Montreal führte [1.8]. 1985 nahm der kasachische Energieversorger KEGOC die weltweit erste Drehstromfreileitung mit 1.150 kV in Betrieb. Sie verlief in der ersten Ausbaustufe vom Kraftwerk in Ekibastus über 700 km nach Kökschetau. Nach mehreren Ausbaustufen misst die Leitung inzwischen über 1.400 km. Die Übertragungsleistung wird mit 5.500 MVA angegeben [1.9]. Bei dieser Spannungsebene sollte es im Drehstrombereich weltweit erst einmal bleiben.

Dank der modernen Halbleitertechnik können für den Transport von sehr großen Leistungen inzwischen auch hohe Gleichspannungen eingesetzt werden. Wie später zu sehen sein wird, bietet die Gleichspannungs- bzw. Gleichstromübertragung wegen des fehlenden Blindleistungsbedarfs eine hervorragende Möglichkeit, Energie über große Entfernungen mit sehr geringen Verlusten zu übertragen. Allerdings handelt es sich dabei bisher stets um Punkt-zu-Punkt-Verbindungen. An beiden Enden einer solchen Leitung sind großräumige Umrichter-Stationen erforderlich, die die Leitungen in das bestehende Höchstspannungs-Drehstromnetz einbinden.

Abb. 1.8:

Entwicklung der Drehstrom-SpannungsstufenSpannungsstufen in Deutschland und der Welt

Die bisher höchste Spannungsebene für die Höchstspannungs-Gleichstromübertragung über Freileitungen beträgt ± 1.100 kV (also 2.200 kV zwischen Plus- und Minuspol). Die über 3.400 km lange HGÜ-Freileitung verbindet die chinesischen Städte Changji und Guquan und wird mit einer Übertragungsleistung von 12.000 MW angegeben [1.11, 1.12].

Mit wachsenden Übertragungsspannungen und den damit einhergehenden größeren Abständen zwischen den Leitern steigen die resultierenden elektrischen Feldstärken in der Nähe von Freileitungen in der Höchstspannungsebene stark an und sie können, wie später zu sehen sein wird, zu risikobehafteten Sekundäreffekten führen, vor denen in der näheren Umgebung von Leitungen Schutzvorkehrungen nötig sind. Unabhängig von den elektrischen Phänomenen stieg durch das zunehmende Umweltbewusstsein in der Bevölkerung, insbesondere in Ländern mit freiheitlichen Gesellschaftsordnungen, mit Beginn der 1980er Jahre der Widerstand gegen Freileitungen in den höheren Spannungsebenen. Während sie bis dahin zwar nicht beliebt, aber doch als nötig erachtet worden waren, kippte die Stimmung, teilweise bis hin zur strikten Ablehnung. Militante Gruppen verübten in den 1980er Jahren sogar Anschläge auf Höchstspannungsmaste, indem sie die Eckstiele ansägten. Glücklicherweise verliefen die Aktionen glimpflich. Allenthalben hörte man die Forderung nach Verkabelung. Dies galt fortan nicht nur für neu geplante Leitungen. Auch die bestehenden Freileitungen kamen in die Kritik und sollten unabhängig von ihrer Spannungsebene verkabelt werden.

1.2.2 KabelentwicklungKabelentwicklung

Die Entwicklung gebrauchstauglicher Energiekabel dürfte mit einer Erfindung des gebürtigen Schweizers John Krüsi begonnen haben, der als Mitarbeiter von Edison drei isolierte Leiter in ein Stahlrohr einzog und mit heißem Teer vergoss. In der Patentschrift von 1883 wird auch eine Muffe beschrieben, in der die „Kabel“ verbunden werden (Abb. 1.9). Bis heute ähnelt der Aufbau von Muffen diesem Grundmuster.

Abb. 1.9:

Darstellung des Kruesi-TubesKruesi-Tubes mit den drei Leitern im Rohr (unten), einer offenen Muffe (mittig) und einer verschlossenen Muffe (oben) [1.13]

Das patentierte Kabel diente der Stromübertragung vom ersten US-Kraftwerk „Pearl Street“ in New York, das einige 100 von Edisons Glühfadenlampen in der Stadt versorgte, und die mit dem von Edison bevorzugten Gleichstrom mit einer Spannung von 110 V betrieben wurden. Das Netz erfuhr in den darauffolgenden Jahren einen wesentlichen Ausbau und versorgte nach dessen Vollendung dem Vernehmen nach 10.000 Lampen [1.13].

Eine andere Art der Isolation entstand gut 30 Jahre zuvor. 1847 hatte der damals junge Werner Siemens eine Extruder-Presse zur Ummantelung von unterirdischen und im Meer verlegten Telegrafenleitungen mit GuttaperchaGuttapercha, einem gummiartigen Baumsekret erfunden, das in den 1880er Jahren vermehrt auch als isolierende Ummantelung bei Energiekabeln diente.

Etwa zur gleichen Zeit entwickelten Siemens & Halske ein Starkstromkabel für die Versorgung einer Beleuchtungsanlage der Post in Berlin. Das mit gewachster Jute isolierte 220-V-Gleichstromkabel erhielt eine Bandeisenarmierung und wurde direkt in Erde verlegt. Diese Art der Kabellegung setzte sich in der Folgezeit gegen die Legung in eigens hierfür vorbereiteten Kanälen durch. Für Kabelverbindungen und -abzweige wurden gusseiserne Muffen verwendet, wie sie in Form und Werkstoff bis vor wenigen Jahrzehnten weltweit zum Einsatz kamen. Nach einem kurzen Intermezzo mit der Legung von blanken Kupferdrähten auf Isolatoren in sogenannten Monier-Kanalsystemen ausgangs der 1880er Jahre kehrten die damaligen Stromversorger reumütig wieder zu erdverlegten Kabeln zurück. Die gebrochenen Deckel der Betontröge führten fortwährend zu Wassereinbrüchen und zu folgenschweren Kurzschlüssen [1.14].

 

Mit zunehmenden Übertragungsspannungen stiegen die Anforderungen an die Spannungsfestigkeit des isolierenden Dielektrikums, das im Gegensatz zum Isoliermedium Luft bei Freileitungen, in den Kabeln auf wenige Zentimeter zusammenschrumpfte. Zudem erweichten die bis dahin verwendeten Isolierwerkstoffe bei höheren Betriebstemperaturen, die im Gegensatz zu Telegraphenkabeln bei Energiekabeln durch höhere Strombelastungen und der damit verbundenen Erwärmung auftraten. In den darauffolgenden Jahren kamen vermehrt ölgetränkte Faserstoffe, wie Jute und Hanf als Isoliermaterialien zum Einsatz, die neben einer höheren Spannungsfestigkeit auch eine bessere Temperaturbeständigkeit aufwiesen [1.15]. Ein robuster Bleimantel schützte die Isolation vor Feuchtigkeitseintritt.

Ab der Jahrhundertwende verbesserten geschichtete, mineralölgetränkte Papierisolierungen die Spannungsfestigkeit der Starkstromkabel deutlich. Etwa zur gleichen Zeit kam auch die Umstellung der allgemeinen Stromversorgung von Gleich- auf Wechselstrom, die für die höheren Übertragungsspannungen auch eine höhere Spannungsfestigkeit benötigte. Bald folgten die ersten so genannten Gürtelkabel, die in den darauffolgenden Jahrzehnten zum Standard werden sollten. Sie bestanden aus drei mit ölgetränktem Papier umwickelten Adern, die noch einmal insgesamt eine weitere ölgetränkte, papierisolierte Lage als Gürtel und anschließend einen Bleimantel erhielten. Nach außen schützte sie eine innere Hülle, gefolgt von einer Bewehrung aus Stahlband und einer äußeren Schutzhülle aus Faserstoffen (Abb. 1.10 und 1.11).

Abb. 1.10:

Aufbau eines alten Gürtelkabels

 

Abb. 1.11:

30-kV-Gürtelkabel im Jahr 1911 [1.15]

1911 kam dieser Kabeltyp mit einer Betriebsspannung von 30 kV erstmals auf dem europäischen Kontinent bei der Versorgung der Stadt Berlin und ihrer umgebenden Landbereichen zum Einsatz [1.15].

Im gleichen Jahr nahm die Königliche Eisenbahn-Direktion Halle das erste Wechselstromkabel mit 60 kV und einer Länge von 43 km als Speiseleitung für die elektrifizierte Versuchsstrecke zwischen Dessau und Bitterfeld in Betrieb. Der nächste Entwicklungsschritt gelang etwa 1920 mit einem nach dessen Erfinder benannten Höchstädter-Papier, das aus perforierter Aluminiumfolie bestand und über die Isolation der Einzelleiter gewickelt wurde. Diese Entwicklung ging auf einen Vorschlag Höchstädters zurück, den er bereits zehn Jahre zuvor gemacht hatte. Durch die bessere Feldverteilung ließ sich eine höhere Spannungsfestigkeit des Isoliermaterials erreichen. 1923 folgte die nächste Spannungsstufe mit einem 130-kV-Öldruckkabel mit dünnflüssigem Öl des italienischen Kabelherstellers Pirelli, der eine 600 m lange Versuchsstrecke mit drei Einzelleitern erfolgreich testete. Das erste deutsche 110-kV-Ölkabel, ebenso aus drei Einzelleitern bestehend, wurde 1928 in Nürnberg verlegt. Nachdem Anfang der 1930er Jahre erste 220-kV-Ölkabel getestet wurden, errichtete der Pariser Energieversorger 1936 ein großes 220-kV-Kabelnetz mit Niederdruckölkabeln in der Stadt [1.8].

Anfang der 50er Jahre führte die rasant steigende Lastentwicklung in der 110- kV-Ebene zum breiten Einsatz von Niederdruck-Ölkabeln mit Blei- und Aluminiummanteln, sowohl in Ein- als auch in Dreileiterausführungen. Diese kamen vornehmlich in Ballungszentren zum Einsatz, in denen Freileitungen in dieser Spannungsebene nicht errichtet werden konnten. Parallel hierzu bauten die Schweden 1952 die ersten 380-kV-Kabelstrecken als Ölkabel, die sie wenige Jahre später bereits mit 425 kV betrieben.

Obschon die ersten kunststoffisolierten Kabel in der Niederspannungsebene bereits in den vierziger Jahren Verwendung fanden, kamen die ersten 110-kV-Polyethylen-Kabel (PE) in Deutschland erst 1973 auf den Markt. Anfängliche Probleme mit sogenannten water trees, also „Feuchtigkeitsbäumchen“ in feinen Rissen der Kunststoffisolation, die Teilentladungen und in der Folge Kabelfehler verursachten, führten zur Weiterentwicklung in Richtung längs- und querwasserdichten vernetzten Polyethylen-Kabeln (VPE). Diese haben sich in dieser Spannungsebene seither etabliert und sind allenthalben weit verbreitet.

Mitte der siebziger Jahre wählte die Schluchseewerk AG für die Ableitung aus ihrem Kavernenkraftwerk in Wehr mit einer Systemlänge von 700 m einen bis dahin wenig verwendeten Leitungstyp. Eine sogenannte Gasisolierte Leitung (GIL) mit einer Betriebsspannung von 420 kV führt den Strom über einen auf Kunststoffisolatoren gestützten Rohrleiter in ein gasgefülltes größeres Rohr. Im Ringspalt befindet sich das unter Druck stehende Isoliergas SF6 (Schwefelhexafluorid). Aufgrund der hohen Kosten und dem Einsatz des als stärkstes Treibhausgas bekannten Isolationsmittels kam diese Technologie in der Folgezeit für den Stromtransport nur in Sonderfällen zum Einsatz. Beispielsweise bei großen Höhenunterschieden, in denen andere Kabeltechnologien, insbesondere Ölkabel, nicht in Frage kamen.

1976 baute die Berliner Städtische Elektrizitätswerke AG (Bewag) die weltweit erste über 8 km lange innerstädtische 380-kV-Kabelverbindung zwischen den Umspannwerken Berlin-Reuter und -Mitte. Sie bestand aus zwei papierisolierten Niederdruck-Ölkabel-Systemen in Einzelleiterausführung mit einem Leiterquerschnitt von 1.200 mm². Zur Ableitung der in den Kabeln erzeugten Wärme wurden sie in wasserdurchströmten Faserzementrohren verlegt.

Die verbesserte Kunststoffkabeltechnologie führte 1988 zum ersten 220-kV-VPE-Drehstromkabel. Und schon 1996 ging das erste 380-kV-VPE-Kabel bei den Neckarwerken im württembergischen Deizisau in Betrieb.

Mit dem Aufkommen der Hochspannungs-Gleichstromübertragung entwickelte sich die VPE-Kabeltechnologie in diesem Segment in den vergangenen zwei Jahrzehnten ausgesprochen rasant. Während sich mit VPE-Gleichstromkabeln 1997 bei einer Betriebsspannung von + 10 kV, also insgesamt 20 kV, gerade mal eine Leistung von 3 MW übertragen ließ, lag sie 2017 mit + 640 kV bei 3.000 MW. Die übertragbare Leistung vertausendfachte sich innerhalb von 20 Jahren in mehreren Stufen. 2001 waren es bereits bei + 150 kV 220 MW, 2010 bei + 320 kV 800 MW und 2014 schon bei + 525 kV [1.17].

In den nächsten Jahren sollen die Nord-Süd-Kabelstrecken in Deutschland als HGÜ-Kabel mit + 525 kV, einem Kupferquerschnitt von 3.000 mm² und einer Übertragungsleistung von mehr als 2.000 MW pro System verlegt werden.

Im Zuge der Energiewende steht in Deutschland und sicher auch in ganz Europa künftig eine fundamentale Weiterentwicklung aller Netzebenen bevor. Der bisherige Netzausbau orientierte sich ausschließlich an leistungsfähigen Verbindungen von nach und nach entstandenen Erzeugungs- und Lastschwerpunkten, die zum großen Teil weniger als 100 km voneinander entfernt lagen. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten ist nunmehr eine grundlegende Neuausrichtung nötig. Zu der bevorstehenden Abschaltung nuklearer und fossil betriebener Kraftwerke, die von Windparks in der Nord- und Ostsee sowie durch weitläufig auf dem Festland verteilten Windkraft- und Fotovoltaikanlagen sowie flexiblen Gaskraftwerken ersetzt werden sollen, passt die vorhandene Struktur des Höchstspannungsnetzes nicht mehr. Während es in den Verteilnetzen einer zum Teil massiven Verstärkung bedarf, damit Fotovoltaik und Onshore-Windkraftwerke restriktionsfrei in das Nieder-, Mittel- und Hochspannungsnetz einspeisen können, benötigt das Übertragungsnetz leistungsstarke Verbindungen zwischen den neuen Erzeugungsschwerpunkten im Norden und den, durch Kraftwerksstilllegungen energetisch verwaisenden Süden der Republik. Die noch vor wenigen Jahren geplante Energieübertragung über mehrere Nord-Süd-Verbindungen, die auf einem massiven Ausbau des Höchstspannungs-Drehstromnetzes in Freileitungsbauweise basierte, scheiterte am zum Teil massiven Widerstand der Bevölkerung. Kaum wurde die Planung einer Höchstspannungs-Freileitung offenkundig, formierte sich der Widerstand auf breiter Front. Die Zerschneidung und Entwertung der ohnehin schon dicht besiedelten Landschaftsräume durch massive Freileitungen, wurde strikt abgelehnt. Dies führte 2016 seitens des Gesetzgebers zu einer grundlegenden Planänderung, wonach die leistungsstarken Nord-Süd-Übertragungsleitungen nunmehr vorrangig als Hochspannungs-GleichstromkabelHochspannungs-Gleichstromkabel (HGÜ-KabelHGÜ-Kabel) ausgeführt werden sollen. Da alles neu und anders geplant werden musste, verzögert sich seitdem der dringend nötige Ausbau des Höchstspannungsnetzes um etliche Jahre. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der Netzausbau mit dem Ausbau der offshore-Windkraftkapazitäten in der Nord- und Ostsee und der bevorstehenden Abschaltung der Kern- und Kohlekraftwerke auf dem Festland nicht Schritt halten können.

Abb. 1.12:

SpannungsstufenSpannungsstufen in der Entwicklung von Kabeltechniken

1.3Gleich- und Drehstrom in der Energieübertragung

Die Frage, welche Spannungsart in der öffentlichen Stromversorgung Verwendung finden sollte, entschied sich, wie in Kap. 1.2 ausführlich behandelt wurde, schon Ende der 1890er Jahre. Die Urväter der Elektrizitätsversorgung hatten, wie zu sehen war, gute Gründe, sich für Drehstrom zu entscheiden. Nun aber wird allenthalben von HGÜ, also von Hochspannung-Gleichstrom-Übertragung gesprochen, und sie wird sogar behördlich verordnet. Wie verträgt sich das? Das soll im Anschluss etwas genauer betrachtet werden.

Die Energieübertragung mit Drehstrom in einem vermaschten Höchstspannungsnetz genießt alle Vorzüge, die eine flächendeckende, mehr oder weniger homogene Verteilung von Erzeugungs- und Lastschwerpunkten an Land benötigt. Durch die bereits erwähnte Verschiebung der Erzeugungskapazitäten hin zur Offshore-Windkraft in die Gewässer der Nord und Ostsee erfordert leistungsfähige Leitungsverbindungen bis in Deutschlands Südwesten. Die erstbeste Lösung, diese als Drehstrom-Freileitungen auszuführen, scheiterte am erbitterten Widerstand der Bevölkerung. Eine Verkabelung in der Spannungsebene mit Drehstromkabeln schied aus, weil sie, wie im ersten Kapitel erklärt, bei größeren Kabellängen ohne Blindleistungs-Kompensation keine Wirkleistung mehr übertragen können. Die Kompensation ist aber sehr aufwändig und macht längere Kabelverbindungen in Höchstspannungs-Drehstromnetzen störungsanfällig und unwirtschaftlich. Anders verhält es sich bei Gleichstromkabeln. Da Gleichstromkabel grundsätzlich keinen Blindleistungsbedarf besitzen, können sie in beliebigen Längen kompensationsfrei in den höchsten Spannungsebenen eingesetzt werden. Hier liegt die Begrenzung lediglich im elektrischen Widerstand der Leiter, der zu Stromwärmeverlusten führt, die das Kabel erwärmen und bei ungünstiger Dimensionierung den Boden um die Kabel austrocknen. Diese Gefahr lässt sich aber durch große Querschnitte und damit verbundene, niedrige elektrische Widerstände reduzieren.

Nun stellt sich die Frage, weshalb sich die Urväter der Elektrizitätsversorgung damals nicht für Gleichspannung und Gleichstrom entschieden, wie Edison es forderte.

Gleichstrom hat gegenüber Wechselstrom zwei gravierende Nachteile. Zum einen funktioniert bei Gleichstrom das Trafoprinzip nicht. Da sich die transportierte elektrische Leistung aus dem Produkt von Strom und Spannung ergibt, ist eine wirtschaftliche Optimierung des Netzausbaus durch eine entsprechende Wahl der Übertragungsspannung und des Stromes nicht möglich gewesen. Zum anderen lassen sich hohe Gleichströme kaum schalten. Will man den Stromfluss unterbrechen, ziehen die Schaltkontakte einen Lichtbogen, der sich nur äußerst schwer löschen lässt. Selbst die technische Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten hat bisher keine brauchbare Schaltmöglichkeit für hohe Gleichströme hervorgebracht. Deshalb werden bis jetzt HGÜ-Strecken auf der Wechselstromseite der Stromrichteranlagen geschaltet.

Was aber hat sich seit dem Beginn der Stromübertragung so sehr verändert, dass heute möglich und gängig geworden ist, was damals unmöglich war? Bereits Ende der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde an Versuchsstrecken mit der Gleichstromübertragung experimentiert, die über Quecksilberdampf-Gleichrichter aus dem Drehstromnetz gespeist wurden. 1939 gelang es schließlich über Quecksilberdampf-Ventile, vom Entwickler, der Schweizerischen BBC, als „Mutatoren“ bezeichnet, auch netzgeführte Wechselrichter herzustellen [1.26]. Damit war man nun in der Lage aus hohen Wechselspannungen, nicht nur hohe Gleichspannungen zu erzeugen, sie konnten am anderen Ende auch wieder ohne rotierende Umformer in Wechselspannungen zurückgewandelt und in ein Drehstromnetz eingebunden werden. So konnten die Vorteile der Gleichstromtechnik zur Energieübertragung durch bessere Ausnutzung des Leiterquerschnitts genutzt werden.

Durch den zweiten Weltkrieg unterbrochen, wurde diese Entwicklung in der damaligen Sowjetunion wieder aufgenommen und 1951 die erste kommerzielle Übertragungsstrecke zwischen Kashira und Moskau (100 kV, 30 MW, 100 km) errichtet. Drei Jahre später folgte die erste Seekabelverbindung zwischen der Insel Gotland und dem schwedischen Festland. Die Übertragung geschah über ein einadriges Kabel mit Rückleitung durch Elektroden im Seewasser. Nachdem weitere Anlagen folgten, wurden die Systeme mit den störanfälligen Quecksilberdampfventilen in den 1970er Jahren durch zuverlässigere Thyristor-Halbleiter ersetzt. Als erstes Projekt ist hier „Nelson River Bipole“ in Kanada mit knapp 2.000 MW über 900 km mit einer Spannung von ± 460 kV zu nennen. Danach wurden Systeme mit Thyristoren großflächig weltweit mit immer höheren Leistungen und Entfernungen gebaut. Inzwischen befinden sich zahlreiche solcher Anlagen in Afrika, Asien sowie Nord- und Südamerika.

Aber auch die Verbindung von Netzen unterschiedlicher Frequenz oder unterschiedlicher Verfahren zu deren Regelung gelang über so genannte Gleichstrom-Kurzkupplungen (z. B. zwischen Etzenricht und der damaligen Tschechoslowakei).

Offshore-Windkraftanlagen können nur über Seekabel mit dem Festland verbunden werden. Dies macht bei größeren Entfernungen Probleme, die sich nur mit Hilfe der Gleichstromtechnik wirtschaftlich lösen lassen. Der endgültige Durchbruch in der Stromrichter-Technologie gelang schließlich in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit bipolaren Transistoren, sogenannten IGBTs. Es handelt sich dabei um Elemente, die sich im Gegensatz zu Thyristoren gezielt an- und abschalten lassen. Damit reduzieren sich z. B. die Blindleistungsprobleme und der Aufwand an Filtern beträchtlich. Inzwischen ist diese Technik dominierend und wird bei HGÜ-Verbindungen in den sogenannten Konverter-Stationen eingesetzt [1.20].

Ergo: Durch die moderne Halbleitertechnologie erfährt die Gleichstromübertragung eine Renaissance und eignet sich besonders für die Übertragung großer Leistungen über Höchstspannungskabel. Diese Verbindungen sind stets Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, die wechselstromseitig geschaltet werden.

1.4Aufgaben und Strukturen elektrischer Energienetze

Im Sprachgebrauch wird häufig die Gesamtheit aller Stromleitungen zur Übertragung und Verteilung elektrischer Energie, unabhängig von Netzstruktur und Spannungsebene als „Stromnetz“ bezeichnet. Betrachtet man es etwas differenzierter, sind die zu einem Großen und Ganzen miteinander verbundenen Kabel und Freileitungen, die mit einheitlicher Spannung und Frequenz betrieben werden, eigenständige Stromnetze. In Deutschland und den meisten europäischen Ländern unterscheidet man grundsätzlich zwischen Übertragungs- und Verteilnetzen (Abb. 1.14). Während Verteilnetze dazu dienen, die elektrische Energie auf den Spannungsebenen 0,4 bis hin zu 110 kV von den, in das Übertragungsnetz eingebetteten Umspannanlagen zu den Städten, Fabriken, den Handwerksbetrieben und Haushalten zu „verteilen“, obliegt dem Übertragungsnetz vorrangig die „Übertragung“ hoher Energiemengen zwischen den Einspeisungen aus Großkraftwerken, Offshore-Windparks und den Schalt- und Umspannanlagen über größere Distanzen. Dies erledigen sie in den Spannungsebenen 150 (Offshore-Seekabel), 220 und 380 kV.

Abb. 1.13 zeigt das Höchstspannungsnetz der Bundesrepublik Deutschland im Ausbauzustand zu Beginn des Jahres 2020. Es enthält auch die zu dem Zeitpunkt im Bau befindlichen und geplanten Leitungen in den Ebenen der Höchstspannung.

Obschon alle Spannungsstufen über 1 kV definitionsgemäß als „Hochspannung“, und die Spannungsebenen über 300 kV als „Höchstspannung“ gelten, haben sich im Sprachgebrauch auch unter Fachleuten im deutschsprachigen Raum vier Spannungskategorien etabliert.

Niederspannung bis 1 kV,

Mittelspannung, hauptsächlich 10 und 20 kV,

Hochspannung 110 kV sowie

Höchstspannung 150, 220 und 380 kV.

In manchen Quellen finden sich auch abweichende Definitionen, auf die im Folgenden nicht weiter eingegangen wird.

1.4.1 VerbundnetzeVerbundnetze und NetzverbündeNetzverbünde

Die Höchstspannungsebene bildet in Deutschland die übergeordnete Netzebene, die untereinander, mit Großkraftwerken und über sogenannte Kuppelleitungen mit den Höchstspannungsnetzen der Anrainerstaaten verbunden und so in das zentraleuropäische Verbundnetz eingebettet ist. Dieses Verbundnetz reicht von der nordöstlichen Region Polens bis zur südwestlichen Spitze Portugals und wird als UCTE-Netz bezeichnet.

Hierbei steht UCTEUCTE für „Union for the Coordination of Transmission of Electricity“, übersetzt: „Union für die Koordinierung des Transports elektrischer Energie“. In diesem Netzverbund sind aktuell 29 Übertragungsnetzbetreiber aus 24 europäischen Staaten vereinigt. Sie verpflichten sich, die Versorgungssicherheit durch Festlegungen der technischen und organisatorischen Spielregeln für eine uneingeschränkte Interoperabilität der Subsysteme bezüglich Energieaustausch und der Fähigkeit der gegenseitigen Aushilfe bei Störungen aufrecht zu erhalten. Seit 2009 übernimmt der ENTSO-E, der „Europäische Verband der Übertragungsnetzbetreiber“, die organisatorischen Aufgaben für das UCTE-Netz [1.19].

Abb. 1.13:

Deutsches HöchstspannungsnetzHöchstspannungsnetz 2020, Übersichtskarte, 1.1.2020 (Quelle: Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (VDE FNN) – VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V., [1.18])

In älteren Quellen ist noch von der UCPTEUCPTE zu lesen. Im Vorgängerverbund waren vor der Liberalisierung 1996 mit dem Buchstaben „P“ (Production) auch die zentraleuropäischen Stromproduzenten, also die Kraftwerksbetreiber Mitglieder. Danach vereinigten sich diese wegen der zwingenden Entflechtung in anderen Verbünden.

Um sich gegenseitig wirkungsvoll und schnell zu unterstützen und vor allem aber stützen zu können, wurde das UCTE-Netz in dieser Ebene galvanisch zusammengeschaltet. Das bedeutet, dass sowohl die Frequenz als auch der Frequenzverlauf in allen Netzteilen stets gleich sind. Nebenbei bemerkt, ist dieser Verbund im Vergleich mit den zahlreichen weltweit existierenden Netzverbünden wegen seiner Größe und Leistungsfähigkeit derjenige, mit der höchsten FrequenzstabilitätFrequenzstabilität, also mit den geringsten Abweichungen der Frequenz vom 50-Hertz-Sollwert.

Aber zurück zum deutschen Netz: Über eine Vielzahl von Umspannanlagen wird die Energie aus der Höchstspannungsebene in die 110-kV-Netze eigespeist. Große Metropolen wie Berlin, Hamburg oder München sind wegen ihres hohen Energiebedarfs direkt in das Höchstspannungsnetz eingebunden. Die darunterliegende 110-kV-Ebene übernimmt die Versorgung größerer Städte, ländlicher Regionen und größerer und mittlerer Fabrikationsanlagen. Gleichzeitig übernimmt ein eigenständiges, von der öffentlichen Versorgung unabhängiges 110-kV-Freileitungsnetz mit einer Frequenz von 16,7 Hz die Bahnstromversorgung, die in sogenannten Unterwerken auf die Fahrdrahtspannung des Bahnnetzes von 15 kV heruntertransformiert wird.

An das öffentliche 110-kV-Netz sind wiederum Mittelspannungsnetze mit verschiedenen Betriebsweisen über unzählige Umspannanlagen angeschlossen. Die meisten Mittelspannungsnetze werden mit 10 und 20 kV betrieben und versorgen kleinere Fabriken, größere Werkstätten und die Trafostationen in den Ortslagen der Städte und Gemeinden. In den Trafostationen entspringt auch die „letzte Meile“, also das Versorgungsnetz zu den Letztverbrauchen, das sich straßenzugweise verzweigt und Haushalte und kleine Betriebe in der niedrigsten Spannungsstufe der öffentlichen Stromversorgung mit 0,4 kV versorgt.

Bis in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts verliefen die Energieflüsse stets von Netzen der höheren zu Netzen mit den niedrigeren Spannungsebenen. Im Wesentlichen also von den über das Landesinnere verteilten Großkraftwerken hin zu den Verbrauchern in den darunterliegenden Netzen. Dank der inzwischen in allen Spanungsebenen einspeisenden meist regenerativen Erzeugern haben sich die Energieflussrichtungen zum Teil umgekehrt. Die Erzeugungsüberschüsse in den unterlagerten Netzen schwappen mitunter über in die darüberliegenden. Durch das Trafoprinzip, welches gleichermaßen das Herunter- wie Herauftransformieren ermöglicht, kann die Energie den Gegebenheiten entsprechend zwischen den Spannungsebenen vice versa fließen. Das bedeutet, dass Energieflüsse, wie am Beispiel der ersten großen Windparks in der Eifel, die bereits Anfang der 2000er Jahre mehr elektrische Energie in das Mittelspannungsnetz einspeisten, als dort entnommen werden konnte, im großen Stil in das überlagerte 110-kV-Netz übertrugen. Von nun an waren die Energieflüsse unabhängig von der Spannungs- und Netzebene. Mit dem sprunghaften Ausbau der Onshore-Windkraftanlagen entlang der windhöffigen Nord- und Ostseeküste entstand in den Mittel- und Hochspannungsnetzen der dortigen Netzbetreiber bald ein derartiger Erzeugungsüberschuss, dass er nur mit großer Mühe und aufwändigen Netzausbauten in das Höchstspannungsnetz aufgenommen werden konnte. Jahr für Jahr stieg die Zahl der sogenannten Redispatch-Maßnahmen, die im Grunde nichts anderes bedeuteten als Leistungsreduzierungen bzw. Stillsetzungen von Anlagen, wegen drohender Netzüberlastungen. Mit großen Anstrengungen und mit hohem finanziellem Aufwand versuchen die Netzbetreiber die Leitungsverbindungen zu ertüchtigen, um Einschränkungen bei den Einspeisungen zu vermeiden. Schließlich müssen sie die Betreiber abgeriegelter Anlagen für den Ausfall nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz so entschädigen, als ob sie eingespeist hätten.

1.4.2 NetzstrukturenNetzstrukturen

Die Netzstrukturen orientieren sich stets an den Aufgaben der einzelnen Netz- bzw. Spannungsebenen (Abb. 1.14). Oder anders gesagt: Die Netze werden den Anforderungen entsprechend geplant und gebaut. So bildet das als Übertragungsnetz fungierende Höchstspannungsnetz, ein sogenanntes Maschennetz, in dem die Schalt- und Umspannanlagen „spinnennetzartig“ miteinander verbunden sind. Hier kann man von einem einheitlichen Overlay-Netz sprechen, da die Leitungen in dieser Netzebene, wie schon beschrieben, europaweit miteinander galvanisch verbunden sind. Dadurch entstehen Redundanzen, die ein Höchstmaß an Versorgungssicherheit versprechen. Dabei dienen die Schaltanlagen als Knotenpunkte, in denen mehrere Leitungen zusammenlaufen. So lassen sich abhängig von den Lastverhältnissen in den einzelnen Leitungszweigen optimale Betriebsweisen realisieren. Die Netze der vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland bilden darüber hinaus eigenständige Regelzonen, in denen die jeweiligen Betreiber für Frequenz- und Spannungshaltung verantwortlich sind.

Abb. 1.14:

SpannungsebenenSpannungsebenen in Deutschland

1.4.3 Schalt- und Umspannanlagen

UmspannanlagenUmspannanlagen in der Höchstspannungsebene übernehmen neben der Funktion als SchaltanlagenSchaltanlagen innerhalb einer Netzebene auch die Aufgabe der Spannungstransformation in die darunterliegende Netzebene bzw. Netzebenen. Die Netze der Hochspannungsebene, der höchsten Verteilnetzebene, sind in der Regel nicht miteinander verbunden. Dies hat mehrere Gründe. Der Wichtigste ist die von Netzbetreiber zu Netzbetreiber unterschiedliche Betriebsweise der Netze, die allein schon deshalb nicht beliebig verknüpft werden können. Davon mehr in einem späteren Kapitel.

Abb. 1.15:

NetzstrukturenNetzstrukturen in Deutschland

Unabhängig davon, ob es sich um eine Schalt- oder Umspannanlage handelt, gehorcht die Anordnung der Komponenten innerhalb solcher Anlagen einem Grundmuster. Das Herzstück einer Anlage ist stets mindestens eine dreipolig ausgebildete sogenannte Sammelschiene in Freileitungsausführung, oder aber als Rohrsammelschiene auf Stützisolatoren, wie in Abb. 1.16 gezeigt. Größere Anlagen verfügen über zwei oder mehr Sammelschienen. Diese dienen dazu, alle von ihnen abgehenden sogenannte Felder, je nach Schaltzustand, miteinander zu verbinden. Auf die Sammelschiene treffen alle diese Felder über mehrere Schalt- und Steuerelemente. Jedes Feld beginnt mit einem Sammelschienentrenner, gefolgt von einem Leistungsschalter und im Falle eines Leitungsabgangs einem Leitungstrenner mit integriertem Erdungstrenner. Letzterer ermöglicht es, die abgehende Leitung im Falle von Leitungsbauarbeiten zu erden. Die Schaltorgane „Leistungsschalter“ und „Trenner“ dienen der Unterbrechung von Stromkreisen. Allerdings unterscheiden sie sich in ihrer Funktionalität wesentlich. Während Leistungsschalter unter allen Lastbedingungen bis hin zum Kurzschluss, also unter extremen Betriebsbedingungen, hohe Ströme unterbrechen können, sind Trenner lediglich in der Lage, lastfrei Spannungen zu unterbrechen.

Zur Messung der hohen Ströme und Spannungen kommen WandlerWandler zum Einsatz, die beide Größen so weit heruntertransformieren, dass sie sich für Mess- und Steuerungszwecke eignen. Deren Anordnung innerhalb des Feldes kann variieren. Häufig werden beide im Leitungsteilstück zwischen dem Leistungsschalter und dem Leitungstrenner platziert. In Feldern von Umspannanlagen, die nicht zu einem Leitungsabgang, sondern zu einem Transformator führen, entfällt der Leitungstrenner. Dort werden die Transformatoren direkt nach dem Leistungsschalter, oder wie in unserem Beispiel, nach dem Stromwandler angeschlossen. Darüber hinaus werden Transformatoren stets durch Überspannungsableiter vor zerstörerischen Blitzstoßspannungen sorgfältig geschützt. Diese haben die Aufgabe, durch Blitze verursachte Überspannungen zwischen Leitern und Erde in einer entsprechend bemessenen Funkenstrecke über einen Erdschluss abzuführen, bevor sie an der Isolation der Transformatoren Schaden anrichten können.

Abb. 1.16:

Beispielhafte Ausführung eines Trafo- und Abgangsfeldes in Schalt- und Umspannanlagen (Bild: VDE Kassel (WD), [1.16])

1.5Einführung in die NetzplanungNetzplanung

1.5.1 PlanungsgrundsätzePlanungsgrundsätze