Freundschaftsglück und die Liebe - Katrin Rohde - E-Book

Freundschaftsglück und die Liebe E-Book

Katrin Rohde

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Beschreibung

Julia und Frauke, beide Anfang dreißig, sind beste Freundinnen seit ihrer Schulzeit. Ein fester Bestandteil ihrer Freundschaft besteht darin, einmal im Jahr einen gemeinsamen Urlaub zu verbringen. Also kehren sie dem launischen Aprilwetter den Rücken zu, um wenige Stunden später ihr Traumziel zu erreichen: Teneriffa! Auf ihren Wanderungen über die Insel, gewinnen sie im Handumdrehen neue Freunde, deren Glück ihnen am Herzen liegt. Besonders eine junge Familie hat es ihnen angetan, bei der sie befürchten, dass diese auseinanderzubrechen droht. Also schmieden sie Pläne, um ihnen beizustehen und ihrem Glück auf die Sprünge zu helfen. Auch ihre Wanderführerin Doris bedarf einer kleinen Hilfestellung in Sachen Liebe. Dabei verlieren weder Julia noch Frauke ihre eigenen Herausforderungen aus den Augen. Denn trotz der wundervollen Urlaubsstimmung werden sie sich den bedeutenden Fragen stellen, was sie von ihrem Leben, ihrer Zukunft und vor allem von ihrer Beziehung zu Hause erwarten. Ein unterhaltsamer und humorvoller Urlaubsroman so warm wie die Sonne auf Teneriffa.

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Katrin Rohde wurde in Braunschweig geboren, lebt mit ihrem Mann in ihrer Geburtsstadt und arbeitet hauptberuflich in einem großen Unternehmen. In ihrer Freizeit geht sie gerne spazieren und fotografiert dabei mit großer Begeisterung. Unterwegs fallen ihr neue Ideen für ihre Romane ein, die sie anschließend am heimischen Schreibtisch festhält.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Für Karin

Inhaltsverzeichnis

Kapitel EINS

Kapitel ZWEI

Kapitel DREI

Kapitel VIER

Kapitel FÜNF

Kapitel SECHS

Kapitel SIEBEN

Kapitel ACHT

Kapitel NEUN

Kapitel ZEHN

Kapitel ELF

Kapitel ZWÖLF

Kapitel DREIZEHN

Kapitel VIERZEHN

Kapitel FÜNFZEHN

Kapitel SECHSZEHN

Kapitel SIEBZEHN

Kapitel ACHTZEHN

EINS

Sonne, Palmen und ein warmer Wind auf der Haut - was brauchte es mehr für einen wundervollen und entspannten Urlaubstag?

Frauke rekelte sich zufrieden auf ihrer Liege und seufzte glücklich. Das Leben war gut zu ihr!

Der warme Wind trug ihre Gedanken fort, während die Meeresbrandung sanft an den Strand rollte. Sie vergaß die Welt um sich herum und befand sich im völligen Einklang mit sich selbst und ihrem Leben.

Aber ein leises Piepen drängte sich ungefragt in ihre Wohlfühlatmosphäre. Die Abfolge des Tones wurde schneller. Wenn sie es nicht sofort stoppte, drohte es zu einem nervigen Dauerpiepen auszuarten. Plötzlich vibrierte der Boden!

Frauke schreckte aus ihrem Traum empor und schlug zielsicher auf die Schlaftaste an ihrem Wecker. Verwirrt blinzelte sie in die Dunkelheit und fragte sich, warum sie mitten in der Nacht um halb eins geweckt wurde!

Sie fiel gähnend ins Kissen zurück, rollte zur Seite und schloss die Augen. Dennoch spürte sie eine innere Unruhe, die verstärkt wurde durch undefinierbare Vibrationen! Sie hob den Kopf und entdeckte auf der Kommode ihr zuckendes Smartphone.

Reflexartig sprang sie aus dem Bett. Bei dem Versuch, in die Hausschuhe zu schlüpfen, geriet sie ins Straucheln, knickte um und schlug unsanft mit dem Kinn auf dem Boden auf.

»Verflucht«, brummte sie und robbte zur Kommode, griff nach oben und angelte sich das Smartphone. Julia kündigte das Display an.

»Hallo«, krächzte Frauke verschlafen.

»Bist du startklar? In zehn Minuten stehe ich mit dem Taxi vor der Tür!«

Fraukes Gehirn setzte eine Sekunde aus. Warum sollte sie mitten in der Nacht irgendwo hinfahren? Sie versuchte Zeit zu schinden. »Ja klar, so gut wie fertig«, erwiderte sie. »Nur ein paar Sachen überwerfen und auf geht`s.«

»Frauke, du schwindelst! Lass mich raten. Du hast noch geschlafen.« Ihre Stimme klang belustigt.

Frauke schwieg.

»Guten Morgen Schlafmütze«, lachte Julia. »Ich habe dich auf die Schippe genommen. Ich bin erst in einer halben Stunde da. Gib Gas!«, dann legte sie auf.

Frauke starrte das nun stumme Handy an und lächelte versonnen. Es gab nur einen Menschen auf der ganzen Welt, der sie egal um welche Uhrzeit am Tag oder in der Nacht anrufen konnte. Julia!

Ihre beste Freundin, die sie während der Schulzeit kennengelernt hatte. Im Laufe der Jahre war aus der reinen Schulbekanntschaft eine tiefe Freundschaft entstanden, die allen Umständen zum Trotz – Ausbildung, Job, Familie und Männer – ein fester Bestandteil ihres Lebens geblieben war.

Vor allem nach Erreichen der Volljährigkeit und dem Erlangen eines Führerscheins hatten sie ausgiebig das Nachtleben in einem größeren Umkreis von Braunschweig genossen. In jenen Tagen hatten die Nächte erst nach Mitternacht richtig an Fahrt aufgenommen und nicht vor den frühen Morgenstunden geendet. Manchmal hatten sie nach dem Besuch der Bars oder Clubs den Partyabend mit einem morgendlichen Frühstück beim Bäcker ausklingen lassen.

Die Erinnerung an den verrückten, aufregenden Abschnitt ihres jungen Lebens zauberte Frauke ein Lächeln aufs Gesicht. Sie waren damals so jung und dynamisch gewesen!

Mittlerweile übte die Aussicht auf einen achtstündigen Schlaf in der Nacht einen deutlich größeren Reiz auf Frauke aus. Wie zur Bestätigung klimperten ihre Augen müde und sie erkannte nüchtern, dass sie mit Anfang dreißig nicht mehr die Energie besaß, die Nacht zum Tag zu machen.

Fraukes Handy vibrierte erneut. »Hallo?«

»Was hast du in den letzten zwei Minuten gemacht?«

»Geträumt. Du kennst mich doch!«

»Eben. Los jetzt, noch achtundzwanzig Minuten!« Lachend beendete Julia das Telefonat.

Endlich dämmerte es Frauke! »Wir fahren heute in den Urlaub! Das war kein Traum! Wie konnte ich das nur vergessen!«, jubilierte sie und der sehnsüchtige Blick auf das Bett war vergessen. Der Ausblick auf zehn Tage Urlaub auf Teneriffa verscheuchte alle Müdigkeit.

»Endlich raus aus diesem nicht enden wollenden Winter und ab in die Sonne und in den Frühling.« Mit neuem Schwung rappelte sie sich vom Boden auf und eilte ins Badezimmer. Das Licht blendete sie einen Moment, ehe sie einen Blick in den Spiegel warf und scharf die Luft einsog.

In Zeitlupe streckte sie das Kinn nach vorne, das von rötlichen Striemen überzogen wurde, die vom Sturz auf dem Fußboden herrührten. »So ein Mist!« Sie entnahm dem Badezimmerschränkchen ein Pflaster und überdeckte die Schrammen, so gut es eben ging.

Anschließend fasste sie ihre langen, braunen Haare zu einem Zopf zusammen, wobei ihre gräulichen Augen den Rest des Gesichtes, abgesehen von dem Pflaster, als ganz nett anzuschauen beurteilten.

Sie streckte dem Spiegelbild die Zunge heraus. »Sechsundzwanzig Minuten Zeit, um fertig zu werden.«

ZWEI

»Was ist passiert?«, rief Julia ihr aus dem Taxi entgegen.

»Nichts. Kleines Unglück zu Hause. Kein Drama,« wiegelte Frauke ab, während sie den Kopf zur Seite drehte.

Der Taxifahrer nahm ihr den Koffer ab und verstaute ihn im Kofferraum des Fahrzeugs.

Frauke öffnete die hintere Tür und ließ sich möglichst elegant auf den Sitz gleiten. Sie wusste, dass Julia von vorne aus, jede ihrer Bewegungen verfolgte, während sich der Fahrer hinters Lenkrad klemmte.

Julia betrachtete ihre Freundin mitfühlend, denn es war mal wieder typisch für Frauke, die, seitdem sie sie kannte, vom Pech verfolgt wurde. In den zurückliegenden Jahren war einiges zusammengekommen, wie die üblichen Schrammen und blauen Flecke, allerlei ramponierte Gegenstände sowie als ein herausragendes Ereignis der zerschlagene Glastisch bei ihren Eltern. Ebenfalls zu der Reihe außergewöhnlicher Vorfälle zählte die Abschlussfahrt der Schule. Beim Herumtoben auf dem Zimmer der Jugendherberge hatte sie sich jeweils den großen Zeh an beiden Füßen gebrochen. Der Arzt in der Klinik hatte trotz seiner langjährigen Erfahrung einen vergleichbaren Fall nicht erlebt. So gesehen hielt Julia es für lebensnotwendig, einen Arzt in der Nähe zu wissen, oder zumindest bei einer Reise wie dieser, eine Erste-Hilfe-Tasche dabeizuhaben. Da Frauke daran meist nicht dachte, packte Julia sie in weiser Voraussicht mit ein.

»Wolf-Rüdiger, das ist meine beste Freundin Frauke«, sprach Julia den Taxifahrer an.

Er nickte ihr über den Rückspiegel zu. »Julia hat mir einiges von dir auf der Fahrt hierher erzählt!« Wissend kniff er ein Auge zu.

Frauke betrachtete ihn skeptisch und überlegte, was das zu bedeuten hatte. Es konnte alles oder nichts besagen, aber im Grunde war es ihr egal und sie beschloss, nicht darauf einzugehen. Sie setzte eine unnahbare Miene auf.

Unterdessen legte Wolf-Rüdiger den Gang ein und sie durchquerten die schlafende Stadt. Nach wenigen Minuten fuhren sie auf die Autobahn Richtung Hannover auf. Das Radio lief und erfüllte das Wageninnere mit deutschen Schlagern.

»Was ist das denn für ein Schnulzen-Sender?«, entwischte Frauke die Bemerkung.

»Das ist NDR 1. Der Verkehrsfunk ist immer brandaktuell und garantiert, dass ihr den Flieger pünktlich erreicht«, erwiderte Wolf-Rüdiger mit einem amüsierten Unterton.

Frauke senkte ertappt den Kopf und biss sich auf die Unterlippe. Innerlich verfluchte sie ihre Eigenart, ihre Gedanken laut auszusprechen. Manche Sachen sollten besser dort bleiben, wo sie hingehörten, und zwar in ihrem Kopf, bläute sie sich ein.

Julia kicherte leise und nahm anschließend das Gespräch mit Wolf-Rüdiger wieder auf.

Frauke verstand nur Wortfetzen, die sie aber auch nicht weiter interessierten. Sie lehnte sich zurück und bewunderte ein ums andere Mal, wie Julia sich egal an welchem Ort, zu welcher Zeit oder mit wem, bestens unterhalten konnte. Außerdem stellte Frauke neidlos fest, dass Julia trotz der frühen Morgenstunde, einfach umwerfend aussah. Ihre kurzen, blonden Haare waren perfekt gestylt, ein dezentes Make-up unterstrich ihre natürliche Erscheinung und wurde durch enge Jeans und einen pastellfarbenen Pullover mit V-Ausschnitt vortrefflich abgerundet.

Frauke selbst hatte es immerhin geschafft, die Haare zu einem ordentlichen Zopf zusammenzubinden und halbwegs passable Klamotten herauszusuchen, wie eine verwaschene Jeans und eines ihrer geliebten Longshirts mit gebatiktem Muster. Die zusätzlich eingesparte Zeit für eine aufwendige Frisur und Make-up hatte sie genutzt, in aller Seelenruhe einen Kaffee zu trinken.

Frauke genoss den Ruf, chaotisch veranlagt zu sein, und war mehr oder weniger das Gegenteil von Julia. Normalerweise prallten diese Lebensweisen selten direkt aufeinander, aber wenn, dann wirkte es sich meist einseitig auf die geordnete Lebensführung von Julia aus.

Nur das, so empfand es jedenfalls Frauke, tat Julia durchaus gut und förderte deren Spontanität und auch Kreativität. Daher kam Frauke zum Schluss, dass sie beide etwas davon hatten und sich ausgezeichnet ergänzten. Auch im Urlaub, den sie traditionell einmal im Jahr gemeinsam verbrachten.

Diese Tradition fußte auf dem bestandenen Schulabschluss, den sie mit einer Zugreise an die Nordsee gekrönt hatten. Es war ein einfacher Urlaub in einer Ferienwohnung gewesen, in dem sie es sich hatten nicht leisten können, im Restaurant essen zu gehen. Stattdessen hatten sie im Supermarkt eingekauft, in der kleinen Küche gekocht und dazu günstigen Wein getrunken. Dennoch blieb dieser Urlaub unvergesslich in Erinnerung, trotz der später unternommenen Flugreisen in den Mittelmeerraum oder den Touren in den Alpenregionen.

Nachdem Julia ihren Heiko und derzeitigen Ehemann kennengelernt hatte, hatten sie ihre Urlaubstradition nicht an die veränderte Lebenssituation von Julia angepasst. Vielmehr bekam ihre gemeinsame Zeit einen höheren Stellenwert, so dass sie unbeirrt daran festhielten.

Unbenommen ihrer Freundschaft besaßen sie jeweils einen eigenen Freundeskreis, der nur wenige Freunde als Schnittmenge ergab. Zudem begeisterte sich Julia für sportliche Aktivitäten, denen Frauke so gar nichts abgewinnen konnte.

Ungeachtet aller Unterschiede vereinte sie die Leidenschaft für das Wandern! Der Auslöser dafür fand sich genauso wie der Beginn ihrer Freundschaft in der Schulzeit wieder. Bei einem Ausflug mit der Klasse in die Lüneburger Heide, waren sie mehrere Stunden gewandert. Alle anderen hatten Wandern als grässlich abgetan, nur Julia und Frauke hatten ihre Passion entdeckt!

Daher gab es nie Unstimmigkeiten bei ihrer Urlaubsplanung, bei der auch ihren anderen Lieblingsaktivitäten Tribut gezollt wurde, wie Shoppen, Sightseeing und gut essen zu gehen.

In der Gewissheit, einer gut geplanten und mit großer Freude erwarteten Reise entgegenzusehen, entspannte Frauke nun vollends auf der Taxifahrt und sackte tiefer in ihren Sitz hinein. Sie schloss die Augen, gab sich dem sanften Schaukeln des Fahrzeuges hin und schlummerte untermalt von der Musik und dem leisen Gespräch von Wolf-Rüdiger und Julia ein.

Der Verkehr in der Nacht war derart spärlich, dass sie die hell erleuchteten Gebäude des Flughafens nach nicht einmal einer Stunde erreichten. Erst als Wolf-Rüdiger deutlich langsamer fuhr und das gemütliche Schaukeln ein Ende fand, wurde Frauke rechtzeitig wach, bevor sie an der Entladezone hielten.

Wolf-Rüdiger ließ den Motor laufen, während er die Koffer aus dem Auto hievte. »Ich wünsche euch einen sonnigen Urlaub. In zehn Tagen hole ich euch wieder ab. Dann seid ihr knackig braungebrannt und wunderbar erholt.« Verschmitzt lächelte er ihnen zu, als er einstieg und mit quietschenden Reifen abfuhr.

»Der hat es aber eilig«, sagte Frauke und blickte ihm hinterher.

»Unterwegs kam eine neue Fahrt herein.« Julia schnappte sich ihren Koffer. »Lass uns erst mal einen Kaffee trinken«, schlug sie vor, als sie in das Flughafengebäude hineinliefen.

Die große Halle betraten sie nicht zum ersten Mal in ihrem Leben, so dass sie zielsicher das Café ins Visier nahmen, das trotz der frühen Stunde gut besucht war. Sie beschlagnahmten einen freien Tisch und platzierten die Koffer an ihrer Seite.

Frauke wühlte in ihrer Handtasche nach der Geldbörse. »Ich hole einen Latte Macchiato. Du auch?«

»Gerne.«

Während Frauke dem Tresen zustrebte, genoss Julia das Treiben auf dem Flughafen, dessen elektrisierende Atmosphäre sich auf sie übertrug. Vielen der Wartenden war die Vorfreude ins Gesicht geschrieben - obgleich der frühen Uhrzeit.

Nach wenigen Minuten kehrte Frauke zurück. »Ich habe ein kleines Frühstück mitgebracht.«

Sie stellte das Tablett ab, auf dem neben den zwei Latte Macchiato für jede eine dampfende Laugenbrezel lag, sowie zwei kühle Prosecco Döschen, an denen sich die Luftfeuchtigkeit in Form von kleinen Wassertröpfchen abschlug.

Julia schnappte sich einen Prosecco und mit einem wohlklingenden Zischen öffnete sie die Dose. »Jetzt fängt unser Urlaub an!«

Frauke zog nach und im nächsten Augenblick klatschten die Dosen dumpf aneinander. »Auf unseren Urlaub!«

Sie setzten an und keine Sekunde später sorgte die perlende Flüssigkeit für glänzende Augen.

Danach biss Frauke herzhaft in ihre Brezel hinein. Die groben Salzkörner knackten zwischen ihren Zähnen und lösten eine Welle der Zufriedenheit in ihr aus, denn Essen gehörte zu ihren Lieblingsbeschäftigungen! »Wie gut es uns geht«, meinte sie mit vollem Mund und streckte die Beine von sich. »Nur wir zwei alleine. Wie früher.« Sie gluckste gutgelaunt und verspeiste seelenruhig die Laugenbrezel. Mit dem Prosecco spülte sie nach und stellte wenig später überrascht fest, dass sich in der Dose nur noch eine Neige befand.

Julia stand lächelnd auf. »Bekanntlich steht es sich schlecht auf einem Bein. Ich hole eine zweite Runde.« Sie schnappte sich die leeren Dosen.

»Wie in alten Zeiten!«, rief Frauke ihr hinterher, denn in den jungen Jahren war es üblich gewesen, vor dem Start in das Nachtleben erst einmal zu Hause vorzuglühen. Das Geld war knapp gewesen und es hatte ihnen nichts ausgemacht, einen günstigen Sekt oder Rotwein von einem Discounter zu trinken.

Gegen einen Prosecco aus der Dose hatte Frauke unter diesen Umständen nichts einzuwenden und blickte Julia freudestrahlend entgegen, als sie mit dem Nachschub zurückkehrte.

DREI

Nach dem zweiten Prosecco blieben sie bei Kaffee und behielten von ihrem Platz aus das Boarding im Auge.

»Heute Nacht ist mir das Aufstehen wirklich schwergefallen«, meinte Julia. »Heiko ist liegengeblieben und hat sich gleich wieder umgedreht. Am liebsten hätte ich mich bei ihm angekuschelt und weitergeschlafen.« Julia bemerkte Fraukes erstauntes Gesicht. »Ich schlafe auch gerne«, ergänzte sie.

»Und ich dachte, nur ich wäre eine Schlafmütze!«

»Quatsch.« Julia rührte den Kaffee mit einem Holzstäbchen um. Sie wusste, dass Frauke sie für einen nahezu perfekten Menschen hielt. Das stimmte aber nicht, begehrte es in ihr auf. Bloß war sie im Endeffekt gezwungen immer ein Stück vorbildlicher und besser organisiert als Frauke zu sein, um nicht mit in einen chaotischen Strudel hineingezogen zu werden. An manchen Tagen war Julia versucht, es einfach mal laufen zu lassen und abzuwarten, was passieren würde. Doch stets bot ihr eine innere Stimme Einhalt und sie war in ihr altes Verhaltensmuster der Kümmerin und Organisatorin zurückgefallen. Es gab Tage, da wünschte sie sich, aus diesem Schema auszubrechen. Aber nicht in dieser Situation.

Also wischte sie das Thema beiseite. »Und was macht dein Ralf? Wie verkraftet er es, nach nur wenigen Monaten Beziehung, zehn volle Tage auf dich zu verzichten?« Julia legte das Holzstäbchen beiseite und fixierte Frauke über den Rand der Kaffeetasse hinweg an.

»Das geht schon.« Frauke schaute unbeteiligt in die Gegend und wich ihrem Blick aus.

»Ich glaube, ich habe dich nicht genau verstanden.«

Frauke reagierte nicht auf ihre Worte.

Julia beugte sich nach vorne. »Habe ich in den letzten Tagen etwas verpasst? Du hast gar nichts erzählt.«

»Ist es erforderlich, jetzt darüber zu reden?« Frauke saß wie versteinert in dem harten Plastiksessel und suchte einen Ausweg aus dem Gespräch, zu dem sie gerade keine Lust verspürte.

»Vor uns liegen zehn Tage Urlaub«, erwiderte Julia gelassen. »Ich gehe stark davon aus, dass wir irgendwann Zeit finden, darüber zu sprechen. Was auch immer bei euch beiden los ist.«

Die Lautsprecheranlage schnarrte. »Frau Jasper und Frau Schlichter zum Boarding!«

»Damit sind wir gemeint.« Erleichtert sprang Frauke in die Höhe und schulterte den Rucksack.

Verwundert schüttelte Julia den Kopf, denn Frauke glaubte doch nicht im Ernst, dass das Thema damit abgehakt sei? Seufzend erhob sie sich, denn tief in ihrem Inneren ahnte sie bereits, wo der Hase im Feld begraben lag.

Sie schlängelten sich durch den schmalen Gang und wurden neugierig aus den Sitzreihen beäugt, bis sie ihre reservierten Plätze erreichten.

Julia nahm den mittleren Sitz der Reihe ein, wobei zu ihrer linken eine etwas ältere Frau saß und sie frei heraus anlächelte. Julia erwiderte das Lächeln und noch während sie sich anschnallte, suchte sie die Unterhaltung mit ihrer Nachbarin.

Frauke plumpste neben Julia in das weiche Polster und rutschte tiefer hinein. Sie schloss die Augen, damit sie den Pingpongball unter Kontrolle bekam, der von einer Seite ihres Gehirns auf die andere schoss und sie mit der Frage bombardierte, wie es um ihre Beziehung zu Ralf bestellt war.

Überraschenderweise hatte sie Julias Frage aus der Bahn geworfen. Eigentlich hätte ihre Antwort lauten sollen, dass alles bestens sei. Aber da ihr so gar keine Antwort über die Lippen gekommen war, stand glasklar fest, dass absolut nichts in Ordnung war.

Die rational denkende Seite von Frauke erfasste, dass sie der Sache auf den Grund gehen musste! Blöderweise stemmte sich der konfliktscheue Part von Frauke dagegen, vor allem weil ihre Urlaubsstimmung hochfuhr und ihr nicht der Sinn nach einer inneren Auseinandersetzung stand. Jetzt und schon gar nicht in den nächsten zehn Tagen, legte sie sich bereits fest.

Und was Frauke sich vornahm, setzte sie ausnahmslos um. Diese Entschlossenheit, an bestimmte Dinge heranzugehen, lag in ihrer Kindheit begründet. Im Alter von neun Jahren hatte sie ihren überraschten Eltern verkündet, dass Grübelei doch nichts bringe und sie stattdessen lieber jeden Tag so genießen wolle, wie er kam. Mit all seinen Höhen und Tiefen.

Dieser Bekanntgabe war ein Zerwürfnis mit ihrer damals besten Freundin Maren vorausgegangen. Diese hatte nämlich ihrer geliebten Barbiepuppe die Haare gestutzt und weder ihren Fehler eingesehen noch sich entschuldigt.

Frauke hatte lange darüber nachgedacht, weshalb Maren dieses Verhalten an den Tag gelegt hatte. Es hatte sie einige Zeit des ausführlichen Nachdenkens gekostet, um letzten Endes zu keinem greifbaren Resultat zu gelangen. Danach hatte sie den Entschluss gefasst, ihre Zeit nur noch mit Menschen zu verbringen, die sie ehrlich mochten und gut zu ihr waren.

Zwar verringerte sich durch diese Entscheidung die Größe ihres Freundeskreises um gut die Hälfte, aber seitdem ging es ihr viel besser und sie dachte weniger über andere und ihre seltsamen Verhaltensweisen nach.

In Bezug auf die Frage nach ihrer Beziehung zu Ralf kam es ihr nicht in den Sinn, zu hinterfragen, ob sie nicht diejenige war, die sich hierbei seltsam verhielt.

Somit fiel es ihr nicht schwer, nach dem Start des Flugzeugs die Augen zu schließen und zu entspannen. Vor ihrem inneren Auge erschien das Bild von Palmen, einem blauen Himmel, sowie einer für sie vorbereiteten Liege mit einem Beistelltisch, auf dem ein Cocktail wartete, getrunken zu werden.

Mit diesem Bild vor Augen schlief sie ein und wurde erst wieder wach, als Essensgerüche durch das Innere des Flugzeugs zogen. Die ersten Passagiere klappten in Erwartung der bevorstehenden Mahlzeit die Tische herunter.

Frauke lehnte sich weit aus der Sitzreihe in den Gang hinein und versuchte abzuschätzen, welche Stewardess sie zuerst erreichen würde.

»Ich könnte auch einen Happen vertragen,« erwähnte Julia, die sich eine Weile mit ihrer Nachbarin zur Linken unterhalten hatte.

Das muntere Gespräch über Hobbys, Reisen und Backen war am Schluss in eine Endlosschleife über die große Schar der Enkel der Frau übergegangen. Eine Zeitlang war Julia den Geschichten über Kindergeburtstage, erste Zähne sowie Kindergartenplätze gefolgt, doch irgendwann hatte sie das Gespräch auslaufen lassen.

Normalerweise vermied Julia eine derartige Unhöflichkeit und beendete ein Gespräch mit einer umgänglichen Ausrede. Nur diesmal hatte sie schlichtweg ihre Aufmerksamkeit von der Frau auf sich selbst gelenkt und in ihrem Kopf ein Zwiegespräch über die eigene Familienplanung begonnen.

Nun verhielt es sich nicht so, dass sie das Thema zum Ersten Mal mit voller Wucht traf. In den letzten Monaten beschäftigten sie diese Gedanken über die Maßen. Immer wieder wog sie das Für und Wider ab und wann der richtige Zeitpunkt gekommen sei.

Das sich stetig drehende Gedankenkarussell lastete auf ihr, denn es entsprach nicht ihrem Charakter, wichtige Lebensentscheidungen auf die lange Bank zu schieben. Es wurmte sie zutiefst und machte sie wütend, manchmal auch nur traurig.

Julia blickte Frauke an, die ungeduldig den Kopf in den Gang hineinreckte.

»Was ist los?«, fragte Frauke, nachdem sie Julias Blick gespürt hatte.

»Ach, nichts. Ich habe Hunger«, log sie.

Für Julia lag es auf der Hand, dass der Zeitpunkt mit Frauke darüber zu reden, gerade denkbar ungünstig war. Zum Einen wurde innerhalb der nächsten Minuten das Essen gereicht, zum Anderen wollte sie es nicht vor aller Welt ansprechen.

Zwar hatte Julia ihre diesbezüglichen Gedanken gegenüber Frauke schon früher geäußert, aber nun beherrschte sie es auf eine lähmende Art und Weise, die ihr nicht behagte.

Sie beschwichtigte ihre eigene Unruhe, indem sie den Plan schmiedete, in den anstehenden zehn Tagen einen günstigen Moment abzupassen.

Nach dem Essen erfüllte gespannte Vorfreude die Passagiere, denn ihr Urlaubsort rückte in greifbare Nähe. Als die langersehnte Lautsprecheransage erschall, jagte ein glückseliges Raunen durch die Sitzreihen.

»In Kürze erreichen wir den Flughafen Teneriffa Süd. Wenn Sie links aus dem Fenster blicken, sehen Sie dort den höchsten Berg Spaniens mit 3718 Metern. Auf dem Pico del Teide liegt noch Schnee. Der Anblick von Schnee dürfte Ihnen hinlänglich von zu Hause bekannt sein«, ulkte der Pilot und flog im selben Moment eine scharfe Linkskurve.

»Schnee brauche ich wirklich nicht mehr«, räumte Julia ein. »Aber es sieht toll aus! Wie Puderzucker. Und wie schön die Spitze des Pico durch die Wolkenschichten hindurchsticht«, sprach sie begeistert weiter.

Frauke hielt ihr Smartphone parat, um ein paar Aufnahmen zu machen, auf denen allerdings die Gesichter von Julia und der Frau am Fenster mit abgelichtet wurden. »Das erste Mal auf Teneriffa!«

»Der Urlaub kann beginnen!«

VIER

Die Sonne wärmte ihnen das Gesicht, als sie auf dem Parkplatz vor dem Flughafen standen.

»Ist das nicht herrlich? In Deutschland sind wir eingepackt in einer Jacke losgeflogen und hier ist früh morgens schönstes Frühlingswetter! Ein Traum«, schwärmte Frauke, während sie die Sonnenbrille aus der Handtasche kramte, die sie vorsorglich eingesteckt hatte und sofort aufsetzte.

Julia schaltete ihr Handy ein. »Ich werde Heiko kurz anrufen und ihm sagen, dass wir gut gelandet sind.«

»Okay.« Frauke legte den Kopf in den Nacken und spürte eindringlich die warmen Sonnenstrahlen.

Julia stutzte. »Willst du Ralf nicht Bescheid geben?«

»Er ist heute Morgen zu einem Termin nach Berlin gefahren und ist den ganzen Tag auf einem Meeting.«

Julia schnappte hörbar nach Luft. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du kannst ihm doch wenigstens eine Nachricht schicken.«

»Ich melde mich heute Abend bei ihm.« Die Sonnenbrille verbarg ihre Augen und auch sonst was dahinter vorging.

Nach Fraukes ausweichender Antwort lag es für Julia auf der Hand, dass sie etwas verschwieg. Erst die Aktion am Flughafen in Deutschland und nun ihr erneutes Herumdrucksen. Sie setzte zu einer Erwiderung an, aber ihr Handy piepste, als es einen spanischen Anbieter gefunden hatte, so dass sie erst einmal bei Heiko anrufen wollte.

Während Julia mit ihm telefonierte, fuhr ein kleiner, weißer Bus vor, hinter dessen Frontscheibe ein Schild steckte, auf dem der Zielort ihres Hotels angegeben war.

Der Fahrer stieg aus, überprüfte die Hotelreservierung, die Frauke ihm entgegenhielt, nahm anschließend ihre Koffer und verstaute sie in der Ladeluke.

Währenddessen eilte Frauke vorweg in den Bus hinein, verfolgt von dem Unbehagen, wiederholt Julias Frage nach Ralf ausgewichen zu sein. Sie pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und nahm die Sonnenbrille ab. Im Grunde ärgerte sie sich selbst, mit einer halbgaren Sache in den Urlaub gefahren zu sein.

»Frauke, wollen wir uns setzen?«, fragte Julia, die auf einmal hinter ihr stand.

Sie rutschten gerade noch rechtzeitig in die Reihe hinein, bevor der Bus ruckartig anfuhr. Danach vergaßen sie alles, was sie an die Heimat erinnerte oder was auf ihnen lastete, denn der Ausblick aus dem Fenster versetzte sie in beinahe kindliches Erstaunen.

Mit jedem Kilometer, den sie in Richtung Norden fuhren, begeisterte sie die Zunahme an Farbe in der Natur, wodurch die trockene, eher gelbliche Landschaft des Südens schon bald in einem satten Grün leuchtete.

Auf der Höhe von La Laguna, der ehemaligen Hauptstadt der Insel, fuhren sie überraschend in tief hängende Wolken hinein, die sich als Wassertröpfchen an den Scheiben des Busses niederschlugen. Dass der Norden durch die Passatwinde mit Wolken und Feuchtigkeit versorgt wurde, wussten sie aus ihrem Reiseführer, dennoch brachte sie der Anblick aus der Fassung.

»Das sieht nicht gut aus«, äußerte Frauke entgeistert und starrte aus dem Fenster. Ihre Laune trübte sich ein, im selben Maße wie das Tageslicht schwand.

»Auf jeden Fall ist es warm«, unternahm Julia einen halbherzigen Aufmunterungsversuch. Sie fragte sich, ob Teneriffa zurecht die Bezeichnung ewige Frühlingsinsel verdiente.

Doch innerhalb kürzester Zeit wurden sie eines Besseren belehrt, als die Wolken aufrissen und den Blick auf eine atemraubende Panoramaaussicht freigaben!

Rechts von ihnen fiel die Küstenlandschaft schroff ins blaue, funkelnde Meer ab, wogegen zu linker Hand üppig bewachsene Steilhänge zu Gefallen wussten.

»Wow«, raunte Frauke überwältigt, »das kurze Intermezzo mit den Wolken ist vorbei!«

»Das wäre etwas geworden, wenn wir mit vornehmer Blässe zurückgekehrt wären. Es hätte den Anschein gehabt, wir hätten statt auf Teneriffa an der Nordsee Urlaub gemacht.«

Wenig später folgte der Bus der Abfahrt nach Santa Ursulá und nach ein paar Minuten erreichten sie ihr Hotel an der Steilküste in der Nähe von Puerto de la Cruz.

Frauke öffnete die Tür zu ihrem Ferienappartement und stieß sie weit auf. Für einen Moment blendete sie das helle Licht, als sie im Eingangsbereich ihre Koffer abstellten.

»Ist das schön!«, juchzte Frauke laut, wonach sie einen Schritt in den Wohnbereich hineintat und die Inneneinrichtung bewunderte.

Neben einem Sofa, einem gläsernen Couchtisch und einer Essecke aus dunklem Holz, gab es eine imposante Holzkommode, deren Türen und Fächer mit Holzschnitzereien verziert waren. Der Holzfußboden leuchtete in einem warmen Braunton und wurde nur in der Essecke durch einen hellen Teppich unterbrochen.

»Lass uns auf den Balkon gehen. Ich bin gespannt auf die Aussicht.«

Gemeinsam zogen sie die blassgelben Vorhänge auseinander, öffneten die großen Schiebetüren und traten hinaus.

»Hammer!«, hauchte Frauke lediglich, weiterer Worte beraubt.

Julia stand neben ihr und sog im gleichen Maße den fantastischen Ausblick auf, der sich ihnen bot: Geradeaus zu, in großer Entfernung erhob sich der Pico del Teide, der weiß überzuckert und majestätisch erhaben von der Sonne angestrahlt wurde. Ebenfalls ein gutes Stück entfernt und tiefer gelegen als ihr Hotel, machten sie die Silhouette von Puerto de la Cruz aus. Die Luft war so rein, dass sie trotz der Distanz die Brandung an den Stränden der Stadt ausmachen konnten.

»Hier lässt es sich aushalten«, fasste Frauke ihren Eindruck zusammen und sank glückselig auf einen Balkonstuhl nieder.

Schweigend genossen sie die Aussicht, die ihnen unwirklich vorkam, nur ein paar Flugstunden von Deutschland entfernt.

Die Vögel in den Bäumen und Büschen sangen ihr morgendliches Konzert, untermalt von einem knurrenden Geräusch.

»Was war das denn?«, fragte Julia.

»Mein Magen. Das Frühstück im Flugzeug ist schon zu lange her. Wäre nicht schlecht, wenn wir etwas essen.«

FÜNF

Nach dem Frühstück packten sie ihre Koffer aus und Julia, die zuerst fertig war, studierte die Info-Mappe des Hotels, die auf dem Couchtisch lag.

»Es gibt einen kostenlosen Hotel-Bus, der nach Puerto fährt. Um zwölf Uhr fährt der nächste. Wollen wir das Baden im Pool verschieben und uns die Stadt ansehen?«

Frauke kehrte aus dem Bad zurück, wo sie ihre Kosmetiksachen verstaut hatte. »Ich bin ohnehin nicht so scharf aufs Baden. Der Winter war lang und die Weihnachtszeit mit den köstlichen Leckereien, den zahlreichen Feiern und Weihnachtsmarktbesuchen machen sich immer noch auf der Waage bemerkbar. Außerdem möchte ich meinen käseweißen Rettungsring nicht gleich am ersten Tag der Öffentlichkeit präsentieren. Das will ich niemandem zumuten!«

»Du tust gerade, als seist du übergewichtig.«

»Ich habe im Internet gelesen, dass Frauen mit einem normalen BMI aber einem dicken Oberbauch, die Tendenz zu Herz-Kreislauferkrankungen haben. Ich habe meinen Bauchumfang nachgemessen. Ich bin eindeutig gefährdet!«

Julia rollte mit den Augen. »Wenn du so weitermachst, entwickelst du dich zu einem Hypochonder.«

»Gar nicht wahr!«

»Doch! Und wenn wir noch länger rumtrödeln, ist der Bus weg.«

»Nicht ablenken, das diskutieren wir noch aus!«

Sie rafften ihre Sachen zusammen und verließen lachend das Appartement.

In Puerto angekommen, fuhren sie in eine Tiefgarage ein, in der weitere Hotel-Busse aus den verschiedensten Urlaubsorten hielten. Eine Rolltreppe brachte sie in das darüber befindliche Einkaufszentrum. Die kleinen Einkaufsläden wirkten verlockend, dennoch verließen sie zügig das Gebäude und standen draußen an einer Straße.

»Unglaublich«, staunte Julia. »Bei uns im Gartencenter bekommst du diese mickrigen Palmen und hier ist alles dreifach und vierfach so groß.«

»Wahnsinn«, pflichtete Frauke ihr bei. Sie genoss die Wärme auf ihrer Haut und den Rummel um sich herum. Ihr Glück wäre perfekt gewesen, wenn sie nicht jemand von der Seite angesprochen hätte.

»Hello!«

Frauke wandte sich dem jungen Mann zu, den sie auf höchstens fünfundzwanzig Jahre schätzte. Er war hochgewachsen und unter der Schirmmütze mit der Aufschrift Loro Parque lugten lange, blonde Haare hervor. Seine blauen Augen blickten ihr aus einem Allerweltsgesicht entgegen.

»Wie bitte?«, fragte Frauke höflich nach.

»Ah, Deutsche«, wechselte er in ihre Sprache. »Ich bin Benny!« Er entblößte seine Zähne, die alles andere als gepflegt aussahen. »Seid ihr das erste Mal auf Teneriffa? In welchem Hotel seid ihr?«

Weder Frauke noch Julia verspürten das Bedürfnis, diese Fragen zu beantworten.

Benny erwartete offensichtlich keine Antwort und sprach ohne Luft zu holen weiter. »Heute ist euer Glückstag! Ihr habt die unglaubliche Chance an einer Lotterie teilzunehmen. Jedes zehnte Los gewinnt!«, spulte er rasch seinen Text herunter und hielt ihnen einen Eimer mit bunten, zusammengerollten Papierstückchen unter die Nase.

Julia blickte ihn genervt an und wollte schon weitergehen, doch Fraukes Hand bewegte sich wie ferngesteuert auf den Eimer zu. Bevor Julia eingreifen konnte, hatte Frauke ein Los gezogen. Sie entrollte es und juchzte laut auf.

»Ich habe gewonnen! Ich habe fünfhundert Euro gewonnen!«

»Hey, gratuliere! Du bist heute die Erste, die den Top-Gewinn gezogen hat.« Benny grinste sie an, aber ein Blick auf Julias missbilligendes Gesicht, ließ ihn vorsichtiger werden. »Du bist ein Glückspilz«, fügte er dennoch hinzu.

»Frauke, lass uns weitergehen«, sprach Julia eindringlich auf sie ein.

»Was? Ich habe gewonnen! Ich gewinne doch sonst nie etwas.«

Bennys Gesicht gewann von Neuem an Zuversicht, denn er wusste, dass er seinen Fisch am Haken hatte. »Richtig, meine Dame. Sofort zugreifen und nicht zögern.«

Julia platzte der Kragen. »Sie sind sofort still! So eine Frechheit, meine Freundin übers Ohr hauen zu wollen.« Sie funkelte ihn wütend an und bearbeitete Frauke weiter. »Erinnerst du dich an die Reportage im Fernsehen?«

»Nein, ich weiß nicht, was du meinst.«

Julia zwang sich innerlich zur Ruhe, denn immerhin hatte sie jetzt die ungeteilte Aufmerksamkeit von Frauke. »Der Mann hier ist ein Betrüger übelster Sorte.«

»He!«, zischte Benny.

»Halt die Klappe!« Aufgebracht, warf Julia kleine Blitze in seine Richtung. Erst danach redete sie nachdrücklich auf Frauke ein. »Die versprechen dir Geld, aber als Gegenleistung musst du mit dem Taxi irgendwo hinfahren. Dann wirst du vollgequatscht und am Ende unterschreibst du einen dubiosen Vertrag, der dich im Laufe der Zeit mehrere tausend Euro kosten wird.«

»So ein Blödsinn!« Benny unternahm einen letzten Versuch, den Fehlschlag zu verhindern. »Das ist alles seriös. Meine Geschäftspartner befinden sich in einem Hotel weiter oben in den Bergen und das geht alles mit rechten Dingen zu.«

»Niemand verschenkt fünfhundert Euro«, entgegnete Julia drohend. Ihr eiskalter Blick hätte Wasser zu Eis gefrieren können.

Frauke stand versteinert zwischen ihnen, blickte von Julia zu Benny hin und her und überlegte. Instinktiv wusste sie, dass Julia recht hatte.

Angesäuert zerknüllte sie das Los und warf es in den Eimer zurück. »Ich denke, es stimmt, was meine Freundin sagt. Niemand verschenkt einfach fünfhundert Euro«, grummelte sie zähneknirschend. Sie drehte sich um und marschierte davon.

So schnell konnte Julia gar nicht schalten und musste sich sputen, sie einzuholen.

»Blöde Weiber!«, rief Benny ihnen laut nach.

Vorbeigehende Passanten blickten ihn erstaunt an.

Für einen Moment fiel seine Fassade und er schickte ihnen wüste Beschimpfungen hinterher. Als er neue Kundschaft herannahen sah, setzte er wieder seine freundliche Maske auf. Er empfing die nächsten Urlauber mit »Hello? German? English?«, und konzentrierte sich darauf, das nächste Opfer nicht entkommen zu lassen.

Julia und Frauke waren bereits etliche Meter entfernt und bekamen das Geschehen hinter sich nicht mehr mit.

Frauke stapfte missmutig vor sich hin, während Julia sie aus den Augenwinkeln beobachtete. In dieser Situation war Fingerspitzengefühl gefragt, das hatte sich in der Vergangenheit bewährt.

Sie liefen noch eine Weile wortlos nebeneinanderher, bis Frauke das Schweigen brach. »Ja, du hast recht gehabt.« Das Eingeständnis ging ihr schwer über die Lippen. Sie hasste es, wenn sie daneben lag.

Julia nickte nur, anstatt etwas zu sagen. Nach ein paar Sekunden knuffte sie ihr leicht in die Seite.

»Lass das!«, reagierte Frauke abwehrend. »Ich will mich noch etwas über meine eigene Dummheit ärgern.«

»Wozu? Das Wetter ist bombastisch, wir sind im Urlaub und der Vogel von vorhin kann uns gestohlen bleiben. Wir sind das perfekte Dreamteam! Eine passt auf die andere auf. Und jetzt bist du an der Reihe und sorgst für unser leibliches Wohl. Such uns ein Lokal, wo wir Kaffee trinken können«, verlangte Julia, wohlwissend, dass sie Frauke damit auf andere Gedanken bringen würde.

Frauke kam ihrem Wunsch nur zu gerne nach und ganz nebenbei erkundeten sie die Gassen von Puerto und bewunderten das ein oder andere schöne Haus der Altstadt. In einem kleinen Park entdeckten sie ein niedliches Lokal, das ihnen sofort zusagte. Dort bestellten sie zwei Kaffee.

»Ist das nicht ein reizender Platz? Eingerahmt von großen Palmen sitzen die Menschen im Schatten, essen und trinken und genießen die Mittagsstunde. So habe ich es mir vorgestellt«, schwärmte Frauke.

»Normalerweise säßen wir jetzt im Büro.« Julia schüttelte sich bei dem Gedanken. »Ich finde diese Alternative um Längen besser. Ich könnte mich glatt dran gewöhnen.« Sie seufzte zufrieden und streckte die Beine von sich, legte die Hände in den Nacken und blickte in den blauen Himmel. »Ein Traum.«

Nach einem weiteren Kaffee besannen sie sich darauf, dass sie Teneriffa nicht nur wegen des schönen Wetters und der reizvollen Umgebung ausgesucht hatten, sondern auch, weil sie planten Wanderungen über die Insel zu unternehmen. Also entfalteten sie eine Karte, legten diese auf den Tisch und beugten sich darüber.

»Morgen fangen wir erstmal mit dem Anaga-Gebirge an«, fasste Frauke das anstehende Vorhaben zusammen.

Im Vorfeld hatten sie das Internet durchforstet, welche Sehenswürdigkeiten es auf Teneriffa zu erwandern gab. Dabei waren sie auf der Homepage von Doris´ Wanderclub gelandet, einer ortsansässigen Anbieterin, die mit persönlichen Fotos und warmherzigen Worten für einzelne Touren warb. Noch vor Antritt der Reise hatten sie mit Doris, der Inhaberin, telefoniert und ihre erste Wanderung gebucht.

Doris´ sympathische Art hatte Julia und Frauke sofort in Begeisterung versetzt und war in einem überraschend langen Telefonat geendet. Dabei hatten sie erfahren, dass Doris, die aus Wiesbaden stammte, in der Zwischenzeit das ganze Jahr über auf Teneriffa lebte, in Vollzeit als Wanderführerin arbeitete und darüber hinaus den Wanderclub managte.

»Ich finde es mutig von Doris, das Leben in Deutschland aufzugeben und in ein anderes Land umzusiedeln, um dort Touristen über die Insel zu führen«, sprach Julia ihren Gedanken laut aus.

»Für mich käme das gar nicht in Frage«, ergänzte Frauke in dem Wissen, dass sie und Julia sich in diesem Punkt sehr ähnlich waren.

»Umso mehr bin ich auf Doris gespannt und was sie zu diesem Schritt bewogen hat. Wie sie Freunde und Familie hinter sich lassen konnte. Als das eben.«

»Es gibt Menschen, die sind dazu geboren, auszuziehen und die Welt zu erobern.«

»Und wir sind das Gegenteil. Wir leben gerne in unserer Geburtsstadt und halten nichts von derartigen Veränderungen.«

»Ist doch gut so, wie es ist. Wenn alle immer woanders leben wollten, wäre das ein Wahnsinnschaos auf der Welt.«

Julia lachte. »Das ist wohl wahr. Auf jeden Fall freue ich mich auf die erste Tour.«

»Laut Reiseführer besticht das Anaga-Gebirge durch seine überaus grüne Vegetation und die weitverbreiteten Lorbeerwälder. Außerdem soll es grandiose Aussichten geben, wenn wir den Nationalpark durchwandern. Hoffentlich klappt morgen die Anreise zum Startpunkt der Tour.«

»Nach der E-Mail von Doris sollen wir uns um neun Uhr an der Bushaltestelle an der Autobahn einfinden. Ungewöhnlich, eine Haltestelle an der Autobahn.«

»Ich bin gespannt, wie Doris so ist«, entgegnete Frauke.

»Morgen finden wir es heraus.«