Friesenstolz - Sandra Dünschede - E-Book

Friesenstolz E-Book

Sandra Dünschede

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Eine Einbruchserie in Risum-Lindholm hält Kommissar Thamsen in Atem. Das Muster erscheint undurchsichtig, denn es fehlen kaum Wertgegenstände. Welche Ziele verfolgt der Täter? Dann geschieht ein weiteres Unglück: Marten Ingwers wird tot aufgefunden - auch bei ihm wurde zuvor eingebrochen. Das Misstrauen unter den Dorfbewohnern wächst. Wen trifft es als Nächstes? Wem kann man noch trauen? Die Ermittler stehen vor einem Rätsel - bis Haie Ketelsen auf Spuren aus der Vergangenheit stößt.

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Seitenzahl: 260

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Sandra Dünschede

Friesenstolz

Ein Fall für Thamsen & Co.

Zum Buch

Eine Frage der Ehre In Risum-Lindholm ermittelt Kommissar Dirk Thamsen in einer Einbruchserie, bei der sich das Täterprofil ungewöhnlich präsentiert: Es werden kaum Wertgegenstände gestohlen. Wütend über die Ereignisse beschuldigen einige Dorfbewohner eine Gruppe Sinti und Roma, die sich in der Gegend angesiedelt hat. Aber auch eine Rockerbande, die das Dorf terrorisiert, gerät ins Visier der Polizei. Ein Ermittlungserfolg bleibt trotz intensiver Spurensuche zunächst aus. Erst als Marten Ingwers nach einem Einbruch in sein Haus ermordet aufgefunden und bei Elke Ketelsen, der Ex-Frau von Thamsens Freund Haie, eingebrochen wird, überschlagen sich die Ereignisse. Nach und nach wird klar, dass einige Dorfbewohner ein Geheimnis zu hüten scheinen. Die Ermittler begeben sich auf eine Reise in vergangene Zeiten …

Sandra Dünschede, geboren 1972 in Niebüll/Nordfriesland und aufgewachsen in Risum-Lindholm, erlernte zunächst den Beruf der Bankkauffrau und arbeitete etliche Jahre in diesem Bereich. Im Jahr 2000 entschied sie sich zu einem Studium der Germanistik und Allgemeinen Sprachwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Kurz darauf begann sie mit dem Schreiben, vornehmlich von Kurzgeschichten und Kurzkrimis. 2006 erschien ihr erster Kriminalroman »Deichgrab«, der mit dem Medienpreis des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes als bester Kriminalroman in Schleswig-Holstein ausgezeichnet wurde. Seitdem arbeitet sie als freie Autorin und lebt seit 2011 wieder in Hamburg, wohin es sie als waschechtes Nordlicht zurückzog.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2020

Lektorat: Teresa Storkenmaier

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Goldilock Project/shutterstock.com

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-6266-5

Widmung

Für Carola

Prolog

März 1962

So aufbrausend wie der Wind wirkte auch die kleine Schar Leute, die sich auf dem Hofplatz des alten Friesengehöfts versammelte hatte und geradezu eine Symbiose mit dem Wetter bildete. Dunkle Wolkenfetzen jagten über den grauen Himmel, Feuchtigkeit hing in der Luft.

Hauke hatte sich zum Schutz in die Scheune geflüchtet. Von hier beobachtete der Achtjährige das Geschehen auf dem Hofplatz, an dem teilzunehmen ihm sein Vater mit den Worten »Das ist nichts für lütte Jungs« verboten hatte. Dennoch hatte die Neugierde ihn hinausgetrieben und so spähte er nun durch einen Spalt in dem alten Scheunentor.

Etwa 50 Männer hatten sich dort versammelt, einige kannte und fürchtete Hauke, doch es waren auch viele Fremde anwesend, die ihm ebenso unheimlich erschienen. Wenngleich er den Grund der Versammlung nicht kannte, konnte er die aufgeheizte Stimmung spüren. Mit lauten Stimmen redeten die Männer durcheinander, Banner wurden geschwenkt, doch aus seinem Versteck heraus konnte Hauke, der ohnehin nicht gut im Lesen war, nicht erkennen, was auf ihnen geschrieben stand.

Er trat von einem Fuß auf den anderen, bereute, nicht seine dicke Jacke angezogen zu haben. Hier in der Scheune war es kalt, besonders, wenn man sich nicht bewegte. Kleine Atemwolken stiegen vor seinem Gesicht auf und er spürte kaum noch die klammen Finger, die er ineinander verschränkt hatte. Hauke blickte sich in der Scheune nach etwas Wärmendem um. Ein leerer Jutesack, eine Jacke, die der Vater vergessen hatte, aber er fand nichts, was er zum Schutz gegen die Kälte hätte nutzen können.

Plötzlich wurde es ganz still, nur seine aufeinanderklappernden Zähne nahm der Junge wahr und beeilte sich daher, wieder durch den Spalt zu linsen.

Die Männer waren dichter zusammengerückt. In ihrer Mitte konnte Hauke einen sehen, der auf den Kasten gestiegen war, den der Vater am Morgen auf den Hofplatz gestellt hatte. Er überragte die Menge.

»Höret nicht auf, Friesen zu sein«, donnerte es nun vom Platz herüber. Hauke kam das Lied »Frasch wan we weese«, ein altes friesisches Kinderlied, in den Sinn, und er summte automatisch die Melodie.

»Wir lassen uns von niemandem etwas aufzwingen – dies ist unser Land!«, klang es weiter vom Hof. »Die Dänen machen sich hier breit, bauen Schulen, verschwenden unsere Gelder. Lasst uns das nicht länger hinnehmen!«

Die Männer klatschten und johlten, und Hauke fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte. Er kannte einige Dänen, die Grenze lag schließlich nicht weit entfernt, und in der Schule hatte Hauke gelernt, dass sein Zuhause einst dänisch war. Verstanden hatte er das nicht so recht, aber er wusste, dass es eine dänische Schule und den Kindergarten gab, den die Nachbarskinder besuchten. Kontakt zu der Familie, die zu ihnen am nächsten lebte, hatten sie nicht, was Hauke bisher nicht weiter verwundert hatte, denn die beiden Jungen waren deutlich jünger als er und als Spielkameraden uninteressant für ihn.

Als er nun jedoch das Gesicht seines Vaters sah, der mit begeistertem Blick dem Mann auf der Kiste applaudierte, ahnte er, dass die Abneigung gegen den Nachbarn etwas damit zu tun hatte, dass dieser Däne war. Er versuchte sich zu erinnern, ob der Vater sich zuvor schon mal über die Familie ausgelassen hatte, als er bemerkte, dass es ganz still geworden war.

Hatten die Männer ihn in seinem Versteck entdeckt? Mit klopfendem Herzen guckte er durch den Spalt und sah plötzlich Magnus, den Nachbarn, in sein Blickfeld treten. Die Männer hatten sich vom Sprecher abgewandt, der mit ausgestrecktem Arm auf den Ankömmling wies. Hauke sah die Wut, nicht nur in den Augen der Versammelten, er konnte sie förmlich greifen.

Magnus trat auf die Menge zu, die sich teilte und den Mann dann in ihrer Mitte verschluckte. »Dass du dich hertraust!«

»Warum nicht? Schließlich redet ihr über mich, da sollte ich dabei sein, oder?«

Hauke blieb die Luft weg. Er sah in der hinteren Reihe etwas Metallisches aufblitzen, das durch eine wellenartige Bewegung weitergereicht wurde. Die Männer traten dabei noch dichter zusammen. Haukes Körper verkrampfte sich. Was geschah hier? Was hatten die Männer vor? Er reckte seinen Hals, schluckte und fuhr abrupt zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. »Hier steckst du!« Seine Mutter hatte die Scheune von hinten durch den Hühnerstall betreten und ihn entdeckt. Sie warf einen Blick durch den Spalt, zuckte kurz zusammen, ehe sie seine Hand ergriff und ihn mit sich zog. »Komm, das ist nichts für lütte Jungs!«

1. Kapitel

Das Bild der alten Friesenkate im Abendlicht wirkte friedlich auf Kommissar Dirk Thamsen, wäre da nicht der aufgeregte Hausherr gewesen, der auf der Zufahrt wie ein wild gewordenes Rindvieh hin und her sprang. Mit fuchtelnden Armen kam er Thamsen entgegen und passte so gar nicht in diese ansonsten recht idyllische Umgebung.

»Endlich«, begrüßte Bente Hansen ihn, kaum, dass Dirk die Fahrertür geöffnet hatte. »Wo bleiben Sie denn? Schauen Sie sich ruhig an, was diese Verbrecher in meinem Haus angerichtet haben.« Mit diesen Worten drehte der Mann sich um und eilte zum Eingang, ohne auf Thamsen zu warten.

Dirk seufzte leise. Im Prinzip wusste er, was ihn erwartete, denn es handelte sich um den fünften Einbruch innerhalb von 14 Tagen, der sich in der Gegend ereignet hatte. Bisher waren der oder die Täter stets nach dem gleichen Muster vorgegangen, daher rechnete er auch dieses Mal nicht mit großen Überraschungen.

Er trat auf die Haustür zu, die, wie bei den Einbrüchen zuvor, mit einem Stemmeisen aufgebrochen worden war. Den Eingang konnte man von der Straße nicht einsehen, vermutlich würde es auch diesmal keine Zeugen geben. Er blickte auf die Uhr. Der Einbruch war vor knapp 20 Minuten von Bente Hansen gemeldet worden, die Kollegen der Spurensicherung wären mindestens eine Stunde hierher unterwegs. Er nahm ein paar Schutzüberzieher aus seiner Jackentasche und streifte sie über seine Schuhe, obwohl das wahrscheinlich ein sinnloses Unterfangen war, denn der Hausherr hatte den Tatort ganz offensichtlich bereits mehrere Male betreten. Nun stand er mit hochrotem Kopf im schmalen Flur und wies mit ausgestrecktem Arm ins Wohnzimmer.

Thamsen trat neben den Mann und blickte in den Raum, der bis auf ein paar herausgerissene Schubladen und verteilte Zettel auf dem Fußboden recht normal aussah. Zumindest wenn er an sein Haus dachte, wo Dörte, seine Lebensgefährtin, oft nicht mit dem Aufräumen hinterherkam. Wenn die Kinder bastelten, sah es bei ihm daheim meist nicht ordentlicher aus, doch das erwähnte er nicht, sondern ließ sich geduldig den Tatort zeigen.

»Ist denn etwas entwendet worden?«, fragte er und erntete einen verständnislosen Blick.

»Das kann ich nicht sagen! Ich habe jedenfalls noch nichts angerührt. Sie müssen doch die Spuren sichern, oder?«

Thamsen nickte, während er seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen ließ. Der Fernseher und die Musikanlage standen noch an ihrem Platz. »Hatten Sie denn Wertgegenstände in diesem Raum?«

»Mein Laptop ist jedenfalls weg. Lag da auf dem Couchtisch.« Hansen wies auf einen niedrigen Glastisch, auf dem sich jetzt nur ein Stapel Zeitschriften und eine Schale mit Erdnüssen befanden.

»Und in den anderen Räumen?«

Bente Hansen eilte zurück in den Flur und auf ein Zimmer am Ende des Ganges zu. Dort saß Frau Hansen mit gesenktem Kopf am Küchentisch.

»Moin«, begrüßte Thamsen die Hausherrin, die daraufhin aufblickte. Ihr Gesicht war kreidebleich, nur die Augen schimmerten rot vom Weinen. Dirk konnte sich vorstellen, was für ein Schock es gewesen sein musste, als das Ehepaar nach Hause gekommen war und den Einbruch bemerkt hatte. Der Ort, an dem man sich behütet und geborgen fühlte, war von einer Minute auf die andere zerstört, man wähnte sich nicht mehr sicher. Er trat auf die Frau zu und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Brauchen Sie einen Arzt?«

»Es geht schon«, flüsterte Frau Hansen und schniefte in ein Taschentuch, das sie in den Händen hielt. Thamsen schaute sich um.

»Fehlt denn hier etwas?« Er wusste, dass viele Leute ihren Notgroschen in einer Kaffeedose oder in Töpfen im Küchenschrank aufbewahrten, aber auf ihn wirkte der Raum recht ordentlich.

»Nee, das Haushaltsgeld ist noch da. Habe ich gut versteckt.« Frau Hansen stand auf und nahm eine bunte Blechdose aus dem Regal über der Spüle. Sie öffnete den Deckel und ließ Dirk einen Blick hineinwerfen. Ein paar Scheine lagen zusammengerollt in dem Behältnis.

»Und sonst? Schmuck, vielleicht eine Uhr?« Die Hansens schüttelten synchron die Köpfe. Wie bei den anderen Opfern schienen auch hier kaum Wertgegenstände gestohlen worden zu sein.

»Gut, dann bitte ich Sie, sich jetzt eine Jacke anzuziehen und draußen mit mir auf die Spurensicherung zu warten.« Gemeinsam folgten die Eheleute ihm hinaus, wo gerade Ansgar Rolfs mit eiligen Schritten auf das Haus zukam.

»Entschuldigung, ging nicht früher«, begrüßte er seinen Chef. »Ich musste noch eine Anzeige wegen Körperverletzung aufnehmen.« Thamsen nickte und sah hinter seinem Mitarbeiter einige Leute auf der Auffahrt stehen. Na toll, dachte er, das hat sich hier im Dorf ja wieder schnell herumgesprochen. Risum-Lindholm war ein kleiner Ort mit etwas über 3.000 Einwohnern. Jede Art von Neuigkeit machte hier rasch die Runde, zumal die Bewohner wegen der Einbruchserie ohnehin aufgebracht waren. Vermutlich würde es nicht lange dauern, bis sein Freund Haie Ketelsen ebenfalls hier auftauchte. Bisher konnte er ihn jedoch noch nicht entdecken.

»Sind das Nachbarn?«, fragte er Bente Hansen.

»Einige, nicht alle.«

»Kommen Sie, vielleicht können Sie bei einem von denen warten, bis die Kollegen eintreffen. Ein Tee täte Ihnen sicherlich gut.«

»Und?«, erkundigte Ansgar sich bei Dirk, nachdem sie die Hansens zu einem Nachbarn begleitet und versprochen hatten, sie sofort zu holen, sobald die Kollegen aus Kiel eintrafen. »Gleiches Muster?«

Thamsen nickte. »Die Tür ist wieder mit der Brechstange aufgebrochen worden und gestohlen wurde nur wenig.«

»Aber was will der Einbrecher dann, wenn er keine Wertsachen klaut?« Ansgar runzelte die Stirn.

»Keine Ahnung«, stöhnte Dirk, »meiner Meinung nach spricht das mehr und mehr gegen die Annahme, diese Gruppe Sinti und Roma könnte etwas mit den Einbrüchen zu tun haben.«

»Ach, das ist doch nur ein Gerücht, das den Leuten gut in den Kram passt. Wenn sie nicht weiterwissen, dann waren es halt die Zigeuner.«

»Ansgar.«

»’tschuldigung, aber ist doch wahr.«

So ganz unrecht hat Rolfs nicht, dachte Thamsen. Vor ein paar Wochen hatte sich eine Gruppe Sinti und Roma ganz in der Nähe auf einem alten Resthof niedergelassen, und seitdem mehrten sich die Anzeigen aus der Bevölkerung gegen diese Leute. Meist stellten sich die Anschuldigungen als haltlos heraus, aber die Vorurteile, die die Bürger gegen diese Minderheit hegten, waren mehr als deutlich. Das saß anscheinend tief verankert in den Köpfen, sodass die realen Zustände offenbar keine Rolle spielten. Kein Wunder also, dass die Leute in der Umgebung die Einbruchserie mit den Sinti und Roma in Verbindung brachten.

»Allein, dass nicht wirklich etwas gestohlen wurde, spricht doch dagegen.« Lediglich wie bei den Hansens fehlten Laptops, hier und da wurde ein Handy vermisst, aber andere Wertgegenstände hatten die Einbrecher nicht mitgenommen.

»Vielleicht gibt es für Fernseher momentan keinen Markt oder Schmuckstücke sind den Verbrechern zu heiß«, bemerkte Rolfs, doch er klang wenig überzeugt. Sie hatten bisher keine vielversprechende Spur und ein Ende der Serie schien nicht in Sicht, was nicht gerade ein gutes Licht auf die Polizei warf. Da war es nur verständlich, dass wilde Gerüchte in der Bevölkerung kursierten.

»Na, lass mal sehen, was die Spurensicherung diesmal entdeckt. Irgendwann muss etwas zu finden sein«, entgegnete Thamsen, war aber selbst nicht gerade zuversichtlich, dass sie den Fall bald würden aufklären können.

2. Kapitel

Haie hatte den Nachmittag damit verbracht, mit Niklas für ein Diktat zu üben, und anschließend versucht, dem Jungen die Grundlagen des Dividierens zu erläutern. Von besonderem Erfolg war das Ganze allerdings nicht gekrönt, denn obwohl der Junge ordentlich was auf dem Kasten hatte, interessierte er sich wohl eher für Computerspiele. In diesem Bereich hatte der Kleine seinem Patenonkel eine Menge voraus. Wenn das beim Rechnen und Schreiben nur auch der Fall wäre, dachte Haie, als er schließlich das Heft zuklappte und ankündigte, sich um das Abendessen zu kümmern.

Der Kühlschrank gab jedoch nicht allzu viel her. Butter, ein bisschen Käse und eine recht welke Gurke war alles, was Haie auftreiben konnte. Dabei hatte er seinen Freund Tom, der nach einem langen Meeting aus Husum zurückkommen würde, mit dessen Lieblingsessen überraschen wollen. Doch am Vormittag war Haie nicht zum Einkaufen gekommen, oder besser gesagt, er hatte sich nicht aufraffen können. Bei dem feuchtkalten Wetter schmerzten seine Knochen neuerdings, sodass es ihm schwerfiel, in die Gänge zu kommen.

Ein bisschen Bewegung würde ihm sicherlich guttun, beschloss er und wollte Niklas überreden, mit ihm ins Dorf zum Sparmarkt zu radeln.

»Nö, kann ich nicht zu Hause bleiben?« Obwohl Haie wusste, dass Niklas sofort vor dem Computer hängen würde, sobald er das Haus verlassen hatte, ließ er es dem Jungen durchgehen. Er hatte heute einfach nicht die Kraft für eine längere Diskussion und nickte daher nur, während er nach seiner Jacke griff, den Geldbeutel nahm und sich anschließend auf sein E-Bike schwang.

Die Bewegung an der frischen Luft fühlte sich tatsächlich gut an. Haie spürte das erste Mal an diesem Tag seine Lebensgeister und fuhr über einen kleinen Umweg zum Sparmarkt.

Dort war um diese Zeit erwartungsgemäß viel los, denn viele Bewohner hielten auf dem Heimweg von der Arbeit beim Markt, um etwas zum Abendessen einzukaufen.

An der Fleischtheke stellte Haie sich an einer längeren Schlange an, er wollte Hackfleisch für Spaghetti bolognese kaufen. Die Bedienung ließ sich heute reichlich Zeit. Sie war neu, Helene schaffte mittlerweile nicht mehr alles allein im Laden. Für die Lieferungen hatten sie ebenfalls eine Aushilfe angestellt. Die Kaufmannsfrau wurde schließlich nicht jünger, und schwere Kisten zu heben, ging nicht nur ihr aufs Kreuz.

Warum sie sich allerdings für dieses lahmarschige junge Ding entschieden hatte, das jede Wurstscheibe einzeln abwog, war Haie ein Rätsel. Schon wurden erste Stimmen laut, warum es so langsam voranging.

»Mensch, der kannst du ja beim Arbeiten die Schuhe besohlen«, zischte eine ältere Dame, die vor Haie in der Reihe stand. Im Prinzip hatte Haie es nicht eilig, doch er gab der Frau recht. Das Arbeiten hatte die Verkäuferin wohl nicht erfunden. Jetzt ließ sie sich auch noch auf eine Diskussion ein, ob das Fleisch lange genug abgehangen war. Haie stöhnte.

»Mensch, das gibt’s doch nicht!«

Er blickte sich im Laden um. Bemerkte Helene denn nicht, dass sich hier eine mittlere Katastrophe zusammenbraute? Doch die Kaufmannsfrau saß mit glühenden Wangen an der Kasse und redete auf eine Kundin ein. Anscheinend gab es Neuigkeiten im Dorf. Die erfuhr man hier im Sparmarkt immer am schnellsten, da Helene es als ihre Pflicht ansah, ihre Kunden über die neuesten Geschehnisse im Dorf zu informieren. Haie spitzte die Ohren, konnte aber nicht verstehen, worüber die beiden Frauen sprachen.

Er fragte die Frau vor sich in der Reihe, doch die zuckte mit den Schultern und wandte sich dann der Verkäuferin hinter der Fleischtheke zu, da sie endlich an der Reihe war. Zum Glück kaufte sie nur zwei Schnitzel und ein Stück grobe Leberwurst, sodass es nicht lange dauerte, bis Haie bestellen konnte.

»Ein Kilo gemischtes Hack«, orderte er bei der Angestellten, die augenblicklich mit den Augen rollte. »Muss ich erst durchdrehen«, gab sie Auskunft und griff sich jeweils ein Stück Rind- und Schweinefleisch.

Haie trippelte von einem Fuß auf den anderen. »Hast du eine Ahnung, ob was passiert ist im Dorf?«, fragte er den jungen Mann hinter sich in der Schlange und wies dabei kopfnickend auf Helene.

»Nee, keine Ahnung!«

Er musste sich wohl oder übel gedulden.

Endlich war die Bedienung fertig und er schnappte sich die Fleischtüte. Schnell schob er seinen Wagen durch die Gänge und sammelte die restlichen Zutaten für das Abendessen zusammen. Dann stellte er sich an der Kasse an, wo Helene nach wie vor mit Kunden diskutierte, und konnte endlich verstehen, worum es ging.

»Wat, in Risum ist allwedder eingebrochen worden?« Er schaute Helene erwartungsvoll an. Die Kaufmannsfrau straffte gewichtig ihren Rücken und antwortete: »Jo, bei den Hansens.«

»Echt, schon wieder? Dat ist ja dann schon das fünfte Mal, oder?«

»Waren bestimmt die Zigeuner!«, mischte sich plötzlich die Frau hinter ihm ein. »Seit die hier sind, hat das doch angefangen mit den ganzen Einbrüchen.«

»Na, die sind schon viel länger da. Außerdem sind das allns Vorurteile«, ergriff Haie Partei für die Gruppe Sinti und Roma.

»Ach, dat sind und bleiben Zigeuner. Die haben schon immer geklaut wie die Raben!«, stimmte Helene ein.

»Das heißt nicht Zigeuner, sondern Sinti und Roma. Das ist eine anerkannte Minderheit, wie die Friesen auch!« Haie war leicht schockiert über diese antiquierten Ansichten. Gut, hier im Dorf hielten sich einige Denkweisen beharrlicher als woanders, aber solche Anschuldigungen gingen ihm einfach zu weit.

»Du willst uns doch nicht mit denen gleichsetzen, oder?« Helene stierte ihn mit zornigen Augen an.

»Wieso, bist du Friesin?« Haie war neu, dass Helene Friesisch konnte, und die Sprache zeichnete doch die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe aus, oder?

»Friesisch ist, wer sich friesisch fühlt«, behauptete Helene nun. »Außerdem ist es doch egal, wie man sich bezeichnet, Fakt ist, dass vermehrt in Risum eingebrochen wurde, und die Polizei hat nicht mal einen blassen Schimmer, wer dahintersteckt. Oder?«

Sie kniff die Augen zusammen und musterte Haie. Über seine Freundschaft zu Thamsen wusste so gut wie jeder im Dorf Bescheid.

»Die gehen da differenzierter vor. Man kann ja nicht sagen, wer die Täter sind. Es könnte auch etwas mit dieser Rockerband aus dem Koog zu tun haben«, verteidigte Haie nun seinen Freund.

»Du meinst die, die sich auf dem Hof im Osewoldter Koog eingenistet haben und hier ständig durchs Dorf donnern?«, wollte Helene wissen.

»Könnte doch sein, oder?«

»Wenn du meinst«, gab Helene sich seltsamerweise geschlagen. »Dat macht 38,89 Euro.« Sie hielt ihm die flache Hand entgegen.

Haie fischte seinen Geldbeutel aus der Jackentasche und gab Helene 40 Euro. Er fragte sich, ob sie noch weitere Infos hatte, die sie zurückhielt, weil sie sich beleidigt fühlte. Aber konnte sie überhaupt mit Informationen hinter dem Berg halten?

Er schaute sie auffordernd an, doch Helene zählte ihm lediglich das Wechselgeld vor und wandte sich dann dem nächsten Kunden zu.

»Oh, Zigeunersoße«, kommentierte sie den Einkauf. »Die ist heute im Angebot.«

3. Kapitel

Die Spurensicherung traf wie erwartet nach etwa einer Stunde ein. Thamsen wies die Kollegen am Tatort ein und wollte anschließend die Hansens holen. »Die Besitzer sollen mit euch zusammen feststellen, ob und was außer dem Laptop entwendet worden ist.«

Der Leiter des Teams nickte, während er sich daranmachte, seinen Koffer abzustellen und die Räume unter den Mitarbeitern aufzuteilen. »Hat keine Eile, zunächst schauen wir uns die Tür an. Scheint wieder ein Stemmeisen gewesen zu sein.«

»Ja, sieht leider alles wie bei den anderen Einbrüchen aus.«

»Habt ihr denn mittlerweile eine Spur?«

»Nicht wirklich. Es wäre daher gut, wenn ihr etwas Brauchbares finden würdet.« Selbst in seinen Ohren klang seine Stimme beinahe flehend, musste Thamsen sich eingestehen.

»Irgendetwas Konkretes im Sinn, worauf wir besonders achten sollen?«

»Leider nicht.«

»Gut, dann eben das volle Programm.«

Thamsen seufzte und machte sich auf den Weg zum Nachbarhaus, wo die Hansens bereits quasi in Hut und Mantel vor der Haustür auf ihn warteten. Sie hatten die Ankunft der Spurensicherung beobachtet und brannten förmlich darauf, zurück in ihr Haus zu dürfen.

»Ich möchte Sie bitten, den Anweisungen der Kollegen zu folgen. Nicht, dass Spuren verloren gehen«, ermahnte er die beiden, die ihm ein paar Schritte voraus waren. Er verstand, dass sie ihr Hab und Gut so schnell wie möglich sichern wollten.

»Ist Ihnen in den letzten Tagen denn jemand aufgefallen?«

»Aufgefallen?« Herr Hansen drehte sich zu ihm um. Seine Wangen glühten, anscheinend hatten die Nachbarn nicht nur Tee ausgeschenkt.

»Ja, ist jemand vor dem Haus gewesen oder generell im Dorf, der Ihnen verdächtig erschien?«

»Außer diesen Zigeunern nicht!«, wetterte der Geschädigte. Thamsen stöhnte leise. Natürlich waren die Roma und Sinti den Leuten im Dorf ein Dorn im Auge – schon immer. Er konnte sich gut erinnern, dass man sich bereits in seiner Kindheit gegenseitig vor den Leuten gewarnt hatte. Er wusste, dass eine Nachbarin regelmäßig bei seiner Mutter geklingelt und sie ermahnt hatte, ja gut abzuschließen und auf keinen Fall Wäsche rauszuhängen. Die Zigeuner würden angeblich alles klauen, was nicht niet- und nagelfest war.

Eigentlich sollte man denken, die Leute seien mittlerweile etwas aufgeklärter, aber solch eine Einbruchserie ließ die alten Vorurteile schnell aufleben, und noch war über den oder die Täter nicht viel bekannt. Demzufolge konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Gruppe etwas mit den Einbrüchen zu tun hatte. Aber ebenso gut kam jeder andere als Einbrecher infrage.

Er nickte lediglich und überließ die Besitzer seinem Kollegen mit den Worten: »Das sind Herr und Frau Hansen.«

Für Ansgar und ihn gab es momentan nichts weiter zu tun, daher verabschiedete er sich und bat die Kollegen, die Ergebnisse so schnell wie möglich zu schicken.

»Kann dauern«, kommentierte der Kieler seine Bitte. »Du weißt ja selbst, wie viele Spuren wir momentan auszuwerten haben.«

Auf dem Revier berief er am nächsten Morgen zuerst eine Versammlung ein und unterrichtete die Mitarbeiter über die neuesten Ereignisse.

»Wie es aussieht, werden wir doch eine Soko bilden müssen, ich werde das später mit der Kripo besprechen.«

»Und wer soll daran beteiligt sein?«, fragte Ansgar, obwohl er die Antwort kennen musste. So viele Mitarbeiter gab es in der kleinen Dienststelle nicht, deren Zuständigkeitsbereich das nördliche Nordfriesland und die Inseln – außer Sylt – umfasste und die daher stets in Bereitschaft sein musste. Die Bildung einer Soko bedeutete daher auf jeden Fall wieder einmal Überstunden. Aber irgendjemand musste diesen Einbrechern das Handwerk legen, sonst hörte das nie auf.

Unterstützung würden sie vermutlich keine bekommen, das war er gewohnt. Seine Dienststelle in Niebüll wurde, was das anging, oft vernachlässigt. Sie lag schließlich fast in Dänemark.

»Gut, dann geht an eure Arbeit. Ich kläre das und morgen haben wir vielleicht schon Ergebnisse.«

Auf dem Weg in sein Büro holte er sich einen Kaffee. Er fühlte sich müde und brauchte etwas, das ihn die nächsten Stunden ein wenig aufputschte. Als er die Gemeinschaftsküche verlassen wollte, kam Ansgar gerade rein.

»Glaubst du wirklich, die geben uns den Status einer Soko?«

»Den Status vielleicht, aber kein Personal, geschweige denn Gelder«, seufzte Thamsen und nahm einen Schluck Kaffee.

»Hast du dir denn weitere Schritte überlegt?« Der Kollege, der einige Jahre jünger als Dirk war, blickte ihn fragend an, und Thamsen wusste, dass er eine kompetente Antwort geben musste. Rolfs schien ohnehin unterfordert zu sein, und Dirk glaubte, dass der junge Mitarbeiter bisher nur seinetwegen in Niebüll geblieben war. Aufstiegschancen hatte er hier jedenfalls kaum. Ansgar musste der Auffassung sein, noch etwas von ihm lernen zu können. Warum sonst sollte er bleiben? Privat hielt ihn jedenfalls nichts in der Gegend, soweit Dirk wusste.

»Wir werden nicht drum herumkommen, die Sinti und Roma zu befragen.«

Rolfs nickte.

»Außerdem sollten wir die Nachbarschaft der Hansens abklappern. Vielleicht hat da einer etwas bemerkt.«

»Wahrscheinlich sollten wir im Ort auch mehr Präsenz zeigen. Das schreckt mögliche Täter ab«, schlug Ansgar vor.

Thamsen stimmte seinem Mitarbeiter zwar zu, wusste aber, wie schwer das umzusetzen sein würde. Sie hatten einfach zu wenig Personal, und ein Streifenwagen, der ein-, zweimal im Dorf die Straße hoch- und runterfuhr, würde die Verbrecher kaum einschüchtern, glaubte er.

»Primär sollten wir noch einmal bei den Geschädigten ansetzen und erfragen, was genau abhandengekommen ist. Ich meine, der Laptop, gut, aber was war da drauf? Ich glaube mittlerweile, der Täter sucht etwas Bestimmtes, denn viele Wertgegenstände sind auch bei den anderen Einbrüchen nicht gestohlen worden.«

»Das würde voraussetzen, dass die Leute, bei denen eingebrochen wurde, etwas miteinander zu tun haben. Ich meine, dann müsste es eine Verbindung geben.«

»Zumindest wohnen sie alle in dem Dorf.«

»Kannst du denn nicht mal deinen Freund Haie Ketelsen fragen? Vielleicht hat der eine Idee?«

Über die Freundschaft zwischen Thamsen und dem pensionierten Hausmeister der alten Grundschule in Risum wusste jeder Bescheid, zumal Haie bei einigen Fällen wirklich bahnbrechende Informationen liefern konnte. Er war so etwas wie ihr informeller Informant, ein Insider. Schließlich war er in dem Dorf aufgewachsen und kannte so gut wie jeden in der Gegend.

Mittlerweile hatte Haie allerdings die 72 Jahre überschritten und Thamsen bemühte ihn nur ungern. Zwar loderte in dem Freund immer noch dieselbe Leidenschaft fürs Detektivspielen, aber er wurde halt nicht jünger. In letzter Zeit hatte Dirk den Eindruck, Haie sei mit dem Haushalt und der Versorgung von Niklas mehr als ausgelastet.

Trotzdem konnte der Freund in diesem Fall nützlich sein, und so fuhr Dirk nach Feierabend nicht direkt nach Hause – es war ohnehin spät, die Kinder lagen im Bett und Dörte war wahrscheinlich heilfroh, mal einen Abend für sich allein zu haben. Wobei das für Thamsen eigentlich nur eine Art Entschuldigung für sein Verhalten war, denn in der letzten Zeit kriselte es zwischen den beiden. Vielleicht lag es daran, dass Dirk sich immer öfter fragte, ob die beiden Kinder eine so gute Idee gewesen waren. Nicht, dass er sie nicht liebte, nein, aber er war bereits Vater von zwei erwachsenen Kindern und fühlte sich oft mehr als zu alt für die beiden Kleinen. Außerdem hatten Dörte und er sich kaum gekannt, als sie plötzlich schwanger geworden war und er sich verpflichtet gefühlt hatte, ihr beizustehen und mit ihr zusammenzuziehen. Ob es Liebe war, was er für Dörte empfand, wusste er nicht genau, momentan hielten sie jedenfalls die Kinder zusammen, und er fragte sich oft, was werden würde, wenn sie groß waren. Er versuchte, den Gedanken schnell zur Seite zu schieben, als er über den alten Außendeich nach Maasbüll und dann die Dorfstraße hinunter bis Risum zu Tom und Haie fuhr. Besser als die Freunde war er frauentechnisch allemal dran, wobei er zugeben musste, dass die beiden Männer sich gut arrangiert hatten. Dennoch wusste er, dass Tom sich nach einer neuen Partnerin sehnte. Marlene war nun schon so lange tot und ewig konnte der Freund nicht allein bleiben. Niemand gönnte ihm ein wenig Glück mehr als Dirk.

Er parkte vor dem roten Backsteinhaus, das Tom einst von seinem Onkel geerbt hatte, und ging zum Eingang. Wie üblich war die Tür nicht abgeschlossen. Die Freunde saßen beim Abendbrot zusammen in der Küche.

»Diddi!«, begrüßte Niklas ihn und warf sich wie immer in seine Arme. Und wie immer stellte Dirk fest, wie groß und schwer der Junge geworden war.

»Willst du etwas mitessen?« Haie war wie selbstverständlich aufgestanden und holte bereits ein Brettchen und Besteck aus dem Küchenschrank.

»Wenn’s keine …«

»Hör auf mit dem Quatsch!« Haie blickte ihn beinahe beleidigt an, ehe ein Grinsen über sein Gesicht huschte.

»Na dann.« Thamsen nahm am Tisch Platz und ließ sich eine Flasche Bier reichen.

»Habe gehört, im Dorf ist schon wieder eingebrochen worden?«, erkundigte Haie sich natürlich als Erstes, nachdem er sich wieder an den Tisch gesetzt hatte.

Thamsen, der sich gerade eine Gewürzgurke in den Mund gesteckt hatte, nickte lediglich.

»Und habt ihr schon eine Spur? Ich meine, das ist ja nicht der erste Einbruch …«

»Weiß ich, weiß ich, aber nein, bisher haben wir keine Spur.«

»Und habt ihr diese Sinti und Roma schon mal befragt?«

»Haie«, mahnte Tom, vor allem mit Blick auf Niklas, der dem Gespräch der Erwachsenen interessiert lauschte.

»Oh«, Haie schaute demonstrativ auf die Uhr, »deine Sendung fängt an.«

Niklas hob wie auf Kommando den Kopf und sprang auf.

»Aber dein Brot …«, bemerkte Tom.

»Kannst du heute ausnahmsweise vorm Fernseher essen«, bestimmte Haie und nickte dem Jungen zu.

Niklas verschwand schnell mit seinem Brettchen in der Hand, bevor sein Vater noch etwas dagegen sagen konnte. Haie erntete einen verständnislosen Blick, den er jedoch geflissentlich ignorierte.

»Habt ihr denn nun schon mit den Sinti und Roma gesprochen?«, wollte er stattdessen von Thamsen wissen.

»Nee, wieso, was weißt du über die?«

»Ach, nichts, aber das halbe Dorf ist der Meinung, die haben etwas mit den Einbrüchen zu tun.«

»Typisch«, kommentierte Tom diese Behauptung.

»Habe ich auch schon mitbekommen. Meinst du, da ist etwas dran an den Gerüchten? Wie kommen die Leute darauf?«, wollte Thamsen von dem Freund wissen.

»Ach wo«, winkte Haie ab. »Du weißt doch selbst, wie die sind. Die andere Hälfte der Dorfbewohner beschuldigt diese Rockerbande, die sich da im Koog eingenistet hat. Jeder, der anders ist, wird erst einmal verdächtigt.«

»Was? Davon habe ich noch nichts gehört. Eine Rockerbande, sagst du? Was wird sich über die erzählt?«

»Ein paar Motorradfahrer wohnen seit Kurzem auf einem alten Gehöft im Osewoldter Koog. Und natürlich wird im Dorf über die geredet. Ist wahrscheinlich nichts dran, aber mit ihrem Geknatter im Dorf haben die sich eben keine Freunde gemacht. Wahrscheinlich hält man sie daher für verdächtig.«

»Möglich, wir haben noch keine Spur. Und viel wurde meistens gar nicht gestohlen«, gestand Thamsen.

»Nicht?« Haie schaute den Kommissar mit großen Augen an. »Warum bricht man sonst in fremde Häuser ein?«

»Na gut, es sind schon ein paar Sachen entwendet worden, aber für mich sehen die Einbrüche aus, als suche jemand etwas. Außerdem wissen wir nicht, ob es sich um mehrere Täter handelt.«

»Suchen? Was sollten die denn suchen?«

»Keine Ahnung«, seufzte Thamsen und nahm sich eine weitere Scheibe Graubrot aus dem Korb.

»Oder die Einbrecher sind nur besonders effektiv«, meinte Tom. »Ich meine, wer kann denn so einen Fernseher verkaufen und was bekommt man dafür? Da sind ein Laptop und ein Handy vielleicht besser.«

»Wenn du Kohle brauchst, ist dir das egal«, meinte Haie und kratzte sich am Kinn. »Was die wohl suchen, hm … Bei wem ist denn bisher eingebrochen worden? Gibt es da eine Verbindung?«

»Also aus meiner Sicht nicht, aber ich kenne die Leute natürlich nicht so gut wie du.« Er warf Haie einen Blick zu, dann Tom.