Frühlingssonate - Rüdiger Schneider - E-Book

Frühlingssonate E-Book

Rüdiger Schneider

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Beschreibung

Milan Dragovic schlägt sich als Klavierlehrer durchs Leben. Aber trotz seines schmalen Budgets besucht er regelmäßig Konzerte. Bei einem, es ist Schumanns Klavierkonzert in A-Moll, verliebt er sich in die Starpianistin Taryn O`Brian. Er komponiert eine Sonate für sie. Aber wie kann er die Noten überreichen? Er hat weder Adresse noch Telefonnummer. Da kommt ihm die Corona-Krise zu Hilfe. Bei einem Konzert, das sie im Koblenzer Görreshaus gibt, spielt sie vor nur drei Zuhörern. In der Pause treffen sie sich im Foyer. Es ist der Anfang des Kennenlernens und der Anfang einer Geschichte, in der trotz oder gerade wegen der Kontaktsperre Musik, Liebe und Widerstand die Regie übernehmen.

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Seitenzahl: 92

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Personen und Handlung sind frei erfunden, Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen mit Namen rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

1

Robert Schumanns Klavierkonzert in A-Moll liebte ich in einer besonderen Weise. Beim ersten Satz, bei diesem heranschwebenden Sehnsuchtsmotiv, wenn das Piano nach den ersten Akkorden leise einsetzt und die Streicher hinzukommen, überwältigt mich meist eine seltsame, kaum zu beherrschende Rührung, die so übermächtig ist, dass ich mich scheute, eine öffentliche Aufführung dieses Konzertes zu besuchen. Ich konnte nicht für meine Reaktion garantieren. Es wäre mir peinlich gewesen, inmitten des Publikums das Gesicht in den Händen vergraben zu müssen. Schumann hatte sein Klavierkonzert für Clara komponiert, damit um ihre Liebe geworben. Und so stieg auch in mir, wenn ich dieses Konzert hörte, die Sehnsucht nach einer großen, unwiderstehlichen Liebe auf.

Eine Welt ohne Musik wäre für mich ein Gespenst. Ich könnte auch mit Nietzsche sagen: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum!“ Musik ist Liebe, Gefühl, Sehnsucht. Sie ist eine Zauberin, die alles unmittelbar ausdrücken kann. Ja, auch die Verzweiflung, in die ich nach einem Sportunfall zunächst fiel. Ich war gerade zweiundzwanzig, besuchte das Franz Liszt Konservatorium in Weimar. Ich saß nicht nur am Klavier, spielte auch Tennis. Und da passierte es. Ich wollte einen hohen, über mich hinweg fliegenden Ball noch erreichen, lief rückwärts, kam ins Stolpern, stürzte auf mein linkes Handgelenk, das danach gebrochen war. Eigentlich nicht besonders schlimm, aber für mich fatal. Nachdem der Bruch ausgeheilt war, hatte das Handgelenk seine ursprüngliche Geschmeidigkeit verloren, die Karriere als Pianist, von der ich geträumt hatte, war beendet, bevor sie begonnen hatte. Keine Virtuosität mehr. Es reichte nur noch zu einem mittelmäßigen Spiel.

Ich hatte damals meine erste Freundin, Nadja Adelsmann, eine Tochter aus gutem Hause, mit der ich im kleinen Kreis Kammerkonzerte gab. Sie an der Violine, ich als Begleitung am Klavier. Die gemeinsamen Konzerte waren vorbei. Für mich jedenfalls, nicht für Nadja. Sie fand eine neue Begleitung. Zuerst nur für die Konzerte, dann für mehr. Es gab mir jedes Mal einen Stich, wenn ich die Beiden sah oder traf. Die Erinnerung an vergangene schöne Stunden schmerzte. Meine bis dahin so wunderbar harmonische Welt lag in Scherben.

Ich brach das Studium am Konservatorium ab, kehrte in meine Heimatstadt Bonn zurück, begann meinen Lebensunterhalt mit Klavierstunden zu verdienen. Der Umzug von Weimar nach Bonn war rasch erledigt. Ich hatte möbliert gewohnt, nahm nicht viel mit. Ein paar Bücher, das Klavier. Bei einem großformatigen, gerahmten Foto überlegte ich eine Weile, ob es mitkommen sollte. Es zeigte einen Zweig mit Schlehenblüten. Auf einer der Blüten saß eine Biene. Nadja und ich waren auf Spaziergängen oft an dem Baum vorbeigekommen und irgendwie, was ich mir nicht erklären konnte, liebte ich diese Schlehe. Einmal, auf einem der Spaziergänge, das war Mitte März, blieb ich neben dem Baum stehen, sah Nadja mit gespielt ernster Miene an, sagte: „Nadja, ich muss dir etwas beichten.“

„So was denn?“

„Ich habe neben dir noch eine weitere Beziehung.“

„So? Mit wem denn?“

Ich lächelte, zeigte auf den Baum. „Mit dieser Schlehe.“

Sie schüttelte den Kopf. „Du bist verrückt. Wie kann man zu einem Baum eine Beziehung haben?“

Ich konnte das Foto nicht zurücklassen, nahm es mit. Was konnte die Schlehe dafür, dass mir Nadja entglitten war?

2

Ich fand eine bescheidene Wohnung in der Bonner Südstadt. Mein Vermieter und zugleich Hauseigentümer erlaubte mir, unten neben dem Eingang ein Messingschild anzubringen: ‚Milan Dragovic – Klavierlehrer‘.

Meinem Vornamen ‚Milan‘, er bedeutet ‚der Liebe‘, hatte ich schon als Kind keine Ehre gemacht und den Eltern viel Kummer bereitet. Schon mit fünf Jahren riss ich das erste Mal von zu Hause aus, wanderte den Rhein entlang von Bonn nach Köln, bis mich nach zwei Tagen die Polizei aufgriff und mich freundlicherweise zurückbrachte.

„Warum hast du das gemacht?“ wollte man wissen. In meiner Schlichtheit gab ich den Grund an. Der Vater hatte mich an einem Sonntag mit in die Heilige Messe genommen und mir waren die Worte des Priesters ins Herz gefahren: „Geht und sucht den Gottesgeist!“ Und so antwortete ich auf die Frage nur: „Ich wollte den Gottesgeist finden.“

Auch sonst bereitete ich den Eltern mehr Kummer als Freude. Ich blieb auf dem Gymnasium zweimal sitzen, beteiligte mich nachts an Graffiti-Aktionen, wurde erwischt, worauf der Vater, da wir nicht reich waren, Hauswände selber bereinigen musste. Ich weigerte mich, mitzuhelfen, da ich meine gesprühten Sprüche durchaus sinnvoll fand. „Nieder mit der Helmpflicht!“ und „Befreit die Affen aus dem Zoo!“ Mir taten die Tiere leid, die in Käfigen herumturnen mussten und die Helmpflicht ging mir auch auf den Geist. Als Jugendlicher fuhr ich auf meinem Moped lieber ohne Helm, wollte Sonne und Wind spüren und mir nicht den Kopf einschließen lassen. Stand eine Ampel auf Rot, sah ich das als Empfehlung, sah mich vorsichtig um und fuhr. Ein Großteil meines Taschengeldes ging für Bußgelder drauf.

Die Eltern bezweifelten, ob aus mir jemals ein anständiger Bürger werden konnte und hatten meinen schönen Vornamen wahrscheinlich schon mehrfach bereut.

Dass aus mir nichts geworden war, schien sich nun zu bestätigen. Mit Klavierstunden das Leben zu fristen, war mühsam. Die meisten Schüler kamen, weil es deren Eltern so gewollt hatten. Dem entsprechend war auch die Freude, die Lust, den Tasten Klänge zu entlocken. Da war keine Leidenschaft für die Musik, keine Bereitschaft zu üben. Und oft gab es auch kein Talent. Kam aber mal jemand, der die Liebe zur Musik von Herzen empfand, so sah ich bei den Stunden nicht auf die Uhr.

Um selbst in höheren Sphären der Musik verweilen zu können, verlegte ich mich aufs Komponieren, schrieb Balladen, Sonaten, Etüden. Aber wer wollte das haben, hören? Von den Musikverlagen kamen nur Absagen.

„Wir bedanken uns für Ihr Vertrauen, müssen Ihnen aber leider mitteilen, dass wir für Ihre Komposition keinen Platz in unserem Programm haben.“

Wahrscheinlich hatten sie die Noten auf dem Papier noch nicht einmal in Hörbares verwandelt, sondern nur auf den Namen des Absenders geachtet. Dragovic? Wer ist das? Kennen wir nicht. Weg damit. Wäre ich ein Nachkomme Robert Schumanns, hätte die Sache wahrscheinlich anders ausgesehen. Oder einer Chopins. Da wären sie bestimmt drauf angesprungen. „Das muss was sein. Wer solche Vorfahren hat!“

Meine Vorfahren stammten indes nicht aus dem Kreis der Musik. Es sei denn, man will das Rauschen einer Mühle als Musik bezeichnen, was es in einem gewissen Sinne auch ist. Die Dragovics waren Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem heutigen Serbien ausgewandert, waren Müller in einem Tal der Lahn gewesen, dort, wo der Schweizer Bach ein paar Kilometer vor Bad Ems durch eine enge Schlucht stürzt, um kurz vor der Mündung in die Lahn etwas ruhiger zu werden und ein Mühlrad betreiben zu können. Mein Großvater hatte die Mühle noch eine Zeit lang aus Nostalgie betrieben. Mag sein, dass es das Rauschen des Mühlrads war, das seine Frau dazu verleitete, ein Piano anzuschaffen. Aber sie war nicht besonders musikalisch wie überhaupt die gesamte Familie. Der musikalische Quantensprung war ich. Da ich die Großeltern gerne besuchte und mich oft dort aufhielt, wurde ich auch bald mit dem Klavier vertraut und sie erkannten bei mir ein besonderes Talent.

„Der Junge spielt ja wie Mozart“, sagte die Großmutter. „Das wird was!“

Aber das wurde nichts. Auch nicht mit dem Komponieren. Nach der dreißigsten Absage eines Verlags war ich entmutigt. Für wen schrieb ich meine Stücke? Für die Schublade. Es war schade um das Papier.

Bei meinem dreißigsten Geburtstag war ich immer noch Klavierlehrer. Würde sich das ändern? Kaum. Mein Leben plätscherte so dahin. Ich hatte einen kleinen Freundeskreis, war dem Tennis treu geblieben, machte im Verein in der Mannschaft auch die Medenspiele mit, spielte hinreichend gut, vor allem das Netzspiel, da ich groß und schlank war, war meine Stärke. Ich nahm an regionalen Turnieren teil, kam oft bis ins Halbfinale, gewann manchmal auch einen Pokal. In der Weltrangliste aber war ich noch nicht einmal unter den ersten Tausend.

Weite, abenteuerliche Reisen konnte ich aus Geldmangel nicht unternehmen. Einmal im Leben um die Welt zu fliegen oder mit dem Motorrad Südostasien zu erkunden, blieb ein Traum. Die Wanderwege der Umgebung waren abgeklappert, reizten nicht mehr. Am Rhein auf die Schiffe zu starren, war auch nicht mein Ding. Eine richtig feste Freundin hatte ich nicht, war einfach noch nicht hingerissen von der Liebe. Ein paar Affären. Die ja. Aber von Dauer war es nie. Irgendwie, aus irgendeinem Grund konnte ich mich nicht zu einer Bindung entschließen. Entschließen? Kann man sich dazu entschließen? Müsste es einen nicht wie ein Tsunami überfallen, so dass nicht der verstandesmäßige Entschluss zählt, sondern das Herz, das gar nicht mehr anders kann?

Zu den Höhepunkten meines Lebens gehörten die Sonntagskonzerte in der Kölner Philharmonie. Hierfür hatte ich mir ein Abonnement gekauft. Es riss zwar ein Loch in meine Kasse, aber die Musik in ihrer edlen Gestalt musste sein. Um mir die überteuerten Zugfahrten zu sparen, strampelte ich mit dem Fahrrad nach Köln. Näher wäre die Bonner Beethovenhalle gewesen. Aber die sollte noch bis 2024 renoviert werden.

An einem Sonntag Anfang Januar wollte ich mir trotz einiger Bedenken Schumanns Klavierkonzert in A-Moll anhören. Zu Gast in der Philharmonie war das Sinfonieorchester des SWR mit dem Dirigenten Adil Bashvili. Am Klavier Taryn O‘Brian. Von ihr hatte ich noch nie etwas gehört. Aber wer beim SWR unter Bashvili als Pianistin an den Tasten sitzen durfte, musste schon über eine besondere Virtuosität verfügen. Ich machte mir da noch keine Gedanken über sie, forschte auch nicht auf einer Website nach, die sie gewiss haben würde. Bashvili dagegen war mir bekannt. Er war der Star unter den Dirigenten und manchmal auch das eigenwillige Enfant terrible der Musikszene.

Bei strahlendem Sonnenschein radelte ich an diesem Sonntag den Rhein entlang.

3

Nur ein paar Minuten, bevor das Konzert begann, nahm ich in der ersten Reihe, die ich mir trotz meines knappen Budgets geleistet hatte, Platz. Gegenwind hatte mein Tempo verzögert. Ich kam gerade noch rechtzeitig. Das Orchester war schon auf dem Podium und stimmte ein letztes Mal die Instrumente. Kaum hatte ich mich gesetzt, erschien die Pianistin, hinter ihr der Dirigent. Taryn O‘Brian ging zu ihrem Klavier, verbeugte sich, ehe sie den Klavierstuhl zurechtrückte und sich setzte, vor dem Publikum. Ich schätzte sie auf etwa dreißig Jahre. Sie trug ein langes, geschlossenes, weißes Kleid, wahrscheinlich war es aus Seide. Im Licht der Scheinwerfer schimmerte die Silhouette ihres Körpers wie ein Schatten hindurch und schuf einen reizvollen Gegensatz zu einer auf den ersten Blick scheinbaren Geschlossenheit.