Führen mit flexiblen Zielen - Niels Pfläging - E-Book

Führen mit flexiblen Zielen E-Book

Niels Pfläging

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Beschreibung

Traditionelle Unternehmensführung mit starrem Controlling und strikten Budgetvorgaben hat ausgedient. Mit diesem revolutionären Ansatz rüttelt Niels Pfläging die Managementwelt aus ihrem Dornröschenschlaf. In der neuen Ausgabe seines Buches untersucht er in einem extra Kapitel, ob, wie und warum Unternehmen, die mit flexiblen Zielen arbeiten, besser durch die Krise gekommen sind als andere. Die vollständig aktualisierte Ausgabe ist Pflichtlektüre für Vorstände und Topmanager, Change Manager, Controller, Personalmanager und Berater.

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Niels Pfläging

Führen mit flexiblen Zielen

Praxisbuch für mehr Erfolg im Wettbewerb

www.campus.de

Information zum Buch

Traditionelle Unternehmensführung mit starrem Controlling und strikten Budgetvorgaben hat ausgedient. Mit diesem revolutionären Ansatz rüttelt Niels Pfläging die Managementwelt aus ihrem Dornröschenschlaf. In der neuen Ausgabe seines Buches untersucht er in einem extra Kapitel, ob, wie und warum Unternehmen, die mit flexiblen Zielen arbeiten, besser durch die Krise gekommen sind als andere. Die vollständig aktualisierte Ausgabe ist Pflichtlektüre für Vorstände und Topmanager, Change Manager, Controller, Personalmanager und Berater.

Informationen zum Autor

"Niels Pfläging ist leidenschaftlicher Fürsprecher einer neuen, zeitgemäßen Führung. Pfläging ist Berater, Business Speaker und Autor mit Wohnsitz in São Paulo, New York und Wiesbaden. Er machte sich als engagierter und kompetenter Business-Vordenker, der keine Konfrontationen scheut, einen Namen. Niels Pfläging ist Mitbegründer und Associate des BetaCodex Network (www.betacodex.org), einer internationalen Open-Source-Gemeinschaft. Von 2002 bis 2008 war er Direktor des renommierten Beyond Budgeting Round Table BBRT, der Vorläuferorganisation des BetaCodex Network. Pfläging ist gefragter Referent auf internationalen Kongressen zum Thema Unternehmensführung. Als Ratgeber und Advisor unterstützt er Manager und  Organisationen aller Art bei der Transformation. Für Führen mit flexiblen Zielen, das nun in zweiter Auflage vorliegt, wurde er mit dem Wirtschaftsbuchpreis von Financial Times Deutschland und getAbstract ausgezeichnet. Von Niels Pfläging erschien im Campus Verlag außerdem Die 12 neuen Gesetze der Führung. Der Kodex: Warum Management verzichtbar ist. Mehr Infos: www.nielspflaeging.com "

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2011 Campus Verlag, Frankfurt am Main

Umschlaggestaltung: Hißmann, Heilmann, Hamburg

ISBN der Printausgabe: 978-3 -593-38823-6

E-Book ISBN: 978-3-593-41097-5

www.campus.de

|9|Vorwort zur 2. Auflage

Haben Sie in den letzten paar Jahren eine Schreibmaschine benutzt? Ihre Antwort wird vermutlich lauten: Selbstverständlich nicht! Oder vielleicht: Ich habe in einem sentimentalen Moment tatsächlich mal eine aus dem Schrank genommen, den Staub abgewischt und sie gestreichelt – aber natürlich habe ich keine Texte damit verfasst!

Klar. Wir bedienen uns heute ganz anderer Technologien, um zu schreiben. Das ist ganz natürlich so. Und diese Technologien können mehr. Sogar viel mehr. Oder haben Sie mal versucht, eine App auf eine Schreibmaschine zu laden?

Genauso sollte das mit fixierten Zielen und dem Management by Objectives sein. Es gehört dahin, wo heute die Schreibmaschinen stehen. Es ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Eine Technologie, die ihren Heyday hatte, deren Zeit aber abgelaufen ist. Das wäre ganz natürlich. Die meisten von uns machen aber einen gravierenden Fehler: Sie hantieren weiterhin mit dieser Art der Führung herum. Sie haben die Vorstellung von der Vorhersehbarkeit im Business, von der Jahresplanung, den Zielvorgaben, der Leistungsbeurteilung anhand verhandelter Ziele noch nicht ins Museum gegeben oder auf den Speicher gestellt. Viele von uns bedienen sich dieser Managementmethoden noch immer. Tagtäglich. Ständig. Mit schlimmen Konsequenzen für Unternehmenserfolg, Leistung und menschliches Wohlergehen im Arbeitsalltag.

Nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung dieses Buchs im Herbst 2006 wurde es mit dem Wirtschaftsbuchpreis von Financial Times Deutschland und getAbstract ausgezeichnet. Für mich eine wunderbare Überraschung und Anerkennung. Das Thema hatte offenbar einen Nerv getroffen: Nach Jahrzehnten der Kultur des Mehr- und Weitermachens im Management ist inzwischen vielleicht die Zeit gekommen, nicht das Alte immer weiter verbessern zu wollen, sondern das, was sichtbar nicht mehr taugt, über Bord zu werfen. Und sich auf Führung für dieses Jahrhundert einzulassen. Sich auf das zu konzentrieren, was wirklich funktioniert. Davon handelt Führen mit flexiblen Zielen.

|10|Inzwischen sind mehr als vier Jahre ins Land gezogen. Das gibt mir Gelegenheit, für die Neuauflage des Buchs nicht nur allerlei Zahlen, Daten und Fakten zu aktualisieren, sondern zugleich einige neuere Erfahrungen im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise von 2008/2009 einfließen zu lassen. Vor allem dazu, wie sich die in Führen mit flexiblen Zielen beschriebenen Pionierunternehmen der neuen Führung in der Krise geschlagen haben.

Aber auch frische Erkenntnisse aus meiner Vortrags- und Beratungsarbeit der letzten Jahre wollte ich berücksichtigen. Insbesondere darüber, was wir Neues über Veränderung und Unternehmenstransformation beim Übergang von fixierten zu flexiblen Zielen gelernt haben. Diese Aspekte finden sich vor allem im neuen, zwölften Kapitel des Buchs, das den Titel trägt »Gemeinsam erste Schritte in die Beta-Welt gehen«. Bestandteil des Kapitels ist auch ein zusätzliches Fallbeispiel. Es handelt von einem der aufsehenerregendsten Unternehmen der letzten Jahre, das durchdrungen ist von zeitgemäßer Führungskultur: Zappos.com.

Als besonderes Extra habe ich die Abbildungen des Buchs klarer gestaltet und etliche neue hinzugefügt. Nicht nur das: Sie können die Abbildungen auch im PowerPoint-Format von meiner Website herunterladen und in Ihrer Arbeit frei verwenden. Sie finden die Datei unter www.nielspflaeging.com.

Ich wünsche ihnen viel Spaß beim Lesen und natürlich mehr Erfolg im Wettbewerb mit Führen mit flexiblen Zielen!

São Paulo/New York/Wiesbaden, im Juli 2011

Niels Pfläging

|11|Prolog: Management mit Zielen? Glorreich gescheitert!

»Alles ist relativ.«

Albert Einstein

Das Ziel ist nicht der Weg.

Immer mehr Führungskräfte ahnen, dass etwas nicht stimmt mit den üblichen Zielvereinbarungen in ihrem Unternehmen. Natürlich, Mitarbeiter brauchen Ziele – kaum eine Führungskraft zweifelt daran. Trotzdem scheint es in der Praxis nicht richtig zu funktionieren. Woran liegt das? Werden die Ziele vielleicht falsch gewählt? Werden sie im Einzelfall zu hoch oder zu niedrig oder vielleicht sogar grundsätzlich falsch angesetzt?

Dem heute allgemein üblichen Modell des Leistungsmanagements liegt folgendes Versprechen zugrunde: »Liebe Mitarbeiter, wir setzen euch ein klares Ziel. Wenn ihr es erreicht, gibt es eine Belohnung, wenn nicht, eine Bestrafung.«

Das klingt einfach, logisch und zwangsläufig richtig, oder? Warum aber sinkt die Motivation der Mitarbeiter trotzdem stetig, wenn doch dieses Management by Objectives, das Führen mit Zielen, der einzig praktikable Weg zum Erfolg sein soll? Warum bleiben Produktivität und Leistung trotzdem so oft hinter den Erwartungen zurück? Warum gelingt es nicht im erwünschten Maß, Kunden zu Fans zu machen? Und Mitarbeiter zu Helden, die ihren Talenten freien Lauf lassen können? Als Manager muss man heute ja beinahe froh sein, wenn die Mitarbeiter nicht heimlich das Unternehmen sabotieren. Welches sind die Ursachen dafür?

Wirtschaft und Gesellschaft haben sich verändert, die Managementmethoden und Prinzipien, nach denen wir führen und steuern, sind aber die gleichen geblieben. Zielvereinbarungen, vorfixierte Ziele, individuelle Mitarbeiterbewertungen, sogenannte leistungsorientierte Vergütung, Budgets, Plan-Ist-Vergleiche und Mikromanagement von der Unternehmensspitze her – alles gut etablierte Standards. Aber ist das alles heute noch zeitgemäß? Und wenn nicht, wie kann man sich auf die veränderten Umstände einstellen und es besser machen?

|12|In Literatur und Praxis werden die traditionellen Praktiken durchaus kritisiert. Dass man mit dem üblichen Management mit Zielen nicht weiterkommt, dringt auch im deutschsprachigen Raum spätestens seit dem Erfolg »aufgeklärter« Managementautoren wie Sprenger ins Bewusstsein. Doch was nun? Viele Führungskräfte hören allerlei gute Ratschläge und lesen so manches Buch über besseres Management. Aber wie sollen sie die Erkenntnisse daraus in die Praxis umsetzen? Klar ist: Wir brauchen ein neues Verständnis von Motivation, Leistung und Verantwortung. Doch wie kann das aussehen?

Auch wohlmeinende Manager – unzufrieden mit den derzeitigen Methoden – fragen sich, mit welchen Mitteln sie eine neue Verantwortungskultur gestalten können. Die Alternativen scheinen zu vage und nur für wenige Exoten realisierbar zu sein – ein vorschnelles Urteil? Zweifellos gibt es gangbare Wege jenseits des Etablierten. Nur: An welchen der zahlreichen Unternehmen, die »es anders machen«, sollte man sich orientieren?

Unternehmen, die auf fixierte Ziele, individuelle Leistungsbewertungen, Jahresplanung, Budgets, Anreizsysteme und viele andere abgenutzte Rituale verzichten, werden auf lange Sicht erfolgreicher sein als andere. Dennoch soll es hier nicht nur darum gehen, die konventionellen Managementmethoden über den Haufen zu werfen. Dieses Buch wird Ihnen echte, bewährte Alternativen aufzeigen. Es erzählt Geschichten von Pionieren, die ein anderen Steuerungsmodells gewählt haben. Es erklärt, was heute statt Weisung und Kontrolle, Macht per Organigramm, starren Zielvorgaben, leistungsorientierter Bezahlung und Plan-Ist-Vergleichen funktionieren kann. Funktionieren muss.

Als Lösung bieten sich gar nicht so neue, sondern viele seit Langem erprobte Techniken der Zielverfolgung, der Vergütung, der Arbeitsvorbereitung, der Leistungsmessung und -steuerung sowie der Entscheidungsfindung der Organisation an. Vor allem aber ist wichtig: Im Unternehmen der Zukunft wird es viel mehr Führung geben statt immer mehr Management. Ein zukunftsfähiges Unternehmen richtet sein Augenmerk und seine Energie nicht mehr nur nach innen – also auf Pläne, Politik, Verhandlung und interne Leistungsdemonstration –, sondern verstärkt nach außen, auf Markt, Wettbewerb und Kunden. Dieses Buch zeigt Ihnen, wie Sie als Führungskraft Ihr Unternehmen oder Ihren Einflussbereich durch relative Ziele und relative Leistungsverträge dauerhaft erfolgreicher führen können. Mit Führung, die angemessen ist für dieses Jahrhundert.

|13|Neu denken statt nur Tools verwenden

Die Konzepte, Thesen und ein großer Teil der Fallbeispiele dieses Buches sind Ergebnisse der Arbeit zweier Forschungs- und Implementierungsnetzwerke: des BetaCodex Network und des Beyond Budgeting Round Table (BBRT). Der Beta-Kodex, den wir früher Beyond-Budgeting-Modell nannten, ist seit der Jahrtausendwende eines der Trendthemen im Bereich Business und Management. Daraus ist eine internationale Bewegung entstanden, inspiriert und getragen von den zwei internationalen Mitgliederorganisationen. 1998 gegründet, machte es sich der BBRT als Forschungsgemeinschaft zur Aufgabe, ein Managementmodell zu verbreiten und weiterzuentwickeln, das Organisationen unter den komplexen und dynamischen Bedingungen des 21. Jahrhunderts dauerhaft im Wettbewerb erfolgreich machen sollte. Die erste Frage, die sich der BBRT stellte, war, ob und wie Unternehmensführung ohne Budgets, Budgetverhandlungen, Plan-Ist-Kontrollen und fixierte Ziele funktionieren könnte. Schnell wurde klar: Nicht die Planungspraxis und die Budgets sind das eigentliche Problem, sondern die Werte und Einstellungen innerhalb der Organisationen, die auf einer Kultur der Weisung und Kontrolle beruhen.

Unser Denken ist tatsächlich in vieler Hinsicht auf Weisung und Kontrolle ausgerichtet. Wir stellen uns Organisationen als Top-down-Hierarchien vor. Wir halten das Treffen und das Umsetzen von Entscheidungen getrennt: Personell. Zeitlich. Hierarchisch. Mit oft katastrophalen Folgen. Wir bringen Managern bei, dass es ihr Job ist, Mitarbeiter, Teams und Budgets zu »managen«, und erwarten von ihnen Entscheidungen, die auf Kostenvorgaben, Plänen, Kennziffern, Standards, Zielen und Regeln beruhen. Das lässt sich aber immer weniger mit den Märkten vereinbaren, in denen wir unterwegs sind, und mit den Menschen, die unsere Organisationen mit Leben erfüllen.

Die Probleme heutiger Organisationen können nicht mit demselben Denken gelöst werden, das sie einst hervorgebracht hat. Das zu versuchen – und Organisationen tun das seit Jahrzehnten – bedeutet letztlich, die »falschen« Dinge besser machen zu wollen. Produktiver wäre es, erst einmal zu definieren, welches die »richtigen« Dinge sind, also das Übel an der Wurzel zu packen statt lediglich Symptome zu behandeln. Wer diesen Weg beschreiten will, muss eine Reihe fundamentaler Überzeugungen hinterfragen und überwinden.

In Unternehmen – oder genereller formuliert in Organisationen aller Art – handeln die meisten Menschen innerhalb des klassischen Denkmodells von Weisung und Kontrolle. Dieser traditionelle Ansatz ist in Wirtschaftsunternehmen, aber auch in öffentlichen Organisationen, Krankenhäusern und |14|Not-for-Profits allgegenwärtig, er erscheint den meisten Managern selbstverständlich. Die Logik dahinter: Weil Führende in einer Organisation ihren Mitarbeitern oder Kollegen nicht vertrauen wollen oder können, müssen sie ganz einfach absichernde Steuerungssysteme einrichten. Dazu gehören unter anderem Budgetkontrolle, Zielvereinbarungen, Mitarbeiterbeurteilungen, Organigramme, Richtlinien und Policies, Stabsstellen, Kontrollsysteme, Vorschlagswesen sowie Mitarbeiterbefragungen. Das alles sind seit 50 bis 100 Jahren vertraute Instrumente des Managements. Darum fällt es oft schwer, die enorme Verschwendung von Talent, Zeit und Geld zu erkennen, die diese Praxis verursacht. Die meisten Betroffenen reagieren mit einem Achselzucken: »Es ist nun mal so.«

Fakt ist: Persönliche Führung wird, wenn man diese Instrumente einsetzt, nach und nach durch hierarchische Steuerung und bürokratische Kontrolle ersetzt. Gegenseitiges Vertrauen, Selbstverantwortung, Mitarbeiterengagement und freiwillige Leistungsbereitschaft bleiben auf der Strecke.

Nur wer es schafft, den fortschreitenden Verlust unternehmerischer Kultur infrage zu stellen und schlüssige, robuste Alternativen für die Unternehmensführung zu suchen – der kann Pionierleistungen innerhalb eines neuen Führungsmodells vollbringen. Jenseits von Weisung und Kontrolle.

Die Pioniere

In den letzten 12 Jahren sind wir durch die Arbeit der Beta-Kodex-Community auf eine ganze Reihe von Pionieren eines neuen Führungsmodells gestoßen. So unterschiedlich diese Organisationen auch sind – sie alle arbeiten nach den gleichen Prinzipien. Sie haben eine klare Philosophie und Vision entwickelt, die sie durch eine revolutionäre Veränderung führte oder aber einer zunehmenden »Bürokratisierung« und funktionalen Ausdifferenzierung widerstehen ließ. 13 dieser Fallbeispiele werden in diesem Buch ausführlich zur Sprache kommen – darunter bekannte, aber auch einige weniger bekannte Namen:

AES – Der amerikanische Energiekonzern (»The Global Power Company«): hat seit seiner Gründung 1981 alle Regeln der Branche gebrochen und die Arbeitsweise in seiner Industrie revolutioniert. Die Manager haben ihre Kontrolle zugunsten einer werteorientierten, radikal dezentralisierten Führung aufgegeben.

Ahlsell – Der schwedische Baumarktbetreiber, der seit den frühen 1990er-Jahren in einem stagnierenden Markt kräftig gewachsen ist, arbeitet |15|hochgradig rentabel und ist führend in seinen Geschäftsfeldern – dank radikaler Neuverteilung von Entscheidung und Verantwortung.

Aldi – Das größte deutsche Handelsunternehmen mit starker internationaler Expansion vereint größten wirtschaftlichen Erfolg mit einer bemerkenswerten Organisationsphilosophie. Wo andere Discounter ihre Mitarbeiter bespitzeln und ausbeuten, handelt es nach Prinzipien der Einfachheit und Fairness. Außerdem revolutionierte es gleichsam nebenbei deutsche und europäische Konsumgepflogenheiten und -kultur.

Dell – Der amerikanische Computerhersteller, den man auch als »Toyota der Elektronikindustrie« bezeichnen könnte, schreibt seit den 1980er-Jahren in einer schwierigen Branche schwarze Zahlen und verzeichnet ausgezeichnete Gewinne. Hoch effektive Logistik- und Produktionsprozesse haben Dell legendär gemacht.

dm-drogerie markt – Die zweitgrößte deutsche Drogeriemarktkette ist gleichzeitig Deutschlands effizienteste und beste. Das Unternehmen wird nach humanistischen und anthroposophischen Werten geführt. Sein Gründer Götz Werner wurde 2008 als »Unternehmer des Jahres« ausgezeichnet, heute steht er als Zugpferd der Bewegung »Bedingungsloses Grundeinkommen« auch außerhalb von dm für gesellschaftliche Modernisierung ein.

Egon Zehnder International – Das schweizerische Executive-Search-Unternehmen ist der Porsche unter den Personaldienstleistern. Zusammenarbeit und bedingungslose Kundenorientierung haben Zehnder zum effizientesten und angesehensten Wettbewerber in diesem hoch zyklischen Markt gemacht.

Guardian Industries – Der amerikanische Flachglas- und Spiegelhersteller ist seit den 1960er-Jahren kräftig auf allen Kontinenten gewachsen und hat sich konsequent einer bürokratiefreien und empowernden Führungskultur, dezentraler Entscheidung und »Spaß« verschrieben.

Handelsbanken – Die schwedische Universalbank ist seit 30 Jahren in fast jeder Hinsicht einer der weltweit erfolgreichsten Finanzdienstleister. Durchgängig. Und bricht dabei alle Regeln ihrer Branche. Auch in der Bankenkrise von 2008/2009 stach Handelsbanken durch den Verzicht auf jede Form von Staatshilfe und gute Zahlen hervor. Inzwischen ist die Bank nicht mehr nur in Skandinavien, sondern auch in England und Deutschland auf Expansionskurs.

Semco – Das brasilianische Dienstleistungs- und Technologieunternehmen hat den Ruf, »die demokratischste Firma der Welt« zu sein. Seit 30 Jahren pflegt das Unternehmen eine Kultur, in der die Führungskräfte alle Macht und Kontrolle aufgegeben haben – und ist damit überaus erfolgreich.

|16|Southwest Airlines – Die amerikanische Airline verhalf dem »Low-Price-Low-Cost«-Geschäftsmodell in der Flugindustrie zum Durchbruch. Sie gilt als beste und effizienteste Airline der Welt und entfacht Leidenschaft bei Mitarbeitern, Kunden und Aktionären. Inzwischen ist sie – gemessen an Passagierzahlen – die zweitgrößte Fluggesellschaft der Welt.

Toyota – Der japanische Automobilkonzern: Seine außerordentlichen Methoden machten Toyota zum größten und rentabelsten Automobilhersteller und zu einem der bestangesehenen Industrieunternehmen. Toyotas Produktionsmodell TPS und dessen Effizienz sind legendär. Das Unternehmen hat Managementmethoden und -forschung seit den 1970er-Jahren geprägt wie kein anderes. Das Jahr 2009 allerdings bescherte Toyota umfangreiche Rückrufaktionen und Turbulenzen rund um Qualität und Managerverhalten. Inzwischen belegen Studien und offizielle Untersuchungsberichte aber, dass hauptsächlich das Fahrerhalten und nicht etwa Produktionsfehler die Gründe für die Probleme waren. Michael A. Cusumano, Professor an der Sloan School of Management des Massachusetts Institute of Technology (MIT), resümierte das Ganze Anfang 2010 so: »Unserem Wissen nach ist Toyota weiterhin der beste Hersteller der Welt, was Produktionsmanagement angeht.«

W. L. Gore & Associates – Das Industrieunternehmen aus den USA gilt als eines der innovationsstärksten weltweit und hat nachweislich die zufriedensten Mitarbeiter. Kleine, empowerte Teams entwickelten spektakuläre Produkte (darunter Gore-Tex) und erwirtschaften exzellente Erträge.

Zappos – Der amerikanische Internethändler hat sich in den letzten Jahren zu einem der meistkommentierten, aufsehenerregendsten Unternehmen weltweit entwickelt. Bislang vor allem durch den Handel mit Schuhen berühmt, treibt Zappos nun auch seinen Haute-Couture-Bereich voran und besticht dabei durch unschlagbare Kundenorientierung – aber auch durch sein radikales, aufregendes Führungssystem.

Obwohl sich diese 13 Unternehmen stark voneinander unterscheiden – historisch bedingt, branchenbedingt und kulturell –, haben sie doch viel gemeinsam: Jedes einzelne verkörpert auf seine Weise Führung nach neuen Prinzipien – und damit das hochgradig anpassungsfähige Modell für Führung mit relativen Zielen und Leistungsverträgen jenseits von Weisung und Kontrolle.

Übrigens: Sechs der Beispielunternehmen stammen aus den USA, vier aus Mittel- und Nordeuropa, eines aus Asien und eines aus Südamerika. Auch interessant: Sechs der Pioniere befinden sich weitgehend oder ausschließlich in Privatbesitz oder in Händen der aktiven Mitarbeiter. Die anderen sieben |17|werden an Aktienmärkten gehandelt oder haben Investmentfonds als Mehrheitsaktionäre.

Diese wilden 13 sind jedoch bei Weitem nicht die einzigen Fallbeispiele für radikal neue Führung, die wir seit den späten 1990er-Jahren kennengelernt und erforscht haben. Wir sind auf weitere aufregende, in Sachen Führung und Organisation hoch innovative Unternehmen gestoßen. Da wäre beispielsweise Google zu nennen, das erst 1998 gegründete amerikanische Technologieunternehmen mit heute 80 Milliarden US-Dollar Marktkapitalisierung und inzwischen 20000 Mitarbeitern. Andere nennenswerte Beispiele sind Handelsunternehmen wie Ikea, Whole Foods Market und United Supermarkets. Industrieunternehmen wie Trisa, Favi, Nucor, Johnsonville, Hermann Miller, Mondragon und Irizar. Dienstleister wie Hengeler Mueller, Schindlerhof, Resource Informatik, Flight Center, DaVita, HCL und Promon. Und es gibt noch mehr – diese kleine Liste ist keinesfalls abschließend. Einige herausragende Aspekte der Führungsmodelle bei diesen Pionieren werden ebenfalls noch im Buch erwähnt.

Nicht zufällig zählen all diese Unternehmen zu den sogenannten »Ausnahmeunternehmen«, die sogar in ihren jeweiligen Märkten als Exoten und Regelbrecher gelten oder galten. Zu oft wurden diese Unternehmen als Paradiesvögel betrachtet – zu Unrecht, wie wir später sehen werden. In meinen Augen sind Pioniere niemals Paradiesvögel, sondern schlicht Vorreiter. Denn diese Unternehmen beweisen – jedes einzelne für sich –, dass Organisationen neuen Typs keine Utopie sind. Ich bin davon überzeugt, dass die Vision, die sie lebendig werden lassen, relevant ist für alle Unternehmen. Egal welcher Größe, welchen Alters, welcher Branche, welcher Herkunft.

Was Sie erwartet

Dieses Buch ist ein Buch für Unzufriedene. Und insbesondere für diejenigen, die sich mit dieser Unzufriedenheit nicht mehr abfinden wollen. Es richtet sich an alle Manager und Menschen, die mit Zielen arbeiten und sich dafür interessieren, wie Leistung und Erfolg wirklich entstehen. Besonders wertvoll ist das Buch für alle, die Führungsverantwortung tragen und Steuerungs- und Zielsysteme gestalten, also für Vorstände und Manager in oberen Führungspositionen, für Change-Manager, Controller, Personaler und Berater. Denn diese Führungskräfte hatten bislang den eigentlich spürbar gescheiterten, gängigen Formen des Management by Objectives wenig Konkretes entgegenzusetzen.

|18|Die Größe einer Organisation spielt übrigens keine Rolle, wenn der hier vorgestellte Ansatz umgesetzt wird. Bei der neuen, zeitgemäßen Führung, bei relativen Leistungsverträgen und relativen Zielen geht es vielmehr um einen dauerhaft produktiven Umgang mit Zielen und Leistung. Dieses Ziel zu erreichen ist in kleineren, mittleren und großen Unternehmen gleichermaßen eine Herausforderung.

Führen mit flexiblen Zielen soll Ihnen beim Aufräumen helfen – Abolitionismus, also die Abschaffung von längst Überholtem – ist ein großes Thema in der neuen, der sogenannten Beta-Führung, der »Führung im Zeitalter der Komplexität«, wie wir sie später genauer vorstellen (siehe Seite 38). Das hat nichts mit Provokation oder Radikalität zu tun. Sondern mit Konsequenz. Denn ohne einen herzhaften Frühjahrsputz wird der Aufbruch nicht gelingen. Bei der Führung am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert geht es auch um den längst überfälligen Abschied von vielen Mythen, obsoleten Techniken und Praktiken. Das bedeutet: Wir müssen aufräumen mit dem fehlgeschlagenen Versuch des Management by Objectives, wie es in den letzten Jahrzehnten praktiziert wurde. Und uns von einigen lieb gewonnenen, aber unter den heutigen Bedingungen fundamental falschen Praktiken verabschieden. Es gehört eben auch kreative Zerstörung dazu, wenn wir die Leistungsorientierung und Leistungsfähigkeit von Organisationen neu begründen wollen. Ohne Zerstörung gibt es keine substanzielle Erneuerung. Mit dem gewohnten Verbessern, Hinzufügen und Optimieren allein kommen Unternehmen künftig nicht mehr weiter.

Es hilft nichts, die ewig gleichen Tugenden guter Führungskräfte und Manager herunterzubeten. Denn nicht Manager oder Mitarbeiter haben versagt, problematisch ist vielmehr das System. Manager und Organisationen aller Art arbeiten heute intern und nach außen mit Leistungsvorgaben, Leistungsversprechen und Leistungsverträgen. Damit aber verhindern sie Spitzenleistungen, anstatt sie zu fördern und einzufordern. Mehr noch: Die gängigen Systeme des Leistungsmanagements begünstigen unethisches Handeln, demotivieren die Mitarbeiter und ersticken Leistung und Innovation in Bürokratie. Dieses Buch zeigt auf, was eine neue Sicht von Leistung bewirken kann, wenn sie zu den heutigen Märkten und Menschen passt. Und es zeigt, wie wir dieses Neue umsetzen können. Überall.

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Abbildung 1

Traditionelles Managementmodell – »Weisung und Kontrolle« nach dem Alpha-Kodex: Fixierte Ziele, intensive Planung, Strategie an der Spitze, Operatives an der Basis. Fremdkontrolle. Die Organisation als zentralisierte Hierarchie, gesteuert von oben nach unten.

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Abbildung 2

Das »neue« Organisationsmodell – unternehmerische Führung nach dem Beta-Kodex: Relative Ziele und Herausforderung relativ zum Markt. Verteiltes Denken. Sozialkontrolle und Gruppendruck. Die Organisation als »dezentralisiertes Netzwerk«, geführt von außen nach innen.

|21|Teil 1 Relativ denken

|23|1 Ein Ziel ist mehr als ein Ziel

Leo Berg atmet tief ein. Es ist Herbst, die jährliche Zielvereinbarung steht an. Sein Vorgesetzter eröffnet das Gespräch: »Also, Herr Berg, allzu viel Spielraum haben wir dieses Jahr nicht. Ihr Kollege Greiner sieht in seinem Bereich nicht viele Möglichkeiten, das Ruder im kommenden Jahr herumzureißen. Seine Einschätzung teile ich. Und die Geschäftsleitung macht dieses Jahr ganz gehörig Druck, was die Kosten angeht. Insofern habe ich mir überlegt, ob es nicht besser wäre, wir behalten Ihr Budget von diesem Jahr für das nächste Jahr im Wesentlichen bei …«

Berg berichtet später bei einer Tasse Kaffee seinem Kollegen Olaf Niemeyer aus der Logistik von der Episode: »Das war wie ein Dialog unter Irren. Ich habe natürlich mein Standardlächeln aufgesetzt und gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Meine mühsam ausgearbeiteten Planungsunterlagen und Ideen konnte ich damit ja schon mal vergessen. Sagen musste ich in der Besprechung dann eh kaum etwas. Nach 20 Minuten war der Spuk vorbei. War ich naiv! Ich hatte wirklich nicht erwartet, dass mein Boss gleich zu Beginn der Planungssitzung mit festgelegten Vorgaben in Sachen Umsatz und Kosten kommen würde, die wir dann als Gruppe irgendwie erreichen müssen.«

Niemeyer scheint wenig beeindruckt: »Und jetzt?«

Berg ist noch immer verwirrt: »Verhandlungsspielraum habe ich jedenfalls fast keinen, denn mein Chef hat seine Zahlen ja wiederum von seinem Direktor vorgesetzt bekommen. Ich kann eigentlich nur das Gesamtbudgets meiner Abteilung auf den Kontenplan aufteilen – vielleicht stocke ich mein Reisebudget ein wenig auf, um im nächsten Jahr nicht wieder in Erklärungsnot zu kommen. Oder ich kann versuchen, mit dem Kollegen Schrader ein paar Euro hin und her zu schieben. Meine Erfahrungen mit den Key-Account-Kunden und den Handelsmarketing-Projekten der letzten Jahre spielen jetzt jedenfalls wieder absolut keine Rolle mehr. Wir sind einfach gezwungen, vollkommen am Markt vorbei zu planen.«

Achselzuckend erwidert der Logistiker Niemeyer: »Ist wohl Teil des Spiels, dass die Zielvereinbarungen hier so laufen, oder? Das hat doch schon |24|Tradition bei uns. Wie ich höre, laufen derzeit im Vertrieb genau die gleichen Zahlenspiele ab. Und wir wissen ja, dass das am Ende immer zu überhöhten Lagerbeständen und riesigen Discountaktionen führt. Sie werden sehen: Am Ende des dritten Quartals platzt dann wieder die Bombe …«

Berg wird sich an die Praxis gewöhnen, er wird resignieren. »Zeig mir dein Vergütungssystem und ich zeige dir deine Wertevorstellungen!«, so könnte man schlussfolgern. Oder: »Zeig mir, wie du Mitarbeitergespräche führst, und ich zeige dir dein Menschenbild.« Oder: »Sag mir, wie du planst, und ich sage dir, wie du mit deinen Kunden umgehst.«

Hinter jedem Ziel, jeder Leistungsvorgabe, jeder Vereinbarung über erwartete Leistung steckt eine Philosophie und stecken Werte. Das Problem: Wir versuchen, dem 21. Jahrhundert mit Philosophie und Werten vom Beginn des 20. Jahrhunderts beizukommen.

Taylor und die Folgen

Frederick Winslow Taylor (1856–1915) gilt gemeinhin als Urvater der »wissenschaftlichen Managementstudien« und der Arbeitswissenschaften. In Wirklichkeit war Taylor mehr als das: Es ist nicht übertrieben, ihn als den Erfinder von Management überhaupt zu bezeichnen. Dabei begann seine Tätigkeit als Managementberater eigentlich ganz schlicht: Taylor lief im späten 19. Jahrhundert mit Stoppuhr und Klemmblock durch Fabriken, um die Produktivität von Industriearbeitern zu verbessern. Die Manager bekamen am Ende den Auftrag, selbst die Produktivität zu steigern. Das sollten sie tun, indem sie die Prozesse, mittels deren die Arbeiter ihre Aufgaben erledigten, rationalisierten. In Taylors Welt war Verbesserung auf Zeit und Bewegung ausgerichtet.

Die Arbeiter sollten eine rein ausführende Funktion haben. »Bitte nicht denken!«, bläute Taylor ihnen ein. Denn fürs Denken waren nach seiner Logik fortan Spezialisten zuständig, die etwas von Effizienz und guter Organisation verstanden. Eine neue Kaste denkender, planvoll vorgehender Vorgesetzter sollte die nicht denkende Arbeiterschaft in Schwung bringen und die Produktion in der Industrie dramatisch effizienter machen. Taylor erfand den Manager: Der sollte der arbeitenden Masse das Denken und die Verantwortung abnehmen und darum auch immer mindestens eine Hierarchieebene höher stehen. Hinzu kam: Unternehmen sollten im Dienste der Effizienzsteigerung in Bereiche mit sich möglichst wiederholenden, gleichförmigen Tätigkeiten gegliedert werden. So entstand das Konzept funktionaler Teilung. |25|Marketing ging fortan im Marketingbereich vonstatten, Vertrieb im Vertriebsbereich. Produktion im Produktionsbereich. Personalmanagement im HR-Bereich. Und so weiter. Taylor schuf damit zwei Konzepte der Teilung: zum einen das der hierarchischen Teilung zwischen Manager und Arbeiter, zum anderen das der funktionalen Teilung zwischen Bereichen und Abteilungen.

Und das Modell funktionierte. Der »Taylorismus« erwies sich als eine geniale Idee des Industriezeitalters. Flankiert wurde die Bewegung durch die Arbeit von Zeitgenossen wie Henry Ford, dem Vorreiter der Massenproduktion am Fließband – und Alfred Sloan, dem Begründer des Management by Numbers, das Manager durch Aufbereitung des Zahlenwerks in die Lage versetzen sollte, ganze Unternehmen in den Griff zu bekommen. Das tayloristische Prinzip führte zunächst zu ungeahnten Produktivitätssteigerungen. Taylor löste eine Revolution aus, die es einfachen industriellen Arbeitern erlaubte, Mittelklassegehälter zu verdienen und einen Mittelklassestatus zu erreichen – trotz ihres Mangels an Bildung und Fähigkeiten. Während industrielle Produktionsformen sich bis dato nur beim Bau von Kathedralen bewährt hatten, machten nun plötzlich ganze Industriezweige den Schritt von der aufwendigen Einzelfertigung in Handarbeit hin zur industriellen Massenfertigung.

Noch zu seinen Lebzeiten wurde Taylors »Forschung« als unwissenschaftlich und unbrauchbar widerlegt, Taylor selbst wurde vor einem Ausschuss des US-Kongresses als Scharlatan entlarvt. Dennoch ließen sich nicht nur gewinnorientierte Unternehmen in der Folgezeit vom Taylorismus inspirieren. Auch Krankenhäuser, Schulen, Kirchen, Stiftungen, karitative Organisationen, Behörden – kurz: alle Arten von Organisationen – unterwarfen sich, angeregt von den immensen Effizienzsteigerungen während der industriellen Ära, bewusst oder unbewusst den tayloristischen Prinzipien. Auch im öffentlichen und Not-for-Profit-Sektor wurde die Produktivität oft massiv erhöht, positive Skaleneffekte kamen Bürgern und Gesellschaften zugute.

Tayloristische Organisationen nutzen die Trennung von unmittelbar wertschöpfender und koordinierend-administrativer Arbeit, um ihre Komplexität zu verringern. Die »Befreiung« der wertschöpfenden Prozesse von dem denkerischen und entscheiderischen Überbau steigert grundsätzlich zunächst die Produktivität. Allerdings verlieren die Wertschöpfungsprozesse dadurch ihren Marktkontakt und werden blind für den ökonomischen Sinn der eigenen Tätigkeit. Daher wird eine zentrale operative Steuerung gebraucht, die sie zur Kundenorientierung ermahnt, gleichsam als »Blindenhund« fungiert. Es entwickelt sich die »Managementfabrik« als Parallelorganisation zur »physischen Fabrik«. Anders ausgedrückt: Management und Bürokratie |26|wachsen, ebenso die ihnen zugeordneten indirekten Funktionsbereiche von Verwaltung, Lagerung, Transport und Kontrolle. Gleichzeitig entstehen Abhängigkeit der mit reiner Wertschöpfung betrauten Mitarbeiter untereinander und die fast überall verbreitete funktionale Gliederung von Organisationen.

Traditionelle Managementerziehung lehrt uns denn auch, die Dinge sorgfältig zu zerlegen, jedes einzelne Stück zu verbessern und dann die Teilchen wieder zusammenzufügen. Das ist wie mit Lego spielen. Letzten Endes geht diese Vorstellung auf Isaac Newtons Idee der Organisation als Maschine zurück: Unternehmen als mechanische Getriebe. In dieses Konzept passt auch die Annahme, dass sich bestimmte Probleme immer mit bestimmten Instrumenten lösen lassen. Zum Beispiel Qualitätsprobleme mit Qualitätsmanagement und Six Sigma, strategische Probleme mit Balanced Scorecards oder Risiko mit Risikomanagement.

Schön wär’s! Doch die Zeiten ändern sich. Die tayloristischen Prinzipien und das der Trennung versagen immer offensichtlicher: Wie beispielsweise soll eine Organisation, in der Mitarbeitern, die mit echter Wertschöpfung beschäftigt sind, das Denken verboten ist, auf unvorhersehbare Marktentwicklungen und anspruchsvolle Kunden reagieren? Wie soll der Output jener Wissensarbeit, die in der Wirtschaft verglichen mit industrieller Produktion immer wichtiger wird, gemessen werden? Wie etwa lässt sich der Wert von Ideen und Kampagnen einer Marketingabteilung berechnen und managen?

Peter Drucker, ein US-amerikanischer Ökonom mit österreichischen Wurzeln, hat bereits in den 1960er-Jahren darauf hingewiesen, dass zukünftig massive Veränderungen nötig sein würden. Sein Ruf nach einer neuen zweiten Revolution im Management und seine Beschreibung dessen, was sich als Wissensökonomie abzeichnete, waren mitbestimmend dafür, dass sich tatsächlich etwas bewegte. Leider hat Drucker den Beginn dieser Revolution nicht mehr erleben dürfen. Vielleicht hat tragischerweise aber gerade seine spätere Erfindung des Management by Objectives dazu beigetragen, das von ihm korrekt als überholt erkannte tayloristische Modell weiter zu vervollkommnen und gegen die eigentlich nötige Innovation widerstandsfähiger zu machen. Ähnliches gilt für viele andere Managementvordenker des 20. Jahrhunderts. Der Soziologe Elton Mayo machte Personalmanagement zur Therapieveranstaltung und brachte der Betriebswirtschaft bei, tayloristisch vom Denken entfremdeter Arbeit ein freundlicheres Antlitz zu geben. McKinsey-Gründer James McKinsey, der Taylor-Schüler Henry Gantt und der Mathematiker und selbst ernannte Marketingexperte Igor Ansoff erhoben Planung und Budgetsteuerung zum heiligen Gral unter den Managementkonzepten. |27|Gurus wie Michael Porter, Bruce Henderson, Gründer der Boston Consulting Group, oder das Scorecard-Duo David Norton und Robert Kaplan schließlich machten Strategie zur Domäne übereifriger Analytiker und Technokraten. Sie alle und andere Managementexperten setzten Taylors Prinzipien die Krone auf.

Wissensarbeit jedoch lässt sich nicht durch hervorragendes Verständnis von Zahlenwerken, Matrizen, Ressourceninputs und Outputs verbessern. William Edwards Deming, der Urvater des Qualitätsmanagements und einer der ersten Systemiker, der der Wirtschaft seinen Stempel aufdrückte, sagte einmal: »Ein numerisches Ziel führt zu Verzerrung und Vorgaukelei – ganz besonders in denjenigen Situationen, in denen das System nicht in der Lage ist, das Ziel zu erreichen. Jeder wird immer diejenige Quote (Ziel) erreichen, die ihm zugeordnet ist. Niemand ist verantwortlich für den Schaden, der so verursacht wird.«

Welche Schäden sind hier gemeint? Beispiel Kostenmanagement: Manager lieben es. Controller auch. Es gilt als gängige und gute Praxis. Jedoch: Man kann Kosten nicht managen. Kosten, also buchhalterisch geronnene Zahlen, direkt beeinflussen zu wollen heißt, eine Parallelwelt zu den tatsächlichen Arbeitsprozessen zu schaffen, durch welche die Kosten eigentlich entstanden sind. Kostenmanagement führt damit zu einem Herumdoktern am Zahlenwerk. Immer fehlt dabei der direkte Zusammenhang mit dem Strom wertschöpfender Arbeitsprozesse, die es eigentlich zu verbessern gilt. Kostenmanagement wird zum Substitut für »richtiges Arbeiten«, das darin bestünde, die Kundensicht einzunehmen, um die Prozesse mit ihren Ergebnissen zu verbessern. Kosten managen ist wie Tote gesund pflegen zu wollen. Kostenziele halten Menschen davon ab, das eigentlich Wichtige zu tun.

Oder nehmen wir das Beispiel Verkaufsziele: Statt von den Teams mit Kundenkontakt einzufordern, gute Geschäfte zu machen, kümmern sich Vertriebsleiter, Verkäufer, Marketingmanager und oft auch Topmanager meist vorrangig um fixierte Quoten – um geplante Absatzzahlen und Volumina der einzelnen Vertriebsmitarbeiter. Die Zielerreichung ersetzt so das Streben danach, bestehende oder zu schaffende Kundenbedarfe zu erkennen und zu bedienen. Der Sog des Marktes wird ignoriert, die Kundenorientierung geht zugunsten eines Geschäftsgebarens verloren, mit dem Produkte in den Markt gedrückt werden.

Oder betrachten wir Vergütungssysteme: Die Pensionsleistungen für Topmanager bei einigen amerikanischen Automobilherstellern zum Beispiel wurden mit einer Formel errechnet, die sich daran orientierte, wie rentabel das jeweilige Unternehmen in den letzten paar Jahren vor dem Ruhestand eines Managers war. Man braucht kein Student der Verhaltenswissenschaften |28|zu sein, um die folgende Frage beantworten zu können: Investiert ein Manager unter diesen Bedingungen massiv in langfristige Forschung und Entwicklung? Oder nutzt er jede Chance, um Kosten zu verringern, Mitarbeiter zu entlassen und kurzfristige Ergebnisse zu maximieren? Die Antwort fällt geradezu lächerlich eindeutig aus: »Dankeschön, als Entscheider in dieser Situation kümmere ich mich lieber um mein eigenes Wohl und um das meiner Familie!«

Oder werfen wir einen Blick in öffentliche Organisationen: Der gesamte Behördenkomplex wurde in den letzten Jahrzehnten mit Leistungsindikatoren und fixierten Zielen überschwemmt. Ein kurioses Beispiel aus dem Polizeiwesen ist das Thema häusliche Übergriffe: Ehemann und Ehefrau streiten sich; dies wird als zwei getrennte Vorgänge deklariert – zwei Übergriffe, jeweils einer gegen den anderen – und dann werden beide als »aufgeklärt ohne weitere Maßnahmen« verzeichnet. Diese Praxis wirkt natürlich Wunder bei der Aufklärungsquote. Vermittlungsquoten in den Arbeitsagenturen unterliegen der gleichen Manipulation, wenn Belohnung und Bestrafung mit ihnen verknüpft sind, wenn also ein fixierter Leistungsvertrag zustande kommt.

Leider wiederholen Forscher, Berater, Manager und Praktiker immer wieder das gleiche Mantra: Das System würde ja funktionieren, wenn nur die Ziele richtig, zum Beispiel realistischer oder herausfordernder, definiert würden – natürlich unter größerer Beteiligung der Betroffenen, mit mehr Training für Vorgesetzte, mit ein wenig mehr Auditing und Kontrolle und so weiter und so fort. In Wirklichkeit kratzen diese Ansätze gerade mal an der Oberfläche des Problems und die gesammelten Indizien aus jahrzehntelangen Erfahrungen mit fixiertem Leistungsvertrag und Management by Numbers sollten solche »Experten« Lügen strafen.

Letztlich gibt es keinen anderen Lösungsweg: Die meisten Ziele gehören abgeschafft und fixierte Leistungsverträge müssen generell aus unseren Organisationen verschwinden!

Der Zentrale die Arroganz austreiben

In welche Richtung sich vom tayloristischen Denken geprägte Unternehmen entwickeln müssen, um unter modernen Wettbewerbsbedingungen bestehen zu können, ist den meisten Managern noch völlig unklar. Fest steht aber: Nur Organisationsformen, die ohne zentrale Steuerung auskommen, sind den modernen, dynamisch-komplexen Märkten gewachsen. In solchen Unternehmen |29|erhalten die wertschöpfenden Teams und Bereiche ihren eigenen Marktkontakt zurück und entwickeln die Fähigkeit, ohne den zeitraubenden Umweg über zentrale Managementinstanzen auf überraschende Veränderungen zu reagieren. Dies ist das Prinzip der Selbstorganisation. Oder treffender: der Marktorganisation.

Die Systemtheorie lehrt uns: In einem komplexen Umfeld florieren nur Unternehmen, die über genug Eigenkomplexität verfügen. Sie erzeugen Druck durch innovative Ideen und erweisen sich als robust gegenüber den Wettbewerbern. Die Verwandlung tayloristischer Organisationen in komplexitätsrobuste bedeutet daher: die Steigerung der eigenen Komplexität auf das Niveau moderner Märkte – so wie es Pioniere wie beispielsweise Toyota und Handelsbanken vorgemacht haben. Konventionell tayloristische Organisationen sind in dieser Hinsicht schlicht zu simpel, zu mechanistisch strukturiert. In dynamischen Märkten wird darum die Stärke tayloristischer Organisationen zur Schwäche.

Das von Handelsbanken, Toyota, Southwest Airlines, Semco und anderen praktizierte Modell basiert auf der unerschütterlichen Überzeugung, dass als einzig wahrhaft nachhaltiger Wettbewerbsvorteil heutzutage die Mitarbeiter gelten können – und zwar ganz besonders ihre Kreativität, Leidenschaft und Urteilsfähigkeit. Wo dies eine wirkliche Überzeugung und mehr als nur eine PR-Attitüde ist, entsteht daraus ein Führungsprinzip, das in krassem Widerspruch zum üblichen zahlen- und zielgetriebenen Managementmodell steht.

Ein Prototyp für die ausschließlich auf Wissen beruhende Organisation, in der jeder Mitarbeiter ein Wissensarbeiter ist, existiert natürlich auch schon lange: Es handelt sich um die klassische Dienstleistungsfirma, wie sie zum Beispiel von Anwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfern, Architekturbüros, Werbeagenturen und vielen Beratungsunternehmen verkörpert wird. Viele dieser Unternehmen operieren als Partnernetzwerke oder Quasipartnerschaften, in denen strategische Entscheidungen mehr oder weniger demokratisch auf regelmäßigen Partner-get-togethers getroffen. Die Organisation der Zukunft ist also um kleine, eigenverantwortliche Teams herum organisiert, die jeweils für ihr operatives Geschäft, aber auch für das Management zuständig sind. Eine solche Organisation in Reinform enthält keinerlei funktionalen Bereiche; es gibt keine zentrale Marketingdivision oder Personalmanagementabteilung mehr. Damit dieses System aber funktioniert, muss jeder Mitarbeiter in den marktnahen Teams der Peripherie zu einem Mini-CEO oder zum Unternehmer im Unternehmen werden. Dies wiederum führt dazu, dass die Arbeit der Menschen in der Zentrale zwangsläufig neu definiert werden muss: Statt Strategien und Ziele zu bestimmen und die großen Entscheidungen zu treffen, werden Topmanager zu Ratgebern, Bewahrern von |30|Prinzipien, zu Verantwortlichkeitspredigern und Anspornern. Sie lernen zu dienen. Zugleich sind überaus starke gemeinsame Werte und Prinzipien notwendig, damit Zusammenhänge klar werden und um den Zusammenhalt zu gewährleisten.

Bis heute wird das Anbrechen der Informations- und Wissensgesellschaft immer noch häufiger verbal beschworen, als es tatsächlich in Organisationen zu erkennen ist. Trotzdem gibt es neben den hier genannten Pionierunternehmen viele Start-ups und kleine Dienstleister, die den Aufbruch in die Zukunft gewagt und erste wesentliche Schritte getan haben. Die dem Management per Zielvorgaben abgeschworen haben. Aber was genau machen diese Unternehmen anders? Wie schafft es eine Organisation, weitaus mehr Ressourcen wertschöpfend auf den Markt zu richten, statt Geld, Zeit und Energie intern verpuffen zu lassen (siehe Abbildung 3)?

Um dem Unterschied auf die Spur zu kommen, blicken wir noch einmal zurück. Im Jahr 1982, also rund 70 Jahre nach der Veröffentlichung von Frederick Taylor’s Hauptwerk The Principles of Scientific Management, erschien in den USA das Buch In Search of Excellence, geschrieben von Tom Peters und Robert Waterman. Auf Deutsch heißt es Auf der Suche nach Spitzenleistungen und wurde mit einigen Millionen verkaufter Exemplare weltweit zum ersten großen Management-Bestseller. Die beiden Berater hatten im Auftrag von McKinsey eine Reihe von Unternehmen untersucht, um deren »Erfolgsgeheimnisse« zu lüften. Dabei kam keine Aufstellung von Erfolgsrezepten heraus, die zur schlichten Nachahmung geeignet sein sollten, sondern vielmehr eine Liste »kritischer Erfolgsfaktoren« – ein bis dato neuartiger und geradezu bahnbrechender Ansatz in der Betriebswirtschaft. Das Buch enthält acht Erfolgsprinzipien für die gerade aufkeimende Wissensökonomie:

»Neigung zum Handeln« (statt: Planungswut und Analyse)

»Nähe zum Kunden« (statt: Innenorientierung und Zentralisierung)

»Autonomie und Unternehmertum« (statt: Bürokratie und Abhängigkeit)

»Produktivität durch Mitarbeiter« (statt: Produktivität durch Maschinen)

»Hands-on-approach – durch Wertschöpfung getrieben« (statt: innengerichtet und hierarchisch)

»Bleib bei deinen Leisten« (statt: Expansionswahn und Mangel an Fokussierung)

»Einfache Form, schlanke Strukturen und wenig Overhead« (statt: tayloristische Funktionalorganisation)

»Simultane Lose-Eng-Führung und Praktiken« (statt: Weisung und Kontrolle)

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Abbildung 3: Die Kräfte der Organisation nach außen richten

|32|Seit Anfang der 1990er-Jahre, also einige Jahre nach der Veröffentlichung von Auf der Suche nach Spitzenleistungen, wird Tom Peters nicht müde zu wiederholen, dass sich die acht hier aufgelisteten Erfolgsfaktoren »im Grunde auf ein Einziges reduzieren lassen: Dezentralisierung und Autonomie«. Alle anderen Erfolgsfaktoren resultieren, so Peters, gleichsam automatisch aus diesem fundamentalen Prinzip.

Wie aber sollen wir eine solch hochgradig dezentralisierte und Autonomie gewährende Organisation für die Wissensökonomie bauen? Und welches Unternehmen kann schon von sich behaupten, ein derartiges Modell bereits umgesetzt zu haben?

Heute besteht weitgehend Einigkeit, dass eine Reihe solcher kritischer Erfolgsfaktoren in der Gegenwart überragende Geltung erlangt haben. Eine Liste dieser Erfolgsfaktoren, die weitgehend mit den von Peters und Waterman formulierten übereinstimmen, kann – zu sechs Positionen zusammengefasst – so aussehen:

Schnelle Reaktion – um diskontinuierlicher Veränderung in den Märkten zu begegnen

Innovation – um mit immer kürzeren Produkt- und Technologielebenszyklen fertigzuwerden

Operationale Exzellenz – um bei andauerndem Preisverfall wettbewerbsfähig zu werden und zu bleiben

Kundennähe – um wenig loyale und wählerische Kunden anzuziehen und zu binden

Bester Arbeitsplatz sein – um wählerische und qualifizierte Arbeitnehmer anzuziehen und zu halten

Ethisches und sozialverträgliches Verhalten – um der zunehmenden Forderung nach Transparenz gegenüber allen Anspruchsgruppen genügen zu können

Das Bekenntnis vieler Organisationen zu diesen kritischen Erfolgsfaktoren bleibt – selbstredend – nach wie vor ein Lippenbekenntnis. In der Praxis des Managements lässt sich nur zu oft das genaue Gegenteil feststellen: Die breite Mehrheit der Organisationen nutzt bis heute kein angemessenes Steuerungsmodell, um den genannten Erfolgsfaktoren gerecht zu werden.

Das Modell von »Weisung und Kontrolle« zeigt jedoch drei entscheidende Mängel. Erstens werden Entscheidungen zentral oder »von oben« getroffen – Führung ist also Chefsache. Dies verzögert Reaktionen, verringert Innovation, erhöht Overheadkosten, entfremdet Kunden, demotiviert talentierte Mitarbeiter und verhindert ethisch richtiges Verhalten. Das Ergebnis ist nicht Verantwortung, sondern organisierte Verantwortungslosigkeit.

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Abbildung 4: Die Welt hat sich gewandelt – Management wurde für eine andere Zeit erfunden

|34|Zweitens führen inflexible Steuerungsprozesse zu einem »fixierten Leistungsvertrag« nach innen und nach außen. Dieser Leistungsvertrag verknüpft Ziele, Belohnung, Planung, Ressourcenallokation und Kontrolle. Diese Methodik ist nur scheinbar der Zukunft zugewandt. In Wirklichkeit ist sie bürokratisch und statisch. Die heutigen Wettbewerbsbedingungen verlangen aber einen anpassungsfähigeren und unternehmerischeren Ansatz, damit Leistung entstehen kann. Einen Ansatz, der mit Unsicherheit und Dynamik umgehen kann.

Drittens sind alle Informationssysteme und Managementinstrumente – ganz nach dem tayloristischen Verständnis – auf zentrale Kontrolle programmiert statt auf dezentrale Autonomie und Verantwortung. Deshalb stehen auch die Systeme, Tools und Instrumente mit den kritischen Erfolgsfaktoren der Wissensökonomie im Konflikt.

Wer Dezentralisierung und Autonomie schaffen will, hat nichts davon, immer neue Tools zu implementieren, Neues zu entwickeln und auszuprobieren sowie bestehende Praktiken zu verbessern. Als Unternehmer, Manager und Menschen müssen wir vielmehr endlich klar aussprechen, auf welche Praktiken, Rituale und Gewohnheiten wir in dieser neuen Ära der Wissensökonomie bewusst verzichten werden. Wir müssen in Führung und Management endlich anfangen, zu »entlernen«, also überkommene Rituale und Praktiken loszuwerden. Abzuschaffen. Den Stall der Managementroutinen auszumisten. Vieles, was wir als Management bezeichnen, gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.

Neues Menschenbild – neuer Leistungsvertrag

Es lässt sich kaum etwas Vernünftiges über Personalmanagement, Führung und Menschen in einer Organisation sagen, wenn man nicht zunächst einmal klärt, welches Menschenbild einen leitet. Viel zu viele Publikationen, Beratungsansätze, Tools und auch Personalmanager wirken nicht stimmig, einfach weil sich Autoren, Erfinder und Anwender nicht klar darüber sind, mit was für einer Art von Mensch wir es in Organisationen zu tun haben. Wir müssen also als Erstes die Frage beantworten: Wie ist eigentlich der Mensch? Wie funktionieren Menschen im Arbeitsleben wirklich?

Die Ansätze, die wir in der Praxis vorfinden, schwanken bewusst oder unbewusst zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite steht die Überzeugung, man müsse Menschen wie Kinder behandeln, an die Hand nehmen und kontrollieren. Auf der anderen Seite findet sich die Überzeugung, Mitarbeiter |35|dächten eigentlich alle von Natur aus unternehmerisch und seien tief im Innern »Entrepreneure«.

Zu oft jedoch herrscht in Unternehmen, aber auch in Konzepten oder Veröffentlichungen nicht der Hauch von Klarheit darüber, von welchen Grundannahmen über den Menschen ausgegangen wird: von dem arbeitenden Kind-Menschen, der zur Arbeit verführt, gezwungen oder verleitet werden muss? Oder von dem mit unternehmerischem und kreativem Potenzial beseelten, auf Selbstentfaltung zustrebenden und prinzipiell verantwortungsfähigen Menschen? Dieser Fehler soll hier nicht begangen werden. Ich entscheide mich in diesem Buch – ebenso wie die Pionierorganisationen des neuen Typs es für sich getan haben – für ein bestimmtes Menschenbild. Und zwar für das des »Typs Y«, wie wir es hier nennen wollen: Ich gehe von dem intrinsisch motivierten, zur Selbststeuerung fähigen und grundsätzlich vertrauenswürdigen Menschen aus. Dem Träger von Talenten, der getrieben ist vom Wunsch, einen Beitrag zu leisten, auf der Suche nach Anerkennung, Verantwortung und Sinn. Alle Gestaltungsvorschläge, die sich auf den hier vorgestellten Beta-Kodex beziehen, und auch das entstehende Führungsmodell für die Wissensökonomie insgesamt fußen auf dieser Grundannahme. Ohne eine solche grundlegende Entscheidung lässt sich Führung, lassen sich Organisationen nicht denken. Man wird den eigenen »kleinen Taylor« im Hinterkopf nicht los!

Den Lesern, die bewusst oder unbewusst dem entgegengesetzten Menschenbild des »Typ X« anhängen, werden die in diesem Buch diskutierten Praktiken und Gestaltungsvorschläge vermutlich problematisch und undenkbar vorkommen. Sie werden die Vorgehensweisen der Pioniere der Wissensgesellschaft per se für fragwürdig und gefährlich halten. Das ist nur natürlich und angesichts der entsprechenden Annahmen über die Menschen verständlich. Man muss sich eben entscheiden.

Wer das Menschenbild des »Typ X« verinnerlicht hat, glaubt auch an acht Kernaussagen über unternehmerische Leistungen, die sich aus der »Typ-Y-Perspektive« jedoch als nichts anderes als moderne Mythen entpuppen:

»Shareholder-Value, Gewinnerzielung oder EVA ist der ultimative Unternehmenszweck.« Richtig ist: Gewinn ist kein Zweck, sondern ein Ergebnis und eine Nebenbedingung der Geschäftstätigkeit. Das Gleiche gilt prinzipiell für alle finanziellen Indikatoren der Leistung.

»Firmen müssen ihren Kapitalgebern, den Banken und den Kapitalmärkten, Gewinnvorhersagen (Earnings-Guidance) bieten und werden dafür belohnt.« Richtig ist: Aktionären und Analysten zukünftige Ergebnisse vorherzusagen bedeutet zwangsläufig, leere Versprechungen zu machen. |36|Es entsteht damit ein fixierter Leistungsvertrag, der zur Einhaltung einmal gemachter Versprechungen zwingt. Nicht wenige Unternehmen, darunter Porsche, Google und Coca-Cola, haben von dieser Praxis, die immer wieder in ein schädliches Spiel mit dem Zahlenwerk, das sogenannte »Numbers-Game« mündet, inzwischen Abstand genommen. Studien zeigen, dass ein Drittel der an der New Yorker Börse notierten Unternehmen auf Gewinn- oder Ergebnisprognosen verzichtet. Viele davon sind aus eigenem Schaden klüger geworden.

»Wachstum und Gewinn sind die wichtigsten Erfolgsmaßstäbe.« Richtig ist: Wachstum sollte in den allermeisten Unternehmen und Branchen nur ein untergeordnetes Ziel sein. Zumindest für Organisationen, die auf ethisches Verhalten Wert legen. Die meisten Argumente pro Wachstum, formuliert von heroischen Führungskräften und dogmatischen Kurzfrist-Optimierern, halten einer nachhaltigen Überprüfung kaum stand. Wachstum kann ein guter Indikator für überlegene Wertschöpfung und Konkurrenzfähigkeit sein. Oft ist es aber noch nicht einmal das. Genauso verhält es sich mit dem Unternehmensgewinn.

»Man kann individuelle Mitarbeiterleistung beurteilen.« Richtig ist: Das kann man nicht. Zu keiner Zeit. Zumindest nicht in Organisationen, in denen Leistung fast immer dadurch entsteht, das verschiedene Akteure abhängig voneinander und gemeinsam handeln, kaum je durch autonomes Handeln einzelner Menschen. Oder anders: Leistung in Unternehmen ist immer eine Mannschaftssportart. Punkt.

»Man kann Leistung objektiv messen.« Richtig ist: Messung kann niemals objektiv sein, sondern beruht stets auf Annahmen und ist selbst eine Abstraktion von Leistung. Es ist auch streng genommen kolossaler Unsinn, zu behaupten: »What gets measured gets done.«

»Mit guten Indikatoren kann ein fähiger Manager die Organisation steuern.« Richtig ist: Indikatoren geben bestenfalls Hinweise, aber niemals Antworten. Und zur Steuerung sind sie gänzlich ungeeignet. Sie sind nützlich, wenn sie Teams und Mitarbeiter zu Fragen anregen. Und gefährlich, wenn sie als objektiv und wahr interpretiert werden. Es gibt kein Unternehmertum per Fernbedienung.

»Leistung wird überproportional vom Topmanagement beeinflusst.« Richtig ist: Heroisches Management ist in dynamischen und komplexen Umfeldern unwirksam. Das Verherrlichen von Topmanagern ist heutzutage eine Denkfalle.

»Die Gründe für schlechte Leistung, Fehler und Versagen sind in Personen zu finden.« Richtig ist: Wir sollten uns eher fragen, was einen Menschen oder ein Team davon abhält, gute Leistung zu erbringen. Und wie |37|wir das System verändern sollten, damit Mitarbeiter zu guter Leistung befähigt werden. Deming schrieb, dass 95 Prozent aller Probleme in Organisationen im System begründet liegen – nur 5 Prozent in den Menschen. Wenn wir also Probleme an Personen festmachen, dann übersehen wir regelmäßig 95 Prozent des wahren Verbesserungspotenzials.

Doch wo beginnt der Weg, den wir gehen müssen, um solche fundamentalen Missverständnisse über Leistung, Erfolg und Führung hinter uns zu lassen?

In Leadership is an Art unterscheidet Max De Pree zwischen vertraglichen und gemeinschaftlichen Beziehungen zwischen Menschen in einer Organisation. In der vertraglichen Beziehung spielt der Zusammenhang zwischen Arbeit und Bezahlung die wichtigste Rolle. Daher fördert vertragliches Leistungsmanagement stets Fügsamkeit und Abhängigkeit. Dies ist die Funktionsweise des tayloristischen Modells, so führt man Menschen vom »Typ X«.

Dem gegenüber steht das gemeinschaftliche Verhältnis, das auf Selbstverpflichtung beruht, also auf einem einvernehmlichen Versprechen zwischen Führenden und Geführten, das vom gemeinsamen Glauben an ähnliche Ideen, Werte, Ziele und Philosophie gekennzeichnet ist. So führt man Menschen vom »Typ Y«.

Relativ schnell stellte sich bei der Forschungsarbeit des BBRT heraus, dass es nicht darum gehen kann, Budgets und traditionelles Management irgendwie durch neue Tools und neue Prozesse zu ersetzen, sondern darum, ein gänzlich anderes Organisationsparadigma zu begründen und zu beschreiben. Eines, das die untersuchten Pionierunternehmen sich bereits angeeignet haben. Dabei ergaben sich zwei große Probleme: Zum einen kann man die neue Organisation nicht mit dem veralteten Vokabular tayloristischer Maschinenorganisationen beschreiben. Wir brauchen also ein neues, passendes Vokabular und neue Begriffe! Zum anderen zeigt sich kurioserweise immer wieder: Die Höchstleistungsorganisationen des 21. Jahrhunderts wissen selbst oft nicht, was sie tun beziehungsweise was sie anders machen als andere. Ihre alternativen Steuerungsmodelle haben sich meistens aus der Intuition von Gründern, Eigentümern oder einzelnen Managern heraus entwickelt. Typischerweise ganz ohne externe Hilfe, zum Beispiel von Beratern, oder wissenschaftliche Begleitung. Und ohne dass sich die Verantwortlichen vorher einen genauen Plan gemacht hätten, wie das Steuerungsmodell ihrer Organisation am Ende aussehen soll. Alternative Modelle sind bislang aus der Vision einiger weniger Individuen heraus einfach entstanden.

Mit der Zeit brachte die gemeinsame Forschungsarbeit auch Fortschritte, grundlegende Muster wurden erkannt und benannt. Ein Ergebnis ist der Begriff |38|des »relativen Leistungsvertrags«. Dieses Organisationsprinzip ist eines der Herzstücke des neuen Führungsmodells. Relative Leistungsverträge beruhen auf der Annahme, dass es unklug ist, Manager und Teams zu einem vorab fixierten Ziel zu verpflichten und dann ihre Handlungen und Maßnahmen an diesen Vorgaben zu messen. Die implizite Abmachung zwischen Unternehmensleitung, Managern und Mitarbeitern in einem besseren relativen Leistungsvertrag lautet, dass es Aufgabe der Leitung ist, ein herausforderndes und offenes Handlungsklima zu schaffen, in dem sich Mitarbeiter dazu verpflichtet fühlen, ihre Leistungen ständig zu verbessern. Dabei folgen Manager und Mitarbeiter ihrem Wissen und ihrer eigenen Urteilskraft, um sich veränderlichen Bedingungen und Umfeldern anzupassen.

Entscheidungen werden in diesem Leistungsvertrag nicht der Machthierarchie folgend an der Spitze der Organisation getroffen und als partizipativ verbrämt. Vielmehr werden sie verteilt – dezentralisiert und subsidiär, so weit unten oder draußen wie möglich. Eben dorthin, wo Entscheidungen am schnellsten, verantwortungsvollsten und besten getroffen werden können: an der Schnittstelle zum externen oder auch internen Kunden.

Dieser neue flexible Leistungsvertrag beruht einerseits auf gegenseitigem Vertrauen. Andererseits stellen die stärkere Transparenz und die höheren Erwartungen an Teams und Manager (relativ zum Wettbewerb oder ihresgleichen) immerwährende Herausforderungen dar, die entweder erfüllt werden oder zu ebenfalls transparenten negativen Konsequenzen führen. Vertrauen und Verantwortung bewegen sich bei dieser neuen Form des Leistungsvertrags also auf gleichem Niveau. Leistungsverantwortung und Entscheidungskompetenz werden dabei schrittweise vom Zentrum der Organisation in die Peripherie verlagert, also auf dezentrale Entscheider und Teams übertragen. Dies bedeutet einen Wandel im Führungsprozess und zugleich einen kulturellen Wandel.

Neue Gesetze für einen neuen Ansatz: der Beta-Kodex

Die Kritik am tayloristischen Steuerungsmodell ist nicht neu. Sie wurde bereits seit den 1950er-Jahren von Motivationsforschern wie Douglas McGregor und Frederick Herzberg, von Statistikern wie William Edwards Deming oder in den letzten Jahrzehnten von Managementdenkern wie Tom Peters, Gary Hamel, Charles Handy, Peter Drucker, Chris Argyris, Peter Block oder Reinhard Sprenger eindrucksvoll vorgetragen. Einige dieser Vordenker lieferten auch schon erste konkrete Vorschläge für eine andere, zeitgemäße |39|Managementpraxis. Neu am Beta-Kodex ist aber, dass er nicht (nur) Gestaltungsvorschläge und Fallbeispiele liefert, sondern dass er ein prinzipiengeleitetes, alternatives Modell aufzeigt, mit dessen Hilfe Manager und Organisationen die nötige Abkehr vom Taylorismus praktisch und vergleichsweise erfolgsgewiss in Angriff nehmen können. Und das sich auf alle Organisationen übertragen lässt. Es ist diese Praktikabilität, die den Beta-Kodex zur vielleicht ersten großen Managementidee des 21. Jahrhunderts macht.

Warum eigentlich »Beta«? Wenn die Alternative zum Taylorismus lautet, komplexitätsrobuste, stets unfertige, radikal dezentralisierte Netzwerkorganisationen zu schaffen, dann läuft das auf Organisationen hinaus, die immer »beta« sind. Immer vorläufig. Nicht hierarchisch gesteuert. Organisationen, die sich dem Markt unterwerfen und immer nach Anpassung streben. Das geht aber nur, wenn man auf den Taylorismus als Denkmodell und als Steuerungsinstrument verzichtet. Den neuen Ansatz nennen wir »Beta-Kodex«: eine Sammlung von zwölf Gesetzen, die den Beta-Modus vom tayloristischen, dem Alpha-Modus, abgrenzen. Wenn in den letzten Jahren von »Beta« (oder dem Beyond-Budgeting-Modell, wie wir früher sagten) die Rede war, erregte dabei vor allem eines Aufmerksamkeit: Die Vertreter dieser Strömung verlangten doch tatsächlich, dass Budgetierung und Budgetsteuerung vollständig abgeschafft werden sollten. Und sie meinten es ernst!

Nun gut, allein diese Forderung kann sicher bei traditionell geschulten Managern als brisant und radikal gelten – gerade vor dem Hintergrund, dass sich wohl 95 Prozent aller größeren Unternehmen bei der Steuerung ihrer Geschicke nach wie vor massiv auf Budgets und Jahrespläne stützen. Aber der Verzicht auf Budgetierung ist bei Weitem nicht alles. In Beta steckt noch mehr drin, denn zusätzlich zur Budgetierung müssen im neuen Kodex andere Dinge weichen: Quotensysteme für Vertriebsleute etwa, aber auch Motivierungs- und Anreizsysteme ganz allgemein. Zudem Plan-Ist-Kontrollen, fixierte Ziele und Zielverhandlungen, Allokationen und Umlagen. Kurz: Es müssen eine ganze Reihe von Praktiken abgeschafft werden, die bislang als normal und unverzichtbar galten. Der Beta-Kodex hat in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum entsprechend für Furore unter Akademikern, Beratern und Praktikern gesorgt – zunächst ganz besonders unter Finanzmanagern und Controllern. Dabei ist die anfangs überaus polemische Diskussion für und wider die Steuerung jenseits der Budgetierung inzwischen in weitgehende Anerkennung für das Konzept und stellenweise auch in aktives Umdenken übergegangen: Viele Unternehmen, zum Beispiel B. Braun, Statoil oder WM Group, die Weltbank oder Sidney Waters, bekennen sich inzwischen zum Ansatz des Managements ohne Planwirtschaft und fangen an, ihn umzusetzen. Der Abschied von tayloristischem Management und fixierten |40|Zielen wird so nach und nach auch zu einem Thema für Kapitalgeber, CEOs, CFOs, Personalchefs, Organisationsentwickler und Berater.

Damit kommt langsam, aber sicher eine Bewegung in Gang, die 1998 in England begonnen hat. Damals gründete die amerikanische Industrievereinigung CAM-I in London den Beyond Budgeting Round Table, eine branchenübergreifende Arbeitsgruppe mit dem Mandat, Alternativen zur traditionellen Budgetsteuerung zu erforschen. Die Forschungsleiter des Arbeitskreises wussten auch schon, wie sie ihre Arbeit beginnen wollten: Sie hatten von einigen außergewöhnlich erfolgreichen Unternehmen gehört, die ohne Jahresplanung zurechtkamen. Hier mussten Antworten zu finden sein oder zumindest erste Ideen. Die Fallbeispiele von Organisationen, die bereits ganz oder fast ohne Budgets auskamen, wurden zur wichtigsten Grundlage des Modells, das in den Folgejahren in Gemeinschaftsarbeit entstanden ist: Der BBRT besuchte zum Beispiel Handelsbanken, Schwedens größte Bank, sowie die europäischen Chemiekonzerne Borealis und Rhodia. Den amerikanischen Energieversorger AES. Die karitative Organisation Sight Savers International. Den Technologiekonzern Groupe Bull und den Kugellagerspezialisten SKF. Auch Ausnahmefirmen wie das deutsche Handelsunternehmen Aldi standen auf der Liste. Branchenführer wie Ikea und Toyota. Die US-Konzerne Southwest Airlines und Guardian Industries, die schwedische Baumarktkette Ahlsell. Der BBRT befasste sich ebenso mit öffentlichen Organisationen wie Sydney Water, Scottish Enterprise und der Weltbank. Multinationale Unternehmen und Konzerne wie Statoil, Tomkins, American Express, Wachovia, Charles Schwab und Unilever, aber auch kleinere Dienstleister und Mittelständler nahmen an der Forschungsarbeit teil. Manche von ihnen trieben ehrgeizige Veränderungen voran, die sich an dem neuen Modell ausrichteten. Über 150 Mitgliedsorganisationen haben den BBRT seit dessen Gründung unterstützt.

Viele dieser Organisationen haben Jahresplanung und Budgetierung entweder abgeschafft oder radikale Veränderungen an ihren Steuerungsmodellen vorgenommen. Was der BBRT im Lauf der Zeit jedoch immer deutlicher erkannte: Nicht Budgets als solche sind das Problem, sondern die zentralistische, tayloristische Führungsphilosophie per Weisung und Kontrolle sowie das Funktionsprinzip des Leistungsmanagements, das wir als »fixierten Leistungsvertrag« bezeichnen. Es sind diese beiden Paradigmen, die Organisationen überwinden müssen, wenn sie nach und nach ein leistungsfähigeres, an den Erfolgsfaktoren der Wissensökonomie angepasstes Führungssystem realisieren wollen.

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Abbildung 5: Der Beta-Kodez und seine 12 Gesetze – im Vergleich zum Alpha-Kodex

|40|Im Jahr 2003 erschien der erste Harvard-Business-Manager-Artikelzum Thema »Mehr Erfolg ohne Budgets«, der viel Diskussion hervorrief, zwei |42|Bücher von Direktoren des BBRT wurden wenig später auf Deutsch veröffentlicht. Die konzeptionellen Grundlagen des Organisationsmodells ohne Budgets können somit schon längst als gesichert gelten. Und ganz allmählich beginnt sich Beta auch in der Praxis durchzusetzen. Robin Fraser, früher Partner im Bereich Advisory bei Coopers & Lybrand und einer der Mitbegründer des BBRT, erklärt die Evolution des Konzepts so: »Wir haben wirklich eine Reihe von Jahren gebraucht, um das Modell von Grund auf zu entwickeln. Einige der frühen Mitglieder unserer Bewegung wollten nicht so lange warten und sind bereits am Anfang auch in Sachen Implementierung aktiv geworden. Diese Organisationen haben dann unter anderem intensiv mit Rolling Forecasts, Kennzahlensystemen und Balanced Scorecards experimentiert. Heute wissen wir aber, dass das Modell deutlich mehr ist als der Einsatz neuer oder besserer Tools. Und dass es nicht viel mit der Optimierung von Steuerungsprozessen zu tun hat, wie wir das von anderen Konzepten wie Total Quality Management, Reengineering, Activity-Based Management her kennen. Der Kern des Modells sind aber nicht Tools – sondern die Leitidee radikaler Dezentralisierung von Entscheidungen.«

Und weiter: »Was wir entdeckten, ist ein Führungsmodell, das Bürokratie durch Führung ersetzt, Top-down-Anweisung durch Empowerment, hierarchisch-zentralistische Aufbauorganisation durch selbststeuernde Netzwerke. Die Implementierung dieses Modells bedeutet für fast jede Organisation tiefgreifenden Wandel.« Insofern ist der Beta-Kodex eine Change-Management-Technologie. Das wiederum stellt sowohl Topmanager, mittleres Management als auch Organisationsentwickler vor eine gewisse Herausforderung. Verbunden mit einer enormen Chance für diejenigen, die wirklich substanziellen Wandel in ihren Organisationen hin zu einem zeitgemäßen Organisationsmodell anstoßen wollen.

Beta-Führung besteht im Kern aus zwölf Gesetzen, die radikal empowernde Führung und eine radikal dezentralisierte Organisation ermöglichen und jeweils einem Gesetz des tayloristischen Alpha-Managements gegenüberstehen (siehe Abbildung 5).

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Abbildung 6: Vom alten zu einem neuen Denkmodell für Organsationen

|42|Zugegeben: Manche der Beta-Prinzipien klingen nach nichts weiter als gesundem Menschenverstand. Wenn wir uns aber vergegenwärtigen, dass die meisten Organisationen heute den genau gegenteiligen Alpha-Prinzipien folgen, dann wird deutlich, dass die Forderung nach einem ganzen Paket neuer Leitlinien wie diesen nicht trivial ist. Die zwölf Gesetze des Beta-Kodex sind kein Menü, aus dem sich Unternehmen und Manager je nach Belieben ein paar Rosinen herauspicken sollten. Und sie sind auch keine Instrumente oder Tools. Vielmehr umreißen die Prinzipien ein in sich geschlossenes und – das kann ich gar nicht oft genug unterstreichen! – unteilbares Konzept. |44|Unteilbar, weil alle zwölf Gesetze miteinander in Beziehung stehen. Unsere Forschung und unsere Praxisarbeit zeigen nämlich auf, dass Organisationen erst dann, wenn sie die zwölf Gestaltungsprinzipien insgesamt beherrschen und beherzigen, zu einem wahrhaft flexiblen, dezentralisierten, kosteneffizienten, ethischen und dauerhaft überdurchschnittlich wettbewerbsfähigen Leistungssystem gelangen. Die Tatsache, dass diese Steuerungsprinzipien zusammenwirken und zusammengehören, ist der Schlüssel zum Verständnis des Modells.

Genau hierin liegt aber auch ein Paradox: Einerseits ist das neue Modell prinzipiell unteilbar. Es nützt nichts, sich ein oder zwei Gesetze, die sympathisch oder einleuchtend erscheinen, herauszugreifen und in einer Organisation einzuführen. Wir können das nachhaltig funktionierende, kohärente Steuerungsmodell neuen Typs nicht verwirklichen, ohne uns alle seine Prinzipien zu eigen zu machen. Ein revolutionärer Veränderungsansatz ist nötig.